Rede von
Christina
Schenk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erst wenige Wochen her, daß sich die EU-Staaten in Peking angesichts der weltweiten Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen ziemlich geschlossen für ganz konkrete Fortschritte in Sachen Gleichstellung der Geschlechter eingesetzt haben. Jetzt, meine ich, muß man konstatieren, daß wir mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Zulässigkeit der leistungsbezogenen Quote jetzt den ersten, allerdings hausgemachten Skandal in puncto Gleichstellung zu verzeichnen haben.
Worum ging es? Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, daß bei gleicher Qualifikation die bevorzugte Einstellung eines Mannes als dessen individuelles Recht, die bevorzugte Einstellung einer Frau aber als eine Ungleichbehandlung ihres männlichen Mitbewerbers angesehen wird. Im Klartext heißt das nichts anderes, als daß Frauen zwar Zugang zu Erwerbsarbeit haben sollen, aber bitte schön nicht auf Kosten auch nur eines einzigen Mannes. Es geht mir hier nicht darum, das Urteil zu schelten. Das ginge völlig am Kern des Problems vorbei. Der Kern des Problems liegt nämlich in der EU-Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Berufsleben von 1976, auf deren Grundlage das Urteil so und nicht anders gefällt worden ist.
Die in der Konkretisierung von Art. 119 der EWG-Verträge seit den 70er Jahren entwickelten Gleichbehandlungsrichtlinien beinhalteten, wie es der Name schon sagt, von Anfang an keinen Gleichstellungsansatz, sondern verfolgten ausdrücklich das Ziel, Wettbewerbsnachteile für die Länder zu beseitigen, die Frauen weniger diskriminierten als andere.
Die den Frauen in diesen Richtlinien zugesprochenen Rechte sind, Däubler zufolge, ihrer Struktur nach lediglich individuelle Marktzugangs- und Marktbetätigungsrechte. Dieser Ansatz führt dazu, daß in Zeiten einer marktbedingten großen Nachfrage nach weiblicher Erwerbsarbeit der gleichstellungspolitische Wind in Europa günstig, in Zeiten von Massenerwerbslosigkeit jedoch ungünstig weht. Die Bindung von Gleichstellungsfortschritten an Kapitalverwertungsinteressen führt auch dazu, daß bis heute in den EU-Mitgliedstaaten in der Regel bei gleicher Qualifikation nach wie vor Männer bevorzugt werden.
Man muß sich einmal anschauen, was eigentlich die Grundlage für die Diskriminierung und die Benachteiligung von Frauen ist. Aus meiner Sicht gibt es zwei ganz wesentliche: Das eine ist die Perpetuierung der herkömmlichen Arbeitsverteilung im Reproduktionsbereich, oder im Klartext: die Weigerung von Männern, sich der Hausarbeit und auch der Kinderbetreuung zu widmen. Zum anderen sind es die nach wie vor ungebrochen existierenden patriarchalischen Vorurteile.
Ich sage hier ganz klar: Die grundlegende Voraussetzung eines gleichen Zugangs zur Erwerbsarbeit ist die gerechte Verteilung der bisher fast ausschließlich durch Frauen geleisteten unbezahlten Reproduktionsarbeit auf beide Geschlechter. Aber darum haben sich bisher weder die EU noch deren einzelne Mitgliedstaaten ernsthaft gesetzgeberisch oder wenigstens bewußtseinsbildend bemüht. In den bisherigen EU-Richtlinien geht es im Grunde genommen nicht um die Emanzipation, sondern um die Angleichung von Frauen an männliche Werte, Normen und Erwerbsbiographien.
Die Bundestagsgruppe der PDS fordert daher weiterreichende und klarere Festlegungen auf der europäischen Ebene. Wir fordern, daß der Maastrichter Vertrag durch einen Grundrechtekatalog ergänzt wird, in dem der Grundsatz der Gleichstellung expressis verbis festgehalten wird und in dem es einen aktiven Auftrag zur Frauenförderung gibt, der die Zielquoten zugunsten des benachteiligten Geschlechts ausdrücklich einschließt. Wenn das geleistet worden ist, muß man auf dieser Grundlage über eine Präzisierung und eine Änderung der EU-Richtlinien zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern nachdenken.
Der Gedanke der Gleichstellung von Frauen und Männern muß aus unserer Sicht im Prinzip in der gesamten Politik der Europäischen Union umgesetzt werden. Das bedeutet auch, daß konkrete Schritte zur Frauenförderung sowohl in den Aufgabenkatalog nach Art. 2 des EG-Vertrages als auch in den Kompetenzkatalog nach Art. 3 des EG-Vertrages aufgenommen werden müssen. Aber dazu bedarf es ganz eindeutig des politischen Willens der beteiligten Staaten, die Gleichstellung der Geschlechter voranzubringen. Von einer Bereitschaft, dies zu tun, kann man zumindest in bezug auf die Bundesregierung doch sehr zweifeln, insbesondere wenn man das Verhalten der Bundesregierung in bezug auf das vierte Aktionsprogramm für die Chancengleichheit von Frauen und Männern betrachtet.
Meine Damen und Herren, wer es mit der Gleichstellung wirklich ernst meint, muß sich innerhalb der Europäischen Union für aktive Frauenförderung einschließlich einer konsequenten Quotierung einsetzen und jeden Schritt in diese Richtung fördern, statt ihn zu bremsen. Das ist das Kriterium, an dem wir auch die wohlfeilen Worte der Bundesregierung, die wir heute hier vernommen haben, zu messen haben.