Rede von
Irmingard
Schewe-Gerigk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die starre Quote ist tot, es lebe die flexible Quote, die Schlupflöcher für Männer läßt, damit sie trotz gleicher Qualifikation Frauen vorgezogen werden können.
So könnte, salopp gesprochen, das Urteil des Europäischen Gerichtshofes interpretiert werden. Dennoch kein Ende der Quote, wie es uns vor allem daran interessierte Männer - u. a. auch unser Kollege, der Rechtsprofessor Rupert Scholz - weismachen wollen, und erst recht kein Ende der Frauenförderung.
Aber in einem muß ich Frau Sothmann zustimmen: Die gesellschaftliche Signalwirkung dieses Urteils ist fatal. Elf Personen, die allesamt einem Geschlecht angehören, das seit Jahrzehnten zu den bevorzugten in der Arbeitswelt gehört, haben entschieden, daß trotz der bekannten strukturellen Benachteiligung von Frauen diese bei gleicher Qualifikation nicht per se bevorzugt werden dürfen. Wieder einmal wurde das Recht eines einzelnen Mannes höher bewertet als die Durchsetzung der Gleichberechtigung - und das, obwohl eine EG-Richtlinie Maßnahmen zur Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten zuläßt.
In der späteren Empfehlung zur Anwendung dieser Richtlinie unterstützt sogar der Ministerrat Aktionen zur Förderung der Einstellung und des Aufstiegs von Frauen. Das Urteil verkennt, daß bisher in der Regel selbst bei gleicher Qualifikation Männer bevorzugt wurden.
Wir halten dagegen daran fest, positive Maßnahmen wie die leistungsbezogene Quote bei gleicher Qualifikation stellen keine Diskriminierung der Männer dar, sondern diese Quote ist ein Mittel gegen
Irmingard Schewe-Gerigk
Männerbünde und Männerquoten ohne Leistungsnachweis.
Ich stelle bei dieser Gelegenheit einmal die Frage, wieso die existierenden Soldatenquoten eigentlich keine Diskriminierung gegenüber Frauen darstellen. Aber Gerichtsschelte ist hier nicht angesagt. Die peinlichen Richteranschuldigungen der Kruzifixbefürworter haben uns ja sehr eindrucksvoll vorgeführt, zu welchen Äußerungen sich insbesondere konservative Politiker hinreißen lassen. Das Gericht hat entschieden. Es gibt keine juristische Möglichkeit, dieses richterliche Votum zu korrigieren, aber es gibt eine politische. Das heißt, es ist höchste Zeit, das europäische Recht zu verändern.
Meine Damen und Herren der Bundesregierung, Frau Nolte, wir sehen hier Handlungsbedarf. Setzen Sie sich gegenüber der Europäischen Kommission für eine Novellierung der Gleichbehandlungsrichtlinie ein. Sie muß vorsehen, daß es eben keine Diskriminierung von Männern ist, wenn Frauen bei gleicher Qualifikation so lange bevorzugt werden, wie sie benachteiligt sind. Gleiches muß gleich, Ungleiches kann aber ungleich behandelt werden. Das hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht bestätigt.
Dringend muß bei der Überprüfung des Vertrages von Maastricht ein Gleichstellungsgebot aufgenommen werden. Gleichstellung muß als Querschnittaufgabe in alle Politikfelder der EU aufgenommen werden.
Es ist doch ein großes Hemmnis, daß die Gleichstellungspolitik bisher keine originäre Gemeinschaftspolitik ist. Darum muß der EG-Vertrag diese ausdrückliche Zuständigkeit enthalten.
Ferner ist sicherzustellen, daß von Mitgliedstaaten durchgeführte Fördermaßnahmen für Frauen nicht als unzulässige Bevorzugung gewertet werden. Das hat zur Folge, daß sich die Gemeinschaft in der Präambel, in den Zielen und im Aufgabenkatalog auf die Gleichstellung verpflichtet. Dazu gehört auch ein Diskriminierungsverbot als ein Grundrecht, das das Geschlecht, aber auch Rasse, Herkunft, Alter, Behinderung und nicht zuletzt auch die sexuelle Orientierung umfaßt.
Wir sollten schließlich noch eines tun: Wir sollten das Urteil beim Wort nehmen und gleiche Ausgangsbedingungen für Männer und Frauen schaffen. Treten wir Frauen doch per Gesetz die Hälfte des Erziehungsurlaubs und die Hälfte der unbezahlten Hausarbeit ab! Dann haben wir gleiche Startchancen, wie es das Gericht vorsieht.
Ich danke Ihnen.