Rede von
Dr.
Max
Stadler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns im Übergang vom Industriezeitalter in das Informationszeitalter. Es dürfte keine Übertreibung sein, wenn man die bevorstehenden tiefgreifenden Veränderungen mit dem Schritt von der Agrar- in die Industriegesellschaft vergleicht.
Daher ist es gerechtfertigt, daß der Bundestag eine Enquete-Kommission einsetzt mit dem Ziel, über die Nutzung der neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik für Deutschland umfassend zu diskutieren. Es entbehrt freilich nicht einer gewissen Ironie, daß ausgerechnet zu der Zeit, in der wir darüber diskutieren, hier im Hause die Telefone ausgefallen sind.
Die Art und Weise, wie wir die Debatte führen werden, defensiv oder offensiv, wird einen interessanten Aufschluß über den inneren Zustand unserer Gesellschaft geben: Während die jüngere Generation, wie die kürzlich erschienene IBM-Jugendstudie nachweist, überwiegend mit einer positiven Grundeinstellung an die Nutzung neuer Technologien herangeht, ist schon ab der mittleren Generation ein Zug zur Beharrung unverkennbar, eine Tendenz zur Unlust, sich im persönlichen Arbeitsumfeld mit technischen Innovationen vertraut zu machen. Das Trägheitsgesetz, das bekanntlich durch keine Zweidrittelmehrheit abgeschafft werden kann, dürfte dabei eine gewisse Rolle spielen. Zudem erzeugt die Ahnung umwälzender Veränderungen naturgemäß Abwehrreaktionen.
Hier setzt die Führungsaufgabe der Politik ein. Es liegt an uns, ob wir Angste verstärken, Risiken überzeichnen und die Diskussion mit einem konservativen bis kulturkritischen Grundton versehen oder ob wir die Chancen neuer Informationstechniken erkennen, den Menschen die Freiheit eröffnen, sie zu nut-
Dr. Max Stadler
zen, und die Diskussion mit Blick nach vorne, zukunftsorientiert führen.
Es besteht kein Zweifel über den Standort der Liberalen in dieser Debatte: Die F.D.P. schreibt das Wort „Chancen" der Informationsgesellschaft groß und setzt es an die erste Stelle, ohne den Aspekt „Risiken" zu vernachlässigen. Optimismus und Realismus sind angebracht.
Das ist auch die Grundlinie des sogenannten Bangemann-Berichts vom 26. Mai 1994, der zukunftsweisende Empfehlungen für den Europäischen Rat unter dem Titel „Europa und die globale Informationsgesellschaft" enthält. F.D.P.-Generalsekretär Guido Westerwelle hat am 17. Februar dieses Jahres der Öffentlichkeit 14 Thesen zur Informationsgesellschaft vorgestellt. Diese Thesen werden von der F.D.P.-Bundestagsfraktion nachdrücklich unterstützt.
Wir sehen vor allem die Chance für neue Arbeitsplätze, nicht nur in der Telekommunikationsindustrie selbst und bei den entsprechenden Dienstleistern, sondern insbesondere auch für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Telearbeit kann die strikte Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz aufheben. Zu den Gewinnern in der Informationsgesellschaft könnte daher auch der ländliche Raum werden.
Wenn es uns gelingt, die Arbeit zu den Menschen zu bringen, folgt daraus auch eine Reduzierung des Verkehrsaufkommens und eine Entlastung der Umwelt.
Meine Damen und Herren, neue Berufe und Dienstleistungen werden entstehen, die qualitativ hochwertig und zukunftssicher sind. Deswegen wollen wir öffentliche Informationsmonopole aufbrechen und privaten Anbietern verstärkte Marktchancen einräumen. Traditionelle Nachteile der mittelständischen Wirtschaft könnten in der Informationsgesellschaft aufgehoben werden.
Dazu gehört auch eine entsprechende Tarifstruktur, Herr Kollege Mosdorf. Es wäre nur fair gewesen, wenn Sie aus der Sitzung des Regulierungsrates am Montag dieser Woche berichtet hätten, daß eine Initiative, die Tarife bei den Online-Diensten zu verbessern, auch von unserem rheinland-pfälzischen Parteifreund und Wirtschaftsminister, Rainer Brüderle, dem Regulierungsrat vorgelegen hat.
Die Kommunikation zwischen Staat und Bürger und damit die Teilhabe am politischen Willensbildungsprozeß kann durch neue Technologien nachhaltig verbessert werden.
Das liberale Grundprinzip des freien Wettbewerbs in liberalisierten und deregulierten Märkten ist die Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg.
Zugleich werden die liberalen Grundprinzipien der Achtung der Privatsphäre sowie der Sicherung von Pluralismus und Meinungsvielfalt vor eine neue Bewährungsprobe gestellt. Datenschutz muß gewahrt und international sogar verstärkt werden. Den „gläsernen Bürger" Orwellscher Prägung darf es nicht geben.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die wirtschaftliche Freiheit für die Handelnden, der Schutz des Instituts Informationsfreiheit und Meinungsvielfalt und die Bewahrung der Privatsphäre des einzelnen Bürgers klassische liberale Grundpfeiler des Grundgesetzes - werden aufs neue ihre ungebrochene Aktualität und Tauglichkeit bei der Entwicklung der Informationsgesellschaft beweisen. Hinzu kommt noch das Stichwort von der Medienkompetenz, was nichts anderes besagt, als daß das klassische liberale Bürgerrecht auf Bildung in einer neuen Facette wieder auftaucht.
Daher gehen wir von der F.D.P. in dieser EnqueteKommission in der Überzeugung an die Arbeit, daß gerade die genannten liberalen Grundprinzipien hervorragend geeignet sind, die Chancen der Informationsgesellschaft zu nutzen und ihre Risiken zu beherrschen.
Vielen Dank.