Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird den Initiatoren dieses Antrages bekannt sein — der Abgeordnete Horn hat eben selber darauf hingewiesen —, daß dieser Antrag einer großen Reihe derjenigen, die davon betroffen oder an der Entwicklung der sozialen Sicherung interessiert sind, zu sehr ernsten Bedenken Anlaß gegeben hat. Gerade wenn, worauf der Herr Abgeordnete Horn eingangs — wie ich glaube, auch von seinem Standpunkt aus mit guten Gründen —, verwiesen hat, die Wahlordnung leider bis heute noch nicht erschienen, die Wahl also hinausgezögert worden ist, müssen wir mit Bedauern feststellen, daß der vorliegende Gesetzesantrag eine starke Tendenz zeigt, die Zersplitterung des Versicherungswesens, die wir schon haben, noch weiter zu treiben und das Zustandekommen der Selbstverwaltung in der Praxis weiter hinauszuschieben.
Sie wissen ja, daß schon das Selbstverwaltungsgesetz ein so kompliziertes Wahlverfahren festlegte, daß sich meine Fraktion damals nicht in der Lage sah, diesem Gesetz zuzustimmen, weil die Übersichtlichkeit der Wahl nicht garantiert war. Der Bundesrat hat denn auch in den letzten Wochen und Monaten die Lückenhaftigkeit dieses Gesetzes bescheinigen müssen. Der Bundesrat wollte sie mit einem Gesetzentwurf beseitigen, der in einem Paragraphen mit vier Absätzen die erforderlichen Ergänzungen bringen sollte.
Meine Damen und Herren, der Entwurf, den wir jetzt vorliegen haben, versucht nicht nur Lücken zu schließen, sondern auch einige Tendenzen zu
ändern, die seinerzeit das Selbstverwaltungsgesetz festgelegt hatte. Selbst Ministerialdirektor Eckert vom Bundesarbeitsministerium hat auf der Krankenkassentagung am Montag mit Bedauern festgestellt, daß durch diesen Entwurf Lösungen außerhalb der Reichsversicherungsordnung gesucht würden.
Was uns an diesem Gesetzentwurf so außerordentlich mißfällt und weshalb wir glauben, daß er keinen Fortschritt bringt, das ist, daß er offensichtlich bestimmte Versicherungseinrichtungen bevorzugt, z. B. die Krankenkassen, die bisher geschlossen waren. Ohne daß ich auf die einzelnen Paragraphen hier eingehe, kann ich doch sagen, daß § 10 eine Lex Bremerhaven darstellt, ein Gesetz, das insonderheit zur Änderung von Bestimmungen und Zuständen im Gebiet von Bremerhaven, die offensichtlich nicht gefallen, ergehen soll.
Es ist aber auch nicht so, wie Kollege Horn hier ausgeführt hat, daß auch bei der vorgeschlagenen Regelung die bisherigen Verhältnisse in der französischen Zone bestehen blieben. Es mag der Wille der Antragsteller sein, in der französischen Zone keine Änderungen mehr herbeizuführen; aber der Gesetzestext, wie er vorliegt, läßt auch Krankenkassen in der französischen Zone, die bereits zum Ausdruck gebracht haben, nicht wieder aufleben zu wollen, automatisch wieder aufleben. Ich glaube, das geht nicht an.
Ich habe vorhin auf § 10 hingewiesen. Sowohl hier als auch bei anderen Bestimmungen des Entwurfs müssen wir feststellen, daß Minderheiten die Befugnis erhalten, Änderungen herbeizuführen. Herr Kollege Horn, ich kann Ihnen nicht folgen, wenn Sie glauben, daß der Gesetzentwurf in diesen Bestimmungen demokratischen Prinzipien folgt. Wenn Minderheiten von vornherein eine bevorzugte Stellung haben sollen, so kann ich das nicht demokratisch nennen.
