Protokoll:
1170

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 1

  • date_rangeSitzungsnummer: 170

  • date_rangeDatum: 24. Oktober 1951

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:32 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:47 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 170. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1951 6997 170. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1951. Geschäftliche Mitteilungen 6998D Nachruf des Präsidenten auf den verstorbenen Abg. Fischer 6999B Glückwunsch zum 70. Geburtstag des Abg. Dr. Kleindinst 6999B Anfrage Nr. 211 der Zentrumsfraktion betr. Preise für Kohle und Eisen (Nm. 2636, 2700 der Drucksachen) 6999A Anfrage Nr. 212 der Zentrumsfraktion betr. Einführung einer Produktionssteuer (Nrn. 2637, 2712 der Drucksachen) 6999A Anfrage Nr. 213 der Zentrumsfraktion betr. Abweithung vom Umsatzsteuerrecht bei der Durchführung der Entflechtung (Nrn. 2638, 2718 der Drucksachen) 6999A Änderung der Tagesordnung 6999C Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Stundung von Soforthilfeabgabe und über Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe (Soforthilfe-Anpassungsgesetz) (Nr. 2708 (neu) der Drucksachen) 6999C Ausschußüberweisung 6999C Beschlullfassung über zusätzliche Ausschußüberweisung des Antrags der SPD betr. Erhöhung aller Unfallrenten (Nr. 2622 der Drucksachen) 6999D Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betr. Vertragsentwurf über die Organisation einer gemeinsamen Verwaltung des Hafens von Kehl (Nr. 2594 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (10. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Wiederbesiedlung der Stadt Kehl (Nrn. 1493, 2713 der Drucksachen) . . . 6999D Maier (Freiburg) (SPD), Interpellant 6999D Gengler (CDU), Berichterstatter . . 7002B Dr. Hallstein, Staatssekretär des Auswärtigen Amts 7003D Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 7006B Dr. Kopf (CDU) 7009A Niebergall (KPD) 7010D Rümmele (CDU) 7012A Renner (KPD) (zur Abstimmung) . 7012C Abstimmungen 7012D Ersatzwahl für den Bundesschuldenausschuß 7013A Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betr. Gewährung von Winterbeihilfen (Nr. 2642 der Drucksachen; Antrag Nr. 2724 der Drucksachen) 7013B Frau Korspeter (SPD), Interpellantin 7013B Bleck, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern 7014D Frau Niggemeyer (CDU) 7016A Dr. Kneipp (FDP) 7016C0 Renner (KPD) 7016D, 7018D Frau Dr. Brökelschen (CDU) 7017C, 7019D Frau Nadig (SPD) 7018B Mellies (SPD) 7019C Ausschußüberweisung 7020B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Sorge für die Kriegsgräber (Kriegsgräbergesetz) (Nr. 2667 der Drucksachen) 7020C Ausschußüberweisung 7020C Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung vom 22. Februar 1951 (Nr. 2643 der Drucksachen) 7020D Horn (CDU), Antragsteller 7020D Dr. Preller (SPD) 7022D Kohl (Stuttgart) (KPD) 7023D Frau Kalinke (DP) 7024C Arndgen (CDU) 7026A Ausschußüberweisung 7026D Erste Beratung des von den Abg. Jacobi, Mellies, Dr. Dresbach, Lücke, Dr. Reismann, Ewers, Dr. von Merkatz u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (RVO) (Nr. 2676 der Drucksachen) 7026D Ausschußüberweisung 7026D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über Sozialversicherung nebst Schlußprotokoll und drei Zusatzvereinbarungen (Nr. 2683 der Drucksachen) 7027A Ausschußüberweisung 7027A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit (20. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Bundesarbeits- und Sozialgerichte (Nrn. 2634, 2331 der Drucksachen) . . 7027A Sabel (CDU), Berichterstatter . . . 7027B Ludwig (SPD) 7028A Kohl (Stuttgart) (KPD) 7028B Beschlußfassung 7028C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik (21. Ausschuß) über den Antrag der Abg. Dr. Ott, Frau Wessel und Fraktion des Zentrums betr. Erhöhung der Beträge für alle Unterstützungsempfänger (Nrn. 2631, 1863 der Drucksachen) 7028D Freidhof (SPD), Berichterstatter . 7028D Beschlußfassung 7029A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films (34. Ausschuß) über die Interpellation der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP und BP betr. UFI-Auktion in Wiesbaden (Nrn 2668, 1590 der Drucksachen) 7029A Dr. Vogel (CDU): als Berichterstatter 7029B als Abgeordneter 7030A Hennig (SPD) 7031A Mende (FDP) 7032B Ewers (DP) 7032D Gundelach (KPD) 7033C Mayerhofer (BP) 7034A Jacobs (SPD) 7034B Dr. Richter (Niedersachsen) (Fraktionslos) 7034D Beschlußfassung 7035A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Bau- und Bodenrecht (36. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der KPD betr. Entwurf eines Gesetzes auf Aufhebung des Gesetzes zur Ergänzung der Kleingarten- und Kleinpachtordnung vom 26. Juni 1935 (Nrn. 2651, 1859 der Drucksachen) 7035B Winkelheide (CDU), Berichterstatter 7035B Beschlußfassung 7035C Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Prüfung, ob durch die Personalpolitik Mißstände im Auswärtigen Dienst eingetreten sind (Nr. 2680 der Drucksachen) . . . . . 7035C Beschlußfassung 7035C Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Nr. 2694 der Drucksachen) 7035C Pannenbecker (Z), Antragsteller . 7035D Ewers (DP) (zur Geschäftsordnung) 7036A Dr. Arndt (SPD) 7036B Beschlußfassung 7037A Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. GARIOA-Kredit für die deutsche Presse (Nr. 2671 der Drucksachen; Antrag Umdruck Nr. 343) . . . . 7037A Vogel (CDU), Antragsteller . 7037A, 7038D von Thadden (Fraktionslos) . 7037B, 7038D Renner (KPD) 7037D Beschlußfassung 7039A Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 338) 7039C Beschlußfassung 7039C Nächste Sitzung 7039C Die Sitzung wird um 13 Uhr 32 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117000000
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 170. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.

Peter Nellen (SPD):
Rede ID: ID0117000100
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Heiland für 2 Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordnete Frau Brauksiepe für 2 Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordnete Frau Strohbach für 4 Wochen wegen Krankheit.
Der Herr Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Reimann, Vesper, Hilbert, Wönner, Löbe, Dr. Brill, Müller (Worms), Dr. Preiß, Freitag, Brunner, Dr. Becker (Hersfeld).


(Nellen)

Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Henle, Sassnick, Ollenhauer, Höhne, Frau Strobel, Marx, Behrisch, Dr. Mücke, Agatz, Müller (Frankfurt), Fisch, Frau Thiele, Rische, Dr. Luetkens, Eichler, Etzel (Duisburg), Dr. Pferdmenges, Löfflad, Pohle, Determann, Dr. Veit.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117000200
Meine Damen und Herren, ich darf annehmen, daß die Urlaubsgesuche, soweit der Urlaub über eine Woche hinausgeht, von Ihnen genehmigt sind.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 17. Oktober 1951 die Anfrage Nr. 211 der Fraktion des Zentrums betreffend Preise für Kohle und Eisen — Drucksache Nr. 2636 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 2700 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat
die nachstehenden Anfragen beantwortet:
am 15. Oktober 1951 die Anfrage Nr. 212 der Fraktion des Zentrums betreffend Einführung einer Produktionssteuer, Drucksache Nr. 2637,
am 16. Oktober 1951 die Anfrage Nr. 213 der Fraktion des Zentrums betreffend Abweichung vom Umsatzsteuerrecht bei der Durchführung der Entflechtung, Drucksache Nr. 2638.
Die Antworten werden als Drucksachen Nr. 2712 bzw. Nr. 2718 verteilt.
Vor Eintritt in die Tagesordnung

(die Abgeordneten erheben sich)

I gedenke ich der Tatsache, daß am 21. Oktober unser Kollege, der Abgeordnete der SPD-Fraktion des Bundestags Herr Willy Fischer, in Fürth im Alter von 47 Jahren einem schweren Leiden erlegen ist. Der Kollege Fischer ist 1904 in Fürth geboren. Er gehörte seit 1918 der Sozialdemokratischen Partei an und war seit 1919 in den Gewerkschaften tätig. Wegen Verdachts der Vorbereitung zum Hochverrat mußte er 1934 sieben Monate in Untersuchungshaft verbringen. 1946 wurde er Mitglied der verfassunggebenden Landesversammlung Bayerns. 1948 übernahm er den Vorsitz des SPD-Bezirks Franken. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1946 bis 1949 an. Er ist in den Bundestag als Abgeordneter des Wahlkreises Fürth-Stadt, NürnbergWest gewählt worden. In diesem Hause ist Herr Abgeordneter Fischer Mitglied des Ausschusses zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung, des Ausschusses für Außenhandelsfragen, des Ausschusses für Arbeit, des Ausschusses für Fragen der öffentlichen Fürsorge und des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens gewesen.
Wieder einmal ist einer unserer Kollegen in der Blüte der Jahre hinweggerafft worden. Ich bin überzeugt, daß alle Mitglieder dieses Hauses — nicht nur die Mitglieder seiner Fraktion — der vielseitigen und hingebungsvollen Arbeit des Kollegen Fischer in Dankbarkeit gedenken werden. — Sie haben sich zu seinen Ehren von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich habe dem (leider zur Zeit nicht anwesenden) Herrn Dr. Kleindinst zum 20. Oktober zu seinem 70. Geburtstag die Glückwünsche des Hauses ausgesprochen und darf das hier auch ausdrücklich wiederholen.

(Beifall.)

Zur heutigen Tagesordnung habe ich folgendes zu sagen. Gemäß einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Stundung von Soforthilfeabgabe und über Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe (Soforthilfe-Anpassungsgesetz), Nr. 2708 neu der Drucksachen. — Ich darf annehmen, daß das Haus mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden ist.

(Zustimmung.)

Ich schlage Ihnen vor, diesen Punkt der Tagesordnung — nach einer mir bekanntgewordenen Vereinbarung der Fraktionen ohne Aussprache — an den Ausschuß zu überweisen; und zwar sofort zu Beginn der Tagesordnung. Sind Sie damit einverstanden?

(Zustimmung.)

Ich rufe also den bereits zitierten Gesetzentwurf auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Stundung von Soforthilfeabgabe und über Teuerungszuschläge zur Unterhaltshilfe (Soforthilfe-Anpassungsgesetz) (Nr. 2708 [neu] der Drucksachen).
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf unter Verzicht auf eine mündliche Begründung und auf eine Aussprache sofort dem Ausschuß für den Lastenausgleich zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Dann eine weitere Mitteilung. In der 169. Sitzung — also der letzten — ist der Antrag der Fraktion der SPD betreffend Erhöhung aller Unfallrenten dem Ausschuß für Arbeit überwiesen worden. Im Einverständnis mit den Beteiligten schlage ich Ihnen vor, die Federführung an den Ausschuß für Sozialpolitik zu geben, der hier allein zuständig ist. Ich darf annehmen, daß das Haus auch mit dieser Änderung einverstanden ist.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
a) Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Vertragsentwurf über die Organisation einer gemeinsamen Verwaltung des Hafens von Kehl (Nr. 2594 der Drucksachen);
b) Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses (10. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Wiederbesiedlung der Stadt Kehl (Nrn. 1493, 2713 der Drucksachen).
Zunächst hat zur Begründung der Interpellation der SPD das Wort der Herr Abgeordnete Maier.
Maier (Freiburg) (SPD), Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Laufe des Monats August hat eine Reihe deutscher und französischer Zeitungen in Berichten oder kritischen Stellungnahmen die deutsche Öffentlichkeit von dem bevorstehenden Abschluß eines vertraglichen Abkommens zwischen der badischen Regierung und dem Präfekten von Straßburg als der für den Straßburger Hafen zuständigen Stelle über die gerneinsame Inbetriebnahme des seit dem militärischen Zusammenbruch stillgelegten Kehler Hafens unterrichtet. Nach diesen Pressemeldungen sollen zwischen den Vertragspartnern seit zwei Jahren Verhandlungen mit dem Ziele geführt worden


(Maier [Freiburg])

sein, eine deutsch-französische, paritätisch zusammengesetzte Organisation zu schaffen, die auf Grund eines Statuts nicht etwa die beiden Häfen Straßburg und Kehl, sondern nur den deutschen Hafen Kehl verwalten sollte.
Weder die Abgeordneten des badischen Landtags noch die Mitglieder des Deutschen Bundestages sind während dieser zwei Jahre über die Absichten rer Regierung des Landes Baden oder über eine Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem für die gesamte Bundesrepublik bedeutsamen Projekt unterrichtet worden, obwohl die Frage der Stadt und des Hafens Kehl schon zur Zeit der Beratungen des Grundgesetzes und später bei den Außenministerkonferenzen der Alliierten eine für die Bundesrepublik bedeutsame Rolle gespielt hat.
Kehl war bekanntlich die einzige deutsche Stadt, die nicht nur wie das übrige Bundesgebiet besetzt, sondern darüber hinaus unter französisches Recht gestellt war. Französischerseits war Kehl nach 1945 aus dem Katalog der badischen Gemeinden ausgeklammert und von der französischen Besatzungsmacht 1946 offiziell zum französischen Gebiet erklärt worden. Damit sollten die französischen Aneignungsbestrebungen, die schon auf das Jahr 1679 zurückgehen und die diesen rechtsrheinischen Brückenkopf siebenmal, zum Teil jahrzehntelang, unter französische Herrschaft gebracht haben, ihre endliche Krönung erfahren. Ähnliche Bestrebungen nach 1918, bei denen man sich separatistischer Bewegungen, wie etwa des mißglückten Versuchs der Gründung einer selbständigen Republik Legelshurst im Kreise Kehl bediente, sind trotz der elfjährigen Besetzung von 1919 bis 1930 an dem entschlossenen Widerstand der Kehler Bevölkerung und der damaligen deutschen Reichsregierungen gescheitert. Neben dem strategischen Ziel der Erlangung eines rechtsrheinischen Brückenkopfes gingen auch damals schon die französischen Bestrebungen auf die Beherrschung des Hafens von Kehl. Von 1921 bis 1928 war der Hafen einer französischen Direktion unterstellt, und damit war Kehl zeitweise verkehrsmäßig vom Reichsgebiet abgeschnürt. Weder die erwähnten Maßnahmen noch die Anstrengungen kultureller Art, die Bevölkerung zum Abfall vom Reich zu bewegen, führten zum Erfolg. Die Heimattreue der Kehler war stärker als alle Drohungen oder Verlockungen. Das Reich hat diese Treue durch größere finanzielle Zuwendungen aus dem damaligen Grenzlandfonds gelohnt.
Wie schon erwähnt, hat die französische Politik auch nach 1945 die gleichen Absichten wie nach dem ersten Weltkrieg verfolgt. Sie hoffte, ihr Ziel diesmal um so leichter zu erreichen, als die Bevölkerung der Stadt Kehl beim Einzug der Besatzungstruppen evakuiert war, keine Reichsregierung die Interessen der Stadt und des Hafens zunächst wahrnehmen konnte und eine Landesregierung nicht das politische Gewicht hatte, eine rasche Entscheidung zugunsten der verloren scheinenden Stadt und ihrer Bevölkerung herbeizuführen. Die französischen Absichten wurden erst vereitelt, als es bei der Washingtoner Deutschlandbesprechung der Außenminister vom 6. bis 8. April 1949 zu dem Abkommen über Kehl kam, das bestimmte, daß Kehl in Etappen während vier Jahren von der französischen Bevölkerung geräumt und die Stadt selbst nach und nach der deutschen Verwaltung zurückgegeben werden sollte.
Seitdem sind Teile der Stadt freigegeben worden und einige tausend ihrer Bewohner in ihre teilzerstörten und völlig ausgeräumten Wohnungen zurückgekehrt. Die alte Brückenkopfstrategie dürfte man im Zeitalter europäischer Unionsbestreljungen und im Zeichen deutsch-französischer Verständigung nicht mehr weiter verfolgen können, wenngleich der noch heute den deutschen vom französischen Teil trennende Stacheldrahtzaun nicht gerade als Symbol der Völkerverständigung und Freundschaft angesehen werden kann.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Hinsichtlich der erzieherischen und kulturellen Bestrebungen, die Bevölkerung zu beeinflussen, dürfte man auch nicht mehr Glück haben als in der Zeit nach 1918.
Es bleibt nur die Hoffnung auf Erreichung der wirtschaftlichen Zielsetzungen; und dabei nimmt der Kehler Hafen den ersten Rang ein. Wenn man auch mit Rücksicht auf die seit 1949 eingetretene Entwicklung die 1921 noch geübten Methoden nicht mehr in Anwendung bringen kann, so zeigt doch der nach Pressemeldungen inzwischen unterzeichnete Vertrag, dem das Bundeskabinett seine Zustimmung erteilt hat, daß sich die Methoden zur Erreichung wirtschaftsegoistischer Zielsetzungen zwar verfeinert haben, die Tendenz aber die gleiche geblieben ist.
Wir hätten durchaus nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn im Zeichen der Europaunion eine gemeinsame Verwaltung für die beiden benachbarten Häfen von Straßburg und Kehl angestrebt worden wäre. Wir haben auch Verständnis dafür, daß alles geschieht, um durch die Wiederinbetriebnahme des Kehler Hafens der Stadt Kehl, die so unendlichen Schaden gelitten hat, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen. Meine Fraktion ist bereit, jede Maßnahme zu unterstützen, die auf dem legalen Wege und im Geiste echter Verständigungsbereitschaft zum Erfolg führt. Wir wenden uns aber mit aller Entschiedenheit dagegen, daß von einer nach unserer Auffassung für den Abschluß eines so bedeutsamen Vertrages mit dem Ausland unzuständigen Stelle ein Abkommen abgeschlossen wurde, das in vielen Punkten gesamtdeutsche Wirtschaftsinteressen verletzt und das, wie ein 34 Seiten umfassendes Rechtsgutachten des Professors Ernst Forsthoff von der Heidelberger Universität feststellt, über den Zuständigkeitsmangel hinaus auch eine Verletzung des Art. 98 der badischen Verfassung darstellt.
Das Abkommen sieht vor, daß ein Verwaltungsapparat geschaffen wird, der künftig die Geschicke des Kehler Hafens bestimmen soll. In einer Vereinbarung sind Bedingungen niedergelegt, wonach die Kehler Hafenverwaltung verpflichtet wird, bei ihrer Gebühren- und Tarifpolitik Kehl nicht günstiger zu stellen als Straßburg. Hätte diese Bestimmung nur eine friedliche Wettbewerbsregelung zur Absicht, dann wäre sie zu begrüßen. Leider handelt es sich aber um eine einseitige Festlegung für die Kehler Hafenverwaltung, während Straßburg in seinen Entschlüssen vollkommen frei bleibt.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Die Straßburger Verwaltung kann also ihre Tarife und Gebühren nach eigenem Ermessen festsetzen, so daß die einseitige Konkurrenzklausel ausschließlich die deutsche Wirtschaft belastet.
Noch nachteiliger aber wirkt sich für Deutschland der Aufbau der Organisation des Kehler Hafens aus. Während der autonome Straßburger Hafen vom Vertrag unberührt bleibt und keine deutsche Stelle bei seiner Verwaltung auch nur


(Maier [Freiburg])

ein beschränktes Mitspracherecht hat, wird der deutsche Hafen Kehl einer gemischten Verwaltung unterstellt, bei der das Schwergewicht der Kompetenzen bei einem zwar paritätisch zusammengesetzten Verwaltungsrat liegt, dessen französischer Präsident aber bei Stimmengleichheit den Stichentscheid gibt.

(Hört! Hört! links.)

Zwar stellt die deutsche Seite in der Hafendirektion den leitenden Direktor, der französische Partner den Vizedirektor; aber alle wichtigen Beschlüsse dieses Direktoriums erfordern die Zustimmung des Verwaltungsrats. Dieser wird also letzten Endes über die Festsetzung der Gebühren und Tarife, über die Regelung des Betriebs, also über die wirtschaftliche Funktion, zu beschließen haben. Es genügt nach dem Abkommen der Einspruch des französischen Vizedirektors gegen eine Maßnahme des Hafendirektors, um den Verwaltungsrat entscheidend tätig werden zu lassen.
Nun geht aus einem Schreiben des Herrn Staatssekretärs des Auswärtigen Amts, Professor Hallstein, an den Vorsitzenden des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten, Professor Carlo Schmid, hervor, daß nach einem Briefwechsel des badischen Staatspräsidenten Wohleb mit dem Direktor des autonomen Hafens von Straßburg der Stichentscheid des französischen Verwaltungspräsidenten sich ausschließlich auf Fragen beschränke, die den Durchgangsverkehr betreffen, und daß für alle Fragen, die mit dem in Kehl abzuwickelnden Binnenverkehr und mit dem Import und Export nach dem deutschen Hinterland von Kehl zusammenhängen, die Stichentscheidbefugnis dein deutschen Vizepräsidenten zukommt.
Dasselbe gilt auch für die übrigen Fragen des Hafenbetriebs mit der Einschränkung, daß die französische Seite nachweise, daß durch sie dem Hafen von Straßburg auf dem Gebiete des Durchgangsverkehrs eine unfruchtbare Konkurrenz erwachse. Damit hat § 14 Ziffer 4 des Abkommens durch die Interpretierung der Worte „die Grundsätze oder den Geist des Abkommens" eine Einengung erfahren. Es bleibt aber immer noch der dehnbare Begriff „unfruchtbare Konkurrenz" neben einer Reihe von Bestimmungen, die den Vertrag in seiner jetzigen Gestalt unerwünscht erscheinen lassen. Es besteht zwar für Streitfälle aus diesen Vertragsbestimmungen nach Art. 9 eine Schiedskommission aus je einem Vertreter beider Teile und einem von diesen benannten Dritten als Schiedsrichter; aber auch nach dieser Bestimmung erfolgt bei Nichteinigung die Benennung des Obmannes wieder durch einen Franzosen, den Generalsekretär des Europarates, und es ist kaum anzunehmen, daß im Falle einer solchen Berufung französische Interessen ohne Einfluß bleiben werden.
Wenn schon davon gesprochen wurde, daß in dem Abkommen, das der badische Staatspräsident noch vor dem für die Südweststaatabstimmung vorgesehenen 16. September unter Dach und Fach bringen wollte, um in der Propaganda mangels innerpolitischer Erfolge wenigstens einen außenpolitischen nachweisen zu können, gesamtdeutsche Interessen verletzt sind, so gilt das noch in ganz besonderem Maße für die Stadt Kehl und ihre Bevölkerung, die man während der fast zweijährigen Verhandlungsdauer weder angehört hat noch über den jeweiligen Stand unterrichtete. In einer einstimmig gefaßten Entschließung hat nach Bekanntwerden des Abkommens über den Kehler Hafen als unmittelbar Betroffener der Kehler Stadtrat Stellung genommen, indem er sich über das Verhalten der badischen Landesregierung beschwerte, die die Stadt weder über den Vertragsentwurf unterrichtete noch in einer für die Lebensinteressen des Gemeinwesens so außerordentlich wichtigen Frage um eine Stellungnahme ersucht habe. Art. 98 Abs. 2 der badischen Verfassung sieht bei wichtigen Entscheidungen das Anhören der Gemeinden vor. Im weiteren wendet sich der Stadtrat gegen eine die Stadt Kehl in ihrem Lebensnerv treffende Bestimmung, nach der sich das Land Baden verpflichtet, Grundstücke und Gebäude, die zum Hafenbetrieb notwendig sind, zu erwerben und an die Hafenverwaltung zu verpachten. Damit besitzt ein Organ, auf welches die Stadt gar keinen Einfluß hat, das Monopol des Grunderwerbs im Kehler Hafengebiet. Durch diese Bestimmung wird die Entwicklungsmöglichkeit der Stadt und ihre wirtschaftliche Existenz schwerstens gefährdet. Endlich sollen im Hafengebiet in erster Linie gemischte deutsch-französische Unternehmen tätig werden, was eine Ansiedlung kapitalstarker deutscher Industrieunternehmungen wenig wahrscheinlich macht und damit eine Industrieansiedlungspolitik der Stadtverwaltung fast ausschließt. Hinzu kommt noch, daß die Hafenverwaltung nach der Satzung berechtigt ist, staatlichen Grundbesitz an Private weiterzuveräußern.
Am 29. August äußerte sich die Industrie- und Handelskammer Mittelbadens in einem der Kehler Resolution ähnlichen Schreiben gegen den Vertragsentwurf. Anläßlich der Etatsberatungen im badischen Landtag nahm die aus SPD und FDP bestehende Opposition in heftigen kritischen Ausführungen zu dem Abkommen über den Kehler Hafen Stellung. Eine große Zahl angesehener deutscher politischer und wirtschaftlicher Zeitungen lösten mit ihren kritischen Betrachtungen eine rege öffentliche Diskussion über das Kehler Hafenproblem aus. Weiter soll nach Pressemeldungen auch der Herr Bundeskanzler anläßlich seiner Rückreise aus der Schweiz in Freiburg Station gemacht und dem badischen Staatspräsidenten einige Zurückhaltung in der Kehler Vertragsangelegenheit empfohlen haben. Schließlich hat meine Fraktion die heute zur Beratung stehende Interpellation Drucksache Nr. 2594 eingebracht, um die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem ihr damals als Entwurf zur Genehmigung vorliegenden Kehler Abkommen zu erfahren. Dabei hegten meine Freunde noch die Hoffnung, daß die Bundesregierung schon im Hinblick auf die zahlreichen verfassungsrechtlichen Zweifel, die dem Vertragstext anhaften, aber auch mit Rücksicht auf die bei Außerkraftsetzung des Besatzungsstatuts entstehende veränderte Rechtslage eine Entscheidung mindestens so lange zurückstellen werde, bis sie dem Bundestag über den Stand der Dinge berichtet und ihre Auffassung dazu dargelegt haben würde. Statt dessen hat das Hohe Haus wieder einmal mehr erfahren müssen, mit welcher Geringschätzung die Bundesregierung über eine Interpellation einer großen Fraktion in einer für die Bundesrepublik wichtigen außenpolitischen Frage hinweggeht, indem die Bundesregierung ihre Zustimmung zum Kehler Abkommen erteilt hat, ehe die Interpellation der SPD-Fraktion im Bundestag beantwortet wurde. Meine Fraktion verwahrt sich aufs schärfste gegen diese neuerliche Mißachtung des Parlaments, das man


(Maier [Freiburg])

selbst unter Außerachtlassung des politischen Takts vor vollendete Tatsachen stellt.
Nach neuesten Mitteilungen hat das Abkommen über derf Kehler Hafen durch die in einem feierlichen Akt vollzogene Unterschrift der Partner am 18. Oktober in Straßburg Rechtskraft erlangt, nachdem zuvor durch den Briefwechsel des Staatspräsidenten Wohleb mit dem Direktor der Straßburger Hafenverwaltung die Bedenken der Bundesregierung nach ihrer Meinung ausgeräumt waren. Wir stellen demgegenüber fest, daß die in dem der Bundesregierung vorliegenden Rechtsgutachten des Professors Forsthoff dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken nach unserer Meinung durch den Briefwechsel nicht beseitigt sind. Die Rechtsmängel, die dem Vertrag anhaften, werden durch die Zustimmung der Bundesregierung nicht nur nicht geheilt; die Bundesregierung verstößt vielmehr, wenn sie einem Vertrag, den ein Land unter Verletzung der Zuständigkeitsvorschriften des Grundgesetzes oder der eigenen Landesverfassung abgeschlossen hat, zustimmt, selbst gegen das Grundgesetz. Nach dem zur Angelegenheit vorliegenden Rechtsgutachten liegt nach dem heutigen Stand der Dinge eine doppelte Verfassungsverletzung vor: einmal hat die badische Regierung gegen das Grundgesetz und gegen die badische Verfassung verstoßen und damit verfassungswidrig gehandelt, zum andern hat die Bundesregierung, indem sie einen gegen das Grundgesetz und die badische Verfassung zustande gekommenen Vertrag genehmigt, selbst gegen das Grundgesetz verstoßen. Meine Fraktion wird deshalb in eine Prüfung der Tatbestände eintreten und gegebenenfalls eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeiführen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117000300
Meine Damen und Herren! Da wir beide Punkte verbunden haben, darf ich vorschlagen, daß wir zunächst die Berichterstattung des Herrn Abgeordneten Gengler zum Punkt 1 b hören, obwohl eine sachliche Beziehung außer dem Namen Kehl nicht unbedingt gegeben ist. Herr Abgeordneter Gengler, darf ich bitten!

Karl Gengler (CDU):
Rede ID: ID0117000400
Herr Präsident! Meinne Damen und Herren! Abweichend von der durch meinen Vorredner begründeten Interpellation befaßt sich mein Bericht nur mit den wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten der Stadt Kehl.
Die mit dem Antrag Drucksache Nr. 1493 der CDU/CSU betreffend Wiederbesiedlung der Stadt Kehl zusammenhängenden Fragen haben den Deutschen Bundestag bereits in der 22. Sitzung vom 9. Dezember 1949 und in der 104. Sitzung vom 6. Dezember 1950 beschäftigt. Auf Grund des gestellten Antrags, der die Gewährung bestimmter Zuschüsse verlangt, hat sich der Haushaltsausschuß in seinen Sitzungen vom 17. und 24. Oktober 1951 erneut mit den ganz besonders gelagerten Verhältnissen der Stadt Kehl befaßt. Von den Antragstellern wurde darauf hingewiesen, daß die Lage von Kehl ebenso exzeptionell sei wie die der Stadt Berlin.
Im Gefolge crer Besetzung durch französische Truppen im April 1945 entstand in Kehl der Zustand einer von Frankreich annektierten Stadt, die vorher von der deutschen Bevölkerung völlig geräumt war. Das Gebiet wurde, wie bereits mein Vorredner in seiner Interpellation angeführt hat,
durch Stacheldraht vom deutschen Gebiet völlig abgesperrt.
Nachdem die Stadt vor der Besetzung monatelang den Beschießungen ausgesetzt war, wurde sie nach der Besetzung teilweise zerstört. In größerem Umfange wurden von der Besatzungsmacht Sprengungen und Abbrüche vorgenommen. Unter anderem wurden, um zwischen der Straßenbrücke Straßburg-Kehl und der Hauptstraße von Kehl eine freie Durchfahrt zu schaffen, ganze Häuserblocks niedergelegt. Ferner wurden von der Stadtverwaltung Straßburg zur Wiederherstellung beschädigter Anwesen in Kehl nicht nur teilgeschädigte Anwesen, sondern auch unbeschädigte Gebäude abgerissen, um daraus Baumaterial für Straßburg zu gewinnen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Darüber hinaus war den Kehlern durch das bis zum Washingtoner Abkommen im Jahre 1949 streng durchgeführte Verbot der Rückkehr in die Heimatgemeinde jede Möglichkeit genommen, in "der Zeitspanne von der Räumung der Stadt im November 1944 bis zum Beginn der teilweisen Wiederbesiedlung im Sommer 1949 an Ort und Stelle für ihr Hab und Gut zu sorgen und ihre häusliche Existenz wiederaufzubauen. Die ab 1949 zurückkehrenden Kehler haben in ihrer Stadt außer den nackten Wänden, sofern diese überhaupt noch standen, nichts mehr von ihrem Eigentum vorgefunden. Während im übrigen Bundesgebiet die Wirtschaft nach Einstellung der Kampfhandlungen, wenn auch langsam, mit dem Wirtschaftsaufbau beginnen konnte, war das Wirtschaftsleben in Kehl tot.
Das Kernstück der Kehler Wirtschaft ist naturgemäß der Kehler Hafen. Ohne diesen ist die Stadt nicht lebensfähig, und ohne diesen werden der Wiederaufbau und die Wiederbesiedlung der Stadt ihren Sinn verfehlen. Der Hafen ist jedoch seit 1945 praktisch nicht mehr benutzt worden. Die technischen Einrichtungen sind weitgehend demontiert oder zerstört worden. Die Hafenbecken selbst sind versandet und daher im jetzigen Zustand nicht verwendbar.
Nach Sachverständigenschätzungen ist damit zu rechnen, daß allein zur Wiederherstellung der landeseigenen Hafenanlagen und zur Ausbaggerung der Hafenbecken 11 Millionen DM aufgewendet werden müßten. Die Kosten für die Wiederherstellung des früheren Zustandes der in Privateigentum stehenden technischen Einrichtungen und Gebäude des Hafens werden auf 20 Millionen DM geschätzt. Bei diesem Finanzbedarf sind nicht die sehr hohen Kosten für die Remontage der demontierten Fabrikanlagen und auch nicht die Aufwendungen für die Erfüllung kommunaler Aufgaben und Ausgaben berücksichtigt, die u. a. für die Wiederherstellung der Kanalisation, des Straßenbaus, der Straßenbeleuchtung und der sonstigen Baulichkeiten entstehen. In gewissem Sinne haben wir es hier mit einer ganz neuen Stadtwerdung zu tun.
Für den Wiederaufbau der Stadt Kehl und des Hafens hat das Land Baden wesentliche Teile des seinerzeitigen Notopfers Berlin-Kehl verwendet. Nach dem Übergang dieses Notopfers an den Bund als Notopfer Berlin wurde von Baden beantragt, daß im Rahmen der bisherigen Mittel durch das Notopfer des Landes Baden weiterhin die Bedürfnisse der Bevölkerung der Stadt Kehl und des gesamten Wiederaufbaus berücksichtigt werden. Der Herr Bundesfinanzminister hat in der 22. Sitzung des Deutschen Bundestags seine Bereitwilligkeit


