Protokoll:
16006

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 6

  • date_rangeDatum: 2. Dezember 2005

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 12:53 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/6 die Statistik zur Informationsgesellschaft (Informationsgesellschaftsstatistikgesetz – InfoGesStatG) (Drucksache 16/40) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 1: Fortsetzung der Aussprache zur Regierungs- erklärung der Bundeskanzlerin . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung Kornelia Möller (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 312 D 313 A 323 B 324 D 326 C 330 A 332 A 334 B 335 D 337 C 339 B 341 A Deutscher B Stenografisch 6. Sitzu Berlin, Freitag, den 2 I n h a l Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . Zur Geschäftsordnung Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olaf Scholz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Maurer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über i Z A K t l N z ( F D I 309 B 309 B 310 C 311 B 311 D 312 A des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Drucksache 16/109) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 A undestag er Bericht ng . Dezember 2005 t : n Verbindung mit usatztagesordnungspunkt 8 ntrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, atja Kipping, Kornelia Möller und der Frak- ion DIE LINKE: Angleichung des Arbeits- osengeldes II in den neuen Ländern an das iveau in den alten Ländern rückwirkend um 1. Januar 2005 Drucksache 16/120) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ranz Müntefering, Bundesminister BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . irk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lse Falk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 B 313 B 315 C 318 B 320 A Walter Kolbow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . 342 D 344 D II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd Siebert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 346 C 348 A 349 D 351 D 353 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 309 (A) ) (B) ) 6. Sitzu Berlin, Freitag, den 2 Beginn: 9.0
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 353 (A) (C) (B) ) Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten * Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2005 Barthle, Norbert CDU/CSU 02.12.2005 Beckmeyer, Uwe SPD 02.12.2005 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2005 Binninger, Clemens CDU/CSU 02.12.2005 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 02.12.2005 Bollen, Clemens SPD 02.12.2005 Bonde, Alexander BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2005 Brüderle, Rainer FDP 02.12.2005 Bülow, Marco SPD 02.12.2005 Burgbacher, Ernst FDP 02.12.2005 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2005 Ernst, Klaus DIE LINKE 02.12.2005 Ernstberger, Petra SPD 02.12.2005 Fischer (Frankfurt), Joseph BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2005 Freitag, Dagmar SPD 02.12.2005 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 02.12.2005 Gabriel, Sigmar SPD 02.12.2005 Ibrügger, Lothar SPD 02.12.2005 Kipping, Katja DIE LINKE 02.12.2005 Kossendey, Thomas CDU/CSU 02.12.2005 Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2005 K L L L N P D D D S D S D D W D W D Z A (D für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates uhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2005 afontaine, Oskar DIE LINKE 02.12.2005 eutheusser- Schnarrenberger, Sabine FDP 02.12.2005 öning, Markus FDP 02.12.2005 eumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 02.12.2005 ries, Christoph SPD 02.12.2005 r. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 02.12.2005 r. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 02.12.2005 r. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2005 chily, Otto SPD 02.12.2005 r. Schmidt, Frank SPD 02.12.2005 chmidt (Nürnberg), Renate SPD 02.12.2005 r. Schwanholz, Martin SPD 02.12.2005 r. Volkmer, Marlies SPD 02.12.2005 ächter, Gerhard CDU/CSU 02.12.2005 r. Wiefelspütz, Dieter SPD 02.12.2005 issmann, Matthias CDU/CSU 02.12.2005 r. Wodarg, Wolfgang SPD 02.12.2005* ypries, Brigitte SPD 02.12.2005 bgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 6. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 Inhalt: Redetext Anlage zum Stenografischen Bericht
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600600000

Die Sitzung ist eröffnet.

Ich begrüße Sie alle herzlich.

Gemäß § 93 a Abs. 6 unserer Geschäftsordnung sind
auf Vorschlag der Fraktionen deutsche Mitglieder des
Europäischen Parlaments zu berufen, die an den Sitzun-
gen des Ausschusses für die Angelegenheiten der
Europäischen Union teilnehmen können. Die Anzahl
und die Zusammensetzung des Kreises dieser Mitwir-
kungsberechtigten müssen nach der Bundestagswahl neu
festgelegt werden. Die Fraktionen haben sich auf insge-
samt 16 mitwirkungsberechtigte Mitglieder des Europäi-
schen Parlaments verständigt. Davon entfallen auf die
CDU/CSU acht Mitglieder, auf die SPD vier, auf
Bündnis 90/Die Grünen zwei sowie auf FDP und Die
Linke jeweils ein Mitglied. Sind Sie mit diesem Vor-
schlag einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.

Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, haben
wir einen Geschäftsordnungsantrag zu behandeln. Die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat fristgerecht bean-
tragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres
Antrags zur Überwachung von Journalisten durch
den Bundesnachrichtendienst zu erweitern.

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Redet
Das Wort zur Geschäftsordnung erhält zunächst der
Kollege Volker Beck für die antragstellende Fraktion.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1600600100

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt
heute, den Tagesordnungspunkt „Überwachung von
Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst“ auf die
Tagesordnung zu setzen. Die Arbeit des BND beschäf-
tigt die Öffentlichkeit gegenwärtig in zwei Fällen: BND-
und BKA-Beamte sollen den Deutsch-Syrer Zammar in
Damaskus in einem für Folter berüchtigten Gefängnis
verhört haben. Und: Über Jahre hinweg hat der Bundes-
nachrichtendienst im Inland Journalisten obse
rade wenn man den Bundesnachrichtendienst
serer Sicherheitsarchitektur bejaht, hat
Parlament die Verantwortung, durch Kontrol

(C (D ng . Dezember 2005 0 Uhr orgen, dass die Geheimdienste geheim, aber auch inneralb von Recht und Gesetz handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


ir werden in beiden Fällen darauf dringen, dass unter
er notwendigen Beachtung des Geheimschutzes Parla-
ent und Öffentlichkeit erfahren, inwieweit sich der
ND bei seiner Arbeit außerhalb von Recht und Gesetz
estellt hat.

Die staunende Öffentlichkeit erfuhr am 8. November
on der Überwachung verschiedener deutscher Journa-
isten in Deutschland durch den deutschen Auslandsge-
eimdienst BND. In doppelter Überschreitung der Kom-
etenzen wurden Journalisten durch den BND zumindest
n den 90er-Jahren widerrechtlich observiert, der Müll
ines Forschungsinstituts systematisch durchwühlt und
usgewertet. Die „Berliner Zeitung“ berichtete am
9. November – ich zitiere –:

Der Bundesnachrichtendienst hat mindestens bis
Ende der Neunzigerjahre Journalisten observiert.
Außerdem hat der Geheimdienst in der gleichen
Zeit mehrere Medienvertreter als operative Verbin-
dungen geführt, die auch bezahlt wurden. Das be-
stätigte ein ehemaliger BND-Mitarbeiter im Ge-

ext
spräch mit dieser Zeitung.

Meine Damen und Herren, wir akzeptieren diesen
zweifachen Angriff auf die Pressefreiheit nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Bürger muss davon ausgehen können, dass, wenn er
mit einem Journalisten spricht, die Informationen nicht
bei den Geheimdiensten landen. Gerade auch um das
Vertrauen in den Journalismus und die Pressefreiheit
wiederherzustellen, muss die Aufklärung dieser BND-
Affäre öffentlich erfolgen


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


r den verschlossenen Türen des Parla-
ontrollgremiums. Die Bürger müssen
rviert. Ge-
als Teil un-

man als
le dafür zu

und nicht hinte
mentarischen K

310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


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Volker Beck (Köln)

erfahren, was vorgefallen ist und wie in Zukunft Ähnli-
ches verhindert wird. Das sind wir der Pressefreiheit und
dem öffentlichen Vertrauen in einen unabhängigen Jour-
nalismus schuldig.

Die Haltung der Bundesregierung zu diesen Vorgän-
gen, bislang nur das Parlamentarische Kontrollgremium
zu unterrichten, schreit nach einer Korrektur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Hier schreit nur einer, das ist Herr Beck!)


Wir wollen wissen: In welchem Umfang und in wel-
chen Zeiträumen hat der Bundesnachrichtendienst Jour-
nalisten observiert? Dauern diese Observierungen etwa
noch an? Wer war von diesen Observierungen betroffen?
Welches sind die Strukturen innerhalb des Bundesnach-
richtendienstes, die diese rechtswidrige Praxis ermög-
licht haben? In welchem Umfang sind Journalisten vom
BND angeworben und bezahlt worden? Auch muss dem
Parlament an der Aufklärung der Frage gelegen sein, ob
die BND-Spitze von den Vorgängen wusste und das
Bundeskanzleramt informiert war.

Zum Schluss ein Wort zum Zeitpunkt dieser Debatte.
Am 8. November gab es die ersten Pressemitteilungen.
Am 21. November stellt das Parlamentarische Kontroll-
gremium einstimmig fest:

… dass der BND mit seiner Vorgehensweise teil-
weise seine ihm in § 2 Abs. 1 BNDG eingeräumten
Befugnisse, Maßnahmen zum Schutz seiner Mitar-
beiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen zu
treffen, überschritten hat. Jedoch sieht das Gre-
mium hier noch weiteren Aufklärungsbedarf.

Heute, dreieinhalb Wochen nach den ersten Pressebe-
richten, wollen wir, dass auch der Deutsche Bundestag
sich endlich mit diesem Skandal befasst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Unser Anliegen ist wirklich keine Zumutung für die
Kolleginnen und Kollegen im Hohen Hause. Die heutige
Debatte ist bis 12.30 Uhr geplant. Ich glaube, wir alle
schaffen es, auch bis 13.30 Uhr hier zu bleiben, um uns
dieses wichtigen Themas anzunehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir beschweren uns als Parlamentarier immer wieder,
dass Talkshows und Medien den Debatten des Deut-
schen Bundestages in der öffentlichen Aufmerksamkeit
den Rang ablaufen. Überlassen wir die Aufklärung die-
ses BND-Skandals nicht der Diskussion außerhalb des
Plenums! Nehmen wir uns hier und in den Ausschüssen
des Deutschen Bundestages dieses Themas an und neh-
men wir die Aufklärung selbst in die Hand! Dazu haben
Sie mit der Zustimmung zu unserem Antrag heute die
Chance.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


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(C (D Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege orbert Röttgen das Wort. Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle en! Kollege Beck, ich muss Ihnen sagen, dass ich Ihren on parteipolitischer Aufgeregtheit in dieser Debatte offen gestanden – für völlig deplatziert und unangeessen halte. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo war denn da Parteipolitik?)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600600200
Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1600600300

enn die Wahrheit ist, dass das gesamte Haus der Auf-
assung ist – das finde ich positiv; das sollten wir nicht
elativieren –, dass die Kontrolle der Tätigkeiten der Ge-
eimdienste ein parlamentarisch und rechtsstaatlich
ichtiges, uns verbindendes Anliegen ist.


(Jörg van Essen [FDP]: Genauso ist es! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur hinter verschlossenen Türen!)


Uns verbindet weiterhin die Einschätzung, dass die
orfälle, die schon Jahre zurückliegen – damit wird ihre
edeutung aber nicht relativiert –, ernsthaft und gravie-

end sind. Es geht um den Vorwurf rechtswidriger Ob-
ervierungen von Journalisten. Dabei handelt es sich,
ie gesagt, um einen ernsthaften Vorfall. Alle Kollegin-
en und Kollegen, die im Parlamentarischen Kontroll-
remium arbeiten, haben deshalb gesagt, dass es einer
ückenlosen Aufklärung bedarf. Das ist die Position al-
er Fraktionen und nicht nur einer Fraktion. Wenn wir
ie notwendigen Erkenntnisse haben, dann müssen da-
aus auch die notwendigen Konsequenzen gezogen wer-
en.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


o hat das Parlamentarische Kontrollgremium in der
ergangenheit gearbeitet. Genau das ist auch hier gefor-
ert.

Aber es bedarf an dieser Stelle nicht parteipolitischer
rofilierungsbemühungen, die auch etwas verkrampft
irken.


(Jörg van Essen [FDP]: Richtig! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie scheinen wenig Argumente zu haben!)


s war vielleicht die Woche der neuen grünen Profil-
osigkeit. Dieser Eindruck wird durch den verkrampften
uftritt heute Morgen eher etwas verstärkt als widerlegt.
ie sollten sich auf anderen Gebieten profilieren. Denn
lle im Parlamentarischen Kontrollgremium haben fest-
estellt: Das ist ein ernsthafter Vorgang. Er bedarf noch
eiterer Sachaufklärung. Diese ist noch nicht abge-

chlossen. Das ist mit Ihren Stimmen so im Parlamenta-
ischen Kontrollgremium beschlossen worden.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ist nicht von uns beschlossen worden, dass das weiter geheim bleiben muss!)


Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 311


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Dr. Norbert Röttgen
Es ist weiterhin von der Möglichkeit Gebrauch gemacht
worden, einen Sachverständigen mit einer Untersuchung
zu beauftragen.

All das geschieht. Die Bundesregierung hat ausführ-
lich berichtet. Man muss den Vorgängen weiter nachge-
hen. Es macht doch Sinn, dass man zunächst den Sach-
verhalt aufklärt und dann über ihn diskutiert, und es
macht keinen Sinn, zunächst zu diskutieren und dann
den Sachverhalt aufzuklären, über den man bereits dis-
kutiert hat.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Wenn wir den rhetorischen Anspruch, den Sie heute
Morgen erhoben haben, nämlich die Forderung nach
parlamentarischer, rechtsstaatlicher Kontrolle der Tätig-
keiten der Geheimdienste, ernst nehmen, dann ist unser
Appell richtig – das wird unsere Abstimmung heute zei-
gen –, dies parlamentarisch ernsthaft, seriös und konse-
quent umzusetzen. Profilierung hat, wie wir finden, ih-
ren Platz an anderer Stelle. Hier sollten wir sorgfältig
und sachorientiert vorgehen.

Darum gibt es keinen Grund, von der in der Ge-
schäftsordnung vorgesehenen Form und den Fristen, die
für die Beratung vorgesehen sind, abzuweichen. Im
Sinne der Sache stimmen wir dagegen, dass über dieses
Thema heute voreilig debattiert wird. Es wird aufgeklärt
werden. Es werden Konsequenzen gezogen werden und
es wird debattiert werden, aber in einer sachorientierten
Reihenfolge und nicht aus parteipolitischer Motivation
heraus.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600600400

Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Jörg van

Essen, FDP-Fraktion.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1600600500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch meine Fraktion wird dem Antrag der Grünen nicht
zustimmen. Das, was der Kollege Röttgen hier vorgetra-
gen hat, ist, wie ich finde, richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Behauptung des Kollegen Beck, dass sich der Bun-
destag mit diesen Vorgängen, die natürlich der parlamen-
tarischen Aufmerksamkeit bedürfen, nicht befasst hat, ist
schlicht falsch. Das entsprechende Kontrollgremium ist
zusammengetreten. Für uns war ganz wichtig: Es hat die
notwendige Aufklärung in Auftrag gegeben.

