Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 39. Sitzung des Deutschen Bundestages. Es tut mir leid, daß der Termin des Beginns der Sitzung verschoben worden ist; das hat aber seine bestimmten internen Gründe.
Ich bitte nunmehr zunächst den Schriftführer. Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil, die Liste der heute abwesenden Mitglieder des Hauses bekanntzugeben.
Es fehlen folgende Damen und Herren des Hauses wegen Erkrankung: Neumann, Freitag, Reitzner, Dr. Baade, Schönauer, Dr. Laforet, Stücklen, Dr. Orth, Freudenberg, Dirscherl, Determann, Wittmann, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Schütz, Wagner, Dr. Weiß. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten
Fischer, Löbe, Frau Schroeder, Wönner, Stahl, Dr. Oesterle, Reimann, Oskar Müller, Kurt Müller, Frau Thiele, Hugo Paul, Wallner, Parzinger, Rademacher, Neuburger, Dr. Dresbach, Graf von Spreti, Dr. Kopf, Mensing, Frau Dr. Ilk. Außerdem fehlt der Abgeordnete Goetzendorff.
Meine Damen und Herren, ich habe folgende weiteren Mitteilungen zu machen.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 14. Februar die Anfrage Nr. 41 der Abgeordneten Strauß und Genossen betreffend Einfuhr von Kakaoschalen, Drucksache Nr. 452, beanwortet.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat mit Schreiben vom gleichen Tage die Anfrage Nr.29 der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Reichsanstalt für Angestellte, Drucksache Nr. 388, beantwortet. Die gedruckten Antworten gehen den Mitgliedern des Hauses zu.
Über die Entstehung der heutigen Tagesordnung darf ich kurz folgendes sagen. Wir haben uns heute früh im Ältestenrat darauf geeinigt, die gestern nicht erledigten Punkte erneut auf die Tagesordnung zu setzen, ebenso zwei Punkte der Tagesordnung, die für heute vorgesehen war. Alle andern Punkte werden in der nächsten Woche erledigt.
Zunächst hat Herr Abgeordneter Ollenhauer das Wort zu einer Erklärung.
Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion des Deutschen Bundestags gebe ich folgende Erklärung ab.
Der Nationalsozialismus hat Deutschland seine nationale Einheit gekostet, hat Millionen Menschen vieler Nationen um Leben und Eigentum gebracht und den Haß der Welt gegen unser Volk entfacht.
Der Wolfgang Hedler, der sich durch Fragebogenfälschung die Wählbarkeit erschlich, hat sich ohne Scham und Reue zu den angeblichen Vorzügen der verbrecherischen Gewaltherrschaft bekannt,
die Deutschland in den Abgrund geworfen und Europa an den Rand der Zerstörung gebracht hat.
Im Prozeß von Neumünster hat sich Hedler aufs neue in diesem, Sinne betätigt. Die Verhandlungsführung durch den Landgerichtsrat Paulick und der Freispruch Hedlers zeigen, daß hier Richter, die dieselbe parteipolitische Entwicklung wie Hedler durchgemacht haben, sich sachlich und politisch mit dem Angeklagten identifizieren.
Der Verlauf des Prozesses und das Urteil bedeuten eine erneute schwere Schädigung und Entehrung des deutschen Volkes.
Den Opfern und Gegnern des Naziterrors ist ihr Recht verweigert worden.
Die sozialdemokratische Fraktion verlangt die Bestrafung der schuldigen Richter wegen Rechtsbeugung.
Sie nimmt den Kampf gegen' die Schuldigen an Deutschlands Unglück und der Zerstörung Europas mit allen Mitteln auf.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.
Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde bedauern aufs tiefste, daß die sozialdemokratische Fraktion den Fall Hedler zum Anlaß genommen hat, diese außerordentlich bedenkliche Erklärung abzugeben.
Meine Damen und Herren! Wir wissen uns im Grundsätzlichen, das heißt in der Stellungnahme gegen das, was Sie dem Abgeordneten Hedler vorwerfen, und in dem Willen, gegen jene Kräfte, die Sie mit Ihrer Erklärung meinen, unbeugsam vorzugehen, einig.
und zu diesen Grundsätzen gehört die Unabhängigkeit der Justiz.
(Abg. Dr. Schumacher: Nun hört es aber
auf! — Große Unruhe bei der SPD und
bei der KPD.)
— Ich sagte: die wenigsten von Ihnen. Herr Dr. Schumacher, Sie mögen den einen oder andern Experten gehabt haben, der die Protokolle verfolgt, der Tatbestand und Entscheidungsgründe dieses Urteils sorgfältig geprüft hat. Wieviele Ihrer Fraktion aber waren dazu in der Lage? Niemand von uns war dazu in der Lage. Jeder von uns, der etwa den schweren Vorwurf der Rechtsbeugung diesen Richtern gegenüber erheben wollte, hätte sich der Mühe unterziehen müssen, die Tage gekostet hätte, die Protokolle, den ganzen Verhandlungsverlauf, den Tatbestand und die Urteilsgründe zu überprüfen.
Meine Damen und Herren, wir dürfen uns in dem gemeinsamen Willen, die politischen Gegner dieser neuen Verfassung zu bekämpfen, nicht zu voreiligen, emotional bedingten Entschlüssen hinreißen lassen.
Wir würden gerade im Interesse dieser Verfassung damit einen schweren Fehler begehen. Warten wir ruhig ab, bis die Tatsachen feststehen.
Sie hätten allenfalls eine Untersuchung dieses Gerichtsurteils verlangen können, Sie hätten fordern können, daß untersucht wird, ob wirklich die Richter in diesem Falle irgendwie befangen gewesen sind. Vorläufig haben Sie nur eine Vermutung, und auf Grund dieser Vermutung erheben Sie gegen die deutsche Justiz einen derartig schweren Vorwurf.
Meine Damen und Herren, es gibt nun einmal
den Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz,
und wir können von diesem Grundsatz nicht
dann abgehen, wenn es uns paßt, und uns ein
andermal zu ihm bekennen, wenn es uns paßt.
Wir müssen diesen Grundsatz auch dann respektieren, wenn uns ein Urteil einmal nicht gefällt.
Wir haben, meine Damen und Herren, nicht nur eine Demokratie zu verteidigen, wir haben auch einen Rechtsstaat zu verteidigen.
Und das eine ist genau so wichtig wie das andere. Erwecken wir untereinander nicht den Eindruck, als ob wir etwa nicht im Letzten, um das es geht, nicht einig wären. Das sind wir! Leider sind wir uns nicht einig darin, daß wir die Grundlagen dieses Rechtsstaates nicht antasten dürfen.
Denn tasten wir sie an, dann bricht eines Tages das ganze Gebäude zusammen. Deswegen bedauern wir diese Erklärung.
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weiter erteile, darf ich an alle Seiten des Hauses den herzlichen Appell richten, die Ausführungen der Redner möglichst mit Ruhe anzuhören. Daß wir alle an diesem Vorgang mit innerer Leidenschaft teilnehmen, unterliegt keinem Zweifel; aber wir sollten dieser Leidenschaft auf allen Seiten in einer parlamentarisch gemessenen Form Ausdruck geben. Darf ich diese Bitte an Sie richten!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine politischen Freunde haben aus den Ereignissen der letzten 30 Jahre den Schluß gezogen, daß es gilt, das deutsche Volk vor jeder Art von Totalitarismus und Kollektivismus zu bewahren, daß es darum geht, einen freiheitlichen Rechtsstaat aufzurichten, in den die Achtung vor dem Recht und vor den Menschen, die die schwere Aufgabe haben, das Recht zu wahren, über allem steht. Deswegen bedauern wir eine Erklärung, die von der Ehrfurcht vor dem Recht und vor der schweren Aufgabe der Rechtswahrung nicht getragen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben gestern eine äußerst scharfe Erklärung des Herrn Dr. Schumacher über die Richter, die diesen Fall zu beurteilen hatten, in einem Augenblick vernommen, als überhaupt noch kein Bericht über die mündliche Urteilsbegründung vorlag.
Es hat bis jetzt noch keinen zuverlässigen und einigermaßen erschöpfenden Bericht über den Inhalt dieser Urteilsbegründung gegeben.
Das, was man aus ernsthaften Blättern entnehmen kann, das ist dies: daß die von einem sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten angefertigte Niederschrift über die damalige Rede Hedlers von den Zeugen nicht bestätigt worden ist, daß sich sogar -herausgestellt hat, daß diese Niederschrift erst nach der Rede — man weiß nicht genau, in welchem Zeitpunkt — angefertigt und daß sie noch überarbeitet wurde.
Auf Grund eines solchen Tatbestandes müssen wir uns mit äußerster Entschiedenheit dagegen verwahren, daß deutschen Richtern ohne eine verantwortliche Prüfung
der Vorwurf der Rechtsbeugung gemacht wird.
Hier wird dieselbe Justizhetze betrieben wie in der Zeit vor 1933.
Wer hat hier einen Zwischenruf „Nazi-Advokat" gemacht?
— Meine Herren, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf. Solche Zwischenrufe sind in diesem Hause nicht zulässig.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei bedauert aufs tiefste die Erklärung der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei.
Sie betrachtet diese Erklärung als einen schwarzen Tag der deutschen Demokratie.
Meine Damen und Herren! Ich appelliere — —
— Meine Damen und Herren! Einer der Vorredner hat zum Ausdruck gebracht, daß in der Sache selbst weitestgehende Übereinstimmung besteht.
— Entschuldigen Sie! Lassen Sie mich ausreden! — Wenn die eine Seite ihre Meinung mit
Schärfe zum Ausdruck bringt, ist es ebensogut
das Recht der andern Seite, ihre Meinung mit
der gleichen Schärfe zum Ausdruck zu bringen.
Meine Damen und Herren, wenn dieses gegenseitige Recht nicht geachtet wird, ist es nicht möglich, zu einer geordneten Diskussion zu kommen. Ich bitte deshalb alle noch einmal, mit Zwischenrufen möglichst zurückzuhalten, wenigstens insofern, als wir unparlamentarische Ausdrücke vermeiden.
Bitte, Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz, Sie haben das Wort.
Der Herr Abgeordnete Heiland hat sich geirrt. Ich nehme ihm das nicht übel; denn der Tatbestand, um den es hier geht, ist allerdings so, daß schon ein gewisses Maß von Selbstbeherrschung dazu gehört, um den Rahmen einer parlamentarischen Verhandlung so zu ziehen, wie es angesichts des Ernstes dieser Frage unbedingt erforderlich ist.
Ich werde mich bemühen, meiner eigenen Empörung Herr zu werden. Ich muß aber gestehen, daß ich empört bin, wie man gegen einen deutschen Richter und in einem schwebenden Verfahren eine Einflußnahme versucht,
die den Grundbegriffen unserer Verfassung aufs tiefste zuwiderläuft.
Meine Herren! Wenn gegenüber diesem Tatbestand etwas mehr Besonnenheit walten würde, würden Sie selbst angesichts der Grundprinzipien, die Sie doch mit uns bejahen, der Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, gestützt und geschützt durch eine starke Rechtsstaatlichkeit, zu der Erkenntnis gelangen, daß es für ein Parlament unmöglich und verfassungswidrig ist, ohne Prüfung des Tatbestandes solche Angriffe gegen den deutschen Richter zu richten.
Wir legen den allergrößten Wert darauf, daß es endlich mit diesen Angriffen gegen die Justiz ein Ende nimmt. Hut ab vor einem deutschen Richter,
der den Mut hat, — —
Hut ab vor einem deutschen Richter, der den Mut hat,
dem politischen Druck nicht nachzugeben.
Nein, ein Mann, der unter diesen Ihren Richtern gelitten hat!
— Schön! Lassen Sie mich aussprechen und machen Sie nachher Ihren Vers zu der Sache!
Hedlers Geist, der Geist des Mannes, der — immer nach Zeitungsnachrichten — nach seinem Freispruch von einer begeisterten Menge mit einem Blumenstrauß, der in schwarzweißrote Farben eingehüllt war,
empfangen worden ist, dieser Geist Hedlers, der heute über diesem Hause schwebt, hat den Riß bloßgelegt, der durch dieses Haus geht.
Als seinerzeit die Frage der Aufhebung seiner Immunität hier zur Debatte stand, habe ich im Namen meiner Fraktion eine Frage an Sie gerichtet. Ich habe gesagt: Einen Staatsanwalt, der gegen einen Faschisten Hedler die Anklage erhebt, werden Sie in Schleswig-Holstein noch finden; aber ob Sie ein Gericht finden, das ihn verurteilt,
und darum geht es, — —
— Ja, mir war der Ausgang dieses Prozesses vorher klar.
Ich bin also im Gegensatz zu denen, die hier -mehr oder minder überrascht tun, von dem Freispruch nicht überrascht. Hedler, der Faschist, hat unverhüllt das ausgesprochen, was ein Großteil der Richter und Staatsanwälte, die heute bei uns amtieren, denkt, aber aus politischen und taktischen Gründen im Augenblick noch nicht offen ausspricht.
80 Prozent aller in der britischen Zone amtierenden Richter und Staatsanwälte sind nun einmal ehemalige Nazis
oder Mitglieder von faschistischen Nebenorganisationen und Gruppierungen.
Und diesen Richtern und Staatsanwälten hat das von Ihnen, meine Herren von der Sozialdemokratie, mit geschaffene Grundgesetz praktisch die Unabsetzbarkeit garantiert.
Und mit Ihrer Zustimmung, meine Herren von der Sozialdemokratie, ist dieser Justizapparat zur dritten tragenden Säule dieses Staates gemacht worden. Es ist selbstverständlich, daß sich die Reaktion auf diese Säule verlassen kann und daß die Reaktion ein Interesse daran hat, dieser Säule die absolute Macht zu erhalten.
— Sie sind Reaktion!
Man fragt sich, wie man es heute hier fertig-
bringen kann, uns Ehrfurcht vor diesen Nazirichtern zu predigen
mit der Begründung, wir sollten Ehrfurcht vor dem Gesetz haben; das ist doch etwas zuviel von uns gefordert. Ehrfurcht vor dem Recht, gewiß; aber Ehrfurcht von diesen Richtern, die gestern Freisler hießen
und die gestern die blutigsten Urteile gegen die
Gegner des faschistischen Terrorregimes ausgesprochen haben? Wenn man von uns verlangt, daß
wir vor dem Abschaum dieses Systems, daß wir
vor diesen Richtern Ehrfurcht haben sollen —,
— lieber Freund Euler, Sie sind am besten in einer derartigen Diskussion ganz still! —
— wenn man uns zumutet, Ehrfurcht vor diesen Richtern zu haben, die gestern Recht gebeugt haben, weil es der Faschismus gewollt und verlangt hat,
die heute in der neuen deutschen Republik Ihrer Darstellung nach nun „objektiv und sachlich" Recht sprechen, dann machen wir das einfach nicht mit. Und uns zuzurufen „Hut ab vor dieser Justiz", vor dieser Justiz, die noch vor einigen wenigen Jahren, was Sie selber schon gelegentlich einmal beklagen müssen, glatt jedes Recht im Interesse des faschistischen Staates, seines und Ihres totalen Krieges, gebrochen hat, das geht doch, finde ich, ein bißchen zu weit.
Hedler! Was ist der Mann? Was ist seine Plattform? Die Völker- und Rassenhetze ist seine Plattform und hinzu kommt sein Haß gegen die Sowjetunion.
Das ist aber auch die Plattform — und nun kommt das, was Sie mit Herrn Hedler vereint — der in dieser Bundesrepublik offen betriebenen Politik. Hedler ist nur ein Rädchen im großen Propagandaapparat —
— natürlich auch Adenauer! —. der die chauvinistische Hetze gegen die ' UdSSR, gegen die
Volksdemokratien, gegen den Frieden betreibt.
President Dr. Köhler: Herr Abgeordneter, darf ich einen Moment — —Renner : mit dem Ziele, Deutschland in den vom USA-Monopolkapital vorbereiteten Krieg einzuspannen.
Herr Abgeordneter, — —
Und mit Recht haben Sie mir zugerufen :Adenauer! Denn letzten Endes ist Herr Dr. Konrad Adenauer ja ausgerechnet mit der Stimme dieses einen Herrn Hedler zum Bundeskanzler gewählt worden.
Herr Abgeordneter Renner, darf ich Sie einmal einen Moment unterbrechen! Sie zogen den Herrn Bundeskanzler in Ihre Ausführungen hinein. Wie war das zu verstehen? Haben Sie den Herrn Bundeskanzler als einen Hetzer bezeichnet?
Nein, das habe ich nicht getan. Ich habe, um es noch einmal ganz klar herauszustellen, gesagt, daß die Hetze, die der Herr Hedler betreibt, die Basis der politischen Tätigkeit dieser Regierung und der Mehrheit in diesem Hause ist.
Herr Abgeordneter Renner, damit haben Sie praktisch das bestätigt, was ich empfunden habe. Damit haben Sie der Bundesregierung und an der Spitze dem Kanzler den Vorwurf gemacht, daß die Grundlage der Politik der Bundesregierung, des Kanzlers, die Hetze ist. Dafür rufe ich Sie zur Ordnung!
Ja, und die Vorbereitung des Krieges.
Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zum zweitenmal zur Ordnung und mache Sie auf die Folgen eines dritten Ordnungsrufs aufmerksam. Außerdem hat das nichts mehr mit dem, Thema zu tun.
Ich komme zum Schluß. Es war also eine Illusion, zu erwarten, daß ein derartig zusammengesetztes westdeutsches Gericht einen Mann verurteilen würde, mit dem es innerlich, was die politische Vergangenheit und die augenblickliche tagespolitische Zielsetzung anlangt, identisch ist. Mit dem Faschismus, mit den Resten des Faschismus
und mit den Ursuchen des Faschismus, das heißt mit der deutschen Reaktion,
die sich auch auf Sie von der CDU stützt, Schluß zu machen, das kann man nicht dieser Justiz überlassen, das kann man nicht dieser Regierung überlassen, das muß das deutsche Volk tun.
Ja, das muß das deutsche Volk tun. Das deutsche Volk muß Schluß machen mit den Resten und den Ursachen des Faschismus.