(Gengler)

erklärt, eine solche Nothilfe aus Bundesmitteln weiterhin zu geben. Nach den von dem Herrn Bundesfinanzminister gegebenen Auskünften hat die Bundesregierung diese besondere Hilfe für Kehl auf dem Wege über den horizontalen Finanzausgleich durchgeführt. Unter ausdrücklicher Benennung der Stadt Kehl wurde in den horizontalen Finanzausgleich eine Bestimmung hineingenommen, nach der dem Lande Baden im Jahre 1950 ein Ausgleichsbetrag von 2 Millionen DM gewährt wurde.
Zu der Frage weiterer Hilfe sowohl als verlorener Zuschuß als auch als Darlehen hat der Haushaltsausschuß die Bundesregierung um eine Stellungnahme gebeten. Diese Stellungnahme wurde in der heutigen Sitzung des Haushaltsausschusses gegeben. Das diesbezügliche Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 23. Oktober 1951 an den Haushaltsausschuß des Bundestages lautet:
Betreff: Wiederbesiedlung der Stadt Kehl
Bezug: Antrag der Fraktion der CDU/CSU vom 19. Oktober 1950 — Nr. 1493 der Drucksachen -.
Die sich aus der Sperrung der Stadt Kehl ergebende Belastung des Landes Baden wird im Finanzausgleich 1950 mit einem Ausgleichsbetrag von 2 Millionen DM zugunsten des Landes Baden berücksichtigt. Ein gleicher Betrag ist auch im Finanzausgleich 1951 vorgesehen.
Im Haushaltsjahr 1951 ist die Bereitstellung von Bundesmitteln für die Wiederbesiedlung der Stadt Kehl nicht möglich. Es ist jedoch beabsichtigt, im außerordentlichen Haushalt 1952 einen Betrag von 5 Millionen DM als Darlehen an das Land Baden für produktive Investitionsmaßnahmen bei der Wiederbesiedlung der Stadt Kehl einzusetzen.
Ich darf mir für die Sitzung des Haushaltsausschusses am 24. Oktober nähere Erläuterungen dazu vorbehalten.
Gezeichnet: Schäffer.
Dieses Schreiben des Herrn Bundesministers stellt an sich eine anerkennenswerte feste Zusage zur Hilfe für Kehl dar. Bei der Aussprache über diese Stellungnahme des Bundesfinanzministers wurde zur Frage der Leistungen des Landes Baden aus dem früheren Notopfer Berlin-Kehl im Ausschuß vermerkt, daß dieses nur aus dem Aufkommen eines halben Jahres genommen werden konnte und die Leistungen des Landes dadurch beschränkt waren. Die Größenordnung des Notopfers gäbe aber, auf ein Jahr gerechnet, statt 8 Millionen DM Aufkommen ein solches von 14 bis 15 Millionen DM; dementsprechend wäre auch der Rückfluß höher anzusetzen.
Im ganzen handelt es sich, so wurde im Ausschuß betont, um die Rückkehr der Stadt und des Hafens in das deutsche Hoheitsgebiet. Bei der Wiederbesiedlung und dem Wiederaufbau der Stadt Kehl, die nach Maßgabe der Räumung erfolgen, handelt es sich auch nicht um Investitionen im üblichen Sinne, sondern vielmehr um Wiederherstellung. Der Ausschuß war sich darin einig, daß für diese Wiederherstellung der Stadt Kehl und insbesondere des Hafens neben Darlehen auch verlorene Zuschüsse oder Beiträge gegeben werden sollen. Aus etatsrechtlichen Gründen glaubte der Haushaltsausschuß aber, der Festsetzung im Haushalt 1952 nicht vorgreifen zu können; er hat sich hierzu auf die Aufstellung des Grundsatzes beschränkt und von der Nennung eines bestimmten Betrages abgesehen. Dieser Betrag ist im Verhandlungswege mit dem Lande Baden zu klären und dann im neuen Haushalt vorzusehen.
Es wurde betont, daß die Wiederherstellung von Hafen und Stadt Kehl über die Leistungsfähigkeit eines Bundesstaates hinausgehe und daß es sich hier um eine gesamtdeutsche Angelegenheit handle. Im Falle Kehl — das muß ich besonders hervorheben — handelt es sich auch um einen ausgesprochenen Sonderfall, wie er im übrigen Bundesgebiet nicht zu verzeichnen ist.
Bezüglich der Ziffer 2 des Antrags auf Drucksache Nr. 1493 war der Ausschuß der Auffassung, daß diese durch die im horizontalen Finanzausgleich gewährten Beträge berücksichtigt sei und daß damit dieser Teil des Antrages als erledigt angesehen werden könne.
Im Auftrage des Haushaltsausschusses habe ich dem Hause folgenden Antrag zu unterbreiten. Er ist als Drucksache Nr. 2713 vervielfältigt und lautet:
Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag Nr. 1493 der Drucksachen durch die Erklärung der Bundesregierung vom 23. Oktober 1951 für erledigt zu erklären mit der Maßgabe, daß die Bundesregierung beauftragt wird, die für die Wiederbesiedlung der Stadt Kehl und für die Wiederbelebung ihrer Wirtschaftskraft erforderlichen Beträge gemeinsam mit dem Land Baden zu ermitteln und im Haushalt 1952 die erforderlichen Teilbeträge als Darlehen und Zuschüsse einzustellen.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß unter „Wiederbelebung ihrer Wirtschaftskraft" insbesondere verstanden wird, daß der Hafen Kehl hier mit einbegriffen ist.
Namens des Ausschusses beantrage ich Zustimmung zu diesem im Haushaltsausschuß einstimmig gefaßten Beschluß.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117000500
Meine Damen und Herren! Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Darf ich im Interesse der Abkürzung unserer Verhandlungen vorschlagen, daß wir künftig auf das Vorlesen von Anträgen verzichten. Wir dürfen, glaube ich, unbedenklich unterstellen, daß alle Abgeordneten alle Drucksachen gelesen haben.
Das Wort zur Beantwortung der Interpellation hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0117000600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegenstand der Interpellation ist die Zustimmung der Bundesregierung zu dem Abkommen über die Organisation der Verwaltung des Hafens Kehl. Dieses Abkommen ist vom Lande Baden mit einer französischen Körperschaft des öffentlichen Rechts verhandelt und abgeschlossen worden, nämlich der autonomen Hafenverwaltung von Straßburg. Die Bundesregierung hat die Zustimmung dazu erteilt. Ob sie damit richtig gehandelt hat, hängt von der Antwort auf drei Fragen ab, nämlich die Fragen:
1. ob sich das Land Baden im Rahmen seiner Zuständigkeit gehalten hat,
2. ob sich die in dem Abkommen von dem Land Baden eingegangenen Verpflichtungen im Rahmen der von der Bundesregierung übernommenen internationalen Verpflichtungen halten,


(Staatssekretär Dr. Hallstein)

3. ob außenpolitische Bedenken gegen das Abkommen bestehen.
Die erste Frage ist zu bejahen. Baden ist Eigentümer der Hafenanlagen. Der Inhalt des Vertrages betrifft Gegenstände, die nicht durch Bundesgesetzgebung, sondern durch Landesgesetzgebung zu regeln sind, nämlich die Errichtung, die Organisation und den Aufgabenbereich einer landesrechtlichen Körperschaft des öffentlichen Rechts, die für die Verwaltung des Kehler Hafens zuständig sein soll. Die Verwaltung der Häfen ist nicht Bundes-, sondern Ländersache. Das ist durch den Staatsvertrag betreffend den Übergang der Wasserstraßen von den Ländern auf das Reich vom 9. Juli 1921 bestimmt, und an dieser Trennung von Wasserstraßenverwaltung und Hafenverwaltung hat das Grundgesetz nichts geändert. Auch die von dem Land Baden in dem geplanten Abkommen übernommenen Verpflichtungen halten sich unzweifelhaft im Rahmen dieser Landeszuständigkeit, nämlich die Verpachtung des landeseigenen Grundbesitzes an die Hafenverwaltung, die Verpachtung weiterer Grundstücke, die im Hafengebiet liegen und für den Hafenbetrieb erforderlich sind, die Überlassung eines Betriebsmittelfonds an die Hafenverwaltung und die Übernahme der im Betrieb der Hafenverwaltung entstehenden Verluste. Da wir nach dem Grundgesetz zu verfahren haben, werden wir uns in Angelegenheiten, die nach der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern eindeutig zur Kompetenz des Landes Baden gehören, nicht einmischen wollen und nicht einmischen dürfen.
Aus demselben Grunde möchte ich bitten, eine andere Frage, die in der Diskussion für oder gegen den Vertrag eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen scheint, außer Betracht zu lassen. Die Gemeindeverwaltung Kehl steht in dieser Angelegenheit auf einem andern Standpunkt als die Landes-regierung. Sie hat ihren Standpunkt hier in Bonn im Parlament und bei den Bundesministerien durch ihre Beauftragten mit großem Eifer zur Geltung zu bringen versucht. Sie beklagt sich darüber, daß die Landesregierung die Gemeinde Kehl bei den Verhandlungen über den Vertrag nicht beteiligt, ihr von dem Vertrag nicht einmal Kenntnis gegeben habe. Sie meint auch, daß die Zukunft der Stadt so sehr von der Industrialisierung des Hafengebietes abhänge, daß das entscheidende Wort in. diesen Fragen nicht von der Landesregierung, sondern von der Gemeindeverwaltung zu sprechen sei. Auch diese offenbar mit Stimmungselementen geladenen Meinungsverschiedenheiten zwischen der Landesregierung und der Gemeindeverwaltung gehören nach meiner Ansicht nicht vor das Forum von Bundesinstanzen.
Schließlich haben sich die Kritiker des Vertrages an dem Art. 7 gestoßen, in dem gesagt ist, daß das Gebiet des Kehler Hafens mit dem Inkrafttreten des Vertrages dem bereits der badischen Verwaltung wieder unterstellten Teil des Gebiets von Kehl angeschlossen wird, das heißt mit anderen Worten, daß die deutsche Hoheitsgewalt im Hafengebiet von Kehl wiederhergestellt werden soll. Es liegt auf der Hand, daß die Verwaltung des Straßburger Hafens als französischer Vertragspartner nicht in der Lage ist, bindende Erklärungen über die Freigabe des Kehler Hafens aus der französischen Verwaltungshoheit abzugeben. Daß andererseits die Bundesregierung ohne die Erfüllung dieser Voraussetzung den Vertrag nicht genehmigen konnte, ist selbstverständlich. Hierüber ist kein
Wort zu verlieren; hierüber waren aber — das möchte ich unterstreichen — auch mit der badischen Regierung keinerlei Meinungsverschiedenheiten entstanden. Über diesen Punkt, der demnach nicht so sehr ein Teil des Vertrages selbst als vielmehr eine Bedingung für seinen Abschluß bildete, wurde durch ein Schreiben des französischen Hohen Kommissars vom 28. Juli Klarheit geschaffen, ein Schreiben, in dem die Rückgabe des Hafengebiets an die deutsche Verwaltung gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Vertrages verbindlich zugesagt wurde. Also ist wohl auch in diesem Punkte kein Zweifel mehr am Platze. Die französische Regierung wird mit dem Inkrafttreten des Vertrages das Hafengebiet von Kehl in die deutsche Hoheitsgewalt durch einen ebenso einseitigen Akt zurückgeben, wie sie im Jahre 1946 Stadt und Hafen Kehl durch einen einseitigen Akt der deutschen Verfügungsgewalt entzogen hat. Damit wird unter einen Abschnitt der Nachkriegspolitik ein Schlußstrich gezogen. Wir brauchen über Vergangenes hier nicht mehr zu rechten. Ich glaube, wir sollen zufrieden sein, daß diese Angelegenheit damit der Vergangenheit angehört.
Halten wir also fest, daß das Land Baden sich bei den Verhandlungen im Rahmen der Landesgesetzgebung gehalten hat. Andererseits sind Bundesregierung und Landesregierung darüber einig, daß der Vertrag zu den Verträgen gehört, die nach Art. 32 Abs. 2 des Grundgesetzes zwar von den Ländern geschlossen werden können, aber der Zustimmung des Bundes bedürfen. Deshalb hat das Land Baden den Vertrag der Bundesregierung zur Genehmigung vorgelegt, und damit sind die beiden anderen vorhin gestellten Fragen veranlaßt.
Die Beteiligung der Bundesregierung hat sich indessen nicht auf diesen formalen Schlußakt beschränkt, der sich in einem Ja oder Nein zu dem Vertrage ausdrücken muß. Die Landesregierung hat über die Frage des Kehler Hafens bereits zu einem Zeitpunkt mit den französischen Besatzungsbehörden verhandelt, als die Bundesregierung noch nicht gebildet war. Sie hat nach diesem Zeitpunkt mit der Bundesregierung, d. h. mit den an der Frage ressortmäßig interessierten Bundesministerien, die im Zuge der Verhandlungen aufgetretenen Fragen eingehend erörtert. Insofern war die Bundesregierung an den Verhandlungen zwar nicht direkt, wohl aber indirekt beteiligt. Sie hat jede Möglichkeit gehabt und benutzt, um ihren Standpunkt in den wesentlichen sachlichen Fragen der Landesregierung darzulegen. Ich glaube, daß sich diese Art der Zusammenarbeit zwischen Bund und Land bewährt hat, daß sie sich jedenfalls nicht zum Schaden der Bundesinteressen ausgewirkt hat.
Die zweite Frage, ob das Hafenabkommen mit den von der Bundesregierung übernommenen internationalen Verpflichtungen in Einklang steht, ist gleichfalls zu bejahen. Denn in der Präambel des Abkommens ist ausdrücklich festgestellt, daß durch das Abkommen die Bestimmungen der Rheinschifffahrtsakte, der die Bundesrepublik und nicht das Land Baden als Signatarstaat angehört, unberührt bleiben.
Die dritte Frage, ob außenpolitische Bedenken gegen das Abkommen bestehen, beantwortet sich eigentlich von selbst. Wir erhalten gleichzeitig mit dem Abkommen einen deutschen Gebietsteil, der unserer Verfügungsgewalt entzogen war, in unsere Hoheitsgewalt zurück,

(Zuruf des Abg. Dr. Schmid [Tübingen])



(Staatssekretär Dr. Hallstein)

allerdings mit einer Auflage, die bei den Kritikern des Abkommens Bedenken erweckt. Man sagt, das Abkommen verstoße gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit, indem es der französischen Seite ein Mitspracherecht bei der Verwaltung des Kehler Hafens zugestehe, ohne daß damit der deutschen Seite ein entsprechendes Mitspracherecht etwa in der Verwaltung des Hafens von Straßburg gegeben werde. Nun, sicher ist das Bessere des Guten Feind. Soll man aber — und das ist hier die Frage — das Gute ausschlagen, weil das Bessere nicht erlangbar ist? Hätten wir die Möglichkeit, das Hafengebiet zurückzuerhalten, ausschlagen sollen, weil wir als Preis hierfür den französischen Einfluß in der Hafenverwaltung hinnehmen mußten? Ich glaube, das wäre nicht zu verantworten gewesen. Wir haben also ein Kompromiß geschlossen. Wir hätten dieses Kompromiß nicht schließen dürfen, wenn, wie die Interpellanten befürchten, die im Hinblick auf den Hafen von Kehl zu treffenden wirtschafts- und verkehrspolitischen Maßnahmen weitgehend der Verfügung deutscher Stellen und der Kontrolle durch deutsche parlamentarische Institutionen entzogen würden. Dies ist aber nicht der Fall. Wenn hier nach dem Wortlaut des Vertrages Zweifel obwalten konnten, so sind diese durch einen Briefwechsel zwischen den Vertragspartnern, der einen integrierenden Bestandteil des Vertragswerkes bildet, endgültig und eindeutig ausgeräumt worden. In diesem Briefwechsel ist festgestellt, daß der Stichentscheid des französischen Vorsitzenden des Verwaltungsrates ausschließlich in den Fragen zum Zuge kommt, die den internationalen Durchgangsverkehr betreffen. In allen anderen Fragen, also vor allem in den Fragen, die den Binnenverkehr nach dem deutschen Hinterland betreffen, entscheidet die deutsche Stimme.
Als der Hafen von Kehl gebaut wurde, mit Anlagen, die weit über das Bedürfnis des Verkehrs nach dem süddeutschen Hinterland hinausgingen, bestand in der Tat ein scharfer Konkurrenzkampf zwischen Kehl und Straßburg, bei dem Kehl dank der Tarifpolitik der damaligen großherzoglichbadischen Eisenbahn und später der Reichsbahn einen großen Teil des Transitverkehrs nach der Schweiz und nach Italien an sich zu ziehen vermochte. Damals war Kehl ein großer Umschlagplatz für Kohlentransporte. Diese Erinnerung war für die französische Seite das Hauptmotiv für den vorliegenden Vertrag. Heute spielt dieser Transitverkehr keine Rolle mehr; denn die schweizerischen Binnenschiffe, die jeden Tag hier auf dem Rhein in großer Zahl vorüberziehen, gehen, ohne in Kehl oder in Straßburg ihre Güter umzuschlagen, über den Rheinseitenkanal bis Basel. Insofern mag das Mitspracherecht, das der französischen Seite durch den Vertrag in der Hafenbehörde gegeben wird, eine Beruhigung für ein altes französisches Mißtrauen sein, wir brauchen uns deshalb nicht zu beunruhigen.
Zudem ist der Vertrag keineswegs auf blindes Vertrauen gegründet. Alle Streitfragen, auch diejenigen, die sich aus der Satzung der Hafenverwaltung ergeben, können einem Schiedsgericht unterworfen werden. Dieses Schiedsgericht besteht aus einem deutschen und einem französischen Schiedsrichter, die sich auf einen Obmann einigen müssen. Gelingt ihnen das nicht, so soll der Obmann durch den Generalsekretär des Europarates benannt werden. Ich muß es lebhaft bedauern, daß in einigen Äußerungen unserer Presse die Ansicht
vertreten wurde, der Generalsekretär des Europarates, der zur Zeit ein französischer Staatsangehöriger ist, könnte diese Aufgabe anders erfüllen als in dem Geiste vollkommener Objektivität, die das Kennzeichen internationaler Beamter ist.

(Haha-Rufe! links.)

Gerade hat Deutschland selber begonnen, seine Staatsangehörigen in internationale Gremien zu entsenden; und bald wird das in erheblich größerem Umfang der Fall sein. Wir erwarten und verlangen, dad diesen Deutschen das Vertrauen entgegengebracht wird, auf das internationale Beamte Anspruch haben. Wir können aber nur erwarten und verlangen, was wir in gleicher Weise zu gewähren bereit sind. Es gibt auch eine Gegenseitigkeit in Fragen des politischen Taktes.

(Sehr richtig! rechts. — Lachen bei der SPD. — Zuruf von der KPD: Zu schön!)

Schließlich zur Geltungsdauer des Vertrages. In allen menschlichen Beziehungen kann man irren.

(Lachen bei der SPD.)

Auch dieser Vertrag kann in der Praxis zu Meinungsverschiedenheiten führen.

(Zurufe von der SPD. — Abg, Renner: Mit geschäftlichen Verträgen geht es auch mal schief!)

Aber er gilt nicht für Zeit und Ewigkeit, sondern er gilt nur bis zum Abschluß einer Friedensregelung. Erfüllt er die Erwartungen nicht, die die Landesregierung auf ihn setzt, so wird man ihn bei der Friedensregelung fallen lassen. Man sagt, die Friedensregelung liege in weiter Ferne. Das mag sein. Auch diese Möglichkeit ist in Art. 8 des Abkommens berücksichtigt, in dem es heißt, daß das Abkommen auch in der Zeit bis zur Friedensregelung den sich neu ergebenden Verhältnissen angepaßt werden kann.
Aus allen diesen Gründen hat sich die Bundesregierung nicht für berechtigt gehalten, dem Abkommen die gemäß Art. 32 des Grundgesetzes erforderliche Zustimmung zu versagen.
Ich möchte zum Schluß noch auf einen grundsätzlichen Punkt hinweisen. Stadt und Hafen Kehl sind leider nicht die einzigen Gebiete an der deutschen Westgrenze, die infolge des Krieges der Verfügungsgewalt der Bundesrepublik vorbehaltlich einer endgültigen Lösung im Friedensvertrag entzogen wurden. Diese Beschneidungen unseres Territoriums wurden nicht nur im Falle von Kehl, sondern auch sonstwo mit wirtschaftlichen Gesichtspunkten begründet, sei es, weil solche Gesichtspunkte in der Tat eine Rolle spielten, sei es, weil sie den Vorwand zu einer kamouflierten Annexion oder jedenfalls zu einer Abtrennung der Gebiete von Deutschland geben sollten. Im Falle Kehl haben wir den Nachweis erbracht, daß es bei einem vernünftigen Eingehen auf die wirtschaftlichen Gesichtspunkte der Gegenseite möglich ist, das zu retten, worauf es uns für den Augenblick ankommt: die politische Unversehrtheit unseres deutschen Territoriums.
Aus diesem Grunde glaube ich, daß der Vertrag in dem Punkt, der für die Bundesregierung entscheidend ist, gut und vernünftig ist, und ich möchte hoffen, daß sich das Hohe Haus dieser Auffassung anschließt.
Ich möchte noch ein Wort zu dem Vorwurf sagen, daß durch eine übereilte Zustimmung der Erörterung dieser Interpellation vorgegriffen worden sei. Das war nicht die Absicht der Bundesregierung.


(Staatssekretär Dr. Hallstein)

Dem Bundeskabinett lagen die Vorschläge der Landesregierung zu einer Beseitigung der vorher bestehenden Bedenken bereits vor, als die Interpellation eingebracht wurde. Die Bundesregierung hat dann, um diese Interpellation heute hier so vollständig wie nur möglich beantworten zu können, auf eine Klärung der Bereitschaft der französischen Seite zum Eingehen auf unsere Bedenken gedrungen. Bei dieser Gelegenheit hat die französische Gegenseite ihrerseits ihr Eingehen auf unsere Bedenken davon abhängig gemacht, daß die Bundesregierung sich auf diese Bedenken beschränkt. Wir haben, nachdem dieses Ergebnis der Landesregierung mitgeteilt worden war, diese auch gebeten, den Abschluß der Sache nicht vor der Erörterung dieser Interpellation herbeizuführen.
Den Unterzeichnungstermin selbst mußten wir der Landesregierung überlassen. Wenn die Landesregierung unserem Wunsch nicht entsprochen hat, so liegt es vermutlich daran, daß sie das Bedürfnis empfand, in der möglicherweise letzten Sitzung des badischen Landtags die Mitteilung über diesen Vertrag zu machen; und das war die Sitzung vom letzten Montag.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117000700
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß 50 Abgeordnete eine Aussprache auch über die Interpellation wünschen. Entsprechend dem Vorschlag des Ältestenrates rege ich an, daß die Zeit für die Aussprache über die Interpellation und über den Antrag des Haushaltsausschusses auf 60 Minuten begrenzt wird. — Das Haus ist damit einverstanden. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117000800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, von dieser Tribüne aus die von dem Herrn Staatssekretär vorgetragenen philosophischen Sentenzen und Maximen über das Problem des Vertrauens unter politischen Partnern zu diskutieren,

(Sehr gut! bei der SPD)

auch nicht die von ihm vorgetragenen Prolegomena zu einem noch ausstehenden Knigge für den Verkehr mit internationalen Beamten. Es ist auch nicht meine Absicht, über Vergangenes zu rechten. Aber ich möchte nun doch festgehalten wissen, daß es zu den Befugnissen dieses Hauses gehört, immer, wenn dies nötig sein sollte, an Maßnahmen Kritik zu üben, durch die die Bundesregierung mit Vergangenem fertig werden zu können geglaubt hat oder , durch deren Unterlassung sie ihre Unfähigkeit hierzu kundgetan hat.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Dar über ist heute zu sprechen.
Aber ich möchte dazu noch eines vorausschicken: ich glaube, daß der Herr Staatssekretär es sich vor diesem Hause mit der Apologie der Weigerung der Bundesregierung, mit der Zustimmung zu dem von der badischen Regierung geschlossenen Vertrag bis zum Abschluß der Debatte zu dieser Interpellation zu warten, nicht hätte so leicht machen dürfen.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Das Verhalten der Bundesregierung und die Rede, die wir soeben gehört haben, zeugen nicht von einem großen Respekt vor den Prärogativen dieses Hauses!

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ich möchte glauben können, meine Damen und Herren, daß in dieser Frage auf allen Seiten dieses Hauses die gleiche Meinung besteht!
Man sagt uns von der Regierungsbank herab- bei Diskussionen über Verträge, die zur Liquidation des Krieges oder zur Fundamentierung der Zukunft abgeschlossen worden sind, gerne, man möge doch Vertrauen in den Geist der Ausführung dieses oder jenes Vertrages haben. Auch heute hat dieses Wort wieder angeklungen. Meine Damen und Herren, in erster Linie sollte uns interessieren, welcher Geist in dem Vertrag selbst zum Ausdruck gekommen ist!

(Beifall bei der SPD.)

Und in dem Kehler Vertrag scheint mir doch eine sehr bedauerliche Geisteshaltung zum Ausdruck gekommen zu sein! Wenn heute, wo jedermann von Europa spricht, heute, wo man insbesondere von Frankreich her das Europa-Vokabular fast jeden Tag um neue Varianten bereichert, Verträge mit solch diskriminatorischem Inhalt von uns verlangt werden, — nun, da fällt es mir schwer, sehr viel Gutes für die Europäer eines Europa zu erhoffen, wie es die Leute zu wollen scheinen, die für diesen Vertrag verantwortlich sind!

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wenn der Kehler Vertrag etwas wie ein MiniaturModell für das sein soll, was man jenseits des Rheins unter Europa verstehen will, — nun, man könnte die Idee Europa doch nicht wirksamer ruinieren als durch eine Politik, deren Ausdruck Verträge wie dieser sind.

(Beifall bei der SPD.)

Es kommt doch in diesem Vertrag letzten Endes nichts anderes zum Ausdruck als die schlecht verhüllte Absicht, mit Hilfe vertragstechnischer Kunststückchen wiederum ein Stück deutschen wirtschaftlichen Vermögens, deutschen Potentials unter fremde Verfügungsgewalt zu bringen, zum mindesten aber die Entfaltung deutscher ökonomischer Möglichkeiten zu sperren.
Im allgemeinen sagt man uns, das sei - leider Gottes — da und dort nötig, weil die Deutschen in jüngster Vergangenheit noch bewiesen hätten, daß man sich auf ihre Friedensliebe nicht verlassen könne; deswegen müsse man aus Sicherheitsgründen ihrer Freiheit voller und ungehemmter wirtschaftlicher Entfaltung Beschränkungen auferlegen. Nun: glaubt man denn wirklich, daß die freie Verfügung der Deutschen über den Hafen von Kehl die Sicherheit Frankreichs gefährden könnte? In diesem Vertrag ist wahrlich nichts anderes am Werk gewesen als schäbiger Neid wirtschaftlicher Konkurrenz, die eine günstige Gelegenheit sieht, sich politischer Macht bedienen zu können.

(Sehr gut! und Beifall bei der SPD:)

Nun zu der Frage: Hätte die Bundesregierung das Aushandeln eines solchen Vertrages überhaupt der badischen Regierung überlassen dürfen — einmal an und für sich, dann aber auch im Hinblick auf die doch nicht ganz unbekannte Bereitwilligkeit der Freiburger Regierung, französische Intentionen schlechthin als Parallelaktionen zu deutschen Interessen anzusehen?

(Hört! Hört! links.)

Ich glaube nicht, daß man das hätte tun dürfen. Dieses Abkommen stellt sich zwar äußerlich in den Formen eines Verwaltungsvertrages dar; es ist aber keine nur technische Vereinbarung über die Führung von Hafengeschäften. Dieser Vertrag ist doch wahrhaftig kein Verwaltungsabkommen. Man stelle sich vor, die Regierung des Landes Hamburg hätte einen Vertrag abgeschlossen, der für alle wesentlichen wirtschaftspolitischen Angelegenheiten die Verfügung über den Hafen von Hamburg


(Dr. Schmid [Tübingen])

in außerdeutsche Hände gelegt hätte. Würde da irgend jemand sagen, es handle sich hier lediglich um eine Regelung hafentechnischer Belange? Was für Hamburg im großen gilt, gilt auch für Kehl, wenn auch in kleinerem Maßstab, denn das Prinzip, um das es dabei geht, ist dasselbe.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Der Vertrag, der über die Verwaltung des Hafens von Kehl abgeschlossen worden ist, ist keine administrative Vereinbarung, sondern ein Instrument zur Regelung der politischen Beziehungen der Bundesrepublik!

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Man hat uns doch gesagt, einmal, daß dieser Vertrag in Ausführung eines so hochpolitischen Dings wie des Londoner Abkommens geschlossen worden sei; zum andern, daß er ein Glied in der langen Reihe von Maßnahmen sei, deren Endergebnis die endgültige Regelung der deutsch-französischen politischen Beziehungen sein soll. Damit ist doch klar zum Ausdruck gebracht, daß dieser Vertrag ein politischer Vertrag ist und als solcher gewollt wird!

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Und er ist schon darum ein politischer Vertrag, weil durch ihn auf einem, wenn auch kleinen Teil des deutschen Territoriums im Wege der vertraglichen Übernahme von Lasten politische Servituten begründet werden sollen, die die Verfügungsfreiheit der Deutschen über deutsches Staatsgebiet in schwerer Weise einschränken.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wenn solch ein Vertrag kein politischer Vertrag ist, möchte ich wirklich wissen, was man noch als solchen ansprechen könnte.
Dieser Vertrag fällt also unter Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes, der bestimmt, daß Verträge, durch die die politischen Beziehungen der Bundesrepublik geregelt werden, der Zustimmung des Bundestages bedürfen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ohne eine förmliche Zustimmung des Bundestages nach Art. 59 Abs. 2 kann dieses Vertragswerk nicht in Rechtswirksamkeit erwachsen. Und ich kündige an, daß, wenn unseren Bedenken nicht Rechnung getragen werden sollte, die sozialdemokratische Fraktion Klage beim Bundes verfassungsgericht erheben wird.

(Beifall bei der SPD.)

Nun noch ein Wort nebenbei. Man hat uns ermahnt: nicht davon sprechen, daß die badische Regierung es für überflüssig gehalten hat, in dieser für Kehl so vitalen Angelegenheit die Stadt Kehl selbst zu hören!

(Hört! Hört! links.)

Meine Damen und Herren, man ist auf der Regierungsseite des Hauses doch immer so sehr dafür, der jeweils höheren Stufe staatlicher Ordnung nur subsidiäre Kompetenzen zuzuerkennen. In Verfolg dieser These ist man der Meinung, daß man bei staatlichen Entscheidungen möglichst nahe an den Staatsbürger selbst herangehen soll. Ich glaube, daß es in dieser Sache mehr als ein Gebot bloßer Höflichkeit oder administrativer Nützlichkeit gewesen wäre, die Bewohner von Kehl und ihre gewählten Vertreter rechtzeitig zu unterrichten und sie zu fragen, was sie denn für ihr Interesse
halten.

(Sehr gut! bei der SPD.) Ich meine, daß es die rechtliche Pflicht der badischen Regierung gewesen wäre, so zu handeln.


(Beifall bei der SPD.)

Und wenn wir im Bundestag feststellen, daß die badische Regierung in diesem Falle ihrer Rechtspflicht nicht genügt hat, dann usurpieren wir nicht Rechte, die uns nicht zustünden, sondern dann tun wir nichts als unsere parlamentarische Pflicht.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Dieser Vertrag bringt uns — wenn auch nur in bezug auf einen kleinen Teil des Bundesgebietes — in eine Situation, die man heute niemand und früher bestenfalls einem Levantestaat zugemutet hat.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Man verlangt unsere Einwilligung dafür, daß — ohne Gegenseitigkeit — auf einen Teil des deutschen Staatsgebietes nicht deutsche Hoheitsgewalt, sondern eine scheinbar gemischte internationale, aber in Wirklichkeit doch sehr einseitig bestimmte fremde Hoheitsgewalt hoheitliche Entscheidungen fällen soll. Wir hätten nicht das geringste dagegen gehabt, wenn man aus den Häfen Kehl und Straßburg eine international verwaltete Hafengemeinschaft gemacht und beide Häfen unter dasselbe internationale Regime gestellt hätte. Das wäre eine gute Sache gewesen, und wir meinen, daß man auf solchem Wege recht viel ernsthaften Internationalismus praktizieren sollte. Aber was hier geschehen ist, ist doch etwas ganz anderes: Man hat nicht gegenseitig Einrichtungen, an denen ein gemeinsames Interesse besteht, internationalisiert, sondern lediglich den Hafen von Kehl unter ein gegenüber dem Hafen von Straßburg differentielles Regime gestellt und dieses Regime so gestaltet, daß es sich ausschließlich zum Vorteil von Straßburg auswirken soll und ausschließlich zum Nachteil von Kehl auswirken kann.
Ein Beispiel! Es gibt zwar einen deutschen Hafendirektor, dem ein französischer Stellvertreter zur Seite steht; aber jedesmal, wenn der französische Stellvertreter der Meinung ist, er könne dem deutschen Direktor nicht zustimmen, kann die Zuständigkeit des Verwaltungsrates begründet werden, und in dem Verwaltungsrat — fünf zu fünf — gibt bei Stimmengleichheit die Stimme des französischen Vorsitzenden den Ausschlag.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Dieser Verwaltungsrat hat außerdem noch eine Reihe ausschließlicher Zuständigkeiten und kann überdies jedesmal zuständig gemacht werden, wenn seine französischen Mitglieder irgendwann der Meinung sind, daß es sich um eine Entscheidung handle, die den „Geist" der Anwendung des Vertrages betreffe.

(Erneute Rufe von der SPD: Hört! Hört!)