Deshalb ist es unser Ziel – vor allen Dingen auch das
Ziel unserer Innenpolitiker –, diese Fragen schnellst-
möglich auf den Tisch dieses Hauses zu bringen. Aber
wir sind im Augenblick in der Phase der Sachaufklä-
rung. Wir bedürfen auch heute keiner Debatte, weil das
Vorgänge aus der Vergangenheit sind,


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


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(C (D ei denen nicht zu befürchten ist, dass sie sich fortsetzen, enn wir hier keine Stäbe einziehen, mit denen dafür ge orgt wird, diese Tätigkeiten zu unterbinden. Das heißt, ir klären die Vergangenheit sorgfältig auf. Auf dieser rundlage wollen wir hier im Deutschen Bundestag disutieren. Die Linie, die wir als Opposition in Zukunft vertreten erden, ist, eine Opposition zu betreiben, die die notendigen Entscheidungen auf sachlicher Grundlage hereiführt und die nicht so agiert, wie Sie es tun. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das, was der Kollege Röttgen gesagt hat, ist doch zu-
reffend. Wir haben es in dieser Woche in der „taz“ gele-
en: Sie sind in keiner Regierung mehr und versuchen
etzt, nicht durch vernünftige Sachvorschläge, sondern
urch Aktionismus Aufmerksamkeit in der Öffentlich-
eit zu erregen. Wir machen dabei nicht mit. Wir als Op-
osition werden für eine sachliche Politik hier im Deut-
chen Bundestag sorgen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist konstruktive Opposition!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600600600

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege

laf Scholz.


Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1600600700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann

ich den Ausführungen des Kollegen Röttgen und des
ollegen van Essen anschließen. An dieser Debatte ist
ichts aktuell, außer dem nach langem Zaudern gestern
efassten Beschluss der Grünen, heute eine Geschäfts-
rdnungsdebatte zu führen.

Natürlich ist klar, dass die Redezeit jeweils fünf
inuten umfassen sollte, weil ein paar inhaltliche Sätze

esagt werden sollten. Das Problem an dieser Sache ist
edoch, dass für die öffentliche Diskussion noch nicht
iel mehr als das, was sich in den fünf Minuten Redezeit
es Kollegen Beck unterbringen ließ, bekannt ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


s ist natürlich richtig, dass das Parlamentarische Kon-
rollgremium die Aufklärung betreibt, die wir benötigen,
amit wir hinterher über die Vorgänge diskutieren kön-
en.

Es wäre schön gewesen, Herr Kollege Beck, Sie hät-
en das gemacht, worüber wir alle uns schon fast einig
aren, nämlich in der nächsten Sitzungswoche eine or-
entliche Diskussion zu führen – zwar noch mit viel Un-
issen; denn wir wissen ja noch nicht viel – und diese

ortzusetzen, wenn die Aufklärung abgeschlossen ist.
iese kann dann auch sachlich geführt werden und dann
ann man Konsequenzen ziehen. Es ist dem Ernst der
ache nicht ganz angemessen, hier den Versuch zu

312 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


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Olaf Scholz
betreiben, irgendwie eine kleine Pressemeldung zu-
stande zu bringen.

Mein Vorschlag: Aufregung runter, Debatte, wenn es
so weit ist. Dann fahren wir alle besser mit dem Thema.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600600800

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Maurer,

Fraktion Die Linke.


Ulrich Maurer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1600600900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere

Fraktion hält das Anliegen der Grünen, sowohl was den
Zeitpunkt als auch was den Inhalt angeht, für vollständig
berechtigt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Scholz, Ihre Aussage war jetzt nicht
ganz mit der des Kollegen Röttgen abgestimmt. Kollege
Röttgen hat hier erklärt, das verantwortliche Gremium
müsse jetzt erst einmal in Ruhe die Sachaufklärung be-
treiben und man solle nach Abschluss der Sachaufklä-
rung hier darüber debattieren. Sie haben gesagt: Wir
können durchaus über einen Zwischenstand debattie-
ren, aber bitte nicht heute. Das ist nicht das Gleiche.
Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie, Herr Kollege
Scholz, der Auffassung sind, dass man über einen Zwi-
schenstand debattieren kann, dann können wir darüber
auch heute debattieren,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und zwar, weil es sich hier – das haben alle Redner hier
festgestellt – um sehr ernst zu nehmende Vorwürfe han-
delt. Zudem beobachten wir – das will ich hinzufügen –
seit einiger Zeit eine gewisse Tendenz in Deutschland,
investigativen Journalismus jedenfalls auf der Seite
der Informanten mit Repressionen zu belegen.

Ich denke, dass da sehr grundsätzliche Fragen der
Pressefreiheit berührt sind. Wir sind – das ist in anderen
Staaten auch so – auf einen aufklärenden, investigativen
Journalismus in Deutschland angewiesen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn hier die Tendenz, Journalismus auch mit straf-
rechtlichen oder gar mit nachrichtendienstlichen Mitteln
zu behindern oder einzuschränken, einreißt, dann halte
ich das für eine hohe Gefährdung der demokratischen
Öffentlichkeit in Deutschland.


(Zuruf von der SPD: Das will ja auch keiner!)


Ein weiterer Punkt ist – Kollege Beck hat es schon
kurz angesprochen –: Wenn wir der Bedeutung des Par-
laments und des Parlamentarismus wirklich Rechnung
tragen wollen, dann darf der Zustand, der seit längerem
festzustellen ist, dass nämlich Debatten im öffentlichen

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(C (D aum, aber nicht im Parlament geführt werden, nicht ufrechterhalten werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


ie Politikverdrossenheit, die wir zu beklagen haben,
at nämlich ihre wesentliche Ursache in Funktionsver-
usten bei den demokratischen Gremien, insbesondere
ei den Parlamenten. Wenn man, wie Kollege Scholz zu-
reffend feststellt, auch über Zwischenstände debattieren
ann, dann sollte man – ich rate dringend dazu – wenigs-
ens halbwegs so tagesaktuell im berufenen Gremium,
ämlich im deutschen Parlament, darüber diskutieren,
ie auch in der Öffentlichkeit, in den genannten Talk-

hows, darüber debattiert wird. Wir tun unserer Pflicht
ur genüge, wenn wir öffentliche Debatten im Parlament
rüh und umfassend aufgreifen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600601000

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den

ufsetzungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
en? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stim-
e? – Damit ist der Aufsetzungsantrag abgelehnt.

Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord-
ung um die erste Beratung des von der Bundes-
egierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
ie Statistik zur Informationsgesellschaft, Druck-
ache 16/40, zu erweitern und diese jetzt gleich als Zu-
atzpunkt 9 ohne Aussprache aufzurufen. – Ich stelle
est, damit sind Sie einverstanden.

Dann rufe ich den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 9
uf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die

(Informationsgesellschaftsstatistikgesetz – InfoGesStatG)


– Drucksache 16/40 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Wir kommen gleich zur Überweisung. Hierzu wird
nterfraktionell vorgeschlagen, den Gesetzentwurf zur
ederführenden Beratung an den Ausschuss für Wirt-
chaft und Technologie und zur Mitberatung an den In-
enausschuss, den Finanzausschuss, den Ausschuss für
amilie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Aus-
chuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
chätzung und den Ausschuss für Kultur und Medien zu
berweisen. Fühlt sich einer der nicht bedachten Aus-
chüsse benachteiligt? – Das scheint nicht der Fall zu
ein. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 313


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Präsident Dr. Norbert Lammert
Wir setzen nun die Aussprache zur Regierungserklä-
rung der Bundeskanzlerin fort. – Tagesordnungspunkt 1 –:

Regierungserklärung der Bundeskanzlerin


(Fortsetzung der Aussprache)


Ich darf daran erinnern, dass wir am Mittwoch für die
heutige Aussprache drei Stunden vereinbart haben.

Zusätzlich haben die Fraktionen vereinbart, die heu-
tige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/120 zur Anglei-
chung des Arbeitslosengeldes II zu erweitern und diesen
als Zusatzpunkt 8 aufzurufen. – Auch dazu darf ich Ihr
Einverständnis feststellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beginnen die
heutige Aussprache mit den Themenbereichen Arbeit
und Soziales. Dazu rufe ich, wie gerade vereinbart, Ta-
gesordnungspunkt 8 sowie den soeben aufgesetzten Zu-
satzpunkt 8 auf:

8 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Fünften Gesetzes zur Änderung des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze

– Drucksache 16/109 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch, Katja Kipping, Kornelia
Möller und der Fraktion DIE LINKE.

Angleichung des Arbeitslosengeldes II in den
neuen Ländern an das Niveau in den alten
Ländern rückwirkend zum 1. Januar 2005

– Drucksache 16/120 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Wir beginnen die Aussprache und ich erteile das Wort
zunächst dem Bundesminister für Arbeit und Soziales,
Franz Müntefering.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und
Soziales:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
großen Veränderungen und Herausforderungen dieser
Zeit – die Globalisierung, die Europäisierung, die demo-
graphische Entwicklung, die Staatsverschuldung von
Bund, Ländern und Kommunen – haben in erheblichem
Umfang mit der Arbeit, der Beschäftigung und dem So-
zialen zu tun. Sie treffen die Menschen unmittelbar, teils
positiv, in erheblichem Maße aber auch negativ. Politi-
sche Antworten sind nicht leicht. Aber wir als Koalition

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(C (D erden sie geben. Wir gehen den Problemen nicht aus em Weg. Die Koalition hat klare gemeinsame Ziele beschrieen. Dazu gehört eine starke Wirtschaft, die Wohlstand nd Arbeit sichert und für faire Verteilung steht. Dazu ehört ein sozialer Staat, der soziale Gerechtigkeit sihern hilft, soziale Gerechtigkeit im Sinne von gleichen ildungschancen, im Sinne von Gerechtigkeit der Leenschancen von Frauen und Männern und von Generaionengerechtigkeit, ein Staat, in dem eine menschliche esellschaft lebensfähig ist, eine Gesellschaft, die libe al und solidarisch ist, eine Gesellschaft, in der organiierte Solidarität und individuelle Solidarität möglich ind. Wir wollen diese Politik für die Menschen. Die Menchen sollen frei sein, frei von Arbeitslosigkeit und Exisenzängsten, frei von Diskriminierung und frei von soialer Not. Die Menschen sollen frei sein: frei zum rgreifen von Bildungsund Lebenschancen, frei zu igenverantwortung und zu selbstbestimmtem Leben nd frei zu solidarischem Handeln. Die Koalition hat den Weg zu solchen Zielen im Verrag markiert, einiges im Detail, anderes ist noch zu kläen. Wir werden es klären. Überzeugen müssen wir im andeln; das wissen wir. Wir werden das Wünschbare m Blick behalten und das Machbare tun. Wir werden as Land und seine Menschen bei den Problemen abhoen und den Weg nach vorn zeigen. Wir haben keine ngst zu führen und wir haben die Entschlossenheit und raft dazu, Probleme anzugehen und Lösungen zu finen. Wir haben als Koalition eine große Chance – eine rößere als bisher –, dass Bund und Länder gemeinsam nd gleichzeitig in dieselbe vernünftige Richtung gehen. as strukturelle Patt hat sich relativiert und wir haben ie Hoffnung, dass die Lust im Lande wächst, mit anzuacken, mitzuhelfen und mitzugestalten. Die notorischen uengler, die mutlosen Zweifler und die selbstgefälligen esserwisser haben keine Chance. Sie bleiben allein zu ück. Niemand im Land sollte sich verweigern; denn wer ich jetzt verweigert, der wird übermorgen sitzen geblieen sein. Wir sind uns sicher: Mit unserem Land geht es uch in den nächsten vier Jahren ein gutes Stück voran in ichtung Zukunftsfähigkeit, in eine gute, gemeinsame ukunft. Ich will mich hier und heute auf ein paar markante andlungsfelder und Zusammenhänge im Bereich Areit und Soziales konzentrieren, die mit starker Wirtchaft, mit sozialem Staat und mit menschlicher Gesellchaft zu tun haben. Die jüngsten Arbeitslosenzahlen ind günstiger als erwartet. Aber das ist nicht die Lösung es Problems; das wissen wir alle. 4,531 Millionen geählte Arbeitslose sind zu viel. Hier liegt eine der ganz roßen Herausforderungen für dieses Land und diese 314 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 Bundesminister Franz Müntefering Koalition, eine Herausforderung, die sich an Bund, Länder und Gemeinden richtet. Aber auch hier bin ich mir, wie in vielen anderen politischen Bereichen, sicher: Wir können in diesem Land nur erfolgreich sein, wenn die genannten Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden – gemeinsam daran arbeiten. Wir wissen: Der Staat kann nur bedingt Arbeitsplätze schaffen. Aber wir haben uns als Regierung vorgenommen, 25 Milliarden Euro zugunsten des Handwerks und der kleinen und mittleren Unternehmen zu investieren; das ist ein dicker Brocken. Alle, die fordern, dass wir etwas tun sollen, müssten an dieser Stelle sagen: Ja, das ist ein richtiger Ansatz. – Denn das, was wir hier bewegen, sind Angebote, die in kleinen Losen ausgeschrieben werden können und dem Handwerk und den kleinen Unternehmen unmittelbar vor Ort zugute kommen. Das kann und muss für das nächste Jahr, das Jahr 2006, und die darauf folgenden Jahre ein wichtiger Impuls sein. Hier ist Bewegung möglich. Deshalb müssen und wollen wir diesen Weg gehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen davon aus, dass sich die deutsche Wirtschaft ihrer sozialen Verantwortung bewusst ist. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: Heuschrecken!)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


(A) )


(B) )


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Soziale Verantwortung der Wirtschaft heißt auch: Ar-
beitsplätze sichern und Arbeitsplätze schaffen. Es wird
viel gesprochen über die Attraktivität und die Zukunfts-
fähigkeit des Standortes Deutschland. Wer die Attrakti-
vität des Standortes Deutschland verbessern will, wer
Deutschland aus der Defensive führen will und wer so-
ziale Kosten reduzieren will, der muss mithelfen, dass
die Menschen Beschäftigung haben bzw. Beschäftigung
bekommen und dass die Arbeitslosigkeit abgebaut wird.
Hierbei sind alle gefordert, auch die deutsche Wirtschaft.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen für Recht und Ordnung auf dem Arbeits-
markt sorgen. Wir haben uns in der Koalition vorgenom-
men, noch energischer und deutlicher als bisher gegen
illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit vorzuge-
hen.


(Dirk Niebel [FDP]: Und deswegen wird die Mehrwertsteuer erhöht?)


Dafür sind wir vernünftiger organisiert als in den Jahren
zuvor. Wir haben in den letzten Jahren schon einiges er-
reicht, aber wir wollen diesen Weg weitergehen. Es gibt
hierzu zwar keine verlässlichen Zahlen, aber den Zahlen
zufolge, die genannt werden, sind im vergangenen Jahr
in Deutschland zwischen 200 und 300 Milliarden Euro
im Rahmen von illegaler Beschäftigung und Schwarz-
arbeit transportiert worden. Das zeigt ein tief greifendes
Problem in dieser Gesellschaft.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wer hat denn in den letzten Jahren regiert?)