Das gilt auch für die Bestimmung des § 1, nach der jenen Gruppen, die aus Vereinigungen von Arbeitnehmern bestehen, Rechte eingeräumt werden, die meines Erachtens schon im Selbstverwaltungsgesetz nicht in der bestehenden, Form hätten zugestanden werden sollen, die nun aber durch die hier vorgesehene Bestimmung noch starke Erleichterungen für diese nichtgewerkschaftliche Gruppe bringen.
Ich bin nicht der Auffassung, daß das der Sinn eines solchen Gesetzes sein kann. — Sie auf der rechten Seite können ruhig lachen; ich glaube, daß es eine ganze Reihe von Organisationen und Gruppen geben wird, die auch Ihnen nicht gefallen und die auf diese Weise nun wieder in den Versichertenkörper hineingelangen könnten.
Meine Damen und Herren, wir hören in unserer Zeit von allen Seiten, die sozialpolitisch interessiert sind, immer wieder, es komme auf eine Zusammenfassung in der Sozialversicherung an. Jetzt muß ich aber feststellen, daß durch die Förderung von bestimmten Kassenarten eine neue Aufsplitterung erfolgt. In dem Augenblick, in dem der Bundesfinanzminister glaubt, durch eine Stilihalteaktion dem Parlament eine Art Stop der Sozialausgaben vorschreiben zu sollen —das ist eine Angelegenheit, die das Parlament noch beschäftigen muß —, können wir innerhalb der Sozialversicherungseinrichtungen nicht Regelungen treffen, die praktisch neue Ausgaben für diese Einrichtungen bringen. Wir sollten uns doch darüber klar sein, daß es nicht
darauf ankommt, die Handhabe für neue Verwaltungsausgaben zu schaffen, sondern darauf, die verfügbaren Mittel für eine Verbesserung der sozialen Leistungen anzusetzen.
Weil nun der Entwurf nicht nur einige Lücken schließt, die auch zum Teil in Ausführungsbestimmungen hätten geschlossen werden können, sondern weil er materielle Neuordnungen trifft, wird er praktisch die Herausgabe der Wahlordnung verzögern. Kollege Horn hat ja bereits auf das bisherige Schicksal der Wahlordnung hingewiesen. Meine Damen und Herren, dieses dicke Buch war der Entwurf der Wahlordnung. Auf ihn hatten sich immerhin nunmehr die Arbeitgeber, die Gewerkschaften und die Sozialversicherungsträger geeinigt. Nach diesem Gesetzentwurf und nach seiner etwaigen Annahme müßte diese Wahlordnung noch einmal neu bearbeitet, neu von den Instanzen beraten werden, obwohl eine Einigung bereits erfolgt war. Wann soll denn nun eigentlich die Wahl stattfinden? Glauben Sie, daß dieser Antrag in Kürze bereits über die Bühne gehen könnte? Ich glaube, Sie werden sich irren. Wir hatten zwar die beratenden Ausschüsse bei den Versicherungsträgern — und sie haben sicher nicht schlecht gearbeitet —, aber praktisch werden wir die autoritäre Führung in der Sozialversicherung, wie wir sie in der Nazizeit bekommen haben, noch längere Zeit weiter behalten.
Die Regelung der eigentlichen Selbstverwaltung, auf die es uns allen ankommt und ankommen sollte, wird noch einmal hinausgeschoben, obwohl sie schon sechs Jahre lang nicht zustande gekommen ist. Und weshalb? Ich glaube, man muß feststellen: weil sich in diesem Entwurf gewisse Sonderinteressen nach vorn gedrängt haben!
Das sollte aber doch die Regelung der Selbstverwaltung wirklich nicht aufhalten. Ich bin der Auffassung, daß Sie sich mit diesem Entwurf kein Ruhmesblatt erworben haben.
Wir werden den Entwurf im Ausschuß sehr gründlich beraten müssen, und ich hoffe, daß wir, wenn schon der Entwurf im Ausschuß beraten werden muß, dann wenigstens zu einer Regelung kommen, die uns eine baldige Wahl in den Versicherungskörperschaften ermöglicht.