Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich hatte nicht erwartet, daß es heute wieder zu einer umfassenden Debatte um das Problem der Einheitsversicherung kommen würde. Auch war ich nicht Gast des Deutschen Ortskrankenkassentags und bin deshalb mit dem Gedankengut dieser . Diskussionen um unsere Gesetzesvorlage nicht so vertraut. Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß sich Herr Professor Preller mit Herrn Kohl, dem letzten Redner, restlos in seiner Auffassung von der Schaffung einer möglichst umfassenden „Staatsbürgerversorgung für jedermann" identifizieren möchte; aber ich verstehe doch, warum er einiges nicht wissen kann. Herr Kollege Dr. Preller ist sehr viel später in den Bundestag gekommen und konnte an den Beratungen über das Selbstverwaltungsgesetz, die nicht immer bequem und einfach waren, leider nicht teilnehmen. Wenn er dabei gewesen oder wenn er besser informiert worden wäre, dann wüßte er, daß uns niemals vorgeschwebt hat, mit dem Gesetz zur Wiederherstellung der Selbstverwaltung in den Sozialversicherungsträgern etwa die Probleme der Organisationsform der deutschen Sozialversicherung zu diskutieren oder so nebenher mitzuerledigen. Wenn Herr Professor Preller weiter gut informiert wäre, so wüßte er auch, daß all die Fragen, die er angeschnitten hat, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß nicht nur aufs gründlichste geprüft, sondern sogar widerlegt worden sind. So verlockend es wäre, auf dieses Problem einzugehen, habe "ich doch nicht die Absicht, diejenigen weitgehend zu belehren, die sich gut aus den damaligen Protokollen unterrichten können.
Ich möchte nur auf die Frage eingehen, die Herr Dr. Preller besonders erwähnt hat. Da möchte ich — und ich fühle mich hierin mit unseren Koalitionspartnern einig — zunächst Verwahrung dagegen einlegen, daß die Behandlung dieses Antrags etwa eine Verzögerung der Verabschiedung der Wahlordnung und der Durchführung der Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen zur Folge haben könnte, Ich bitte die Herren Kollegen aus der SPD, alles zu tun und dafür zu sorgen, daß dieser Antrag
im Sozialpolitischen Ausschuß so schnell über die Bühne geht, wie Sie wünschen, daß der Antrag des Bundesrats über die Bühne gegangen wäre. Wir werden das unsere dazu tun. Es gibt darin keine neuen Probleme; es gibt nur ein Problem: jetzt festzustellen, daß nicht etwa der Bundestag, auch nicht sein Ausschuß, sondern der Bundesrat die Verabschiedung der Wahlordnung verzögert hat, als in seinen Ausschüssen wochenlang die Frage der Wahlausweise diskutiert wurde und als man sich nicht klar darüber war, ob die Rentner das aktive und passive Wahlrecht zur gleichen Zeit haben sollten. Als die Besprechungen mit den sogenannten Sozialpartnern und mit den Verbänden beendet waren, war es der Bundesrat, der Wochen und Wochen brauchte — das möchte ich nur sachlich feststellen —, um die Wahlordnung dann doch abzulehnen.
Wir müssen uns gegen den Vorwurf verwahren, daß bei diesem Gesetz Sonderinteressen vertreten würden oder daß es sich um eine Zersplitterung der Kräfte der Sozialversicherungsträger handele, wie es Herr Professor Preller ausgedrückt hat. Herr Professor Preller, als Sozialpolitiker wissen Sie so gut wie ich, daß in der französischen Zone die französische Militärregierung — inspiriert nicht allein von Ihren Freunden, sondern in der Hauptsache von denen des Herrn Abgeordneten Kohl; aber auch Ihre Freunde haben mitgeholfen — damals die Einheitsversicherung befohlen hat. In den Landtagen der französischen Zone ist nach demokratischen Regeln abgestimmt worden, und in den Landtagen der französischen Zone hat man sich zum deutschen Recht, wie es in der Reichsversicherungsordnung niedergelegt ist, bekannt; und die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter der Betriebe der französischen Zone haben sich dort bei den Abstimmungen mit großer Mehrheit für ihre Betriebskrankenkassen so ausgesprochen, wie sich die Arbeiter und Angestellten gelegentlich in ihren Treuebekenntnissen zu den Selbsthilfeeinrichtungen ihrer Ersatzkassen aussprechen.
- Das stimmt, und Sie wissen es. Wenn Sie diesen Zwischenruf machen, sprechen Sie gegen besseres Wissen.