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(C (D Dieses Problem ist größer geworden und das dürfen ir nicht hinnehmen. So bekommt zum Beispiel ein ehr icher Bauunternehmer, der 50 Beschäftigte hat, die er rdentlich versichert hat und für die er die Arbeitgebernd Arbeitnehmerbeiträge zahlt, einen Auftrag nicht, eil ihm ein ganz Großer mit Subsubunternehmen das eschäft kaputtmacht. Es darf nicht so sein, dass die ehr ichen Arbeitnehmer und die ehrlichen Arbeitgeber die ummen sind und dass sich die anderen ins Fäustchen achen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie hatten doch sieben Jahre Zeit, das zu ändern!)


Missbrauch kommt allerdings auch bei Arbeit-
ehmern vor. Darüber ist in den vergangenen Wochen

m Zusammenhang mit Hartz IV viel gesprochen wor-
en. Zwar glaube ich, dass das, was dazu gesagt worden
st, in der Darstellung übertrieben war. Aber ich glaube
uch, dass wir an dieser Stelle eine klare Sprache spre-
hen müssen. Das Gesetz, das wir zu Hartz IV gemacht
aben – miteinander –, birgt in sich die Möglichkeit der
ehnung und der Überdehnung. Manche nutzen das. Ich

preche hier nicht von Missbrauch, aber wir müssen das
esetz an einigen Stellen korrigieren und wollen dies

uch tun: Wir werden den Unterhaltsrückgriff für bis zu
5-Jährige wieder einführen. Die betreffenden Jugendli-
hen sollen bis zum Alter von 25 Jahren in der Regel
nicht in jedem Fall – zu Hause wohnen bleiben; die El-

ern, die Verwandten ersten Grades, dafür also in An-
pruch genommen werden können. Familie soll fürei-
ander stehen. Wir werden dafür sorgen, dass die teure
inanzierung der Erstwohnung – die frühzeitig zu bezie-
en ein bisschen Mode geworden ist; nicht überall, aber
ei manchen – hier ausgebremst wird. Wir wollen an
ieser Stelle 600 Millionen Euro sparen. Ich weiß, dass
as nicht allen gefällt, aber auch diese 600 Millionen
uro müssen schließlich erwirtschaftet werden, und
war von denen, die jeden Morgen um sechs Uhr zur Ar-
eit fahren, den ganzen Tag über arbeiten und dafür sor-
en, dass Steuern gezahlt werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


ir müssen also fair bleiben und dürfen in diesem Zu-
ammenhang nicht von übertriebenem Missbrauch spre-
hen – den gibt es in ganz wenigen Fällen –, sondern wir
üssen einfach das Gesetz in die entsprechende Form

ringen.

Zum Arbeitsmarkt gehören nach Meinung der Koali-
ion geregelte Arbeitnehmer- und Arbeitgeberrechte.
as hat in Deutschland eine gute Tradition: Arbeitgeber
nd Arbeitnehmer können ihre Interessen bündeln und
rganisieren, um sie durchzusetzen; das ist besser als
ine Individualisierung der Arbeitnehmer- und Arbeitge-
errechte. Deshalb sind wir übereingekommen: Die Ta-
ifautonomie gilt, die Mitbestimmung gilt, das Betriebs-
erfassungsgesetz gilt. Wir möchten, dass Arbeitgeber
nd Arbeitnehmer ihre Interessen auch in Zukunft bün-
eln, sie durchsetzen und erstreiten können, in einem
laren Verfahren miteinander. Die Tarifautonomie ist ein

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 315


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Bundesminister Franz Müntefering
hohes Gut. Sie setzt voraus, dass Arbeitgeber- und Ar-
beitnehmerrechte auch in Zukunft gewahrt bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben uns dafür entschieden, beim Kündigungs-
schutz Änderungen vorzunehmen: Eine auf zwei Jahre
befristete Beschäftigung wird ersetzt durch eine bis zu
zweijährige Probezeit, „Wartezeit“ genannt.


(Dirk Niebel [FDP]: Das verändert das ja dramatisch!)


Das ist in seiner Wirkung umstritten. Welche Wirkung es
hat, wird sich zeigen; jedenfalls wollen wir versuchen,
diesen Weg zu gehen. Die Probezeit von sechs Monaten
bleibt, aber sie kann verlängert werden auf bis zu
24 Monate. Ehe der eine oder andere sein Urteil darüber
abgibt, empfehle ich, abzuwarten, was in der Praxis da-
bei herauskommt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu einer der zentralen Herausforderungen des Ar-
beitsmarktes gehört es, dass wir uns um die Jungen küm-
mern. Deshalb werden wir am Ausbildungspakt festhal-
ten. Der Ausbildungspakt ist ein Erfolg, trotz allem,
was dagegen gesagt wird. Als jemand, der sich lange
Zeit massiv dafür ausgesprochen hat, eine Ausbildungs-
platzabgabe einzuführen, wenn es denn nicht anders
geht, sage ich nun, nach zwei Jahren Erfahrung: Ja, das
hat sich gelohnt. Das war auch eine Erfahrung für mich.
Was der DIHK in ganz besonderer Weise, aber auch an-
dere Teile der Wirtschaft, etwa das Handwerk, dazu bei-
getragen haben, dass wir 32 000 zusätzliche Ausbil-
dungsplätze gewonnen haben, hat meinen Respekt. Ich
hoffe, dass wir das in den nächsten Jahren so fortsetzen
können. 32 000 neue Ausbildungsplätze und 20 000 bis
25 000 neue Praktikantenplätze – das ist ein Wort! Dies
lässt sich mit dieser Koalition so fortsetzen! Ich bitte da-
rum, dass sich die deutsche Wirtschaft dazu bereit er-
klärt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Damit werden nicht alle Probleme der jungen Men-
schen gelöst. Viele junge Menschen sind in Warteschlei-
fen. Die arbeitslosen unter 25-Jährigen – es sind zwi-
schen 450 000 und 500 000 – sind keineswegs allein mit
solchen Anstrengungen wie dem Ausbildungspakt in Ar-
beit zu bringen. Sie müssen deshalb wissen: Das dauert.
Aber was wir in diesem Jahrzehnt erreichen wollen, ist,
dass wirklich kein junger Mann, keine junge Frau von
der Schulbank in die Arbeitslosigkeit fällt und dass die,
die unter 25 sind und arbeitslos werden, nicht länger als
drei Monate arbeitslos bleiben und spätestens dann wie-
der in Beschäftigung, Qualifizierung oder Weiterbildung
kommen.

Wolfgang Clement hat mit diesem wichtigen Vorha-
ben begonnen. Wir wollen das fortsetzen und forcieren.
Dass die jungen Menschen eine wirkliche Chance in die-
ser Gesellschaft haben, ist entscheidend dafür, um zu
vermeiden, dass sich bei ihnen eine Subkultur herausbil-
det, die für diese Gesellschaft nicht gut sein kann. Wir

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(C (D ollen die jungen Menschen fordern, wir wollen sie aber uch fördern. Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des ollegen Seifert? Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und oziales: Bitte schön. Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, dass Sie errei hen wollen, dass alle jungen Menschen in Ausbildung ommen sollen. Leider habe ich von Ihnen schon lange eit nichts mehr darüber gehört, wie Sie Menschen mit ehinderungen, zum Beispiel diejenigen, die in Berufs örderungsbzw. Berufsbildungswerken ausgebildet erden sollen, unterstützen wollen. Denn seit der Ein ührung von Hartz IV ist die Zuweisungsrate bekannteraßen um weit mehr als 25 Prozent zurückgegangen. In diesem Zusammenhang ist außerdem darauf hinzueisen, dass die Menschen in diesen Werken 93 Euro im onat an „Vergütung“ erhalten. Sie kämpfen darum, enigstens 150 Euro pro Monat zu bekommen. Wann orgen Sie endlich für ein bisschen Fairness, damit Menchen, für die es noch schwerer ist als für andere, einen usbildungsplatz zu bekommen, wenigstens nicht durch hre eigenen Maßnahmen zusätzlich behindert werden? ie wollen Sie das regeln? Wann sagen Sie dazu ein kla es Wort und wann werden Sie tätig? Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und oziales: Ihre Frage ist berechtigt und sie ist ganz wichtig; denn as, was ich eben bezogen auf alle gesagt habe, gilt für enschen mit Behinderungen in besonderer Weise. Das st klar. Zu diesem Punkt wollte ich eigentlich abschließend twas sagen, will es aber gerne jetzt aufnehmen: Ich bin ir sicher, dass wir in dieser Gesellschaft und auch bei en Unternehmen besondere Anstrengungen brauchen. as unsere Maßnahmen am Arbeitsmarkt angeht, kann an nicht mit allem zufrieden sein. Ich sage aber doch oller Stolz: Auf das, was wir in den letzten Jahren für ie Menschen mit Behinderungen in diesem Bereich gean haben, können wir in diesem Haus gemeinsam stolz ein. An dieser Stelle will ich Karl Hermann Haack, der icht mehr Mitglied in unserem Hause ist, ein herzliches ankeschön sagen. Er hat als Beauftragter der vorherien Bundesregierung für behinderte Menschen großrtige Arbeit geleistet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600601100
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1600601200

iese Arbeit werden wir fortsetzen. Da können Sie si-
her sein.

316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


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Bundesminister Franz Müntefering
Ich biete Ihnen an, Herr Kollege Seifert, dass wir per-
sönlich darüber sprechen und dass Sie mir Ihre Erfahrun-
gen mitteilen; denn ich nehme das schon ernst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zurück auf die 30 000 Ausbildungsplätze
aus dem Ausbildungspakt. Für mich verbindet sich da-
mit folgende Idee: So, wie man gesagt hat, wir werden
es schaffen, 30 000 Ausbildungsplätze zusätzlich für das
nächste Jahr zu schaffen, könnte doch der eine oder an-
dere in der deutschen Wirtschaft vielleicht auf den Ge-
danken kommen, zu sagen, im nächsten Jahr werden wir
100 000 oder 200 000 Arbeitsplätze schaffen. Das wäre
grandios für unser Land. Solche Ideen sollten ihnen
nicht fremd sein. Wir brauchen zusätzliche Arbeitsplätze
in Deutschland.

Es gehört zu unseren besonderen Aufgaben, dass wir
etwas für die ältere Generation tun, für die Menschen,
die, wenn sie älter werden, allzu leicht aus dem Arbeits-
markt aussortiert werden. Von denjenigen, die 55 Jahre
und älter sind, sind in Deutschland gerade noch
39 Prozent in Beschäftigung. Der Lissabon-Prozess sieht
als europäisches Mittel 50 Prozent vor. Das ist eine gute
Zielmarke. Sie zu erreichen, werden wir uns für die
nächsten Jahre vornehmen.

Von denjenigen, die 60 Jahre und älter sind, sind in
Deutschland gerade noch 22 bis 23 Prozent in Beschäfti-
gung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Woran liegt das wohl?)


– Das liegt daran, dass sich über viele Jahre, seit Mitte
der 80er-Jahre – da waren Sie alle dabei –, in Deutsch-
land die Mentalität verbreitet hat, eine lange Zahldauer
beim Arbeitslosengeld hinzunehmen. Alle haben das da-
mals beklatscht, außer meiner IG Metall. Wir wollen
ganz klar sagen, wie es war: Es wurde Mode, dass die
Leute schon mit 54 Jahren im Berufsleben schräg ange-
guckt wurden, mit 55 Jahren in kurz laufende Sozial-
pläne kamen und anschließend mit langer Zahldauer von
Arbeitslosengeld in die Frühverrentung geschickt wur-
den. Die Illusion war, das seien eigentlich Rentner; in
Wirklichkeit sind das Arbeitslose. Wir dürfen uns an die-
ser Stelle überhaupt nichts vormachen. Wir müssen klar
und ehrlich darüber sprechen. Das muss korrigiert wer-
den.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hätten Sie doch machen können! Sie regieren seit sieben Jahren!)


Am Dienstag dieser Woche haben wir mit Vertretern
62 regionaler Initiativen zusammengesessen. Sie haben
sich Gedanken darüber gemacht, was man insbesondere
für ältere Menschen tun kann und wie man dafür sorgen
kann, dass die 50-, 55- und 60-Jährigen aus dem Arbeits-
prozess nicht mehr aussortiert werden, sondern dass sie
in ihn wieder integriert werden. Da haben wir viele gute
Beispiele gehört, an der Spitze stand – ich will es nen-
nen – Wilhelmshaven. Wir geben 250 Millionen Euro
dafür aus, damit die Vermittlung und Wiedereingliede-

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(C (D ung der Älteren in diesen 62 Regionen – meistens sind s Argen und optierende Gemeinden und Landkreise – erbessert und dort neue Impulse gesetzt werden. Diesen eg wollen wir weitergehen. Wir werden ihn im Früh ahr konkretisieren. Wir werden alle Maßnahmen ergreifen, durch die die rage beantwortet wird, was man tun kann, damit in eutschland begriffen wird, dass wir nicht zu früh aus em Erwerbsleben herausdürfen. Es kann nicht sein, ass wir in Deutschland im Schnitt mit 60 Jahren in ente gehen. Wir müssen das faktische Renteneintrittslter anheben. Es geht nämlich nicht, dass wir sieben, cht Jahre länger leben als die Menschen, die 1950, 1960 ergleichbar alt waren, aber fünf Jahre weniger als daals arbeiten. Um zu wissen, dass das nicht hinhauen ann, braucht man keine Mathematik, dafür reicht die olksschule im Sauerland. Man muss hier irgendetwas un. Wir sind dabei und wollen dies mit den Maßnahmen ngehen, die uns im Frühjahr alle miteinander beschäftien werden. Ich möchte noch ein Wort zu existenzsichernden öhnen sagen. Zu einer menschenwürdigen Arbeit geören existenzsichernde Löhne. Jemand, der jeden Tag um Job fährt, sich anstrengt und seine Arbeit tut, der uss am Ende des Monats auch so viel in der Tasche ha en, dass er sich und seine Familie davon ehrlich ernähen kann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


o das nicht mehr funktioniert, zweifeln die Menschen
aran, dass dies eine menschenwürdige Arbeit ist. Wir
ollen aber, dass die Arbeit menschenwürdig ist.

Nun haben wir hier nicht über Löhne zu entscheiden.