— Dort sind nicht, wie bei Ihnen, SA-Leute von gestern heute Justizminister.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
Meine Damen und Herren! Ich finde, daß es das Recht und die Pflicht des Hohen Hauses ist, sich um Vorgänge wie dieses Urteil zu kümmern. Ich bin auch nicht der Ansicht, daß jedes Urteil, welches es auch immer
I sei, das Recht an sich repräsentiere, wie eben gesagt wurde. Es gibt sehr wohl Urteile, die Anlaß zu öffentlicher Kritik geben.
Da wir aber das Recht mit Ehrfurcht zu behandeln haben, geziemt es sich nicht, mit dem alten Brauch zu brechen, daß man ein Urteil zunächst einmal in Rechtskraft erwachsen läßt, bevor man es schilt. Wir müssen warten, ob nicht die nächste Instanz etwas anderes zutage fördert.
Außerdem müssen wir einmal prüfen: ist der Richter oder das Gesetz zu tadeln? Wenn das Gesetz zu tadeln ist, ist es in diesem Hohen Hause unsere Aufgabe, eventuell ein anderes Gesetz zu machen.
Ich persönlich muß sagen, daß ich mich nicht imstande fühle, dieses Urteil zu kritisieren, da ich auch den Sachverhalt nicht kenne. Ich weiß nicht, welche Mitglieder dieses Hohen Hauses besser unterrichtet sind. Aber die Zeitungsberichte reichen nach meiner Meinung nicht aus, um festzustellen, was das Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen ist. Ich muß sagen, daß ich selber besorgt bin, mit der Justiz könne ein Trojanisches Pferd in die Demokratie eingezogen sein. Das rechtfertigt aber nicht, zu einem vorschnellen Urteil zu kommen.
Unsere Fraktion lehrt es daher ab, zu diesem Komplex in der gegenwärtigen Zeit Stellung zu nehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.
Meine Damen und Herren! Es ist hier von mancher Seite bedauert worden, daß meine Fraktion die verlesene Erklärung abgegeben hat. Mir tut es leid, daß man sich damit begnügt hat, unsere Erklärung zu bedauern und daß sich niemand veranlaßt gefühlt hat, den Tatbestand Hedler zu bedauern.
— Ja, schon wieder eins! Ist es Ihnen nicht angenehm, daß es existiert?
Was uns vor allen Dingen an diesem Urteil von Neumünster im Sinne des „skandalon" ärgert, ist, daß man bei der Beweiswürdigung ehrenhaften Zeugen einen überführten Lügner vorgezogen hat.
Es wurde hier gesagt — ich glaube, es war Herr von Merkatz —: Hut ab vor diesem Gericht! Ich meinerseits sage: Hut ab vor dem bayerischen Landtag, der sich einmütig zusammengefunden hat, um dieses Urteil zu schelten!
Wenn wir in solch fahrlässiger Weise davon ausgehen, daß jeder Spruch eines 'deutschen Gerichts heilig ist, daß er also nicht kritisiert werden darf,
dann verfahren wir wieder einmal, wie einst die Schildbürger von Weimar.
— Ich komme darauf noch zu sprechen, Herr Euler. Ich für meinen Teil möchte hoffen, daß solche Schildbürgerei sich nicht zu oft wiederholen möge.
Einiges von dem, was hier gesagt worden ist,
konnte man vor 10 oder 15 Jahren bei Herrn
Rumpelstilzchen oder bei Herrn Zarnow lesen.
Meine Damen und Herren! Sie haben uns den Vorwurf gemacht, daß wir die deutsche Justiz, daß wir die deutschen Richter angegriffen hätten.
Ich bin lange genug in meinem Leben Richter gewesen, um hier Zeugnis ablegen zu können, wieviel entsagungsvolle Ehrenhaftigkeit in diesem Stande zur Auswirkung gekommen ist,
da und dort, auch in der Nazizeit. Um so mehr
aber ist es unsere Aufgabe, mit dem Finger auf
jene zu weisen, die sich anders verhalten haben
und sich heute offenbar anders verhalten wollen.
Wir haben in unserer Resolution nicht verlangt, daß man die Richter von Neumünster unbesehen bestrafen soll.
Wir haben nur verlangt, daß „die Schuldigen" bestraft werden sollen, und dies natürlich in dem für dienstliche Vergehen gesetzlich vorgesehenen Verfahren, also nach Verfahren, die einen Teil des Rechtsbestandes dieses Rechtsstaates ausmachen.
Es ist richtig: es gibt keinen Rechtsstaat und es gibt keine Demokratie ohne Unabhängigkeit der Justiz und Unabhängigkeit der Richter.
Diese Unabhängigkeit der Justiz und die darauf bezogenen Privilegien der Richter
sind nicht im Interesse der Richter geschaffen, meine Damen und Herrren, sondern im Interesse des Volkes.
Es gilt, das Volk durch unabhängige Gerichte vor Mißbrauch der staatlichen Macht zu bewahren, es gilt aber auch, das Volk vor dem Mißbrauch der richterlichen Unabhängigkeit zu politischen Zwecken zu bewahren!
Wir möchten, daß dies hier geschehe. Denn in
Neumünster ist wirklich das Richterprivileg miß-
braucht worden, wie es manchesmal schon mißbraucht worden ist. Ich denke an den Magdeburger Prozeß — Herr Euler Sie kennen ihn —, in dem dem Reichspräsidenten Ebert der Ehrenschutz verweigert wurde. Man hat damals die Richter mit den gleichen Argumenten zu verteidigen versucht, die man vorhin von dieser Tribüne aus hören konnte. Dagegen wollen wir uns wehren, und wir wollen nicht die Unabhängigkeit der Justiz und damit die Unabhängigkeit der Richter antasten. Wir möchten das deutsche Volk und die deutsche Demokratie davor bewahren, daß diese Institutionen mißbraucht werden, um die Demokratie in diesem Lande anzufressen und anzunagen.
Meine Damen und Herren! Das Urteil ist nicht rechtskräftig, ich weiß das.
— Lassen Sie mich ausreden, Herr von Rechenberg. Es handelt sich nicht darum, der Justiz des Landes Schleswig-Holstein den Vorwurf zu machen, sie habe insgesamt versagt, es handelt sich darum, daß wir imstande sind, aus der Art der Verhandlungsführung des Vorsitzenden und aus der Art der Urteilsbegründung den Schluß zu ziehen, daß die Verantwortlichen dem Geiste des Herrn Hedler weitaus näher stehen als den von Hedler Beschimpften.
Unser Grundgesetz knüpft an solches Verhalten große Konsequenzen. Wir haben gewußt, warum wir im Parlamentarischen Rat um den einschlägigen Artikel so gekämpft haben. Man hört Sie, meine Herren von der Rechten, oft und auch glaubwürdig schöne Grundsätze über Demokratie verkünden. Leider habe ich bisher zu oft feststellen müssen: Sie spitzen gern den Mund: aber Sie pfeifen nicht, wo gepfiffen werden mußte.
Meine Damen und Herren!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß. (Zuruf links: Das ist der richtige Mann! —
Unruhe.)
Meine Damen und Herren! Wenn die Fraktion der SPD sich nicht nur die Haltung des Bayerischen Landtags in dieser Tagung, sondern seine Haltung in allen Fragen zu eigen machen würde, wäre uns das lieber.
Wir haben schon einmal erlebt, daß die SPD in einer Grundsatzfrage anders entschieden hat als ihre Fraktion im Bayerischen Landtag. Ich weiß aber nicht, Herr Kollege 'Schmid, womit Ihre Fraktion mit ihrer heutigen Erklärung die Rechtfertigung durch Herrn Renner verdient hat. Das haben nicht einmal wir Ihnen antun wollen. Wenn es noch eines Beweises -für die Gefährlichkeit dieser Erklärung — wobei wir uns über den Hintergrund völlig einig und klar sind —,
bedurft hätte, dann hätte diesen fehlenden Beweis der Kollege Renner gebracht .
Denn was vom Kollegen Renner heute zu Ihrer Rechtfertigung angeführt worden ist, das sind die Methoden des Herrn Fechner, der die Richter in seinem. Staate im Sinne einer Politisierung der Justiz terrorisiert.
Ich möchte dazu noch eines feststellen. Hier über solche Fälle zu sprechen, um die Justiz im Westen anzugreifen, Herr Kollege Renner, ist allerdings eine leichte Methode, wenn man im Osten für die Erledigung solcher Fälle überhaupt keine Justiz braucht.
Wenn Sie schon von den Nazis und Kriegshetzern im Westen sprechen, denken Sie doch daran, daß der Chef des Staatssicherheitsamtes im Ostzonenstaat ein SS-Standartenführer namens Bäumler ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Thadden.
Meine Damen und Herren! Ich kann mich ganz kurz fassen.
Meine Damen und Herren, jeder Abgeordnete hat das Recht, hier zu reden.
Herr Dr. Greve, wenn ich Ihnen sagen soll, was ich telegrafiert habe, ich tue es offen. Ich habe telegrafiert, daß ich mich darüber freue, daß das Recht dem Druck der Straße standgehalten hat.
Ich habe weiterhin gesagt, daß ich ihm gratuliere. Darf ich das nicht, Herr Dr. Greve?
Ich möchte nur das eine feststellen, daß in einem Lande, in dem wir einen sozialdemokratischen Justizminister haben, ein Urteilsspruch gefällt worden ist, der offenkundig von einem Gericht gesprochen wurde, das sich eingehend bemüht hat, die objektive Wahrheit zu finden.
Wenn hier jetzt, noch bevor eine zweite Instanz durchlaufen ist, Erklärungen abgegeben werden, die der Justiz den Vorwurf machen, sie habe das Recht gebeugt, und weiterhin eine Bestrafung der Richter verlangt wird, dann könnten wir ja gleich wieder zu Sondergerichten und derartig unkontrollierbaren Dingen zurückkehren. Das wollen wir nicht, sondern wir wollen, daß der Rechtsstaat, von dem alle reden, möglichst bald überall Tatsache werden möge.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe hiermit die Aussprache über die Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion.
Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein. Ich habe vorher noch folgende geschäftliche Mitteilung zu machen. Der Herr Bundeskanzler und die Herren Bundesminister Schiffer, Niklas und Erhard sind heute nicht in der Lage, an der Sit-
zung des Plenums teilzunehmen, weil sie sich zu einer Besprechung auf dem Petersberg befinden.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschussses für Beamtenrecht über den Antrag der Fraktion des Zentrums betreffend Überwachungsausschuß zur Durchführung des § 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen .
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Gaul als Berichterstatter das Wort.
Ich mache vorher darauf aufmerksam: wir sind uns heute früh im Ältestenrat darüber klar geworden, daß dieser Punkt einschließlich der Berichterstattung in einer kurzen Aussprache von einer halben Stunde erledigt werden soll.
Meine Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion beantragt mit der Vorlage Drucksache Nr. 231 die Bildung eines parlamentarischen Sonderausschusses, der aus je einem Vertreter aller Fraktionen zusammengesetzt sein soll. Ihm soll die Aufgabe übertragen werden, darüber zu wachen, daß der § 2 des vorläufigen Beamtengesetzes, das gestern in der zweiten Beratung hier verabschiedet wurde, angewandt wird. In diesem Paragraphen wird bestimmt, daß bei der Auswahl von Bewerbern für den öffentlichen Dienst alle Berufs-, alle Bevölkerungsschichten ohne Rücksicht auf Geschlecht, Rasse, Glaubensbekenntnis und politische Überzeugung angenommen werden sollen.
Herr Abgeordneter, einen Moment!
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, jetzt zu Punkt 1 der Tagesordnung zurückzukehren und sich darauf zu konzentrieren, damit der Herr Berichterstatter in Ruhe seinen Bericht erstatten kann.
Zum anderen wird gefordert. daß sogenannte Außenseiter nach Erfüllung bestimmter Bedingungen in den öffentlichen Dienst eingewiesen werden können.
Der Antrag der Zentrumsfraktion fordert noch ein Drittes: daß bei der Besetzung von leitenden Beamtenstellen — das ist für die gehobene Laufbahn vom Amtmann aufwärts, für die höhere vom Oberrat aufwärts — innerhalb vier Wochen vor der Besetzung die in Aussicht genommenen Bewerber diesem parlamentarischen Sonderausschuß mitgeteilt werden.
Der Ausschuß für Beamtenrecht hat sich mit dieser Vorlage in seiner Sitzung am 19. Januar beschäftigt. In der Aussprache wurde erklärt. daß dem Ziel dieses Antrags zugestimmt würde, weil eine bestimmte Kontrolle erwünscht sei; eine entsprechende Regelung solle aber nicht in das vorläufige Beamtengesetz, sondern erst in das endgültige eingebaut werden- dabei müsse beachtet werden, daß die Zuständigkeit von Gesetzgebung und Ausführung nicht verwischt werde.
Das Hauptanliegen in unserer Sitzung am 19. Januar war die Vorlage Nr. 175, das vorläufige Beamtengesetz. Dazu hatte die Fraktion der SPD eine große Zahl von Abänderungsanträgen gestellt. Ihr Sprecher beantragte, an diesem. Tage nicht über den Antrag der Zentrumsfraktion zu entscheiden, ihn vielmehr solange zurückzustellen, bis die Abänderungsanträge der SPD erledigt seien, weil einer von ihnen, nämlich der, der sich mit dem Personalamt befasse, ungefähr denselben Inhalt habe. Diesem Antrag wurde entsprochen und demnach die Entscheidung nicht getroffen.
Sie fiel am 20. Januar. Der Vorsitzende fragte den Vertreter des Zentrums, ob in Anbetracht der Tatsache, daß für die endgültige gesetzliche Regelung des Beamtenrechts eine Bestimmung, wie sie die Vorlage Nr. 231 fordere, in Aussicht genommen sei, dieser Antrag nicht zurückgestellt werden könne. Das wurde verneint. Eine Aussprache ergab sich nicht mehr, und bei der dann fälligen Entscheidung wurde darnach der Antrag der Fraktion des Zentrums mit 11 gegen 9 Stimmen bei einer Stimmenthaltung abgelehnt. Der gefaßte Beschluß hat folgenden Wortlaut:
Der Antrag der Fraktion des Zentrums — Nr.
231 der Drucksachen — betreffend Überwachungsausschuß zur Durchführung des § 2
des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der
Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes
stehenden Personen — Nr. 175 der Drucksachen — wird abgelehnt.
Ich habe den Auftrag, Sie zu bitten, dieser Entscheidung zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen und eröffne die Aussprache. Wünscht jemand das Wort? — Herr Abgeordneter Pannenbecker, bitte.
Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde sind mit der Verabschiedung unseres Antrags durch den Ausschuß für Beamtenrecht nicht einverstanden; sie haben mich beauftragt, hier noch das eine und andere zu diesen Dingen zu sagen.
Man sollte meinen, daß in einer echt verstandenen Demokratie auch die Regierungsparteien Wert darauf legen würden, das Parlament in die Kontrolle gegenüber der Regierung einzuschalten in Angelegenheiten, die beim Wiederaufbau des Staates von wesentlicher, ja einschneidender Bedeutung sind. Die Vertreter der Regierungsparteien des Hohen Hauses haben im Ausschuß für Beamtenrecht den entgegengesetzten Standpunkt eingenommn: sie haben den Antrag meiner Fraktion auf Drucksache Nr. 231 abgelehnt.
Ich gehe einen Schritt weiter und sage: man sollte annehmen, daß in einer echt verstandenen Demokratie die Regierungsparteien Wert darauf legen würden, daß an einer solchen Kontrolle sogar die Opposition, die immerhin einen Teil des Parlaments darstellt, beteiligt sein sollte in Angelegenheiten — ich wiederhole —, die beim Wiederaufbau des Staates von wesentlicher, ja einschneidender Bedeutung sind. Ich glaube sogar sagen zu dürfen, daß, von einer echt verstandenen Demokratie aus gesehen, auch die Regierung selbst einer derartigen parlamentarischen Kontrolle zustimmen sollte.
Die Ablehnung des Antrags meiner Fraktion durch die Regierungsparteien ist, so möchte man schlußfolgern, Geist vom Geiste einer politisch zu wenig elastischen Staatsführung, vom Geiste einer Staatsführung, der zu einer Einkapselung der Exekutive, wenn Sie wollen, zur Bürokratie schlechthin führen muß.
Die, gelinde gesagt, wenig freundliche Art, in der der Herrr Bundesinnenminister die Einbringung des Antrags meiner Fraktion am 24. November aufgenommen hat — der Antrag war von ihm sachlich unrichtig verstanden worden; ich habe das damals im Plenum festgestellt —, läßt die Vermutung zu, der Herr Minister sei der Ansicht, es handle sich um einen Einbruch der Legislative in die Zone der Exekutive, deren vermeintliche Grenzen man nun schnell und sorgfältig abstecken müsse, damit der traditionellhierarchische Ablauf — alten Stils — der Dinge nicht gestört werde.
Es handelt sich bei unserem Antrag wirklich nicht darum, die Dinge mit Unzen zu wägen, nicht um eine geistesarme oder gar geisteslahme Buchstabenreiterei. Es handelt sich um. den klaren Blick für die verantwortungsbewußte Begegnung mit dem Wesen einer echt verstandenen Demokratie, die allerdings anders aussieht als eine darauf negativ reagierende und gar empfindlich eingestellte Exekutive. Man sollte nicht so starr an Überlieferungen festhalten, nicht so starr an Überlieferungen sich gebunden fühlen. Man sollte, bildlich gesprochen, das freie Spiel der Kräfte auf diesem Gebiete nicht so stiefmütterlich behandeln, man sollte ihm etwas Schwung gönnen, ihm vielleicht etwas mitgeben von dem, sagen wir einmal, überspitzten Elan des freien Spiels der Kräfte auf einem gewissen anderen Gebiete.
Ich sagte vorhin, es handele sich nicht darum, die Dinge mit Unzen zu wägen, also nicht darum, wie ich jetzt ergänzend hinzufügen möchte, einer mechanischen Parität, sei sie konfessioneller, sei sie parteipolitischer Art, das Wort zu reden. Da fällt mir gerade ein: Der Herr Kollege Dr. Wuermeling hat gestern recht temperamentvoll einer Konfessionsstatistik gedacht, die die Bundesregierung aufgemacht hat. Vielleicht wäre es notwendig, einmal eine Statistik aufzumachen mit der Überschrift: Angehörige des Kösener SC und anderer ehemaliger feudaler Einrichtungen!