Mit dieser Generalklausel kann man doch schlechthin in jedem Falle, in dem man es für nützlich hält, die Zuständigkeit des Verwaltungsrats und damit praktisch einseitig französische Entscheidungsgewalt begründen.
Ich will heute nicht im einzelnen von all den Bestimmungen des Art. 14 sprechen, die die besonderen Zuständigkeiten des Verwaltungsrates statuieren: die Probleme des Transitverkehrs, die Möglichkeiten der Evokation, die Bestimmung, daß in allen wirtschaftspolitischen Angelegenheiten keine Entscheidung ohne Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat ergehen kann, so daß letztlich, wenn man die Zuständigkeiten untersucht, dem


(Dr. Schmid [Tübingen» deutschen Hafendirektor, also der deutschen Seite der Kehler Administration, nicht viel mehr übrig bleibt als die Zuständigkeit, die Pegelstangen oder die Hafenbojen anbringen zu lassen. Aber alles, was wichtig ist, alles, was wirtschaftspolitisch bedeutsam ist, kann praktisch in französische Zuständigkeit gebracht werden, und das ist für beide Völker keine gute Sache. Man sollte hierbei nicht die Schiedsklausel allzusehr als Helfer gegen alles Böse anpreisen: das Schiedsgericht kann doch nur über Rechtsfragen entscheiden. Das Schiedsgericht kann doch keine Entscheidung darüber treffen, ob diese oder jene Maßnahme richtig oder nützlich war, ob sie im wirtschaftlichen oder politischen Endeffekt diskriminatorisch wirkt oder nicht. Wenn der anderen Seite die Kommandohebel in die Hände gegeben sind und wenn die andere Seite entschlossen ist, von ihnen Gebrauch zu machen, kann man mit derartigen Schiedsklauseln praktisch nicht sehr viel anfangen. Was nun das Wort betrifft, man solle von internationalen Beamten von vornherein annehmen, daß sie bei ihren Entscheidungen unter Ausschaltung der Interessen ihres Heimatlandes nur „internationalistisch" denken: Ihr Wort in allen Ehren, Herr Staatssekretär — und hier wende ich mich an den Kollegen Professor Hallstein —, Sie wissen doch so gut wie ich aus der Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im Haag, daß dort bisher nur in einem einzigen Fall ein Richter gegen den Standpunkt seiner Nation gestimmt hat. Wenn das geschieht am grünen Holz der Rechtsprechung, nun, dann sollte man von der Administration nicht so sehr viel mehr verlangen. Man sollte auch internationale Beamte nicht überfordern. Dann wäre es uns lieber gewesen, wenn man französischerseits den Willen, eine echte objektive Schiedsgerichtsbarkeit einzurichten, dadurch zu erkennen gegeben hätte, daß man dem deutschen Vorschlag zustimmte, den neutralen Vorsitzer etwa durch das Schweizer Bundesgericht ernennen zu lassen. Warum hat man sich denn darauf nicht eingelassen? Warum hat man denn justament auf der andern Lösung bestanden? Und nun sagt der Herr Staatssekretär: Gewiß, manches in dem Vertrag ist nicht schön, und es wäre uns sehr viel lieber gewesen, wenn wir einen besseren bekommen hätten. Es ist gar kein Zweifel, daß ihm dies lieber gewesen wäre, — aber die Frage ist doch, ob man sich das Problem so leicht machen darf, daß man glaubt, es lösen zu können durch das Zitieren von Sprichworten wie „Das Bessere ist des Guten Feind" und durch Sentenzen wie „Es ist doch schließlich besser, etwas kleines Gutes bekommen zu haben, als dies kleine Gute um eines möglichen Besseren willen fahren zu lassen". Es handelt sich hier nicht nur um Prinzipien, sondern um sehr greifbare und sehr handhafte Realitäten. Die Frage ist doch die: Um welchen Preis hat man denn auf das „Bessere" verzichtet? Ja, um welchen Preis hat man denn auf das Gute verzichtet, und was hat man denn dafür bekommen, daß man in das Schlechte eingewilligt hat? So ist doch die Frage! Ich glaube, daß die Gegengabe nicht sehr bedeutend ist. Gewiß, die Einwohner von Kehl werden ein wenig früher in die Häuser zurückkehren können, die man ihnen weggenommen hat. Das ist richtig. Aber muß man denn hier nicht die Bundesregierung frageh: Gab es denn gar keine Möglichkeit, durch deutsche Leistungen den Kehler Bürgern etwas von der Last abzunehmen, die sie für uns getragen haben?, — Leistungen, durch die das Unglück, in das sie gestürzt worden sind, wenigstens ausgeglichen werden konnte? Und hätte man dann nicht abwarten können, bis nach den vertraglichen Verpflichtungen, die die französische Regierung ihren Mitverbündeten gegenüber eingegangen ist, Kehl sowieso hätte geräumt werden müssen?! Die Hilfe, die man durch diesen bösen Vertrag den Kehler Bürgern angedeihen zu lassen glaubt, ist keine wirkliche Hilfe; so helfen zu wollen, ist eine falsche Art zu helfen! Denn man darf nicht dadurch helfen wollen, daß man deutsche Rechte, die für die Qualifikation des politischen Ranges Deutschlands mitentscheidend sind, preisgibt und in eine Diskrimination Deutschlands einwilligt, die uns eine recht einzigartige Stellung in Europa gibt. Was ist denn die politische Gegenleistung des Vertragspartners, eine Leistung, die nicht durch deutsche Leistungen an die Kehler Bürger hätte aufgewogen werden können? Doch nichts anderes als die Inaussichtstellung einer Beschleunigung der Rückgabe unrechtmäßig in Besitz genommenen deutschen Gebietes! Wenn wir jedesmal auf die Absicht eines andern Staates, das uns Geschuldete erst dann herzustellen, wenn deutscherseits eine ungeschuldete Leistung angeboten wird, eingehen, — nun, dann ist das doch nichts anderes als eine Aufforderung an dritte Staaten, Forderungen zu stellen, sie so hoch als möglich zu stellen! Es ist auch gar keine wahre Hilfe, was Kehl durch diesen Vertrag gegeben wird, angeblich gegeben wird. Am besten muß doch der Gemeinderat von Kehl wissen, ob der Vertrag für die Kehler gut oder schlecht ist, und der Gemeinderat von Kehl hat einmütig erklärt: „Dieser Vertrag ist schlecht und schädigt die vitalen Interessen der Stadt Kehl; wir wollen ihn nicht haben, werft das Scheusal in die Wolfsschlucht!" Das steht doch sinngemäß in dem Beschluß des Gemeinderats von Kehl. Man soll doch nicht glauben, daß man. in Bonn im Hinblick auf das Wissen um die Interessen der Kehler Bürger weiser wäre als die Kehler selbst! Was hier getan wird, ist keine gute Politik. Es ist auch eine schlechte Art, zu verfahren. Ich will nicht davon reden — obwohl auch davon noch wird geredet werden müssen —, daß die badische Regierung nach ihrer eigenen badischen Verfassung diesen Vertrag nicht ohne Zustimmung des Landtags hätte abschließen dürfen und daß, solange diese Zustimmung nicht erteilt ist, die Bundesregierung ihrerseits ihre Zustimmung nicht hätte geben dürfen. Ich will aber sagen, daß auch von seiten der Bürokratie des Amtes nicht alles getan worden ist, was hätte getan werden müssen, um die Entscheidung der Bundesregierung ausr ichend.vorzubereiten. Ich glaube, daß an dem, was man den Komplex „Kehler Hafenvertrag" nennen könnte, einiges zu korrigieren ist, und ich glaube darum, daß dieses Haus gut beraten wäre, wenn es unserem Antrag zustimmen würde, dem Antrag, den ich nunmehr mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten doch verlese, weil er bisher nicht hat verteilt werden können. Er lautet: Der Bundestag wolle beschließen: Der Vertrag über das Kehler Hafenabkommen mit den Anlagen ist dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zur Überprüfung zu überweisen mit der Maßgabe, daß der Ausschuß dem Bundestag über das Ergebnis seiner Prüfung alsbald Bericht erstattet. Ich bitte das Haus, in diesem Sinne zu beschließen. President Dr. Ehlers: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kopf. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Interpellation der sozialdemokratischen Fraktion dient dem echten Anliegen, eine Prüfung darüber herbeizuführen, ob die im Hinblick auf den Hafen von Kehl zu treffenden wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Maßnahmen den Hafen der Verfügung deutscher Stellen und der Kontrolle durch deutsche parlamentarische Institutionen entziehen. Es ist richtig, daß diese Frage nach ihrer politischen, ihrer sachlichen und ihrer rechtlichen Seite hin einer eingehenden Prüfung und Würdigung bedarf. Seitdem der Hafen von Kehl etwa um die Jahrhundertwende durch die damaligen badischen Eisenbahnen errichtet worden ist, ist zu wiederholten Malen versucht worden, das Konkurrenzverhältnis, das zwischen den beiden Häfen Kehl und Straßburg bestand, durch staatliche Maßnahmen auszuschalten. Durch Maßnahmen einseitiger Art ist es versucht worden, in den Bestimmungen des Versailler Vertrags —Art. 65 ff. — und dem folgenden Abkommen, durch das der Hafen von Kehl zu einer Betriebsgemeinschaft mit dem Straßburger Hafen unter Leitung eines französischen Direktors vereinigt worden ist. Es ist in anderer Weise versucht worden in den Jahren 1941 bis 1945, als die Häfen von Kehl und Straßburg zu einer Betriebsgemeinschaft zusammengefaßt wurden. Im Jahre 1945, nach der Kapitulation Deutschlands, sind dann Stadt und Hafen Kehl durch die Besatzungsmacht nicht nur besetzt worden wie das übrige Besatzungsgebiet der französischen Zone, sondern sie sind auch einem Sonderregime unterstellt worden, das — abgesehen von dem inzwischen geräumten Teil der Stadt Kehl — noch bis auf den heutigen Tag besteht. Die Wirkungen dieses Sonderregimes sind bekannt. Das Gebiet von Stadt und Hafen Kehl wurde verwaltungsmäßig in das Departement Bas-Rhin einbezogen und dem Präfekten von Straßburg unterstellt. Das Betreten des Gebietes durch deutsche Staatsangehörige war nicht möglich. Das Gebiet wurde wie französisches Hoheitsgebiet behandelt. Es herrschte dort französische Zoll-, Währungsund Posthoheit. Eine Änderung trat erst in dem Maße ein, in dem schrittweise — in einzelnen Etappen — die Räumung der Stadt Kehl erfolgte. Das Washingtoner Abkommen vom Jahre 1949 sah dann vor, daß die Stadt Kehl in vier Jahren geräumt und daß für den Hafen Kehl eine Betriebsgemeinschaft gebildet werden soll. Nun ist inzwischen dieses umfangreiche Hafenabkommen mit seinen Anlagen, mit der Satzung einer zu errichtenden Hafengesellschaft und einem Pachtvertrag abgeschlossen worden. Es ist die Frage erörtert worden, inwieweit die formellen Zuständigkeiten für den Abschluß dieses Abkommens vorlagen. Der Herr Kollege Schmid hat angeführt, daß es sich bei diesem Abkommen um einen politischen und nicht um einen technischen Vertrag gehandelt habe. Ich kann dieser Auffassung nicht beipflichten. Das Abkommen setzt, wie Herr Staatssekretär Hallstein mit Recht gesagt hat, eine Bedingung als Geschäftsgrundlage voraus, nämlich die Zusage der künftigen Räumung von Stadt und Hafen Kehl. Diese Zusage ist in derselben einseitigen Weise als eine Vorleistung erfolgt, wie Stadt und Hafen Kehl seinerzeit durch einen einseitigen Akt der Besatzungsmacht einem Sonderregime unterstellt worden sind. (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Aber Herr Kollege Kopf, die Rückgabe unrechtmäßigen Besitzes ist doch keine Vorleistung!)


(Lachen bei der SPD)


(Hört! Hört! bei der SPD.)


(Sehr richtig! bei der SPD.)


(Sehr gut! bei der SPD)


(Sehr richtig! bei der SPD.)


(Sehr wahr! bei der SPD.)


(Sehr richtig! bei der SPD.)


(Dr. Schmid [Tübingen])


(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Dr. Hermann Kopf (CDU):
Rede ID: ID0117000900
— Herr Kollege Schmid, wir müssen hier nicht vom Rechtszustand, sondern vom Besitzstand ausgehen. Wenn der Besitzer einen Gegenstand durch einen einseitigen Akt zurückgibt und wenn diese Rückgabe die Bedingung des Abschlusses eines Vertrages ist, so ist doch die bloße Besitzrückgabe meines Erachtens eine Vorleistung. Der Vertrag selbst enthält über diese Frage bekanntlich nichts. Fr beschränkt sich darauf, daß eine Hafenbetriebsgemeinschaft gebildet wird und daß das Land Baden die ihm gehörenden Grundstücke — das sind die Hafenanlagen und etwa ein Viertel des Hafengebiets — pachtweise in diese Gesellschaft einbringt. Ich bin nicht der Meinung, daß hier ein politischer Vertrag vorliegt. Man hat lediglich die Wahl, entweder zu sagen, es liegt ein reines Verwaltungsabkommen vor; dann ist die Zustimmung des Bundes überhaupt nicht erforderlich. — Oder man sagt, es liegt ein Vertrag mit einem ausländischen Staat vor; dann ist allerdings die Zustimmung des Bundes notwendig. Die badische Landesregierung hat vorsorglich unter Bezugnahme auf den Art. 32 Abs. 3 des Grundgesetzes um die Zustimmung des Bundes gebeten. Diese ist ja inzwischen auch erteilt worden. Der Vertragspartner ist der autonome Hafen von .Straßburg. Ich gebe zu, daß dieser autonome Hafen ermächtigt worden ist, diesen Vertrag abzuschließen. Das dürfte ja auch der Anlaß dafür gewesen sein, daß die Bundesregierung den Fall der Erteilung der Genehmigung nach Art. 32 Abs. 3 des Grundgesetzes als gegeben angesehen hat.
Nun ist vom Herrn Kollegen Schmid beanstandet worden, daß die Stadt Kehl nicht oder nur in ungenügender Weise gehört worden sei. Die Verhandlungen zur Herbeiführung dieses Vertrags haben in einem Zeitpunkt begonnen, als es keine Stadt Kehl mehr gab. Die Exilverwaltung der Stadt Kehl ist am 7. Juli 1946 aufgelöst worden, zu einem Zeitpunkt, als das gesamte Gebiet von Stadt und Hafen Kehl sich ausschließlich innerhalb des französischen Sonderregimes befand. Weil die Gemeindeverwaltung der Stadt Kehl zu Beginn der Vertragsverhandlungen nicht bestanden hat, war es damals noch gar nicht möglich, sie irgendwie zu hören. Die Vertragsverhandlungen mußten vertraulich geführt werden. Als dann nach der Räumung eines kleineren Stadt Kehl wieder eine Gemeinde-


(Dr. Kopf)

verwaltung aufgebaut worden war, bestand zunächst wegen des vertraulichen Charakters dieser Verhandlungen noch nicht die Möglichkeit — aber auch nicht die Verpflichtung —, die Stadt Kehl zu hören. Die badische Verfassung sieht vor, daß lediglich bei .gesetzgeberischen Maßnahmen, nicht aber beim Abschluß von Verträgen die Gemeinden gehört werden sollen. Der Gemeindeverwaltung ist schließlich im letzten Stadium der Aushandlung sowohl seitens der Landesregierung als auch seitens der Bundesregierung in einem sehr weiten Maße die Möglichkeit gegeben worden, ihre Bedenken vorzutragen. Daß sie von dieser Möglichkeit in sehr großem Umfange Gebrauch gemacht hat, geht aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Schmid und des Herrn Berichterstatters hervor, die die von der Gemeinde Kehl vor dem Abschluß des Abkommens vorgetragenen Bedenken in einem großen Umfang gewürdigt und zu den ihren gemacht haben.
Ich glaube also nicht, daß man sagen kann, die formellen Bestimmungen seien irgendwie verletzt worden. Die Bundesregierung hat den Fall des Art. 32 Abs. 3 des Grundgesetzes als gegeben angesehen. Das Prüfungsrecht der Bundesregierung kann sich nur auf den sachlichen Inhalt des Vertrages erstrecken und nicht darauf, welche landesrechtlichen Bestimmungen noch angewendet werden müßten, um den Vertrag nach Landesrecht gültig zu machen.
Man hat eine Reihe von Bedenken gegen den Inhalt des Vertrages geäußert. Es liegt mir durchaus fern, den Vertrag und seinen Inhalt als ideal hinzustellen. Das wesentliche Ergebnis der Verhandlungen ist, daß die Räumung des Hafens und eines größeren Teiles der Stadt, die sich bisher eben nicht hat ermöglichen lassen, jetzt zu einem festen Zeitpunkt, nämlich am 1. Januar des nächsten Jahres, erfolgen wird.
Es ist richtig, daß eine gemeinsame Hafenbehörde geschaffen worden ist; aber es wäre falsch, die Bedeutung der Schaffung dieser gemeinsamen Institution zu überschätzen. Die gemeinsame Verwaltung des Hafens ist zeitlich bis zum Inkrafttreten der Friedensregelung beschränkt. Sie kann nach § 8 schon vorher den Verhältnissen angepaßt werden. Sie ist auch sachlich beschränkt; es werden lediglich die Grundstücke des Landes Baden — Hafenanlagen und etwa ein Viertel des Hafenterritoriums — in das Pachtverhältnis eingebracht. Ich würde es nicht für angemessen halten, diese lokal doch sehr beschränkte Angelegenheit zu überschätzen und ihr eine politische Bedeutung beizumessen, die sie nicht hat. Die politische Bedeutung erblicke ich in der positiven Tatsache der Rückgabe von Stadt und Hafen Kehl unter die deutsche Hoheit.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß das Land
Baden, soweit es auf Grund der Bestimmungen des
Grundgesetzes hier stellvertretend tätig gewesen
ist, neben den Interessen der unmittelbar beteiligten Kehler Bevölkerung deutsche Interessen, wahrgenommen hat, genau so wie auch die Bundesregierung deutsche Interessen wahrgenommen hätte,
wenn sie die Verhandlungen gepflogen und nach
Art. 32 Abs. 2 das Land Baden hierzu gehört hätte.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Es ist richtig, daß dem Abkommen der Makel der Einseitigkeit anhaftet. Auch wir bedauern das. Aber der Herr Staatssekretär hat bereits mit Recht darauf abgehoben, daß das Möglichste getan worden ist, und zwar unter Assistenz der Bundesregierung und der beteiligten Ministerien, um die Vertragsverhandlungen so zu einem guten Ende zu führen, wie es einerseits unter Berücksichtigung des Endziels der baldigen Räumung von Stadt und Hafen und andererseits unter Berücksichtigung der berechtigten deutschen Forderungen möglich gewesen ist. Inzwischen sind — ich weiß nicht, wieweit das dem Herrn Kollegen Schmid bekannt ist — durch den Notenwechsel zwei wesentliche Bedenken ausgeräumt worden. Der Stichentscheid des französischen Verwaltungsratsvorsitzenden erstreckt sich nurmehr auf Fragen des Transitverkehrs, und zwar auch, wenn der wiederholt zitierte Geist des Abkommens in Frage gestellt ist. Es ist klargestellt, daß nur dann der erste Vorsitzende entscheiden kann, wenn es sich um Transitfragen handelt. In den Fragen des Binnenverkehrs steht dem deutschen stellvertretenden Vorsitzenden der Stichentscheid zu. Zweitens ist durch diesen Notenwechsel auch klargestellt worden, daß die Schiedsgerichtsbarkeit auf Streitfragen aus der Satzung ausgedehnt ist. Es trifft meines Erachtens auch nicht zu, daß dieser Schiedsgerichtsbarkeit nur Rechtsfragen unterstellt werden können. Die Schiedskommission soll vielmehr dann tätig werden, wenn Schwierigkeiten bei der Anwendung des Abkommens entstehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Schmid [Tübingen].)

Ich möchte nicht auf die finanziellen Fragen eingehen. Die Aussicht, daß der Hafen Kehl am 1. Januar des nächsten Jahres in die deutsche Hohem zurückkehrt, gibt Anlaß zu der Überlegung, daß große finanzielle Aufwendungen notwendig werden. Dankenswerterweise hat sich der Haushaltsausschuß heute mit dieser Frage befaßt und dem Bundestag einen Vorschlag unterbreitet; den wir durchaus begrüßen und über den mein Kollege Rümmele nachher sprechen wird.
Ich möchte zusammenfassend folgendes sagen. Der Vertrag hat vielleicht den Charakter eines Amphibiums, wie ihn Verträge in Übergangszeiten zu haben pflegen. Auf der einen Seite spricht die Präambel davon, daß eine wirtschaftliche Zusammenarbeit im Sinne der Einigung Europas erfolgen soll; andererseits muß man sagen, daß das Abkommen in der Tat einseitig ist. Wenn wir den Vertrag gutheißen, können wir ihn nur als den Vorläufer und Wegbereiter einer zweiseitigen Regelung gutheißen, die auf der völligen Gleichberechtigung, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und der Chancengleichheit aufgebaut ist. Wir können nur die Hoffnung aussprechen, daß der Vertrag in diesem Sinne eine derartige zweiseitige und gerechte Regelung vorbereitet, daß er auch so von beiden Seiten angesehen und loyalerweise als ein Vorläufer der ernstgemeinten Einigung Europas gehandhabt wird.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117001000
Das Wort hat der Abgeordnete Niebergall.

Otto Niebergall (KPD):
Rede ID: ID0117001100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Unterzeichnung des Kehler Abkommens zwischen der badischen Regierung und dem Port Strasbourg stellt eine Verletzung des Grundgesetzes dar. Der Deutsche Bundestag ist bei diesem Abkommen umgangen worden. Es handelt sich um eine unerhörte Verletzung von deutschem Recht und deutscher Souveränität.

(Lebhafte Zurufe in der Mitte.)



(Niebergall)

Wir erleben hier dasselbe wie beim Besatzungsstatut und beim Ruhrstatut.

(Erneute Zurufe in der Mitte und rechts.) Dieses Abkommen ist ein Lehrbeispiel dafür, was das deutsche Volk vom Schumanplan zu erwarten hat.


(Lachen in der Mitte.)

Um was geht es denn bei dem Kehler Abkommen? Kehl ist eine deutsche Stadt, der Hafen ist auch deutsch.

(Zurufe von der Mitte: Und Königsberg?! — Oder-Neiße?!)

Nach 1945 wurde diese Stadt gewaltsam aus dem deutschen Staatsverband herausgelöst.

(Erneute Zurufe von der Mitte: Königsberg! — Oder-Neiße!)

Das, was wir in Kehl erleben, war nur möglich, weil amerikanische Imperialisten

(Lachen in der Mitte)

Kehl genau so wie das Saargebiet als Faustpfand für ihre Politik gegen den Osten betrachteten, um damit die französischen Imperialisten für ihre Pläne gegen den Osten zu gewinnen.

(Zurufe rechts.)

An dieser Tatsache ändert auch das Ergebnis der Konferenz von Washington nichts. Was war das Hauptproblem in Washington? Ob die deutsche Bevölkerung nach Kehl zurückkommt, ob Kehl wieder deutsch wird?! Im Gegenteil, dort war die Hauptfrage: Wie kann man diese Stadt und den Hafen für die Ziele eines Krieges gegen den Osten ausnutzen?

(Erneutes Lachen in der Mitte.)

Das war der Kern der Washingtoner Absprache.

(Fortgesetzte Zurufe in der Mitte und rechts.) Aber während in Washington ohne uns, ohne das deutsche Volk zu befragen, gehandelt wurde, ist es heute eine deutsche Regierung, die an einem solchen Schanddokument mitgearbeitet und es unterzeichnet hat, eine Regierung, die nationale Interessen und Rechte zum Schaden unseres Volkes preisgibt.


(Zuruf von der Mitte: Oder-Neiße!)

Man spricht in der Einleitung des Abkommens von der Konkurrenz zwischen Straßburg und Kehl in der Vergangenheit. Dazu erklärt man, es liege im wirtschaftlichen Interesse, es liege im Interesse der Zusammenarbeit und der Einigung Europas, solche Opfer jetzt zu vermeiden. Wer will denn diese Opfer vermeiden? Die Konzerne untereinander wollen die Opfer vermeiden; aber für das deutsche Volk und den deutschen Steuerzahler ist das ganze Abkommen ein einziges Opfer. Das findet bereits in der Einleitung dieses Abkommens seine Bestätigung. Was sagt die Einleitung? „Der Hafen von Kehl ist zur Zeit in den französischen Zoll- und Währungsbereich einbegriffen." Die badische Regierung hat also ohne Befragen des badischen Volkes Hoheitsrechte einem Klüngel von Konzernherren preisgegeben.

(Zurufe in der Mitte und rechts.)

In Art. 2 dieses Abkommens hagelt es nur so Verpflichtungen für unser Volk. Die badische Regierung verpflichtet sich nämlich in Art. 2, der Hafenverwaltung mit sofortiger Wirkung die Gesamtheit der dem badischen Staat gehörenden Grundstücke, Gebäudeeinrichtungen, Bahnanlagen und bewegliche Sachen, die innerhalb des Bereiches des Hafens gelegen sind, zu verpachten, Grundstücke und Gebäude, die in dem gegenwärtigen oder künftigen Hafengebiet liegen und zum Hafenbetrieb notwendig sind, zu erwerben — also wir haben zu erwerben und zu verpachten —, keine beweglichen und unbeweglichen Sachen, die in der der Hafenverwaltung bewilligten Verpachtung einbegriffen sind, ohne deren Zustimmung zu veräußern, die Erstinstandsetzung, den Wiederaufbau der Hafenbecken — einschließlich Baggerungen —, der Kais, Straßen, Kräne, Hebe-, Gleis- und Elektrizitätsanlagen, Schiebebühnen, Lagerhäuser, Werkstätten und sonstiger Gebäude durchzuführen bzw. sie zu errichten, der Hafenverwaltung die notwendigen Anfangsbetriebsmittel zur Verfügung zu stellen und einen etwaigen Verlust der Hafenverwaltung auf unser Konto zu übernehmen.
Wir stellen also fest: Alles deutsche Eigentum wird einer internationalen Gesellschaft unterstellt. Das deutsche Volk aber soll für den Aus- und Aufbau des Hafens aufkommen. Aber nicht nur das, das deutsche Volk soll auch die Mittel dazu hergeben, um überhaupt diesen Hafen in Betrieb setzen zu können. Die Hafengesellschaft steckt die Gewinne ein, und wir sollen die Verluste des Hafens tragen. Unsere Werte verschenkt man, und was gibt man uns? Ein Merci, aber nichts mehr!
Mit Recht fragt sich deshalb die Bevölkerung: Wie kann eine deutsche Regierung an einem solchen Vertrag mitarbeiten und einen solchen Vertrag unterzeichnen nach all den Erfahrungen, die wir mit dem Ruhr- und Besatzungsstatut gemacht haben?

(Zuruf von der Mitte: Das fragen wir uns bei Herrn Dertinger!)

Das ist nur möglich, weil es eben einen tierischen Haß gegen den Osten gibt und weil man vom Antikommunismus verblendet ist, weil man sich sein Heil vom Westen verspricht und sich deshalb mit Haut und Haaren an den westlichen Imperialismus verkauft!
Die KPD-Fraktion fordert, daß dieser Vertrag, der ohne die Kehler und die badische Bevölkerung abgeschlossen wurde, liquidiert wird; denn dieser Vertrag dient weder den deutschen Interessen noch den Interessen des französischen Volkes. Dieser Vertrag dient einigen Konzernherren und ihren Hintermännern in der Wallstreet. Die badische Bevölkerung ist daran interessiert, daß dieser Hafen nicht Kriegsgebiet wird, sondern daran, daß dieser Hafen ein Hafen des Friedens bleibt. Wir fordern, daß alle Einwohner von Kehl sofort zurückkehren können. Wir fordern, daß alle Absperrmaßnahmen beseitigt werden, und wir fordern,

(Abg. Strauß: Sprechen Sie von Königsberg!)

daß den geschädigten Menschen in Kehl die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

(Zuruf von der Mitte: Wir fordern auch!)

— Tun Sie das reichlich, Sie haben ja dazu die Macht!

(Abg. Strauß: Das gleiche für Königsberg!)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117001200
Ich darf Herrn Abgeordneten Niebergall die Mühe abnehmen, seine beiden Anträge zu verlesen. Erstens:
Die Bundesregierung wird verpflichtet, von den Hohen Kommissaren die sofortige Rückgabe des Hafengeländes der Stadt Kehl an die Stadtverwaltung zu fordern.


(Präsident Dr. Ehlers)

Zweitens:
Die Bundesregierung wird verpflichtet, ihre Unterschrift unter den von der Regierung des Landes Baden mit der Verwaltung des autonomen Hafens von Straßburg abgeschlossenen Vertrag über die Organisation einer gemeinsamen Verwaltung des Hafens von Kehl zurückzuziehen.
Renner und Fraktion.

(Abg. Strauß: Ist das der RotkehlchenAntrag?)

Das Wort hat der Abgeordnete Rümmele.

Oskar Rümmele (CDU):
Rede ID: ID0117001300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, mein Herr Vorredner hegt eine grundlose Befürchtung, wenn er glaubt, der Hafen von Kehl würde je ein Kriegshafen werden.

(Abg. Renner: Na! Na! — Abg. Niebergall: 5000 Amerikaner sind ja schon drin!)

Das glaubt in Kehl und sonstwo schließlich doch kein Mensch. Dazu ist der Hafen Kehl weiß Gott nicht geeignet.
Ich habe mich aber nicht zur Hafen-Frage zum Wort gemeldet, sondern möchte nur einige wenige Sätze zu dem damals gestellten Antrag meiner Fraktion, der CDU/CSU, sagen, der, das ergab die Begründung durch Herrn Kollegen Gengler, vom Haushaltsausschuß gewissermaßen als erledigt erklärt werden soll. Der Antrag hatte zum Ziel, den Kehlern auch für den Hafen, aber vor allem für die Wiederbesiedlung und für die Wiedererlangung der Wirtschaftskraft und für die Ingangsetzung des normalen Lebens Geld und Hilfe zu verschaffen. Nachdem diesem Antrag durch die Erklärung des Herrn Finanzministers, daß 1950 2 Millionen DM, 1951 auch 2 Millionen DM und im nächsten Haushaltsjahr mindestens 5 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden, zweifellos ein Teilerfolg beschieden war, wünschen wir allerdings, daß die Summen im nächsten Jahr und in den kommenden Jahren erhöht werden. Wir sprechen den Wunsch aus, daß möglichst große Beträge als Zuschüsse — und nicht sosehr als Darlehen — gewährt werden; denn die Schäden dort rechtfertigen das.
Ich will aber auf die Dinge nicht weiter eingehen. Das haben wir ja in der ersten Lesung getan, und auch der Herr Berichterstatter hat heute Entsprechendes vorgetragen. Ich kann namens der Fraktion der CDU/CSU erklären, daß wir dem Antrag des Haushaltsausschusses unter dieser Voraussetzung und unter Bezugnahme auf die Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers zustimmen werden.

(Bravo! in der Mitte.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117001400
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Zu Punkt 1 b der Tagesordnung liegt also zunächst ein Antrag der Fraktion der SPD vor
— den Herr Abgeordneter Dr. Schmid vorgetragen hat —, den Vertrag über das Kehler Hafenabkommen mit den Anlagen dem Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zur Überprüfung zu überweisen mit der Maßgabe, daß der Ausschuß dem Bundestag über das Ergebnis seiner Prüfung alsbald berichtet.

(Abg. Renner: Zur Abstimmung!)

— Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Renner!

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0117001500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, unseren Antrag zuerst zur Abstimmung zu stellen.

(Zuruf von der Mitte: Warum?)

— Das will ich begründen. Unser Antrag fordert eine klare Entscheidung des Bundestages, eine Entscheidung, die darauf hinausläuft, daß der Bundestag den Vertrag, den die Bundesregierung bereits unterschrieben hat, annullieren soll. Der sozialdemokratische Antrag läuft nur darauf hinaus, die Angelegenheit dem zuständigen Ausschuß zu überweisen. Wir sind gezwungen, für den sozialdemokratischen Antrag zu stimmen, falls der unserige abgelehnt werden sollte. Aber nach dem, was in der Diskussion zutage getreten ist, darf man doch wohl annehmen, daß das gesamte Haus der Auffassung ist, daß der Vertrag an und für sich verschwinden soll. Deshalb bitte ich, unseren Antrag als ersten zur Abstimmung zu bringen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117001600
Meine Damen und Herren, da kein Antrag zur Debatte steht, sondern eine Interpellation, muß ich dem Herrn Abgeordneten Renner recht geben. Ich hätte das übrigens auch getan, wenn er nicht das Wort bei der Erörterung der Anträge genommen hätte, da sein Antrag der weitestgehende ist, weil er die Angelegenheit heute für den Bundestag erledigen würde.

(Abg. Strauß: Der Überweisungsantrag geht vor!)

— Es ist kein Ausschußüberweisungsantrag, meine Damen und Herren; es liegt uns kein Gesetzentwurf oder Antrag vor, der überwiesen wird, sondern wir behandeln hier eine Interpellation. Ich bitte, diesen Unterschied zu sehen.

(Abg. Mellies: Der Antrag ist gestellt, die Materie an den Ausschuß zu überweisen! — Abg. Strauß: Dann beantrage ich Übergang zur Tagesordnung über den kommunistischen Antrag! — Gegenrufe von der KPD.)

— Soll der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung gestellt werden?

(Abg. Strauß: Wenn - -!)

— Unter Bedingungen können Anträge nicht gestellt werden!

(Heiterkeit.)

— Meine Damen und Herren, ich entscheide also dahin, daß der Antrag der SPD-Fraktion sachlich eine Ausschußüberweisung fordert und daß ein Ausschußüberweisungsantrag nach der Geschäftsordnung vorgeht.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der SPD zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist ohne Zweifel die ganz überwiegende Mehrheit des Hauses. Ich darf annehmen, daß der kommunistische Antrag damit als erledigt angesehen wird, soweit er sich auf die Zurückziehung der Unterschrift der Bundesregierung bezieht.

(Abg. Renner: Sie haben doch nicht das getan, was Sie angekündigt haben! Sie haben doch bedauerlicherweise nicht über den nach Ihrer eigenen Meinung weitestgehenden Antrag zuerst abstimmen lassen!)

— Wenn es sich nicht um einen Ausschußüberweisungsantrag gehandelt hätte! Ich habe aber entschieden, daß es einer ist. Herr Abgeordneter Renner, ich stehe Ihnen morgen früh zu einer weiteren Erörterung zur Verfügung.


(Präsident Dr. Ehlers)

Weiter liegt der Antrag des Haushaltausschusses Drucksache Nr. 2713 vor. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Offenbar einstimmig angenommen.
Dann der weitere Antrag der Fraktion der Kommunistischen Partei:
Die Bundesregierung wird verpflichtet, von den Hohen Kommissaren die sofortige Rückgabe des Hafengeländes der Stadt Kehl an die Stadtverwaltung zu fordern.
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben.
— Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen?
— Bei zahlreichen Enthaltungen gegen die Antragsteller abgelehnt. Damit, meine Damen und Herren, ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich darf, bevor ich den nächsten Punkt der Tagesordnung aufrufe, folgende Angelegenheit erledigen. Der Deutsche Bundestag hat in den Bundesschuldenausschuß die Herren Abgeordneten Bausch, Schoettle und Höpker-Aschoff entsandt und Herrn Dr.-Ing. Decker als Ersatzmann. Herr Abgeordneter Dr. Höpker-Aschoff hat nach seiner Berufung zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts sein Amt niedergelegt. Die Fraktion der FDP hat an seiner Stelle den Herrn Abgeordneten Dr. Dr. Nöll von der Nahmer vorgeschlagen. Ich darf annehmen, daß das Haus mit dieser Auswechslung und mit der Zusammensetzung des Bundesschuldenausschusses aus den Abgeordneten Bausch, Schoettle und Dr. Nöll von der Nahmer und dem Abgeordneten Dr. Decker als Ersatzmann einverstanden ist.
— Das ist der Fall.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Gewährung von Winterbeihilfen (Nr. 2642 der Drucksachen).
Frau Abgeordnete Korspeter wird begründen. Bitte schön!

