Rede von
Dr.
Heidi
Knake-Werner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Frau Babel, nachdem Sie heute das Hohelied auf die Tarifautonomie gesungen haben,
werde ich Sie daran in Zukunft erinnern, wenn aus Ihren Reihen wieder einmal an Tarifabschlüssen herumgenörgelt wird.
Ich habe nur die Befürchtung, daß Sie immer dann, wenn es um Sozialabbau geht, die Schlauheit und Verantwortung der Tarifvertragsparteien loben. Ansonsten ist es damit bei Ihnen ja nicht so weit her, wenn ich mir das richtig in Erinnerung rufe, was von Ihnen zu den letzten Tarifabschlüssen gesagt worden ist.
Jetzt zu dem Gesetzentwurf. Ich weiß im Moment gar nicht so sehr, was mich eigentlich mehr ärgert, der Gesetzentwurf selber oder das Verfahren. Es gibt eine über Jahrzehnte bewährte Regelung in dem Bereich, die die Beschäftigten des Baugewerbes von einer deutlichen Benachteiligung befreit, die verhindert, daß Bauarbeiter gewissermaßen zu Saisonarbeitern werden, und die Bundesregierung schafft einfach diese Regelung ab und überläßt alles übrige den Tarifvertragsparteien, was ja gerade von Frau Babel noch einmal als ein Anstoß zur Reformfreudigkeit so positiv hervorgehoben worden ist. Aber ich würde sagen: Es handelt sich um einen erpresserischen Druck, den es hier gegeben hat.
Aber damit nicht genug: Sie wissen ja seit Monaten, daß die tarifvertragliche Lösung das Problem nicht aus der Welt schafft und daß die Bundesregierung zu gesetzlichem Handeln gezwungen ist. Aber obwohl Sie das alles wissen, warten Sie bis kurz vor Auslaufen der alten Regelung, ehe Sie diesen Gesetzentwurf über die Fraktionen einbringen. Wir bekommen ihn zwei Tage vor der Beratung und sollen dann buchstäblich im letzten Moment agieren.
Ich weiß nicht, ob Sie, Herr Bundesarbeitsminister, besonders zufrieden sind mit diesem Entwurf. Die Bauarbeiter - da bin ich mir allerdings sicher - können das nicht sein. Denn der Forderung nach einem ganzjährig gesicherten Einkommen kommt der vorliegende Gesetzentwurf nicht nach. Wie man es auch betrachtet, am Ende stehen wir wieder einmal vor einem Deregulierungsschritt, mit dem sich die Bundesregierung weiter vom Sozialstaatsgebot verabschiedet.
Ich hätte mir natürlich vorstellen können, daß es alles noch schlimmer kommt. Daß dem nicht so ist, hat allerdings, so meine Einschätzung, nichts mit der sozialen Einstellung der Bundesregierung zu tun. Es ist dem massiven Engagement der Kolleginnen und Kollegen aus der IG Bau-Steine-Erden zu verdanken, die sich zum Glück nicht ganz erfolglos gewehrt haben. Aber am Ende steht leider trotzdem eine größere Belastung der Beschäftigten und eine - vielfach in Kleingedrucktem verborgene - Schlechterstellung.
Ich will darauf in einigen Punkten eingehen. Die Abschaffung des Schlechtwettergeldes ist, so befürchte ich, weder durch den Tarifvertrag noch durch die gesetzliche Neuregelung ausgeglichen. Um das mit Zahlen, die Sie in der Begründung zum Gesetzentwurf selbst anführen, zu belegen: Sie veranschlagen Kosten für die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 200 Millionen DM. Das bedeutet ja, daß von den ursprünglich vorgesehenen 800 Millionen DM 600 Millionen DM gestrichen werden, d. h. umver-
Dr. Heidi Knake-Werner
teilt werden zu Lasten der Tarifvertragsparteien. Das Ergebnis ist auch diesbezüglich vollkommen eindeutig. Die IG Bau-Steine-Erden hat errechnet, daß die betroffenen Arbeitnehmer anders als bei der abgeschafften Schlechtwettergeldregelung die Hälfte der insgesamt anfallenden Kosten künftig selber tragen.