Doch das möchte ich hier nur am. Rande gesagt haben.
Aber die Verantwortung des Parlaments ist zum Beispiel dann engagiert, wenn man hört, daß es Beamte in leitenden Stellen geben soll, die nicht in der Lage sind, mit dem Geist des Bonner Grundgesetzes fertig zu werden, weil sie ein Jahrzehnt und länger aus der nationalsozialistischen Ideologie heraus gewerkt und gewirkt haben,
freiwillig oder gezwungen. Gerade unter solchen Verhältnissen sollte die Regierung froh sein, im Parlament eine Kontrollinstanz zu haben, die sich mit ihr — ich sage: mit ihr! — bemüht, einer echt verstandenen Demokratie mehr und mehr den Weg zu ebnen.
Namens meiner Freunde bitte ich deshalb, den Antrag meiner Fraktion auf Drucksache Nr. 231 anzunehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kleindinst.
Meine Frauen und Herren! Der Ausschuß für Beamtenrecht hat den Antrag
Drucksache Nr. 231 lediglich deshalb abgelehnt, weil er in dem Absatz 2 eine Vermengung von Exekutive, Gesetzgebung und Kontrolle gesehen hat. Die Frage der Kontrolle der Beamtenpolitik war ja schon bis zum Jahre 1932 Gegenstand streng wissenschaftlicher Erörterungen, ich erinnere nur an die Ausführungen über diesen Gegenstand im Handbuch für das deutsche Verfassungsrecht von Thoma. Wir waren uns im Beamtenrechtsausschuß auch darüber klar, daß wir weder im Zusammenhang mit diesem Antrag noch im vorläufigen Beamtengesetz diese Frage regeln können, sondern daß sie in nächster Zeit bei der Behandlung des endgültigen Beamtenrechts eingehend erörtert werden muß. Lediglich aus diesen beiden Gründen ist der Antrag im Ausschuß abgelehnt worden. Aber ich betone nochmals: diese Frage wird in nächster Zeit bei Beratung des endgültigen Beamtengesetzes eingehend gewürdigt werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Böhm.
Meine Damen und Herren! Zu dem Bericht des Beamtenrechtsausschusses über den Antrag der Zentrumsfraktion muß' sachlich festgestellt werden, daß die Abstimmung im Ausschuß mit 11 gegen 9 Stimmen eine Ablehnung des Zentrumsantrages ergab. Meine Fraktion hatte im Ausschuß angeregt, diesen Antrag des Zentrums mit unserem Antrag auf Schaffung eines Personalamtes zu verbinden und in der Beratung beantragt, auch schon in dem vorläufigen Gesetz die Mitwirkung bzw. die demokratische Kontrolle festzulegen. Gestern ist hier unser Antrag auf Schaffung eines Personalamtes abgelehnt worden, und es ist nicht anzunehmen, daß sich die Regierungsmehrheit in der dritten Lesung etwa über unseren Antrag verständigen wird. Wir sind aber der Meinung, daß beim Aufbau der Bundesverwaltung die Personalpolitik nicht unkontrolliert und unbeeinflußt geführt werden darf und daß zumindest während des Aufbaues diese Personalpolitik der Kontrolle des Parlaments unterstellt werden müßte.
Wir begrüßen deshalb den Antrag des Zentrums. Meine Freunde werden sich nun, nachdem unsere Anträge abgelehnt worden sind, dem Antrag des Zentrums anschließen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache über Drucksache Nr. 467. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 467 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
- Selbstverständlich! Der Ausschußantrag geht
vor. — Die Abstimmung hat begonnen. Ich bitte um die Gegenprobe.
— Meine Damen und Herren! Nach meiner Überzeugung war das erste die Mehrheit.
— Also schön, wenn Sie das anzweifeln, werden wir auszählen oder Hammelsprung machen.
— Meine Damen und Herren! Ich entscheide: Wir machen den Hammelsprung. Einen Augenblick bitte, damit Klarheit über den Akt besteht.
Wer für den Ausschußantrag Drucksache Nr. 467 ist, den bitte ich, durch die Mitteltür hereinzu-
kommen. Wer dagegen ist, den bitte ich, durch die Tür links von mir, wer sich enthält, durch die Tür rechts von mir hereinkommen. Ich bitte die Herren Schriftführer, sich auf die Posten an den Türen zu begeben. Die Ausweise müssen vorgezeigt werden.
Meine Damen und Herren! Die Abstimmung beginnt.
Ich bitte die sehr verehrten Damen und Herren des Hauses, die bereits abgestimmt haben, Platz zu nehmen, damit wir übersehen können, ob die Abstimmung beendet werden kann. Haben sämtliche Damen und Herren abgestimmt? — Dann bitte ich, die Türen zu schließen, und erkläre die Abstimmung für beendet. Ich bitte die Damen und Herren, die als Schriftführer fungiert haben, sich bei mir einzufinden und mir die Ergebnisse mitzuteilen.
Meine Damen und Herren! Darf ich das Ergebnis des Hammelsprungs mitteilen: Gegen den Ausschußantrag Drucksache Nr. 467 151 Stimmen, dafür 174 Stimmen, eine. Enthaltung. Damit ist der Antrag Drucksache Nr. 467 angenommen.
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung des mündlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Vereinheitlichung der Sozialversicherung .
Ich schicke voraus, daß wir uns im Ältestenrat darüber klar waren, daß die Angelegenheit etwa 20 Minuten dauern wird. Ich bitte, das nachher zu berücksichtigen.
Ich erteile Herrn Abgeordneten Degener als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der dem Ausschuß für Sozialpolitik zur Bearbeitung überwiesene Antrag der KPD-Fraktion — Drucksache Nr. 296 — fordert, daß die Regierung beauftragt wird, dem Hohen Haus einen Gesetzentwurf für die Vereinheitlichung der Sozialversicherung vorzulegen. Das Ziel ist: Senkung der Verwaltungskosten, Steigerung der Rentenbezüge, Steigerung der Leistungen der Krankenversicherung, Erhöhung der Besoldung der Krankenkassenärzte und endlich Schaffung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung.
Was die letzte Forderung betrifft, so liegt dem Hohen Hause bereits ein Gesetzentwurf für die Wiederherstellung der Ehrenämter in der Sozialversicherung vor. Im Ausschuß hat nun der Herr Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit erklärt, daß in seinem Ministerium an einer versicherungsmathematischen Bilanz gearbeitet wird, die die Grundlage für einen Regierungsentwurf zur Neuordnung der Sozialversicherung bieten soll. Unter diesen Umständen war der Ausschuß der Meinung, daß es nicht zweckmäßig ist, jetzt in die Erörterung eines Teiles dieses Problems einzutreten und entscheidend dazu Stellung zu nehmen. Andererseits war aber der Ausschuß übereinstimmend der Auffassung, daß sich die Regierung angelegen sein lassen sollte, aus Anlaß der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs zur Neuordnung der Sozialversicherung die Mittel zu prüfen, die geeignet erscheinen, den Wirkungsgrad der Sozialversicherung zu steigern. Der Ausschuß kam daher dazu, dem Hohen Hause zu empfehlen, den Antrag der KPD-Fraktion der Regierung zur Prüfung zu überweisen. Ich darf das Hohe Haus bitten, dem Antrag des Ausschusses nach Drucksache Nr. 483 die Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen. Ich eröffne die Aussprache. Wer wünscht das Wort? — Meine Damen und Herren, es wünscht niemand das Wort; dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses gemäß Drucksache Nr. 483. Wer für diesen Antrag des Ausschusses nach Druckache Nr. 483 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Einstimmige Annahme.
Wir kommen zum dritten Punkt der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung über den Antrag der SPD betreffend Frauen im öffentlichen Dienst bei der Bundesverwaltung .
Ehe ich dem Herrn Berichterstatter das Wort erteile, möchte ich dem Hause folgendes mitteilen. Der Ältestenrat hat heute früh gemäß § 88 den Vorschlag gemacht, daß die Diskussionszeit ohne Berichterstattung insgesamt 60 Minuten betragen soll. Darf ich das ausdrückliche Einverständnis des Hauses mit diesem Vorschlag des Ältestenrats feststellen? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist demgemäß beschlossen.
Ich erteile nunmehr Herrn Abgeordneten Dr. Lehr das Wort als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 177, Frauen im öffentlichen Dienst bei der Bundesverwaltung, ist am 10. Januar in dem Ausschuß für die innere Verwaltung beraten worden. Das Ergebnis ist eine einstimmige Meinungsfeststellung über das Thema. Der Ausschuß war einheitlich der Auffassung, daß die Regelung der Stellung der Frau im öffentlichen Dienst bei der Bundesverwaltung ein dringendes und ein soziologisches Problem erster Ordnung ist. Deshalb hat der Ausschuß auch zustimmend von den Ausführungen des Regierungsvertreters Kenntnis genommen, daß ein Referat besonderer Art für die Frauen im Bundesinnenministerium geschaffen werden sollte, das folgende Aufgabenteilung vorsieht: erstens ein Referat über die Rechtsstellung der Frau als solcher, zweitens ein Referat über die Wahrung der Belange der Frau und drittens ein Referat für das Fürsorgewesen. Der Herr Vertreter des Innenministeriums hat sich auf diese knappen Darlegungen beschränkt. Der Ausschuß hat mich bei dieser Gelegenheit gebeten, den Herrn Bundesinnenminister zu bitten, doch bei der nächsten Gelegenheit ausführlicher über die von ihm beabsichtigte Organisation im Ausschuß zu referieren und uns nähere Angaben zu machen. Ich möchte im Namen des Ausschusses Ihnen, Herr Minister, noch einmal die Dringlichkeit dieser Angelegenheit und die Bitte um einen ausführlichen Bericht betonen.
Es wurde ferner im Ausschuß dem Wunsch Ausdruck gegeben, daß neben dem besonderen
Referat im Innenministerium die Frauen möglichst im öffentlichen Dienst sämtlicher Ministerien in leitenden Stellungen beschäftigt werden und vertreten sein sollten. Entsprechend diesem Gesamtwunsch ist auch in der Formulierung der ursprünglichen Fassung des Antrags eine gewisse Änderung vorgenommen worden. Es hieß anfangs in Ziffer 1 des Antrags der Fraktion der SPD, daß dafür gesorgt werden solle, daß in allen Stufen des öffentlichen Dienstes, insbesondere in leitenden Stellen, auch Frauen an Zahl und nach Fähigkeit ohne Benachteiligung eingestellt und befördert werden. Der Ausschuß ist einstimmig der Meinung gewesen, daß die Worte .,an Zahl" gestrichen werden sollten, so daß die jetzige Fassung heißt:
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. dafür zu sorgen, daß die Vorschriften im Artikel 3 Absatz 2 und 3 des Grundgesetzes im öffentlichen Dienst bei der Bundesverwaltung durchgeführt und in allen Stufen dieses öffentlichen Dienstes, insbesondere in leitenden Stellen, auch Frauen nach Fähigkeit ohne Benachteiligung eingestellt und befördert werden.
Das ist die Fassung, um deren Annahme der Ausschuß Sie bittet. Ebenso bittet er Sie, die bereits vorliegenden unveränderten Fassungen der Absätze 2 und 3 anzunehmen. Ich darf ergänzend noch hinzufügen, daß es sich hier nicht etwa um rechnerische Aufteilung handelt, sondern daß individuell nach Befähigung, aber jedenfalls ohne irgendeine nachteilige Berücksichtigung des Geschlechts entschieden werden soll.
Im Ausschuß wurden an sich Wünsche laut, daß man von einer periodischen Berichterstattung Abstand nehmen möge. Aber es hat sich dafür keine Mehrheit gefunden, so daß es bei der Formulierung bleibt, wie sie der gegenwärtig Ihnen in Drucksache Nr. 177 vorliegende Entwurf in Ziffer 3 vorsieht, nach Schluß eines jeden Kalendervierteljahres Bericht zu erstatten. Dagegen ist der Ausschuß der Meinung gewesen, daß die ursprünglich vorgesehene vierteljährliche Berichterstattung im Plenum -wegfallen und statt dessen lediglich der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung diesen Bericht erhalten soll.
Die Angelegenheit ist auch dem Ausschuß für Beamtenrecht vorgetragen worden. Der Ausschuß hat mich gebeten, auch für ihn die Berichterstattung zu übernehmen, da der Ausschuß sich die Beschlußfassung des Ausschuses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung vollinhaltlich mit dem ergänzenden Zusatz zu eigen gemacht hat, daß die Berichterstattung der Referentin im Bundesinnenministerium vierteljährlich nicht nur im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, sondern gleichzeitig auch im Ausschuß für Beamtenrecht erfolgen soll.
Das sind die Änderungen, die gegenüber der ursprünglichen Fassung der Drucksache Nr. 177 vorzuschlagen sind, so wie sie jetzt in Drucksache Nr. 487 formuliert sind.
Ich darf über das eben Vorgetragene hinaus noch dem Wunsch des Ausschusses Ausdruck geben, daß die Bundesregierung gebeten wird, ihre sämtlichen Dienststellen anzuweisen, der Referentin im Innenministerium weitestgehende Auskünfte zu erteilen und daß unter dieser Auskunftspflicht sämtliche Ministerien sowie aber auch das Bundeskanzleramt selbst eingeschlossen werden sollten. Mit dieser Bitte darf ich die Berichterstattung schließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort hat Herr Abgeordneter Neumayer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte namens der Freien Demokratischen Partei getrennte Abstimmung über die einzelnen Punkte des Antrags der Sozialdemokratischen Partei beantragen, und zwar aus folgenden Gründen. Man kann sehr wohl der Auffassung sein, daß die Durchführung des Artikel 3 des Grundgesetzes und damit auch eine angemessene Beschäftigung von Frauen in Diensten der öffentlichen Verwaltung notwendig ist, ohne aber daraus so weitgehende Konsequenzen zu ziehen, wie es in den Ziffern 2 und 3 vorgesehen ist. Wir sind der Ansicht, daß es sich erübrigt, ein eigenes Referat im Innenministerium für die Beschäftigung von Frauen zu errichten. Denn wir halten es nicht für angezeigt, daß die eine oder andere Gruppe von Beamten des öffentlichen Dienstes eigene Referate erhält. Wir wüßten auch nicht, ob ein solches Referat voll ausgelastet werden könnte. Auf alle Fälle wäre ein derartiges Referat unproduktiv und würde somit einen gewissen Leerlauf bedeuten. Wir sind vielmehr der Überzeugung, daß man am richtigsten so vorgeht, daß jedes Ministerium für sich gehalten wird, darauf zu achten, daß eine angemessene Zahl von Frauen Beschäftigung findet.
Zu Ziffer 3 möchte ich bemerken, daß wir diese vierteljährliche Berichterstattung nicht für notwendig halten und deswegen empfehlen würden, nur einmal im Jahr eine Berichterstattung erfolgen zu lassen, und zwar gelegentlich der Haushaltsberatung.
Wir werden daher bei getrennter Abstimmung den Punkten 1 und 3. unsere Zustimmung geben, dagegen Punkt 2 des Antrags ablehnen.
Nun noch ein weiteres Wort. Wir haben gestern so viel über die Gleichberechtigung von Mann und Frau gesprochen, daß ich es mir versagen kann, bei dieser Gelegenheit noch einmal darauf einzugehen. Unsere sehr verehrte Kollegin Frau Albrecht hat uns Männer in beredten und warmherzigen Worten daran erinnert, dab wir doch das, was wir geworden sind, unserer Mutter verdanken. Dies ist ein wahres Wort, und ich glaube, Frau Albrecht hat damit auch noch auf etwas anderes hinweisen wollen, auf die hohe ethische Verpflichtung, die die Frau in sich trägt und die wohl doch ihre eigentliche, ihre ureigenste Aufgabe ist, die von niemand anderem gleichermaßen erfüllt werden könnte.
Frau Albrecht hat bei dieser Gelegenheit auch den großen Schatten Goethes beschworen. Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, daß ich, obwohl wir ja nun nicht mehr im Goethe-Jahr sind,
an ein anderes Goethe-Wort erinnere, ich meine die Tasso-Stelle: „Willst du genau erfahren, was sich ziemt, so frage nur bei edlen Frauen an!" Ich möchte der Hoffnung und dem Wunsch Ausdruck geben, daß unsere deutschen
Frauen, wenn sie nun gezwungen durch die Not der Zeit mehr als früher den rauhen Stürmen des Lebens ausgesetzt sind, immer darauf bedacht sein werden, daß diese Worte in Deutschland immer wieder ihre Bestätigung finden und niemals vergessen werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Weber.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Herren und Damen! Ich habe im Auftrag meiner Fraktion nur zu erklären, daß wir für den Ausschußantrag stimmen werden. Das soll heißen: auch für die Einsetzung des Frauenreferates im Ministerium des Innern und für eine vierteljährliche Berichterstattung in dem betreffenden Ausschuß. Ich will gar kein Wort mehr zu der grundsätzlichen Frage sagen. Wir haben schon einmal erklärt — ich sehe den Herrn Minister des Innern dort sitzen --: Jetzt kommt es darauf an, daß diese Dinge wirklich eingerichtet werden. Grundsätzliche Erklärungen haben keinen Zweck, wenn man nicht sieht, daß sie endlich in Erfüllung gehen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Albrecht.
Herr Präsident! Meine Herren und meine Damen! Ich hatte die hohe Ehre, gestern zu Ihnen zu sprechen, und Sie haben mir das, was ich zu Ihnen sagte, sehr schlecht gedankt. Jetzt wird wieder auf die Gleichberechtigung der Frau hingewiesen, und der Herr Kollege von der FDP hat sehr nette Worte gefunden. Ich möchte aber doch an dieser Stelle noch einmal betonen, daß es auf die schönen Worte der Kollegen nicht ankommt. Sondern wir für das gesamte Volk mittätigen Frauen — im wahrsten Sinne des Wortes Frauen und auch Mütter — wollen mit Ihnen für alle Frauen und Töchter Deutschlands zusammenarbeiten.
Vorweg möchte ich etwas ganz Grundsätzliches sagen. Wir sind beauftragt, die Gesetze für das Volk neu zu schaffen. Wir schaffen und bauen aber die Gesetze nicht allein für uns und für unsere Generation, sondern wir bauen sie für die Zukunft und für die künftigen Generationen. Zum mindesten haben wir den Grund für die Moderne in der Gesetzgebung zu legen, und darauf kommt es doch an.