Lisa Korspeter (SPD):
Rede ID: ID0117001700
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Im vorigen Jahr wurde, genau so wie heute, durch eine Interpellation der SPD eine Debatte über die Gewährung von Winterbeihilfe ausgelöst, die dazu führte, daß ein Antrag der SPD über eine Erhöhung der vorher von der Bundesregierung vorgesehenen Sätze angenommen wurde. Im vergangenen Jahr ging die ursprüngliche Initiative für die Gewährung einer Winterbeihilfe vom Bundesrat aus, genau so wie heute, nur mit dem Unterschied, daß sich im vergangenen Jahr der Bundesrat nur dazu entschließen konnte, der Bundesregierung eine Anregung zu geben, während sich der Bundesrat diesmal zu einem Beschluß zusammenfand, der in einer Entschließung, die dann an die Bundesregierung weitergeleitet wurde, seinen Niederschlag fand. Diese Entschließung lautete:
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, baldmöglichst an den Kreis der Unterstützungsempfänger, der im vorigen Jahr die Sonderbeihilfe zur Beschaffung des Winterbedarfs an Kohle und Kartoffeln erhalten hat, auch in diesem Jahr eine Beihilfe auszuzahlen. Bei der Festsetzung der Höhe der Beihilfe ist die eingetretene Preissteigerung zu berücksichtigen.
Leider hat sich die Bundesregierung trotz des
frühen Termins, zu dem der Bundesrat an die Regierung herangetreten war — bereits am 27. Juli —,
auch in diesem Jahre wieder viel Zeit mit einer Beantwortung und mit einer Regelung gelassen, so daß wir gar nicht überrascht zu sein brauchen, wenn die davon betroffenen Personenkreise durch die Verzögerung außerordentlich beunruhigt sind.
Ich hatte bereits im vorigen Jahr im Auftrag meiner Fraktion bei der Begründung unserer Interpellation darauf hingewiesen, daß diese Verzögerung — denn die Bundesregierung hatte auch im vorigen Jahr die dazu notwendigen Erlasse erst am 3. November und 5. Dezember herausgegeben — unser stärkstes Befremden hervorgerufen hatte, und zwar deshalb, weil wir es politisch für falsch halten, durch solche Verzögerungen eine Fülle von sozialem Zündstoff sich ansammeln zu lassen, und weil wir es für richtig und notwendig gehalten hätten, daß die Bundesregierung von sich aus Schritte zur Regelung dieser Frage unternommen hätte.
Wir stellen mit Bedauern fest, daß die Bundesregierung aus der Debatte im vorigen Jahr keinerlei Konsequenzen gezogen hat, wie wir es ja überhaupt gewohnt sind, daß die Regierung die Wünsche des Parlaments selten respektiert.

(Widerspruch bei den Regierungsparteien. — Abg. Arnholz: Sehr richtig!)

Hätte die Bundesregierung ihre Konsequenzen daraus gezogen, so wäre sie früh genug in dieser Richtung tätig geworden;

(Sehr richtig! bei der SPD)

zum mindesten hätte sie den Bundesrat nicht bis zum 9. Oktober auf die Stellungnahme zu einer Entschließung warten lassen, die ihr bereits am 27. Juli zugeleitet wurde.
Ich stelle noch einmal fest: Im Juni nahmen die zuständigen Länderminister miteinander Fühlung und wiesen noch im gleichen Monat in einer Entschließung auf die Notwendigkeit hin, das Problem der Winterbeihilfe rechtzeitig anzupacken. Im Juli setzten die Länder ihre Bemühungen einzeln in Bonn fort. Die Bundesregierung antwortete nicht.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Ende Juli schaltete sich der Bundesrat ein und faßte die Entschließung. Die Bundesregierung antwortete nicht.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Am 1. September machte Niedersachsen detaillierte Vorschläge über die Auszahlung der Winterbeihilfe. Die Bundesregierung antwortete nicht.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Inzwischen wurde es kalt. Kohlen und Kartoffeln sollten eingekellert werden. Die betroffenen Personenkreise wußten immer noch nicht, was die Bundesregierung beabsichtigte, so daß wir uns veranlaßt sahen, unsere Interpellation am 2. Oktober einzureichen.
Am 9. Oktober endlich erschien der Erlaß der Bundesregierung über die Regelung der Winterbeihilfe. Wir hätten also nun unsere Interpellation von der Tagesordnung zurückziehen lassen können, wenn es uns nicht interessiert hätte, einmal zu erfahren, warum die Bundesregierung immer so lange Zeit braucht, um zu einer sozialen Leistung zu kommen, deren Notwendigkeit in diesem Hause wohl kaum bestritten wird, und wenn — und das ist uns noch viel wichtiger — wir uns mit der beabsichtigten Regelung über die Gewährung der Winterbeihilfe hätten einverstanden erklären können. Aber dem ist nicht so, meine Herren und Damen. Wir stellen mit Bedauern fest, daß die


(Frau Korspeter)

Leidtragenden der Stillhalteaktion, die von dem Herrn Bundesfinanzminister von einigen Wochen im Hinblick auf die sozialen Aufwendungen des Bundes verkündet wurde, nun zu allererst die Personengruppen sind, die auf eine angemessene Zuwendung von seiten des Bundes angewiesen sind, wenn sie nicht ohne Kartoffeln und ohne Kohlen in den Winter hineingehen sollen.
Im vorigen Jahr hat der Bund die Winterbeihilfe für sämtliche Alfü-Empfänger und für die AluEmpfänger, soweit sie den Alfü-Empfängern wirtschaftlich gleichgestellt waren, in gleicher Weise wie bei den Kriegsfolgehilfe-Empfängern der öffentlichen Fürsorge und den ihnen gleichgestellten Personenkreisen übernommen. Im vergangenen Jahr wurden Sätze von 25 Mark für den Haushaltungsvorstand und 10 Mark für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen als verrechnungsfähig anerkannt. In diesem Jahre aber bleibt der Bund nach dem Erlaß vom 9. Oktober in seiner Beteiligung an den notwendigen Beihilfen für den erhöhten Winterbedarf erheblich hinter den Leistungen des Vorjahres zurück. Nach einem Schreiben des niedersächsischen Ministerpräsidenten an den Herrn Bundeskanzler — dieses Schreiben ist ja allen niedersächsischen Abgeordneten des Hauses zugegangen — und nach einer Presseinformation des niedersächsischen Sozialministers verweist in diesem Jahre die Bundesregierung mindestens 650 000 Hauptunterstützungsempfänger der Arbeitslosenfürsorge an die Fürsorgeverbände, und rund 550 000 Empfänger von versicherungsmäßiger Arbeitslosenunterstützung sollen keine vom Bund geförderte Winterbeihilfe erhalten, da sie fürsorgerechtlich nicht als hilfsbedürftig gelten.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Darüber hinaus sollen in diesem Jahr für den Hauptunterstützungsempfänger nur 20 Mark und für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen nur 5 Mark verrechnet werden. Und das, meine Herren und Damen, bei den augenblicklichen Preisen, ganz besonders bei den augenblicklichen Kartoffelpreisen!
Das ist eine Regelung, zu der wir nicht ja sagen können. Wir wünschen nicht, daß die Empfänger der Alu und Alfü an das Wohlfahrtsamt abgeschoben werden, ganz abgesehen davon, daß die Bezirksfürsorgeverbände verwaltungsmäßig auch gar nicht mehr in der Lage wären, vor Weihnachten die fürsorgerechtliche Hilfsbedürftigkeit dieses riesigen Personenkreises zu überprüfen. Im Gegenteil. Wir vertreten die Ansicht, daß für diesen Personenkreis eine Winterbeihilfe oder Wirtschaftsbeihilfe durch die Arbeitsämter ausgezahlt werden muß und daß sämtliche Alfü-Empfänger und die ihnen wirtschaftlich gleichstehenden Alu-Empfänger ohne weiteres als hilfsbedürftig gelten und daß sich der Bund in gleicher Weise wie im vorigen Jahr daran beteiligen muß. Auch die Bundesregierung hätte wissen müssen, daß fürsorgerische Maßnahmen technisch jetzt überhaupt nicht mehr durchführbar sind und daß durch diesen Erlaß die gesamte Winterbeihilfe in Gefahr gebracht wird.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Wir sind nicht der Meinung, daß der Bund so verfahren kann. Der soziale Schaden, den eine solche Regelung eintragen würde, wäre wahrscheinlich allzu groß.
Hierbei handelt es sich um den vom Bund betreuten Personenkreis. Wir meinen aber auch, daß
allen Rentenempfängern und allen sonstigen Unterstützungsempfängern eine Wirtschaftsbeihilfe, die außerhalb der allgemeinen Fürsorgepflichtleistungen liegen muß, zu gewähren ist. Ich möchte auch noch darauf hinweisen, daß sich die große Masse der Arbeitslosen in den Flüchtlingsländern befindet. Diese Massenarbeitslosigkeit sollte durch die Flüchtlingsumsiedlung aufgelockert werden. Der Bund war nicht in der Lage, diese Umsiedlung durchzuführen, und trotzdem will er sich weitgehend aus der Hilfe für arbeitslose Flüchtlinge zurückziehen! Wir sind der Ansicht, daß der Bund die Verantwortung für diesen Personenkreis trägt und daß er diesem Personenkreis die Möglichkeit geben muß, in einem gewissen Maße für den Winter vorzusorgen. Bleiben wir aber bei der von der Regierung vorgeschlagenen Regelung, so wird es viele Tausende Menschen geben, die in diesem Winter verurteilt sein werden, in einer kalten Stube und vor einem leeren Teller zu sitzen. Das aber, meine Damen und Herren, kann um des sozialen Schadens willen nicht von uns verantwortet werden, das kann nicht die Absicht dès Bundes sein.
Wir haben uns deshalb veranlaßt gesehen, im Zusammenhang mit unserer Interpellation den Antrag einzubringen, der Ihnen auf Drucksache Nr. 2724 vorliegt. Wir bitten Sie wegen der Eilbedürftigkeit der Materie, diesen Antrag nicht erst an den zuständigen Ausschuß zu überweisen, sondern gleich heute, genau so wie im vergangenen Jahr, darüber abzustimmen. Ich bitte noch einmal sehr herzlich, unserem Antrage zu entsprechen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117001800
Zur Beantwortung der Interpellation hat das Wort Herr Staatssekretär Bleek vom Bundesministerium des Innern.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0117001900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur, weil es die Pflicht der Bundesregierung ist, eine Interpellation zu beantworten, sondern auch, weil uns der Vorwurf gemacht worden ist, bisher auf verschiedene Fragen nicht geantwortet zu haben, darf ich ganz kurz über den bisherigen Gang der Angelegenheit und über das von uns Veranlaßte berichten. Dabei möchte ich bitten, bei der Betrachtung der Dinge doch eine scharfe Unterscheidung zwischen der Winterbeihilfe einerseits und der Weihnachtsbeihilfe andererseits zu machen.
Bei den bisherigen Diskussionen, namentlich auch im Bundesrat, sind diese beiden Begriffe, die etwas Grundverschiedenes darstellen und etwas Grundverschiedenes wollen, häufig durcheinandergeworfen worden. Es bestünde, wenn wir diese scharfe Sonderung nicht vornähmen, die Gefahr, daß beispielsweise bei der Annahme der in dem Antrag auf Drucksache Nr. 2724 genannten Sätze unter Umständen geringere Leistungen gewährt würden, als sie bei der jetzt von uns getroffenen Regelung gewährt werden.
Meine Damen und Herren! Die Winterbeihilfe — d. h. die Beihilfe, die dazu bestimmt ist, die Winterbevorratung namentlich bei Kohlen und bei Kartoffeln vorzunehmen — ist eine gesetzliche Pflichtleistung der Fürsorge und insofern in dem zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs erforderlichen Umfange, als gesetzliche und damit Anspruchsrechte verleihende Unterstützung zu gewähren. Das bedeutet, daß jede Festlegung von bestimmten Sätzen unzweckmäßig ist, weil infolge


(Staatssekretär Bleek)

des Grundsatzes der Individualität der öffentlichen Fürsorge im Einzelfall unter Umständen Sätze erforderlich werden, die geringer sind, unter Umständen aber auch Sätze, die höher sind als die hier genannten.

(Sehr richtig! rechts.)

Da es, soweit es sich um die Deckung des notwendigen Lebensbedarfs und um Kriegsfolgehilfeempfänger handelt, um eine gesetzliche Fürsorgeleistung geht, ist der Bund ohne weitere Regelung mit 85 % der hierfür aufgewandten Kosten erstattungspflichtig. Es hätte deshalb in diesem Jahre auf diesem Teilgebiet einer besonderen Regelung überhaupt gar nicht mehr bedurft, nachdem wir im vorigen Jahre klargestellt hatten, wie die Rechtslage ist. Die Länder wären also auf Grund der ihnen bzw. den Bezirksfürsorgeverbänden obliegenden Fürsorgeverpflichtung ohne weiteres nicht nur in der Lage, sondern auch verpflichtet gewesen, bereits zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt die Vorbereitung zur Auszahlung dieser Winterbeihilfen für den Bevorratungsbedarf der hilfsbedürftigen Bevölkerung in Angriff zu nehmen. Wir haben aber gleichwohl in dem Erlaß vom 9. Oktober, der hier verschiedentlich zitiert worden ist, diese Rechtslage, an der sich nichts geändert hat, noch einmal eindeutig klargelegt.
Ich möchte weiter darauf aufmerksam machen, daß auf derartige Beihilfen nicht nur diejenigen Hilfsbedürftigen einen Anspruch haben, die in laufender Fürsorge stehen, sondern auch solche, bei denen ihr eigenes Einkommen für die Deckung dieses besonderen zusätzlichen Lebensbedarfs nicht ausreicht, und zwar auch dann, wenn dieses Einkommen nicht allzu wesentlich über dem Fürsorgerichtsatz liegt. Alle diese Personenkreise, d. h. also bei Erfüllung dieser Voraussetzungen auch Alfüund Alu-Empfänger, würden also auf Grund der von uns getroffenen, sich aus der Gesetzeslage ergebenden Regelung ohne weiteres in den Genuß der Winterbeihilfen gelangen. — Ich glaube, damit die Fragen unter 1 und 2 der Interpellation beantwortet zu haben.
Nun möchte ich aber zur Ergänzung noch ausführen, daß wir auch bezüglich der Weihnachtsbeihilfen, die also nicht im Rahmen der gesetzlichen Pflichtleistungen der Fürsorge liegen, sondern zusätzliche außerordentliche Leistungen sind, in diesem Jahre — teilweise abweichend vom vorigen Jahr — einige Regelungen getroffen haben. Ich darf dabei auf folgendes aufmerksam machen: Weil es sich um außerordentliche Beihilfen handelt, die nicht der Erfüllung der gesetzlichen Fürsorgepflicht dienen, besteht an sich nach dem Überleitungsgesetz für den Bund eine Verpflichtung zur Erstattung von 85 % nicht.
Wir haben aber ebenso wie im Vorjahre auch für diese Weihnachtsbeihilfen eine Verrechnungsfähigkeit unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen, und zwar ausgehend von der Erwägung, daß ja auch für die übrigen Betreuten der öffentlichen Fürsorge namentlich von den Bezirksfürsorgeverbänden derartige Weihnachtsbeihilfen gezahlt werden und daß wir nicht mitverursacht haben wollen, daß etwa den Kriegsfolgehilfeempfängern deswegen, weil sich der Bund nicht beteiligt, derartige Weihnachtsbeihilfen von den Bezirksfürsorgeverbänden versagt werden. Unser Erlaß geht von folgender Regelung aus und läßt die Verrechnung von 850/o unter folgenden Voraussetzungen zu. Es muß Hilfsbedürftigkeit in dem vorhin umrissenen
Sinne vorliegen. Also auch hier können Alu- und Alfü-Empfänger und Notstandsarbeiter, wenn die Voraussetzungen bei ihnen erfüllt sind, die Weihnachtsbeihilfe bekommen. Die Verrechnungsfähigkeit wird anerkannt, soweit die Beihilfen den Satz von 20 DM für Alleinstehende und für den Haushaltungsvorstand und von 5 DM für jeden hilfsbedürftigen zuschlagsberechtigten Angehörigen nicht überschreiten; und schließlich muß es sich dem Sinn und Zweck des Überleitungsgesetzes und der Kriegsfolgehilfe entsprechend um Empfänger von Kriegsfolgehilfe handeln.
Soweit über diesen Kreis oder über die genannten Sätze hinausgegangen wird, müssen die Länder bzw. die Fürsorgeverbände die Beträge voll übernehmen. Die öffentliche Fürsorge ist nach dem Grundgesetz nun einmal Ländersache. Wir müssen bei der Höhe der Sätze, die wir hier festgelegt haben und mit 85 % auf den Bund übernehmen, auch berücksichtigen, daß wir damit die Länder und die Bezirksfürsorgeverbände zur Zahlung gleicher Sätze für die Nicht-Kriegsfolgehilfeempfänger verpflichten. Diese Verpflichtung ergibt sich aus dem Überleitungsgesetz.
Eine gewisse und teilweise recht erbitterte Kritik ist geübt worden, weil in diesem Jahre, in dem wir an sich die Sätze für die allgemeinen Fürsorgeempfänger erhöht haben, die Sätze der Weihnachtsbeihilfe für die Alfu-Empfänger niedriger geworden sind. Ich bitte aber auf folgendes hinweisen zu dürfen: Im Vorjahr war die Regelung so, daß zwar für die Alfu-Empfänger 25 DM gegeben wurden; es war aber, falls sie eine Winterbeihilfe, also eine Bevorratungsbeihilfe erhielten, vorbehalten, die Weihnachtsbeihilfe darauf anzurechnen. Das wird in diesem Jahre nicht geschehen. Es darf vielleicht auch nicht ganz außer acht gelassen werden, daß
durch das Gesetz vom 29. März dieses Jahres die Tabellensätze um 10 % erhöht worden sind, woraus sich doch immerhin eine gewisse Besserstellung des hier in Frage kommenden Personenkreises ergibt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß damit die Fragen der Interpellation im wesentlichen beantwortet sind. Es ist nicht zu verkennen, daß durch die aus dieser Neuregelung sich ergebende Überprüfung der Hilfsbedürftigkeit für AlfuEmpfänger unter Umständen eine Verwaltungsarbeit nicht ganz unerheblichen Umfanges eintreten wird. Wir erwägen deshalb, um die Angelegenheit auf alle Fälle rechtzeitig vor Weihnachten über die Bühne gehen lassen zu können, eine gewisse Erleichterung dahin eintreten zu lassen und das in einem ergänzenden Erlaß festzulegen, daß eine besondere fürsorgerechtliche Prüfung der Hilfsbedürftigkeit unterbleibt, wenn die Bedürftigkeit im Sinne der Alfu-Bestimmungen gegeben ist. Es würden dann also weitgehend die kommunalen Fürsorgeämter ausgeschaltet sein und die Prüfung den Arbeitsämtern überlassen bleiben können, wobei dann auch erwogen werden kann, ob die Auszahlung durch die Arbeitsämter vorzunehmen ist.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117002000
Meine Damen und Herren, Sie haben die Beantwortung der Interpellation gehört. Darf ich fragen, ob eine Besprechung der Interpellation gewünscht wird?

(Abg. Frau Niggemeyer meldet sich zum Wort.) Das ist offenbar nicht der Fall.


(Zuruf von der Mitte: Doch, Herr Präsident!)

— Eine Besprechung findet statt, wenn 50 Abgeordnete sie wünschen. Ich bitte doch, diese nun


(Präsident Dr. Ehlers)

ziemlich oft angewandte Geschäftsordnungsbestimmung in Erinnerung zu behalten.

(Zurufe.)

— Also die Besprechung wird gewünscht. Ich schlage vor, die Besprechungszeit auf 60 Minuten festzusetzen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Niggemeye.

Maria Niggemeyer (CDU):
Rede ID: ID0117002100
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir betonen mit der gleichen Leidenschaftlichkeit wie die Rednerin der antragstellenden Fraktion die Notwendigkeit einer Winterbeihilfe und einer Weihnachtsbeihilfe. Ich bedaure, mich nicht mit der gleichen Leidenschaftlichkeit an der Kritik beteiligen zu können, die sie unserer Bundesregierung hat zuteil werden lassen.

(Zuruf links.)

Ich freue mich, daß die Ausführungen des Vertreters des Innenministeriums die Kritik, die geübt worden ist, weitgehend entkräftet haben. Ich freue mich, daß aus den Ausführungen des Vertreters des Ministeriums klar geworden ist, daß einer Aktivität der Länder bezüglich der Auszahlung von Wirtschafts- und Winterbeihilfen bis heute durchaus nichts im Wege stand.

(Zuruf von der SPD.)

Den meisten von uns hier ist wohl nicht unbekannt, daß überall auf kommunaler oder auf Kreisebene längst die Vorarbeiten für eine Wirtschafts- und Winterbeihilfe im Gange sind. Ich kann mir nicht denken, daß nur gerade in meinem Heimatkreis oder im Lande Nordrhein-Westfalen die Aktivität so groß sein soll. Ich freue mich, daß klargestellt ist, wie die gesetzlichen Grundlagen hier sind. Indem ich noch einmal sage, auch wir sind der Ansicht, daß für den Personenkreis, um den es in der Interpellation und in dem Antrag der SPD geht, alles getan werden muß, betone ich mit der gleichen Eindringlichkeit: wir können bei der Überprüfung solcher Anträge nicht gefühlsmäßig entscheiden, sondern haben uns an die bestehenden Gesetze innerhalb von Bund und Ländern zu halten. Da nun einmal nach der Verfassung die Fürsorgeangelegenheiten Sache der Länder sind, muß der Hauptteil dieser Dinge auch vom Land getragen werden. Da nach den gesetzlichen Bestimmungen der Bund gehalten ist, 85% aller Lasten zu tragen, die Kriegsfolgefürsorge betreffen, ist — das betone ich noch einmal — der Weg für die Länder offen, hier mehr zu tun als im vergangenen Jahr, als sie nur 75% ersetzt bekamen. Vielleicht — ich sage nicht „gewiß" - sind auch diese 10% geeignet, einen Ausweg zu schaffen, wenn nach den Richtlinien, die das Ministerium oder die Regierung an die Länder ausgegeben hat, Gruppen minder bedacht sein sollten. Der uns vorliegende Antrag der SPD kommt doch einigermaßen überraschend. Er ist in seiner Formulierung und in der Auswirkung, die er wünscht, von einer solchen finanziellen Bedeutung, daß es uns nicht möglich erscheint, heute durch Abstimmung eine Entscheidung darüber zu treffen. Meine Freunde sind der Ansicht, daß wir diesen Antrag der Sozialdemokratischen Partei an den zuständigen Ausschuß, an den Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge, überweisen sollten. Ich bitte darum.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117002200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kneipp.

Dr. Otto Kneipp (FDP):
Rede ID: ID0117002300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Niggemeyer hat am Schluß ihrer Ausführungen die Bitte an das Hohe Haus gerichtet, dafür zu stimmen, daß der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion — Nr. 2724 der Drucksachen — dem Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge überwiesen wird. Ich schließe mich diesem Vorschlag an. Zwar steht in dem Antrag auch ein sogenannter Finanzierungshinweis; es heißt: „Die Mittel sind im Ergänzungshaushalt bereitzustellen." Das ist — entschuldigen Sie — ein Redeblümchen, mit dem die Mittel nicht bereitgestellt werden können. Sie wissen ja, auch im Bundesrat hat man viele und recht schöne Worte für die Abwicklung der ganzen Angelegenheit gefunden. Aber auch im Bundesrat hat sich kein Mensch Gedanken darüber gemacht, wie diese Maßnahmen finanziert werden sollen. Es ist doch mit eine unserer Hauptaufgaben, daß wir uns im Ausschuß auch darüber Gedanken machen, wie die Mittel für diese Zahlungen beschafft werden sollen, soweit die Ausgaben den Bund belasten. Sie wissen, der Bundesrat, der hier in besonderer Fürsorge macht, hat auch bei der kürzlich erfolgten Abstimmung über den Prozentsatz, den er dem Bund aus dem Aufkommen an Einkommensteuer und Körperschaftsteuer gewähren will, eine sehr große Zurückhaltung an den Tag gelegt. Es sind uns nur 27% statt der 31,3% konzediert worden. Es ist für uns eine wesentliche Forderung, daß der Ausschuß das so eingehend wie möglich prüft. Schließlich wird als mitberatender Ausschuß der Haushaltsausschuß eingeschaltet werden müssen; denn ohne seine Einschaltung kann ein so wichtiges Problem unstreitig nicht gelöst werden. Ich bitte Sie, entsprechend zu beschließen.

Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117002400
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0117002500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frau Kollegin Niggemeyer und auch der Vertreter des Ministeriums haben uns hier gesagt, daß der Bundestag und die Bundesregierung an die bestehenden Gesetze gebunden seien. Bedauerlicherweise sind die Personen, um deren Winterbedarf es sich hier handelt, auch an die bestehenden Wohlfahrtsrichtsätze und Rentensätze gebunden. Wie diese Personen draußen über die Höhe der Renten denken und welche Forderungen sie erheben, das dürfte dem Bundestag in seiner Gesamtheit bekannt sein. Hinter uns liegen zwei große Verbandstage der beiden entscheidenden Kriegsopferorganisationen. Täglich gehen uns aus allen Kreisen der Rentenberechtigten gleichlautende Anträge auf Erhöhung der Renten zu. In allen Anträgen wird festgestellt, daß die derzeitigen Renten und die derzeitigen Unterstützungssätze völlig unzureichend sind. In allen Anträgen und in allen Zuschriften wird die Bewilligung von Teuerungszulagen zu den heute gezahlten Renten und Unterstützungen gefordert. Die Millionenmassen der Sozialberechtigten draußen erwarten also vom Bundestag und von der Bundesregierung eine sofortige Erhöhung der derzeitigen Renten und Unterstützungssätze. Das ist die Situation draußen. Nun werden wir auf die bestehenden Gesetze hingewiesen. Frau Kollegin Niggemeyer, davon wird leider der Ofen nicht warm, ganz abgesehen davon, daß Ihr Kohlenminister auch keine Kohlen zur Verfügung stellen kann.
Wenn man in den Ländern die Frage der Bewilligung von Weihnachtsbeihilfen und Winter-


(Renner)

beihilfen stellt, wird einem gesagt: wir haben keine Mittel, der Bund ist daran schuld. Wenn man die Frage in den Gemeinden stellt, reden dieselben Herren von der CDU von der Ausblutungspolitik der Länderregierungen und der Bundesregierung gegenüber den Gemeinden. Jeder sagt: Ich habe kein Geld, und jeder sagt: Ich bin nicht zuständig. Nun haben wir gehört, der Bund ist wenigstens für die Empfänger von Kriegsfolgehilfe zu 85 % zuständig.

(Zuruf von der Mitte: Für die Erstattung!) Dazu darf ich auf folgendes hinweisen. Bei den Gemeinden und demzufolge auch bei den Ländern haben die letzten, minimalen Erhöhungen der Rentenbezüge dazu geführt, daß große Einsparungen in den laufenden Haushalten gemacht werden konnten. In Gemeinden von der Größenordnung der Stadt Essen z. B. ist allein durch die beiden letzten Erhöhungen der Invalidenrente ein Betrag von mehr als einer halben Million DM an Wohlfahrtsmitteln eingespart worden. Beachten Sie also die Auswirkung: jede minimale Rentenerhöhung, die hier oben erfolgt, führt in der Gemeinde zu einem Abzug von den Leistungen der ergänzenden Wohlfahrtspflege und zu Einsparungen. Aber den Rentenberechtigten ist weder durch das, was hier geschieht, noch viel weniger durch das, was in der Folge in den Gemeinden geschieht, irgendwie geholfen. Das tatsächliche Einkommen bleibt für den armen Invaliden dasselbe wie vordem. Hungerrenten, Hungerunterstützungen! Die Rentenberechtigten fordern von uns Hilfe.

Nun zurück zu dem Antrag der SPD. Der sozialdemokratische Antrag unterscheidet sich in zwei Punkten von einem Antrag, den wir eingereicht haben. Ich meine unseren Antrag vom 3. September. Der eine Unterschied besteht in dem Datum; unser Antrag ist vom 3. September, der sozialdemokratische Antrag vom 24. Oktober. Unser Antrag unterscheidet sich aber von dem sozialdemokratischen Antrag auch in der Höhe der geforderten Leistungen. Wir haben in unserem Antrag die Bewilligung von Winterbeihilfen generell für alle Bezieher von Invalidenrenten, von Alu und Alfü, von Kriegsopferrenten, soweit Ausgleichsrente gezahlt wird, für alle Empfänger von öffentlicher Wohlfahrtsunterstützung usw. gefordert. In unserem Antrag ist auch gesagt, daß wir diese Zuschläge unabhängig vom Vorliegen der Bedürftigkeit gezahlt wissen wollen. Wir sind der Auf fassung, daß die derzeitigen Rentensätze es den Rentenbeziehern unmöglich machen, den notwendigen Winterbedarf zu decken. Von diesem Tatbestand aus muß man an die Angelegenheit herangehen.
Nun liegt, wie ich schon sagte, unser bereits am 3. September gestellter Antrag im Ausschuß. Hoffentlich erlebt er nicht dasselbe Schicksal wie der Antrag, den wir Ende des vorigen Herbstes gestellt haben und der bekanntlich erst vor einigen Wochen hier beerdigt worden ist. Was wir wollen, was wir fordern müssen, ist, angesichts der unverkennbaren Steigerung der gesamten Lebenshaltungskosten und angesichts der derzeitigen elenden Rentenbezüge diesem gesamten Personenkreis — ganz unabhängig davon, ob er nach den Begriffen der Fürsorgepflichtverordnung bedürftig ist — eine einmalige Beihilfe zu gewähren, die zur Deckung des notwendigen Winterbedarfs ausreicht. Das ist unsere Auffassung von diesen Dingen.
Ich wiederhole, die Organisationen, die berufenen Sprecher der Sozialberechtigten und der Kriegsopfer, verlangen, daß der Bundestag hilft. Was der Herr Vertreter des Ministeriums uns hier in Aussicht gestellt hat, ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein und weniger als das, was im vorigen Jahr von der Regierung gegeben worden ist. Ich kann von ihm auch gar keine andere Antwort erwarten, da ja vor ungefähr 14 Tagen ein Beschluß des Kabinetts bekanntgegeben worden ist, nach dem die Regierung die Auffassung vertritt, daß eine Erhöhung der derzeitigen Bezüge der Sozialberechtigten in ihrer Gesamtheit unmöglich ist und abgelehnt werden muß. Angesichts der Tatsache, daß die Adenauer-Regierung und ihr Finanzminister Schäffer ihre Haltung bereits öffentlich festgelegt haben, bleibt nur übrig: daß die Kollegen aus der sozialdemokratischen Fraktion diesmal mit größerer Entschiedenheit als bei dem im vorigen Winter von uns gestellten Antrag für unseren Antrag kämpfen, der ja schon acht Wochen alt ist. Stimmen wir also für unseren Antrag, kämpfen wir für unseren Antrag! Vielleicht kommt dann wenigstens so viel heraus, wie Sie von der sozialdemokratischen Fraktion in Ihrem Antrag gefordert haben. Aber kämpfen muß man gegen diese Regierung des Hungers, wenn man den Notleidenden draußen helfen will. Kämpfen muß man und darf nicht beantragen, die Angelegenheit an den Ausschuß zu überweisen.

(Beifall bei der KPD. — Zurufe von der Mitte und rechts: Alter Kämpfer! — Heiterkeit.)


Dr. Hermann Ehlers (CDU):
Rede ID: ID0117002600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Brökelschen.

Dr. Else Brökelschen (CDU):
Rede ID: ID0117002700
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es hat keinen Zweck und ich habe es auch nicht vor, mich mit Herrn Renner hier über soziale Verpflichtungen zu unterhalten.

(Zuruf des Abg. Renner.)

— Herr Renner, wir hören hier immer wieder dasselbe, und wir können Ihnen nur immer wieder sagen: solange Sie nicht erst einmal mit der allerprimitivsten sozialen Gerechtigkeit in der Ostzone anfangen, sollen Sie uns hier mit Ihren Anträgen in Ruhe lassen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Renner.)

Was mich als Niedersächsin nur bewegt, hier noch ein paar Worte zu sagen, das sind die Ausführungen meiner Kollegin Korspeter. Frau Korspeter, ich bedaure sehr die Leidenschaftlichkeit, mit der Sie hier Ihre Ausführungen gemacht haben. Ich hatte tatsächlich manchmal das beklemmende Gefühl, daß hier nicht eine verantwortungsbewußte Vertreterin der SPD, sondern eine gefühlserregte Kommunistin stand.

(Empörte Zurufe von der SPD: Oho! Abg. Schoettle: Unverschämtheit!)

Frau Korspeter, das ist angesichts der ganzen Materie nicht gut!

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Was haben Sie gemacht? Sie haben C einen Antrag der niedersächsischen Regierung, der allen Abgeordneten aus Niedersachsen zugegangen ist — das haben Sie selbst gesagt —, zu einer Interpellation benutzt. Sie haben gar nicht den Versuch gemacht, das, was hier vom Ministerium sachlich aufgeklärt wurde, vorher irgendwie festzustellen, sondern haben sich in die Gefühlsausbrüche mit dem kalten


(Frau Dr. Brökelschen)

Ofen und all diesen Dingen verloren. Frau Korspeter, wenn irgendwo, dann hätte die Sozialdemokratische Partei, die jetzt in Niedersachsen die ausschließliche Verantwortung hat, die Möglichkeit, in
Niedersachsen alles an sozialen Möglichkeiten zu
verwirklichen, was einem sozialen Staat möglich ist.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich muß aber leider feststellen, daß gerade aus Niedersachsen immer wieder die Klagen kommen, daß da, wo man etwas tun könnte, die Dinge verschleppt werden. Das gilt vom Kriegsopferversorgungsgesetz, das gilt vom Gesetz zu Art. 131.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Ich meine, wenn Sie in Niedersachsen den ausschlaggebenden Einfluß haben, dann sollten Sie diesen zunächst einmal dafür einsetzen, dort, wo die gesetzlichen Grundlagen vorhanden sind, zu helfen und damit Dinge in Ordnung zu bringen und soziale Notlagen zu beseitigen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Nun noch ein letztes. Wir sind die letzten, die die Notlage verkennen, die da ist.

(Zurufe von der SPD.)

Wir sind auf der anderen Seite der Meinung, daß es in einer großen Notlage nicht immer nur der Bund sein kann, der helfen soll, sondern daß auch die Länder und Gemeinden ihre Pflichten zu erfüllen haben. Herr Renner, es ist durchaus richtig, die Gemeinden haben Ersparnisse gemacht. Aber wer verwehrt ihnen denn nun, das, was sie auf der einen Seite gespart haben, auf der anderen Seite für soziale Zwecke wieder einzusetzen?

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Renner.)

