Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufregung über das vorige Thema löst sich langsam auf, und wir können zu einem weiteren wichtigen Thema kommen.
Wenn Sie an die gesundheitspolitische Diskussion vor drei oder vier Jahren, vor der Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes im Jahre 1992 zurückdenken, werden Sie sich alle daran erinnern, daß damals u. a. das Wort „Pflegenotstand" landauf, landab auf allen Veranstaltungen und allen Podien eine große Rolle gespielt hat. Heute, im Jahre 1995 - wir stehen vor der dritten Reformstufe -, spielt das Wort „Pflegenotstand" in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion keine Rolle mehr.
Ich darf Ihnen auf der Grundlage der Berechnungen der Krankenkassen einige Zahlen nennen, aus denen Sie die Entwicklung der Pflegestellen einschließlich der sich daraus ergebenden Kosten im Akutkrankenhaus entnehmen können: 1993 gab es ein Plus von 5 380 Pflegestellen; das entspricht immerhin 0,37 Milliarden DM. 1994 gab es insgesamt 14 600 Pflegestellen, in D-Mark ausgedrückt sind das 1,02 Milliarden DM. 1995 gab es insgesamt 20 400 Pflegestellen mit einem Wert von 1,4 Milliarden DM. Es wurden also insgesamt 2,79 Milliarden DM aufgewendet. Das heißt im Klartext: Es wurden 20 409 neue Stellen in den Krankenhäusern mit laufenden Mehrkosten in Höhe von knapp 2,8 Milliarden DM eingerichtet, und das alles in einer Zeit, in der tagaus, tagein in den Medien Nachrichten über Stellenkürzungen und Stellenstreichungen zu hören und zu lesen sind.
Das sind Nachrichten, die die Frage immer drängender werden lassen, ob und wie lange die Rationalisierungsprozesse unserer Wirtschaft noch weitergehen müssen bzw. können. Wohlgemerkt: Wir reden nicht vom Krankenhausbudget. Das heißt, das sind 2,8 Milliarden DM zusätzlich zu den festen Krankenhausbudgets in den vergangenen drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes.
Nicht umsonst ist daher in der gesundheitspolitischen Diskussion und auch später gelegentlich behauptet worden, daß es den Krankenhäusern nach Verabschiedung des Gesundheitsstrukturgesetzes so gut ging wie noch nie. Weil das so ist, wird gelegentlich gefordert, die Budgetierung in diesem Bereich so fortzusetzen, wie sie in der Vergangenheit betrieben wurde.
Der Grund für diese Entwicklung ist, um das Wort noch einmal zu gebrauchen, der berühmte „Konsens von Lahnstein". Bei diesem Wort müßte Herr Dr. Thomae jetzt eigentlich zusammenschrecken. Denn wir alle, CDU/CSU-, SPD- und F.D.P.-Fraktion,
Wolfgang Lohmann
haben im Herbst 1992 zusammen mit dem Gesundheitsstrukturgesetz die sogenannte Pflegepersonalregelung verabschiedet, die für diese eben geschilderte Entwicklung steht.
Über diese Pflegepersonalregelung - kurz PPR genannt - als Lösungsansatz kann man sicherlich lange und trefflich streiten. Auch ich zähle zu denen, die sich seinerzeit, 1992, gefragt haben, ob im Zusammenhang mit den vorgesehenen neuen Entgeltsystemen und der Hinführung der Krankenhäuser zu mehr unternehmerischem Denken und weg von reinem Kostendeckungsdenken die Einführung einer Pflegepersonalregelung ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt eine richtige Maßnahme gewesen ist. Wir haben das damals aber gemeinsam gemacht. Es steht fest, daß die 20 400 zusätzlichen Stellen darauf zurückzuführen sind.
Richtig ist aber auch, daß mit dieser Entwicklung - das ist jetzt wichtig - die Prognosen, die dem Gesundheitsstrukturgesetz zugrunde lagen, bei weitem übertroffen worden sind. Der Stellenzuwachs nach den Annahmen des Gesetzgebers sollte bis zum Ende des Jahres 1996 rund 13 000 Stellen betragen. Die tatsächliche Entwicklung lag bereits bis zum Ende des Jahres 1995 - ich nannte das gerade - bei 20 400 zusätzlichen Stellen. Dies belegt, daß beim Krankenhauspersonal bereits weit mehr als das Soll erreicht worden ist. Unser aller Annahmen von Lahnstein wurden von der Realität längst eingeholt bzw. überholt, und zwar schon im Jahre 1995.
Wir schlagen Ihnen deshalb vor, die Pflegepersonalregelung im Jahr 1996 auszusetzen und im Lichte der Erfahrungen über eventuelle weitere Stellenmehrungen allerdings dann im Rahmen des Budgets für das Jahr 1997 neu zu entscheiden.