Nun darf ich an etwas anderem nicht vorbeigehen. Schließlich und endlich sind die Männer immer bereit, wenn die wirtschaftliche Situation in Deutschland prekär ist, die Frauen dafür leiden zu lassen. Sie gehen am Grundsätzlichen vorbei. Wir müssen aber darauf bestehen, daß bei allem der Grundsatz erkannt und geachtet und auch gewahrt wird.
Hier wurde darum gebeten, daß man über unseren Antrag nach den drei Punkten im einzelnen abstimmen sollte. Wir haben gar nichts dagegen, wenn das getan wird. Wir haben unsern Antrag sehr reiflich überlegt. Wenn es in Punkt 2 heißt, daß ein besonderes Referat im Innenministerium eingerichtet werden soll, dann soll dieses kein Sonderfrauenreferat in dem Sinne sein, daß es einen eigenen politischen Weg einschlägt. sondern es soll die Soziologie der Frau beobachten, es soll alle die Werte, die sich aus diesem Leben ergeben, zusammenfassen, und es soll ein Hilfsmaterial für dieses Referat entstehen.
Ich darf Ihnen in drei Minuten folgendes sagen. Bei meiner Reise durch Amerika und dem Studium in Washington im Department of Labor und speziell im Women's-Bureau war es mir außerordentlich interessant, daß dieser große Staat Amerika sein gesamtes Frauenmaterial im Women's-Bureau zusammentrug.
— Lachen Sie ruhig darüber, meine Herren! Sie werden sich an den neuen Zustand gewöhnen müssen, ob Sie wollen oder nicht! Die Dinge gehen ja einfach über Sie hinweg.
— Herr Euler, Sie können gern lachen; mir macht es nichts aus.
— Schauen Sie, Herr Horlacher, wir sind keine Bayern, nicht wahr! — Aber in diesem Frauenbüro im Department of Labor wird ernsthaft auf einem Gebiet gearbeitet, das man in Deutschland noch nicht ernst genug genommen hat. Alles, was sich im Leben dieser mittätigen Menschen abspielt und ergibt, geht dort als Material in die Öffentlichkeit hinaus. Dieses Büro wird nicht für die Beamtinnen der Behörden eingesetzt; es hat eine Arbeitsaufgabe, die sich wie ein Bogen über das ganze Volk und Land hinüberspannt. So müssen Sie das betrachten, und darum. unser Antrag! Das mag für Sie etwas Neues sein. Aber bitte, geben Sie nach und beschäftigen Sie sich auch einmal mit dem Neuen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Größe mit der Annahme dieses unseres Antrages bewiesen. Beweisen auch wir, daß wir bereit sind, unsere staatsbürgerlichen Aufgaben zu erfüllen und unser Können einzusetzen!
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Meine Herren und Damen! Ich glaube nicht, daß unsere Freunde von der Freien Demokratischen Partei aus ihrer alten demokratischen Auffassung, zumal sie die besten Vorkämpferinnen der Frauenbewegung in ihrer Partei hatten, gegen das Frauenreferat, das der Kanzler in der Regierungserklärung versprochen hat, etwas einwenden wollen. Ich kenne nicht die Gründe des Vertreters der FDP und kann mich deshalb nicht mit ihnen auseinandersetzen. Wie diese aber auch immer seien, wir sind jedenfalls der Auffassung, daß es nicht nur notwendig ist, ein Referat „Frauen" einzurichten — das haben wir schon zur Regierungserklärung gesagt —, sondern daß darüber hinaus Frauen an allen Stellen, an denen sie gemeinsam mit den Männern Verantwortung tragen, in viel größerem Maße als bisher eingestellt werden sollten. Dieses Referat ,„Frauen" soll nur ein Anfang, ein Anfang für eine wirklich verantwortungsvolle Zusammenarbeit sein, in der endlich einmal mit vielen Vorurteilen aufgeräumt werden sollte.
Die Fragen des Frauenüberschusses sind nicht etwa so wenig problematisch oder so leichtfertig
zu sehen, daß man sie mit jenem Gelächter oder mit jener Leichtfertigkeit anhören sollte, wie es eben gegenüber der Rede unserer Kollegin geschehen ist.
— Dann haben Sie wohl nicht genügend zugehört.
Ich bin der Auffassung: wenn das Wort Goethes „So fraget nur bei edlen Frauen an" gelten soll, dann kann man nur um unseres Volkes willen wünschen, daß diese edlen Frauen nicht nur als Hausfrau, sondern überall da, wo es um die Geschicke unseres Volkes geht, ihren Platz haben und gefragt werden können. Deshalb wird meine Fraktion der Vorlage in der Ausschußfassung zustimmen.
Meine Damen und Herren! Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Meine Damen und Herren! Ich möchte mich auch ganz kurz fassen und sagen, daß wir von der Zentrumsfraktion dem Ausschußbericht, so wie er vorliegt, zustimmen werden. Aber ich möchte noch etwas hinzufügen. Ich habe sowohl gestern bei der Rede, die sich beim Beamtengesetz mit Frauenfragen beschäftigte, wie auch heute so - etwas den Eindruck gewonnen, als wenn wir noch in der Zeit der „Gartenlaube" lebten,
als wenn wir in Deutschland nicht eine Entwicklung hinter uns hätten, von der man nicht immer sagen kann, daß sie so in dem Stile gewesen ist, anzufragen, was sich für edle Frauen geziemt; denn als man unsere Frauen in die Munitionsfabriken hineinsteckte, fragte man nicht danach, ob diese Arbeit ihrer Frauenwürde entspräche. Ich meine, man müßte bei all den Fragen, um die es sich hier handelt, diese Entwicklung etwas mehr in die Waagschale werfen und sollte gerade bei Frauenfragen nicht allzustark in hinter uns liegender Romantik machen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Nachdem ich heute morgen in meinem Ministerium von einer Gruppe karnevalistischer Frauen amtsentsetzt worden bin,
habe ich meine Wiederindienststellung mit. der Zusage erkauft, daß ich mich für die Belange der Frauen einsetzen werde. Ich erfülle diese Zusage, indem ich hier noch einmal — und damit komme ich zu dem ernsten Teil — unterstreiche, daß die Einrichtung des Frauenreferats von dem Herrn Bundeskanzler in der Regierungserklärung zugesagt wurde. Diese Zusage stieß allerdings bei den Frauen im Bundestag zunächst auf ein sehr reserviertes Echo, weil die Vermutung aufkam, daß mit diesem speziellen Frauenreferat im Innenministerium die allgemeine Beteiligung der Frauen an der Besetzung von Referaten in allen Ministerien in etwa abgegolten sein sollte. Das ist natürlich zu keinem
Augenblick der Sinn der Regierungserklärung gewesen. Nachdem das nun klar ist, stellen sich auch die gesamten Frauenorganisationen und die Vertreterinnen der Frauen hier im, Bundestag diesem Referat gegenüber jetzt allgemein durchaus wohlwollend ein. Dieses Referat wird also eingerichtet, und es ist keine Abgeltung der Mitarbeit der Frauen in allen sonstigen Arbeitsgebieten.
Welche Aufgaben diesem besonderen Frauenreferat im Innenministerium obliegen werden, wird im wesentlichen Sache derjenigen Frau sein, die dieses Referat versehen wird.
Das muß eine Frau sein, die Initiative besitzt und aufgeschlossen genug ist, um alles das, was in den wiederholten Aussprachen hierzu angeregt wurde, aufzugreifen und zu verwirklichen. Ich möchte deshalb diese Stelle im Benehmen mit den zuständigen Organisationen der Frauen und deren Vertreterinnen im Bundestag besetzen. Die Verhandlungen sind im Gange, und ich darf in Aussicht stellen, daß die positive Lösung in einiger Kürze erfolgen wird. Die Arbeit, die dann zu beginnen hat, wird eine Arbeit auf lange Sicht sein. Infolgedessen muß diese Auswahl sorg- fältig erfolgen; denn es dreht sich ja bei diesem speziellen Frauenreferat in der Tat nur um eine Person. Deshalb ist alle Sorgfalt geboten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beratung ist damit geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung.
— Zur Abstimmung hat das Wort der Herr Abgeordnete Euler.
Ich ziehe namens meiner Fraktion den Antrag zurück, getrennt abstimmen zu lassen.
Meine Damen und Herren, Sie haben soeben gehört, daß der Antrag auf getrennte Abstimmung von den Antragstellern zurückgezogen ist.
Unter diesen Umständen können wir über den gesamten Antrag abstimmen. Es handelt sich um den Antrag auf Drucksache Nr. 487 betreffend Frauen im öffentlichen Dienst bei der Bundesverwaltung. Das ist der Antrag des Ausschusses. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben: — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist gegen eine Stimme angenommen.
Damit kommen wir zum Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 19. Oktober 1949 betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Aumer .
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat am 19. Oktober 1949 den Antrag auf Aufhebung der Immunität des Herrn Abgeordneten Aumer von der Bayernpartei gestellt. Namens des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität habe ich Ihnen Bericht zu erstatten. Ich möchte den Bericht in drei Teile gliedern, erstens feststellen, worauf sich das behauptete strafwürdige Verhalten des Abgeordneten Aumer gründen soll. Der Abgeordnete Aumer erhielt im Mai 1945 durch die damals zuständige Stelle der amerikanischen Militärregierung in München die Wohnung einer Frau zugewiesen, die sich beim Einmarsch der Amerikaner entleibt, die mit dem. Hitlerbild im Arm Seibstmord begangen hatte.
Der Gatte dieser Frau, ein General a. D. aus der Zeit des ersten Weltkrieges, erstattete am 5. Juli 1945 Anzeige gegen den heutigen Abgeordneten Aumer mit der Begründung, der Abgeordnete Aumer habe Gegenstände, die Eigentum des Generals a. D. gewesen seien, widerrechtlich aus der Wohnung entfernt. Die Akten zeigen, daß Abgeordneter Aumer diese Wohnung nicht benutzt hat, da sie sich ausweislich der Akten in einem unmöglichen Zustand befand. Richtig ist, daß Gegenstände, die dann später wieder zurückerstattet worden sind, aus der Wohnung zur Benutzung in einer anderen Wohnung, die dem Abgeordneten Aumer zugewiesen war, entfernt worden sind. Am 30. Juli 1945 erfolgte durch die Staatsanwaltschaft München die Einleitung eines Verfahrens auf Grund der Anzeige des General a. D. gegen den Abgeordneten Aumer. Am 18. Oktober 1945 ließ der Oberstaatsanwalt die Klage wieder fallen. Ich zitiere aus den Akten die Begründung:
Die neuerlichen Erhebungen haben ergeben, daß eine Schuld nicht vorliegt.
Das ist der erste Akt.
Der zweite Akt: Am 11. September 1946, also rund ein Jahr später, wurde das Verfahren auf Veranlassung des Generalstaatsanwalts in München erneut aufgenommen. Am 30. Dezember 1947 wurde das Verfahren auf Grund des Straffreiheitsgesetzes eingestellt.
Der dritte Akt: Der Abgeordnete Aumer wehrte sich wiederholt gegen die gegen ihn ausgesprochene Beschuldigung, und er setzte diese Abwehr auch im . Verlaufe eines Zivilprozesses fort. Er erklärte in diesem Zivilprozeß unter Parteieid, er habe sich keines Diebstahls schuldig gemacht. Am 16. Juni 1949 wurde daraufhin von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Meineids eingeleitet. Am 12. Oktober 1949 erfolgte das Ersuchen des Bayerischen Staatsministeriums auf Beschlußfassung betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Aumer. Das war der dritte Akt.
Wenn wir uns nun die Hintergründe kurz betrachten, so ist festzustellen, daß hier verschiedene Dinge durcheinandergehen. Einmal ergeben die Akten, daß der heutige Abgeordnete Aumer damals eine Holzstatue, die im Jahre 1917 einer Abtei in Frankreich entnommen worden war und die sich in der betreffenden Wohnung befand, ordnungsmäßig zur Rückgabe an den französischen Besitzer sichergestellt hat und daß der Abgeordnete Aumer in dieser Wohnung größere Mengen von Waffen und Munition vorfand, die der SS gehört hatten und die in dieser Wohnung deponiert waren.
Herr Abgeordneter Aumer, der einmal Insasse eines Konzentrationslagers in der Hitlerzeit und anerkannterweise Hitlergegner ist, war auch der erste Staatskommissar für politisch Verfolgte in Bayern.
Der Ausschuß hat bei Prüfung des Sachverhalts den Eindruck gewonnen, daß der Grundsatz, der für die Behandlung von Immunitätsfragen unter anderen von dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität aufgestellt worden ist, wonach Verfahren, die von einem politischen Interesse infiziert sind, nicht zu einer Aufhebung der Immunität führen dürfen, in diesem Falle Anwendung finden müsse. Der Ausschuß empfiehlt dem Hohen Hause, den Antrag des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 19. Oktober auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Aumer abzulehnen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschußantrag zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Ausschußantrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend ordnungsgemäße Erneuerung des Fahrzeugparks der Bundesbahn .
Zur Begründung hat das Wort der Antragsteller, Herr Abgeordneter Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In zwei Tagungen hat sich das Hohe Haus mit dem Problem Nr. 1, mit dem Arbeitslosenproblem theoretisch beschäftigt. Wir wollen jetzt aus der Theorie in die Praxis übergehen; denn das ist der Sinn des Antrags meiner Fraktion. Ich mache darauf aufmerksam, daß wir mit Drucksache Nr. 116, die am, 21. Oktober des vergangenen Jahres im Hohen Haus zur Beratung stand, den Anfang gemacht haben, darauf hinzuweisen, daß Entlassungen im größten Betrieb der westdeutschen Republik, in der Bundesbahn, vermieden werden müssen und daß das Arbeitslosenproblem einer dringenden Lösung bedarf. Damals wurde vom Balkon die Forderung erhoben, und die Regierung zog sich ins Schlafzimmer zurück. Heute ist die Situation sehr brennend geworden. Wir haben uns deshalb, um einen Anfang praktischer Art zu machen, mit der Lokomotiv- und Waggonbauindustrie ins Benehmen gesetzt, um mit ihr ein Arbeitsbeschaffungsprogramm aufzustellen.
Es sei vorausgeschickt, daß die Reparaturarbeiten bis zur Überrollung 1945 in den Reparaturwerkstätten der Bundesbahn selber ausgeführt wurden und daß die Lokomotiv- und Waggonfabrikation sich ausschließlich der Neufertigung unterzog. Nach der Überrollung im Jahre 1945 haben die Eisenbahner — und das ist ein Ruhmesblatt der bei der Bundesbahn beschäftigten Arbeiter und Beamten — sofort begonnen, das zerrissene Verkehrsnetz der Eisenbahn wieder herzustellen, ohne dabei nach Lohn und geregelter Arbeitszeit zu fragen. Um das Ver-
kehrsnetz möglichst schnell wieder instand zu setzen, wurden sowohl auf Befehl der Militärregierungen als auch auf Anordnung deutscher Stellen die Lokomotiv- und Waggonfabriken eingesetzt, um hier Mithilfe zu leisten. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, wieder eine Trennung im Aufgabengebiet sowohl der Reparaturwerkstätten der Bundesbahn als auch der Fabriken der Lokomotiv- und Waggonindustrie durchzuführen. Die Lokomotiv- und Waggonindustrie ist ein unbedingt notwendiger Bestandteil der deutschen Wirtschaft. Sie war in Friedenszeiten mit etwa 50 bis 60 Millionen Mark pro Jahr exportintensiv. Wir wünschen, daß die Lokomotiv- und Waggonindustrie wieder ihrer ureigenen Aufgabe zurück- und zugeführt wird, nämlich daß sie wieder den Anschluß an den Weltmarkt findet. Dazu bedarf sie einer Überbrückungszeit. Wir wünschen und erwarten, daß das Hohe Haus durch Zustimmung zu unserem Antrag Drucksache Nr. 486 die Hand dazu bietet, daß dieser Anschluß an den Weltmarkt für die Lokomotiv- und Waggonindustrie gefunden wird.
Ich habe mich mit der Lokomotiv- und Waggonindustrie, das heißt mit ihren Organisationen zusammengesetzt. Wir haben gemeinsam ein Programm aufgestellt, das einem Wert von 220 Millionen D-Mark entspricht. Es soll ein jährliches Mindestprogramm aufgestellt werden: 250 Lokomotiven, 50 Dieseltriebwagen, 500 Personenwagen und 12 000 Güterwagen. Auch nach Auffassung der Hauptverwaltung der Bundesbahn kann mit einem solchen Programm den Anforderungen für die Wiederherstellung des Fahrzeugparks, der durch Kriegseinwirkungen erheblich gelitten hat, Rechnung getragen werden. Nach Meinung der Lokomotiv- und Waggonbauindustrie ist es ihr möglich, mit diesen Neubauaufträgen den Anschluß an den Weltmarkt zu finden. Herr Dr. Hinz von der Lokomotivindustrie hat mich ermächtigt, zu sagen, daß es durch diese Initiative möglich ist, der Lokomotivindustrie im besonderen und auch der Waggonindustrie den Anlauf und die Überbrückung zu geben, die für sie erforderlich sind, um als devisenbringende Industrie für die deutsche Wirtschaft wieder in Funktion treten zu können.
Wir haben davon gesprochen, daß mit dem bei der Bundesbahn vorherrschenden Durcheinander in der Auftragsvergebung bezüglich ihres Betriebsmittelparks Schluß gemacht werden soll. Das ist nicht so sehr auf die Leitung der Bundesbahn gemünzt, als vielmehr darauf, daß die Länderregierungen in der Vergangenheit, wie ich es auszudrücken beliebt habe, Stotteraufträge oder Stotterkredite an die Bundesbahn gegeben haben, um damit nur stoßweise die Lokomotiv-
und Waggonbauindustrie am Leben zu erhalten und, was wichtig ist, dafür zu sorgen, daß der eingearbeitete Arbeiterstand nicht ins Arbeitslosenheer gestoßen wurde. Wir wollen mit diesen Stotterkrediten und mit diesen Stotteraufträgen Schluß machen, damit sowohl die Industrie wie auch die dort beschäftigten Qualitätsarbeiter zur Ruhe kommen. Wenn über den Häuptern dieser Menschen dauernd das Damoklesschwert der Entlassung schwebt, dann können Sie keine qualifizierte Arbeit von ihnen verlangen. Wir ersuchen deshalb das Hohe Haus, diesem Antrag die Zustimmung nicht zu versagen.