Wir haben Anträge genug, soziale Mißstände zu beheben. Ein entscheidender Beitrag nach dieser Richtung ist der Antrag der CDU auf Schaffung von Familienausgleichskassen.

(Sehr richtig! in der Mitte. — Widerspruch links.)

Ich möchte jedoch feststellen, daß dieser Antrag, ich glaube, bereits acht Wochen im Ausschuß liegt und noch nicht zur Verhandlung gekommen ist. Hier sollte man einhaken und versuchen, die Dinge zu machen, die man eben mit Agitation nun und nimmer machen kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


(Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt den Vorsitz.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117002800
Das Wort hat Frau Abgeordnete Nadig.

Frieda Nadig (SPD):
Rede ID: ID0117002900
Meine Herren und Damen! Ich bedaure den Ton, den Frau Abgeordnete Brökelschen eben in die Auseinandersetzung hineingetragen hat.

(Zuruf von der Mitte: Wer hat denn damit angefangen?)

Ich bin der Meinung, daß es sich hier um sachliche Dinge handelt — nicht um persönliche —, die nicht vom Bund, sondern im einzelnen nur von den Ländern geändert werden können.
Aber zu unserem Antrag selbst. Wir wollten damit erreichen, daß man dieselbe Regelung, die im vorigen Jahr bezüglich der Verteilung des Tragens der Kosten getroffen wurde, auch in diesem Jahr vornimmt. Wir haben nicht den Eindruck, daß man
angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse die in unserem Antrag genannten Sätze herabsetzen kann, wie das der Herr Regierungsvertreter hier vorgeschlagen hat, sondern wir glauben, daß man an dem Satz von 30 Mark bzw. 12 Mark für den Familienangehörigen unbedingt festhalten muß. Wo sind denn die Lebenshaltungskosten heruntergegangen? Das Gegenteil ist doch der Fall. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen, daß der große Kreis dieser Hilfsbedürftigen heute überhaupt nicht mehr in der Lage ist, den Lebensunterhalt zu decken. Etwa 10 Millionen Menschen in der Bundesrepublik haben ein monatliches Einkommen von unter 100 Mark! Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß mit diesem Betrag das Leben nur gefristet werden kann. Sehen Sie sich die Teuerung in den letzten Wochen an! Nicht einmal Erwerbstätigen ist es möglich, Fleisch und Butter zu kaufen, geschweige denn dem Kreis von Menschen, der in unserem Antrag erfaßt werden soll.
Betrachten Sie auf der anderen Seite die letzte Rentenerhöhung! Wir glaubten, es sollten den Sozialrenten 25 % zugeschlagen werden. Dadurch, daß man die Auffüllbeträge voll angerechnet hat, sind gerade die kleinen Rentner zu kurz gekommen.

(Sehr richtig! links.)

Die Bezieher von monatlich 40 und 50 Mark Rente haben überhaupt keine Erhöhung oder nur Pfennige mehr bekommen. In diesem Zusammenhang auch ein Wort über die Rente der Vollwaisen. Sie beträgt monatlich 30 Mark und ist im Zuge der Erhöhung um nicht einen Pfennig erhöht worden. Wie aber kann man ein Kind ohne Vater und Mutter von 30 Mark ernähren, kleiden und erziehen? Das ist weniger als ein Almosen. Diese o Kinder sind daher von vornherein auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Dasselbe gilt für die kleinen Renten. Wenn wir hier einen Ausgleich schaffen wollen, müssen wir diesen Menschen eine Wirtschaftsbeihilfe von 30 bzw. 12 Mark pro Person gewähren.
Wir wissen, daß mit dem Antrag diesen Hilfsbedürftigen nicht endgültig geholfen wird. Dazu müßte eine andere Rentenpolitik und darüber hinaus eine Preispolitik, die eine echte Senkung der Preise herbeiführt, gemacht werden. Die in diesen Tagen in der Presse angekündigte Senkung der Schweinepreise gehört zu den Dingen, die in der Praxis bestimmt nicht zum Zuge kommen. Die Erhöhung der Zölle auf Fleisch und Speck verhindert, daß der Schweinepreis sich senkt.
Abschließend bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen, d. h. ihn nicht an den Ausschuß zu überweisen, sondern hier zur Abstimmung zu bringen, damit die Hilfsbedürftigen noch zu Weihnachten in den Genuß der Zulage kommen. Jeder andere Weg bedeutet eine Verzögerung und damit ein Ausschließen dieser Kreise von der Unterstützung.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117003000
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.

(Abg. Dr. Wuermeling: Der hat doch keine Redezeit mehr! — Weitere Zurufe.)


Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0117003100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Brökelschen — —

(Glocke des Präsidenten.)



Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117003200
Herr Abgeordneter Renner, man sagt mir eben, Sie hätten Ihre Redezeit verbraucht. Ich gebe Ihnen noch 3 Minuten!

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0117003300
Mehr brauche ich auch nicht.

(Abg. Dr. Wuermeling: Er hat schon fünf Minuten darüber hinaus geredet!)

— Damit wird die Frage auch nicht gelöst, ob ich 3 Minuten länger spreche oder nicht!

(Weitere Zurufe. — Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117003400
Meine Damen und Herren, ich habe dem Abgeordneten Renner das Wort erteilt!

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0117003500
Vielleicht lassen Sie mich mal reden! Ich wäre schon längst fertig, wenn Sie mich nicht fortgesetzt unterbrechen würden!
Frau Kollegin Brökelschen hat sich die Sache bequem gemacht. Sie hat von dem Hunger gesprochen, der in der DDR herrschen soll. Vielleicht meint sie damit, daß in der DDR und in Ost-Berlin der Preis für den Zentner Kartoffeln 4,20 Mark beträgt. Aber die Anträge, die Resolutionen, die Hungerbriefe, die wir als Bundestagsabgeordnete bekommen, kommen doch aus Westdeutschland, nicht wahr!

(Sehr gut! bei der KPD.)

Der letzte Verbandstag der Kriegsopfer, des VDK, war in Trier. Dort war Ihr Herr Arbeitsminister. Dort war auch Ihr Herr Finanzminister, und er hat dort Hilfe zugesagt. Aber hier, wo es nun darum geht, diese Hilfe zu gewähren, wird uns ein Vortrag gehalten über die Zuständigkeit! Ich frage Sie: ist damit den Millionen draußen geholfen?
Wir haben mit unserem Antrag, den wir im September gestellt haben, erreichen wollen, daß die bereits im vorigen Jahr bewilligten Unterstützungen ohne besondere Prüfung der Bedürftigkeit auf den gesamten Kreis der Berechtigten ausgedehnt werden. Mit den von uns geforderten Sätzen haben wir der Tatsache Rechnung tragen wollen, daß inzwischen die Lebenshaltungskosten so ungeheuerlich in die Höhe gegangen sind. Das stand in unserem Antrag. Der Antrag liegt im Ausschuß. Was wir heute hier erlebt haben, gibt mir ein Recht, auszusprechen, daß unser diesjähriger Antrag voraussichtlich dasselbe Schicksal erleben wird wie unser Antrag im vorigen Jahr. Deshalb habe ich an die Kollegen von der SPD die Aufforderung gerichtet, zu kämpfen, damit die notleidenden Millionen draußen in diesem Winter nicht zugrunde gehen durch Hunger, Elend und Not. Mit Ihren Redensarten ist ihnen nicht geholfen, sie wollen Hilfe. Und sie haben Ihnen auch gesagt, woher die Mittel kommen sollen. Der Verbandstag des VDK hat Ihnen gesagt: ehe wir an die Leistung eines Verteidigungsbeitrages denken, müssen wir an die Regelung des sozialen Problems denken! Also die Deckungsfrage ist von dieser Seite auch bereits gelöst.

(Glocke des Präsidenten.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117003600
Ich bitte, zum Schluß zu kommen!

Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0117003700
Wir haben nur zu entscheiden, was wir wollen. Ich bitte den Bundestag, über den sozialdemokratischen Antrag hier zu entscheiden, hier eine Abstimmung herbeizuführen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117003800
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.

Wilhelm Mellies (SPD):
Rede ID: ID0117003900
Meine Damen und Herren! Aus den Ausführungen von Frau Kollegin Brökelschen müssen wir wohl die Überzeugung gewinnen, daß sie für das Amt des neuen Informations- oder Propagandaministers vorgesehen ist,

(Beifall bei der SPD)

das auf dem Parteitag der CDU in Karlsruhe so heftig diskutiert wurde.

(Unruhe und Zurufe in der Mitte.)

— Ja, Frau Niggemeyer, es nützt nichts, daß Sie darüber so sorgenvoll den Kopf schütteln! Ich hoffe, Sie haben selbst bei den Ausführungen, die die Kollegin Brökelschen hier gemacht hat, ein unangenehmes Gefühl gehabt.

(Erneute Zurufe in der Mitte.)

Im übrigen würde sie sich für das Amt des Informationsministers auch deshalb besonders eignen, weil sie sich mit ihren Bemerkungen so in die Nähe des Herrn Dr. Berg begeben hat, der ja auch in seinen letzten Ausführungen dargelegt hat, daß ein Teil der Sozialdemokratischen Partei wohl zu den Kommunisten zu zählen sei. Meine Damen und Herren, wenn Sie die Auseinandersetzungen darüber auf diesem Niveau führen wollen, — von uns aus können Sie das mit aller Eindeutigkeit, Klarheit und Schärfe haben!

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Aber wenn man sich hier herstellt, Frau Brökelschen, und derartige Behauptungen aufstellt, dann sollte man sich zunächst einmal über den wirklichen Stand der Dinge orientieren. Sie haben über Niedersachsen gesprochen. Sie haben davon gesprochen, daß wir die Dinge allein in der Hand hätten. Ich nehme an, Ihre Information reicht wenigstens so weit, zu wissen, daß auch in Niedersachsen eine Koalitionsregierung besteht.

(Lachen und Zurufe in der Mitte.)

— Ach, meine Damen und Herren, Sie sollten doch
Ihr Mißbehagen über die Entwicklung der Dinge
in Niedersachsen durch die Art, wie Sie sich jetzt
hier aufführen, nicht so offen zur Schau tragen!

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Zweitens müssen Sie sicht doch, bevor Sie sich hier herstellen und solche Ausführungen machen, einmal ein klein wenig davon überzeugen, welche Vorschläge und Anträge denn im niedersächsischen Kabinett beschlossen worden sind, nämlich die Sätze von 30 und 12 bzw. bei langfristigen Arbeitslosen von 35 und 15 D-Mark. Wenn Sie das gewußt hätten — ich hoffe, daß Sie es wissen, und wenn Sie es nicht gewußt hätten, hätten Sie sich informieren müssen —, würden Sie solche Behauptungen nicht aufgestellt haben. Ich glaube, wenn Sie soviel davon reden, daß Sie Ihre Politik aus christlicher Verantwortung machen, dürften Sie sich nicht in dieser Weise hier auf die Tribüne stellen und derart ernstgemeinte Anträge mit solch billigen Redensarten abfertigen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117004000
Das Wort hat Frau Abgeordnete Brökelschen.

Dr. Else Brökelschen (CDU):
Rede ID: ID0117004100
Meine Herren und Damen! Es ist gesagt worden, ich sei für den Posten des Informationsministers geeignet.

(Abg. Renner: Dazu gehört nicht viel!)



(Frau Dr. Brökelschen)

Vielleicht leistet mir dann Herr Mellies Gesellschaft und übernimmt den Posten des Erziehungsministers!

(Heiterkeit in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

Meine Herren und Damen, ich will nur feststellen, daß nicht ich an der Entwicklung, die die Debatte genommen hat, schuld bin,

(Zuruf von der SPD: Selbstverständlich!)

sondern die ganze Art und Weise, in der Frau
Korspeter hier ihre Ausführungen gemacht hat:

(Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

Frau Korspeter, wenn Sie wissen möchten, wieso es komme, daß die Bundesregierung immer so lange Zeit brauche, bis sie einmal eine soziale Leistung vollbringe,

(Zuruf der Abg. Frau Korspeter)

- Frau Korspeter, das haben Sie gesagt —, dann
sind das merkwürdige Fragezeichen, und ich fühle
mich als ehrlich verantwortliches Mitglied der Koalition verpflichtet, diese Vorwürfe richtigzustellen.

(Zuruf des Abg. Mellies.)

Herr Mellies, ich habe materiell gar nicht Stellung genommen; Frau Niggemeyer hatte ja der Überweisung der Angelegenheit an den Ausschuß zugestimmt.
Meine Herren und Damen, ich bin froh, daß es hier endlich einmal zu dieser Debatte über Niedersachsen gekommen ist. Ich habe nur einmal auf die Hintergründe hingewiesen. Meine Herren und Damen von der SPD, ich bleibe dabei: Sie haben jetzt in Niedersachsen — Sie haben den BHE als Koalitionspartei erwähnt, und wir haben uns erlaubt, dabei ein kleines Lächeln an den Tag zu legen —

(Zurufe von der SPD)

die Verantwortung für die sozialen Fragen. Machen Sie ernst mit der Realisierung; dann bin ich die letzte, die irgendwelche Angriffe erhebt. Es geht aber nicht an, überall den Bund als den Verantwortlichen und den Schuldigen hinzustellen und dann gleichzeitig seitens der Länder jede Steuererhöhung abzulehnen.

(Abg. Dr. Wuermeling: Sehr richtig!) Hätten wir die 31 %, dann brauchten wir uns wahrscheinlich hier über diese Fragen gar nicht zu unterhalten.


(Lachen und Zurufe bei der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

— Meine Herren und Damen, mit Lachen und Zwischenrufen bringen Sie die Dinge nicht in Ordnung. Wir werden uns im Ausschuß über die ganze Angelegenheit sachlich unterhalten. Dann werden auch die sachlichen Aufklärungen des Herrn Vertreters des Ministeriums zur Geltung kommen, die von Ihnen hier überhaupt nicht beachtet worden sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117004200
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; die Aussprache ist geschlossen.
Ich lasse abstimmen. Zu dem Antrag auf Drucksache Nr. 2724 liegt seitens der CDU ein Antrag auf Verweisung an den Ausschuß für öffentliche Fürsorge vor und seitens der FDP ein Antrag auf Verweisung an den Haushaltsausschuß. Ich nehme an, daß über diese beiden Anträge in einem Ab-
stimmungsgang abgestimmt werden kann. Wer dafür ist, daß der Antrag auf Drucksache Nr. 2724 an den Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß verwiesen wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist überwiesen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über die Sorge für die Kriegsgräber (Kriegsgräbergesetz) (Nr. 2667 der Drucksachen).
Ich frage das Haus, ob es bereit ist, auf eine mündliche Begründung durch die Regierung zu verzichten, ob es sich mit der schriftlichen Begründung, die dem Gesetzentwurf als Anlage 1 beigelegt ist, begnügen will. Ist das Haus einverstanden?

(Zustimmung.)

— Kein Widerspruch.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. Ist das Haus einverstanden?

(Zustimmung.)

— Dann ist der Entwurf zu überweisen an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen und an den Haushaltsausschuß.

(Zuruf von der FDP: Ausschuß für innere Verwaltung!)

— Ist das noch nötig: auch an den Ausschuß für innere Verwaltung? Ich glaube nicht, daß das erforderlich ist. — Ist das Haus mit der Überweisung an diese beiden Ausschüsse einverstanden, wobei der erstgenannte federführend sein soll? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung vom 22. Februar 1951 (Nr. 2643 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Begründung 10 Minuten und für die Aussprache eine Gesamtredezeit von 60 Minuten zu beschließen. — Das Haus ist einverstanden.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn zur Begründung des Entwurfs.

Peter Horn (CDU):
Rede ID: ID0117004300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte mir nachzusehen, wenn ich in der mir zur Verfügung stehenden Zeit von 10 Minuten Ihnen den vorliegenden Initiativantrag nicht bis in die letzten Einzelheiten vortragen und begründen kann. Ich möchte mich auf wesentliche Bemerkungen beschränken und darf namens der Regierungsparteien dazu folgendes sagen.
Das Gesetz über die Wiederherstellung der Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung ist datiert vom 22. Februar 1951. Inzwischen sind 8 Monate ins Land gegangen. Diese erhebliche Spanne Zeit — das muß heute mit sehr tiefem Bedauern registriert werden — hat nicht gereicht, um die nach dem Gesetze erforderliche Wahlordnung, auf Grund derer dann erst die Wahlen für die Organe der Selbstverwaltung stattfinden können, zu verabschieden.
Der Entwurf einer Wahlordnung hat drei Auflagen erlebt, und die dritte Auflage, die nach


(Horn)

wiederholten Besprechungen mit den beteiligten Sozialversicherungsträgern bzw. deren Verbänden zustande gekommen ist, liegt seit Monaten oder jedenfalls seit einer Reihe von Wochen im Bundesrat. Der Bundesrat hat sich in seinen verschiedenen Ausschüssen mit der Materie beschäftigt, und schließlich ist ein Beschluß zustande gekommen, wonach sich der Bundesrat außerstande sehe, die Wahlordnung zu verabschieden, bevor nicht vor allen Dingen zwei Punkte einer gesetzlichen Klärung zugeführt seien. Der eine Punkt betrifft die Frage, ob man den Rentenberechtigten das aktive Wahlrecht zuerkennen solle, der zweite Punkt, der nach der Meinung des Bundesrats unklar ist, betrifft die sogenannten Wahlausweise. Der Bundesrat hat gleichzeitig mit dieser Beschlußfassung auch einen Gesetzentwurf angenommen, der der Bundesregierung zugeleitet, aber leider bis heute diesem Haus noch nicht zugegangen ist. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn er heute mit auf der Tagesordnung gestanden hätte, damit der Ausschuß für Sozialpolitik dann mit aller Beschleunigung an die Arbeit hätte herangehen können.
Ich möchte also mit Nachdruck feststellen: die Tatsache, daß bis heute eine Wahlordnung noch nicht erlassen ist, hat nicht nur draußen in der Bevölkerung sehr erhebliche Verstimmung hervorgerufen, sondern des weiteren auch ein sehr wesentliches Ziel des Selbstverwaltungsgesetzes bis heute zu realisieren verhindert, nämlich die Versicherten und ihre Arbeitgeber durch die Urwahlen wieder näher an ihre Versicherungsträger und ihre Gemeinschaften heranzubringen.
Nachdem feststand, daß der Bundesrat diesen Standpunkt eingenommen hat, haben die Koalitionsparteien diese beiden vorhin erwähnten unklaren Punkte ihrerseits in den hier vorliegenden Gesetzentwurf einbezogen. Wenn darüber hinaus noch eine Reihe von anderen Fragen mit angefaßt worden sind, dann deshalb, weil das Selbstverwaltungsgesetz, so wie es verabschiedet wurde — die Praxis hat das in der Zwischenzeit ergeben —, eine Reihe von Lücken offen gelassen hat. Man kann deshalb dem Gesetz in seiner damaligen Fassung, so sehr viel Mühe auch darauf verwandt worden ist, sicherlich nicht gerade das Prädikat 1 a geben. Es ist notwendig, diese Lücken zu schließen. Die Erfahrungen, die seit dem Inkrafttreten des Gesetzes draußen im Lande mit verschiedenen Paragraphen gemacht worden sind, haben ebenfalls deutlich werden lassen, daß auch im übrigen noch verschiedene Ergänzungen erforderlich sind, um für die Praxis restlose Klarheit zu schaffen.
Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen darf ich Sie auf die Drucksache Nr. 2643 verweisen und zu den einzelnen Paragraphen folgendes ausführen. In § 1, der überschrieben ist „Organe", sind einige Lücken ausgefüllt, die das Gesetz aufweist. Im ursprünglichen Gesetz ist in § 2 Abs. 7 vorgesehen, daß für die Rentenversicherung als Vertreter der Versicherten auch Angestellte der Gewerkschaften oder der Vereinigungen von Arbeitnehmern gelten etc. Das ist damals nur für die Rentenversicherung bestimmt worden. Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir die gleiche Regelung auch für die Knappschaftsversicherung treffen, denn sonst wäre hier in der Tat eine Lücke vorhanden. Im selben Paragraphen wird bezüglich des § 4 Abs. 1 die gleiche Ergänzung nachgeholt, weil im damaligen Gesetz die Vereinigungen von Arbeitnehmern auch an dieser Stelle übersehen worden sind.
Eine weitere notwendige Ergänzung ist in dem Abs. 2 des Paragraphen enthalten, wo die Voraussetzungen bestimmt werden, unter denen jemand als Versicherter wahlberechtigt ist. Hier ist die Frist von 3 Monaten Beitragsentrichtung vorgesehen. Man wird darüber sprechen können, welche Festsetzung angemessen ist. Ich sage das, weil in dem Vorschlag des Bundesrats die doppelte Zeit
26 Wochen — angesetzt ist.
In Abs. 3 haben wir dann für die Bildung der Organe das aktive Wahlrecht auch der Rentenberechtigten verankert, das eben nach der Meinung des Bundesrates notwendig einer Klärung bedarf. Die Rentenberechtigten, die nach dem bisherigen Gesetz das passive Wahlrecht in beschränktem Umfange haben, sollen nach dem Willen dieser Vorlage im ganzen Umfang wahlberechtigt sein, also das aktive Wahlrecht haben.
Der Abs. 4 regelt die besonderen Voraussetzungen, die zu erfüllen bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung erforderlich ist. Ich möchte mich darauf nicht weiter einlassen.
Der § 2 füllt ebenfalls eine Lücke aus. Er ist überschrieben „Vorsitzende der Organe" und will festlegen, mit welcher Stimmenmehrheit bzw. nach welchem Abstimmungsmodus die Vorsitzenden der einzelnen Organe zu wählen sind.
Eine besondere Bedeutung hat nach meiner Auffassung der § 3, der die Überschrift „Geschäftsführer" trägt. Ich darf auch in diesem Zusammenhang auf den Text des ursprünglichen Gesetzes verweisen, wo in § 9 Abs. 5 vorgeschrieben ist, daß für die Geschäftsführer die dienstrechtlichen Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze gelten. Hier soll bestimmt werden, daß diese Voraussetzungen am Tage der Wahl erfüllt sein müssen. Es ist i aber auch zugestanden, daß, sofern die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, ihre Erfüllung innerhalb einer Zeit von 15 Monaten nachgeholt werden kann.
Die Regierungsparteien haben bei Einreichung dieses Antrags geglaubt, auch den sogenannten Außenseitern, wenn ich so sagen darf, also denjenigen, die nicht die vorgeschriebenen Examen abgelegt haben, irgendwie die Chance geben zu sollen, als Geschäftsführer bei einem Träger der Sozialversicherung tätig zu werden, wenn sie sich im sozialen Raum, im gewerkschaftlichen Raum oder auf andere Weise nachweisbar die Qualitäten dazu erworben haben.
Der § 4 regelt die Wahl von Organen für inzwischen neu errichtete Sozialversicherungsträger.
Der § 5 spricht das an, was in dem dem Ausschuß für Sozialpolitik bereits vorliegenden Entwurf des Bundesrats geregelt werden sollte.
Ich sehe schon die „Schluß"-Lampe. Ich muß aber dem § 6 und den folgenden doch noch einige Sätze widmen. Vielleicht gibt der Herr Präsident mir auch zusätzlich drei Minuten, wie das vorhin bei einem anderen Redner geschehen ist.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117004400
Herr Abgeordneter, Sie bekommen fünf Minuten, wenn Sie sie brauchen!

(Heiterkeit.)


Peter Horn (CDU):
Rede ID: ID0117004500
— Das ist sehr liebenswürdig! — Bei § 6 — Wahlen und Wahl auf Grund von Wahlausweisen — gehen wir nun bei unserem Antrag ganz grundsätzlich von dem ab, was der Entwurf der Wahlordnung vorsieht. Die


(Horn)

Wahlordnung hat vorgesehen, die Wahlen im allgemeinen in die Betriebe zu verlegen, wahrscheinlich der Kostenersparnis wegen, vielleicht auch aus der Überlegung, daß man so die Menschen besser und in größerer Zahl an die Wahlurnen heranbringt. Wir glauben also — da wir in dem Gesetz ja auch die Möglichkeit der Einreichung freier Wahlvorschläge verankert haben —, solchen Personenkreisen, denen die organisatorischen und sonstigen Möglichkeiten fehlen, die Wahlvorbereitungen bis zur Wahlurne entsprechend intensiv zu betreiben, eine absolut freie Chance geben zu müssen. Deshalb sagen wir: Die Wahlen sollen frei und geheim sein.. Sie sollen im allgemeinen an Wahlsonntagen stattfinden, und zwar außerhalb der Betriebe. Nur da, wo eine Betriebskrankenkasse vorhanden ist, sollen sie in den Betrieben abgehalten werden. Im übrigen werden Einzelheiten für die Festlegung der Stimmbezirke vorgesehen. Wir werden darüber im Ausschuß sprechen müssen.
Die Ausstellung von Wahlausweisen und die Wahlordnung als solche möchte ich in diesem Zusammenhang übergehen. Was die Wahlausweise angeht, so ist die in § 7 vorgesehene Regelung nach unserer Auffassung eine logische, zwangsläufige Konsequenz aus dem § 6.
Den §§ 9 und 10 muß ich ein paar Sätze widmen. Hier handelt es sich in der Tat um draußen in der Praxis aufgetretene Schwierigkeiten, die jetzt behoben werden sollen. Wir glauben, daß der § 9, soweit er zunächst die Innungskrankenkassen angeht, diese Schwierigkeiten in der Tat weitgehend beheben kann und auch den Oberversicherungsämtern bzw. den Versicherungsämtern die Möglichkeit gibt, die Dinge auf dieser Basis möglichst reibungslos abzuwickeln. Wir glauben auch, daß bei der Vorschrift, wie wir sie vorgesehen haben, das demokratische Recht der Beteiligten genügend gewahrt ist.
Der Abs. 5 dieses § 9 sieht vor, daß mit dem Tage nach der Wahl einer Geschäftsführung die für die Angestelltenversicherung zu wählende Geschäftsführung aktiv werden soll, mit anderen Worten, daß von dem Tage ab die Funktionen der früheren „Reichsversicherungsanstalt für Angestellte" durch die „Bundesversicherungsanstalt für Angestellte" übernommen werden. Ich will nur den Grundsatz herausstellen; auf Einzelheiten verzichte ich.
§ 10 hat in den Fällen, in denen er praktisch angewandt werden sollte, zu ganz erheblichen Schwierigkeiten geführt. Es kann gar keinem Zweifel Unterliegen, § 18 des ersten Gesetzes hat eindeutig den Willen zum Ausdruck gebracht, daß das, was damals durch Anordnungen der amerikanischen Besatzungsmacht oder anderer Besatzungsmächte — entgegen den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze — verfügt worden ist, wieder gutgemacht werden soll.
Ich muß mich hier auf Ausführungen beziehen, die dieser Tage, wie mir zuverlässig berichtet worden ist, auf dem sogenannten Deutschen Krankenkassentag in Frankfurt gemacht worden sind; in Wirklichkeit handelt es sich nur um eine Tagung der Ortskrankenkassen, der man gleichwohl die Bezeichnung „Deutscher Krankenkassentag" zulegt. Dort ist ein Angriff gegen diesen Gesetzentwurf mit dem Hinweis darauf gestartet worden, daß wir die Absicht hätten, damit auch das Problem der französischen Zone wieder aufzurollen. Das ist gesagt worden, obschon in der vorigen Woche hier bei mir im Bundeshaus der Bonner Vertreter der Vereinigung der Ortskrankenkassenverbände eine diesbezügliche Rückfrage gehalten hat und ich dem Herrn eindeutig erklärt habe, daß es nicht unser Wille sei, das aufzurollen, weil dazu kein Anlaß vorliege. Ich habe erklärt, daß das nicht beabsichtigt sei, alldieweil die Dinge in der französischen Zone durch die Ländergesetzgebung damals wieder korrigiert worden sind; hier sind also die durch die Anordnungen der französischen Militärregierung vom Jahre 1946 geschaffenen Verhältnisse wieder in Ordnung gebracht. Es denkt also niemand daran, das noch einmal anzufassen.
Das, worum es hier geht, ist folgendes. Es soll endlich zum Zuge kommen, was wir gewollt haben, daß nämlich bei den Ersatzkassen in Bremerhaven, bei der Landkrankenkasse in Meschede — ich weiß nicht, ob noch ein dritter Fall vorhanden ist — die Dinge in Ordnung kommen und daß wir einer Verzögerungspolitik, wie sie in diesen Bereichen tatsächlich betrieben worden ist, mit diesem Gesetz ein Ende machen wollen. Ich bitte das Haus, uns darin zu folgen. Wir schaffen damit nur die notwendige Klarheit. Ich füge hinzu, daß mit diesen Bestimmungen den Beteiligten das demokratische Recht gewährt wird, darüber zu bestimmen, daß diese Versicherungsträger ihre Tore nicht mehr aufmachen sollen, wenn die Mehrheit der Beteiligten dieser Auffassung sein sollte.
Das wollte ich zur Begründung des Gesetzentwurfes sagen. Ich danke dem Herrn Präsidenten, daß er mir die zusätzlichen Minuten Redezeit gewährt hat.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, beantrage ich Überweisung dieser Vorlage an den Ausschuß für Sozialpolitik.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117004600
Das Wort hat der Abgeordnete Preller.

Dr. Ludwig Preller (SPD):
Rede ID: ID0117004700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird den Initiatoren dieses Antrages bekannt sein — der Abgeordnete Horn hat eben selber darauf hingewiesen —, daß dieser Antrag einer großen Reihe derjenigen, die davon betroffen oder an der Entwicklung der sozialen Sicherung interessiert sind, zu sehr ernsten Bedenken Anlaß gegeben hat. Gerade wenn, worauf der Herr Abgeordnete Horn eingangs — wie ich glaube, auch von seinem Standpunkt aus mit guten Gründen —, verwiesen hat, die Wahlordnung leider bis heute noch nicht erschienen, die Wahl also hinausgezögert worden ist, müssen wir mit Bedauern feststellen, daß der vorliegende Gesetzesantrag eine starke Tendenz zeigt, die Zersplitterung des Versicherungswesens, die wir schon haben, noch weiter zu treiben und das Zustandekommen der Selbstverwaltung in der Praxis weiter hinauszuschieben.
Sie wissen ja, daß schon das Selbstverwaltungsgesetz ein so kompliziertes Wahlverfahren festlegte, daß sich meine Fraktion damals nicht in der Lage sah, diesem Gesetz zuzustimmen, weil die Übersichtlichkeit der Wahl nicht garantiert war. Der Bundesrat hat denn auch in den letzten Wochen und Monaten die Lückenhaftigkeit dieses Gesetzes bescheinigen müssen. Der Bundesrat wollte sie mit einem Gesetzentwurf beseitigen, der in einem Paragraphen mit vier Absätzen die erforderlichen Ergänzungen bringen sollte.
Meine Damen und Herren, der Entwurf, den wir jetzt vorliegen haben, versucht nicht nur Lücken zu schließen, sondern auch einige Tendenzen zu


(Dr. Preller)

ändern, die seinerzeit das Selbstverwaltungsgesetz festgelegt hatte. Selbst Ministerialdirektor Eckert vom Bundesarbeitsministerium hat auf der Krankenkassentagung am Montag mit Bedauern festgestellt, daß durch diesen Entwurf Lösungen außerhalb der Reichsversicherungsordnung gesucht würden.

(Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)

Was uns an diesem Gesetzentwurf so außerordentlich mißfällt und weshalb wir glauben, daß er keinen Fortschritt bringt, das ist, daß er offensichtlich bestimmte Versicherungseinrichtungen bevorzugt, z. B. die Krankenkassen, die bisher geschlossen waren. Ohne daß ich auf die einzelnen Paragraphen hier eingehe, kann ich doch sagen, daß § 10 eine Lex Bremerhaven darstellt, ein Gesetz, das insonderheit zur Änderung von Bestimmungen und Zuständen im Gebiet von Bremerhaven, die offensichtlich nicht gefallen, ergehen soll.
Es ist aber auch nicht so, wie Kollege Horn hier ausgeführt hat, daß auch bei der vorgeschlagenen Regelung die bisherigen Verhältnisse in der französischen Zone bestehen blieben. Es mag der Wille der Antragsteller sein, in der französischen Zone keine Änderungen mehr herbeizuführen; aber der Gesetzestext, wie er vorliegt, läßt auch Krankenkassen in der französischen Zone, die bereits zum Ausdruck gebracht haben, nicht wieder aufleben zu wollen, automatisch wieder aufleben. Ich glaube, das geht nicht an.
Ich habe vorhin auf § 10 hingewiesen. Sowohl hier als auch bei anderen Bestimmungen des Entwurfs müssen wir feststellen, daß Minderheiten die Befugnis erhalten, Änderungen herbeizuführen. Herr Kollege Horn, ich kann Ihnen nicht folgen, wenn Sie glauben, daß der Gesetzentwurf in diesen Bestimmungen demokratischen Prinzipien folgt. Wenn Minderheiten von vornherein eine bevorzugte Stellung haben sollen, so kann ich das nicht demokratisch nennen.
Das gilt auch für die Bestimmung des § 1, nach der jenen Gruppen, die aus Vereinigungen von Arbeitnehmern bestehen, Rechte eingeräumt werden, die meines Erachtens schon im Selbstverwaltungsgesetz nicht in der bestehenden, Form hätten zugestanden werden sollen, die nun aber durch die hier vorgesehene Bestimmung noch starke Erleichterungen für diese nichtgewerkschaftliche Gruppe bringen.

(Lachen rechts.)