(Dr. Heinrich L. Kolb ir als Politiker müssen aber die Frage beantworten und in entsprechendes Zeichen dafür geben, ob wir dazu tehen, dass Deutschland ein Hochleistungsund ochlohnland sein soll. Das wollen wir. Deutschland ann nur dann ein Hochlohnland bleiben, wenn es auch in Hochleistungsland ist. Das ist auch wahr. Es gibt hier inen engen Zusammenhang mit der Bildung, Qualifiierung, Forschung und Technologie, also mit Dingen, ie hier jetzt nicht intensiver angesprochen werden könen. Aber dann lese ich das: Angestellter im Gartenbau: tundenlohn 2,74 Euro; Friseur: Stundenlohn 3,18 Euro; achmann: Stundenlohn 3,91 Euro. Oder in Anzeigen: 73 Stunden im Monat, kein Weihnachtsund kein Uraubsgeld – 800 Euro brutto im Monat. Wenn so etwas m Lande einreißt, dann macht das den Menschen Angst. ie Menschen haben das Gefühl, dass der Deckel obenrauf und der freie Fall nach unten eingeleitet ist. Das arf nicht sein. Wer Sicherheit in diesem Lande will, der uss an dieser Stelle auch klare Worte sprechen und sa en, was er will. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 317 Bundesminister Franz Müntefering (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


(A) )


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Wir haben uns in der Koalition vorgenommen, dass
wir im Frühjahr darüber sprechen: Welche Rolle kann
der Kombilohn spielen, wenn es darum geht, existenz-
sichernde Löhne zu bekommen? Welche Rolle spielt das
Entsendegesetz? Kann auch für uns ein Mindestlohn,
den es in 17, 18 unserer europäischen Nachbarländer
gibt, infrage kommen? Welche Rolle spielt die Europäi-
sche Dienstleistungsrichtlinie in diesem Bereich? Das
müssen wir diskutieren und zu einem Ergebnis bringen.

Ich sage ausdrücklich: In der Koalition ist die Mei-
nungsbildung dazu noch nicht abgeschlossen. Das wird
keine leichte Diskussion sein. Ich finde aber, wir sollten
uns ab und zu mal wieder dazu bekennen – auch öffent-
lich und vor Medien –, dass wir nicht immer alles schon
fertig gedacht haben und wissen, sondern dass wir
manchmal auch noch Zeit brauchen, um darüber zu re-
den und dann gemeinsam zu guten Entscheidungen zu
kommen. Diese Freiheit nehmen wir uns nun. Wir wer-
den ein paar Monate darüber sprechen und dann im ers-
ten Halbjahr 2006 sagen, was wir als Koalition im Sinne
einer verbesserten Sicherung existenzsichernder Löhne
an dieser Stelle tun wollen. Es lohnt sich, diese Debatte
miteinander zu führen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Im Bereich der Rente haben wir uns in der Koalition
auf die wesentlichen Punkte verständigt. Die Renten-
gesetzgebung, die wir in den vergangenen Jahren ja
überwiegend gemeinsam gestaltet haben, gilt. Der Nach-
haltigkeitsfaktor gilt. Die Wahrheit ist aber: Da die Erhö-
hung der Renten nun einmal auch an beitragspflichtige
Bruttolohn- und Gehaltssummen geknüpft ist, hätten wir
die Renten nach der Formel unseres Gesetzes in diesem
Jahr eigentlich absenken müssen. Das haben wir nicht
getan. Man kann schon heute sehen, dass im nächsten
Jahr eine solche Senkung nach dem Gesetz erneut fällig
wäre. Wir werden es wieder nicht tun; denn wir haben
beschlossen: Wir werden im Verlauf dieser Legislatur-
periode die Renten nicht kürzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dazu gehört übrigens auch, dass wir den Rentnern keine
höheren Krankenversicherungsbeiträge oder Ähnliches
aufdrücken, was sie faktisch als eine Rentenkürzung
empfinden müssten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Versprechen, die Renten nicht zu kürzen, klingt
zunächst einmal bescheiden. Es ist aber schon eine mu-
tige Aussage; denn es bedeutet, dass wir im Verlauf die-
ser Legislaturperiode entweder durch höhere Beiträge
oder durch mehr Geld aus der Steuerkasse dafür sorgen
müssen, dass dieses Wort gehalten werden kann. Wir ha-
ben uns für Folgendes entschieden: Wir werden bei den
Rentenversicherungsbeiträgen nur einen moderaten
Schnitt machen, wollen aber trotzdem das Ziel erreichen,
die Lohnnebenkosten dauerhaft unter die genannten
40 Prozent zu halten.

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(C (D (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das funktioniert doch jetzt schon nicht! Das ist doch lächerlich!)


Im Jahre 2007 haben wir ein Gesetz zu machen, das
s ermöglicht, mit dem Jahr 2012 beginnend, 67 Jahre
ls Renteneintrittsalter anzupeilen. Voraussetzung da-
ür ist: Wir müssen miteinander mehr dafür tun, dass die
lteren Menschen länger in Beschäftigung bleiben oder
ieder eingegliedert werden können, so wie ich es eben

ngesprochen habe. Dass diejenigen, die 45 volle Versi-
herungsjahre vorweisen können, auch im Jahre 2035
it 65 Jahren ohne Abschlag in Rente gehen können sol-

en, ist Teil unserer Vereinbarung. Von dieser zeitlichen
imension, von der ich jetzt spreche, werden viele der

ungen Menschen profitieren können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden zusätzliche Initiativen ergreifen, um die
rivate Altersvorsorge attraktiver zu machen, und noch
ehr Menschen einladen mitzumachen. Die Riester-
ente ist trotz allem, was dagegen gesagt wird, ein Er-

olg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


m ersten Halbjahr 2005 haben sich mehr Menschen für
iese Form der privaten Altersvorsorge entschieden als
m ganzen Jahr 2004. Inzwischen beträgt ihre Zahl
,6 Millionen. Wir möchten aber, dass es mehr werden.
ir haben uns gegen ein Obligatorium entschieden.
ber wir möchten doch dafür werben, dass für das Alter

tärker als bisher privat vorgesorgt wird.

Dazu kann gehören, dass wir Familien mit Kindern an
ieser Stelle in ganz besonderer Weise durch einen Zu-
chuss präferieren. Wenn es so kommt, dass Familien
it Kindern, die privat für das Alter vorsorgen, mit ei-

em privaten Kinderzuschuss honoriert werden, kann
as die Attraktivität einer solchen Vorsparmaßnahme
ochmals erhöhen. Das wollen wir erreichen. Damit ha-
en wir zwei vernünftige Dinge sinnvoll miteinander
erknüpft. Daran werden wir weiter arbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600601300

Entschuldigung!

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und
oziales:

Herr Präsident?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600601400

Ich wollte nur unauffällig daran erinnern, dass dann,

enn Sie jetzt noch weiter reden, dies auf Kosten der
edezeit Ihrer Fraktion geht.

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und
oziales:

Das weiß ich. Ich war gerade dabei, hier die letzte
urve zu drehen.


(Heiterkeit)


318 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Bundesminister Franz Müntefering
Man ist ja Disziplin gewöhnt. Ich habe sie oft genug
selbst angemahnt.

Ich bedanke mich für den Hinweis, darf Ihnen aber
sagen, dass ich von meiner Fraktion schon Bescheid
hatte, ich könne so lange reden, wie ich wolle. Das hat
man Ihnen nur nicht gesagt, Herr Präsident.


(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das müssen Sie aber mit Herrn Brandner klären!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600601500

Da ich das geahnt habe, Herr Kollege Müntefering,

hatte ich gar nicht vor, Sie ausdrücklich auf das Ende Ih-
rer Redezeit hinzuweisen.


(Heiterkeit – Dirk Niebel [FDP]: Das macht nichts! Wir wissen ja, was er sagen wird!)


Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und
Soziales:

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich will damit abschließen, dass ich noch
einmal deutlich mache, wie wichtig uns in dieser Koali-
tion der Teil Arbeit und Soziales ist. Im Art. 20 unseres
Grundgesetzes steht, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist.
Das ist nicht disponibel. Deshalb wird dieser Teil unse-
rer politischen Arbeit in hohem Maße von dieser Idee
bestimmt sein: in einer Demokratie, die fest und stabil
ist, alles dafür zu tun, dass dies Bestand hat, und dafür zu
sorgen, dass dieser Bundesstaat ein sozialer bleibt.

In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600601600

Das Wort erhält nun der Kollege Dirk Niebel für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1600601700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Regie-
rungserklärung mehrfach darauf hingewiesen, dass wir
in Deutschland mehr Freiheit wagen müssen. Ich unter-
stütze sie darin ausdrücklich. Denn in einer arbeitsteili-
gen Gesellschaft wie der unsrigen stellt Massenarbeitslo-
sigkeit die stärkste Form der Freiheitsberaubung dar, die
man einem Menschen zumuten kann. In einer arbeitstei-
ligen Gesellschaft wie der unsrigen kommen viele so-
ziale Kontakte durch das Arbeitsverhältnis zustande. Es
ermöglicht, sich selbst zu definieren und Einkommen zu
erzielen, um sich Wünsche zu erfüllen. Deswegen war
die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit im jüngsten
Wahlkampf das Hauptthema aller Parteien.

Wenn man allerdings eben der Rede des Kollegen
Müntefering zugehört hat, dann könnte man fast meinen,
dass die Performance in der Arbeitsmarktpolitik unter

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(C (D er Regierung seiner Partei so hervorragend gewesen äre, dass es gar keine Neuwahlen hätte geben müssen. eim Blick in die Koalitionsvereinbarung stelle ich aber est, dass der Mut zu mehr Freiheit nicht über die Anündigungen der Bundeskanzlerin in ihrer Regierungsrklärung hinausgeht. Freiheit wagen bedeutet, den Menschen die Möglicheit zu geben, ihren Lebensunterhalt durch eigener ände Arbeit zu erwirtschaften. Die FDP ist deswegen ie Partei der sozialen Verantwortung, weil wir die Rahenbedingungen dafür schaffen wollen, dass die Men chen ihren Lebensunterhalt wieder selbst erwirtschaften önnen. afür hätte es tatsächlich eines Politikwechsels bedurft, ie wir, Frau Kollegin Merkel, es noch im September ieses Jahres gemeinsam vereinbart haben. Wir müssen ber feststellen, dass sich im Bereich der Arbeitsmarktolitik über einen Personalwechsel hinaus in Deutschand nicht viel geändert hat. Wir müssen sogar feststelen, dass manche Maßnahmen eher kontraproduktiv irken, was die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ngeht. Nehmen Sie zum Beispiel die Mehrwertsteuererhöung. Ich will nicht darauf hinaus, dass es ein bemerenswerter Kompromiss ist, dass man sich, wenn der ine die Steuer gar nicht und der andere sie um wei Prozentpunkte erhöhen will, bei drei Prozentpunken trifft. Es geht mir vielmehr um die Frage, was diese teuererhöhung arbeitsmarktpolitisch bewirkt. Gerade m Bereich der personalintensiven Dienstleistungen – in andwerk, im Handel und in der Gastronomie – wird ich angesichts der Kaufzurückhaltung, die im Bewusstein dessen zu erwarten ist, was noch alles auf die Menchen zukommen wird, die mit einer Mehrwertsteuerrhöhung verbundene Belastung nicht in den Preisen iederschlagen können. Das bedeutet in der Konseuenz, dass die Schattenwirtschaft bzw. die Schwarzrbeit stärker boomen wird, als es in der Vergangenheit er Fall war. Im vergangenen Jahr hatte die Schwarzarbeit ein gechätztes Volumen von ungefähr 375 Milliarden Euro. enn Sie das durch die Durchschnittslöhne dividieren, ann kommen Sie auf ungefähr 5 Millionen Vollzeitrbeitsplätze. Das sollte uns zu denken geben. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch andere aßnahmen eher beruhigende Wirkung auf Parteitagen ntfalten sollten, als dass sie tatsächlich Änderungen am rbeitsmarkt herbeiführen. Nehmen Sie zum Beispiel uf der einen Seite die Verlängerung der Probezeit daurch, dass der Kündigungsschutz erst nach zwei Jahren intritt. Auf der anderen Seite haben Sie die Möglichkeit er sachgrundlosen Befristung auf zwei Jahre gestrihen. Das nennt man gewöhnlich ein Nullsummenspiel. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 319 Dirk Niebel (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es ist weniger als das! Es ist eine Verschlechterung!)


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


(Beifall bei der FDP)


(Beifall bei der FDP)


(Beifall bei der FDP)


(A) )


(B) )


Es hat sich letztlich nichts verändert. Die Union tut so,
als hätte sie etwas erreicht. Die SPD macht mit, weil es
ihr nicht wehtut. Das Einzige, was dadurch bewirkt wird,
ist mehr Bürokratie für die Betriebe und Belegschaften
und weniger Sicherheit für die Beschäftigten.


(Beifall bei der FDP)


Notwendig wären betriebliche Bündnisse für
Arbeit. Ich weiß, es tut Ihnen allen weh, aber die Union
hat diesen wesentlichen Punkt bereits im Vorfeld – quasi
als Eintrittsgeld für die Koalitionsverhandlungen – auf-
gegeben. Das war ein großer Fehler. Denn worum geht
es hierbei? Es geht darum, dass die Menschen in den Be-
trieben, die schließlich keine unmündigen Kinder, son-
dern erwachsen sind, die Möglichkeit bekommen sollen,
ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, da-
mit sie unabhängig von dem, was Kollektive in fernen
Verbandszentralen auf Arbeitgeberseite oder Gewerk-
schaftszentralen auf Arbeitnehmerseite für richtig hal-
ten, selbst Entscheidungen treffen können, wenn sie die
Situation in ihrem Betrieb anders beurteilen als die
Funktionäre. Diese Chance auf mehr Mündigkeit und so-
mit mehr Freiheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer, aber auch für Unternehmensleitungen haben Sie in
Ihrer Koalitionsvereinbarung in keiner Weise skizziert.


(Beifall bei der FDP)


Die Trennung zwischen Bundeswirtschaftsministe-
rium und Arbeitsministerium ist falsch. Man kann Wirt-
schaft und Arbeit nicht voneinander trennen. Beides
hängt fundamental zusammen. Aufgrund der Trennung
muss man befürchten, dass die alten Grabenkämpfe aus
der vergangenen Legislaturperiode, die vor 2002 zwi-
schen einem liberal-konservativen Wirtschaftsministe-
rium und einem gewerkschaftsgesteuerten Sozialminis-
terium stattfanden, wieder aufbrechen. Das führt im
Ergebnis dazu, dass in Deutschland Arbeit teurer wird,
Beschäftigung abgebaut und mehr Bürokratie entstehen
wird. In einem Bereich haben Sie tatsächlich mehr Ar-
beitsplätze geschaffen, und zwar in der Bundesregie-
rung, indem Sie den Regierungsapparat auf 70 Mitglie-
der aufgebläht haben.


(Beifall bei der FDP – Anette Kramme [SPD]: Oh, schlapp!)