Aber gestatten Sie mir, als Interpret der 500 000 Eisenbahner einige Worte für diese braven Leute zu sagen. Auch hier droht seit Jahr und Tag das Arbeitslosenelend. Der Personalkörper der Bundesbahn ist nach dem Währungsschnitt durch sehr starke Entlassungen auf einen Stand zurückgeführt, den wir jetzt zu halten versuchen. Es gehört sehr viel Verantwortungsfreudigkeit dazu, sich mit einem Appell an die Solidarität und an die Opferwilligkeit des Personals zu wenden und danach zu Vereinbarungen mit der Bundesbahn über die 45-Stunden-Woche zu gelangen. Damit haben die Eisenbahner selbst, indem sie auf 6 Prozent ihres Lohnes verzichteten, Arbeitsplätze für 20 000 Menschen erhalten.
Sie haben nicht gewartet, bis die Regierung hilft, sie haben sich selbst geholfen!
Man sollte das anerkennen, indem man auch hier dem von mir ausgesprochenen Wunsche Rechnung trägt und die Betriebsrechnung der Bundesbahn, die doch unter täglichen Defiziten leidet, dadurch in Ordnung bringt, daß man die Bundesbahn von den sogenannten politischen Lasten befreit. Noch muß die Bundesbahn 174,5 Millionen an die Bundeskörperschaften abführen.
Dieser Betrag ist im letzten halben Jahr nicht mehr abgeführt worden, weil die Bundesbahn dazu nicht in der Lage war. Außerdem bringt die Bundesbahn noch 70,2 Millionen auf an Pensionen für aus dem Osten vertriebene Beamte; ihre Leistungen für Kriegsopfer machen 53,4 Millionen Mark pro Jahr aus, und die Tarifermäßigungen aus sozialen Gründen belaufen sich auf einen Betrag in Höhe von 60 Millionen pro Jahr. Das sind zusammen 358,1 Millionen in der Betriebsrechnung der Bundesbahn, die als sogenannte politische Lasten abgeführt werden müssen. Ich glaube, es ist nicht nur recht und billig, sondern es ist notwendig, die Bundesbahn von diesen politischen Lasten zu befreien durch Übernahme dieser Posten auf den allgemeinen Haushalt; denn nicht die Eisenbahner allein haben den Krieg verloren, sondern das deutsche Volk in seiner Gesamtheit.
Aus dieser Gesamtsituation entspringt die Bitte an das Hohe Haus, zunächst einmal die 220 Millionen zu bewilligen, damit die Lokomotiv- und Waggonbauindustrie den Anschluß an den Weltmarkt findet. Ich habe hier Telegramme und Schreiben aus beiden Industrien, in denen dringend darum ersucht wird, Sorge zu tragen, daß keine Entlassungsmaßnahmen in diesen Industrien durchgeführt werden. Ich glaube, daß der Bundestag nach den theoretischen Erwägungen in diesem Hause auch bereit . ist, hier praktisch zu helfen, damit keine Entlassungsmaßnahmen durchgeführt zu werden brauchen. Auch Herr Professor Erhard sagte ausdrücklich: Es kommt nicht so sehr darauf an, neue Arbeitsplätze zu schaffen, als vielmehr darauf, die vorhandenen rationell auszunutzen. Deshalb wäre es falsch, Arbeitsplätze freizumachen auch dort, wo die Möglichkeit besteht, sie zu erhalten.
Dasselbe gilt auch für die Beschäftigten bei der Bundesbahn. Auch hier sollte, wie es der Antrag wünscht, zum Ausdruck gebracht werden, daß Entlassungen nicht mehr durchgeführt werden dürfen. Durch die von mir vorhin mitgeteilte Vereinbarung über die 45-Stunden-Woche ist vertraglich festgelegt, daß Entlassungsmaßnahmen bis zum 31. Dezember 1950 nicht mehr erfolgen dürfen. Aber wir sind vorsichtig. Wir
wünschen, auch der Bundestag soll zum Ausdruck bringen, daß ein für allemal das Arbeitslosenproblem in konstruktiver Weise geregelt wird dadurch, daß Arbeitsplätze, die besetzt sind, nicht mehr freigemacht werden und das Arbeitslosenheer dadurch vergrößert wird.
Diesem Ziele dient der Antrag Drucksache Nr. 486. Da die Zeit drängt, ersuchen wir den Bundestag, diesem Antrag zuzustimmen, damit das deutsche Volk sieht, daß es dem Bundestag mit der Lösung des Problems Nr. 1 ernst ist.
Das Wort hat der Herr Bundesverkehrsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Abgeordneten Jahn durchaus dankbar, daß er die Frage der Beschäftigung der Waggon- und Lokomotivindustrie im Zusammenhang mit den Angelegenheiten der Bundesbahn dem Hohen Hause unterbreitet hat. Aber ich muß mich doch gegen die Form wehren, in der dieser Antrag eingebracht worden ist, und gegen verschiedene Auslassungen in dem Antrag, die der verehrte Herr Kollege Jahr durch seine Rede in einer ganz anderen Weise kommentiert hat, als es der normale Leser bei Prüfung des Antrages tun würde.
Wenn in der Einleitung zu dem Antrag steht, daß in Kürze erhebliche Arbeiterentlassungen bei der Bundesbahn bevorstünden, so kann ich das Hohe Haus darüber beruhigen; Herr Kollege Jahn hat ja von diesen Fragen auch schon gesprochen. Es werden keine Entlassungen bei der Bundesbahn erfolgen. Ich habe, wie der Herr Kollege Jahn auch weiß, bereits nach der damaligen Besprechung im Bundestag im Spätherbst die Bundesbahn angewiesen, im Monat Dezember keine Entlassungen mehr vorzunehmen, und seitdem sind Entlassungen und Kündigungen auch nicht mehr erfolgt. Sofort nach Weihnachten habe ich dann unter Berücksichtigung der Entwicklung der Lage auf dem Arbeitsmarkt die Hauptverwaltung der Bundesbahn gebeten, mit den Gewerkschaften Verhandlungen aufzunehmen, um zwischen dem Tagewerkssoll des Wirtschaftsplanes der Bundesbahn für 1950 und der Zahl der bei der Bundesbahn beschäftigten Menschen eine Übereinstimmung herzustellen. Das ist in den Verhandlungen mit den zuständigen Gewerkschaften auch gelungen, und ich bin sehr froh, feststellen zu können — und ich erkenne dabei durchaus an, daß hier von den Gewerkschaften und von der Belegschaft der Bundesbahn ein erhebliches Opfer übernommen worden ist —, daß wir am 14. Februar die Vereinbarung unterzeichnen konnten, nach der einerseits Entlassungen bei der Bundesbahn bis zum Ende des Jahres ausgeschlossen sind und andererseits ab 1. März in allen Betrieben zur 45-Stunden-Woche übergegangen wird mit Ausnahme der Ausbesserungswerkstätten, bei denen dieses Ziel erst am 1. Juni erreicht wird; bis dahin arbeiten diese Betriebe noch 42 1/2 Wochen-Stunden wie bisher. Wir haben diese Vereinbarung getroffen, weil wir sonst genötigt gewesen wären, gegenüber den Anforderungszahlen des Jahresvoranschlags eine erhebliche Anzahl von Menschen zu entlassen, und "zwar allein aus dem Werkstättendienst 4200 Menschen. Das ist abgewendet worden, und ich freue mich, diese Tatsache feststellen zu können.
Der Antrag der SPD schießt aber wohl über das Ziel hinaus, wenn er von einem „Durcheinander im Beschaffungswesen" und von einer Ersetzung dieses Durcheinanders durch eine „vernünftige Planung" spricht. An einer anderen Stelle des Antrages wird davon gesprochen, daß das „auf dem Gebiete der Beschaffung und Instandsetzung des Fahrzeugparks herrschende Durcheinander" beseitigt werden müsse. Diese beiden Sätze sollten in der Begründung des Antrages keinen Platz haben. Diese Fragen haben sich, wie ein großer Teil von Ihnen, meine Damen und Herren, weiß, nach dem Zusammenbruch doch so entwickelt, daß es gar nicht möglich war, die Ausbesserungsarbeiten ausschließlich in den Ausbesserungswerkstätten der Bundesbahn, also der damaligen Reichsbahn, durchzuführen, weil ein erheblicher Teil dieser Ausbesserungswerkstätten zerstört war.
Auf der anderen Seite war es dringend erforderlich, zunächst einmal alles anzusetzen, um die Bahn überhaupt wieder betriebsfähig zu machen. Sie wissen aber auch, daß gleichzeitig die alliierten Stellen ein absolutes Verbot für den Neubau von Lokomotiven und Waggons erlassen hatten, ein Verbot, das erst in der letzten Zeit gelockert worden ist. Um die notwendigen Ausbesserungsarbeiten überhaupt einigermaßen zeitgerecht durchzuführen und um andererseits die Waggon- und Lokomotivindustrie zu erhalten, blieb daher gar nichts anderes übrig, als die Ausbesserungsaufträge in erheblichem Ausmaß an diese Industrien zu geben.
Im Zuge der Arbeiten sind die Ausbesserungswerkstätten der Bundesbahn erneuert worden; zum Teil befinden sie sich noch in der Erneuerung. Es wird auch noch einige Zeit dauern, bis alle restlos wiederhergestellt sind. Je mehr dies geschieht, um so mehr soll auch seitens der Industrie eine Aufgabe der Reparaturarbeiten erfolgen. Denn es ist nach wie vor die Politik nicht nur der Bundesbahn, sondern auch des Bundesverkehrsministeriums, daß die Ausbesserungsarbeiten im Bereich der Bundesbahn selbst und in deren Werkstätten durchgeführt werden und daß die Industrie der Bundesbahn ausschließlich für Neubauten zur Verfügung steht. Wir wissen, welche Bedeutung diese Industrie für In- und Ausland gehabt hat. Wir wissen aber auch, wie außerordentlich schwer es für sie sein wird, technisch den Anschluß an die Entwicklung im Ausland zu finden. Deshalb, und insbesondere, weil es in den letzten Monaten noch nicht möglich war, die notwendigen Neubauaufträge seitens der Bundesbahn zu vergeben, haben wir zum Schutze der in der Lokomotiv- und Waggonindustrie arbeitenden Menschen uns genötigt gesehen, weitere Ausbesserungsaufträge in diese Werke zu vergeben. Es waren aber gerade die Vertreter der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei, die mich deswegen zur Verantwortung gezogen haben, —
weil ich veranlaßt habe, daß diese Aufträge im Herbst vergeben wurden.
Man hat mir unterstellt, ich hätte meine Befugnisse überschritten.
Meine Damen und Herren! Wir haben, wie Sie wissen, bei der Bahn verschiedene Arten von Fahrzeugen, nämlich Güterwagen, Personenwa-
gen und Lokomotiven. Es ist wohl richtig, wenn ich Ihnen bei dieser Gelegenheit einmal ganz kurz einen Überblick über die damit zusammenhängenden Probleme gebe. Wir verfügen zur Zeit über rund 300 000 Güterwagen, von denen ein erheblicher Teil sehr überaltert ist, so daß wir eine außerordentlich hohe Frequenz an Reparaturarbeiten haben. Diese hohen Reparaturkosten belasten selbstverständlich das Betriebsergebnis der Bundesbahn. Deshalb muß es das Bestreben der Bundesbahn sein, diese überalterten Güterwagen abzustoßen. Dazu kommt, daß der Bestand von 300 000 Güterwagen gegenüber den heutigen Anforderungen weit übersetzt erscheint, da wir bei der sehr günstigen Umlaufszeit von etwa 4 bis 41/2 Tagen, wie wir sie in der Hochkonjunktur des Herbstes erreicht haben, mit den Güterwagen gut ausgekommen sind, in normalen Zeiten also ungefähr einen Überhang von 30 Prozent der Güterwagen haben. Dieser Überhang würde zweckmäßig dann beseitigt werden, wenn wir die Reparaturfresser aus den Güterwagen ausschalten könnten. Deshalb ist es und muß es auch das Bestreben der Bundesbahn sein, den jährlichen Anteil an verschrotteten Güterwagen wesentlich zu erhöhen. Dieser Anteil beträgt bisher durchschnittlich im Jahre nur 10 000 Stück. Wir werden sogar in diesem Jahre durch eine Sonderaktion, durch die etwa 300 bis 400 Arbeiter im Gebiet Watenstedt-Salzgitter zusätzlich Beschäftigung erhalten sollen, weitere 12 000 Wagen verschrotten können. Damit werden wir jedoch keine Verschlechterung in der Versorgung mit Güterwagen erhalten. Wir haben ja in den letzten Jahren 34 000 neue Güterwagen bekommen, die leider Gottes nicht in Deutschland gebaut worden sind, aber nicht aus Gründen, die bei uns lagen, sondern ausschließlich bei den hohen Herren, die damals die Angelegenheit der Bahn wesentlich aus ihren ausländischen Interessen heraus zu bestimmen versuchten.
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir zu diesem Zeitpunkt noch keine neuen Güterwagen bauen durften. Man hat aber im Ausland so viel Güterwagen über die Kontrakte hinaus gebaut — so günstig waren die Aufträge —, daß man uns heute noch mit ungefähr 1500 weiteren Güterwagen von dort beglücken möchte, die wir aber, da die Kontrakte Gott sei Dank abgelaufen sind, natürlich nicht abnehmen werden.
Wir sind der Ansicht, daß bei der Bundesbahn auf dem Gebiet der Güterwagen mit Ausnahme von Spezialwagen eine durchaus genügende Ausrüstung vorhanden ist und wir hier nur in geringem Umfange neue Wagen einsetzen müssen, solange wir andere, dringliche Arbeiten vor uns haben.
Bei den Personen- und Triebfahrzeugen wurde mit Rücksicht auf die Finanzlage und auch Weden des Bauverbotes eine Erneuerung bisher nicht vorgenommen. Hier liegt allerdings ein Engpaß vor, der unbedingt anzuerkennen ist. Ich habe schon wiederholt auf diesen Engpaß hingewiesen, der auch Sie auf Ihren Reisen bedrückt, wenn Sie in einem Zug fahren mit alten Personenwagen oder in einem Zug ohne II. Klasse oder wenn der Schlafwagen ausfällt. Wenn alle diese Unannehmlichkeiten auch einmal die Herren Abgeordneten betreffen, werden sie doch nur eindringlich darauf hingewiesen, wie es dem gewöhnlichen Menschen auf der Bahn geht, der damit fahren muß.
Meine Damen und Herren! Dann wollen wir uns aber daran erinnern, daß wir zwar eine große Zahl von erstklassigen Personenwagen haben, daß wir sie aber nicht benutzen dürfen.
1073 dieser Wagen, davon 923 Reisezugwagen, 53 Speisewagen, 72 Schlafwagen und 25 Triebwagen stehen der britischen und der amerikanischen Besatzungsmacht, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes der britischen und amerikanischen Armee, zur Verfügung, während die französische Armee auf solchen Einsatz nicht mehr zurückgreift. Von diesen werden planmäßig allerdings nur rund 400 Wagen benötigt, die übrigen stehen in Reserve.
Es ist hier die Frage zu stellen, ob es im Interesse einer richtigen und rationellen Betriebsführung liegt, wenn die Bahn eine solche Reserve hat, mit deren Einsatz wir jedoch in absehbarer Zeit nicht rechnen können. Wenn es in der französischen Zone möglich ist, daß mit reservierten Abteilen die Befriedigung des notwendigen Reisebedarfs der Besatzungsmacht erfolgt, sollte das im Zeitalter der Aufhebung der Diskriminierung auch in den anderen Zonen Deutschlands möglich sein.
Dann werden wir über diese Fahrzeuge wieder verfügen, und es wäre falsch, ein Fahrzeugprogramm aufzustellen, das diesen Bestand nicht berücksichtigt.
Meine Damen und Herren! Wir sind bei der Bundesbahn natürlich der Auffassung, daß wir, wenn wir über Geld verfügen könnten, den gesamten Fahrzeugbedarf den modernen Verhältnissen anpassen sollten. Das Durchschnittsalter unserer Personenzugwagen beträgt nämlich über 40 Jahre. Das ist aber nicht eine Aufgabe, die wir von heute auf morgen erledigen können, sondern nur im Zuge eines mehrjährigen Programms. Wir müssen uns hier vor allen Dingen zu neuen technischen Grundsätzen durchringen, nämlich zu dem Grundsatz, daß wir vom Langzugverkehr zum Kurzzugverkehr und vom schweren Zug zum leichten Zug, zur Fahrplanauflockerung übergehen müssen.
Alle diese Fragen werden bei der Bundesbahn sehr ernst bearbeitet. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen würden, sich im Bundesbahn-Beirat — wie Herr Kollege Jahn Gelegenheit gehabt hat — die Vorträge der Herren der Bundesbahn anzuhören, dann würden Sie feststellen, daß man von einem Durcheinander im Beschaffungswesen und ähnlichem nicht sprechen kann. In Verteidigung der Bundesbahn muß ich sagen: Hier wird schon sehr planmäßig und zielbewußt gearbeitet, und hier liegen auch die entsprechenden brauchbaren Pläne vor; denn wir haben in dem Programm, das für den Wirtschaftsplan 1950 vorgesehen ist, insgesamt 210 Millionen DM, also fast die Summe, die der Herr Jahn hier anfordert, schon für diese durch den Antrag gestellten Aufgaben eingesetzt, allerdings in einer etwas anderen Aufteilung.
Wir haben folgende Aufteilung vorgesehen: 40 Millionen für Neubauten und 60 Millionen für Wiederaufbau und Ausbesserung noch vorhandener brauchbarer und wiederherstellbarer Wagen, die wir ja nicht einfach auf den Schrotthaufen werfen können. Ferner haben wir einen zusätzlichen Bedarf in einer Größenordnung von 110 Millionen vorgesehen, der sich wie folgt aufteilt: auf elektrische Triebfahrzeuge 23,8 Millionen, auf Dieseltriebfahrzeuge 10,9 Millionen, auf Güterwagen 6,5 Millionen, auf Neuherrichtung von Güterwagen 6,8 Millionen und auf Umbau von 1000 Reisezugwagen 41 Millionen. Dazu kommen, gedeckt durch Kredite der Länder, 6,4 Millionen für Dampflokomotiven bei Henschel-Kassel und 14,6 Millionen für andere Triebfahrzeuge.