Was geschah in Bremerhaven? In Bremerhaven hat ein Ortskrankenkassenleiter zusammen mit einem Ihrer Herren Genossen mit Hilfe der amerikanischen Militärregierung die Einheitskasse geschaffen!
— Einen Augenblick. Gestatten Sie, Herr Präsident: Herr Dr. Hammer, haben Sie die Liebenswürdigkeit und geben Sie mir die Zeit Ihrer Fraktion?
- Ich danke Ihnen. — Ich spreche — und ich bin mit den Freunden aus der Freien Demokratischen Partei und der Christlich Demokratischen Union einig — zu der Frage nur so, wie sie sich uns sachlich im Sozialpolitischen Ausschuß dargestellt hat. Die Innungskassen in Bremerhaven wurden geschlossen, weil man der Auffassung war, daß die Bäcker und Schlachter Eigenbrötler seien. Die Ersatzkassen wurden mit der Begründung geschlossen, die Geschäftsführer seien Mitglieder der NSDAP gewesen. Die Betriebskrankenkassen und die Landkrankenkassen wurden geschlossen, weil sie angeblich eine preußische Einrichtung seien. Es entbehrt nicht des Reizes, in die Geschichte jener Zeit nach 1945 hineinzuschauen und festzustellen,
wie entgegen jeder, aber auch jeder Vorstellung von Demokratie dort verfahren worden ist.
Ich glaube, die guten Demokraten in diesem Hause werden alle mit mir einig sein, daß die deutschen Versicherten selber zu bestimmen haben, wie die Form aussehen soll, in der sie sich ihre Krankenkasse wünschen.
In der französischen Zone soll nichts anderes geschehen, als was überall und zu jeder Zeit unter der Reichsversicherungsordnung möglich war, und ich darf für die Auch-Sozialpolitiker, die heute in den Zeitungen schreiben, daß die Ortskrankenkassen noch mehr geschädigt werden, wenn weitere Krankenkassen zugelassen würden, nur noch hinzufügen: In der französischen Zone sind weder die Beiträge erhöht noch die Leistungen gesenkt worden, nachdem die Sonderkassen wieder zugelassen wurden.
Was uns das Experiment der uns von der russischen Kommandantur in Berlin bescherten Einheitsversicherung gekostet hat, meine Herren und Damen, darüber wollen wir in der augenblicklichen Situation und in dieser Stunde schweigen.
Ich wüßte nicht — ich habe, wie gesagt, die Reden beim Ortskrankenkassentag nicht gehört — was in diesem Entwurf verankert wäre, was außerhalb der RVO irgendeine Regelung zuließe. Ich weiß auch nicht, von welchen anderen Tendenzen Herr Professor Preller spricht, wenn er zum § 1 sagt, daß die Zulassung von Vereinigungen von Arbeitnehmern zur Einreichung von Wahlvorschlägen zu den Selbstverwaltungsorganen nicht demokratisch wäre. Ja, dann weiß ich nicht, was Herr Professor Preller, und wenn er für seine Freunde gesprochen hat, was seine Fraktion dann für demokratisch hält?! Setzen Sie voraus, daß etwa sämtliche Versicherten der deutschen Sozialversicherung Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind? Ich glaube, Sie sind mit mir der Auffassung, daß das nicht der Fall ist. Wenn es so ist, daß die Mehrzahl der Versicherten nicht ihre gewerkschaftliche Vertretung in einer Massen- und Einheitsorganisation hat und zu haben wünscht, dann sollen auch die übrigen Verbände, Organisationen und Gemeinschaften, in denen sich Arbeitnehmer zusammengefunden haben, dasselbe Recht haben, eine Liste aufzustellen, wie jede andere Gewerkschaft.
Wenn wir als gute Demokraten die Selbstverwaltung als die vornehmste und edelste Tugend in der Demokratie wahrhaft pflegen und entwickeln wollen, dann wollen wir dazu beitragen, daß auch die Menschen an sie herangeführt werden, die nicht ihr Ideal in den Massenorganisationen unserer Zeit sehen.
— Nicht aha! Meine Meinung ist Ihnen bekannt, und ich habe sie nie verschwiegen. Herr Professor Preller, Sie kennen die Zahl der Zwangsversicherten genau so gut, wie Sie die Zahl der Zwangsorganisierten kennen! Wir wollen die Freiheit und wir wünschen die Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der sozialen Krankenversicherung wie in der sozialen Renten- und Unfallversicherung nach den Prinzipien der Demokratie und der Freiheit, die wir in einem Rechtsstaat so auffassen, daß sie nur unteilbar sein kann.