Rede von
Karl
Gengler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meinne Damen und Herren! Abweichend von der durch meinen Vorredner begründeten Interpellation befaßt sich mein Bericht nur mit den wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten der Stadt Kehl.
Die mit dem Antrag Drucksache Nr. 1493 der CDU/CSU betreffend Wiederbesiedlung der Stadt Kehl zusammenhängenden Fragen haben den Deutschen Bundestag bereits in der 22. Sitzung vom 9. Dezember 1949 und in der 104. Sitzung vom 6. Dezember 1950 beschäftigt. Auf Grund des gestellten Antrags, der die Gewährung bestimmter Zuschüsse verlangt, hat sich der Haushaltsausschuß in seinen Sitzungen vom 17. und 24. Oktober 1951 erneut mit den ganz besonders gelagerten Verhältnissen der Stadt Kehl befaßt. Von den Antragstellern wurde darauf hingewiesen, daß die Lage von Kehl ebenso exzeptionell sei wie die der Stadt Berlin.
Im Gefolge crer Besetzung durch französische Truppen im April 1945 entstand in Kehl der Zustand einer von Frankreich annektierten Stadt, die vorher von der deutschen Bevölkerung völlig geräumt war. Das Gebiet wurde, wie bereits mein Vorredner in seiner Interpellation angeführt hat,
durch Stacheldraht vom deutschen Gebiet völlig abgesperrt.
Nachdem die Stadt vor der Besetzung monatelang den Beschießungen ausgesetzt war, wurde sie nach der Besetzung teilweise zerstört. In größerem Umfange wurden von der Besatzungsmacht Sprengungen und Abbrüche vorgenommen. Unter anderem wurden, um zwischen der Straßenbrücke Straßburg-Kehl und der Hauptstraße von Kehl eine freie Durchfahrt zu schaffen, ganze Häuserblocks niedergelegt. Ferner wurden von der Stadtverwaltung Straßburg zur Wiederherstellung beschädigter Anwesen in Kehl nicht nur teilgeschädigte Anwesen, sondern auch unbeschädigte Gebäude abgerissen, um daraus Baumaterial für Straßburg zu gewinnen.
Darüber hinaus war den Kehlern durch das bis zum Washingtoner Abkommen im Jahre 1949 streng durchgeführte Verbot der Rückkehr in die Heimatgemeinde jede Möglichkeit genommen, in "der Zeitspanne von der Räumung der Stadt im November 1944 bis zum Beginn der teilweisen Wiederbesiedlung im Sommer 1949 an Ort und Stelle für ihr Hab und Gut zu sorgen und ihre häusliche Existenz wiederaufzubauen. Die ab 1949 zurückkehrenden Kehler haben in ihrer Stadt außer den nackten Wänden, sofern diese überhaupt noch standen, nichts mehr von ihrem Eigentum vorgefunden. Während im übrigen Bundesgebiet die Wirtschaft nach Einstellung der Kampfhandlungen, wenn auch langsam, mit dem Wirtschaftsaufbau beginnen konnte, war das Wirtschaftsleben in Kehl tot.
Das Kernstück der Kehler Wirtschaft ist naturgemäß der Kehler Hafen. Ohne diesen ist die Stadt nicht lebensfähig, und ohne diesen werden der Wiederaufbau und die Wiederbesiedlung der Stadt ihren Sinn verfehlen. Der Hafen ist jedoch seit 1945 praktisch nicht mehr benutzt worden. Die technischen Einrichtungen sind weitgehend demontiert oder zerstört worden. Die Hafenbecken selbst sind versandet und daher im jetzigen Zustand nicht verwendbar.
Nach Sachverständigenschätzungen ist damit zu rechnen, daß allein zur Wiederherstellung der landeseigenen Hafenanlagen und zur Ausbaggerung der Hafenbecken 11 Millionen DM aufgewendet werden müßten. Die Kosten für die Wiederherstellung des früheren Zustandes der in Privateigentum stehenden technischen Einrichtungen und Gebäude des Hafens werden auf 20 Millionen DM geschätzt. Bei diesem Finanzbedarf sind nicht die sehr hohen Kosten für die Remontage der demontierten Fabrikanlagen und auch nicht die Aufwendungen für die Erfüllung kommunaler Aufgaben und Ausgaben berücksichtigt, die u. a. für die Wiederherstellung der Kanalisation, des Straßenbaus, der Straßenbeleuchtung und der sonstigen Baulichkeiten entstehen. In gewissem Sinne haben wir es hier mit einer ganz neuen Stadtwerdung zu tun.
Für den Wiederaufbau der Stadt Kehl und des Hafens hat das Land Baden wesentliche Teile des seinerzeitigen Notopfers Berlin-Kehl verwendet. Nach dem Übergang dieses Notopfers an den Bund als Notopfer Berlin wurde von Baden beantragt, daß im Rahmen der bisherigen Mittel durch das Notopfer des Landes Baden weiterhin die Bedürfnisse der Bevölkerung der Stadt Kehl und des gesamten Wiederaufbaus berücksichtigt werden. Der Herr Bundesfinanzminister hat in der 22. Sitzung des Deutschen Bundestags seine Bereitwilligkeit
erklärt, eine solche Nothilfe aus Bundesmitteln weiterhin zu geben. Nach den von dem Herrn Bundesfinanzminister gegebenen Auskünften hat die Bundesregierung diese besondere Hilfe für Kehl auf dem Wege über den horizontalen Finanzausgleich durchgeführt. Unter ausdrücklicher Benennung der Stadt Kehl wurde in den horizontalen Finanzausgleich eine Bestimmung hineingenommen, nach der dem Lande Baden im Jahre 1950 ein Ausgleichsbetrag von 2 Millionen DM gewährt wurde.