Die dazu notwendigen Verordnungsverfahren haben wir eingeleitet. Es würde mich freuen und ich würde es auch für sachdienlich halten, wenn auch Sie von der SPD, vor allem die SPD-geführten Länder, diese Maßnahmen mittragen würden. Denn ich glaube, vom Grundsatz her haben Sie, was diese Frage anbelangt, die gleichen Überzeugungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie an den Januar 1993 zurückdenken, so werden Sie sich daran erinnern, daß das Bundesverwaltungsgericht aus formalen Gründen - aus wirklich formalen Gründen! - die seit Jahren übliche Finanzierung der sogenannten Instandhaltungsinvestitionen im Krankenhaus durch die Länder gekippt hat. Die Abgrenzungsverordnung, so das Gericht, sei von der Ermächtigungsgrundlage im Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht gedeckt und daher insoweit nichtig.
Das ist eine juristisch eigentlich weniger interessante Feststellung; sie hat allerdings gesundheitspolitisch fatale Folgen. Denn diese Gerichtsentscheidung hat dazu geführt, daß sich die Länder - mit Ausnahme von Bayern - weitgehend aus der Finanzierung des sogenannten Erhaltungsaufwandes von Krankenhäusern zurückgezogen haben, und zwar in der Erwartung, daß die Kosten durch Zeitablauf quasi von selbst letztendlich in den Pflegesätzen der Krankenkassen landen würden.
Ein Investitionsvolumen von etwa 500 Millionen DM pro Jahr - d. h., wenn wir die drei Jahre betrachten, bereits von 1,5 Milliarden DM - mit weiter steigender Tendenz wird dadurch blockiert.
Wir wissen, alle notwendigen Reparaturen in den Kliniken finden nicht mehr statt. Ein Finanzvolumen von rund 1,5 Milliarden DM wird dadurch aus der Finanzverantwortung der Länder ohne irgendeinen sachlichen gesundheitspolitischen Grund herausgenommen, und es wird der Versuch gemacht, das den Krankenkassen und damit den Beitragszahlern ohne jegliche Kompensation aufs Auge zu drücken.
Alle, auch die SPD-geführten Länder und die SPD-Fraktion, sind damals davon ausgegangen, daß der Erhaltungsaufwand genauso wie vor Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes finanziert werden würde. Denn die Perspektive im Hinblick auf eine monistische Finanzierung war eine langfristige. Dieser Teil sollte weiterhin so behandelt werden wie bisher.
Der heute in erster Lesung eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes sieht daher vor, daß für einen befristeten Zeitraum von drei Jahren - das ist schon ein Schritt des Entgegenkommens den Ländern gegenüber - die Finanzierung des Erhaltungsaufwandes so bleibt wie bisher, nämlich in der Finanzverantwortung der Länder.
Diese Übergangsphase ist nach unserer Auffassung schon deshalb notwendig, weil die Krankenkassen derzeit noch nicht einmal das erforderliche Instrumentarium haben, um die geforderte Investitionssteuerung oder Investitionslenkung - bei diesem Wort bin ich immer sehr vorsichtig - sinnvoll und effektiv bewerkstelligen zu können. Diese Übergangsregelung von drei Jahren ist auch deswegen notwendig, weil ausgehend von der bisherigen jahrelangen Praxis der Finanzierung von Investitionen und Erhaltungsaufwand aus einer Hand, nämlich durch die Länder, zur Zeit niemand eine praktikable Abgrenzung der Neuinvestitionen vom sogenannten Erhaltungsaufwand zustande bringt.
Die derzeitige Rechtslage - das bestätigt leider die Praxis - führt also nur zu dem bekannten Kreisverkehr zwischen Ländern und Krankenkassen mit dem Ergebnis, daß im Krankenhaus vor Ort beispielsweise bei den Reparaturen von Maschinen und Anlagen, bei den Reparaturen von Dächern sowie bei der Renovierung bzw. Sanierung der Außenfront nichts passiert und damit schlimmstenfalls die Substanz vergammelt.
Aber das ist doch, meine Damen und Herren, für uns alle im Grunde völlig inakzeptabel. Wir alle, auch Sie von der Opposition, Herr Dreßler, müssen deshalb noch in diesem Jahr vor allem für die Patienten und die Krankenhäuser zumindest eine tragfähige Übergangsregelung finden.
Wolfgang Lohmann
Deshalb legen wir diesen Gesetzentwurf vor, der den Erhaltungsaufwand befristet auf drei Jahre in der Verantwortung der Länder beläßt, allerdings mit der konkreten Perspektive, nach dieser Übergangsphase einen weiteren Schritt in Richtung monistische Krankenhausfinanzierung zu gehen, die wir ja alle, siehe GSG, so gewollt haben.
Meine Damen und Herren, wenn Sie schließlich an das Jahr 1993 und insbesondere an das Jahr 1994 zurückdenken, so werden Sie sich daran erinnern, daß einer der schwierigsten Themenbereiche bei den Beratungen in Lahnstein, aber insbesondere auch in der Umsetzungsphase nach dem Inkrafttreten des Strukturgesetzes, die Arbeiten am neuen Entgeltsystem für das Krankenhaus waren, d. h. die Arbeiten an der Bundespflegesatzverordnung 1995. Wir alle sollten uns zumindest der Tatsache bewußt sein, daß in den Beratungen mit dem Bundesrat zur Bundespflegesatzverordnung vieles, was konzeptionell an-gedacht und eigentlich notwendig gewesen wäre, um zu einem effektiv steuernden Preissystem im Krankenhaus zu gelangen, nicht realisiert werden konnte.
