Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Es ist hier von mancher Seite bedauert worden, daß meine Fraktion die verlesene Erklärung abgegeben hat. Mir tut es leid, daß man sich damit begnügt hat, unsere Erklärung zu bedauern und daß sich niemand veranlaßt gefühlt hat, den Tatbestand Hedler zu bedauern.
— Ja, schon wieder eins! Ist es Ihnen nicht angenehm, daß es existiert?
Was uns vor allen Dingen an diesem Urteil von Neumünster im Sinne des „skandalon" ärgert, ist, daß man bei der Beweiswürdigung ehrenhaften Zeugen einen überführten Lügner vorgezogen hat.
Es wurde hier gesagt — ich glaube, es war Herr von Merkatz —: Hut ab vor diesem Gericht! Ich meinerseits sage: Hut ab vor dem bayerischen Landtag, der sich einmütig zusammengefunden hat, um dieses Urteil zu schelten!
Wenn wir in solch fahrlässiger Weise davon ausgehen, daß jeder Spruch eines 'deutschen Gerichts heilig ist, daß er also nicht kritisiert werden darf,
dann verfahren wir wieder einmal, wie einst die Schildbürger von Weimar.
— Ich komme darauf noch zu sprechen, Herr Euler. Ich für meinen Teil möchte hoffen, daß solche Schildbürgerei sich nicht zu oft wiederholen möge.
Einiges von dem, was hier gesagt worden ist,
konnte man vor 10 oder 15 Jahren bei Herrn
Rumpelstilzchen oder bei Herrn Zarnow lesen.
Meine Damen und Herren! Sie haben uns den Vorwurf gemacht, daß wir die deutsche Justiz, daß wir die deutschen Richter angegriffen hätten.
Ich bin lange genug in meinem Leben Richter gewesen, um hier Zeugnis ablegen zu können, wieviel entsagungsvolle Ehrenhaftigkeit in diesem Stande zur Auswirkung gekommen ist,
da und dort, auch in der Nazizeit. Um so mehr
aber ist es unsere Aufgabe, mit dem Finger auf
jene zu weisen, die sich anders verhalten haben
und sich heute offenbar anders verhalten wollen.
Wir haben in unserer Resolution nicht verlangt, daß man die Richter von Neumünster unbesehen bestrafen soll.
Wir haben nur verlangt, daß „die Schuldigen" bestraft werden sollen, und dies natürlich in dem für dienstliche Vergehen gesetzlich vorgesehenen Verfahren, also nach Verfahren, die einen Teil des Rechtsbestandes dieses Rechtsstaates ausmachen.
Es ist richtig: es gibt keinen Rechtsstaat und es gibt keine Demokratie ohne Unabhängigkeit der Justiz und Unabhängigkeit der Richter.
Diese Unabhängigkeit der Justiz und die darauf bezogenen Privilegien der Richter
sind nicht im Interesse der Richter geschaffen, meine Damen und Herrren, sondern im Interesse des Volkes.
Es gilt, das Volk durch unabhängige Gerichte vor Mißbrauch der staatlichen Macht zu bewahren, es gilt aber auch, das Volk vor dem Mißbrauch der richterlichen Unabhängigkeit zu politischen Zwecken zu bewahren!
Wir möchten, daß dies hier geschehe. Denn in
Neumünster ist wirklich das Richterprivileg miß-
braucht worden, wie es manchesmal schon mißbraucht worden ist. Ich denke an den Magdeburger Prozeß — Herr Euler Sie kennen ihn —, in dem dem Reichspräsidenten Ebert der Ehrenschutz verweigert wurde. Man hat damals die Richter mit den gleichen Argumenten zu verteidigen versucht, die man vorhin von dieser Tribüne aus hören konnte. Dagegen wollen wir uns wehren, und wir wollen nicht die Unabhängigkeit der Justiz und damit die Unabhängigkeit der Richter antasten. Wir möchten das deutsche Volk und die deutsche Demokratie davor bewahren, daß diese Institutionen mißbraucht werden, um die Demokratie in diesem Lande anzufressen und anzunagen.
Meine Damen und Herren! Das Urteil ist nicht rechtskräftig, ich weiß das.
— Lassen Sie mich ausreden, Herr von Rechenberg. Es handelt sich nicht darum, der Justiz des Landes Schleswig-Holstein den Vorwurf zu machen, sie habe insgesamt versagt, es handelt sich darum, daß wir imstande sind, aus der Art der Verhandlungsführung des Vorsitzenden und aus der Art der Urteilsbegründung den Schluß zu ziehen, daß die Verantwortlichen dem Geiste des Herrn Hedler weitaus näher stehen als den von Hedler Beschimpften.
Unser Grundgesetz knüpft an solches Verhalten große Konsequenzen. Wir haben gewußt, warum wir im Parlamentarischen Rat um den einschlägigen Artikel so gekämpft haben. Man hört Sie, meine Herren von der Rechten, oft und auch glaubwürdig schöne Grundsätze über Demokratie verkünden. Leider habe ich bisher zu oft feststellen müssen: Sie spitzen gern den Mund: aber Sie pfeifen nicht, wo gepfiffen werden mußte.