Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorstellung, daß Norbert Blüm bei einer Baufirma anruft und sich um eine Bauarbeiterlehrstelle bewirbt, reizt natürlich zu einer Antwort. Erstens würde diese Firma Norbert Blüm natürlich gern nehmen, weil sie weiß, was er leisten kann.
Zweitens würde Norbert Blüm diese Stelle natürlich antreten, weil er weiß, daß durch die Tarifverträge und die jetzige gesetzliche Regelung wieder mehr Attraktivität für die Bauberufe erreicht worden ist.
- Herr Gilges, es reicht nicht aus, wenn wir nur mit Vokabeln wie „Täuschung", „Erpressung" oder, wie Frau Knake-Werner sagte, „erpresserischer Druck" und - ich denke hier an Herrn Dreßen - mit dem altbekannten Schlagwort „Sozialabbau" vorgehen.
Was diese Formulierungen angeht, sitzen alle drei Oppositionsparteien in einem Boot; aber sie sitzen in einem völlig anderen Boot als die Koalitionsfraktionen,
die Bundesregierung und die Tarifparteien. Wir wollen eine andere Lösung, als Sie sie wollen, nämlich eine Eigeniösung statt einer Fremdlösung.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal würdigen, was bisher passiert ist: Ein Hoch auf die Tarifautonomie und ein Dank an IG Bau-Steine-Erden, den Zentralverband des Deutschen Baugewerbes sowie den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie für die Lösung! Statt von allen Arbeitnehmern und Arbeitgebern wird zukünftig von den Sozialpartnern der Bauwirtschaft selbständig eine Regelung getroffen, und der Sozialstaat steht an der Stelle ein, an der die Tarifparteien es nicht regeln können. Das ist zukunftsweisende Sozialpolitik. Außerdem erreichen hiermit 1,1 Millionen Bauarbeiter ein ganzjährig gesichertes Einkommen.
Lassen Sie mich noch einen Blick darauf werfen, wie die Lage während des letzten Jahres war. Es gibt die Vorschläge der Oppositionsparteien.
Der PDS-Antrag vom Januar 1995 lautet schlicht: „Verzicht auf die Streichung der Schlechtwettergeldregelung" und hat die Wiederherstellung der alten
Regelung zum Ziel. Bei der PDS wundert mich das nicht, weil sie ja immer nur rückwärtsgewandt ist. Rote Socken laufen eben auch dann rückwärts, wenn sie sich im Sozialsystem der Bundesrepublik bewegen. Dies ist nicht zukunftsweisend.
Bei dem Antrag der Grünen bin ich ein wenig gutmütiger, denn der Titel ist anspruchsvoller.
- Ja, das ist ja so, Frau Buntenbach: „Sozialverträgliche Beschäftigung in Baubetrieben". Er bläht inhaltlich den Umfang über Themen auf, die diskutiert werden und zur Zeit auch in der Entscheidung stehen: Entsenderichtlinie, Werkvertragskontingente, Scheinselbständige, Bedingungen bei der Vergabe von Bauaufträgen der öffentlichen Hand. Ich gebe zu, daß man das dazutun kann. Aber wenn man es auf das Schlechtwettergeld bringt, das hier im Zusammenhang mit der Bauwirtschaft zu diskutieren ist, heißt es da im Grunde genommen auch: „Wiederherstellung des alten Zustandes". Ich finde, das ist für eine Partei, die von sich behauptet, sie würde die Zukunft gestalten, einfach zuwenig.
Ganz enttäuscht bin ich von dem Antrag der SPD, Herr Gilges. Das ist ja einer der ersten Anträge in dieser Legislaturperiode gewesen. Da heißt es auch: „Die bauspezifischen Benachteiligungen bei der Schlechtwetterregelung müssen rückgängig gemacht werden. - Alternativen: Keine." Die Tarifparteien haben Ihnen vorgemacht, daß es Alternativen gibt, daß es nicht nur ein Zurück gibt, sondern daß es einen zukunftsweisenden Weg gibt, der den Sozialstaat zu neuen Zielen bringt.
