Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Im vorigen Jahr wurde, genau so wie heute, durch eine Interpellation der SPD eine Debatte über die Gewährung von Winterbeihilfe ausgelöst, die dazu führte, daß ein Antrag der SPD über eine Erhöhung der vorher von der Bundesregierung vorgesehenen Sätze angenommen wurde. Im vergangenen Jahr ging die ursprüngliche Initiative für die Gewährung einer Winterbeihilfe vom Bundesrat aus, genau so wie heute, nur mit dem Unterschied, daß sich im vergangenen Jahr der Bundesrat nur dazu entschließen konnte, der Bundesregierung eine Anregung zu geben, während sich der Bundesrat diesmal zu einem Beschluß zusammenfand, der in einer Entschließung, die dann an die Bundesregierung weitergeleitet wurde, seinen Niederschlag fand. Diese Entschließung lautete:
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, baldmöglichst an den Kreis der Unterstützungsempfänger, der im vorigen Jahr die Sonderbeihilfe zur Beschaffung des Winterbedarfs an Kohle und Kartoffeln erhalten hat, auch in diesem Jahr eine Beihilfe auszuzahlen. Bei der Festsetzung der Höhe der Beihilfe ist die eingetretene Preissteigerung zu berücksichtigen.
Leider hat sich die Bundesregierung trotz des
frühen Termins, zu dem der Bundesrat an die Regierung herangetreten war — bereits am 27. Juli —,
auch in diesem Jahre wieder viel Zeit mit einer Beantwortung und mit einer Regelung gelassen, so daß wir gar nicht überrascht zu sein brauchen, wenn die davon betroffenen Personenkreise durch die Verzögerung außerordentlich beunruhigt sind.
Ich hatte bereits im vorigen Jahr im Auftrag meiner Fraktion bei der Begründung unserer Interpellation darauf hingewiesen, daß diese Verzögerung — denn die Bundesregierung hatte auch im vorigen Jahr die dazu notwendigen Erlasse erst am 3. November und 5. Dezember herausgegeben — unser stärkstes Befremden hervorgerufen hatte, und zwar deshalb, weil wir es politisch für falsch halten, durch solche Verzögerungen eine Fülle von sozialem Zündstoff sich ansammeln zu lassen, und weil wir es für richtig und notwendig gehalten hätten, daß die Bundesregierung von sich aus Schritte zur Regelung dieser Frage unternommen hätte.
Wir stellen mit Bedauern fest, daß die Bundesregierung aus der Debatte im vorigen Jahr keinerlei Konsequenzen gezogen hat, wie wir es ja überhaupt gewohnt sind, daß die Regierung die Wünsche des Parlaments selten respektiert.
Hätte die Bundesregierung ihre Konsequenzen daraus gezogen, so wäre sie früh genug in dieser Richtung tätig geworden;
zum mindesten hätte sie den Bundesrat nicht bis zum 9. Oktober auf die Stellungnahme zu einer Entschließung warten lassen, die ihr bereits am 27. Juli zugeleitet wurde.
Ich stelle noch einmal fest: Im Juni nahmen die zuständigen Länderminister miteinander Fühlung und wiesen noch im gleichen Monat in einer Entschließung auf die Notwendigkeit hin, das Problem der Winterbeihilfe rechtzeitig anzupacken. Im Juli setzten die Länder ihre Bemühungen einzeln in Bonn fort. Die Bundesregierung antwortete nicht.
Ende Juli schaltete sich der Bundesrat ein und faßte die Entschließung. Die Bundesregierung antwortete nicht.
Am 1. September machte Niedersachsen detaillierte Vorschläge über die Auszahlung der Winterbeihilfe. Die Bundesregierung antwortete nicht.
Inzwischen wurde es kalt. Kohlen und Kartoffeln sollten eingekellert werden. Die betroffenen Personenkreise wußten immer noch nicht, was die Bundesregierung beabsichtigte, so daß wir uns veranlaßt sahen, unsere Interpellation am 2. Oktober einzureichen.
Am 9. Oktober endlich erschien der Erlaß der Bundesregierung über die Regelung der Winterbeihilfe. Wir hätten also nun unsere Interpellation von der Tagesordnung zurückziehen lassen können, wenn es uns nicht interessiert hätte, einmal zu erfahren, warum die Bundesregierung immer so lange Zeit braucht, um zu einer sozialen Leistung zu kommen, deren Notwendigkeit in diesem Hause wohl kaum bestritten wird, und wenn — und das ist uns noch viel wichtiger — wir uns mit der beabsichtigten Regelung über die Gewährung der Winterbeihilfe hätten einverstanden erklären können. Aber dem ist nicht so, meine Herren und Damen. Wir stellen mit Bedauern fest, daß die
Leidtragenden der Stillhalteaktion, die von dem Herrn Bundesfinanzminister von einigen Wochen im Hinblick auf die sozialen Aufwendungen des Bundes verkündet wurde, nun zu allererst die Personengruppen sind, die auf eine angemessene Zuwendung von seiten des Bundes angewiesen sind, wenn sie nicht ohne Kartoffeln und ohne Kohlen in den Winter hineingehen sollen.
