Rede von
Kerstin
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann zu der letzten Debatte vielleicht noch ergänzen, daß die CDU-Fraktion auch im Rechtsausschuß abgelehnt hat, über diese aktuelle Sache zu diskutieren. Es sollte dort um die Konsequenzen für die Bundesregierung aus dem Urteil gehen. Ich finde, das zeigt natürlich schon, welche Aktualität und Wichtigkeit man diesem Urteil zumißt.
Elf Männer des Europäischen Gerichtshofes und ein Gartenbauingenieur haben am 17. Oktober dieses Jahres über die Zukunft vieler Frauen entschieden. Meine Damen, das dürfen wir Frauen aller Fraktionen, meine ich, uns nicht bieten lassen!
Denn ohne Quoten und ohne Gleichstellungsgesetze können Frauen weder auf dem Arbeitsmarkt noch in Politik und Wissenschaft aus dem Getto der Ungleichbehandlung herauskommen.
Ich will Ihnen ein ganz praktisches Beispiel geben, wie es anders gehen kann; Frau Wieczorek-Zeul hat es schon angesprochen. Zu Beginn der Legislaturperiode ist der Frauenanteil im Bundestag auf 26 % angestiegen. Ich will Ihnen auch sagen, warum - Sie haben mit Ihren 40 % ein bißchen gemogelt, Frau Wieczorek-Zeul -: Wir, das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sind mit 29 Frauen, d. h. mit mehr als der Hälfte unserer Abgeordneten, wieder in den Bundestag eingezogen.
- Nein, die vergesse ich auch nicht. Trotzdem muß man das klarstellen.
Diesen Erfolg haben wir erreicht, weil wir die Quotierung ernst nehmen und weil unsere Listen, und zwar alle, mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt sind.
Bei den anderen Fraktionen sieht das höchst unterschiedlich aus. Sie von der SPD haben immerhin das selbstgesteckte Ziel von einem Drittel erreicht. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, bringen es gerade mal auf ein Siebtel.
Auf Ihrem Parteitag hat die Frauenquote - und zwar trotz des persönlichen Einsatzes des Kanzlers - leider keine Mehrheit gefunden. Frau Limbach, wenn ein solcher Punkt am Ende eines Parteitages behandelt wird, zeigt das natürlich, wie wichtig er Ihnen ist.
Ich kann Ihnen auf Grund der Erfahrungen unserer Partei sagen: Ohne verbindliche Quoten verändert sich für die Frauen gar nichts.
Dann wird einfach, wie seit Jahrhunderten üblich, nach dem alten Motto verfahren: Männer nach vorn. Ich kann Ihnen nur raten: Folgen Sie unserem Beispiel.
Der EuGH hat entschieden, daß Regelungen - wie das Gleichstellungsgesetz -, die bei Bewerbungen und Beförderungen Frauen automatisch bevorzugen oder den Vorrang einräumen, mit der Gleichstellungsrichtlinie nicht vereinbar sind. Ist die Frauenförderung, die auch Quoten umfaßt, damit gestorben? Oder können wir etwa die Hände in den Schoß legen - Sie, Frau Nolte, haben sich direkt nach dem Urteil entsprechend geäußert -, weil kein weiterer Handlungsbedarf besteht? Ich meine, genau das Gegenteil ist der Fall. Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, gerade jetzt auf Bundes- und auf Europaebene zu handeln.
Frau Nolte, Sie haben auf der Weltfrauenkonferenz in Peking angekündigt, das Jahr 1996 unter das Motto „Gleichberechtigung und Partizipation" zu stellen. Das 1994 erlassene Gleichberechtigungsgesetz ist hierfür meiner Meinung nach völlig untauglich. Das zeigt z. B. der sehr geringe Anteil von Frauen im öffentlichen Dienst, vor allem in den oberen Etagen. Das zeigt: Das Gesetz ist wirkungslos geblieben.
Wir brauchen in der Bundesrepublik ein Gleichstellungsgesetz, das konkrete Antidiskriminierungsmaßnahmen für alle gesellschaftlichen Bereiche vorschreibt, sonst bleibt Ihre Ankündigung von Peking, Frau Nolte, nur ein Lippenbekenntnis.
Es bleibt festzuhalten: Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil in der letzten Woche einen Einzelfall entschieden. Damit bleibt die Richtlinie auslegbar. Das heißt, andere Gleichstellungsgesetze mit verbindlichen Zielquoten und Stufenplänen, wie sie etwa die Länder Hessen und Brandenburg haben, werden hiervon nicht berührt. Ich meine, die Bundesregierung muß jetzt endlich handeln. Wir brauchen wirksame Quotierungsregelungen auch auf Bundesebene, die den Auftrag des Grundgesetzes umsetzen.
Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden uns außerdem dafür einsetzen, daß bei einer Überprüfung des Vertrages von Maastricht die Frauenfrage gestellt wird. Wenn die Richter selbst diese Richtlinie der Gleichbehandlung so eng auslegen, muß ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot in den Maastrichter Vertrag aufgenommen werden.
Auch der Europäische Gerichtshof selbst könnte ein Instrument der Frauen zur Durchsetzung ihrer Rechte sein. Auch hier gibt es in der obersten Instanz keine einzige Richterin. Auch hier müßte jetzt eine verbindliche Quote eingeführt werden.
Ich hoffe, daß es diesmal möglich ist, über die Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam auf dieses Männerurteil eine angemessene Antwort zu finden. Ich möchte an die Männer in den Fraktionen und im Land appellieren, sich Quotierungsvorschriften nicht weiter zu widersetzen.
Kerstin Müller
Ich möchte es einmal mit den Worten der Präsidentin des Verfassungsgerichts, Jutta Limbach, formulieren: „Hier wird den Männern etwas zugemutet, was man bisher stets den Frauen zugemutet hat: besser zu sein als die Konkurrenz aus dem anderen Geschlecht. " Und, meine Herren, ich finde, das ist zumutbar.