Die neue Schlechtwettergeldregelung ist ein Paradebeispiel für moderne und zukunftsorientierte Sozialpolitik. Was erleben wir hier? Einerseits ein starkes Miteinander von Tarifparteien und Staat, die hier Hand in Hand agieren. Dabei wird den Tarifparteien Vorrang gelassen.
- Das ist das Subsidiaritätsprinzip und nicht Unsinn, Frau Fuchs. Den Tarifparteien wird Vorrang gelassen, und erst, wenn sich die Situation zuspitzt, wenn also die 20 Arbeitstage oder 150 Ausfallstunden erreicht sind, handelt die öffentliche Hand. Wir reduzieren also staatliches Handeln zugunsten der Einflußnahme der Betroffenen und lassen dabei auch niemanden alleine. Wir konzentrieren uns auf das Notwendige, und damit sind wir hocheffizient.
Dieses Miteinander hat es im Vorfeld gegeben; wir haben ja die Diskussion im letzten Jahr erlebt. Hier gab es wirklich ein Miteinander zwischen Tarifparteien und Politik.
Nach der beschlossenen Kürzung im Bereich Schlechtwettergeld, was die Monate November und März anging, gab es eine Bewegung bei den Tarifparteien. Sie sagten: Wir sind bereit, dies eigenständig zu regeln, wenn ihr bereit seid, den alten Zu-
Wolfgang Meckelburg
stand wiederherzustellen. Das haben wir daraufhin getan. Das war der Stand vom September 1994.
Die Zwischenzeit haben die Tarifparteien genutzt. Sie haben eine Lösung gefunden. Wir sind also im Verfahren sehr flexibel gewesen. Die Verhandlungen der Tarifparteien waren sehr flexibel. Die Arbeitgeber sind in Richtung Überbrückungsgeld gegangen, die Arbeitnehmer in Richtung Urlaubstage und beide in Richtung flexiblere Arbeitszeiten. Wir müssen beim abschließenden Gesetzgebungsverfahren weiter flexibel bleiben. Wir müssen diesen Teil durchsetzen, damit zum 1. Januar 1996 die Regelungen, was die Tarifparteien und den von uns zu regelnden Teil angeht, wirklich eine runde Sache werden.
Ich will die Einzelheiten jetzt nicht noch einmal ausführen. Wir werden in der Ausschußberatung Zeit haben, darüber zu reden. Die Details sind vorhin schon mehrfach genannt worden.
Ich will versuchen, eine vorläufige Wertung vorzunehmen, was diese Regelungen, die gemeinschaftlich zwischen Tarifparteien und Sozialstaat getroffen worden sind, für uns bringen.
Bei den Kosten für die Arbeitslosenversicherung wird es Einsparungen geben: 200 Millionen DM statt 800 Millionen DM. Das ist notwendig; das wissen wir alle. Es wird mehr gebaut; Bautätigkeit wird verstärkt auch in der Schlechtwetterzeit stattfinden. Es wird ein gemeinsames Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an mehr Bautätigkeit geben. Denn da sitzen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wirklich in einem Boot: Die einen wollen nicht länger als nötig Überbrückungsgeld zahlen, und die anderen wollen so wenig wie möglich an Urlaubszeit einbringen. Insofern ist das ein positiver Beitrag für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Die tariflichen Vereinbarungen und die gesetzlichen Regelungen zusammen haben ganzjährig gesichertes Einkommen für Bauarbeiter gebracht. Der Beruf des Bauarbeiters wird dadurch wieder attraktiver.
- Ich lebe in der Welt, in der die Tarifparteien leben und diesen Vertrag anpeilen.
- Sie reden heute in der ganzen Diskussion so, als hätte sich in dem ganzen Jahr seit September 1994 nichts getan.
Man muß einfach einmal zur Kenntnis nehmen, daß sich die Tarifparteien bewegt haben und daß jetzt wir in diesem flexiblen Verfahren wieder am Zug sind, den letzten Teil zu regeln und damit ein Gesamtpaket hinzukriegen.