Ich bin nicht der Auffassung, daß das der Sinn eines solchen Gesetzes sein kann. — Sie auf der rechten Seite können ruhig lachen; ich glaube, daß es eine ganze Reihe von Organisationen und Gruppen geben wird, die auch Ihnen nicht gefallen und die auf diese Weise nun wieder in den Versichertenkörper hineingelangen könnten.
Meine Damen und Herren, wir hören in unserer Zeit von allen Seiten, die sozialpolitisch interessiert sind, immer wieder, es komme auf eine Zusammenfassung in der Sozialversicherung an. Jetzt muß ich aber feststellen, daß durch die Förderung von bestimmten Kassenarten eine neue Aufsplitterung erfolgt. In dem Augenblick, in dem der Bundesfinanzminister glaubt, durch eine Stilihalteaktion dem Parlament eine Art Stop der Sozialausgaben vorschreiben zu sollen —das ist eine Angelegenheit, die das Parlament noch beschäftigen muß —, können wir innerhalb der Sozialversicherungseinrichtungen nicht Regelungen treffen, die praktisch neue Ausgaben für diese Einrichtungen bringen. Wir sollten uns doch darüber klar sein, daß es nicht
darauf ankommt, die Handhabe für neue Verwaltungsausgaben zu schaffen, sondern darauf, die verfügbaren Mittel für eine Verbesserung der sozialen Leistungen anzusetzen.
Weil nun der Entwurf nicht nur einige Lücken schließt, die auch zum Teil in Ausführungsbestimmungen hätten geschlossen werden können, sondern weil er materielle Neuordnungen trifft, wird er praktisch die Herausgabe der Wahlordnung verzögern. Kollege Horn hat ja bereits auf das bisherige Schicksal der Wahlordnung hingewiesen. Meine Damen und Herren, dieses dicke Buch war der Entwurf der Wahlordnung. Auf ihn hatten sich immerhin nunmehr die Arbeitgeber, die Gewerkschaften und die Sozialversicherungsträger geeinigt. Nach diesem Gesetzentwurf und nach seiner etwaigen Annahme müßte diese Wahlordnung noch einmal neu bearbeitet, neu von den Instanzen beraten werden, obwohl eine Einigung bereits erfolgt war. Wann soll denn nun eigentlich die Wahl stattfinden? Glauben Sie, daß dieser Antrag in Kürze bereits über die Bühne gehen könnte? Ich glaube, Sie werden sich irren. Wir hatten zwar die beratenden Ausschüsse bei den Versicherungsträgern — und sie haben sicher nicht schlecht gearbeitet —, aber praktisch werden wir die autoritäre Führung in der Sozialversicherung, wie wir sie in der Nazizeit bekommen haben, noch längere Zeit weiter behalten.
Die Regelung der eigentlichen Selbstverwaltung, auf die es uns allen ankommt und ankommen sollte, wird noch einmal hinausgeschoben, obwohl sie schon sechs Jahre lang nicht zustande gekommen ist. Und weshalb? Ich glaube, man muß feststellen: weil sich in diesem Entwurf gewisse Sonderinteressen nach vorn gedrängt haben!

(Abg. Horn: Nein! Nein!) Das sollte aber doch die Regelung der Selbstverwaltung wirklich nicht aufhalten. Ich bin der Auffassung, daß Sie sich mit diesem Entwurf kein Ruhmesblatt erworben haben.

Wir werden den Entwurf im Ausschuß sehr gründlich beraten müssen, und ich hoffe, daß wir, wenn schon der Entwurf im Ausschuß beraten werden muß, dann wenigstens zu einer Regelung kommen, die uns eine baldige Wahl in den Versicherungskörperschaften ermöglicht.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117004800
Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.

Rudolf Kohl (KPD):
Rede ID: ID0117004900
Meine Damen und Herren! Es ist charakteristisch für die Arbeit, die vom Bundesarbeitsministerium auf den verschiedenen sozialpolitischen Gebieten geleistet wird, daß noch im jetzigen Zeitpunkt die Durchführungsverordnung für das bereits vor acht Monaten beschlossene Gesetz fehlt. Wir haben auf dem andern Sektor, dem arbeitsrechtlichen Gebiet, ähnliche Erscheinungen zu verzeichnen, und zwar trotz wiederholter Versprechungen, die vom Herrn Bundesarbeitsminister selbst oder seinem Staatssekretär in diesem Hause abgegeben worden sind, Versprechungen, die dahin gingen, daß die Dinge bereits ausgebrütet und im Bundesarbeitsministerium in irgendeine Form gegossen werden. Diese Dinge werden aber niemals hier dem Plenum des Bundestags vorgelegt.
Dasselbe erleben wir auf dem Gebiet der Änderung der Arbeitslosenversicherungsgesetzgebung, wo ebenfalls bisher vom Bundesarbeitsministerium


(Kohl [Stuttgart])

dem Bundestag auch nicht die Spur eines Gedankens vorgetragen worden ist. Immer wieder wurde behauptet, daß die Dinge in der Schwebe seien. Ich gehe mit dem Kollegen Preller absolut einig, daß mit der Vorlage dieses neuen Gesetzentwurfs die Wahl zu den Körperschaften in der Sozialversicherung praktisch überhaupt auf die lange Bank geschoben wird.

(Abg. Horn: Stimmt ja gar nicht!)

— Doch, sie wird auf die lange Bank geschoben; denn Sie werden zuerst den Gesetzentwurf — das heißt diese Änderung — mit dem Urgesetz in Einklang bringen müssen. Ändern müssen Sie, bevor Sie überhaupt die Wahlen durchführen können. Das ist eine Tatsache.
Wir haben die Verpflichtung, uns doch mit einigen Rosinen aus dem Kuchen, den uns der Kollege Horn serviert hat, zu beschäftigen. Ich glaube, einige Paragraphen zeigen sehr deutlich, was Sie eigentlich mit Ihrem Änderungsantrag zu diesem Gesetz bezwecken. Ich glaube, daß Sie nun einige Hintertürchen öffnen wollen, die zu öffnen Ihnen bei der Verabschiedung dieses wirklich nicht glänzenden Gesetzes betreffend die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung nicht gelungen ist. Ich weise beispielsweise auf den § 1 hin. Der Herr Kollege Preller hat mit Recht auf die Konsequenzen hingewiesen, die die Annahme dieses Paragraphen mit sich bringt. Ich glaube, Ihre Einbeziehung der Knappschaftsversicherung in den § 1 in diesem Zusammenhang entspringt dem sehr eindeutigen Wunsch, eine im Ruhrbergbau vorhandene Gruppe von sogenannten technischen Angestellten nun auf diesem Umweg in die Selbstverwaltungskörperschaft der Knappschaftsversicherung einzuschmuggeln. Die Tatsache besteht; denn ich kenne
die Eingaben dieser Gruppe, einer Gruppe, die mit gewerkschaftlichen Tendenzen aber auch nicht das mindeste zu tun hat, sondern die mit den Gedankengängen des Unternehmertums im Ruhrgebiet sehr eng liiert ist.
Weiter haben Sie noch in § 1 Abs. 2 eine sehr entscheidende Änderung, indem Sie nun bezüglich der Berechtigung zur Wahl nur von den Versicherten sprechen und dort den Nachweis einer dreimonatigen Beitragszahlung verlangen. Meine Herren, wenn Sie gerecht sein wollen, müssen Sie zugeben, daß Sie hier sehr einseitig verfahren, weil in diesem § 1 Abs. 2 mit keinem Wort davon die Rede ist wie man eigentlich die Unternehmer, die ebenfalls wählen wollen, zu kontrollieren gedenkt, ob sie die Beiträge, die sie dem Arbeiter abgezogen haben, an die Kassen der Sozialversicherungsträger vorschriftsmäßig entrichtet haben.
Bedenklich erscheint uns vor allen Dingen der § 3 dieses Gesetzes, von dem Herr Kollege Horn sagt, er gewähre eine gewisse Freizügigkeit, indem auch Kräfte, die nicht den Dienstweg gegangen seien, als Geschäftsführer zugelassen würden. Aber, meine Damen und Herren, den Pferdefuß, den Herr Kollege Horn allerdings nicht angeführt hat, sehen wir darin, daß der obersten Verwaltungsbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle die endgültige Bestätigung zusteht. Auch das ist wieder ein Schlag gegen den Gedanken der reinen Selbstverwaltung.
Der § 9 — Herr Kollege Preller wies ebenfalls mit Recht darauf hin — und der § 10 bringen tatsächlich in den wirklich nicht idealen Zustand der gesamten Sozialversicherung eine Zersplitterung hinein, die vermieden werden muß. Sie stellen als Faktum beispielsweise in § 9 die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte heraus. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß der Herr Bundesarbeitsminister auf der Krankenkassentagung davon gesprochen hat, eine Hilfe für die Krankenkassen, für die Sozialversicherung könne nicht damit erreicht werden, daß eine Erweiterung der Pflichtgrenze vorgenommen werde. Er bezog sich dabei auf den Antrag der Sozialdemokratischen Partei, die Pflichtgrenze auf 600,— DM zu erhöhen. Wenn aber der Herr Bundesarbeitsminister einmal erkannt hat, daß die Sozialversicherung so, wie sie gegenwärtig besteht, reformbedürftig ist, dann, glaube ich, muß diese Erkenntnis doch irgendwie ihren fruchtbaren Niederschlag finden. Ich bin der Auffassung, der Bundestag hat Veranlassung, dem Bundesarbeitsminister und seinen Bearbeitern dieses sozialpolitischen Problems doch einmal sehr ernstlich auf die Füße zu treten, damit wir in recht kurzer Zeit auch in diesem Hause die seit Jahren diskutierte notwendige Reform der Sozialversicherung zugunsten der Kranken und Sozialrentner behandeln können.

(Beifall bei der KPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117005000
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.

Margot Kalinke (CDU):
Rede ID: ID0117005100
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich hatte nicht erwartet, daß es heute wieder zu einer umfassenden Debatte um das Problem der Einheitsversicherung kommen würde. Auch war ich nicht Gast des Deutschen Ortskrankenkassentags und bin deshalb mit dem Gedankengut dieser . Diskussionen um unsere Gesetzesvorlage nicht so vertraut. Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß sich Herr Professor Preller mit Herrn Kohl, dem letzten Redner, restlos in seiner Auffassung von der Schaffung einer möglichst umfassenden „Staatsbürgerversorgung für jedermann" identifizieren möchte; aber ich verstehe doch, warum er einiges nicht wissen kann. Herr Kollege Dr. Preller ist sehr viel später in den Bundestag gekommen und konnte an den Beratungen über das Selbstverwaltungsgesetz, die nicht immer bequem und einfach waren, leider nicht teilnehmen. Wenn er dabei gewesen oder wenn er besser informiert worden wäre, dann wüßte er, daß uns niemals vorgeschwebt hat, mit dem Gesetz zur Wiederherstellung der Selbstverwaltung in den Sozialversicherungsträgern etwa die Probleme der Organisationsform der deutschen Sozialversicherung zu diskutieren oder so nebenher mitzuerledigen. Wenn Herr Professor Preller weiter gut informiert wäre, so wüßte er auch, daß all die Fragen, die er angeschnitten hat, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß nicht nur aufs gründlichste geprüft, sondern sogar widerlegt worden sind. So verlockend es wäre, auf dieses Problem einzugehen, habe "ich doch nicht die Absicht, diejenigen weitgehend zu belehren, die sich gut aus den damaligen Protokollen unterrichten können.
Ich möchte nur auf die Frage eingehen, die Herr Dr. Preller besonders erwähnt hat. Da möchte ich — und ich fühle mich hierin mit unseren Koalitionspartnern einig — zunächst Verwahrung dagegen einlegen, daß die Behandlung dieses Antrags etwa eine Verzögerung der Verabschiedung der Wahlordnung und der Durchführung der Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen zur Folge haben könnte, Ich bitte die Herren Kollegen aus der SPD, alles zu tun und dafür zu sorgen, daß dieser Antrag


(Frau Kalinke)

im Sozialpolitischen Ausschuß so schnell über die Bühne geht, wie Sie wünschen, daß der Antrag des Bundesrats über die Bühne gegangen wäre. Wir werden das unsere dazu tun. Es gibt darin keine neuen Probleme; es gibt nur ein Problem: jetzt festzustellen, daß nicht etwa der Bundestag, auch nicht sein Ausschuß, sondern der Bundesrat die Verabschiedung der Wahlordnung verzögert hat, als in seinen Ausschüssen wochenlang die Frage der Wahlausweise diskutiert wurde und als man sich nicht klar darüber war, ob die Rentner das aktive und passive Wahlrecht zur gleichen Zeit haben sollten. Als die Besprechungen mit den sogenannten Sozialpartnern und mit den Verbänden beendet waren, war es der Bundesrat, der Wochen und Wochen brauchte — das möchte ich nur sachlich feststellen —, um die Wahlordnung dann doch abzulehnen.
Wir müssen uns gegen den Vorwurf verwahren, daß bei diesem Gesetz Sonderinteressen vertreten würden oder daß es sich um eine Zersplitterung der Kräfte der Sozialversicherungsträger handele, wie es Herr Professor Preller ausgedrückt hat. Herr Professor Preller, als Sozialpolitiker wissen Sie so gut wie ich, daß in der französischen Zone die französische Militärregierung — inspiriert nicht allein von Ihren Freunden, sondern in der Hauptsache von denen des Herrn Abgeordneten Kohl; aber auch Ihre Freunde haben mitgeholfen — damals die Einheitsversicherung befohlen hat. In den Landtagen der französischen Zone ist nach demokratischen Regeln abgestimmt worden, und in den Landtagen der französischen Zone hat man sich zum deutschen Recht, wie es in der Reichsversicherungsordnung niedergelegt ist, bekannt; und die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter der Betriebe der französischen Zone haben sich dort bei den Abstimmungen mit großer Mehrheit für ihre Betriebskrankenkassen so ausgesprochen, wie sich die Arbeiter und Angestellten gelegentlich in ihren Treuebekenntnissen zu den Selbsthilfeeinrichtungen ihrer Ersatzkassen aussprechen.

(Abg. Kohl [Stuttgart]: Stimmt nicht ganz!)

- Das stimmt, und Sie wissen es. Wenn Sie diesen Zwischenruf machen, sprechen Sie gegen besseres Wissen.

(Zurufe von der KPD.)

Was geschah in Bremerhaven? In Bremerhaven hat ein Ortskrankenkassenleiter zusammen mit einem Ihrer Herren Genossen mit Hilfe der amerikanischen Militärregierung die Einheitskasse geschaffen!

(Glocke des Präsidenten.)

— Einen Augenblick. Gestatten Sie, Herr Präsident: Herr Dr. Hammer, haben Sie die Liebenswürdigkeit und geben Sie mir die Zeit Ihrer Fraktion?

(Abg. Dr. Hammer: Ich bitte darum!)

- Ich danke Ihnen. — Ich spreche — und ich bin mit den Freunden aus der Freien Demokratischen Partei und der Christlich Demokratischen Union einig — zu der Frage nur so, wie sie sich uns sachlich im Sozialpolitischen Ausschuß dargestellt hat. Die Innungskassen in Bremerhaven wurden geschlossen, weil man der Auffassung war, daß die Bäcker und Schlachter Eigenbrötler seien. Die Ersatzkassen wurden mit der Begründung geschlossen, die Geschäftsführer seien Mitglieder der NSDAP gewesen. Die Betriebskrankenkassen und die Landkrankenkassen wurden geschlossen, weil sie angeblich eine preußische Einrichtung seien. Es entbehrt nicht des Reizes, in die Geschichte jener Zeit nach 1945 hineinzuschauen und festzustellen,
wie entgegen jeder, aber auch jeder Vorstellung von Demokratie dort verfahren worden ist.

(Hört! Hört! und Sehr richtig! rechts.)

Ich glaube, die guten Demokraten in diesem Hause werden alle mit mir einig sein, daß die deutschen Versicherten selber zu bestimmen haben, wie die Form aussehen soll, in der sie sich ihre Krankenkasse wünschen.

(Zuruf von der SPD: Im Entwurf steht es anders!)

In der französischen Zone soll nichts anderes geschehen, als was überall und zu jeder Zeit unter der Reichsversicherungsordnung möglich war, und ich darf für die Auch-Sozialpolitiker, die heute in den Zeitungen schreiben, daß die Ortskrankenkassen noch mehr geschädigt werden, wenn weitere Krankenkassen zugelassen würden, nur noch hinzufügen: In der französischen Zone sind weder die Beiträge erhöht noch die Leistungen gesenkt worden, nachdem die Sonderkassen wieder zugelassen wurden.
Was uns das Experiment der uns von der russischen Kommandantur in Berlin bescherten Einheitsversicherung gekostet hat, meine Herren und Damen, darüber wollen wir in der augenblicklichen Situation und in dieser Stunde schweigen.
Ich wüßte nicht — ich habe, wie gesagt, die Reden beim Ortskrankenkassentag nicht gehört — was in diesem Entwurf verankert wäre, was außerhalb der RVO irgendeine Regelung zuließe. Ich weiß auch nicht, von welchen anderen Tendenzen Herr Professor Preller spricht, wenn er zum § 1 sagt, daß die Zulassung von Vereinigungen von Arbeitnehmern zur Einreichung von Wahlvorschlägen zu den Selbstverwaltungsorganen nicht demokratisch wäre. Ja, dann weiß ich nicht, was Herr Professor Preller, und wenn er für seine Freunde gesprochen hat, was seine Fraktion dann für demokratisch hält?! Setzen Sie voraus, daß etwa sämtliche Versicherten der deutschen Sozialversicherung Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind? Ich glaube, Sie sind mit mir der Auffassung, daß das nicht der Fall ist. Wenn es so ist, daß die Mehrzahl der Versicherten nicht ihre gewerkschaftliche Vertretung in einer Massen- und Einheitsorganisation hat und zu haben wünscht, dann sollen auch die übrigen Verbände, Organisationen und Gemeinschaften, in denen sich Arbeitnehmer zusammengefunden haben, dasselbe Recht haben, eine Liste aufzustellen, wie jede andere Gewerkschaft.

(Sehr richtig! rechts.)

Wenn wir als gute Demokraten die Selbstverwaltung als die vornehmste und edelste Tugend in der Demokratie wahrhaft pflegen und entwickeln wollen, dann wollen wir dazu beitragen, daß auch die Menschen an sie herangeführt werden, die nicht ihr Ideal in den Massenorganisationen unserer Zeit sehen.

(Aha! bei der SPD.)

— Nicht aha! Meine Meinung ist Ihnen bekannt, und ich habe sie nie verschwiegen. Herr Professor Preller, Sie kennen die Zahl der Zwangsversicherten genau so gut, wie Sie die Zahl der Zwangsorganisierten kennen! Wir wollen die Freiheit und wir wünschen die Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der sozialen Krankenversicherung wie in der sozialen Renten- und Unfallversicherung nach den Prinzipien der Demokratie und der Freiheit, die wir in einem Rechtsstaat so auffassen, daß sie nur unteilbar sein kann.

(Beifall rechts und in der Mitte.)



Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117005200
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.

Josef Arndgen (CDU):
Rede ID: ID0117005300
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem mein Fraktionskollege Horn das Initiativgesetz so ausgezeichnet begründete, hatte ich nicht die Absicht, zu diesem Thema das Wort zu ergreifen. Ich bin aber genötigt, auf einige Ausführungen des Herrn Kollegen Preller einzugehen.
Zunächst möchte ich ganz entschieden den Vorwurf zurückweisen, daß dieses Initiativgesetz aus irgendwelchen Sonderinteressen heraus eingebracht worden sei. Es ist eingebracht worden, Herr Kollege Preller, weil der Bundesrat an dem bisherigen Gesetz einige Mängel gefunden haben will, die ihn veranlaßten, die Wahlordnung nicht zu verabschieden. Damit nun der Bundesrat nicht noch einmal kommen und uns sagen kann, das Gesetz habe hier oder dort Unklarheiten und deshalb werde die Wahlordnung nicht verabschiedet — vielleicht aber auch aus ganz anderen Gründen, Herr Kollege Preller —, wollen wir in dieses Gesetz Klarheit hineinbringen, so daß die Wahlordnung erlassen werden kann, und man im Bundesrat nicht mehr mit Ausreden die Verabschiedung verzögern kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist im Ausschuß niemals strittig gewesen, ob die Rentner wahlberechtigt sind oder nicht. Wir haben nur das passive Wahlrecht verankert, damit nicht der Fall eintreten kann, daß die Gremien überwiegend von Rentnern besetzt werden. Auch bis zum Jahre 1933, als wir nur zu den Ausschüssen der Krankenkassen direkt gewählt haben, sind die Rentner nicht ausgeschlossen gewesen, wenn sie Mitglieder der Krankenkasse waren. Sie waren damals wahl- berechtigt; und es ist bei uns im Ausschuß niemals der Gedanke aufgekommen, daß die Rentner nicht wahlberechtigt sein könnten. Wenn die Dinge hier im Bundesrat nach der Seite hin aufgegriffen wurden, könnte man annehmen, daß dort andere Gründe maßgebend gewesen sind als bei den Initiatoren dieses Antrags.

(Abg. Richter [Frankfurt]: Was sagen Sie zum Geschäftsführer?)

Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Frage der französischen Zone.

(Abg. Richter [Frankfurt]: Geschäftsführer!) Ich bin in der Frage der französischen Zone der Auffassung — —


(Erneute Zurufe von der SPD: Was sagen Sie zum Geschäftsführer? — Geschäftsführer, habe ich gesagt!)

— Ich bin zunächst noch bei der französischen Zone. Auf den Geschäftsführer komme ich auch noch zu sprechen.

(Zuruf von der SPD: Also nichts!) Zunächst einmal zu der Frage: französische Zone. Ich bin der Auffassung, daß durch dieses Gesetz in die Regelung in der französischen Zone nicht eingegriffen wird, nachdem von dem Antragsteller dieses Initiativgesetzes ausdrücklich erklärt worden ist, daß die Regelungen beibehalten bleiben sollen, die in der französischen Zone durch Ländergesetz getroffen wurden.


(Abg. Dr. Preller: Der Wortlaut ist anders!)

— Herr Kollege Preller, wir arbeiten doch im Ausschuß an diesem Gesetz, und ich habe nichts dagegen, daß in den § 10 eine Formulierung hineingebracht wird, die es ausschließt, daß in die Regelung in der französischen Zone noch irgendwie eingegriffen werden kann.

(Zuruf von der CDU: Also mißverstanden werden kann!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun zu der Frage des Geschäftsführers. Ich weiß nicht, Herr Kollege Richter, warum Sie sich deswegen aufregen. Nach meiner Auffassung müssen hier wie in allen Einrichtungen, die nach 1945 geschaffen worden sind, die Kräfte entfernt werden, die auf Anordnung der Militärregierung oder was weiß ich warum, in Posten kamen, für die sie nicht geeignet sind. Ich könnte aus einer ganzen Reihe von Einrichtungen Beispiele nennen, wie dort Menschen gearbeitet haben und noch tätig sind, die mit diesen Dingen nie zu tun gehabt haben, die einfach in diese Posten hineingesetzt worden sind. Den Versuch, diese Dinge zu ändern, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollte jeder mitmachen, dem eine gesunde Verwaltung der Sozialversicherungsträger am Herzen liegt. Es ist ja von uns auch beabsichtigt, diejenigen, die sich diese Eigenschaften irgendwie auf einem anderen Gebiet angeeignet haben, durch Arbeiten entweder in der Gewerkschaftsbewegung oder sonst im sozialen Sektor, genau so zu behandeln wie diejenigen, die, sagen wir, die Laufbahn über die Examina durchgemacht haben.
Ich glaube, man kann uns nicht sagen, wir wollten hier irgendwelche Sonderinteressen vertreten. Ich möchte auch die Kollegen von der Opposition bitten, mit uns gemeinsam dafür zu sorgen, daß diese Änderungen des Gesetzes recht bald von uns verabschiedet werden, damit die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, recht bald auch zur Wahlordnung zu kommen und die Gremien demokratisch zusammenzusetzen.

(Beifall bei der CDU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117005400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Es ist der Antrag gestellt worden, diesen Entwurf dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Jacobi, Mellies, Dr. Dresbach, Lücke, Dr. Reismann, Ewers, Dr. von Merkatz und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung (RVO) (Nr. 2676 der Drucksachen).
Meine Damen und Herren! Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß keine Aussprache erfolgen soll. Will das Haus auf die besondere Begründung verzichten?

(Zustimmung.)

— Das Haus ist einverstanden. Auf die Aussprache wird ebenfalls verzichtet. Dann beschließt das Haus Überweisung an die Ausschüsse für Sozialpolitik und für Angelegenheiten der inneren Verwaltung.

(Abg. Mellies: Federführend an den Ausschuß für innere Verwaltung!)

— Ja, federführend an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und zusätzlich an den Ausschuß für Sozialpolitik. Dann ist so beschlossen.


(Vizepräsident Dr. Schmid)

Punkt 6:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über Sozialversicherung nebst Schlußprotokoll und drei Zusatzvereinbarungen (Nr. 2683 der Drucksachen).
Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, daß auf eine Aussprache verzichtet werden soll. Ich frage das Haus, ob es auf eine besondere mündliche Begründung durch die Regierung verzichten will.

(Zustimmung.)

— Das ist der Fall. Dann wird dieser Entwurf an den Ausschuß für Außenhandelsfragen überwiesen.
— Einverstanden? — Es ist so beschlossen. (Abg. Mellies: Ausschuß für Sozialpolitik!)

— Und an den Ausschuß für Sozialpolitik! (Abg. Mellies: s ist doch Punkt 6?)

— Ja, es ist Punkt 6!

(Abg. Mellies: Das hat mit Außenhandel nichts zu tun!)

— Auf einer Notiz des Büros, die mir hier vorliegt, steht: Außenhandel! Aber es hat mit Außenhandel in der Tat nichts zu tun; also: Ausschuß für Sozialpolitik!
Punkt 7:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit (20. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Bundesarbeits- und Sozialgerichte (Nrn. 2634, 2331 der Drucksachen).
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Sabel als Berichterstatter.
Was die Redezeit anbetrifft, meine Damen und Herren, so schlägt Ihnen der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vor.

Anton Sabel (CDU):
Rede ID: ID0117005500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Antrag der Fraktion der SPD wurde die Forderung erhoben, die Bundesregierung zu ersuchen, dem Bundestag alsbald einen Gesetzentwurf über die Arbeits-und Sozialgerichtsbarkeit vorzulegen. Weiterhin wurde in diesem Antrag gewünscht, daß für die Regierung bindende Beschlüsse über den Aufbau der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit gefaßt werden sollten. Darüber hinaus sollte drittens auch noch die sachliche Zuständigkeit dieser Gerichte durch einen Beschluß des Bundestages abgegrenzt werden.
Der Ausschuß für Arbeit schlägt Ihnen mit Drucksache Nr. 2634 vor, zu beschließen, an die Bundesregierung das Ersuchen zu richten, dem Bundestag unverzüglich Gesetzentwürfe über die Arbeitsgerichtsbarkeit und Sozialgerichtsbarkeit vorzulegen. Im Ausschuß bestand Einmütigkeit darüber, daß ein dringendes Bedürfnis vorhanden ist, die Spitze der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit bald zu schaffen. Zur Begründung ist zunächst die Notwendigkeit angeführt worden, baldigst zu einer Rechtseinheitlichkeit zu kommen. Weiterhin wurde geltend gemacht, daß es insbesondere beim Sozialversicherungs- und Versorgungsrecht darum geht, endlich die Möglichkeit zu schaffen, die Unzahl von Revisionen zu erledigen, die gerade in Sozialversicherungsstreitigkeiten und Streitigkeiten aus dem Versorgungsrecht vorliegen, daß es aber auch hier um der Rechtseinheitlichkeit willen notwendig ist, baldigst die höchste Instanz zu schaffen.
Strittig war die Frage, ob es zweckmäßig sei, entsprechend dem Vorschlage der SPD die Arbeits-und Sozialgerichte zusammenzulegen. Der Ausschuß hat hierzu Sachverständige auf dem Gebiete des Arbeits- und Sozialrechtes gehört, beispielsweise die Professoren Dr. Dersch, Dr. Nipperdey und Dr. Sitzler. Es sind weiterhin Praktiker aus der Arbeitsgerichtsbarkeit, die Präsidenten der Landesarbeitsgerichte in Mainz und Frankfurt und Fachleute aus der Praxis der Sozialversicherung, insbesondere aus den Oberversicherungsämtern, und außerdem noch Sachverständige aus dem Kreise der Sozialpartner gehört worden. Diese Sachverständigen haben fast einmütig die Auffassung vertreten, daß eine Zusammenlegung der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit nicht zweckmäßig sei, und zur Begründung dieser Auffassung unter anderem vorgetragen, daß die in Frage stehenden Streitigkeiten von unterschiedlicher Rechtsnatur sind. Arbeitsgerichtssachen sind im allgemeinen bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten des Arbeitsrechts; Ausnahmen sind beispielsweise Streitigkeiten aus dem Betriebsverfassungsrecht. Bei der Sozialversicherung und beim Versorgungsrecht ist die Situation anders; hier stehen öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zur Behandlung. Auch das Verfahren ist bei den verschiedenen Streitigkeiten unterschiedlich. Während wir im Arbeitsgerichtsprozeß im allgemeinen den Parteibetrieb kennen und die in einigen Punkten abgewandelte Zivilprozeßordnung Anwendung findet, ist die Grundlage für das Verfahren bei Streitigkeiten in der Sozialversicherung und im Versorgungsrecht ein Verfahren ähnlich dem, das wir bei den Verwaltungsgerichten kennen. Es wurden auch die Schwierigkeiten in der bezirklichen Einteilung betont, die einer Zusammenfassung der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit entgegenstehen würden.
Von den Antragstellern ist bei den Beratungen noch darauf verwiesen worden, daß die Fassung des Art. 96 des Grundgesetzes erkennen lasse, daß der Parlamentarische Rat eine Zusammenfassung der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit gewünscht habe. Der Ausschuß für Arbeit hat hierzu die Meinung des Bundesjustizministeriums eingeholt, er hat aber auch die Sachverständigen befragt. Übereinstimmend wurde die Auffassung vertreten, daß eine Zweigleisigkeit in der Arbeits- und Sozialrechtsprechung dem Wortlaut des Art. 96 des Grundgesetzes nicht entgegenstehe.
Über die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte hat der Ausschuß keine Vorschläge gemacht. Der dem Hause vorgelegte Antrag wollte der Bundesregierung bezüglich der Fassung der zu schaffenden Gesetze keine starre Bindung auferlegen; es wurde nicht für zweckmäßig gehalten, hier schon — wie es im Antrag der SPD-Fraktion gewünscht wurde — die Marschroute allzu eng festzulegen. Wir waren der Meinung, daß die Bundesregierung zweifellos die von den Sachverständigen im Ausschuß erstatteten Gutachten auch mit zur Grundlage ihrer Arbeit an den zu schaffenden Gesetzentwürfen nehmen sollte. Über die sachliche Zuständigkeit wird bei den abschließenden Beratungen der zu erwartenden Gesetzentwürfe zu diskutieren sein.
Nochmals möchte ich allerdings betonen, daß der Ausschuß es für dringlich hält, daß die gewünschten Gesetzesvorlagen bald dem Hause vorgelegt werden. Von der Bundesregierung ist die Erklärung abgegeben worden, daß ein Entwurf über die Arbeitsgerichtsbarkeit in aller Kürze zu erwarten


(Sabel)

sei; hier sind die Vorarbeiten sehr weit fortgeschritten. Kritischer sieht die Situation bei dem Entwurf über die Sozialgerichtsbarkeit aus. Auch hier ist im Ausschuß einstimmig der Wunsch vertreten worden, daß nun schnellstens ein entsprechender Gesetzentwurf dem Bundestag vorgelegt werde.
Ich bitte namens des Ausschusses, dem von ihm gestellten Antrag auf Drucksache Nr. 2634 Ihre Zustimmung zu geben.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117005600
Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Ludwig.

Adolf Ludwig (SPD):
Rede ID: ID0117005700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Antragstellung ging die sozialdemokratische Fraktion tatsächlich von Art. 96 des Grundgesetzes aus, wonach für das Gebiet der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit obere Bundesgerichte zu errichten sind. Wir haben im Ausschuß mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß namhafte Sachverständige getrennte Gerichte empfehlen, und die Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion haben sich bei der Beschlußfassung der Stimme enthalten.
Bei genauer Überprüfung scheint uns Art. 96 der Verfassung auch jetzt noch klar und eindeutig zusammengehörende Arbeits- und Sozialgerichte zu verlangen. Wir haben auch die Protokolle der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates überprüft und diese Auslegung bestätigt gefunden. Aber auch wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Bundessozial- und -arbeitsgerichte rasch geschaffen werden müssen, da sie ein dringendes Bedürfnis sind. Wir müssen rasch zu einer einheitlichen Rechtsprechung kommen. Wir stimmen deshalb heute für den vorliegenden Antrag des Ausschusses, dessen Realisierung ja eine nochmalige gründliche Überprüfung des Grundgesetzes erfordert. Wir hoffen auf eine baldige Vorlegung der Gesetzentwürfe.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117005800
Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.

Rudolf Kohl (KPD):
Rede ID: ID0117005900
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß man mit dem, was der Ausschuß vorschlägt, einverstanden sein kann. Wir bekennen ausdrücklich, daß wir Anhänger von zwei Instanzen sind, und warnen vor einer Zusammenfassung der Gesetzgebung auf dem Gebiete des Arbeitsrechts und der Sozialversicherung. Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte beweisen eindeutig, daß eine klare Trennung das zweckmäßigste ist und dem davon betroffenen Kreis am besten dient. Ich möchte aber auch hier grundsätzlich feststellen, daß die Errichtung von Bundesarbeits-
und -sozialgerichten in den Gesamtkomplex der Reform gehört und daß mit der einseitigen Errichtung dieser Gerichte immerhin noch die gesamte Problematik der Sozialversicherung offensteht. Die Bundesregierung sollte erkennen, wie dringend notwendig das Vorwärtstreiben dieser Reformarbeit ist, damit wir hier endlich zu einem Ganzen kommen und nicht immer wieder in dieser Form Flickarbeit leisten müssen.
Die Errichtung der Bundesarbeits- und -sozialgerichte ist nach unserer Überzeugung eine Angelegenheit der Selbstverwaltung, wie wir sie für die Sozialversicherungsträger vertreten. Wenn es eine reine Selbstverwaltung sein soll, haben Unternehmervertreter in den Spruchkammern nichts zu
suchen. Wir erinnern uns dabei an die Gedanken, die Herr Bundesinnenminister Lehr auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe vertreten hat und die nach unserer Meinung sehr gefährlich sind. Er hat dort unter Bezugnahme auf die von einigen Gerichten gefällten Urteile, die die Verfügungen der Landesregierungen auf Entlassung sogenannter staatsfeindlicher Elemente als verfassungswidrig bezeichnet und korrigiert haben, gesagt: „Wir müssen den unteren Gerichten beibringen, daß sie uns verstehen!" Ich glaube, daß damit die sogenannte Rechtsstaatlichkeit, die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit hier in den Vordergrund gestellt wird, gerade durch den Minister am stärksten erschüttert wird, der als Verfassungsminister eigentlich allen Anlaß hätte, die Verfassung zu schützen.
Wir kommen deshalb zu dem Schluß, die Errichtung der Bundesarbeits- und -sozialgerichte muß auf der Grundlage der reinen Selbstverwaltung erfolgen, und die Vertretungen in den Spruchkammern und in den Bundesarbeitsgerichten können nur aus den Versicherten selber bestehen. Wenn so verfahren wird, wird auch die Hoffnung des Herrn Bundesinnenministers Lehr, das Recht beugen zu können, zunichte werden.