Wir schlagen deshalb auch hier Änderungen vor mit dem Ziel, das Entgelt- und Pflegesatzsystem rechtzeitig zu Beginn des Jahres 1996, d. h. rechtzeitig zu der flächendeckenden Einführung dieser Entgelte für das Krankenhaus, noch effizienter zu gestalten. Das ist nun allerdings nicht - da haben Sie, Herr Kollege Dreßler, recht - die seit langem diskutierte Reform im Krankenhausbereich, weder eine erste noch eine zweite und schon gar nicht eine dritte Stufe.
Es bringt - da bin ich mir ganz sicher - erheblich Besseres und langfristig Wirksameres, wenn wir, wie fest vorgesehen ist, am 31. dieses Monats die Klausurtagung mit unserem Koalitionspartner fortsetzen und uns in allererster Linie auf diesen Teil, nämlich das Krankenhaus, die stationäre Frage, konzentrieren werden, um dies vorab zu einem Ergebnis zu bringen.
Dieses Maßnahmenpaket ist auch nicht ein sogenanntes Vorschaltgesetz, Herr Kollege Dr. Thomae, das die eigentliche Krankenhausreform entbehrlich machen könnte, sondern es ist wirklich nur eine Sofortmaßnahme, um vor dem Jahre 1996 keine Zeit zu verlieren. Das andere geschieht Ende dieses Monats.
Wir werden mit dem Vorschlag, den wir hier machen, schlicht und ergreifend nichts anderes tun, als die Beschlüsse der konzertierten Aktion im Gesundheitswesen vom September dieses Jahres umzusetzen, die ja schließlich einstimmig gefaßt worden sind und damit interessanterweise auch von den Ländern, einschließlich der SPD-geführten Länder, unterstützt wurden. Das heißt aber auch - das sage ich hier mit aller Deutlichkeit -, daß die eigentliche Krankenhausreform nach wie vor aussteht. Diese Krankenhausreform ist und bleibt Dreh- und Angelpunkt jeder weiteren Reformstufe im Gesundheitsversorgungssystem. Ohne eine zukunftsfähige Gestaltung des Krankenhaussektors und damit des größten Leistungsblocks der Krankenkassen ist eine dauerhaft tragfähige Reform unseres Gesundheitswesens nicht möglich und auch den Partnern im Grunde nicht zumutbar.
Ohne eine überzeugende Krankenhauspolitik kann man das eben nicht machen; da sind wir alle gefragt. Deswegen werden wir uns in den nächsten Wochen, wie eben gesagt, mit diesem Problem beschäftigen, um dem Vorwurf zu begegnen, daß wieder einmal - das kann man auch nicht bestreiten - möglicherweise im übrigen Bereich reformiert wird, ohne diesen Schwerpunkt nun endlich zukunftsträchtig zu lösen, damit es nicht dazu kommt, daß viele andere im Bereich des Gesundheitswesens ihre Schularbeiten, was die Kostenersparnis und die Ausschöpfung oder die Auflösung von Rationalisierungsreserven anbelangt, erfüllen und diese ersparten Mittel gleichzeitig kaltlächelnd im Krankenhausbereich wieder ausgegeben werden müssen oder nur vermeintlich ausgegeben werden müssen.
Dazu, meine Damen und Herren, sind überzeugende Konzepte, vor allen Dingen für die Zukunft des Krankenhauses, gefragt. Da muß ich allerdings sagen, Herr Kollege Dreßler: Das von Ihnen in die parlamentarischen Beratungen eingebrachte Konzept zur Weiterentwicklung des Gesundheitsversorgungssystems überzeugt eigentlich nicht. Sie schreiben z. B.:
Die Einführung eines Systems leistungsgerechter Entgelte ist nur halbherzig vorgenommen worden.
Da haben Sie im Grunde recht. Aber wer trägt denn die Verantwortung für diese Entwicklung? Das war doch primär der Bundesrat, der die Arbeit am Gesundheitsstrukturgesetz in dieser Form beeinflußt hat. Sie schreiben auch:
Die Absicht, zur Ablösung der dualen Finanzierung zu kommen, hat bislang keine Konsequenzen gehabt.
Auch das ist im Grunde richtig. Aber wer trägt denn die Verantwortung dafür? Die Länder waren eben bisher so zähleibig, daß sie sich in diesem von uns gemeinsam verfolgten Anliegen entweder überhaupt nicht oder nur sehr langsam bewegt haben.
Wenn das alles wirklich so ist und wir auch in diesem Bereich nach wie vor eine gemeinschaftliche Auffassung haben - da bin ich nicht ganz sicher, aber Sie werden das sicher gleich sagen -, dann dürfen wir eigentlich auch erwarten, daß Sie unserem Vorschlag zustimmen werden.