Nun komme ich zu dem Problem, das Herr Kollege Jahn ganz klar erkannt und eindeutig beklagt hat, nämlich zu der Tatsache, daß die Bundesbahn nicht in der Lage ist, die genügenden Mittel, die in ihrem Jahresplan vorgesehen sind, so rechtzeitig disponibel zu haben, daß sie auch die Bestellungen rechtzeitig herausgeben kann. Hier erinnere ich alle Herren und Damen, die im Wirtschaftsrat gesessen und damals die Verantwortung getragen haben, daran, daß sie es für genügend befunden haben oder befinden mußten, daß man einem Unternehmen mit einem Anlagevermögen von über 9 Milliarden Mark und mit einem Jahresumsatz von rund 3,5 Milliarden Mark anläßlich der Währungsumstellung das gesamte Umlaufsvermögen wegnahm und es mit ganzen 200 Millionen D-Mark ausstattete, die zum größten Teil zur Abnahme überhängender Aufträge verwendet werden mußten. Wenn Sie das größte deutsche Unternehmen, die Bundesbahn — und das ist natürlich auch eine Ihrer Aufgaben, meine sehr verehrten Damen und Herren — nicht mit dem notwendigen Umlaufkapital ausstatten, dann können Sie natürlich auch nicht erwarten, daß die Bundesbahn Ihren Anforderungen entspricht und die entsprechenden Aufträge an die Industrie rechtzeitig herausgibt. Das kann jetzt nur geschehen, wenn man der Bahn auf dem Kreditwege beispringt. Hier ist die Lage so: da die Bank deutscher Länder sehr stark überlastet ist, hat sich die Bundesbahn, um möglichst viel Mittel heranzuholen, auch an die Länder gewendet. Wenn die Länder, insbesondere die süddeutschen Staaten, hier sehr intensiv geholfen haben, dann meine ich, sollte man diese Hilfe nicht als ein „Durcheinander" bezeichnen, sondern im Interesse der Menschen, die dadurch Arbeit und Brot finden, als ein durchaus vernünftiges Entgegenkommen.
Ich bin der Auffassung, daß es für die Industrie in Nordrhein-Westfalen zweifellos richtig gewesen wäre, wenn sich dieses Land hier nicht von den süddeutschen Ländern hätte beschämen lassen.
Aber von dort haben wir leider über Kredite für diese Zwecke bisher noch nichts gehört, obwohl die großen Waggon- und Lokomotiv-Industrien doch in Nordrhein-Westfalen konzentriert liegen und hier sogar der Arbeitslosenstock eingreifen mußte, um dankenswerterweise für die Durchführung von Lokomotivaufträgen bei der Firma Krupp Kredite zur Verfügung zu stellen.
Herr Abgeordneter Jahn hat mit Recht darauf hingewiesen, daß unsere Bundesbahn mit sehr starken Auflagen belastet ist, die an und für sich von ihr nicht zu tragen sind. Im deutschen Volk herrscht offenbar heute noch in vielen Kreisen die Meinung, eine Eisenbahn sei grundsätzlich ein Unternehmen, das erheblichen Verdienst abwerfe. Wenn Sie aber einmal einen Blick auf die wirtschaftliche Lage der Eisenbahnen der europäischen Länder werfen, dann werden Sie feststellen, daß es in Europa heute keine Eisenbahn gibt — mag sie so oder so geführt sein —, die in der Lage ist, einen Überschuß abzuwerfen. Deswegen erscheint es umso bemerkenswerter, daß man bei der Festsetzung des Etats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes damals in jenem Hohen Hause des Wirtschaftsrates glaubte, von diesem Unternehmen ohne weiteres einen festen Jahresgewinn von 174 Millionen einkassieren zu können. Gerade jetzt ertönt immer wieder der Ruf, die Bundesbahn solle nach wirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden. Aber es ist einer der ersten wirtschaftlichen Grundsätze, ein Unternehmen erst dann in seinen finanziellen Möglichkeiten durch Abzug von Mitteln zu beeinträchtigen, wenn ein Gewinn tatsächlich nachgewiesen ist und ohne Schaden für das Werk entnommen werden kann. Man kann doch nicht vorher Festsetzungen machen; sonst arbeitet man tatsächlich nur fiskalisch und nicht mehr wirtschaftlich.
Auf der anderen Seite ist die Belastung, die unsere Bundesbahn unter anderem durch Pensionslasten aller Art hat und auf die Herr Kollege Jahn bereits hinwies, sehr beträchtlich. Wir zahlen zur Zeit insgesamt 60,5 % der jährlich insgesamt aufgewendeten Gehaltssumme für Pensionen. Das ist eine Belastung, die nur begreiflich ist, wenn man weiß, daß 9,6 % der Gehaltssumme für Pensionen an Vertriebene und 8,3 % der Gehaltssumme für Zahlungen an Kriegshinterbliebene und Kriegsbeschädigte aufgewendet wird. Schon hieraus ist zu sehen, daß geprüft werden muß, ob es neben der Abgabe an den Staat nicht auch andere Belastungen gibt, die aufzubringen die Bundesbahn an sich nicht verpflichtet ist. Meine Damen und Herren! Vergessen Sie bitte nicht: Sie sitzen schließlich hier in diesem Hause als Vertreter der Eigentümer und Besitzer dieses größten deutschen Unternehmens. Dieses größte deutsche Unternehmen ist auf Veranlassung seines Besitzers — nicht durch Sie, aber durch die damaligen Machthaber — in Situationen gekommen, die es praktisch um den größten Teil seiner Substanz gebracht haben. Es ist jedoch immer Aufgabe des Besitzers oder Eigentümers eines Betriebes, wenn ein solcher Betrieb durch seine Schuld so geschädigt worden ist, auch dafür zu sorgen, daß dieser Betrieb die notwendigen Mittel zum Wiederaufbau bekommt.
Deshalb ist es Aufgabe dieses Hohen Hauses, diese Fragen zu prüfen, und sich dann bewußt zu sein, daß man von einem wirtschaftlichen Unternehmen doch keinen Ertrag verlangen kann, wenn man nicht bereit ist, ihm das notwendige Kapital zum Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen. Eine der ersten Voraussetzungen dazu — über die wir uns in absehbarer Zeit im Rahmen der einschlägigen Gesetze unterhalten werden — ist, daß man einem solchen Unternehmen nicht zumuten kann, einen etwa entstandenen Betriebsverlust vor sich her zu wälzen; man muß vielmehr diesen Betriebsverlust abdecken. Hier handelt es sich um Prinzipien, über die wir sicher noch sehr eingehend sprechen werden, und ich
erbitte Ihre Hilfe, um der Bundesbahn ein Fundament zu geben, das sie wieder zu einem wirklich ertragreichen Unternehmen macht.
Meine Damen und Herren! Wenn ich auch zweifellos nicht Eisenbahn-, sondern Verkehrsminister bin, so werden Sie mich doch nicht von der Überzeugung abbringen, daß unsere Bundesbahn, technisch richtig erneuert und mit den nötigen Geldmitteln versehen, wieder ein wirtschaftlich ertragreiches Unternehmen werden kann. Aber dazu müssen wir alle gemeinsam arbeiten, und dazu müssen wir auch die richtigen und vernünftigen und keine unvorsichtigen Wege gehen. Sehen Sie, mein verehrter Herr Kollege Jahn hat gesagt, nach der damaligen Debatte über die Entlassungen bei der Bundesbahn sei ich ins „Schlafzimmer" gegangen. Nun, ich glaube, daß ich gelegentlich auch im „Schlafzimmer" arbeite, wenn auch vielleicht manchmal anders als andere Leute.
Nach diesem karnevalistischen Ausflug möchte ich aber darauf hinweisen, daß wir im Verkehrsministerium tatsächlich nun nicht etwa geschlafen haben, sondern daß wir die Probleme schnell erkannt und gute Lösungen vorbereitet haben. Denn sehen Sie, meine Herren von der SPD, obwohl Sie doch seinerzeit dagegen waren, daß wir die Lokomotiv- und Waggonindustrie durch Überbrückungsaufträge unterstützt haben, haben wir uns nicht beirren lassen und weiterhin sehr schnell gearbeitet, um im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms der Regierung voranzukommen. Sie wissen, daß der Bundesbahn in diesem Arbeitsbeschaffungsprogramm 250 Millionen D-Mark zur Verfügung stehen. Diese Summen werden nach Oberbau, Brückenbau und anderen Betriebsbauten auf die Hauptnotstandsgebiete Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern, Nordhessen und Rheinland-Pfalz aufgefächert, während die übrigen Gebiete gleichzeitig durch Zulieferungen beaufschlagt werden. Wir werden etwa verbrauchen: 94 000 Tonnen Schienen, 55 000 Tonnen Kleineisen, 1,2 Millionen Kubikmeter Schotter, wobei Aufträge an die Steinindustrie in Niedersachsen für 3 Millionen, in Bayern für 5 Millionen, in Nordhessen für 1 Million, in Rheinland-Pfalz für 1/2 Million und im Westerwald für 2 1/2 Millionen anfallen. Wir werden dabei rund 2 Millionen getränkter Holzschwellen verbrauchen. Die entsprechenden Aufträge sind in ähnlicher Weise aufgeteilt, so daß unsere großen Waldgebiete im Bayrischen Wald, in Niedersachsen, in Nordhessen, im Westerwald und Schwarzwald ihre entsprechende Beaufschlagung bekommen. Wir werden Brücken im Wert von 58 Millionen bauen; davon entfallen unter anderem 16 Millionen auf Niedersachsen, 19 Millionen auf Bayern und 8,2 Millionen auf Rheinland-Pfalz. Wir werden Betriebsbauten aufführen, auch diese Bauten sind auf die genannten Gebiete aufgeteilt, so daß wir die 250 Millionen nunmehr sofort herausgeben können. Die Aufträge für Schotter und Schwellen laufen bereits, und wir haben die kurzarbeitenden Menschen nun wieder sehr schnell an der Arbeit und werden neue Menschen in die Arbeit hineinbekommen, und zwar in den Gebieten, wo uns die Arbeitslosigkeit am meisten bedrückt und wegen der Heimatvertriebenen besondere Sorge macht.
— Ich glaube, verehrter Herr Jahn, wenn in allen „Schlafzimmern" so schnell gearbeitet würde wie in meinem Amt, können wir in Deutschland ganz zufrieden sein.
- Ich habe nicht vom Bett gesprochen, Herr
Wehner! Sie sollten sich überhaupt nicht rühren, wenn ich spreche, denn Ihre Lügnerei kenne ich ja nun leider genügend.
- Beruhigen Sie sich, lieber Herr Arnholz, wir
sprechen einmal in Braunschweig über diesen Fall.
Herr Minister, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß der Ausdruck „Lüge" oder „Lügner" nicht zu den parlamentarischen Gepflogenheiten gehört.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte ganz ruhig meine Sache zu Ende führen, und ich glaube, Sie werden mich auch ruhig anhören. Denn lassen Sie doch keine Zwischenrufe von Herren machen, die ganz genau wissen, welche unerfreulichen Differenzen zwischen uns bestehen. Man kann ja vielleicht auch so viel Takt aufbringen, daß man das unterläßt.
Ich brauche mir darüber keine Vorlesung von Ihnen, meine Herren von der SPD, halten zu lassen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte hier noch folgendes feststellen: Die Fraktion der SPD hat in ihrem Antrag gefordert, daß die in den Bundesbahnausbesserungswerkstätten angeordnete Kurzarbeit unverzüglich aufzuheben sei. Das kann nach dem Abkommen, das wir am 14. 2. mit den Gewerkschaften getroffen haben, nicht mehr geschehen. Ich glaube, daß Herr Abgeordneter Jahn mit mir auch darüber einig ist. In der Frage der Entlassungen haben wir uns auf meine Veranlassung bis zum Ende des Jahres gebunden. Bis dahin erfolgen keine Entlassungen. Aber selbstverständlich kann das nicht eine Anordnung sein, die auf ewige Zeiten gültig bleibt. Denn wir müssen ja rationalisieren, und wir müssen bei der Rationalisierung — auch der Herr Kollege Jahn wird mir das zugeben — auch Arbeitsplätze einsparen, weil das nicht anders geht.
Ich möchte ferner auf folgendes hinweisen: Die Fraktion der SPD hat bei Ihrem Antrag gewünscht, daß die 220 Millionen D-Mark aus den im Laufe des Jahres 1950 der Regierung zur Verfügung gestellten Counterpart-Funds gegeben werden sollen. Ich glaube, daß die Herren Wirtschaftsminister der Länder, die Ihrer Fraktion angehören, Sie wohl darüber unterrichten könnten, daß die Regierung die Mittel aus diesen Counterpart-Funds nicht zu verteilen hat, sondern daß sie von den zuständigen ausländischen Stellen in Frankfurt und Paris nach Anträgen, die wir stellen, bewilligt werden. Aus dem Programm der Counterpart-Funds erhält die Bundesbahn in diesem Jahr — und zwar aus der zweiten
Tranche — 50 Millionen. 8 Millionen entfallen auf die Privateisenbahnen. Diese Beträge sind aber bereits völlig verteilt und haben durchaus ihre Auftragspartner; sie können leider nicht für die Lokomotiv- und Fahrzeugindustrie aufgewendet werden. Die Finanzierung, die Sie, meine Herren von der SPD, hier vorschlagen, ist daher nicht möglich. Ich möchte aber mit Rücksicht darauf, daß wir nun wirklich in all diesen Fragen das Äußerste tun und daß wir auch dringend bemüht sind, die alsbaldige Finanzierung derjenigen Beträge zu ermöglichen, die in dem Jahresplan der Bundesbahn für die genannten Industrien ausgeworfen werden, — ich möchte darum bitten, uns nicht durch einen solchen Antrag, der letzten Endes doch nicht erfüllt werden kann, weil die Finanzierungsgrundlage mit den Counterpart-Funds eben nicht besteht, die Arbeit noch zu erschweren. Wir könnten Ihnen, meine Herren von der SPD, ja jetzt nur antworten: der Antrag ist im Sinne unserer Gesamtbestrebungen wunderschön, aber leider undurchführbar, weil Sie uns keinen Weg gewiesen haben, wie wir ihn praktisch ausführen können!
Für die folgende Aussprache hat der Ältestenrat eine Redezeit von insgesamt 60 Minuten vorgesehen. Meine Damen und Herren, ich werde mit Ihrer Zustimmung diese Regelung der folgenden Besprechung zugrunde legen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vesper.
Meine Damen und Herren! Die durchgeführte und bevorstehende Rationalisierung
bei der Bundesbahn wird wie alle bisher durchgeführten Abbaumaßnahmen keine Lösung der schwierigen Lage der Bundesbahn bringen. Sie wird insbesondere zur weiteren Verschlechterung der Lage der Eisenbahnbediensteten führen.
Wenn der Bundesverkehrsminister in seinen Ausführungen besonders darauf hinwies, daß der Materialbestand der Bundesbahn sehr stark ramponiert sei, so möchte ich das durch einige Zahlen unterstreichen. Von 250 000 Personenwagen der Bundesbahn, deren Lebensdauer durchschnittlich auf 35 Jahre fest errechnet wird, sind 72 Prozent des Bestandes überaltert und sind bereits 40 bis 60 Jahre im Dienst. Ich möchte den Herrn Bundesverkehrsminister besonders auf diese Tatsache hinweisen,
daß die Sicherheit des Personenverkehrs durch diesen Zustand sehr in Frage gestellt ist.
Wenn der Kollege Jahn seinen Antrag mit dem besonderen Hinweis auf gerade dieses Kapitel und dieses Moment begründet, so kann man diesen Antrag voll und ganz unterstützen.
Aber ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine andere Frage aufmerksam machen. Die Hauptverwaltung der Bundesbahn in Offenbach hatte bereits Ende 1949 Rationalisierungsmaßnahmen eingeleitet, die große Tarif- und soziale Nachteile für die Eisenbahner mit sich brachten. Ich möchte besonders darauf hinweisen, daß eine Reduzierung des Gedingeverdienstes vorgenommen, daß erhöhte Arbeitsleistung eingeführt wurde, daß eine Rückstufung von Handwerkern der Werkstätten in das Nichthandwerkerverhältnis und die Herabsetzung der Arbeitszeit vorgenommen worden ist. Im Ausbesserungswerk Rosenheim wurden allein durch diese Maßnahme 300 Eisenbahnhandwerker zurückgestuft und mit Arbeiten für den Oberbau zum niedrigsten Lohn verwendet. Ähnliche Erscheinungen konnten in vielen Werkstätten Westdeutschlands festgestellt werden. Die Hauptbürokratie vertritt hierbei den Standpunkt, daß den Betriebsräten bei diesen Entscheidungen durch die Verwaltung nicht die Mitbestimmung, sondern nur das Mitberatungsrecht eingeräumt werden solle. Die Reorganisation der Bundesbahn wird keine positiven Auswirkungen, vor allem nicht auf die Eisenbahnerschaft, haben, wenn das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte und Gewerkschaften nicht durch betriebliche Vereinbarungen garantiert wird.
Meine Fraktion ist im Prinzip mit dem Antrag der SPD Drucksache Nr. 486 einverstanden; sie ist aber der Auffassung, daß der im vorletzten Absatz gemachte Deckungsvorschlag sehr problematisch ist. Es dürfte bekannt sein, daß die Mittel aus den Counterpart-Funds bereits weit überzogen sind, und hier ist es auch die Militärregierung, die die endgültige Entscheidung trifft. Demzufolge ist keine Deckung für die Sofortdurchführung des Programms gegeben.