(Beifall bei der KPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117006000
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Ausschußantrags auf Drucksache Nr. 2634 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik (21. Ausschuß) über den Antrag der Abgeordneten Dr. Ott, Frau Wessel und Fraktion des Zentrums betreffend Erhöhung der Beträge für alle Unterstützungsempfänger (Nrn. 2631, 1863 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten.

(Zustimmung.)

— Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Abgeordnete Freidhof als Berichterstatter.

Rudolf Freidhof (SPD):
Rede ID: ID0117006100
Meine Damen und Herren! Der Sozialpolitische Ausschuß hat sich in seiner Sitzung vom 25. September 1951 mit dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ott, Frau Wessel und Fraktion des Zentrums eingehend beschäftigt. Der Antrag trägt das Datum des 30. Januar 1951. In ihm wird eine Erhöhung der Beträge für alle Unterstützungsempfänger verlangt. Insbesondere sollen die Renten der Sozialrentner sowie die Sätze für die Arbeitslosenfürsorgeunterstützungsempfänger erhöht werden. Der Sozialpolitische Ausschuß hatte sich bereits in seiner 77. Sitzung vom 13. April 1951 mit dem Antrag beschäftigt und dem Plenum des Bundestags einen Antrag zugeleitet, in dem empfohlen wird, die Bundesregierung zu ersuchen, den Betrag der Renten und der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung, der durch die Verteuerung auf allen Gebieten unter das Lebensniveau gesunken ist, zu erhöhen. Als wir am 25. September 1951 im Sozialpolitischen Ausschuß erneut zu dem Antrag Stel-


(Freidhof)

lung nahmen, wurde darauf hingewiesen, daß der Bundestag bereits in seiner 127. Plenarsitzung vom 15. März 1951 eine Erhöhung der Arbeitslosenfürsorgeunterstützungssätze vorgenommen hat, daß weiter in der 160. Plenarsitzung vom 11. Juli 1951 die Gewährung einer Zulage in der gesetzlichen Rentenversicherung und außerdem in der 161. Plenarsitzung vom 12. Juli 1951 die einmalige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung der Preiserhöhung bei allen Grundnahrungsmitteln beschlossen worden ist.
Aus diesem Grunde hat der Sozialpolitische Ausschuß, da der Antrag bereits am 30. Januar gestellt worden ist und seit dieser Zeit bereits eine Reihe der in dem Antrag ausgesprochenen Wünsche erfüllt worden ist, einstimmig den Beschluß gefaßt, die Drucksache Nr. 1863 als erledigt anzusehen. Namens des Sozialpolitischen Ausschusses möchte ich das Hohe Haus bitten, seinem Antrage zuzustimmen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0117006200
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir stimmen ab. Wer für die Annahme des Antrags auf Drucksache Nr. 2631 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films (34. Ausschuß) über die Interpellation der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP und BP betreffend UFIAuktion in Wiesbaden (Nrn. 2668, 1590 der Drucksachen).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Gesamtaussprachezeit auf 90 Minuten zu begrenzen. — Das Haus ist einverstanden.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Vogel als Berichterstatter. — Der Abgeordnete spricht zunächst als Berichterstatter und unmittelbar anschließend als Sprecher seiner Fraktion.

(Vizepräsident Dr. Schäfer übernimmt den Vorsitz.)


Dr. Rudolf Vogel (CDU):
Rede ID: ID0117006300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, daß sich das Hohe Haus mit der Frage der UFI-Liquidation befaßt. Ich darf Sie auf die Interpellation Drucksache Nr. 1590 verweisen, in der damals bereits, und zwar von allen Parteien dieses Hohen Hauses, gegen die UFIAuktion in Wiesbaden Stellung genommen worden ist. Die deutsche Öffentlichkeit, vor allen Dingen die deutsche Presse, reagierte damals ungewöhnlich scharf und heftig auf diesen Versuch, Bundeseigentum ohne Mitwirkung der Bundesregierung zu veräußern. In der Zwischenzeit hat sich die Lage insofern verschärft, als sich die Hohe Kommission trotz der damals ausgesprochenen Warnungen und Beschwörungen nicht nur entschlossen hatte, das wertvollste Vermögensobjekt, die Filmstudios der Bavaria-Filmkunst G.m.b.H. in München-Geiselgasteig, im Bundesanzeiger auszuschreiben, sondern auch wenige Wochen später dazu überging, das zweitwertvollste Objekt, die Studios der Afifa in Wiesbaden, gleichfalls zur Auktion zu stellen.
Damit hat die Alliierte Hohe Kommission etwas wahrgemacht, was sie in einem Schreiben an Ministerialdirektor Blankenhorn vom 10. August 1951
zum Ausdruck brachte, in dem sie wörtlich erklärte - ich verlese es hier
Die Alliierte Hohe Kommission nimmt Ihre Besorgnis
— in diesem Zusammenhang: Protest gegen die Auktion —
zur Kenntnis, bedauert jedoch, Ihrer Bitte nicht stattgeben zu können und beabsichtigt, sobald wie möglich die für den Verkauf der betreffenden Vermögenswerte erforderlichen Schritte einzuleiten. Ihre Befürchtungen hinsichtlich der zu erzielenden Beträge werden sich hoffentlich als unbegründet erweisen.
Als der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films von dieser Ausschreibung des wertvollsten Vermögensbestandteils Kenntnis erhielt, beschloß er, einer Einladung der bayerischen Staatsregierung Folge zu leisten und eine Ausschußsitzung in München abzuhalten und sich gleichzeitig dieses Objekt anzusehen. In dieser Ausschußsitzung fanden ausführliche Beratungen über den Gegenstand statt. Der Ausschuß gelangte zu zwei Beschlüssen, und zwar zunächst einmal, die Bundesregierung zu ersuchen, Schritte gegen die bevorstehende Auktion zu unternehmen, zweitens, den Ausschußvorsitzenden zu beauftragen, auch im Auswärtigen Ausschuß dazu Stellung zu nehmen und dem Herrn Bundeskanzler den Beschluß des Ausschusses mündlich vorzutragen.
Nach einer gemeinsamen Sitzung mit dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß ist es dann zu dem Ihnen unter Drucksache Nr. 2668 vorliegenden Mündlichen Bericht gekommen:
Der Bundestag wolle beschließen,
die Bundesregierung zu ersuchen, bei der Alliierten Hohen Kommission dahingehend vorstellig zu werden, daß von dem Verkauf von Vermögenswerten nach Gesetz Nr. 32, insbesondere von dem angekündigten Verkauf der Bavaria Filmkunst G.m.b.H. bis zu dem Erlaß des der Alliierten Hohen Kommission bekannten deutschen Gesetzes abgesehen wird.
Ich darf Ihnen dazu noch folgendes ausführen. Bereits seit über anderthalb Jahren bemühen wir uns, hier zu einer Einigung zu gelangen. Die Verhandlungen über die sogenannte UFI-Liquidation stellen ja nur einen Teilabschnitt aus den überaus schwierigen Verhandlungen über die Dekartellisierung dar. Ich darf aber bei dieser Gelegenheit noch einmal darauf verweisen, daß der Ausschuß nicht müde geworden ist, darauf hinzuweisen, daß es sich hier bei der Ufa um einen Komplex handelt, der in keinerlei Zusammenhang zum Beispiel mit dem IG-Farben-Vermögen steht und auf den keinesfalls alle diejenigen Besorgnisse zutreffen, die seinerzeit bei der IG-Farben-Entflechtung von alliierter Seite vorgebracht worden sind. Der Verlauf der bisherigen Verhandlungen ist beinahe eine Tragödie. Ich darf jetzt feststellen — das wurde im Ausschuß ausführlich vorgetragen —, daß bereits im Oktober 1950, also vor genau einem Jahre, der damals eingereichte deutsche Gegenentwurf eines Gesetzes, das das Gesetz Nr. 32 überflüssig machen sollte, von den Alliierten nicht gebilligt und zurückgereicht worden ist. Es ist dann in langwierigen Verhandlungen ein neuer deutscher Entwurf entstanden, der am 20. März 1951 überreicht worden ist. Bis zum 25. Juli 1951 war auch auf diesen Entwurf keine Reaktion erfolgt. Und dann kam es zu dem Schreiben der Alliierten Hohen Kommission vom 10. August 1951, von dem ich Ihnen vorhin


(Dr. Vogel)

einen Teil vorlesen durfte, das, dazu in einer Tonart, die wir eigentlich nicht erwartet hätten, die deutsche Bitte abschlägig beschied.
Damit sah sich der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films vor die Frage gestellt, was er seinerseits unternehmen könnte, um im Weiterverfolg der Interpellation Drucksache Nr. 1590 gegen diesen beabsichtigten Verkauf vorzugehen. Er hat dann zusammen mit dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß einmütig den Beschluß gefaßt, der Ihnen vorliegt und den Ihnen der Ausschuß zur Annahme empfiehlt.
Soweit meine Berichterstattung über die Ergebnisse und die Vorgänge im Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films, die ich gleichzeitig auch als Berichterstattung für den Wirtschaftspolitischen Ausschuß aufzufassen bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich jetzt als Sprecher meiner Fraktion noch etwas von unserer Seite hinzufüge. Ich möchte diesen Anlaß benutzen, um in aller Offenheit, aber auch mit allem Ernst an die alliierte Hohe Kommission den Appell zu richten, Dinge zu vermeiden, die nur dazu führen können, das deutsch-alliierte Verhältnis zu trüben und zu erschweren. Das Verhalten der alliierten Hohen Kommission gerade in dieser Frage wird nicht nur mir, sondern, ich glaube, dem ganzen Hohen Hause völlig unbegreiflich erscheinen. Wir können einfach nicht einsehen, warum die Hohe Kommission sich nicht dazu entschließen konnte, dieses UfaVermögen zurückzugeben und es den deutschen Stellen zu überlassen, gemäß dem Gesetz zu verfahren, das ohnehin dem Hause in den nächsten Tagen zugeleitet wird, und das Vermögen zu liquidieren. Es bestehen deutscherseits keinerlei Vorbehalte, diese Dinge so durchzuführen, wie es in dem Gesetz vorgesehen ist und wie es nach unserer Absicht auch durchgeführt werden soll.
Ich möchte noch auf einen anderen Punkt hinweisen, der von den Alliierten in diesem Zusammenhang bis jetzt vielfach übersehen worden ist. Wir haben uns auf deutscher Seite bemüht, ein Gesetz zur Ablösung des alliierten Gesetzes 32 zustandezubringen, das, ich möchte sagen, bis an die Grenze des Erträglichen gegangen ist. Wenn auf der Seite der Westmächte tatsächlich die Absicht bestehen sollte, alliierte Gesetze nur in der Form durch deutsche Gesetze ablösen zu lassen, daß wir praktisch die alliierten Gesetze in Bausch und Bogen übernehmen und nur die deutsche Unterschrift daruntersetzen, so kann ich das nur als ein Verfahren bezeichnen, das wohl allgemein von uns abgelehnt wird. Ein solches Verfahren würde nicht der Würde dieses Hauses entsprechen und könnte auch nur dazu führen, alle diejenigen Vorbehalte antidemokratischer Kreise gegenüber den Westmächten in Deutschland noch deutlicher werden zu lassen, die wir in der Vergangenheit ohnehin so sehr bedauert haben. Ein solches Verfahren müßte automatisch auch zu einer Diskreditierung der gesamten deutschen Gesetzgebung führen und damit, wie ich glaube, auch zu einer Diskreditierung des Begriffs der Demokratie, wie wir ihn alle gemeinsam verstehen. Ein solches Verhalten und Verfahren kann einfach nicht im Sinne der Westmächte liegen, deren oberste Besatzungsziele ja eine Umerziehung des deutschen Volkes einschließen. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, unsere Gesetzgebung der der freien Staaten der Welt anzugleichen. Wir erhalten hier aber einen Anschauungsunterricht, der keineswegs geeignet ist, uns in der Erreichung dieses Ziels zu fördern.
An sich bestehen sehr ernste juristische Zweifel an der Gültigkeit des alliierten Gesetzes Nr. 32. Dieses Gesetz enthält nämlich eine Bestimmung, die gegen das Grundgesetz verstößt. Wir fragen uns, ob ein derartiges alliiertes Gesetz, das von demselben Gesetzgeber erlassen worden ist, der seinerzeit das Grundgesetz mit unterzeichnet hat, Gültigkeit hat. Meines Erachtens dürfte es sehr schwer sein, diese beiden Dinge in Einklang zu bringen.
Die Dinge werden aber dadurch noch fragwürdiger, daß sich in der Zwischenzeit eine zweite Angelegenheit hinzugesellt hat, die ich dem Hohen Hause nicht vorenthalten möchte. In der Zwischenzeit ist nämlich bei dem Gericht in Lage (Lippe) eine einstweilige Verfügung gegen den Ufa-Liquidationsausschuß — vergleiche Gesetz Nr. 32 Art. III — beantragt und erwirkt worden. Durch die einstweilige Verfügung wurde dem Ufa-Liquidationsausschuß auferlegt, alle Handlungen zu unterlassen, die, wie die beabsichtigte Veräußerung, Vermögenswerte berühren oder Gegenstand der Rückerstattungsansprüche sind. Damit war eine neue Rechtslage, zumindest für die britische Zone, geschaffen worden. Nun geschah folgendes: die britische Hohe Kommission ging gegen das Gericht in Lage (Lippe) vor und hob diesen Gerichtsbeschluß auf.

(Lebhafte Rufe links: Hört! Hört!)

Also auch hier hat sich eine Rechtsverwirrung ergeben, die auf die Dauer zu untragbaren Verhältnissen führen muß.
Es wäre wirklich im Interesse der Alliierten Hohen Kommission gelegen, wenn diese Dinge endlich einmal ihr Ende finden würden in einer Bereinigung der gesamten Lage. Man hatte mir, als ich in diesem Jahr Gelegenheit hatte, in Washington zu weilen, versichert, daß die amerikanischen Stellen nichts sehnlicher wünschten, als der deutschen Filmwirtschaft kräftige Hilfe beim Wiederaufbau zuteil werden zu lassen. Wenn diese Absicht wirklich in die Tat umgesetzt werden sollte, dann können wir uns nichts Besseres vorstellen, als daß man das Ufa-Vermögen so schnell wie möglich wieder in deutsche Hand zurückgibt und es uns Deutschen überläßt, Ordnung in unsere Filmwirtschaft zu bringen.

(Abg. Schoettle: Da kämen aber einige Geschäftemacher nicht auf ihre Rechnung!)

— Herr Kollege Schoettle, ich glaube, auf diesem Gebiete haben wir alle die gleichen Befürchtungen, und vielleicht bringt gerade Ihr Zuruf das zum Ausdruck, was wir alle bei dieser hinhaltenden Politik befürchten.

(Sehr gut!)

Bei dieser Gelegenheit darf ich noch auf etwas eingehen, was in der letzten Zeit aus Kreisen der Filmproduzenten in München verlautbart wurde. Dort ist von einer maßgebenden Stelle der deutschen Filmproduzenten gesagt worden, und zwar wörtlich, es sei diesen Herren gleichgültig, wer die Bavaria-Filmkunst veräußere. Ich möchte hier mit allem Nachdruck feststellen: Wenn die gleichen Kreise nicht müde werden, ihre Hand hinzuhalten, wenn es gilt, Bundesausfallbürgschaften zu erhalten, dann sollten diese Herren es sich dreimal überlegen, ehe sie einen solchen Ausspruch tun.

(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

Sie haben kein Recht, Schutz für eine deutsche Filmproduktion zu fordern, wenn sie uns auf der anderen Seite in einer Frage, die für uns weiß Gott keine Prestigefrage, sondern eine Grundsatzfrage schlechthin ist, in den Rücken fallen.


(Dr. Vogel)

Ich möchte meine Ausführungen schließen, indem ich noch einmal an die Vernunft appelliere, indem ich noch einmal bitte, es uns nicht allzu schwer zu machen, in diesen Punkten doch zu einer Übereinkunft zu gelangen. Es würde sich für die alliierte Seite weiß Gott nicht um einen Prestigeverlust handeln, wenn sie sich bereit erklären würde, noch vor dem Inkraftsetzen des deutschen Gesetzes, das demnächst ja dem Haus vorgelegt werden würde, auf die Veräußerung des Ufa-Vermögens zu verzichten. Sie würde damit eine Bereinigung der Lage schaffen. Sie würde uns und sich damit viel unnützen Ärger ersparen, und sie würde damit einen wirklichen Beitrag zu dem Geist von Washington leisten, den wir zumindest in diesen Verhandlungen zutiefst vermißt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117006400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hennig.

Arno Hennig (SPD):
Rede ID: ID0117006500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Objekt, das hier in Frage steht, ist keine Kleinigkeit. Bei der Bavaria-Filmkunst in Geiselgasteig setzt sich das zu veräußernde Vermögen aus einem vollausgerüsteten Filmatelierbetrieb mit allen dazugehörigen Gebäuden und Ausstattungen sowie acht Aufnahmehallen zusammen. Sechs dieser Aufnahmehallen und ein großer Teil der Apparate und Anlagen sind erst nach der Währungsreform angeschafft worden. Die Werte in Wiesbaden umfassen einen Atelierbetrieb mit drei Tonaufnahmehallen, ein Kopierwerk und Nebengebäude, die sämtlich erst seit 1949 errichtet worden sind; die festen Anlagen nebst Ausrüstung in Wiesbaden stellen einen Gesamtwert von etwa 2,4 Millionen D-Mark dar. Soviel zur wirtschaftlichen Größenordnung der in Frage stehenden Objekte! An sich schon ist es unmöglich, aus dem gesamten Ufa-Filmvermögen gerade diese beiden Objekte herauszugreifen, die für ein Wiederaufleben der deutschen Filmtätigkeit unerläßlich sind. Wollte ein Käufer diese Werte erwerben, so würde er etwa 20 Millionen aufzuwenden haben und vielleicht weitere 20 Millionen, um produzieren zu können. Das ist nach Lage der Verhältnisse unmöglich, und daraus allein schon geht die schwere Schädigung der deutschen Filmindustrie hervor, die. eintreten würde, wenn die Absichten der Alliierten durchgeführt werden sollten.
Das Problem hat, wie Herr Dr. Vogel schon ausgeführt hat, eine juristische Seite, die, wie ich glaube, heute noch nicht erschöpfend behandelt werden konnte. Sicherlich wird diese Sache noch ihr Nachspiel haben. Wir wollen uns gegenwärtig an die wirtschaftliche und politische Seite halten. Der letzte deutsche Gesetzentwurf, der nach dem beanstandeten ersten eingereicht worden ist, trägt all den Bedenken der Alliierten Rechnung, die sich auf die Entflechtung beziehen, so daß die Monopolbestimmungen der alliierten Gesetzgebung in keiner Weise verletzt werden. Damit müßte eigentlich jeder vernünftigen Forderung Genüge getan sein.
Ich muß jetzt doch noch etwas ausführlicher, als Herr Kollege Dr. Vogel es soeben getan hat, auf das merkwürdige Antwortschreiben der Alliierten Hohen Kommission an das Bundeskanzleramt vom 10. August 1951 eingehen. Dort heißt es:
Die Alliierte Hohe Kommission teilt Ihnen mit,
daß der vorgelegte Gesetzentwurf im allgemeinen annehmbar ist. Die Alliierte Hohe
Kommission erkennt die Schwierigkeiten an, die sich in diesem Zusammenhang aus dem Grundgesetz ergeben. Aus diesem. Grunde wünscht die Alliierte Hohe Kommission keine Einwendungen zu erheben gegen den jetzt vorgelegten Entwurf.
Da kann man nur sagen: Na also! Aber nun fährt man fort:
Die Alliierte Hohe Kommission hat Ihre Bitte zur Kenntnis genommen, mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, denen die deutsche Filmindustrie zur Zeit gegenübersteht, den Verkauf der fraglichen Filmvermögen, insbesondere des Vermögens der Bavaria-Filmkunst, aufzuschieben. Die Alliierte Hohe Kommission nimmt Ihre Besorgnis in diesem Zusammenhang zur Kenntnis,
— und nun kommt das Entscheidende! —
bedauert jedoch, Ihrer Bitte nicht stattgeben zu können, und beabsichtigt, so bald wie möglich die für den Verkauf der betreffenden Vermögenswerte erforderlichen Schritte einzuleiten. Die Alliierte Hohe Kommission hofft, daß es möglich sein wird, den Bundesbehörden in nächster Zeit die Vermögenskontrollaufgaben der täglichen Verwaltung der UFI-Ufa-Konzerne zu übertragen, die gegenwärtig von den alliierten Behörden wahrgenommen werden.
Meine Damen und Herren, man weiß wirklich nicht: ist das Hohn oder ist das Ernst? Die tägliche Verwaltung der UFI-Ufa-Konzerne soll die Bundesregierung bekommen, — wahrscheinlich als Entschädigung für die Tatsache der Verauktionierung der großen Substanz, von der ich eingangs gesprochen habe! Dagegen muß man sich verwahren. Es ist nicht nur der deutschen Bundesregierung nicht würdig, eine solche Note zu empfangen; sie ist auch derer nicht würdig, die sie geschrieben haben. Sie ist sogar ganz offensichtlich logisch widerspruchsvoll, und man muß glauben, daß der Mittelsatz, der ankündigt, daß man trotz der Zustimmung zu dem Gesetz zu verauktionieren gedenke, dem Briefschreiber eine Art genießerisches Vergnügen gemacht hat, zu zeigen, wer in Deutschland denn nun eigentlich Herr sei.
Meine Damen und Herren! Anläßlich der Münchner Sitzung des Ausschusses für Presse, Rundfunk und Film hat einer unserer Kollegen, Herr Jacobs, in der Pressekonferenz ungefähr folgendes gesagt: „Wenn eines Tages die formelle Möglichkeit besteht, werden wir im Wege der Restitution jeden haftbar machen, der heute etwa unter Ausnutzung der politischen Lage Filmeigentum dieser Art erwerben sollte". Diese Äußerung hat man sehr übel genommen; man wollte darin eine Bedrohung erblicken. Wie ich soeben hörte, hat man sich von alliierter Seite sogar bei der Bundesregierung darüber beschwert. Nun, ich glaube, sich darüber zu beschweren, liegt kein Grund vor. Die Bundesregierung soll auch, was selbstverständlich ist, erklärt haben, daß sie nicht zuständig sei, die Äußerungen von Abgeordneten irgendwie unter Zensur zu stellen. Aber ich möchte sagen: Diese Äußerung war eine wohlberechtigte Warnung. Es könnte sich, wie die verworrene Rechtslage vermuten läßt, eines Tages herausstellen, daß dieses Filmeigentum zu Unrecht verkauft worden ist, und besonders die Restitutionsansprüche, die gegen das ehemalige Ufa-Vermögen vorliegen, lassen solche Entwicklungen durchaus wahrscheinlich erscheinen. Es ist sehr angebracht,


(Hennig)

dieses Warnungszeichen an den Rand zu schreiben, und wir wundern uns darüber, daß die Besatzungsmacht eine solche Warnung übelnimmt. Es ist allerdings leichter, sich über diese Warnung zu entrüsten, als formgerecht zu urteilen, wenn die Besatzungsmacht deutsche Rechtsprechung aufhebt. Ich erinnere an den Fall Kemritz und ähnliches.
Nun hat das Ganze natürlich auch politische Aspekte. Herr Dr. Vogel hat bereits darauf hingewiesen und hat den Geist von Washington beschworen. Was man darunter verstehen soll, ist freilich heute noch nicht klar. Aber immerhin, wir wissen wohl, was gemeint ist. Herr Dr. Vogel wollte sagen — und wir stimmen ihm dabei vollständig zu —, daß mittlerweile seit dem Briefwechsel zwischen der Bundesregierung und den Hohen Kommissaren sich doch etwas in der Welt getan hat und daß sich weltgeschichtliche Entwicklungen größten Stiles vollziehen und schwerwiegende Entscheidungen auf der Tagesordnung stehen. Wir sind der Meinung, daß ein Zustand de jure nicht haltbar sein und wirksam werden kann, wenn er nicht de facto schon vorbereitet ist oder gar schon besteht. Es hätte also aller Anlaß vorgelegen, an einem solchen Einzelbeispiel darzulegen, wie dieser Geist von Washington wirklich aussehen soll, und das vermissen wir. Hier wäre eine wunderbare Gelegenheit gewesen, eine reichlich verwickelte Lage fair zu bereinigen. Wir müssen unser Erstaunen zum Ausdruck bringen — nicht darüber, daß sich Interessenten finden oder finden dürften, die vielleicht bereit wären, solches Vermögen möglichst billig zu erwerben —, darüber daß sich die Besatzungsmächte dazu hergeben, solchen Interessenten das Spiel zu erleichtern oder vielleicht sogar - darf ich das sagen? — dieses Spiel zu begünstigen. Denn schließlich steht der Konkurrenzkampf dahinter, der Konkurrenzkampf des Auslandsfilms. der die deutsche Filmproduktion nicht wieder hochkommen lassen will.

(Sehr gut! rechts.)

Wir wissen, daß' die Entwicklung des deutschen Films — wir haben es hier oft betont — in erster Linie eine Frage der Qualitätsentfaltung ist. Aber damit sich die Qualität entfalten kann, müssen auch die materiellen Voraussetzungen gegeben sein, und soweit sie noch vorhanden sind, müssen sie gewahrt bleiben.

(Beifall bei der SPD und in der Mitte.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117006600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mende.

Dr. Erich Mende (CDU):
Rede ID: ID0117006700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in der erfreulichen Lage, mich mit den Ausführungen der beiden Herren Vorredner grundsätzlich einverstanden erklären zu können. Daher darf ich mich auf einige Ergänzungen beschränken.
Der heutige Tagespunkt „UFI-Auktion" zeigt wirklich, welcher Gegensatz zwischen den Verständigungsgesprächen — wo sie auch immer stattfinden mögen, ob auf Deutschlands politisch höchstem Berg, dem Petersberg im Siebengebirge, oder tief im Rheintal in Mehlem— und der Praxis klafft, wie sie sich in der Intervention in den Landesverratsbestimmungen, beim Strafrechtsänderungsgesetz, in den Geschwindigkeitskontrollen auf der Autobahn und auch in diesem Punkt des Verkaufs des UFI-Komplexes zeigt. Mir scheint, daß die Morgenthau-Psychose noch nicht überall bei den alliierten Dienststellen ausgemerzt ist. Man sollte die Verständigungstherapie bei all den mittleren und unteren Instanzen anwenden, die noch psychologisch und politisch an den Irrtümern von 1945 festzuhalten gedenken. Auch auf die Gefahr hin, daß sich jetzt der nachfolgende Sprecher der Kommunistischen Partei auf mich beruft, muß ich feststellen:

(Zurufe von der KPD)

Man hat in der Hauptsache den Kommunisten mit diesem Verfahren einen Gefallen getan, indem man ihnen wieder Stoff liefert, zu beweisen, daß wir unter dem Kolonialimperialismus, unter dem Monopolkapitalismus und allen jenen Beschränkungen leben.

(Wiederholte Zurufe von der KPD.)

— Ja, ich weiß, Sie werden bei Geiselgasteig beginnen und werden über die Ächtung der Atombombe doch schließlich wieder für die jungen
Friedenskämpfer und gegen die Remilitarisierung
sprechen. Das kennen wir ja schon. Sie werden uns
da auch nicht überraschen, Herr Kollege von links.

(Erneute Zurufe von der KPD.)

Was hier zur Debatte steht, ist jener Entwurf, der am 20. März 1951 eingereicht wurde und der wirklich allen Befürchtungen der Alliierten Rechnung trägt. Denn in § 8 sind jene Erwerbsverbote ausgesprochen, die verhindern, daß der Film erneut durch politische oder sonstige Zusammenballungen von Macht mißbraucht werden kann. Es heißt in § 8, daß sowohl Bund, Länder und sonstige Gebietskörperschaften nicht das UFI-Vermögen erwerben können wie auch politische Parteien, juristische Personen und Personenvereinigungen, an denen Bund, Länder oder politische Parteien beteiligt sind. Vielleicht wird man den Katalog noch ergänzen und auf alle jene Zusammenschlüsse erstrecken müssen, die auf Grund des Koalitionsrechtes des Grundgesetzes zustande gekommen sind, auf alle jene Zusammenschlüsse, die vielleicht auch in Versuchung kommen könnten, sich des Films zu bedienen, um ihre Interessen noch besser durchzusetzen. Jener deutsche Entwurf sollte durch die Alliierten mehr beachtet werden. Ich schließe mich dem Appell meiner beiden Herren Vorredner an, daß die Alliierten nun endlich von der Morgenthau-Psychose bei der Betrachtung des deutschen Films in eine Verständigungsatmosphäre kommen sollten.
Ich bin auch der Meinung, daß der Kollege Jacobs in München sehr richtig formuliert hat: Wer unter Ausnutzung der jetzigen politischen und der staatspolitischen Situation dieses Vermögen erwirbt — sei es als Deutscher, sei es als Strohmann ausländischer Interessen —, der muß eines Tages damit rechnen, daß wir ihn vielleicht nicht juristisch — das können wir vielleicht gar nicht —, aber zumindest moralisch zur Restitution zwingen.
Insofern stimmen wir sowohl dem Mündlichen Bericht als auch den grundsätzlichen Ausführungen, die hier gemacht worden sind, zu und hoffen, daß die Debatte über das UFI-Vermögen nicht noch einmal hier stattzufinden braucht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117006800
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0117006900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Verhalten der Hohen Kommissare ist unter Berücksichtigung gewisser Umstände sehr leicht zu erklären - und


(Ewers)

nicht etwa unerklärlich —, nämlich der Umstände, daß die Briefe, die von ihnen unterzeichnet werden, aufgesetzt werden von jenen Leuten, die seit der Währungsreform mit der Einfuhr ihrer amerikanischen Filme hier ein gewaltiges Vermögen angehäuft und unsere deutsche Produktion seitdem durch die amerikanische Konkurrenz in immer größere Schwierigkeiten gebracht haben.

(Abg. Schoettle: Also nicht MorgenthauIdeologie, sondern Geschäftsinteressen!)

Wenn das die Federführung ist, die etwa diesen
Schritt hier herbeigeführt hat, so liegt die Erklärung auf der Hand. Die Dinge sind aber mit dieser
geschäftlichen Motivierung des Verhaltens nicht erledigt, sondern es kommt nun noch als besonders
erschwerend die Torschlußpanik hinzu, die dazu
getrieben hat, dieses letzte Gesetz der Alliierten
noch rasch vor Änderung der besatzungsstatutarischen Lage unter Dach und Fach zu bringen.
Die Tatsache, daß man vermutlich nach wenigen
Wochen oder Monaten ein solches Gesetz mangels
Zuständigkeit nicht mehr erlassen könnte, ist
offenbar ganz allein federführend für die Eile, mit
der es plötzlich erging, und für die unglaubliche
Eile, mit der es aus uns undurchsichtigen Gründen
durchgeführt wird. Die Feststellung, daß eine Torschlußpanik vorliegt, begründet ja auch, warum
man es in jenem Brief der Hohen Kommission, den
die beiden ersten Herren Redner hier im Wortlaut
vorgelesen haben, hemdsärmeligerweise — so kann
ich nur sagen — unterläßt, das Bedauern, den
Wünschen nicht folgen zu können, auch nur mit
dem Schatten einer Begründung zu versehen.
Wir sollen die Verhandlungen, die jetzt oben oder unten, d. h. auf dem Berg oder im Tal, stattfinden, mit Optimismus verfolgen. Ich weiß nicht, wie sehr der amerikanischen Regierung daran gelegen ist, auf deutschem Boden gerade Filmgeschäfte zu machen. Aber ich weiß, daß, wenn man in einem solchen im Verhältnis zum Weltgeschehen wirklich lächerlich kleinen Punkte uns immer wieder den Status des Kolonialvolkes vor Augen führt, man es uns einfach unmöglich macht, zu dem Geiste, in dem die Verhandlungen geführt werden, Vertrauen zu gewinnen. Ich bin der Ansicht, daß wir diese Lage für schlechthin unerträglich halten müssen und daß wir selbst dann, wenn auf deutscher Seite gewisse ebenfalls geschäftlich veranlagte Stellen den Amerikanern in die Hand arbeiten sollten, diese Leute nur als Geschäftskollaboratoren bezeichnen können, denen wir mit deutscher Gesetzgebung, soweit uns dazu später eine Möglichkeit gegeben sein wird, werden entgegentreten müssen. Es ist so, daß in dem deutschen Gesetz in einer meines Erachtens geradezu ängstlich weitgehenden Weise den Entkartellisierungsbestrebungen der Amerikaner entsprochen wird, ich fürchte beinahe, zum Schaden der deutschen. Filmwirtschaft. Aber es ist weiter so, daß das amerikanische Gesetz deswegen Bedenken, es verstoße gegen das Grundgesetz, hervorruft, weil hier die freie Betätigung der Deutschen willkürlich eingeschränkt wird. Hoffen wir, daß diese Bestimmung ein wirklicher Verstoß gegen das Grundgesetz ist; denn das würde uns späterhin ja geradezu zur Pflicht machen, die Nichtigkeit der auf Grund dieses Gesetzes vorgenommenen Handlungen als Deutsche festzustellen. Die rechtliche Untersuchung ist heute belanglos, denn tatsächlich ist im Augenblick der Vorgang überhaupt nur politisch zu würdigen. Und politisch ist er auch dann ein Skandal,
wenn etwa das formale Besatzungsrecht und die formale Stellung der Zwingherren in Deutschland zur Zeit den Amerikanern die Durchführung noch möglich machen sollten. Daß die Rechtslage so ist, habe ich als Jurist zur Zeit nur zu bezweifeln. Politisch aber ist es unzweifelhaft, daß für uns dieser hier wieder versetzte Nadelstich vollständig unerträglich ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Gibt es keinen Ordnungsruf für die „Zwingherren"?)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117007000
Das Wort hat der Abgeordnete Gundelach.

Gustav Gundelach (KPD):
Rede ID: ID0117007100
Meine Damen und Herren! Herr Dr. Mende, Sie laufen nicht Gefahr, allzusehr in die Nähe der Politik meiner Partei zu gelangen, selbst dann nicht, wenn die Westmächte gelegentlich doch einmal auch bei Ihnen etwas Einsicht hervorbringen und erkennen lassen, daß wir in unserer grundsätzlichen Politik doch absolut recht haben und auf dem richtigen Wege sind, wenn wir den Kampf gegen die Bestrebungen der Westmächte führen.

(Zurufe rechts. — Gegenrufe des Abg. Renner.) Aber nun zur Sache selbst! Meine Fraktion stimmt dem Ausschußbericht zu.


(Abg. Dr. Vogel: Das ist das Schlimmste, was uns passieren kann! Weitere Zurufe rechts. — Lebhafte Gegenrufe des Abg. Renner.)