Zu der Frage weiterer Hilfe sowohl als verlorener Zuschuß als auch als Darlehen hat der Haushaltsausschuß die Bundesregierung um eine Stellungnahme gebeten. Diese Stellungnahme wurde in der heutigen Sitzung des Haushaltsausschusses gegeben. Das diesbezügliche Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 23. Oktober 1951 an den Haushaltsausschuß des Bundestages lautet:
Betreff: Wiederbesiedlung der Stadt Kehl
Bezug: Antrag der Fraktion der CDU/CSU vom 19. Oktober 1950 — Nr. 1493 der Drucksachen -.
Die sich aus der Sperrung der Stadt Kehl ergebende Belastung des Landes Baden wird im Finanzausgleich 1950 mit einem Ausgleichsbetrag von 2 Millionen DM zugunsten des Landes Baden berücksichtigt. Ein gleicher Betrag ist auch im Finanzausgleich 1951 vorgesehen.
Im Haushaltsjahr 1951 ist die Bereitstellung von Bundesmitteln für die Wiederbesiedlung der Stadt Kehl nicht möglich. Es ist jedoch beabsichtigt, im außerordentlichen Haushalt 1952 einen Betrag von 5 Millionen DM als Darlehen an das Land Baden für produktive Investitionsmaßnahmen bei der Wiederbesiedlung der Stadt Kehl einzusetzen.
Ich darf mir für die Sitzung des Haushaltsausschusses am 24. Oktober nähere Erläuterungen dazu vorbehalten.
Gezeichnet: Schäffer.
Dieses Schreiben des Herrn Bundesministers stellt an sich eine anerkennenswerte feste Zusage zur Hilfe für Kehl dar. Bei der Aussprache über diese Stellungnahme des Bundesfinanzministers wurde zur Frage der Leistungen des Landes Baden aus dem früheren Notopfer Berlin-Kehl im Ausschuß vermerkt, daß dieses nur aus dem Aufkommen eines halben Jahres genommen werden konnte und die Leistungen des Landes dadurch beschränkt waren. Die Größenordnung des Notopfers gäbe aber, auf ein Jahr gerechnet, statt 8 Millionen DM Aufkommen ein solches von 14 bis 15 Millionen DM; dementsprechend wäre auch der Rückfluß höher anzusetzen.
Im ganzen handelt es sich, so wurde im Ausschuß betont, um die Rückkehr der Stadt und des Hafens in das deutsche Hoheitsgebiet. Bei der Wiederbesiedlung und dem Wiederaufbau der Stadt Kehl, die nach Maßgabe der Räumung erfolgen, handelt es sich auch nicht um Investitionen im üblichen Sinne, sondern vielmehr um Wiederherstellung. Der Ausschuß war sich darin einig, daß für diese Wiederherstellung der Stadt Kehl und insbesondere des Hafens neben Darlehen auch verlorene Zuschüsse oder Beiträge gegeben werden sollen. Aus etatsrechtlichen Gründen glaubte der Haushaltsausschuß aber, der Festsetzung im Haushalt 1952 nicht vorgreifen zu können; er hat sich hierzu auf die Aufstellung des Grundsatzes beschränkt und von der Nennung eines bestimmten Betrages abgesehen. Dieser Betrag ist im Verhandlungswege mit dem Lande Baden zu klären und dann im neuen Haushalt vorzusehen.
Es wurde betont, daß die Wiederherstellung von Hafen und Stadt Kehl über die Leistungsfähigkeit eines Bundesstaates hinausgehe und daß es sich hier um eine gesamtdeutsche Angelegenheit handle. Im Falle Kehl — das muß ich besonders hervorheben — handelt es sich auch um einen ausgesprochenen Sonderfall, wie er im übrigen Bundesgebiet nicht zu verzeichnen ist.
Bezüglich der Ziffer 2 des Antrags auf Drucksache Nr. 1493 war der Ausschuß der Auffassung, daß diese durch die im horizontalen Finanzausgleich gewährten Beträge berücksichtigt sei und daß damit dieser Teil des Antrages als erledigt angesehen werden könne.
Im Auftrage des Haushaltsausschusses habe ich dem Hause folgenden Antrag zu unterbreiten. Er ist als Drucksache Nr. 2713 vervielfältigt und lautet:
Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag Nr. 1493 der Drucksachen durch die Erklärung der Bundesregierung vom 23. Oktober 1951 für erledigt zu erklären mit der Maßgabe, daß die Bundesregierung beauftragt wird, die für die Wiederbesiedlung der Stadt Kehl und für die Wiederbelebung ihrer Wirtschaftskraft erforderlichen Beträge gemeinsam mit dem Land Baden zu ermitteln und im Haushalt 1952 die erforderlichen Teilbeträge als Darlehen und Zuschüsse einzustellen.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß unter „Wiederbelebung ihrer Wirtschaftskraft" insbesondere verstanden wird, daß der Hafen Kehl hier mit einbegriffen ist.
Namens des Ausschusses beantrage ich Zustimmung zu diesem im Haushaltsausschuß einstimmig gefaßten Beschluß.