Das Wort hat der Abgeordnete Juncker. Es entfallen auf Sie acht Minuten, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Sozialdemokratischen Partei Drucksache Nr. 486 beschäftigt sich mit der Erneuerung des Fahrzeugparks der Bundesbahn. Die Vertreter des Verkehrsausschusses werden wissen, daß wir uns schon früher mit diesem Problem sehr eingehend beschäftigt haben. Es ist aber nicht so, wie aus dem Antrag hervorgeht, daß durch eine ungenügende Planung letztlich die Vergebung von neuen Aufträgen nicht stattfinden konnte, sondern es dürfte allgemein bekannt sein, daß die katastrophale Finanzlage der Bundesbahn es bisher nicht gestattet hat, Neubauaufträge an die Privatindustrie zu vergeben. Es kann allerdings nicht verkannt werden, daß 70 Prozent der Reisezugwagen ein Durchschnittsalter von 40 Jahren und die Güterwagen ein solches von ca. 22 Jahren aufweisen, wodurch die Notwendigkeit einer Erneuerung des Fahrzeugparks der Bundesbahn schon aus Rentabilitätsgründen wie auch aus Gründen der Erzielung einer höheren Verkehrsleistung erwiesen sein dürfte. Der Herr Bundesverkehrsminister hat ja schon darauf hingewiesen, welches die Gründe sind, die die Verlagerung der Reparaturaufträge auf Teile der Privatindustrie maßgeblich beeinflußt haben. Ich würde vorschlagen, den Antrag der SPD zur fachlichen Durcharbeitung an den Verkehrsausschuß zu überweisen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucerius.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir mit dem Antrag der SPD zwar in der Sache, aber nicht in der Form auf dem richtigen Wege sind. Wir wissen alle ganz genau, daß die Bundesbahn einer der wichtigsten Faktoren der Konjunkturbeeinflussung ist. Als
Verbraucher und Auftraggeber wichtiger Güter der Schwerindustrie hat sie selbstverständlich einen maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklung des Preis- und Arbeitsniveaus. Das Verfahren, nach dem festgestellt wird, in welchem Umfange die Bahn Aufträge zu vergeben hat, ist aber nun einmal ein anderes, und ich glaube, wir sollten uns bemühen, uns wenigstens im Rahmen dieses Verfahrens zu halten. Der Verkehrsminister hat uns vorgetragen, daß im Wirtschaftsplan für das Jahr 1950 genau vorgesehen ist, welche Beträge für die Zwecke ausgegeben werden sollen, die die SPD nach ihrem der Sache nach durchaus begrüßenswerten Antrage gern ausgegeben sehen möchte. Die Beträge decken sich in der Höhe zwar nicht völlig mit dem Antrag der SPD. Es sind nämlich insgesamt nur 210 Millionen statt 220 Millionen. Diese Abweichung ist so gering, daß sie der Sache nach nicht von entscheidender Bedeutung sein dürfte. Ich darf Ihnen die Zahlen, die der Verkehrsminister angegeben hat, kurz in die Erinnerung zurückrufen: Neubau 40 Millionen, Wiederaufbau und Ausbesserung 60 Millionen, zusätzlicher Bedarf 110 Millionen.
Es, ist Aufgabe der Instanzen, die bei der Festsetzung des Wirtschaftsplans der Bundesbahn mitzuwirken haben, darüber zu wachen, daß diese Positionen auch tasächlich verwirklicht werden. Der Wirtschaftsplan der Bundesbahn wird im Verkehrsbeirat festgestellt, dem unter anderen der Herr Kollege Jahn und andere Kollegen dieses Hauses angehören. Also die Instanzen, die hier vertreten sind, haben einen maßgeblichen Einfluß auf die Festsetzung des Wirtschaftplans selbst. Er ist demnächst vom Finanzminister und vom Verkehrsminister zu genehmigen und wird diesem Hause zur Kenntnis vorgelegt. Ich nehme an, daß dieses Verfahren sich in Kürze abspielen wird und wir dann Gelegenheit haben werden, anläßlich der Kenntnisnahme Bedenken vorzutragen, wenn den Wünschen, die der SPD-Antrag hier mit Recht vorgebracht hat. nicht Genüge getan sein sollte. Ich glaube, daß es zweckmäßig ist. dieses Verfahren abzuwarten und daher insoweit den Antrag der SPD als erledigt anzusehen, nachdem der Verkehrsminister uns mitgeteilt hat, daß in den Wirtschaftsplan entsprechende Positionen aufgenommen werden. Das zu dem einen Teil des Antrages.
Der zweite Teil des Antrages befaßt sich mit der Personalfrage der Bundesbahn. Nichts hat alle Beteiligten mit größerem Schmerz erfüllt, als die Feststellung daß im vergangenen Jahre bei dem Personal der Bundesbahn aus wirtschaftlichen Gründen namhafte Einschränkungen haben vornommen werden müssen. Wir wissen, daß diese Einschränkungen nicht nur aus Gründen der Rationalisierung erfolgten, sondern daß zum Teil auch die bei der Bundesbahn herrschende Notlage die Einsparungsmaßnahmen am wirtschaftlich nicht gerechtfertigten Ort zur Folge hatte. Wir haben nun aber ebenfalls von dem Herrn Verkehrsminister gerade erfahren, daß über diese Frage zwischen den Beteiligten, die sie eigentlich allein angeht, nämlich den Gewerkschaften und der Leitung der Bundesbahn, Abmachungen getroffen worden sind. Diese Abmachungen. Herr Jahn, sind nach dem 1. Februar, das heißt nach dem Datum, an dem Sie Ihren Antrag eingereicht haben, getroffen worden. Ich muß annehmen. daß die Vereinbarungen alle Beteiligten zufriedengestellt haben, soweit dies unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Bundesbahn möglich ist, auf die wir nun einmal Rücksicht zu nehmen haben und mit der wir uns abfinden müssen, da wir sie nicht ändern können. Sie bedeuten, daß bis Ende dieses Jahres überhaupt keine Entlassungen vorgenommen werden und daß die Arbeitszeitverkürzungen in erheblichem Umfange eingestellt und demnächst ganz aufgehoben werden. Nachdem eine solche Einigung erfolgt ist, wäre es untunlich, wenn das Parlament von hoher Hand in die zwischen den Sozialpartnern getroffene Vereinbarung eingreifen wollte.
Dazu noch ein grundsätzliches Wort. Wir stehen im Begriff, die Rechtsverhältnisse der Bundesbahn neu zu ordnen. Es sind zwei Gedankenkomplexe, die im Streite miteinander liegen: auf der einen Seite die Vorstellung, daß die Bundesbahn möglichst vollständig aus der Arbeit der Bundesregierung, vor allem aus dem Verkehrsministerium, herausgelöst werden sollte, und auf der anderen Seite die Auffassung, man solle die Bundesbahn der Kommandogewalt des Verkehrsministers möglichst straff unterwerfen. Die Gewerkschaften, die auch von Herrn Jahn vertreten werden, stehen dem ersten Standpunkt nahe. Sie vertreten den Standpunkt möglichst weitgehender wirtschaftlicher Selbständigkeit, ein Standpunkt, für den außerordentlich viel anzuführen ist. Dieser Auffassung widerstreitet es aber, wenn der Bundestag die Befugnis für sich in Anspruch nimmt, der Bundesbahn in einzelnen Fragen ihrer Wirtschaftsgestaltung Befehle zu erteilen. Wir können nicht auf der einen Seite den Standpunkt vertreten, daß der Verkehrsminister als solcher der Bundesbahn keine Einzelanordnungen erteilen dürfe, auf der anderen Seite für uns, die Legislative, aber dieses Recht in Anspruch nehmen. Insofern liegt in dem Antrag der SPD ein innerer Widerspruch, über den man schwerlich in diesem Zusammenhang hinwegkommen kann. Für die Beurteilung dieses Antrages ist das aber nicht entscheidend.
Wesentlich scheint mir zu sein, daß in den beiden wichtigsten Punkten der Antrag der SPD sachlich erledigt ist. Hinsichtlich der Personalfrage ist nach der Einbringung dieses Antrages eine Vereinbarung abgeschlossen worden, und auch das Petitum des übrigen Teiles des SPD-Antrages — die Einsetzung eines namhaften Betrages, um die Bundesbahn als Auftraggeber der deutschen Industrie instand zu setzen, ihre Funktion als Konjunkturbeeinflusser zu erfüllen — ist dadurch erfüllt, daß die entsprechenden Beträge in den Wirtschaftsplan der Bundesbahn für das Jahr 1950 eingesetzt worden sind. Wir sind deshalb der Auffassung, daß der Antrag durch Vorgänge, die nach der Antragstellung. liegen, sachlich gegenstandslos geworden ist, und wir stellen daher den Antrag, der Bundestag möge beschließen: Der Antrag der SPD ist durch die Regierungserklärung sachlich erledigt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram.
Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD will doch offenbar mehr als nur 220 Millionen D-Mark für die Bundesbahn herausholen; tatsächlich sollen die Verkehrsleistung und die Wirtschaftlichkeit der Bahn wiederhergestellt werden. Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß wir uns in einer strukturellen Verkehrs-
krisis befinden, und zwar sowohl was die Bahn als auch den Straßenverkehr anlangt. Wir müssen uns Mittel ausdenken, um aus dieser strukturellen Verkehrskrisis herauszukommen. Ich sehe den Hauptwert des SPD-Antrages gerade in dieser Richtung, daß diese Mittel zur Überwindung der strukturellen Verkehrskrisis im Ausschuß besprochen werden können. Die Mittel dazu sind in zahlreichen Denkschriften aufgezeigt. Ich glaube, es ist in erster Linie die Schwerfälligkeit der Bürokratie gewesen, die bisher die Überwindung der Verkehrskrisis nicht möglich gemacht hat. Ein Güterwagen läuft von den 24 Stunden des Tages nur drei Stunden, und 21 Stunden steht er. Der gesamte Rangierbetrieb der Bahn nimmt jährlich rund dreiviertel Milliarden an Kosten in Anspruch. Man kann damit rechnen, daß der Rangierbetrieb der Bahn 80 bis 90 Prozent des gesamten Kostenaufwandes verschlingt. Wenn es uns gelingen würde, diese Frage durch Einführung des von verschiedenen Seiten geforderten Behälterverkehrs zu lösen, so würden wir damit gleichzeitig das gesamte Frachtenproblem lösen, das ja unsere Wirtschaft heute so außerordentlich schwer belastet.
Ich beantrage deshalb, diesen Antrag dem Ausschuß zu überweisen und ihm als Zusatz hinzuzufügen, den Ausschuß zu beauftragen, die Mittel zur Überwindung der strukturellen Verkehrskrisis zu überprüfen. In diesem Sinne ist der Antrag als eine wertvolle Hilfe für die weitere Regierungsarbeit anzusehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen.
Meine Damen und Herren! Der Herr Verkehrsminister hat uns ausführliche Zahlen über den Stand der Bundesbahn übermittelt. Meine politischen Freunde begrüßen es, daß die Bundesbahn, die reichlich lange im Schatten gestanden hat, langsam etwas mehr nach vorn gestellt und auch der Beratung und der Kontrolle des Parlaments wieder etwas mehr unterworfen wird. Wir stimmen dem Bundesverkehrsminister zu, wenn er sagt, daß es kein wirtschaftlich sinnvolles Verhalten ist, in einem Gesetz vorzuschreiben, wie es seinerzeit von der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets gewesen ist, daß zur Alimentierung der Verwaltung Beträge ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens abgeführt werden sollen. Man hätte sich mehr und ernster der Bundesbahn annehmen sollen. Ich möchte hier die Frage aufwerfen, ohne länger dabei zu verweilen, ob nicht die Bundesbahn in der verflossenen Zeit - fast zwei Jahre — seit der Währungsreform sich selbst etwas mehr in den Vordergrund hätte rücken sollen. Wenn sie das getan hätte, wäre sie vielleicht bei der Verteilung der ERP-Mittel und auch bei manchen anderen Finanztransaktionen zum Besten der Wirtschaft mehr berücksichtigt.
Ich möchte soweit gehen, zu sagen, daß die Bundesbahn als ein Unternehmen mit Monopolcharakter gewisse Verpflichtungen gegenüber dem breiten Kreis ihrer Lieferindustrie hat und daß sie auch dazu da ist, in diesen Kreisen den technischen Fortschritt anzuregen oder zu fördern. Ich bin mir klar darüber, daß das ungeheuer schwer ist in einer Zeit, in der es Hauptaufgabe sein muß, zu reparieren, Trümmer zu beseitigen und
Anlagen wiederherzustellen. Aber wenn wir — und damit denke ich an die Fragen des deutschen Exports — den Wunsch haben, auch die Gegenstände zu exportieren, die die deutsche Industrie für die Bundesbahn liefert — und wir haben nicht nur den Wunsch, sondern die Notwendigkeit dazu —, dann müssen wir auch dafür sorgen, daß die Bundesbahn die Lieferindustrie zu technischen Fortschritten anregt, wie sie das z. B. auf dem. Gebiete des Dieseltriebwagens und ähnlichen Dingen sehr oft getan hat. Wir wollen uns doch darüber klar sein, daß wir dem Ausland gegenüber in dieser Beziehung in einen gewissen Rückstand gekommen sind, der sich nicht bloß in unseren eigenen Einrichtungen, sondern auch in der Unmöglichkeit auswirkt, diese Gegenstände zu exportieren.
Wir sind sehr angenehm davon berührt, daß der Herr Verkehrsminister mit Schwung dabei ist, die Auftragsvergebung der Bundesbahn mit den zur Verfügung gestellten neuen Mitteln zu beleben. Wir begrüßen es, daß er das Programm, das hier erst vor wenigen Tagen verkündigt worden ist, schon in die Tat umgesetzt hat. Daß die Verwirklichung dieses Programms eine etwas einseitige sein mußte, darüber sind wir uns klar; denn daß die Fragen des Oberbaus absolut im Vordergrund stehen, weiß jeder, der sich mit diesen Dingen ein wenig beschäftigt. Wir möchten den Bundesverkehrsminister ermuntern, auf diesem Wege fortzuschreiten. Hoffentlich werden auch die Stellen, die über die Finanzen etwas zu sagen haben, ihn weiterhin in die Lage versetzen, hier etwas zu tun.
Ich möchte nur mit einem Satz ein Problem anschneiden, das schon mein Kollege Bucerius berührt hat. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Bundesregierung sich bald entschlösse, ein Gesetz über die Rechtsform der Bundesbahn vorzulegen. Die Erörterungen, die schon auf die Länder übergegriffen haben und die es auch sonst verdienten, beschleunigt abgeschlossen zu werden, bringen uns sonst auf Wege und in Gedanken hinein, die nicht gerade förderlich sind. Die Bundesregierung würde sich ein Verdienst erwerben, wenn sie sehr bald eine Vorlage machte.
Was die sachliche und formale Behandlung des Antrags der SPD angeht, so schließen wir uns den Ausführungen des Abgeordneten Bucerius sowohl zum ersten wie zum zweiten Teil des Antrages an.
Das Schlußwort hat der Herr Abgeordnete Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir nicht danach, Späße zu machen, auch wenn sie Schlafzimmerarbeit betreffen. Es kommt mir darauf an, daß der Bundestag den Ernst der Situation, wie er aus unseren theoretischen Erwägungen herausgeklungen ist, nicht nur erkennt, sondern durch eine entscheidende Tat auch dazu beiträgt, daß dieses Hauptproblem Nr. 1, das Problem der Arbeitslosen in Angriff, und zwar positiv in Angriff genommen wird. Ich stelle fest, daß trotz der von Herrn Bundesverkehrsminister hier bekanntgegebenen kleinen Kredite von einigen Mullionen an die Waggon- und Lokindustrie in diesen Industrien Entlassungen vor der Tür stehen. Ich stelle weiterhin fest, daß bei der Bundesbahn
Entlassungen mir vermieden werden konnten, weil die Eisenbahner, und zwar 86 000, in den Ausbesserungswerken das Opfer einer Kurzarbeit von 42 1/2 Stunden seit dem 1. April vergangenen Jahres auf sich genommen haben, und daß wir aus Verantwortungsgefühl dem deutschen Volk gegenüber neuerdings vereinbart haben, le 45-Stundenwoche bei 6-prozentiger Lohneinbuße für 300 000 Eisenbahnarbeiter einzuführen.
Ich stehe nicht an zu sagen, daß wir auf die Dauer nicht immer wieder an die Opferwilligkeit der Arbeiter appellieren können und daß es deshalb falsch ist, wenn wir uns damit abfinden wollten, daß dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion nun das Lebenslicht ausgeblasen werden sollte.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Oberbau bei der Bundesbahn, der gewiß sehr erneuerungsbedürftig ist — darauf haben wir mehr als einmal hingewiesen — kann mit 250 Millionen DM nicht gerettet werden. In der Verlautbarung der Bundesregierung selbst heißt es ja, daß beim Oberbau ungefähr für 30 000 Einsatzleute und bei der Zubringerindustrie für 75 000 Leute Arbeit für 10 Monate geschaffen werden kann. Der Oberbau kann in betriebssicherem Ausmaß erst wiederhergestellt werden, wenn für mindestens fünf Jahre 300 Millionen DM pro Jahr zur Verfügung gestellt werden können.
— Deshalb reden wir hier von diesen Problemen!
— Ja, ja, vom Jahre 1950. Aber was geschieht nach 1950? •
— Das werden wir später sehen? Mit diesem Trost kann ich mich nicht abfinden. Wir sollten uns dazu verstehen, einen Plan aufzustellen,
nach dem diese Arbeit durchgeführt wird,
weil eine solche planmäßige Festlegung Ruhe in die Belegschaften der hierfür in Frage kommenden Industrien bringen würde. Darauf kommt es uns an, daß die Arbeiterschaft merkt, daß sie ihren Arbeitsplatz behalten kann. Wir glauben, daß es möglich sein muß, dem materiellen Inhalt unseres Antrages zuzustimmen.
Ich kann mich nur schweren Herzens dazu bereit erklären, dafür einzutreten, den Antrag dem Ausschuß zu überweisen, und zwar deshalb, weil ich fürchte, daß in der Zwischenzeit Arbeiterentlassungen vorgenommen werden. Diese Verantwortung möchte ich nicht übernehmen.
- Ja, das weiß ich, das haben wir vereinbart;
aber, Frau Kollegin Kalinke, ich spreche jetzt von
den Privatindustrien, die, wenn sie keine Unterstützung bekommen, aller Wahrscheinlichkeit nach zu Arbeiterentlassungen schreiten müssen.