Wir müssen es schaffen, einen höheren Beschäfti-
gungsanteil bei Älteren und Frauen zu erzielen. Andere
Volkswirtschaften, in denen die Erwerbstätigenquote
bei Älteren und Frauen höher ist als bei uns, haben eine
niedrigere Arbeitslosigkeit. Es gibt Wissenschaftler, die
Ihnen belegen können, dass das eine mit dem anderen
zusammenhängt. Das heißt, dass wir besser werden müs-
sen. Wenn Sie aber – Sie haben heute einen entsprechen-
den Gesetzentwurf vorgelegt – die 58er-Regelung, wo-
nach man ab dem 58. Lebensjahr Leistungen beziehen
kann, ohne wieder arbeiten zu müssen, verlängern, dann
verlängern Sie auch die Möglichkeit der Frühverrentung
und unterstützen damit den Jugendwahn, der in Deutsch-
land vorherrscht. Lassen Sie mich als baden-württem-

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(C (D ergischer Bundestagsabgeordneter ganz klar sagen: enn mein Landesvater, Herr Oettinger von der CDU, ffentlich verkündet, die Leistungsfähigkeit nehme ab em 40. Lebensjahr so abrupt ab, dass man dann die öhne senken müsse, dann ist dies das beste Beispiel für en Jugendwahn. (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE])


Wir müssen tatsächlich die so genannten Senioritäts-
rinzipien überprüfen, die dazu führen, dass ältere Ar-
eitslose keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben.
Immer älter, immer teurer“ heißt es im Moment. Das ist
alsch. Aber das darf in der Konsequenz nicht bedeuten,
b dem 40. Lebensjahr die Löhne zu senken, sondern
uss dazu führen, dass wir die entsprechenden Regelun-

en überprüfen und zu einer produktivitätsorientierten
ezahlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ommen. Es kann dann sein, dass ein Vater in der Phase
er Familiengründung, weil er ranklotzt, einmal mehr
erdient und dass ein älterer Arbeitnehmer, weil er es ein
isschen ruhiger angehen lassen will, einmal weniger
erdient. Aber die Pauschalität der eben von mir zitier-
en Aussage ist schlichtweg verheerend und führt dazu,
ass die Notwendigkeit, älteren Menschen mit ihren
ompetenzen und Qualifikationen eine Chance zum
instieg in den Arbeitsmarkt zu geben, in Deutschland
och weiter an den Rand gedrängt wird. Das ist eine völ-
ig falsche Politik.


(Beifall bei der FDP)


Wir sind als Freie Demokraten der festen Überzeu-
ung, dass wir eine wachstumsorientierte Wirtschafts-
olitik benötigen, um die Massenarbeitslosigkeit wirk-
am zu bekämpfen. Die Koalitionsvereinbarung von
chwarz-Rot bietet aber hierfür keine Blaupause, weil
ie hinter den notwendigen Schritten zurückbleibt, weil
ie kleingeistig, feige


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mutlos!)


richtig – und mutlos ist und weil sie zu kurz greift. Mit
hr wird im Endeffekt das fortgesetzt, was wir unter Rot-
rün sieben Jahre leidvoll erfahren mussten. Ich bin sehr

raurig darüber, dass die Koalition nunmehr aus einer
ozialdemokratischen Partei und einer zunehmend so-
ialdemokratisierten Partei besteht. Diese werden den
rbeitsmarkt nicht deregulieren können. Das ist schade

ür Deutschland. Ich möchte aber ankündigen: Alles,
as wir unterstützen können, werden wir unterstützen.

Zum Schluss das Positive: Ich unterstütze ausdrück-
ich, dass in Zukunft der private Arbeitgeber-„Haus-
alt“ im Vergleich zu anderen Arbeitgebern nicht länger
iskriminiert werden soll; denn bei 4,5 Millionen regis-
rierten Arbeitslosen muss Ihnen allen, die Sie das stän-
ig als Dienstmädchenprivileg diskriminiert haben,
chlichtweg egal sein, wo Arbeitsplätze geschaffen wer-
en, ob im Handwerk, im Haushalt oder in der Industrie.
ir brauchen Arbeitsplätze. Dafür brauchen wir entspre-

hende Rahmenbedingungen. Um Arbeitsplätze zu

320 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Dirk Niebel
schaffen, braucht man Aufträge. Aber dazu haben Sie
noch keinen Vorschlag gemacht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600601800

Ich erteile das Wort der Kollegin Ilse Falk für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1600601900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

dieser Woche wurde bei der Verleihung des Deutschen
Sozialpreises 2005 durch die Bundesarbeitsgemeinschaft
der Freien Wohlfahrtspflege unter anderem der Journa-
list Walter Wüllenweber für seine Reportage „Das wahre
Elend“ ausgezeichnet, die er vor einem Jahr veröffent-
licht hat. Walter Wüllenweber beschreibt in dieser Re-
portage mit schonungsloser Klarheit seine Wahrneh-
mung des Alltags so genannter Unterschichten, also
derjenigen, die am häufigsten Zielgruppe staatlicher So-
zialpolitik sind. Er hinterfragt Armut, Arbeitslosigkeit,
Bildungs- und Ausbildungsarmut sowie Armut als Ursa-
che von Krankheit. Er nimmt die desolate Situation von
Menschen am Rande unserer Gesellschaft in den Fokus
und fragt danach, ob das viele Geld, das wir hier ausge-
ben, wirklich sinnvoll angelegt ist.

Er kommt in seiner Reportage, die ich Ihnen dringend
zur Lektüre empfehle, zu dem Schluss, dass das Schick-
sal der Menschen in der Unterschicht Deutschlands
keine Frage von Mitleid und Barmherzigkeit ist, sondern
– ich zitiere –:

Es ist eine Überlebensfrage für die gesamte Gesell-
schaft. Keine Volkswirtschaft kann es sich auf
Dauer leisten, mehr als zehn Prozent durchzufüt-
tern. Die kulturelle Spaltung lässt sich nicht mit den
Mitteln des Sozialstaates überwinden, nicht mit Al-
mosen, nicht mit Sozialhilfe, nicht mit Geld. Die
Unterschicht braucht echte Investitionen in ihre Zu-
kunft, Investitionen in die Köpfe der Menschen,
nicht in den Bauch. Bildungsausgaben zahlen sich
bereits in wenigen Jahren aus – nachweislich. Aus
guten Schülern werden bald gute Steuerzahler. Ein
besseres Investment können Staaten nicht tätigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Soweit das Zitat aus der Berichterstattung über „Das
wahre Elend“, ein Zitat, das sicherlich herausfordert.

Bei seiner Vorstellung wurde Walter Wüllenweber ge-
fragt, ob er keine Angst habe, Beifall von der falschen
Seite zu bekommen, nämlich von denen, die seinen Bei-
trag sofort als Alibi zum Streichen von Leistungen miss-
brauchen würden. Dabei wurde sicherlich an die Politi-
ker gedacht. Ich kann die Fragerin beruhigen. Nicht weil
ich Leistungen für Menschen, die ganz eindeutig unsere
Hilfe benötigen, einschränken will, habe ich diese ein-
drückliche Erfahrung an den Anfang meiner Rede ge-
stellt, sondern weil ich glaube, dass die unvoreingenom-

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(C (D ene Wahrnehmung der Realität in diesem Beitrag orbild für unser Handeln in der Arbeitsund Sozialolitik sein muss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Brandner [SPD])


Ich denke, wir alle haben in der Vergangenheit viel zu
ft und viel zu schnell nach dem vermeintlich einfache-
en Mittel der Problemlösung gegriffen, nämlich Heilen
urch Geld. Vielleicht hat es also auch sein Gutes, dass
nzwischen unsere Kassen so grauenvoll leer sind, dass
ir gezwungen sind, die Sinnhaftigkeit aller Leistungen

uf den Prüfstand zu stellen, um die knappen Mittel so
ielgenau wie möglich einzusetzen. Da sollte man auch
or ungewöhnlichen Wegen nicht zurückschrecken und
mmer wieder einmal neue Gedanken einfließen lassen.

Ich will nur ein kleines Beispiel nennen. Wir tun viel
ur Eingliederung Langzeitarbeitsloser. Wir haben
inarbeitungsmaßnahmen, wir haben Training on the
ob und Ähnliches. Wir erfahren wegen der Forderung in
nserem Programm, die Zahl der Saisonarbeitskräfte aus
em Ausland um ein Viertel zu reduzieren, großen Wi-
erstand. Wir sollten vielleicht einfach einmal darüber
achdenken, ob diese Trainingsmaßnahmen nicht auch
en Körper betreffen sollten und nicht nur den Kopf und
b wir nicht vielleicht einen Monat lang den Arbeits-
osen Fitnessangebote machen sollten, damit sie dann,
enn sie eingesetzt werden, tatsächlich die von ihnen er-
artete Arbeit leisten können.

Arbeits- und Sozialpolitik hat zwei Facetten, einer-
eits Prävention: Wie können wir verhindern, dass Men-
chen bereits mit ihrer Geburt nahezu chancenlos sind?
elche Hilfen sind zielführend, wenn es darum geht, so

enannte Sozialhilfekarrieren zu durchbrechen? Ande-
erseits geht es um Hilfe in aktuellen Lebenssituationen:

as ist zu tun, wenn Menschen, aus welchen Gründen
uch immer, nicht allein für sich sorgen können, sondern
ie Hilfe der Solidargemeinschaft brauchen? Welche
ysteme können vorbeugend organisiert werden und was
ann der Staat als Akuthilfe anbieten?

Keine Sorge, ich will jetzt nicht den Sozialstaat neu
efinieren, aber doch dafür werben, die Zusammenhänge
ieder deutlicher in den Blick zu nehmen. Der gemein-

am beschlossene Koalitionsvertrag bietet, wie ich finde,
ller ihm vorgeworfenen Unvollkommenheit zum Trotz
ierfür eine gute und handfeste Grundlage. Ausgehend
on den notwendigen Rahmenbedingungen für eine
irtschaft, von der wir mit Recht erwarten, dass sie ih-

er Verantwortung für die Menschen gerecht wird, für
in Bildungssystem, das seine Absolventen mit solider
ildung und lebenstüchtig entlässt, bis hin zu den not-
endigen Maßnahmen in besonderen Lebens- und Not-

ituationen finden wir in den Kapiteln „Mehr Chancen
ür Innovation und Arbeit, Wohlstand und Teilhabe“ so-
ie „Familienfreundliche Gesellschaft“ eine Fülle von
uten Vorhaben.

Die Fachbereiche Wirtschaft, Bildung und Familie,
enioren, Frauen und Jugend, die die wesentlichen Trä-
er von Prävention sind, wurden bereits im Rahmen der
eneralaussprache diskutiert. So lassen Sie mich zu dem

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 321


(A) )



(B) )


Ilse Falk
Kapitel, das sich mit dem Arbeitsmarkt und Impulsen für
mehr Beschäftigung befasst, einige Ausführungen ma-
chen.

Da geht es beispielsweise um „Vorfahrt für junge
Menschen“ – ich zitiere –:

Wir brauchen gut ausgebildete, hoch motivierte,
kreative junge Menschen, damit wir unser Land
auch im 21. Jahrhundert erfolgreich gestalten kön-
nen.

Weiter heißt es:

Unser Ziel ist es, die Ausbildungs- und Beschäfti-
gungschancen von Jugendlichen deutlich zu verbes-
sern und die Jugendarbeitslosigkeit nachhaltig zu
senken.

Dazu sind gemeinsame Anstrengungen aller nötig.

Auch wenn man die Worte „Bündnis“ oder „Pakt“ all-
mählich nicht mehr hören kann, so treffen sie doch den
Kern der Sache: alle mit der entsprechenden Fachkom-
petenz an einen Tisch zu bringen. Es gilt daher, Bünd-
nisse in den Bereichen Bildung, Ausbildung, Förderung
und Aktivierung hilfebedürftiger Menschen zu schlie-
ßen.

Eine weitere Zielgruppe sind für uns die älteren Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Herr Minis-
ter hat dazu eben schon vieles gesagt. Es geht nicht nur
darum, dass ältere Menschen in der Regel gern noch ar-
beiten möchten und dass Arbeit für die allermeisten Le-
bensqualität und Lebenswert bedeutet, sondern es geht
auch um ganz handfeste ökonomische Gesichtspunkte:
Menschen, die nicht mehr arbeiten dürfen, brauchen
Leistungen und erbringen selbst keine.

Ich möchte nur noch auf einen Teil dessen eingehen,
was ich zu diesem Thema eigentlich sagen wollte. Kürz-
lich habe ich aus der Wirtschaft Klagen gehört, dass wir
einen großen Mangel an Ingenieuren haben. Angeblich
werden wir in Zukunft ein Defizit von 30 000 Ingenieu-
ren haben. Angesichts dessen können wir es uns nicht
leisten, auf 22 000 arbeitslose Ingenieure zu verzichten,
bloß weil sie älter als 50 Jahre sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viele Arbeitgeber glauben offensichtlich, dass ein Be-
werber über 50 Jahre weder fähig noch in der Lage ist,
die Anforderungen, die mit einer Ingenieurtätigkeit
heute verbunden sind, zu erfüllen. Das kann man doch
nicht einfach so hinnehmen; vielmehr muss man da ge-
gensteuern.

Viel zu lange wurde darüber hinaus geglaubt, dass wir
Menschen über 50 Jahre aus dem Erwerbsleben ausglie-
dern müssen, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das
war ein bedauerlicher Irrtum.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kosten dieser Maßnahmen lasten noch immer
schwer auf unseren Sozialsystemen.

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(C (D Da mit dem früheren Renteneintritt – dank der läneren Lebenserwartung – auch ein deutlich längerer entenbezug einhergeht, leidet die Rentenversicherung atürlich ganz besonders: Nicht nur die Ausgaben sind norm gestiegen; vielmehr gehen auch die Einnahmen ufgrund der wegbrechenden sozialversicherungspflichigen Beschäftigungsverhältnisse dramatisch zurück. Genau aus diesem Grunde will die große Koalition ier einen Weg beschreiten, der in der Bevölkerung siherlich keine Begeisterungsstürme auslösen wird, aber ennoch unvermeidbar ist. Die gesetzliche Rentenvericherung befindet sich jetzt in einer bisher nicht geannten finanziellen Schieflage. Seit Monaten kann die ahlung der Renten nur noch durch ein Vorziehen der undeszuschüsse sichergestellt werden. In diesem Moat ist zum ersten Mal in der Geschichte der Rentenvericherung sogar ein Darlehen des Bundes zur Sicherung er Liquidität erforderlich. (Dirk Niebel [FDP]: Und was machen Sie jetzt dagegen, damit das nicht mehr passiert?)


Wenn wir wollen, dass die gesetzliche Rentenver-
icherung dennoch eine verlässliche Säule der Alters-
icherung bleibt – das wollen wir –, dann müssen wir
andeln. Dazu haben wir einige Beschlüsse gefasst, die
ier noch im Einzelnen zu diskutieren sind. Die Umset-
ung dieser Beschlüsse wird sicherlich keine vergnü-
ungssteuerpflichtige Veranstaltung. Aber es geht nun
inmal nicht anders, solange sich die Situation auf dem
rbeitsmarkt nicht verbessert hat. Dort für eine Verbes-

erung zu sorgen ist der Dreh- und Angelpunkt unseres
andelns.