Im vorigen Jahr hat der Bund die Winterbeihilfe für sämtliche Alfü-Empfänger und für die AluEmpfänger, soweit sie den Alfü-Empfängern wirtschaftlich gleichgestellt waren, in gleicher Weise wie bei den Kriegsfolgehilfe-Empfängern der öffentlichen Fürsorge und den ihnen gleichgestellten Personenkreisen übernommen. Im vergangenen Jahr wurden Sätze von 25 Mark für den Haushaltungsvorstand und 10 Mark für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen als verrechnungsfähig anerkannt. In diesem Jahre aber bleibt der Bund nach dem Erlaß vom 9. Oktober in seiner Beteiligung an den notwendigen Beihilfen für den erhöhten Winterbedarf erheblich hinter den Leistungen des Vorjahres zurück. Nach einem Schreiben des niedersächsischen Ministerpräsidenten an den Herrn Bundeskanzler — dieses Schreiben ist ja allen niedersächsischen Abgeordneten des Hauses zugegangen — und nach einer Presseinformation des niedersächsischen Sozialministers verweist in diesem Jahre die Bundesregierung mindestens 650 000 Hauptunterstützungsempfänger der Arbeitslosenfürsorge an die Fürsorgeverbände, und rund 550 000 Empfänger von versicherungsmäßiger Arbeitslosenunterstützung sollen keine vom Bund geförderte Winterbeihilfe erhalten, da sie fürsorgerechtlich nicht als hilfsbedürftig gelten.
Darüber hinaus sollen in diesem Jahr für den Hauptunterstützungsempfänger nur 20 Mark und für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen nur 5 Mark verrechnet werden. Und das, meine Herren und Damen, bei den augenblicklichen Preisen, ganz besonders bei den augenblicklichen Kartoffelpreisen!
Das ist eine Regelung, zu der wir nicht ja sagen können. Wir wünschen nicht, daß die Empfänger der Alu und Alfü an das Wohlfahrtsamt abgeschoben werden, ganz abgesehen davon, daß die Bezirksfürsorgeverbände verwaltungsmäßig auch gar nicht mehr in der Lage wären, vor Weihnachten die fürsorgerechtliche Hilfsbedürftigkeit dieses riesigen Personenkreises zu überprüfen. Im Gegenteil. Wir vertreten die Ansicht, daß für diesen Personenkreis eine Winterbeihilfe oder Wirtschaftsbeihilfe durch die Arbeitsämter ausgezahlt werden muß und daß sämtliche Alfü-Empfänger und die ihnen wirtschaftlich gleichstehenden Alu-Empfänger ohne weiteres als hilfsbedürftig gelten und daß sich der Bund in gleicher Weise wie im vorigen Jahr daran beteiligen muß. Auch die Bundesregierung hätte wissen müssen, daß fürsorgerische Maßnahmen technisch jetzt überhaupt nicht mehr durchführbar sind und daß durch diesen Erlaß die gesamte Winterbeihilfe in Gefahr gebracht wird.
Wir sind nicht der Meinung, daß der Bund so verfahren kann. Der soziale Schaden, den eine solche Regelung eintragen würde, wäre wahrscheinlich allzu groß.
Hierbei handelt es sich um den vom Bund betreuten Personenkreis. Wir meinen aber auch, daß
allen Rentenempfängern und allen sonstigen Unterstützungsempfängern eine Wirtschaftsbeihilfe, die außerhalb der allgemeinen Fürsorgepflichtleistungen liegen muß, zu gewähren ist. Ich möchte auch noch darauf hinweisen, daß sich die große Masse der Arbeitslosen in den Flüchtlingsländern befindet. Diese Massenarbeitslosigkeit sollte durch die Flüchtlingsumsiedlung aufgelockert werden. Der Bund war nicht in der Lage, diese Umsiedlung durchzuführen, und trotzdem will er sich weitgehend aus der Hilfe für arbeitslose Flüchtlinge zurückziehen! Wir sind der Ansicht, daß der Bund die Verantwortung für diesen Personenkreis trägt und daß er diesem Personenkreis die Möglichkeit geben muß, in einem gewissen Maße für den Winter vorzusorgen. Bleiben wir aber bei der von der Regierung vorgeschlagenen Regelung, so wird es viele Tausende Menschen geben, die in diesem Winter verurteilt sein werden, in einer kalten Stube und vor einem leeren Teller zu sitzen. Das aber, meine Damen und Herren, kann um des sozialen Schadens willen nicht von uns verantwortet werden, das kann nicht die Absicht dès Bundes sein.
Wir haben uns deshalb veranlaßt gesehen, im Zusammenhang mit unserer Interpellation den Antrag einzubringen, der Ihnen auf Drucksache Nr. 2724 vorliegt. Wir bitten Sie wegen der Eilbedürftigkeit der Materie, diesen Antrag nicht erst an den zuständigen Ausschuß zu überweisen, sondern gleich heute, genau so wie im vergangenen Jahr, darüber abzustimmen. Ich bitte noch einmal sehr herzlich, unserem Antrage zu entsprechen.