Ich bitte also, daß der Antrag dem Ausschuß überwiesen und der Auschuß beauftragt wird, schnellstens in die Beratung des Antrags einzutreten, damit er positiv erledigt werden kann.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen zur Sache vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Am weitesten geht der Antrag Dr. Bucerius und Fraktion, den Antrag durch die Regierungserklärung als erledigt zu betrachten. Ich lasse über diesen Antrag zuerst abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister Seebohm hat in seiner Rede ein Mitglied dieses Hauses als Lügner bezeichnet
— der Lügnerei bezichtigt. Ich bedauere, daß der Herr Präsident diese Beschimpfung nicht sofort und scharf geahndet hat.
Da der Herr Minister sich bisher wegen dieser Äußerung nicht entschuldigt hat, möchte ich im Namen meiner Fraktion entschiedene Verwahrung gegen diese gröbliche Verletzung der Ehre eines Abgeordneten durch ein Mitglied der Bundesregierung einlegen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Das Wort wird hierzu nicht gewünscht. Ich lasse abstimmen. Wer für den Antrag auf Drucksache Nr. 533 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe. Einmütig angenommen.
Wir kommen zu Punkt 7 der Tagesordnung: Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Neufestsetzung der Kohlenpreise .
Mir wird soeben mitgeteilt, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister sich noch auf dem Petersberg befindet.
— Ebenso der Herr Finanzminister, der sein Vertreter ist. Ihre Annahme, sie könnten für die Beantwortung der Interpellation rechtzeitig hier eintreffen, hat sich als trügerisch erwiesen. Ich frage Sie, ob unter diesen Umständen dieser Punkt nicht von der Tagesordnung abgesetzt werden soll. — Der Herr Bundesinnenminister teilt mir soeben mit, er sei imstande, eine Erklärung zu verlesen.
Das Wort hat der Herr Abgordnete Ollenhauer.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion legt Wert auf
J die persönliche Anwesenheit und Teilnahme an der Aussprache des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundeswirtschaftsministers bei der Behandlung dieser Interpellation. Wir beantragen daher, diesen Punkt von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und ihn in die Tagesordnung der ersten Sitzung des Plenums in der nächsten Woche aufzunehmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ist das Haus mit diesem Antrag einverstanden? — Ich stelle allseitiges Einverständnis fest. Der Punkt wird von der Tagesordnung abgesetzt und wird auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Plenums gesetzt werden.
Wir kommen zu Punkt 8 der Tagesordnung:
Interpellation der Abgeordneten Dr. Bucerius und Genossen betreffend Ausweisung
aus dem Bundesgebiet .
Zur Beantwortung der Anfrage erteile ich dem Herrn Bundesinnenminister das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Drucksache Nr. 426 haben die Abgeordneten Dr. Bucerius und Genossen einige Anfragen an die Bundesregierung gerichtet, die sich auf einen Fall von Ausweisung aus dem Bundesgebiet beziehen. Ich möchte zunächst ergänzend zum Tatbestand folgendes mitteilen.
Der Ausweisungsfall betrifft einen Werner Jespers, ursprünglich belgischer Staatsangehörigkeit. Er hat von 1942 an auf deutscher Seite am krieg teilgenommen und die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Er ließ sich nach dem Krieg unter dem angenommenen Namen Körbert als Waldarbeiter in Mellbeck bei Luneburg nieder und wurde im Sommer 1949 von einem britischen Militärgericht wegen Führung eines falschen Namens zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Gefängnisstrafe kehrte er nach Mellbeck zurück und wurde dort am 14. Dezember 1949 auf britischen Befehl erneut festgenommen und am 16. Dezember durch britische Militärpolizei der belgischen Militärpolizei übergeben. Er wird in Belgien wegen Verletzung seiner Treuepflicht gegenüber dem belgischen Staat strafgerichtlich verfolgt.
Das Bundeskanzleramt und das Bundesjustizministerium hörten von diesem Vorgang am 15. Dezember und haben sofort bei der Hohen Kommission interveniert. Der Fall war aber dort noch nicht bekannt. Die Hohe Kommission hat sich in anerkennenswerter Weise bemüht, den Sachverhalt aufzuklären, und zugesagt, alle weiteren Maßnahmen abzustoppen. Auf ihre Nachfrage er- gab sich jedoch, daß Jespers inzwischen, nämlich, wie gesagt, bereits am 16. Dezember, der belgischen Militärpolizei übergeben wurde.
Nun zur Rechtslage und damit zu den Fragen, die diesbezüglich in der Interpellation aufgeworfen worden sind.
Was zunächst die besatzungsrechtlichen Vorschriften über Ausweisung anlangt, so ist hier das Gesetz Nr. 10 der Alliierten Hohen Kommission vom 27. Oktober 1949 maßgebend. Danach können ausgewiesen werden deutsche Staatsangehörige, die keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, und Ausländer vom Rat der Hohen Kommission oder auch einer Behörde, die hierfür bestimmt wird, wenn sie durch ein Besatzungsgericht wegen strafbarer Handlungen verurteilt wurden oder wenn ihre Anwesenheit im Bundesgebiet geeignet wäre, die öffentliche Ordnung oder die Sicherheit der alliierten Streitkräfte zu gefährden oder deren Ansehen zu schädigen. Außerdem können ausgewiesen werden Ausländer durch jeden Hohen Kommissar aus dem Gebiet seiner Zone, falls ihm dies im Interesse der öffentlichen Ordnung usw. notwendig erscheint.
Es mag zweifelhaft sein, ob diese Bestimmungen des Gesetzes Nr. 10 in allen Teilen mit dem Besatzungsstatut vereinbar sind. Es könnte zum Beispiel gesagt werden, daß das Besatzungsstatut keine überzeugende Stütze für die Bestimmung enthält, daß deutsche Staatsangehörige ohne gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet sowie Ausländer schon deshalb ausgewiesen werden können, weil sie militärgerichtlich bestraft worden sind. Auch ist zweifelhaft, ob die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 10 im Falle Jespers überhaupt beachtet worden sind. Jespers ist nach deutschem Recht deutscher Staatsangehöriger; er hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt zweifellos im Bundesgebiet. Das Gesetz Nr. 10 sieht ausdrücklich vor, daß nur Deutsche ohne gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet ausgewiesen werden können. Selbst wenn nun die britischen Behörden der Meinung sind, daß Jespers belgischer Staatsangehöriger sei, hätte seine Ausweisung im Hinblick auf die militärgerichtliche Verurteilung nur durch einen Beschluß des Rates der Hohen Kommissare oder eines von ihnen bestellten Ausschusses vollzogen werden dürfen. An einem solchen Beschluß fehlt es aber offenbar.
Der britische Hohe Kommissar für seine Person und für seine Zone hätte selbständig handeln können, wenn ihm dies im Interesse der öffentlichen Ordnung oder des Ansehens oder der Sicherheit seiner Streitkräfte geboten erschien. Ein solcher Ausweisungsgrund ist nicht erkennbar; vielmehr besteht der Eindruck, daß der britische Hohe Kommissar mit dem Fall überhaupt nicht befaßt wurde.
Insgesamt hat es also den Anschein, daß es sich bei der Auslieferung des Jespers an die belgische Militärpolizei um einen Obergriff untergeordneter britischen Stellen gehandelt hat.
Was die deutschen Rechtsvorschriften anlangt, so sehen sie eine Ausweisung nur für Ausländer vor, und zwar nach der auch heute noch in Geltung stehenden Ausländer-Polizeiverordnung vom 22. August 1938. Es handelt sich dabei um eine Verordnung, die in ihrem wesentlichen Inhalt auch früher schon in Geltung gewesen ist.
Durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes erfahren die Bestimmungen dieser Verordnung von 1938 wesentliche Korrekturen, insofern nämlich, als politische Verfolgte jetzt unter das Asylrecht des Artikel 16 der Grundordnung fallen, ferner insofern, als in jedem Falle nun der Rechtsweg gegen Ausweisungsbefehle gemäß Artikel 19 des Grundgesetzes erschlossen ist, und schließlich auch insofern, als nach Artikel 104 über eine sogenannte Abschiebungshaft immer der Richter zu entscheiden hat. Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu sagen, daß deutsche Behörden eine Ausweisung niemals vornehmen können, ohne daß die zuständige Besatzungsbehörde — und das ist Combined Travel Board — die Ausreisegenehmigung erteilt.
Deutsche Behörden sind bei der Ausweisung durch die Besatzungsmächte bisher nicht beteiligt. Eine Beteiligung deutscher Behörden erscheint aber jedenfalls dann geboten, wenn es sich um die Ausweisung deutscher Staatsangehöriger handelt. Eine Regelung dieser Materie mit den Besatzungsmächten ist anzustreben, wobei dann auch die Frage zu klären sein wird, ob man demjenigen, der da ausgewiesen werden soll, ein Wahlrecht hinsichtlich des Landes eröffnet, in das die Ausweisung vollzogen wird. Die Bundesregierung wird die notwendigen Schritte bei den Hohen Kommissaren dieserhalb tun, und was den konkreten Fall Jespers anlangt, so wird es Sache des Bundeskanzleramtes sein, ihn weiter zu verfolgen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucerius.
Dr. Bucerius , Interpellant: Die Ausführungen der Bundesregierung sind voll befriedigend. Wir haben mit Genugtuung davon Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung, vor allem der Bundesjustizminister unverzüglich, das heißt beim ersten Bekanntwerden des Vorfalles, beim britischen Hohen Kommissar und den Hohen Kommissaren vorstellig geworden ist. Leider ist diese Aktion daran gescheitert, daß die Behörden, untergeordnete britische Dienststellen, bereits einen vollendeten Tatbestand geschaffen hatten.
Um jeden Irrtum auszuschließen: es handelt sich nicht um die Person von Werner Jespers. Werner Jespers, belgischer Staatsangehöriger, hat während des Krieges im deutschen Heeresdienst gestanden, ein Tatbestand, über den wir uns hier nicht zu unterhalten brauchen, weil es, um seine Person nicht geht. Er hat durch diesen Sachverhalt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben; er war Deutscher, lebte im deutschen Bundesgebiet. Über seine Ausweisung durfte nach den eigenen Gesetzen, die die Militärregierungen und die Hohen Kommissare erlassen haben, nur von den deutschen Stellen entschieden werden, nicht von alliierten Stellen.
Hier liegt — das ist nicht zweifelhaft nach dem Tatbestand, soweit er uns bekanntgeworden ist — das vor, war der Herr Bundesinnenminister einen Übergriff untergeordneter britischer Stellen genannt hat.
Meine Damen und Herren! Im Jahre 1933 wurde ein deutscher Journalist jüdischer Abstammung von der Gestapo an der deutsch-schweizerischen Grenze offenbar auf schweizerischem Staatsgebiet „verhaftet", um einen freundlichen Ausdruck zu gebrauchen ,oder „gekidnapped", um einen schärferen zu gebrauchen. Er wurde nach Berlin in die Keller der Gestapo verbracht. Die kleine Schweiz, wehrlos und waffenlos, hat gegenüber dem damals schon sehr ungebärdig auftretenden Hitlerreich protestiert. Der energische Protest hatte zur Folge, daß Hitler seinerzeit nachgegeben hat. Der Mann wurde der protestierenden Schweiz zurückgeliefert, ein Beweis dafür, daß selbst Hitler internationale Gesetze und Gerechtigkeit anerkannte, nicht deshalb, weil er sie zu schätzen wußte, sondern weil er sie als eine Macht anerkannte.
Meine Damen und Herren, wir möchten wünschen, daß die Militärregierungen diesem Beispiel folgen, nicht deshalb, weil sie glauben, daß sie dazu gezwungen seien, sondern weil sie mit ihrem Verhalten und mit ihrer Einstellung in diesem Falle dem deutschen Volke und allen Völkern ein Vorbild geben sollten!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Fall, der der Anlaß zu der Interpellation war, ist mir unbekannt und interessiert mich persönlich weniger. Mich interessiert vielmehr das Grundsätzliche, und ich frage mich, ob der Herr Innenminister bei seinen Ausführungen die Sache eigentlich getroffen hat. Er hat dauernd von „Ausweisung" gesprochen. Ausweisung ist ein Verwaltungsakt, der sich gegen jemanden richtet, der aus irgendwelchen Gründen mißliebig ist. In dem Fall, der hier zur Erörterung steht, und in anderen Fällen handelt es sich aber gar nicht um „Ausweisung", sondern um „Auslieferung", daß heißt um das Verlangen einer auswärtigen Macht, einen Deutschen oder einen Ausländer, der sich im . Bundesgebiet aufhält, einer fremden Justiz zur Aburteilung zu überstellen.
Über diese Auslieferung schreibt Artikel 16 des Grundgesetzes, Absatz 2 vor: „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden". Ich habe im Besatzungsstatut keine Bestimmung gefunden, die etwa besagen könnte, daß sich die Besatzungsmächte das Recht der Auslieferung ihrerseits vorbehalten hätten. Sie haben vielmehr das Grundgesetz genehmigt und verbürgen sich ausdrücklich für die in diesem Grundgesetz den deutschen Staatsbürgern eingeräumten Freihefts- und Persönlichkeitsrechte. Sie sind ängstlich darauf bedacht, daß diese Freiheits- und Persönlichkeitsrechte nicht etwa durch totalitäre Maßnahmen geschädigt werden. Für diesen Fall wollen sie selbst das Regiment wiederum in ihre Hände nehmen.
Ich bin nun der Ansicht, daß das Recht, über einen eigenen Staatsbürger strafrechtlich zu verfügen, eines der selbstverständlichsten Hoheitsrechte ist, das aus Menschen überhaupt erst einen Staat macht, wie denn auch im Strafgesetzbuch selbstverständlich steht, daß ein Deutscher auch, dann zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn er im Ausland strafbare Handlungen begangen hat. Ob man aber von Fall zu Fall einen Deutschen dennoch ans Ausland ausliefert, hängt von etwaigen Auslieferungsverträgen ab.
Nun liegen die Dinge vielleicht so, daß, da wir im auswärtigen Dienst ja noch beschränkt sind, hierüber verhandelt werden müßte, ob unser Grundgesetz lediglich eine papierene Deklamation sein soll oder ob nicht vielmehr mit seiner Genehmigung auch der Artikel 16 in Kraft getreten ist.
Denn wir bleiben eine Farce von einem Staat, ein Embryo, das nicht geboren ist, wenn wir nicht einmal unsere eigenen Landsleute vor fremder Gerichtsbarkeit schützen, wenn wir nicht selbst dazu Stellung nehmen dürfen, ob wir einen Verbrecher aburteilen können oder nicht. Der Fall, der hier zur Erörterung steht, ist gleichgültig. Wichtig ist nach meinem Dafürhalten, daß bei ordnungsgemäßer Anwendung des Grundgesetzes und des Geistes des Besatzungsstatuts jedenfalls keine Dienststelle einer Besatzungsmacht sich für befugt halten dürfte, über eine deutschen Staatsbürger zu verfügen, ohne mindestens deutsche
Stellen um ihre Meinung gefragt zu haben. Es könnte in Frage kommen, daß man den einen oder anderen Deutschen ausliefert, wie man es vor dem Kriege ja auch schon oft getan hat, wenn der Fall geeignet erschien, im Ausland abgeurteilt zu werden. Aber ohne Anhörung deutscher Stellen dürfte die Auslieferung, um die allein es sich handelt, meines Erachtens nicht vorgenommen werden, wenn wir von Besatzungs-
Gnaden her wirklich ein Staat sein wollen.
Aus diesem Grunde — das sage ich offen — hat die Erklärung des Herrn Bundesinnenministers meine Fraktion noch nicht voll befriedigt.
Das Wort hat der Abgeordnete Niebergall.
Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion erhebe ich den schärfsten Protest gegen das Ausweisungsgesetz. Dieses Gesetz beweist erneut, wer die wahren Herren hier in Westdeutschland sind. Mit diesem Gesetz will man Menschen treffen und einschüchtern, die mit der Politik der Hohen Kommissare nicht einverstanden sind. Wir warnen ausdrücklich vor jeder Illusion, daß dieses Gesetz sich nur gegen uns richte.
Wir haben ein treffendes Beispiel: das ist das Saargebiet. Im Saargebiet hat man 1946 ein ähnliches Gesetz erlassen. Wir Kommunisten wurden zuerst davon betroffen, weil wir gegen den wirtschaftlichen und den politischen Anschluß waren. Dann folgten sozialdemokratische Freunde, zum Schluß Katholiken, und jetzt erleben wir weitere Massenausweisungen aus dem Saargebiet. Ich richte in diesem Zusammenhang an die Bundesregierung die konkrete Frage, was sie gegen diese Ausweisungen aus dem Saargebiet bisher getan hat.
Ich frage Sie: was hat dieses Gesetz mit Demokratie zu tun? Das Gesetz unterstreicht nach unserer Auffassung noch einmal die Notwendigkeit, stärker denn je einzutreten für einen Friedensvertrag, für den Abzug der Besatzungsmächte und die Einheit Deutschlands. Dann hört nämlich dieser Spuk von selber auf.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache über diesen Punkt ist geschlossen.
Damit ist die Tagesordnung erschöpft.
Ich habe noch einige Dinge bekanntzugeben. Das Zentralbüro teilt mit, daß die Drucksachen Nr. 482, 412, 488, 62, 490, 503, 508, 497 und 175 nicht ein weiteres Mal verfügbar seien. Die Damen und Herren werden gebeten, diese Drucksachen ihren Mappen zu entnehmen und selber für die nächste Sitzung bereitzuhalten.
Dann habe ich noch mitzuteilen, daß die zu heute einberufene Mitgliederversammlung der Deutschen Parlamentarischen Sektion der Europäischen Bewegung auf nächsten Mittwoch 20 Uhr verlegt werden mußte. Sie soll im Saal des Bundesrates stattfinden. Die bekanntgegebene Tagesordnung soll unverändert bleiben.
Ich gebe ferner noch bekannt, daß die FDP-Fraktion sich heute abend 19 Uhr 30 versammelt.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung — es wird die 40. sein — auf Donnerstag, den 23. Februar, 14 Uhr 30 und die 41. Sitzung auf Freitag, den 24. Februar, 14 Uhr 30 ein.
Ich schließe die 39. Sitzung.