Es ist ein ganz schwacher Versuch, zu erreichen,

(fortgesetzte Zurufe des Abg. Renner)

daß über die Verwendung ehemaligen Reichsvermögens allein deutsche Stellen entscheiden. Das ist der Grund, weshalb wir zustimmen. Warum sollen wir, Herr Dr. Vogel, nicht dann, wenn auch einmal, von Ihrer Seite etwas sehr Vernünftiges kommt, diesem Vernünftigen unsere Zustimmung als Kommunisten geben? Wenn Sie immer damit kommen würden, würden Sie immer unsere Zustimmung haben; aber wenn das nicht geschieht, sind nicht w i r daran schuld, sondern dann ist die Gegenseite schuld daran.

(Abg. Dr. Vogel: Natürlich!)

Bei der Veräußerung von Besitzteilen der früheren reichseigenen UFI handelt es sich um einen absoluten Willkürakt der Westmächte. Das gleiche ist mit anderen Worten bereits von mehreren Vorrednern zum Ausdruck gebracht worden. Diese Willkürmaßnahme muß man aber unserer Auffassung nach in Verbindung mit dem Verhalten der Westmächte gegenüber der westdeutschen Filmindustrie überhaupt betrachten. Es ist bekannt, daß seitens der Westmächte im Interesse ihrer eigenen Filmindustrie der westdeutschen Filmindustrie bewußt die Möglichkeit genommen wird, sich zu entfalten. Das ist auch schon früher von dieser Stelle aus wiederholt von Rednern anderer Parteien mit allem Nachdruck zum Ausdruck gebracht worden. Es ist bekannt, daß seitens der Westmächte eben alles getan wird, um uns in unserer Filmproduktion zu hemmen. Die Westmächte haben ein Interesse daran, uns zu zwingen, auch weiterhin ihre eigene Filmproduktion ohne Rücksicht auf die Qualität der Filme bei uns in Westdeutschland unterzubringen, weil damit ein gutes Geschäft verbunden ist. Dabei handelt es sich zumeist um recht zweifelhafte Filme. Ich erinnere Sie nur an die große Zahl der Abenteurerfilme, die sogenannten Westwildfilme,

(Heiterkeit und Zurufe: Wildwest!)



(Gundelach)

die serienweise bei uns im Westen aufgeführt werden.

(Zuruf rechts: Sie haben sich versprochen!)

— Nun, sagen wir, Wildwestfilme. Danke für Ihre Unterstützung! Ich bin gerne bereit, das noch einmal mit Ihrer Hilfe festzustellen.

(Zuruf rechts: Ich höre Ihnen gut zu!)

Hinter den Handlungen der Westmächte steht die Absicht, unsere Filmindustrie derart zu drosseln, daß sie überhaupt nicht mehr als Konkurrent auftreten und entsprechende Filme von Rang und Bedeutung nach dem Westen anbieten und ausführen kann. Diese Willkürakte sind es, die uns in diesem Fall selbst mit den Vertretern der Regierungsparteien in eine gemeinsame Front bringen. Wir stimmen dem vorliegenden Mündlichen Bericht zu.

(Beifall bei der KPD. — Bravo-Rufe rechts.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117007200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mayerhofer.

Georg Mayerhofer (FU):
Rede ID: ID0117007300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich der Tagung des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films in München haben wir uns bei der Besichtigung der Produktionsstätten überzeugt, daß sie die wertvollsten Anlagen im Bundesgebiet darstellen. Die Bavaria ist daher heute noch genau so wie früher ein wichtiger Bestandteil des bayerischen Wirtschaftslebens. Eine Verwertung durch die Alliierte Hohe Kommission nach Gesetz Nr. 32 könnte daher nicht nur den Bund, sondern am schwersten die bayerische Wirtschaft treffen, wenn der moralische Anspruch bayerischer Wirtschaftskreise nicht berücksichtigt werden würde, dieses Unternehmen wieder in die Hände dieser Wirtschaft zurückzugeben.
Die Bayernpartei fordert das vorgeschlagene deutsche Gesetz zur Verwertung des UFI-Vermögens und stellt gleichzeitig fest, daß die Bavaria seinerzeit unter politischem Druck reichseigene Filmgesellschaft wurde. Es ergab sich damals folgende Entwicklung. Auf politischen Druck hin wies die Filmkammer die damalige Filmkreditbank an, der Bavaria-Film AG. keine Kredite mehr zu geben. Dadurch wurde die Bavaria zahlungsunfähig. Sie sollte zum Konkurs gezwungen werden. Ein Liquidationsvergleich brachte die gesamte Anlage bei großer Unterbewertung in die Hand des Reiches. Die Bayernpartei fordert daher, daß bei der kommenden Reprivatisierung des Bavaria-Vermögens nach dem vorgeschlagenen deutschen Gesetz dieses Unrecht wiedergutgemacht wird.
Wir stimmen dem Ausschußbericht zu.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117007400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jacobs.

Peter Jacobs (SPD):
Rede ID: ID0117007500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen Hennig und Dr. Mende haben als Mitglieder dieses Hohen Hauses bei ihren Darlegungen mich zitiert und erfreulicherweise auch für ihre Fraktionen die Zustimmung zu den Äußerungen gegeben, die ich gelegentlich der schon erwähnten Konferenz des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films bei einer anschließenden Pressebesprechung gemacht habe. Es wäre also nicht notwendig, diese Äußerungen noch einmal zu erläutern, wenn ich nicht soeben erfahren hätte, daß sich die Alliierte Hohe Kommission wegen dieser Äußerungen beschwerdeführend an die Bundesregierung gewandt und mich
in diesem Beschwerdebrief gleichzeitig der Sabotage beschuldigt hat.

(Hört! Hört! rechts. — Zurufe links.)

Ich darf darauf hinweisen, daß es in einem bestimmten Falle zur Pflicht eines verantwortungsbewußten Menschen gehört, Sabotage zu betreiben, dann — und ich stelle dem gegenüber, wie das bisher mehr oder weniger geglückte Umerziehungsprogramm uns immer wieder von der Pflicht der Sabotage gesprochen hat —, wenn Maßnahmen des Unrechts zu Recht gestempelt werden sollen.

(Sehr gut! rechts. — Zurufe links.)

Ich hatte nicht die Absicht, mit meinen Äußerungen unnötige Spannungen in das Verhältnis zwischen den Alliierten und uns hineinzutragen, sondern ich habe diese Äußerungen lediglich in Konsequenz meiner Einstellung zur Frage der Restitution gemacht; denn ich bekenne mich zum Gedanken der Restitution in allen Fällen, in denen unter Ausnutzung eines politischen Drucks Eigentum veräußert werden soll. Es ist notwendig, auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß mit den Maßnahmen der Verschleuderung des Filmeigentums auch das traditionelle Rechtsgefühl der amerikanischen Bevölkerung verletzt wird. Gerade im Hinblick auf die Achtung dieses traditionellen Rechtsgefühls sind wir daran interessiert, daß dieses Volk drüben nicht moralischen Schaden leidet als Folge der Experimentierwut derer, die hier nach der Politik des schwächsten Widerstands uns glücklich zu machen versuchen.

(Sehr richtig!)

Ich bin in der sehr angenehmen Lage, auch in dieser Frage einen amerikanischen Staatsbürger zitieren zu können, einen Jesuitenpater, der gleichzeitig ein Dichter ist und dessen Werk zu sehen Sie in dem vergangenen Jahr Gelegenheit gehabt haben. In diesem Werk — „Monsignores große Stunde" — heißt es: „Mit der Größe der Pfarre dürfen sich die Grundsätze nicht verändern!"

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117007600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Richter.

Dr. Franz Richter (WAV):
Rede ID: ID0117007700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der wirklich erfreulichen Einmütigkeit, die das Haus in dieser Frage heute zeigt, möchte ich darauf hingewiesen haben, daß es sehr gut wäre, wenn auch in Zukunft eine solche Einmütigkeit immer dann vorhanden wäre, wenn es um entscheidende Fragen geht, vor allem auch dann, wenn wieder einmal
Verhandlungen mit den Alliierten — zum Teil
hinter den Kulissen — geführt werden, die die lebenswichtigen Belange des deutschen Volkes zutiefst berühren. Ich glaube, man sollte oftmals etwas weniger verhandlungsbereit sein, um etwas mehr aushandeln zu können. In ganz besonderem Maße, glaube ich — und nur deshalb habe ich diese Bemerkung machen wollen —, ist das notwendig im Hinblick auf gewisse Dinge, die hier schon mehrfach kurz angedeutet wurden, die aber doch unbedingt einmal einer gründlichen Aussprache zugeführt werden müssen, weil sie das Verhältnis der Völker untereinander durch jene immer und immer wieder vergiften lassen, denen es nicht auf eine wahre Verständigung und Versöhnung ankommt.
Ich denke hier vor allem daran, daß es notwendig ist, daß die Bundesregierung einmal ganz klar und deutlich zu all den Fragen Stellung nimmt, die noch wesentlich bedeutungsvoller sind als das, was


(Dr. Richter [Niedersachsen])

wir heute abend verhandeln, beispielsweise die Frage der deutschen Gefangenen, die heute nochauch bei den Westalliierten in Gefangenschaft sitzen.

(Zurufe: Zur Sache!)

Ich denke daran, daß gerade Werl und nicht nur die Manöverschäden der Engländer das Verhältnis des deutschen Volkes zu England stark beeinträchtigen.

(Zurufe: UFI! — Zur Sache!)

Ich möchte hier einmal den Hinweis gegeben haben, daß man in aller Breite und Offenheit über diese Dinge sprechen sollte und ganz klar und deutlich das heute noch schandbare Verhalten der Alliierten gegenüber deutschen Soldaten entsprechend zu brandmarken hätte.

(Erneute Zurufe.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117007800
Herr Abgeordneter,— ach so, Sie hören auf! Ich wollte Sie gerade darauf aufmerksam machen, daß Sie nicht mehr zu dem Gegenstand der Tagesordnung sprechen.

(Abg. Mellies: Das hat er von den Kommunisten gelernt! — Heiterkeit. — Zuruf von der Mitte: Das ist schon längere Zeit der Fall!)

Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Damit ist die Aussprache geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen! — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nun den nächsten Punkt der Tagesordnung — Punkt 10 — auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Bau- und Bodenrecht (36. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Entwurf eines Gesetzes auf Aufhebung des Gesetzes zur Ergänzung der Kleingarten- und Kleinpachtordnung vom 26. Juni 1935 (Nrn. 2651, 1859 der Drucksachen).
Zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Winkelheide das Wort.

Bernhard Winkelheide (CDU):
Rede ID: ID0117007900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drucksache Nr. 859 wurde in der 118. Sitzung dem Ausschuß für Bau- und Bodenrecht als federführendem Ausschuß und darüber hinaus dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung überwiesen. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten behandelte den Antrag in der Sitzung vom 7. März 1951 und hat vorgeschlagen, darüber zur Tagesordnung überzugehen. Der Ausschuß für Bau- und Bodenrecht hat in zwei Sitzungen den Antrag geprüft. Wollte man dem Wunsch der Antragsteller entsprechen, so würden durch die Aufhebung des Gesetzes Schutzbestimmungen für den Kleingärtner wegfallen, auf die jedoch heute nicht verzichtet werden kann. Da nach Mitteilung des Bundesministeriums für Wohnungsbau zur Zeit ein neues Kleingartengesetz in Vorbereitung ist und mit dessen Vorlage Anfang 1952 gerechnet werden kann, hat der Ausschuß beschlossen, dem Plenum vorzuschlagen, den Antrag auf Grund der Erklärung der Bundesregierung für erledigt zu erklären.
Ich bitte das Hohe Haus, sich dem Antrag des Ausschusses anzuschließen.

(Bravo!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117008000
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Der Ältestenrat hat vorgesehen, nicht in eine Debatte über diesen Punkt einzutreten und sich mit der Berichterstattung zu begnügen. — Ich stelle die Zustimmung des Hauses dazu fest.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Ich bitte diejenigen, die zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe Punkt 11 a) der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Prüfung, ob durch die Personalpolitik Mißstände im Auswärtigen Dienst eingetreten sind (Nr. 2680 der Drucksachen).
Wird der Antrag begründet? — Eine Begründung wird nicht gegeben. Ich stelle auf Grund der Fraktionsstärke fest, daß ein Viertel der Mitglieder des Hauses diesen Antrag unterstützt und daß damit die Einsetzung des Ausschusses beschlossen ist.
Weiter rufe ich auf den Punkt 11 b der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betreffend Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Nr. 2694 der Drucksachen).
Der Antrag der Fraktion des Zentrums will den Auftrag an den soeben eingesetzten Untersuchungsausschuß erweitern. Ich muß diesen Antrag genau so behandeln wie den Antrag der SPD auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Ich frage infolgedessen das Haus: wird das Wort zur Begründung dieses Antrags gewünscht?

(Zuruf.)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Pannenbecker.

Otto Pannenbecker (FU):
Rede ID: ID0117008100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit längerer Zeit wird in der Öffentlichkeit Kritik geübt an den personalpolitischen Vorgängen im Auswärtigen Amt. Das Zentrum hat als erste Fraktion dieses Hohen Hauses auf diese Mißstände hingewiesen und in der Presse sowohl wie im Plenum des Bundestags nachhaltig Klage erhoben hinsichtlich der in der Öffentlichkeit weit verbreitet empfundenen Mißstände auf personellem Gebiet im Auswärtigen Amt.
Wenn Sie die beiden vorliegenden Anträge vergleichen, meine Damen und Herren, dann werden Sie sehen, daß der Antrag der Zentrumsfraktion doch weiter geht als der Antrag der SPD, mit anderen Worten: der Antrag der SPD ist in wesentlich engeren Grenzen gehalten. Es heißt da unter II/1:
Wurden und werden im auswärtigen Dienst, insbesondere auch im Auswärtigen Amt Personen beschäftigt, deren Verhalten während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft geeignet ist, künftig das Vertrauen des In- und Auslandes zur demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden?
Meine Damen und Herren, der Antrag der SPD umfaßt nicht die unsachlichen, auf anderer Grundlage beruhenden Gesichtspunkte, die bei der Wiedereinstellung von Beamten in den auswärtigen Dienst eine Rolle gespielt haben, z. B. persönliche Beziehungen. So ist es gekommen, daß unfähige und ungeeignete Beamte eingestellt worden sind.


(Pannenbecker)

Bei der Vorbereitung der personellen Dinge für das Auswärtige Amt, die in Frankfurt am Main seinerzeit durch den jetzigen Generalkonsul in Pretoria, Holzhausen, getroffen worden ist, sind Bewerbungen einwandfreier, charakterlich und beruflich besser geeigneter Personen nicht berücksichtigt und nicht zugelassen worden.
Eine andere Frage: Wer trägt Schuld an den vielfach unzulänglich und unsachlich gegebenen Auskünften durch das Auswärtige Amt?
Meine Damen und Herren, das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, daß über den Rahmen des SPD-Antrages hinaus, also ganz allgemein, eine Untersuchung vorgenommen werden muß. Ich bitte daher das Hohe Haus, dem Zentrumsantrag, der eine auf allgemeinen Gesichtspunkten beruhende Untersuchung erstrebt, zuzustimmen.

(Abg. Ewers: Zur Geschäftsordnung!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117008200
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Ewers.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0117008300
Nach der neuen, hoffentlich demnächst zu verabschiedenden Geschäftsordnung ist der Antrag des Zentrums bestimmt unzulässig; nach der gegenwärtigen sollte er auch unzulässig sein.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Denn es ergibt sich, daß der Untersuchungsausschuß nur dann sachgemäß arbeiten kann, wenn in dem Beschluß, durch den er eingesetzt ist, die Beweise, die erhoben werden sollen, klar bezeichnet sind. Hier ist von „in der Presse erhobenen Vorwürfen" die Rede. Ich glaube, es gibt keinen Menschen in diesem Hause, der die gesamte deutsche Presse kennt, sondern man kennt nur gewisse Zeitungen, entweder heimatlicher Art oder von allgemeiner Bedeutung. Deswegen sind „in der Presse erhobene Vorwürfe" ein Beweisthema, dem ein Untersuchungsausschuß innerhalb von einigen Jahren nicht entsprechen kann; denn erst müßte die gesamte Presse gesammelt werden.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117008400
Herr Abgeordneter, Sie sprechen nicht zur Geschäftsordnung.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0117008500
Doch!

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117008600
Nein, Sie sprechen jetzt zu dem Antrag.

Hans Ewers (DP):
Rede ID: ID0117008700
Ja, ob er zulässig ist. Ein solcher Antrag ist unzulässig. Die SPD hat drei Beweisthemen klar und ganz konkret formuliert; darüber können Beweise erhoben werden. Ich möchte bitten, im Sinne der neuen Geschäftsordnung solche Untersuchungsanträge grundsätzlich abzulehnen, bei denen der Ausschuß zunächst einmal in lange Debatten eintreten muß, worüber eigentlich Beweis erhoben werden soll. Deswegen halte ich den Antrag des Zentrums geschäftsordnungsmäßig für nicht zulässig.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117008800
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Aussprache ein. Der Altestenrat hat eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vorgesehen. - Ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (SPD):
Rede ID: ID0117008900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorweg einige Worte zu unserem Verfahren. Herr Kollege Ewers hat insofern recht,
als es nicht angehen kann, nebeneinander zwei Untersuchungsausschüsse mit dem gleichen Thema einzusetzen. Die Fraktion des Zentrums hätte Gelegenheit gehabt, zu unserem sozialdemokratischen Antrag einen Zusatzantrag zu stellen und, wenn sie unser Thema nicht für ausreichend hielt, seine Erweiterung zu beantragen. Unmöglich dagegen können wir nebeneinander zwei Ausschüsse zum gleichen Thema einsetzen.
Eine weitere Bemerkung zum Verfahren: Der Rechtsausschuß hat einstimmig dem Herrn Präsidenten dieses Hohen Hauses ein Gutachten dahin erstattet, daß es in jedem Falle eines ausdrücklichen Beschlusses dieses Hohen Hauses bedarf, um einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, auch dann, wenn der Antrag von einer qualifizierten Minderheit gestellt wird. Das. Haus ist in diesem Falle allerdings verpflichtet, diesem Antrag stattzugeben.
Zur Sache selbst kann ich die Bemerkungen des Herrn Kollegen Pannenbecker nicht unwidersprochen lassen. Es trifft nicht zu, daß der sozialdemokratische Antrag wesentlich enger ist als der der Zentrumsfraktion. Unser Antrag geht dahin, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen zur Prüfung, ob durch die Personalpolitik Mißstände im Auswärtigen Dienst eingetreten sind. Allerdings bezeichnen dann Ziffer 1 und 2 bestimmte Mißstände. Unter Ziffer 3 ist jedoch allgemein gesagt und gefragt worden, welche Maßnahmen getroffen sind, um Mißgriffe in der Personalpolitik — also des Auswärtigen Dienstes — aufzudecken und zu verhüten. Zu diesen Mißgriffen gehören selbstverständlich Einstellungen im Auswärtigen Dienst auf Grund von unsachlichen Gesichtspunkten, so daß es insofern einer Erweiterung nicht bedarf.
Auch die andere Frage, die Herr Kollege Pannenbecker aufgeworfen hat, ist durch unseren Antrag mit umfaßt, nämlich die Frage, wer an Auskünften schuld ist. Wir fragen ja unter 3., welche Maßnahmen getroffen worden sind, um Angriffe auf Verwaltungsangehörige des Auswärtigen Dienstes abzuwehren. Zu diesen Abwehrmaßnahmen gehören in allererster Linie die Auskünfte, die das Auswärtige Amt in diesen Fragen erteilt hat. Auch diese Auskünfte werden zu untersuchen sein.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117009000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann.

(Abg. Dr. Reismann: Nein!)

— Sie haben sich nicht gemeldet? (Abg. Dr. Reismann: Nein!)

— Dann liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt möchte ich folgendes feststellen: Ich habe vorhin zunächst festgestellt, daß die Unterstützung, die verfassungsmäßig dem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu geben ist, vorliegt. Ich habe gleichzeitig festgestellt, daß damit auch der Ausschuß eingesetzt und die Zustimmung des Hauses erteilt ist, also sämtliche formellen Voraussetzungen für die Einsetzung des Ausschusses gegeben sind.
Es liegt nun zweitens vor ein Antrag des Zentrums auch auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit ungefähr demselben Gegenstand.

(Abg. Dr. Reismann: Ich bitte ums Wort!)



(Vizepräsident Dr. Schäfer)

Da die Zentrumsfraktion nicht die entsprechende Stärke hat, muß ich das Haus fragen, wer den Antrag unterstützt, um festzustellen, ob die verfassungsmäßige Minderheit gegeben ist.

(Abg. Dr, Reismann: Ich bitte ums Wort!)

— Ich kann Ihnen jetzt das Wort nicht erteilen. Ich habe vorhin gefragt; Sie haben aber das Wort nicht genommen.

(Abg. Dr. Reismann: Zur Abstimmung!)

Meine Damen und Herren, ich habe an Sie die Frage zu richten, ob der Antrag der Zentrumsfraktion unterstützt wird. Ich bitte diejenigen, die ihn unterstützen, die Hand zu erheben. — Das sind keine 100 Mitglieder. Damit hat der Antrag nicht die notwendige Unterstützung gefunden.
Ich rufe nun Punkt 12 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betreffend GARIOA-Kredit für die deutsche Presse (Nr. 2671 der Drucksachen).
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Rudolf Vogel (CDU):
Rede ID: ID0117009100
Meine Damen und Herren! Ich kann mich ganz kurz fassen. Bei der ersten Behandlung dieser Frage sind noch einige Wünsche offengeblieben, und lediglich, um den zuständigen Ausschüssen die Möglichkeit zu bieten, ordnungsgemäß diese Dinge noch einmal zu behandeln, haben wie diesen Antrag eingebracht, um dessen Zustimmung wir Sie bitten.

Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117009200
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat für diesen Beratungspunkt eine Debatte nicht vorgesehen. Mir ist aber nun ein Antrag der Abgeordneten von Thadden und Genossen zu dem Gegenstand vorgelegt worden. Ich glaube, daß ich unter diesen Umständen das Wort erteilen muß. — Das Wort zur Begründung seines Abänderungsantrags hat Abgeordneter von Thadden.

Adolf von Thadden (DRP):
Rede ID: ID0117009300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich nicht um eine Entschließung, sondern um einen Änderungsantrag, den ich eben kurz mit wenigen Sätzen begründen möchte.
Unser Antrag will die Hergabe von 15 Millionen DM aus ERP- oder GARIOA-Mitteln selbstverständlich nicht verhindern. Die Bundesrepublik, die jährlich fast 10 Milliarden an Besatzungskosten und sogenannten „Verteidigungsbeiträgen" aufbringen muß, kann wohl ,erwarten, daß die Westmächte ihrerseits gewisse Kreditmittel für nützliche Zwecke in der Bundesrepublik zur Verfügung stellen. Solche Kredite dürfen aber unseres Erachtens nur für echte legitime Zwecke gegeben und genommen werden. Die Verwendung der 15 Millionen DM für Presseorgane und Lizenzträger, die durch Abonnentenschwund schwach auf der Brust geworden sind, stellt aber keinen solchen legitimen Zweck dar. Es handelt sich hier um die Subventionierung der wichtigsten Organe der öffentlichen Information und Meinungsbildung — um nicht zu sagen: Meinungsbeeinflussung —, und es wird sich als unmöglich erweisen, die volle Publizität über die mit der Kredithingabe verbundenen Absichten der Geldgeber herzustellen.
Meine Damen und Herren, es handelt sich aber um einen im höchsten Grade legitimen und nützlichen Zweck, wenn die 15 Millionen DM für die Förderung des Wohnungsbaus gegeben werden.
Dies ist um so notwendiger, als immer noch Massen von Heimatvertriebenen und Ausgebombten in Baracken und ähnlichen Notunterkünften hausen müssen. Nicht zu vergessen auch die Massen der Besatzungsverdrängten, die nicht in ihr Heim zurückkommen können.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0117009400
„Die Kreditaktion als solche liegt durchaus im deutschen Interesse". Er sagte dann weiter: „Die genannte Kreditaktion ist beabsichtigt, um die demokratische Presse in Deutschland zu stützen". Meine Damen und Herren, wenn man die demokratische Presse in Deutschland stützen will, will man natürlich auch im übertragenen Sinne die Demokratie stützen. Die Demokratie krankt nicht zuletzt an der Vermassung, an dem engen Aufeinanderwohnen der Menschen. Ich glaube, wir fördern die Demokratie ganz außerordentlich, wenn wir diese Vermassung auflockern, indem wir mehr neue Wohnungen schaffen.
Um die Errichtung von Wohnungen geht es, nicht aber um die Errichtung bzw. Aufrechterhaltung von Pressepalästen, deren Existenz im Ausland bereits gerügt worden ist. — Ich bitte Sie, unserem ebenso klaren wie kurzen Antrage Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall auf der äußersten Rechten. — Abg. Dr. Dr. Müller [Bonn]: So siehst Du aus!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117009500
Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache — —

(Abg. Renner: Ich bitte ums Wort!)

— Also dann müssen wir die Aussprache eröffnen. Das war zwar nicht vorgesehen. Der Abänderungsantrag ist allerdings neu. Meine Damen und Herren, ich schlage infolgedessen eine Aussprachezeit von 40 Minuten vor.

(Zuruf von der Mitte: Widerspruch!)

— Was heißt „Widerspruch?" Wollen Sie eine Redezeit, oder wollen Sie gar keine Redezeit? — So geht es nicht. Ich schlage Ihnen eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vor. — Es wird nicht widersprochen. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat Abgeordneter Renner.

(Zuruf von der CDU: Sie bestimmen, Herr Präsident!)


Heinz Renner (KPD):
Rede ID: ID0117009600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man hat selten das Glück, auf eine Geschichte so schnell zurückkommen und die eigene Meinung durch Zitate aus bürgerlichen Zeitungen untermauern zu können, wie das in dieser Angelegenheit erfreulicherweise der Fall ist.
Der Herr Lehr hat in der Sitzung vom 10. Oktober gemeint, daß unser damaliger Antrag, in dem gefordert wurde, die Zeitungen, die aus GARIOA-
Krediten leben, sollten diese Tatsache durch einen entsprechenden Vermerk im Kopf bekanntgeben, auf eine Diskreditierung dieser Organe hinausliefe, und er hat, wie der Herr Vorredner richtig gesagt hat, diese Hergabe der Kredite als im deutschen Interesse liegend bezeichnet.
Der Sprecher der Sozialdemokraten — ich glaube, Herr Kollege Schoettle, Sie waren es — hat sich furchtbar über unsere Darstellung von „Ursache und Wirkung" aufgeregt. Sie haben gesagt, die Hergabe dieser Kredite sei durchaus korrekt; denn sie würden ja zum Zinssatz von 6 % gegeben.

(Abg. Schoettle: Ja, ja!)



(Renner)

Ich benutze die Gelegenheit, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß das ein sehr günstiger Zinssatz ist. Aber ich komme zur Sache.
Auf die Bemerkung des Herrn Lehr hier im Bundestag bezieht sich ein Artikel aus der „Deutschen Zeitung" vom 20. 10. Diese Zeitung steht ja wohl nicht im Verdacht, eine kommunistische zu sein. Ich muß nun zitieren:
Im Bundestag hat der Bundesinnenminister zur Kreditaktion für die deutsche Presse erklärt, daß die Aktion „durchaus im deutschen Interesse" liege.
Weiter:
Das „deutsche Interesse" ist bei delikaten Angelegenheiten schon oft in Anspruch genommen worden, aber hat jedesmal weniger der Aufklärung als der Vernebelung der Tatbestände dienen müssen . . .
. . . Tatsache ist, daß verschiedene für kreditwürdig angesehene Zeitungen den Kredit keineswegs „im deutschen Interesse", sondern nur deshalb erhalten müssen, weil sie unzweckmäßig gewirtschaftet haben.

(Hört! Hört! auf der äußersten Rechten.) Wenn Zeitungsbetriebe mit Auflagen von 100 000 Exemplaren an ausscheidende Teilhaber

— nun kommt das heikle Thema der Lizenzträger —nach drei oder fünf Jahren der Teilhaberschaft plötzlich 1 Million oder 350 000 oder
200 000 DM als Abfindung bezahlen mußten, — und ich sage dazu: bezahlen konnten, nicht wahr? —
sind damit Betriebsmittel in einem Umfang entzogen worden, die kein anderer Betrieb mit gleichem Umsatz in so kurzer Zeit verdienen kann.
Eine andere Zeitung, die „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung", veröffentlicht einen Artikel eines Amerikaners — man muß auch gelegentlich mal mit Amerikanern Beweise führen —, eines gewissen Herrn Ernest Leiser, in dem Hintergründe zu diesem sogenannten 15-Millionen-Wirtschaftskredit für die „notleidende demokratische Presse" aufgezeigt sind. Es heißt dort:
Die Mitarbeiter des Hochkommissars haben keinen Zweifel daran gelassen, daß nur denjenigen Blättern eine Anleihe gewährt wird, die eine ausgeprägte pro-westliche Richtung vertreten haben. Man darf dagegen erwarten, daß alle jene Zeitungen, die in letzter Zeit mit steigender Heftigkeit und Lautstärke gegen die Alliierten gewettert haben, eine höfliche Absage erhalten werden, wenn sie sich ebenfalls um eine Anleihe bemühen.
— Also! — Weiter sagt die Zeitung:
Herr Leiser läßt keinen Zweifel, daß es den Amerikanern bei diesen ansehnlichen Beträgen zu allererst auf die politische Rolle der Kredite ankommt, und das vor allem deswegen, „weil die Zeitungen politisch zu unabhängig und zu selbständig geworden sind".
Nun sollen einige Zeitungen, die fromm AmerikaPolitik und fromm Adenauer-Politik treiben, mit diesen Krediten gefüttert werden. — Was zu beweisen war!

(Unruhe.)

Wenn nun der Antrag der CDU darauf hinausläuft, diese ganze schofle Angelegenheit mehr in die Finger des Herrn Innenministers zu bringen, dann erblicke ich darin die Absicht, dafür zu sorgen, daß diese 15 Millionen amerikanischer Bestechungsgelder an absolut lammfromme Adenauer-, lammfromme deutsch-amerikanische Zeitungen kommen. Das wollte ich Ihnen sagen!
Wir Kommunisten hatten natürlich mit unserer Feststellung recht, daß mit diesen Geldern hier in Westdeutschland Stimmung gemacht werden soll für den amerikanischen Krieg, für die Adenauersche Politik der Remilitarisierung, die im Kriege enden muß.

(Erneute Unruhe.)

Dafür bekommen sie diese Bestechungsgelder;

(Zuruf rechts: Das hören wir jeden Tag!)

und ihrem Zweck entsprechend machen sie ihre Politik. Daß einige ihrer Herren Lizenzträger in finanzielle Not geraten sind, das ist sehr gut zu verstehen. Das Volk liest nämlich den Schund, den sie in ihren Zeitungen bringen, nicht mehr.

(Unruhe.)

Das Volk liest keine Zeitungen, in denen Propaganda für den Amerika-Krieg gemacht wird. Darum geraten sie zum Teil auch in finanzielle Schwierigkeiten.
Ich habe bewiesen, was zu beweisen war.

(Abg. Schoettle: Nur Behauptungen aufgestellt!)

Mit Korruptionsgeldern soll psychologisch der
dreckige amerikanische Krieg vorbereitet werden.

(Zuruf von der Mitte: Glauben Sie das?)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117009700
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.

Adolf von Thadden (DRP):
Rede ID: ID0117009800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz ein Wort zu dem Antrag der CDU. Offenbar geht es hierbei nur darum, daß sich die CDU eine Möglichkeit schaffen möchte, genau so viel Geld für ihre Zeitungen zu bekommen, wie die SPD sich schon besorgt hat, die offenbar geschwinder am Drücker gewesen ist und offenbar bessere Leute in den bisher beauftragten Organen drin hatte.

(Heiterkeit.)

Meine Damen und Herren! Man sollte durch Annahme unseres Antrages jedwede Debatte in der Öffentlichkeit um Schmiergelder oder Subventionen an irgendwelche Zeitungen, Lizenzträger etc. unterbinden.

(Beifall ganz rechts.)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117009900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Rudolf Vogel (CDU):
Rede ID: ID0117010000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte an sich nicht die Absicht, hier auf dieses uns gar nicht mehr fremde Bündnis zwischen der äußersten Rechten und der KPD näher einzugehen, das uns immer wieder entgegentritt. Aber einige der völlig unqualifizierbaren Ausdrücke, die eben von Herrn von Thadden gefallen sind, zwingen mich doch dazu, einiges zu sagen.
Zunächst eine ganz nüchterne, sachliche Feststellung. Erstens: Es handelt sich dabei gar nicht um GARIOA-Kredite, sondern um Mittel, die


(Dr. Vogel)

außerhalb der Verfügungsgewalt der Bundesregierung liegen. Zweitens: Diese Kredite sind bereits verteilt worden, und jede Unterstellung wie die, der Antrag, den wir eingebracht haben, bezwecke, irgendeine Änderung dabei herbeizuführen, ist Nonsens. Wir möchten lediglich aus Gründen des öffentlichen Interesses noch einmal die Möglichkeit haben, diese Dinge unter uns zu erörtern, weil wir darin einen Vorgang von Wichtigkeit sehen. Das und nichts weiter ist unsere Absicht. Alle weiteren Unterstellungen, die in trauter Gemeinschaft von Ihrer Seite (zur KPD gewandt) und von Ihrer Seite (zur äußersten Rechten gewandt) hier unternommen werden, sind nichts weiter als eine Verunglimpfung, der jede Grundlage fehlt. .

(Abg. von Thadden: Sehr billig, Herr Vogel!)


Dr. Hermann Schäfer (FDP):
Rede ID: ID0117010100
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es liegen vor der Antrag der Fraktion der CDU/CSU Nr. 2671 der Drucksachen und der Antrag der Abgeordneten von Thadden und Genossen Umdruck Nr. 343. Der letztgenannte Antrag ist zweifellos der weitergehende; ich muß ihn zuerst zur Abstimmung stellen. Ich bitte diejenigen, die ihm zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU. Ich bitte diejenigen, die diesem Antrage zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe nun auf Punkt 13 der Tagesordnung: Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 338).
Ich stelle die Zustimmung des Hauses zu diesem Antrage fest.
Ich habe dann noch dem Herrn Abgeordneten Dr. Ott das Wort zu einer Erklärung zu geben. — Er ist nicht anwesend.
Dann, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 171. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 25. Oktober 1951, 13 Uhr 30, ein.
Die 170. Sitzung des Deutschen Bundestages ist geschlossen.