Aber es gibt natürlich auch noch ein paar andere Probleme. Bis heute - auch das ist allen Beteiligten klar und ist ein Aspekt der Verschleierung der Regelung für die Öffentlichkeit - liegt nichts mehr als ein Tarifvertragsentwurf für das Bauhauptgewerbe vor. Und noch nicht einmal der ist unter Dach und Fach; das ist hier schon gesagt worden. Die Erklärungsfrist läuft noch. Das heißt doch aber, daß für Hunderttausende völlig unklar ist, was nach dem 31. Dezember geschehen wird.
Ich weise noch einmal auf das hin, was in Ihrem eigenen Gesetzentwurf steht. In der Begründung heißt es:
Es wird erwartet, daß in den anderen Bereichen des Baugewerbes noch gleichwertige Lösungen für den Ausgleich witterungsbedingter Arbeitsausfälle in der Schlechtwetterzeit gefunden werden.
Sie vertrauen darauf, daß sie gefunden werden. Wenn sie nicht gefunden werden, heißt das eben, daß die Beschäftigten in den Baunebenbetrieben nach dem 31. Dezember in der Schlechtwetterzeit leer ausgehen. Das ist doch die Konsequenz daraus.
Ich möchte noch einmal das in Erinnerung rufen, was wir gestern bei der Anhörung zur EntsendeRichtlinie gehört haben. Die IG Metall prognostiziert, wenn das so weitergeht, weitere hunderttausend Arbeitslose im Bereich des Baunebengewerbes. Sie aber tun hier einfach so - das gilt vor allen Dingen für Frau Babel -, als seien mit der gefundenen Regelung alle Probleme vom Tisch. Nein, sie kommen erst richtig auf uns zu.
Ich will noch ein Beispiel nennen. Der Aufschlag eines Wintergeldes von 2 DM auf den Stundenlohn setzt scheinbar die bisherige Winterausgleichszahlung fort. Aber der Zeitraum der Gewährung ist ja wesentlich verkürzt. Auch das müssen Sie bitte bedenken.
Ferner will ich deutlich machen, daß jetzt in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr gearbeitet werden muß, obwohl das bisher traditionell nicht der Fall war. Früher wurde das durch die Sozialkassen ausgeglichen. Auch das ist eine völlig neue, belastende Situation.
Hinzu kommt - auch das muß deutlich gesagt werden -, daß bei den Beschäftigten fünf Tage Urlaub zur Disposition stehen. Da können Sie natürlich auf die Tarifvertragsparteien verweisen, rauf und runter; das ist mir im Moment Wurscht. Eindeutig ist auf jeden Fall, daß das eine Schlechterstellung der Beschäftigten im Baugewerbe darstellt. Darüber können Sie nicht einfach hinwegtäuschen.
Schließlich ist auch die Absicherung im Krankheitsfall ungewiß, weil nach bisherigen Regelungen vorgesehen ist, das Krankengeld nach dem niedrigeren Winterausfallgeld zu berechnen. Auch das ist Ihnen sicherlich nicht neu.
Ich möchte es noch einmal deutlich sagen: Das von Ihnen abgeschaffte Schlechtwettergeld hatte die entscheidenden Vorzüge, die Attraktivität der Bauberufe zu erhöhen und den finanziellen Ausgleich für eine durch Witterungseinflüsse besonders benachteiligte Beschäftigtengruppe solidarisch zu verteilen. Die jetzige Lösung gibt das Problem schlicht an das Baugewerbe ab und macht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu einer Angelegenheit von Tarifauseinandersetzungen. Eine Aufgabe, die eigentlich in den Pflichtenkatalog des sozialen Rechtsstaats gehört, wird weiterhin privatisiert.
Ich verweise noch einmal auf die gestrige Anhörung, und zwar mit Blick auf die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Lage im Baugewerbe: Die Vertreter der Gewerkschaften und auch der Arbeitgeberverbände waren sich gestern völlig einig darin, daß sie auf eine dramatische Situation zusteuern, da weitere Entlassungen anstehen.
Ich will nur an das Beispiel aus Berlin erinnern, was dort gestern von der IG Metall hinsichtlich der Elektroberufe gegeben worden ist: eine Erhöhung der Arbeitslosenzahl von 500 auf 5 000. Das ist eine dramatische Entwicklung. In dieser Zeit legen Sie hier ein Gesetz vor, von dem Sie sagen, es bringe den vollkommenen Ausgleich für die bisherige Schlechtwettergeldregelung. Ich kann nur sagen: Es ist ein weiterer Eingriff in das Sozialstaatsgebot und ein weiterer Schritt in Ihrer Deregulierungspolitik.
Danke.