Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Erst einmal möchte ich im Zusammenhang vortragen, dann, verehrter Kollege, gerne.
Nun zu den Hauptpunkten. Die Sozialpartner der Bauwirtschaft setzen Eigenlösung an die Stelle von Fremdlösung. Des weiteren teilen sich die Sozialpartner die Lasten und die Vorteile der neuen Schlechtwettergeldregelung. Das ist aus meiner Sicht Sozialpartnerschaft. Das ist das Wesen des Kompromisses - Geben und Nehmen. Sozialpartnerschaft kommt nie zustande, wenn sich nur eine Seite durchsetzt. Lasten und Vorteile zu verteilen, das ist die beste Tradition unseres Sozialstaates.
Jetzt zu den Arbeitnehmern. Die Arbeitnehmer erhalten mit dieser Regelung ein ganzjährig gesichertes Einkommen, eine ganzjährig gesicherte Jahresarbeitszeit. Das ist geradezu das Traumziel der Baugewerkschaft über viele Jahre gewesen. Jetzt haben sie es erreicht. Jetzt sind die Bauarbeiter vom Status eines Saisonarbeiters weggerückt. Darüber sollten Sie sich freuen. Das sollten Sie mit uns begrüßen.
Die Arbeitnehmer beteiligen sich an der Finanzierung der Schlechtwettergeldregelung mit dem Einsatz von fünf Urlaubstagen. Das zeigt, daß Gewerkschaften durchaus verstanden haben, daß Ausbau des Sozialstaates nicht immer nur Draufsatteln bedeuten kann. Offenbar haben Sie nur eine Denk- und Fahrtrichtung: immer mehr! Aber immer mehr führt zu immer weniger, denn wenn die Beiträge steigen, dann werden Sie das, was Sie mit der einen Hand gegeben haben, mit der anderen Hand wieder wegnehmen, weil wir mehr Arbeitslose haben und mehr Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen müssen. Also verlangt gewerkschaftliche Verantwortung im besten Sinne pragmatisches Handeln und nicht immer nur Draufsatteln.
Ich will ausdrücklich meinen Respekt der Baugewerkschaft aussprechen: Fünf Urlaubstage - das ist schon ein Einsatz.
Das zeigt, daß da keine Betonklötze sind und nur Besitzstandswahrer verhandeln. Wenn ich mich an die
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Diskussionen über die Streichung eines Feiertages für die Pflegeversicherung in diesem Saal erinnere - da hat fast die Republik in Flammen gestanden. Die Baugewerkschafter zeigen hier Einsicht in Notwendigkeiten. Das sollten wir gemeinsam anerkennen.
Jetzt kommen wir zur anderen Seite. Die Bauarbeitgeber übernehmen die Finanzierung des witterungsbedingten Arbeitsausfalles zwischen November und März durch ein tarifliches Überbrückungsgeld von 75 %. Das ist die eine Seite, das sind die Lasten. Auf der anderen Seite erhält die Bauwirtschaft eine Flexibilisierung, wie es sie in kaum einer anderen Branche gibt. Das ist geradezu ein Vorreiter, wie man vernünftige Lösungen schafft, mit denen Kapazitäten ausgelastet werden.
Dazu gehören eine andere Wochenarbeitszeit im Winter als im Sommer und ein Ausgleichszeitraum von acht Monaten. Damit kann sich die Bauwirtschaft besser an die Auftragslage anpassen. Denn „entlassen - einstellen" kann nicht die Philosophie sein, auf unterschiedliche Auftragslagen zu antworten. Wer das „Heuern und Feuern" vermeiden will, der muß atmende Arbeitszeiten zulassen, der muß auf Flexibilisierung setzen. Das ist im Sinne einer Kapazitätsauslastung, das ist im Sinne einer Wettbewerbsfähigkeit der Bauwirtschaft.
Jetzt kommen wir zu den öffentlichen Kassen. Wir flankieren den Tarifvertrag, indem wir das Schlechtwettergeldrisiko ab dem 21. Tag übernehmen. Die öffentlichen Kassen sind hier nur Ersatzmann für außergewöhnliche Belastungen, deren Absicherung über die Kraft des einzelnen Betriebes geht.
Das ist geradezu ein Modell dafür, wie ich mir Subsidiarität vorstelle: Vorfahrt für die Tarifpartner, aber dort, wo die Last zu groß wird, tritt die allgemeine Solidargemeinschaft ein. Es ist geradezu ein Modell, wie subsidiäre Solidarität organisiert wird.
Dazu muß man wissen: Durchschnittlich entstehen durch Schlechtwetter 14 Ausfalltage. Wir übernehmen nach dem 20. Tag, also in besonders harten Wintern, in besonders witterungsanfälligen Regionen und in besonders witterungsanfälligem Gewerbe.
Für mich ist das, was wir heute debattieren, nicht nur eine Regelung für die Bauwirtschaft. Es zeigt, daß unser Sozialstaat nicht verkalkt und erstarrt ist, daß es immer noch guten Willen gibt und daß es genug Verantwortungsvolle auf beiden Seiten gibt, die Notwendigkeiten erkennen und wissen, daß der Sozialstaat nicht nach dem Muster des Turmbaus zu Babel weiterentwickelt werden kann, sondern daß wir umbauen müssen, umbauen allerdings in der Form, daß wir Risiken verteilen und niemanden im Stich lassen.