(Dirk Niebel [FDP]: Deswegen braucht man die richtigen Rahmenbedingungen! Eine gute Lektüre wäre das Papier vom Wechselgipfel! Da steht das nämlich drin!)


Was wir den Arbeitnehmern zumuten, nämlich die
ahlung höherer Rentenbeiträge und eine längere Le-
ensarbeitszeit, wird ebenfalls nicht nur auf Begeiste-
ung stoßen. Die Rentenversicherungsbeiträge müssen
ir so schnell wie möglich wieder senken. Ich kann al-

erdings nicht verstehen, dass es so viel Widerstand ge-
en eine längere Lebensarbeitszeit gibt. Angesichts der
eistungsfähigkeit der Menschen kann man das gut ver-
ntworten. Ich verweise darauf, dass es im Koalitions-
ertrag die Klausel gibt, dass wir die Anhebung der Al-
ersgrenze nur dann einführen wollen, wenn ältere

enschen auch Arbeit auf dem Arbeitsmarkt finden.
as ist ein Zusammenhang, der ganz notwendigerweise
esehen werden muss.

Obwohl schon einiges zum Thema Kombilohn ge-
agt wurde, will ich aus meiner Sicht noch hinzufügen,
as ich für unbedingt notwendig halte. Der Kombilohn

st für uns ein Instrument, mit dem man sicherlich viel-
ach Anreize für Beschäftigung schaffen kann, also Un-
ernehmen dazu bewegen kann, Menschen zu beschäfti-
en, die nicht die volle Leistung bringen können. Wir
einen damit nicht dauerhafte Subventionen für Unter-

ehmen und wollen auch nicht noch ein zusätzliches Ar-
eitsmarktinstrument, sondern wir wollen bestehende

322 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Ilse Falk
Programme und Maßnahmen zur Lohnergänzung bün-
deln und daraus einen erfolgreichen Förderansatz ma-
chen. Das soll eine Arbeitsgruppe leisten, die allerdings
nicht auf viele Jahre angelegt ist. Im nächsten Jahr soll
auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe
ein Konzept erarbeitet werden.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Da bin ich aber gespannt!)


Wichtig ist mir, in diesem Zusammenhang auch die
Problematik „Menschen mit Behinderungen und Ar-
beitsmarkt“ in den Blick zu nehmen. Hierzu gibt es zwar
mancherlei gute Instrumente, etwa Ausgleichszahlungen
für Arbeitgeber und Eingliederungszuschüsse. Aber in
Erwägung zu ziehen sind beispielsweise realistischere
Minderleistungsausgleichszahlungen, die den tatsäch-
lichen Einschränkungen besser Rechnung tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sagt der Vertrag nichts dazu?)


Ich denke zum Beispiel an Menschen, die häufiger
Pausen brauchen, in denen sie sich hinlegen können, um
danach wieder leistungsfähiger zu sein, die schlicht und
ergreifend längere Zeit für die Toilette benötigen, die
durch Krankheiten wie Multiple Sklerose in manchen
Tätigkeiten zeitweise oder zunehmend verlangsamt oder
eingeschränkt sind.

Eine weitere Aufgabe im Zusammenhang mit der Be-
schäftigung von Menschen mit Behinderungen ist eine
verbesserte Aufklärung von Arbeitgebern über Unter-
stützungsangebote zur Ausgestaltung von behinderten-
gerechten Arbeitsplätzen. Da herrscht trotz aller Bemü-
hungen der Arbeitsagenturen immer noch sehr viel
Unkenntnis.

Ermutigung brauchen wir zur Erprobung eines Ar-
beitsverhältnisses mit Behinderten, ohne dass die Furcht
vor Unkündbarkeit eine Einstellung von vornherein ver-
hindert. Nicht immer sind unsere Arbeitsschutzgesetze
für die Betroffenen wirklich hilfreich.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Na, na, na!)


– Nicht immer.

Wir brauchen erleichterte Rückkehrmöglichkeiten für
Behinderte, die aus einer Werkstatt heraus den Versuch
unternehmen – den sollten wir unterstützen –, am ersten
Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, aber damit vielleicht nicht
zurechtkommen. Für diese ist eine Rückkehr in die
Werkstatt sehr schwer.

Behinderte Menschen brauchen unsere besondere Un-
terstützung. Ihre umfassende Teilhabe an der Gesell-
schaft ist zu verwirklichen. Sie wollen selbstbestimmt
und möglichst selbstständig leben. Dazu müssen wir un-
sere Unterstützung anbieten. Es sollte viel selbstver-
ständlicher sein, dass sie ihren Platz mitten in der Gesell-
schaft finden und nicht nur in noch so schönen
Sondereinrichtungen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS D v m L l s a r a t m B s u d c g t j z l l l c M b d u z a z v s z t l G B P e D v s d s G r (C (D SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])


iese Sondereinrichtungen sind selbstverständlich in
ielen Fällen eine ideale Lösung,


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Na, na, na!)


anchmal aber auch eine sehr bequeme für eine glatte
ifestyle-Gesellschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Kol-
egen Brauksiepe und Straubinger Stellung nehmen. Las-
en Sie mich deshalb schließen mit der Ermutigung,
uch unkonventionelle Wege zu bedenken, wenn es da-
um geht, Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft
uch über ehrenamtliches Engagement in der Kombina-
ion mit Erwerbsarbeit zu eröffnen, wenn es denn nicht

öglich ist, einen vollen Arbeitsplatz zu bekommen.

Ich denke da an ein sehr erfolgreiches Beispiel von
est Practice, das Bürgerjahr. Das ist vom Evangeli-

chen Stadtkirchenverband in Essen eingerichtet worden
nd ist dort vor vielen Jahren auf den Weg gebracht wor-
en. Das Bürgerjahr ist eine neue Form gesellschaftli-
her Arbeit, die mit existenzsichernder und – das ist
anz wichtig – sozialversicherungspflichtiger Vergü-
ung in Höhe von brutto 1 000 Euro pro Monat auch den-
enigen ein Vollzeitengagement ermöglicht, die sich das
um Beispiel zu den Bedingungen des freiwilligen sozia-
en Jahres nicht leisten können.

Das Bürgerjahr bedeutet Engagement in allen mög-
ichen gemeinwohlbedeutsamen Praxisfeldern, in sozia-
en, soziokulturellen und ökologischen Aufgabenberei-
hen wie persönliche Unterstützungsdienste für
enschen mit besonderem Hilfebedarf in allen Lebens-

ereichen – also Assistenzdienste, Integrationshilfs-
ienste, Alltagslebenshilfen –, zur Ergänzung familiären
nd nachbarschaftlichen Engagements und zur Ergän-
ung der Arbeit professioneller Dienste. Es ist Projekt-
rbeit, also Freiwilligenarbeit, das heißt eine Tätigkeit
ur Entwicklung und Mitgestaltung integrativer, kreati-
er sozialer Projekte auf der Grundlage eigener Interes-
en und Fähigkeiten.

Das Bürgerjahr ist Alternative zur Arbeitslosigkeit,
um Brachliegenlassen menschlicher Ressourcen, Al-
ernative zu Minijobs und fremdbestimmter Niedrig-
ohnarbeit, eine weiterführende Ergänzung zu den
emeinwohlarbeitsgelegenheiten nach Hartz IV, zum
eispiel 1-Euro-Jobs, Alternative zu Pflichtdienst,
flichtarbeit und anderen unzureichenden Zivildienst-
rsatzlösungen und Alternative zu gesellschaftlicher
esintegration, zur Entsolidarisierung, zu Gemeinwohl-
erlusten.

Weil das Bürgerjahr nicht nur Freude macht, sondern
ich auch rechnet, sind inzwischen etwa 150 Menschen
ort beschäftigt. Auch die Arbeitsagentur in Essen unter-
tützt diese Möglichkeit, jedenfalls soweit die derzeitige
esetzeslage dies zulässt. Ich denke, es macht Sinn, da-

über miteinander zu sprechen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 323


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Ilse Falk

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe das letzte
Beispiel so ausführlich dargestellt, um deutlich zu ma-
chen, wie wichtig es ist, dass wir uns auch Gedanken
über die machen, die nicht das Glück eines regulären Ar-
beitsplatzes haben, aber dennoch am Arbeitsleben teilha-
ben wollen, die etwas tun wollen. Deshalb will ich de-
finitiv schließen mit der Erfahrung einer Mutter von
zwei kleineren Kindern, die lange arbeitslos war, von
Sozialhilfe lebte und im Rahmen des Bürgerjahrs in der
Behindertenarbeit eine neue Chance bekam. Sie schil-
derte ihren Tagesbeginn so: Wenn ich morgens zur Ar-
beit komme, fällt mir Hans um den Hals und begrüßt
mich voller Freude mit „Hallo!“. – Sie fragt mich: Ha-
ben Sie das schon einmal bei einem Fließband erlebt? –
Sie liebt ihre Arbeit und wünscht sich, dort länger zu
bleiben, ohne dass sie einen höheren Lohn fordern
würde.

Ich stelle mir vor, wie diese Mutter, erfüllt und glück-
lich von ihrer Arbeit, die sie geleistet hat, am Abend
nach Hause kommt und ihren Kindern davon erzählt.
Wie viel besser ist ein solches Vorbild für Kinder als der
oft trostlose Alltag in Arbeitslosenfrust und Ausge-
schlossenheit!

Sehr geehrter Herr Minister Müntefering, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, auf ein gutes und kreatives Mit-
einander!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600602000

Das Wort hat nun die Kollegin Kornelia Möller für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Kornelia Möller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1600602100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fand

es sehr erstaunlich, nach drei Jahren endlich einmal wie-
der eine sozialdemokratische Rede von der SPD zu hö-
ren. Das ist in der letzten Zeit doch eher selten gewesen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber man darf daran keine falschen Hoffnungen knüp-
fen. Da sich die SPD ja nun mit der CDU/CSU eingelas-
sen hat, wird diese schöne Rede das bleiben, was sie ist:
Worte auf dem Papier. Schade!

Mit Mut und Menschlichkeit will die große Koalition,
glaubt man dem Leitmotiv ihrer Koalitionsvereinbarung,
unser Land regieren. Schön wäre das, möchte man mei-
nen. Überprüft man dann aber einige zentrale Vorhaben
wie zum Beispiel die ins Auge gefassten Veränderungen
in der Arbeitsmarktpolitik, kommen erhebliche Zweifel
auf. Schwarz-Rot setzt in seinem Koalitionsvertrag wei-
terhin auf die Senkung der Lohnzusatzkosten. Das
spiegelt das Festhalten an einem fehlgeschlagen neolibe-
ralen Kurs wider. Es hat nichts mit Mut zu tun, wenn
man die gleichen Fehler immer wieder macht.


(Beifall bei der LINKEN)


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(C (D ittlerweile müsste auch Ihnen klar geworden sein, dass inkende Lohnkosten und Steuerentlastungen für Unterehmen nicht automatisch zu mehr Arbeitsplätzen fühen. Gewerkschaftlich errungene Rechte wie der Kündiungsschutz werden auch von dieser neuen Koalition, lso auch wieder von der SPD, geopfert. Die Verlängeung der Probezeit auf zwei Jahre bei Neueinstellungen edeutet die faktische Abschaffung des Kündigungschutzes und wird, wie wissenschaftliche Studien ergaen, wenig Auswirkungen auf die Arbeitsmarktlage haen. Aber sie hat Auswirkung auf die abhängig eschäftigten. Sie werden weiter diszipliniert und das ührt zu einem größeren Klima von Angst und Unsichereit im Land. ngst macht krank. Es gibt Studien, die belegen, dass eit Einführung von Hartz IV die Zahlen der chronisch ranken, derjenigen mit Angststörungen und Depressioen gestiegen sind. Ich bitte, das zu bedenken. Nebenei: Angst regt auch nicht gerade den privaten Konsum n. Die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erden also weiter geschwächt. Höhere Erpressbarkeit er Unternehmensbelegschaften und stärkerer Druck auf ie Löhne werden die Folge sein. Das ist weder mutig och menschlich. Aber die arbeitsmarktpolitischen Voraben der neuen Bundesregierung sind auch kein Beleg ür Menschlichkeit. Die Koalition setzt Hartz IV fort und ekämpft nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitsosen. Weiter also mit Repressionen gegenüber jenen, ie ohne eigenes Verschulden gewissermaßen als Opfer iner unfähigen Politik von Staat und Unternehmen auf er Straße liegen. Ostdeutsche Menschen und Menschen it Migrationshintergrund betrifft das bekanntermaßen berdurchschnittlich. In das Bild der Politik gegen Arbeitslose passen Raserfahndung, flächendeckende telefonische Überwahung und mehr Hausbesuche zur Erfassung angeblicher eistungsbetrüger und Arbeitsunwilliger. Ich finde es ehr schön, Herr Müntefering, dass Sie den Missrauchsvorwurf etwas zurückgenommen haben. Allerings finde ich diese neudeutschen Wörter „Dehnung“ nd „Überdehnung“ als Bezeichnung dafür, dass Menchen ihre Rechte in Anspruch nehmen, auch nicht viel esser. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sind alte deutsche Wörter!)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


Die Medien machen bei dieser Diffamierungskampa-
ne mit und schon ist die Schuldfrage geklärt. Sie ziehen
as Fazit: Betrug, wohin man sieht, und die Ämter müs-
en dann natürlich die überwachen, die Leistungen miss-
rauchen. Dann kann man auch noch lesen, Hartz IV sei
m Prinzip ein gutes Gesetz. Aber mit der Stigmatisie-
ung Unschuldiger soll nur kaschiert werden, dass nicht
eistungsmissbrauch, sondern in erster Linie falsche Be-

echnungen und fatale Fehleinschätzungen der Vorgän-
erregierung zu den von Rot-Grün nicht erwarteten ho-
en Kosten für Hartz IV führten. Ganz deutlich: Es

324 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Kornelia Möller
fehlen Angebote auf dem Arbeitsmarkt. Hartz IV hat
nicht einen einzigen Arbeitsplatz gebracht.

Ganz schön ist auch die neue Überlegung, dass, um
600 Millionen Euro einzusparen, junge Arbeitslose von
dieser Koalition entmündigt werden. Mit überwachungs-
staatlichen Mitteln, neu ins Auge gefassten Regelungen
zum grundsätzlichen Rückgriffsrecht für junge Men-
schen bis 25 und zur Einschränkung des Erstwohnungs-
bezugs von Jugendlichen will die neue Regierung offen-
bar die Linie verfassungsrechtlich fragwürdiger
Einschränkungen der Menschenrechte durch die
Arbeitsmarktpolitik fortsetzen. Eine neue Welle von
Sozialgerichtsverfahren steht an. Ich kann Ihnen schon
jetzt sagen, dass wir, die Linke, auch weiterhin die Be-
troffenen bei der Wahrung ihrer Rechte unterstützen
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Millionenfache Proteste im eigenen Land gegen die
Hartz-Gesetze hatten Rot-Grün, die in dieser Frage be-
reits als Teil einer großen Koalition handelten, kaum be-
eindruckt. Es musste erst der Europäische Gerichtshof in
einem Urteil nachweisen, dass die Hartz-Gesetze gegen
Menschenrechte verstoßen, da älteren Beschäftigten ab
ihrem 52. Lebensjahr unterschiedslos bis zum Ruhestand
befristete sowie unbegrenzt häufig verlängerte Arbeits-
verträge angeboten werden können.


