In der Drucksache Nr. 426 haben die Abgeordneten Dr. Bucerius und Genossen einige Anfragen an die Bundesregierung gerichtet, die sich auf einen Fall von Ausweisung aus dem Bundesgebiet beziehen. Ich möchte zunächst ergänzend zum Tatbestand folgendes mitteilen.
Der Ausweisungsfall betrifft einen Werner Jespers, ursprünglich belgischer Staatsangehörigkeit. Er hat von 1942 an auf deutscher Seite am krieg teilgenommen und die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Er ließ sich nach dem Krieg unter dem angenommenen Namen Körbert als Waldarbeiter in Mellbeck bei Luneburg nieder und wurde im Sommer 1949 von einem britischen Militärgericht wegen Führung eines falschen Namens zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Gefängnisstrafe kehrte er nach Mellbeck zurück und wurde dort am 14. Dezember 1949 auf britischen Befehl erneut festgenommen und am 16. Dezember durch britische Militärpolizei der belgischen Militärpolizei übergeben. Er wird in Belgien wegen Verletzung seiner Treuepflicht gegenüber dem belgischen Staat strafgerichtlich verfolgt.
Das Bundeskanzleramt und das Bundesjustizministerium hörten von diesem Vorgang am 15. Dezember und haben sofort bei der Hohen Kommission interveniert. Der Fall war aber dort noch nicht bekannt. Die Hohe Kommission hat sich in anerkennenswerter Weise bemüht, den Sachverhalt aufzuklären, und zugesagt, alle weiteren Maßnahmen abzustoppen. Auf ihre Nachfrage er- gab sich jedoch, daß Jespers inzwischen, nämlich, wie gesagt, bereits am 16. Dezember, der belgischen Militärpolizei übergeben wurde.
Nun zur Rechtslage und damit zu den Fragen, die diesbezüglich in der Interpellation aufgeworfen worden sind.
Was zunächst die besatzungsrechtlichen Vorschriften über Ausweisung anlangt, so ist hier das Gesetz Nr. 10 der Alliierten Hohen Kommission vom 27. Oktober 1949 maßgebend. Danach können ausgewiesen werden deutsche Staatsangehörige, die keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, und Ausländer vom Rat der Hohen Kommission oder auch einer Behörde, die hierfür bestimmt wird, wenn sie durch ein Besatzungsgericht wegen strafbarer Handlungen verurteilt wurden oder wenn ihre Anwesenheit im Bundesgebiet geeignet wäre, die öffentliche Ordnung oder die Sicherheit der alliierten Streitkräfte zu gefährden oder deren Ansehen zu schädigen. Außerdem können ausgewiesen werden Ausländer durch jeden Hohen Kommissar aus dem Gebiet seiner Zone, falls ihm dies im Interesse der öffentlichen Ordnung usw. notwendig erscheint.
Es mag zweifelhaft sein, ob diese Bestimmungen des Gesetzes Nr. 10 in allen Teilen mit dem Besatzungsstatut vereinbar sind. Es könnte zum Beispiel gesagt werden, daß das Besatzungsstatut keine überzeugende Stütze für die Bestimmung enthält, daß deutsche Staatsangehörige ohne gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet sowie Ausländer schon deshalb ausgewiesen werden können, weil sie militärgerichtlich bestraft worden sind. Auch ist zweifelhaft, ob die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 10 im Falle Jespers überhaupt beachtet worden sind. Jespers ist nach deutschem Recht deutscher Staatsangehöriger; er hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt zweifellos im Bundesgebiet. Das Gesetz Nr. 10 sieht ausdrücklich vor, daß nur Deutsche ohne gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet ausgewiesen werden können. Selbst wenn nun die britischen Behörden der Meinung sind, daß Jespers belgischer Staatsangehöriger sei, hätte seine Ausweisung im Hinblick auf die militärgerichtliche Verurteilung nur durch einen Beschluß des Rates der Hohen Kommissare oder eines von ihnen bestellten Ausschusses vollzogen werden dürfen. An einem solchen Beschluß fehlt es aber offenbar.
Der britische Hohe Kommissar für seine Person und für seine Zone hätte selbständig handeln können, wenn ihm dies im Interesse der öffentlichen Ordnung oder des Ansehens oder der Sicherheit seiner Streitkräfte geboten erschien. Ein solcher Ausweisungsgrund ist nicht erkennbar; vielmehr besteht der Eindruck, daß der britische Hohe Kommissar mit dem Fall überhaupt nicht befaßt wurde.
Insgesamt hat es also den Anschein, daß es sich bei der Auslieferung des Jespers an die belgische Militärpolizei um einen Obergriff untergeordneter britischen Stellen gehandelt hat.
Was die deutschen Rechtsvorschriften anlangt, so sehen sie eine Ausweisung nur für Ausländer vor, und zwar nach der auch heute noch in Geltung stehenden Ausländer-Polizeiverordnung vom 22. August 1938. Es handelt sich dabei um eine Verordnung, die in ihrem wesentlichen Inhalt auch früher schon in Geltung gewesen ist.
Durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes erfahren die Bestimmungen dieser Verordnung von 1938 wesentliche Korrekturen, insofern nämlich, als politische Verfolgte jetzt unter das Asylrecht des Artikel 16 der Grundordnung fallen, ferner insofern, als in jedem Falle nun der Rechtsweg gegen Ausweisungsbefehle gemäß Artikel 19 des Grundgesetzes erschlossen ist, und schließlich auch insofern, als nach Artikel 104 über eine sogenannte Abschiebungshaft immer der Richter zu entscheiden hat. Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu sagen, daß deutsche Behörden eine Ausweisung niemals vornehmen können, ohne daß die zuständige Besatzungsbehörde — und das ist Combined Travel Board — die Ausreisegenehmigung erteilt.
Deutsche Behörden sind bei der Ausweisung durch die Besatzungsmächte bisher nicht beteiligt. Eine Beteiligung deutscher Behörden erscheint aber jedenfalls dann geboten, wenn es sich um die Ausweisung deutscher Staatsangehöriger handelt. Eine Regelung dieser Materie mit den Besatzungsmächten ist anzustreben, wobei dann auch die Frage zu klären sein wird, ob man demjenigen, der da ausgewiesen werden soll, ein Wahlrecht hinsichtlich des Landes eröffnet, in das die Ausweisung vollzogen wird. Die Bundesregierung wird die notwendigen Schritte bei den Hohen Kommissaren dieserhalb tun, und was den konkreten Fall Jespers anlangt, so wird es Sache des Bundeskanzleramtes sein, ihn weiter zu verfolgen.