Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Fall, der der Anlaß zu der Interpellation war, ist mir unbekannt und interessiert mich persönlich weniger. Mich interessiert vielmehr das Grundsätzliche, und ich frage mich, ob der Herr Innenminister bei seinen Ausführungen die Sache eigentlich getroffen hat. Er hat dauernd von „Ausweisung" gesprochen. Ausweisung ist ein Verwaltungsakt, der sich gegen jemanden richtet, der aus irgendwelchen Gründen mißliebig ist. In dem Fall, der hier zur Erörterung steht, und in anderen Fällen handelt es sich aber gar nicht um „Ausweisung", sondern um „Auslieferung", daß heißt um das Verlangen einer auswärtigen Macht, einen Deutschen oder einen Ausländer, der sich im . Bundesgebiet aufhält, einer fremden Justiz zur Aburteilung zu überstellen.
Über diese Auslieferung schreibt Artikel 16 des Grundgesetzes, Absatz 2 vor: „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden". Ich habe im Besatzungsstatut keine Bestimmung gefunden, die etwa besagen könnte, daß sich die Besatzungsmächte das Recht der Auslieferung ihrerseits vorbehalten hätten. Sie haben vielmehr das Grundgesetz genehmigt und verbürgen sich ausdrücklich für die in diesem Grundgesetz den deutschen Staatsbürgern eingeräumten Freihefts- und Persönlichkeitsrechte. Sie sind ängstlich darauf bedacht, daß diese Freiheits- und Persönlichkeitsrechte nicht etwa durch totalitäre Maßnahmen geschädigt werden. Für diesen Fall wollen sie selbst das Regiment wiederum in ihre Hände nehmen.
Ich bin nun der Ansicht, daß das Recht, über einen eigenen Staatsbürger strafrechtlich zu verfügen, eines der selbstverständlichsten Hoheitsrechte ist, das aus Menschen überhaupt erst einen Staat macht, wie denn auch im Strafgesetzbuch selbstverständlich steht, daß ein Deutscher auch, dann zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn er im Ausland strafbare Handlungen begangen hat. Ob man aber von Fall zu Fall einen Deutschen dennoch ans Ausland ausliefert, hängt von etwaigen Auslieferungsverträgen ab.
Nun liegen die Dinge vielleicht so, daß, da wir im auswärtigen Dienst ja noch beschränkt sind, hierüber verhandelt werden müßte, ob unser Grundgesetz lediglich eine papierene Deklamation sein soll oder ob nicht vielmehr mit seiner Genehmigung auch der Artikel 16 in Kraft getreten ist.
Denn wir bleiben eine Farce von einem Staat, ein Embryo, das nicht geboren ist, wenn wir nicht einmal unsere eigenen Landsleute vor fremder Gerichtsbarkeit schützen, wenn wir nicht selbst dazu Stellung nehmen dürfen, ob wir einen Verbrecher aburteilen können oder nicht. Der Fall, der hier zur Erörterung steht, ist gleichgültig. Wichtig ist nach meinem Dafürhalten, daß bei ordnungsgemäßer Anwendung des Grundgesetzes und des Geistes des Besatzungsstatuts jedenfalls keine Dienststelle einer Besatzungsmacht sich für befugt halten dürfte, über eine deutschen Staatsbürger zu verfügen, ohne mindestens deutsche
Stellen um ihre Meinung gefragt zu haben. Es könnte in Frage kommen, daß man den einen oder anderen Deutschen ausliefert, wie man es vor dem Kriege ja auch schon oft getan hat, wenn der Fall geeignet erschien, im Ausland abgeurteilt zu werden. Aber ohne Anhörung deutscher Stellen dürfte die Auslieferung, um die allein es sich handelt, meines Erachtens nicht vorgenommen werden, wenn wir von Besatzungs-
Gnaden her wirklich ein Staat sein wollen.
Aus diesem Grunde — das sage ich offen — hat die Erklärung des Herrn Bundesinnenministers meine Fraktion noch nicht voll befriedigt.