(Dirk Niebel [FDP]: Aber das ist doch besser, als dauerhaft arbeitslos zu bleiben!)


Das verstößt gegen das Recht der EU und es schafft auch
nicht mehr Arbeitsplätze. Das ist Quatsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern die Bundesregierung auf, bei neuen Vorha-
ben zum Arbeitsmarkt Diskriminierung energisch auszu-
schließen.


(Dirk Niebel [FDP]: Das schafft keine Chancen! Es hält die Leute draußen!)


Wir bestehen ferner darauf, dass die bereits gültigen Ge-
setze daraufhin zu überprüfen sind. Ich wünsche mir,
dass vom Luxemburger Urteil auch ein Signal an die So-
zial- und Arbeitsrichter ausgeht,


(Zuruf von der SPD: Vor Weihnachten ist das immer möglich!)


die sich zurzeit so zahlreich mit Rechtsstreitigkeiten zu
den Hartz-Gesetzen befassen – ein Signal, das die
Richter ermutigt, Hartz IV und die übrigen Hartz-Ge-
setze ebenfalls auf den Prüfstand zu stellen, und zwar
auf den des Bundesverfassungsgerichts.


(Beifall bei der LINKEN)


Hartz IV ist kein gutes Gesetz; Hartz IV ist ein
schlechtes Gesetz.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb reichen nach unserer Auffassung kleine Korrek-
turen auch nicht aus, obwohl kurzfristig die gröbsten
Ungerechtigkeiten dringend beseitigt werden müssen.
Dafür werden wir Vorschläge unterbreiten.

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(C (D Mittelund langfristig fordern wir die Einführung eier bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung als ndividualanspruch, um die Verarmung von Erwerbsloen, dauerhaft Erwerbsgeminderten, armen alten Menchen und Menschen mit geringem Einkommen zu beenen. Die Einrichtung der Bedarfsgemeinschaften ist nsozial und muss weg. Eine soziale Gesetzgebung muss das Menschenrecht uf Wohnen und den Schutz vor Obdachlosigkeit sihern. Ein langfristiger Schutz vor Altersarmut ist aufnd nicht abzubauen, wie jetzt mit diesem Gesetz der oalition geschehen. Frau Merkel hat genau wie ihr Vorgänger angekünigt, sich am Abbau der Arbeitslosigkeit messen zu lasen. Wir werden sie daran messen. ines kann ich Ihnen jedoch schon heute sagen: Die oalitionsvereinbarung ist für die Erreichung dieses iels ein schlechter Wegweiser. Danke. Frau Kollegin Möller, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer rsten Rede im Deutschen Bundestag, verbunden mit alen guten Wünschen für die weitere parlamentarische rbeit. Das Wort erhält nun die Kollegin Brigitte Pothmer, ündnis 90/Die Grünen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer gleichzeitig sagt „Vorfahrt für Arbeit“ und „Mehrwertsteuer rauf“, der organisiert den Crash auf dem Arbeitsmarkt! … Wer so etwas vorhat, handelt gegen jede konjunkturelle Vernunft. err Minister Müntefering, kommt Ihnen das irgendwie ekannt vor? Haben Sie das schon einmal gehört? Ich ann Ihnen gerne helfen. Das ist ein Zitat von Ihnen, ämlich vom Wahlblog der SPD Hamburg, 19. August ieses Jahres. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Er hat dazugelernt! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600602200

(Beifall)

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1600602300

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


o Sie Recht haben, haben Sie Recht. Tja, so kann es
ommen, Herr Müntefering. Gestern wollten Sie noch
en klugen Fahrlehrer geben und heute sitzen Sie selbst
ei diesem Crashkurs am Steuer. Und dann geben Sie
uch noch Vollgas.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 325


(A) )



(B) )


Brigitte Pothmer
Herr Müntefering, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen:
Ich habe Sorge, dass Sie mit diesem Crashkurs und mit
dem Vollgas den Karren wirklich an die Wand fahren.


(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Wir passen schon auf!)


Was gestern noch Crashkurs war, ist heute die Koalition
der neuen Möglichkeiten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gestern standen sie vorm Abgrund, heute sind sie schon ein Stück weiter!)


Sie wissen, dass ich neu in diesem Parlament bin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von
der CDU/CSU, ich kann Ihnen sagen: Sie haben mich
bereits jetzt tief beeindruckt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben mich tief beeindruckt mit Ihrer rhetorischen
Geschmeidigkeit, die Sie in diesem Hohen Hause an den
Tag legen.


(Klaus Brandner [SPD]: Schön, dass Sie selber dabei lachen können!)


– Ich bewundere Sie. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich,
dass es nicht mein erstes Ziel ist, Sie darin zu übertref-
fen.

Der Volksmund sagt, eine Krähe hackt der anderen
kein Auge aus. Wenn ich mir die Koalitionsvereinbarung
anschaue, dann muss ich feststellen, dass das tatsächlich
zutrifft. Diese Koalitionsvereinbarung ist vor allen Din-
gen von einem Ziel getragen: von dem Ziel, dass keiner
der beiden Koalitionspartner das Gesicht verliert. Sie
selbst haben im Mittelpunkt der Verhandlungen gestan-
den und nicht etwa die Arbeitslosen. Diese sind es, die
bei diesem Deal verloren haben – und nicht nur ihr Ge-
sicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Brandner [SPD]: Das ist aber schwach!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
noch vor wenigen Monaten waren Sie der Auffassung,
Rot-Grün werde Deutschland in den Untergang führen,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat sich nicht geändert!)


weil nach Ihrer Auffassung die Arbeitsmarktpolitik nur
halbherzig vorangetrieben würde. Was ist eigentlich die
Steigerung von Untergang? Bei diesen Koalitionsver-
handlungen ging es aber noch nicht einmal um halbher-
zige, sondern maximal nur um viertelherzige Reformen
auf dem Arbeitsmarkt. Was glauben Sie eigentlich, wo-
hin Sie Deutschland mit dieser Art von Politik führen?
Die Maßnahmen, die Sie beschlossen haben, sind nicht
stark und zukunftstauglich. Sie sind vor allen Dingen ei-
nes: Sie sind widersprüchlich und konzeptionslos.

So wollen Sie auf der einen Seite die Schwarzarbeit
mit einem umfänglichen Programm bekämpfen. Es ist
richtig: Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. Aber mit
der Erhöhung der Mehrwertsteuer legen Sie auf der an-

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(C (D eren Seite ein gigantisches Programm zur Stimulierung er Schwarzarbeit auf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie wollen einerseits die Lohnnebenkosten senken.
urch die angekündigte Erhöhung der Beitragssätze in
er Rentenversicherung steigen die Beiträge aber ande-
erseits erst einmal wieder.

Sie wollen das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre he-
aufsetzen. Gleichzeitig ziehen Sie sich aber aus der
ualifizierung älterer Arbeitsloser zurück. Auf diese
eise wird die Anhebung zu nichts anderem als zu ei-

em Programm zur Reduzierung der Renten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen einmal etwas: Ich habe überhaupt
ichts gegen eine Politik der kleinen Schritte. Zum Pro-
lem wird eine solche Politik allerdings in dem Moment,
n dem Sie mit Siebenmeilenstiefeln gleichzeitig in die
ndere Richtung marschieren.

Ihrer Politik fehlt nicht nur die Richtung, ihr fehlen
uch die Schwerpunkte. Mit Ihrer linearen Senkung
er Lohnnebenkosten fördern Sie auch diejenigen, die
s gar nicht nötig hätten: die Menschen mit hohen Ein-
ommen. Wenn Sie Ihr Vorhaben auf die Senkung der
ohnnebenkosten bei den geringen Einkünften konzen-

rieren würden, dann würden Sie in diesem Bereich eine
rhebliche Entlastung erreichen und damit deutlich mehr
rbeitsplätze schaffen, als das nach Ihren Vorstellungen
er Fall ist, nämlich 500 000.

Ich kann Ihnen da nur das Progressivmodell der Frak-
ion der Grünen ans Herz legen. Dann brauchen Sie nicht
och einmal lange über Kombilohnmodelle reden. Dann
önnen Sie handeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ie Schwerpunktgruppe, mit der wir uns beschäftigen
üssen, sind doch die Geringqualifizierten. Mit unserem
odell wird die Gruppe gefördert, die die allergrößten

robleme hat, aus der Arbeitslosigkeit herauszukom-
en.
Wir alle können uns sicher noch erinnern: Helmut

ohl hatte versprochen, die Arbeitslosigkeit zu halbie-
en.


(Dirk Niebel [FDP]: Gerhard Schröder auch!)

as war 2000.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben sich in der Zeit vertan! Sie haben falsche Zahlen genannt!)


erhard Schröder wollte sie auf 3,5 Millionen senken.

(Elke Ferner [SPD]: Da wart ihr aber auch mit dabei!)

Ja, da waren auch wir dabei. – Jetzt will sich auch Frau
erkel an der Senkung der Arbeitslosigkeit messen las-

en. Aber anders als ihre Vorgänger nennt sie dabei keine
iele und keine Zahlen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ziele schon, aber keine Zahlen!)


326 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Brigitte Pothmer
Das kann ja ein Ausdruck ihrer Schläue sein. Aber es
könnte auch ein Ausdruck der tiefen Skepsis sein, die sie
gegen ihre eigenen Modelle und gegen ihre eigenen Pro-
gramme hat. Ich habe den Verdacht: Genauso ist es. Ich
kann nur sagen: Zumindest an diesem Punkt wäre sie
sehr dicht bei den Menschen. Denn 79 Prozent der Be-
völkerung sind der Auffassung, dass die von Angela
Merkel angeführte große Koalition die Situation auf dem
Arbeitsmarkt keineswegs verbessern wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Grotthaus [SPD]: Und wie viel Prozent der Stimmen haben Sie gekriegt?)


Herr Minister Müntefering, damit keine Missver-
ständnisse auftreten: Auch ich bin der Auffassung, dass
es Aufgabe einer Regierung ist, die Lohnnebenkosten zu
senken. Aber die Probleme sind etwas komplexer. Ich
finde, es ist auch Aufgabe einer Regierung, dafür zu sor-
gen, dass die Unternehmen in einem demokratischen
Gemeinwesen wieder Verantwortung übernehmen. Die
Gewinne der 29 im DAX geführten Unternehmen sind
im Vergleich zum Vorjahr – man höre und staune – um
61 Prozent von 9 Milliarden auf 14,5 Milliarden Euro
gestiegen. Gleichzeitig werden Arbeitsplätze abgebaut,
abgebaut, abgebaut.

In Hannover kündigt gerade der Conti-Vorstand ein-
seitig die Vereinbarung, die er vor wenigen Monaten mit
der Arbeitnehmerseite getroffen hat. Es geht jetzt wieder
um 300 Arbeitsplätze. Vorher hatten die Beschäftigten
eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich hinge-
nommen. Ich finde, das ist eine Provokation, die die Ta-
rifparteien zunehmend belastet.

Sie persönlich haben ja einmal unter dem Stichwort
„Heuschrecken“ angekündigt, Lösungen für diese Pro-
bleme zu suchen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nur im Wahlkampf!)


Was ist eigentlich daraus geworden?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600602400

Frau Kollegin.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1600602500

Ich komme gleich zum Schluss. – Ich habe die Sorge,

Herr Minister, dass diese Heuschrecken im milden Licht
Ihres neuen Amtes in Ihren Augen möglicherweise zu
kleinen grünen Grashüpfern werden könnten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Gefahr besteht eher bei Ihnen!)


Die Kanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung ver-
sprochen, insbesondere den Schwachen zu helfen. Sie
hat aber davor gewarnt, dass sich Starke als Schwache
verkleiden könnten. Nach Ihrem Beitrag, Herr
Müntefering, habe ich eher die Befürchtung, dass sich
Schwache als Starke verkleiden. Auch das könnte eine
Form des Missbrauchs sein.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


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(C (D Frau Kollegin Pothmer, das war Ihre erste Rede im eutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratuiere. hnen wird aufgefallen sein, dass ich Sie gleich mit eiem Zeitbonus prämiert habe, den ich für weitere Reden usdrücklich nicht in Aussicht stellen kann. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, das ist hier immer so! – Weitere Zurufe)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600602600

(Beifall)


Wenn nun ausgerechnet die Parlamentarischen Ge-
chäftsführer, die auf die Einhaltung der Redezeit den
rößten Wert legen, die unschuldigsten Zwischenrufe
achen, finde ich das ganz besonders bemerkenswert.


(Dirk Niebel [FDP]: Ich bin ja gar kein Geschäftsführer! Ich bin nur Generalsekretär!)


Sie sind aber nicht der einzige Zwischenrufer, Herr
ollege Niebel. So einzigartig sind Sie nun auch wieder
icht.


(Heiterkeit und Beifall)


Das Wort hat nun der Kollege Klaus Brandner für die
PD-Fraktion.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1600602700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

amen und Herren! In dieser Woche diskutieren wir
ber die zentralen Gebiete der künftigen Zusammenar-
eit in der großen Koalition. Der Bereich „Arbeitsmarkt
nd Soziales“ steht heute auf der Tagesordnung. Das ist
erade für uns Sozialdemokraten ein Kernbereich und
ür viele auch ein Gebiet, bei dem man besonders hin-
ieht, weil es dort vermeintlich viel Sprengstoff gibt. Da-
ei werden schon einmal unterschiedliche Positionen
eutlich, die wir in der politischen Arbeit zu berücksich-
igen haben. Uns ist wichtig, dass wir in der Koalitions-
ereinbarung die Positionen zu der Arbeitsmarktpolitik
nd den Arbeitnehmerrechten zusammengeführt haben.
ch kann also feststellen, dass wir von einem ausgespro-
hen positiven Start der großen Koalition sprechen kön-
en.

Die große Koalition ist eine große Chance für unser
and. Bei der Vorbereitung meiner Rede musste ich
icht überlegen, wo der Koalitionspartner in ein Fett-
äpfchen getreten ist, was vorgetragen werden muss,
nd wo wir ein besonderes Lob von der Öffentlichkeit,
um Beispiel von Wissenschaftlern, erfahren haben. Uns
eht es vielmehr darum, die Chancen der großen Koali-
ion zu nutzen. Es darf nichts schlecht gemacht, aber
uch nichts schöngeredet werden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hätten Sie doch in die Präambel schreiben können!)


as muss unser Ziel, muss die Grundlage unserer Zu-
ammenarbeit sein.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 327


(A) )



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Klaus Brandner
Dass sich die Opposition damit schwer tut, haben wir
gerade wieder gespürt. Wenn ich einen Satz zu der Rede
von Frau Pothmer sagen darf:


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte!)


