Rede von
Dr.
Rita
Süssmuth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern hat das Europäische Parlament das EuGH-Urteil diskutiert. Ich möchte einige Ergebnisse dieser Diskussion an Sie weitergeben.
Erstens erachtet es der Kommissar für Arbeit und Soziales, Padraig Flynn, für unbedingt notwendig, die Rechtsgrundlagen zu schaffen, um jene Mißverständnisse, die mit der Richtlinie von 1976 gegeben sind und Grundlage dieses Urteils waren, auszuräumen und die Rechtslücke auszufüllen.
Zweitens stellt das Parlament fest - nun geht es um die Subsidiarität -, daß die Rechtsgrundlagen so verändert werden müssen, daß die Mitgliedsländer, die heute entsprechende Frauenfördermaßnahmen haben, nicht daran gehindert werden, diese anzuwenden.
Drittens. Denjenigen im Lande, denen die Frauen ohnehin schon viel zu qualifiziert sind und die gesagt haben - dazu gab es große Schlagzeilen - „Endlich Schluß mit der Frauenquote", muß ich ins Gedächtnis rufen: Auf das EuGH-Urteil können sie sich dabei nicht stützen.
Das EuGH-Urteil ist für uns Frauen zwar ärgerlich, aber wir sollten es auch nicht in der Weise zerreden und zur Europaschelte nutzen. Es sieht in der Tat ein Nein zum unbedingten Vorrang von Frauen und zur automatisierten Frauenförderung vor. Wir sollten uns im Lande selbst bewußt sein, daß dieses Urteil in den meisten Bundesländern überhaupt nicht greift,
weil es die Härtefallregelung in der Frauenförderung gibt.
Deswegen sage ich noch einmal: Diejenigen, die die Frauenförderung ganz schnell eingestellt haben - ich verweise nur auf Rheinland-Pfalz - und zunächst in Prüfungen gehen, frage ich, ob sie diese Förderung vorher ernst gemeint haben. Hätten sie sie ernst gemeint, wären sie nicht so schnell in das Prüfverfahren gegangen.
Ich möchte uns in diesem kurzen Beitrag ausdrücklich daran erinnern, wieviel wir Frauen Europa verdanken. Herr Kollege Scholz hat eben schon mit Recht gesagt: An die Stelle der verfassungsmäßigen Grundlagen trat bisher gerade auch die Richtlinie von 1976, die Frauendiskriminierung ausdrücklich vereiteln will und sich für Frauenförderung einsetzt. Deswegen glaube ich - ob es sich um die Lohngleichheitsrichtlinie 1975 handelt oder um das, was Sie, Frau Schmalz-Jacobsen, erwähnt haben -, daß das alles Maßnahmen für uns Frauen sind.
Gerade hinsichtlich der Frage der Einstellungsdiskriminierung - als es um § 624 a ging - hätte ich mir oft, Frau Schmalz-Jacobsen, eine stärkere Unterstützung durch die F.D.P. gewünscht. Dann hätten wir diese Diskriminierung schon beseitigt.
Bis zum Gleichberechtigungsgesetz haben wir lange gebraucht.
Ich denke deswegen, daß schon etwas Rechtes daran ist zu sagen: Jede Niederlage ist auch eine Chance. Das sage ich auch nach der Erfahrung in der vergangenen Woche. Man kann sich gut freuen, wenn man nicht der Verlierer ist. Ich erinnere die SPD aber daran, daß auch sie lange gebraucht hat
Dr. Rita Süssmuth
und daß auch sie Frauen gehabt hat, die gegen die Quote gesprochen haben.
Wir hatten die Mehrheit auf dem Parteitag - aber nicht die satzungsmäßige Mehrheit. Wir treten weiter an. Was heute nicht gewonnen ist, wird im nächsten Jahr gewonnen.
Ich möchte noch auf die Frauenaktionspläne eingehen und unterstreichen, was in unserer Frauengruppe gesagt worden ist: Es gibt Vorbehalte; es gibt Subsidiaritätsprüfungen. Wir Frauen wollen den vierten Aktionsplan, weil wir von drei Frauenförderplänen in der Bundesrepublik große Vorteile gehabt haben.
Wir unterstützen unsere Ministerin bei diesem Vorhaben, weil wir das für erforderlich halten.
Man kann sich die Pläne noch einmal anschauen. Wir sagen zu Recht: Was dann nicht europäisch gemacht wird, wird national gemacht.
Ich finde, ein Europa ohne Zuständigkeiten und Gleichberechtigung für Frauen ist für uns Frauen kein Europa.
Im letzten Teil lassen Sie mich sagen, wie sehr wir Frauenförderung brauchen. Das brauche ich nicht nur an den obersten Bundesbehörden nachzuweisen; denn von 1 094 beamteten Referatsleitern sind 44 Frauen, von 289 Unterabteilungsleitern zehn, von 136 beamteten Abteilungsleitern sechs und von 33 beamteten Staatssekretären zwei. Ich denke, da ist noch eine Menge zu tun.
Das Wichtigste ist mir, daß wir nicht nur für uns in Führungspositionen sprechen. Der Anteil der Frauenarbeitslosigkeit ist gerade in Ostdeutschland doppelt so hoch wie der der Männer. Die Langzeitarbeitslosen sind zu 77,2 % Frauen. Die geringfügig Beschäftigten sind zu über 60 % Frauen. Wenn wir an die Lohndiskriminierung denken, liegen wir noch immer um ein Viertel, bis zu 40 % unter den Löhnen und Gehältern der Männer.
Wer hier sagt, wir hätten das übertrieben und es wäre alles zum besten bestellt, dem möchte ich abschließend antworten: Es ist eine Menge erreicht worden, aber wir leben nach wie vor in einer sehr kritischen Situation. Diese ist durch den Umbruch erschwert. Ich denke, daß wir Frauen weit mehr Solidarität brauchen, als in der Vergangenheit aufgebracht worden ist,
gerade wenn es darum geht, Chancen zu befördern; denn die ungenügende Situation von Kindergartenplätzen, die nicht vorhandene Kinderbetreuung nach der Schulzeit und der Mangel an Wiedereinstieg von Frauen sind in unserem Land besonders ausgeprägt. Da haben wir eine Menge von anderen europäischen Ländern zu lernen.
Deswegen schließe ich mit dem Satz: Die Quote ist eine Krücke, aber obwohl die Quote nicht aktive Frauenförderungspolitik ersetzt, brauchen wir sie für eine Übergangszeit dringend.
Wenn in der „Süddeutschen Zeitung" in diesen Tagen zu lesen war „die Quote spaltet" und wenn dabei auf die USA Bezug genommen wurde, dann kann ich nur sagen: Nicht die Quote spaltet, sondern die Diskriminierung und Benachteiligung spaltet.