In der letzten Legislaturperiode haben sich die Grünen
hinsichtlich der Aktivitäten zur Senkung der Lohn-
nebenkosten geradezu überboten. Es gab selten Veran-
staltungen, bei denen Sie nicht in der ersten Reihe geses-
sen und gerufen haben: Lohnnebenkosten runter! Das
bringt Arbeitsplätze! – Dabei war Ihnen ganz egal, wel-
che Leistungen dafür eingeschränkt werden müssen. Das
muss man Ihnen einmal ins Stammbuch schreiben, liebe
Kollegin.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kollegin Möller von der Linken hat zu Recht ge-
sagt, dass durch die Hartz-Reformen keine Arbeits-
plätze geschaffen werden. Das behauptet auch keiner.
Dies ist aber der erste gemeinsame Ansatz, wodurch
Langzeitarbeitslose eine individuelle Betreuung erfahren
und systematisch gefördert werden. Es wird Schluss ge-
macht mit dem Abschieben und der Passivität. Das ist
der Vorteil dieser Gesetzgebung und das muss gesagt
werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sehen Sie sich das mal vor Ort an! Sie haben keine Ahnung!)


Vom Kollegen Niebel haben wir nichts anderes erwar-
tet. Er ist vielleicht noch ein bisschen enttäuscht darüber,
dass er nicht Minister geworden ist,


(Dirk Niebel [FDP]: Ich muss doch gar nichts mehr werden! Ich bin doch schon was!)


wie auch andere, die nicht Staatssekretäre geworden
sind. Mit dieser Situation werden wir uns abfinden müs-
sen. Es ist Ihnen erspart geblieben, Regierungsverant-
wortung zu übernehmen. Aber sei es drum. Wir, CDU/
CSU und SPD, werden unsere ganze politische Energie
gemeinsam auf das Machbare konzentrieren anstatt auf
das ständige Voneinanderabgrenzen.

Völlig klar ist: Der politische Wettbewerb in der Ar-
beitsmarktpolitik und erst recht bei den Arbeitnehmer-
rechten bleibt bestehen. Aber wir werden die Kraft ha-
ben, dieses Land konstruktiv zu modernisieren und dabei
die Solidarität mit den Schwachen in der Gesellschaft als
Leitbild zu bewahren. Ich glaube, dass das, was Kollegin
Falk hier vorgetragen hat, ein Beispiel dafür ist, dass wir
auf eine sichere Grundlage bauen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas zu
dem Appell sagen, den die Bundeskanzlerin, Frau
Merkel, gestern an uns alle gerichtet hat, nämlich, dass
wir mehr Freiheit wagen müssen. Das ist, wie ich meine,
ein richtiger Ansatz. Wir müssen uns jedoch auch darü-
ber im Klaren sein, dass wir die Voraussetzungen dafür

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(C (D chaffen und sichern müssen, dass Freiheit und Sichereit einander bedingen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


reiheit kann nur aus der Position der Sicherheit heraus
elebt werden. Um den Menschen die Möglichkeit zu
eben, Freiheit zu wagen, müssen wir ihnen insbeson-
ere soziale Sicherheit geben. Für uns heißt das ganz
onkret, dass sozialer Schutz und Arbeitnehmerrechte
en notwendigen Veränderungen nicht im Wege stehen,
ondern vielmehr die Voraussetzung für die Reformen
ind.

Ich will als Beispiel ein Argument hinsichtlich des
ündigungsschutzes aufgreifen und dies hieran ver-

eutlichen. Der Kündigungsschutz ist nicht allein eine
konomische Größe, und schon gar nicht ein Kostenfak-
or. Kündigungsschutz gibt den Menschen Sicherheit,
erlässlichkeit und Planungsmöglichkeiten. In einer
ire-und-fire-Gesellschaft haben Menschen nicht die
raft, Freiheit zu wagen und sie zu leben. Deshalb sage

ch ganz deutlich: Weniger Kündigungsschutz bedeutet
icht zugleich mehr Arbeitsplätze, wie die FDP uns das
mmer wieder einreden will.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


s gibt keine seriöse Studie, die belegt, dass weniger
ündigungsschutz zu mehr Arbeitsplätzen führt. Wir
rauchen – auch beim Kündigungsschutz – einfache und
ransparente Regeln. Deshalb haben wir uns darauf geei-
igt, den Kündigungsschutz in diese Richtung weiterzu-
ntwickeln. Deshalb machen wir Schluss mit dem An-
uchs und Auswuchs an Befristungen. Ehrlich gesagt:
elche Einstellung in den Betrieben findet denn heute

nbefristet statt?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Immerhin findet sie statt!)


ie Einstellungen in den Betrieben finden doch nur mit
achgrundlosen Befristungen statt. Das sind doch die
raxis und die Wahrheit, der wir uns nicht verschließen
ürfen.

Deshalb sage ich ganz deutlich: Die Möglichkeit, Ar-
eitsverträge bis zu 24 Monate sachgrundlos zu befris-
en, schaffen wir ab. Mit diesem Missbrauch machen wir
chluss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatscht kaum einer aus Ihrer Fraktion!)


m Gegenzug geben wir den Arbeitnehmern und den Ar-
eitgebern die Möglichkeit, anstatt der bisherigen sechs-
onatigen Wartezeit eine Wartezeit von bis zu 24 Mona-

en zu vereinbaren, bis der Kündigungsschutz greift.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang mit einem
issverständnis aufräumen, das landauf, landab durch

ie Medien geht: Es wird nämlich nicht die Probezeit
erlängert, sondern die Wartezeit, bis der Kündigungs-
chutz greift.

328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



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Klaus Brandner

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie erst mal den Arbeitnehmern den Unterschied!)


Wenn dann in dieser Zeit, also während der Wartezeit,
gekündigt wird, gelten erstens die allgemeinen Kündi-
gungsfristen und zweitens ist der Betriebsrat zu beteili-
gen. – Lieber Herr Kollege, wenn Sie im Arbeitsrecht
bewandert sind, wissen Sie, was das bedeutet.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie das mal einem Arbeiter!)


Deshalb sage ich Ihnen: Man muss auf diese zusätzli-
chen Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir schaffen Planungssicherheit für die Beschäftigten
und bewahren den Schutz der Arbeitnehmer vor Willkür
und Beliebigkeit.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber nicht für die Unternehmen!)


Als Voraussetzung für ein Leben in Freiheit ist es not-
wendig, die Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft
zu erhalten. Wir werden nicht an der Tarifautonomie
rütteln, die gleichfalls ein Symbol für Freiheit ist. Wir
werden unser Erfolgsmodell Mitbestimmung weiterent-
wickeln und die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer auf europäischer Ebene sichern
und gestalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für die SPD gilt der Leitsatz: Die Wirtschaft muss
dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Alle Refor-
men müssen sich an diesem Leitsatz messen lassen. Des-
halb ist für mich der Zusammenhang zwischen Innova-
tion und sozialer Gerechtigkeit so entscheidend.

Um es auf den Punkt zu bringen: Innovation und so-
ziale Gerechtigkeit sind zwei Seiten einer Medaille und
sie bedingen einander: ohne Wachstum keine soziale Ba-
lance und ohne soziale Balance kein Wachstum.

Meine Damen und Herren, ich will den Zusammen-
hang zwischen Wachstum und sozialer Balance an zwei
Punkten festmachen, die für mich zu den Aufgaben der
kommenden Jahre zählen:

Erstens. Die Festigung der Mitbestimmung. Wer
heute ständig schreit, man solle die Mitbestimmung
kräftig einschränken, der schadet dem Standort Deutsch-
land insgesamt.


(Beifall bei der SPD)


Wer die Gewerkschaften schwächen und die Rechte der
Arbeitnehmer beschneiden will, hat ein anderes Selbst-
verständnis von Arbeit und ein anderes gesellschaftli-
ches Leitbild als wir. Die SPD steht für Teilhabe, für
gleiche Augenhöhe, für starke Gewerkschaften, für
selbstbewusste und motivierte Arbeitnehmer, für Mitver-
antwortung und für Mitbestimmung. Arbeitgeber und
Arbeitnehmer sind ein Paar, das zusammengehört. Das

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(C (D orgt für die Teilhabe der Menschen und dafür, dass unere hohe Produktivität ein Standortvorteil Deutschlands st. Das ist die Ursache für das friedliche Zusammenwiren innerhalb unseres gesellschaftlichen Modells. Auch eshalb haben der Schutz und der Ausbau der Arbeitneherrechte für uns hohe Priorität. Deshalb, meine Damen und Herren, sind wir froh, ass diese Einschätzung im Koalitionsvertrag auch von er CDU und der CSU geteilt wird. ie Kolleginnen und Kollegen von der Linken bzw. die hemaligen PDS-Abgeordneten, die neu hinzugekomen sind, mögen einmal zur Kenntnis nehmen: Wir ha en vereinbart, dass das Betriebsverfassungsgesetz auch eiterhin uneingeschränkt gilt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


m es deutlich zu sagen: Auf dieser sicheren Grundlage
erden die Betriebsratswahlen im Frühjahr 2006 die Vo-

aussetzungen dafür schaffen, dass sich die Arbeitneh-
er weiterhin in den Betrieben engagieren und gemein-

am nach konstruktiven Zukunftslösungen suchen
önnen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Werden dadurch weitere Arbeitsplätze entstehen oder nicht?)


Zweitens; jetzt muss ich mich besonders an die Kolle-
en von der FDP wenden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aha! – Dirk Niebel [FDP]: Oh, jetzt kriegen wir es!)


ir alle haben noch in guter Erinnerung, wie Sie im
ahlkampf auf die Gewerkschaften eingeprügelt ha-

en, die Ihrer Meinung nach „die Wurzel allen Übels“
ind.


(Dirk Niebel [FDP]: Nein! Wir sprachen von den Funktionären, die sich anmaßen, die Geschicke des Landes zu bestimmen!)


Jetzt sprechen Sie von den Funktionären.


(Dirk Niebel [FDP]: Ja, von solchen wie Ihnen!)


ie Funktionäre vertreten die Gewerkschaften, Herr
iebel.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich dachte, sie vertreten die Interessen ihrer Mitglieder! – Gegenruf von der SPD: Ja, so ist das ja auch!)


leiben Sie doch konsistent; entschuldigen Sie mal.
ehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass die Gewerk-

chaften zu großen Reformen in der Lage waren und es
uch weiterhin sind. Gewerkschaften und Arbeitnehmer
aben in den vergangenen Jahren maßgeblich zur Mo-
ernisierung dieses Landes beigetragen. Wir haben in
eutschland, um das deutlich zu sagen, mit die wenigs-

en Streiktage in der ganzen Welt. In den letzten zehn
ahren gab es pro 100 000 Arbeitnehmer im Schnitt nur

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 329


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Klaus Brandner
an vier Tagen im Jahr Arbeitskämpfe. Zum Vergleich: In
unserem Nachbarland Dänemark waren es 171 und in
Kanada 186 Arbeitstage.


(Dirk Niebel [FDP]: Dort hat man sich das aber nicht so teuer abkaufen lassen!)


Das zeigt: Der soziale Frieden ist in diesem Land nicht
nur ein gesellschaftlicher Frieden, sondern er hat auch
einen entscheidenden ökonomischen Wert. Nehmen Sie
das bitte endlich zur Kenntnis.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Den starren Tarifvertrag, den viele immer wieder un-
terstellen, gibt es in der Praxis gar nicht. Im Jahr 2004
gab es 61 800 gültige Tarifverträge, die zur Verbesse-
rung der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovationsfä-
higkeit mit Öffnungsklauseln ausgestattet waren, die
heute die Regel sind. Drei Viertel aller tarifgebundenen
Betriebe nutzen tarifliche Öffnungsklauseln. Wie kann
man da von Inflexibilität reden und die Abschaffung der
Tarifautonomie fordern, meine Damen und Herren?


(Dirk Niebel [FDP]: Hat das nicht die CDU gefordert?)


Ich bin sehr froh darüber, dass wir im Koalitionsver-
trag ein deutliches Bekenntnis zur Tarifautonomie for-
muliert haben. Wir stehen dafür, dass Verträge nur dann
eine Wirkung haben, wenn sie für beide Seiten verbind-
lich sind. Nur wenn sie verlässlich sind, sind sie eine
Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mitbestimmung, Tarifautonomie und Kündigungs-
schutz sind für mich die besten Beispiele dafür, wie eng
Arbeitnehmerrechte und Wachstum miteinander verbun-
den sind. Man kann wirtschaftlichen und gesellschaftli-
chen Fortschritt nur mit den Menschen gestalten, nicht
aber, indem man ihnen ihre Teilhabemöglichkeiten
nimmt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


So wie die Menschen in ihrem Arbeitsleben einen
Anspruch auf verlässliche Arbeitnehmerrechte haben, so
haben auch die Rentnerinnen und Rentner einen An-
spruch auf eine ausreichende und verlässliche Alters-
sicherung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Oh, jetzt geht es um die Rentnerinnen und Rentner! Dazu hat er ja noch gar nichts gesagt!)


Für uns Sozialdemokraten ist dies unverzichtbar, ja eine
Herzensangelegenheit; ich sage das so deutlich. Die Ab-
sicherung eines jeden einzelnen Bürgers ist uns Ver-
pflichtung und Antrieb. Im Koalitionsvertrag wurde des-
halb festgeschrieben: keine Rentenkürzungen und
Einhaltung der Sicherungs- und Beitragsziele. Hierfür
stehen wir gemeinsam ein und hieran werden wir uns
messen lassen. Die große Koalition eröffnet uns allen die
großartige Möglichkeit, dies im gesellschaftlichen Kon-

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(C (D ens anzugehen. Hier sind wir uns mit der Union im rundsatz einig. Einig sind wir uns auch, dass die grund ätzlichen Weichenstellungen für eine langfristige Sicheung der Renten durch die zurückliegenden Rentenreforen bereits vorgenommen wurden und dass wir in der esetzlichen Rente vor allem ein Einnahmeproblem haen; auch darauf hat Frau Falk hingewiesen. Drei Nullnpassungen in Folge sprechen doch eine eindeutige prache. Sie sind nicht Folge der Demographie – um es eutlich zu sagen –, sondern sie sind allein Folge des egbrechens der Einnahmebasis. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Deswegen braucht man eine leistungsorientierte Wirtschaftspolitik!)


mmer weniger reguläre Arbeitsverhältnisse, immer ge-
ingere Löhne und Gehälter, das hält kein System der

elt aus. Diese Entwicklung werden wir zusammen mit
er Union stoppen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir dürfen bei der ganzen Diskussion aber nicht den
lick für andere, wesentliche Entwicklungen verlieren.
o wächst seit Jahren die Anzahl der Selbstständigen,
ie unzureichend für ihr Alter vorsorgen. Dies kann ver-
chiedene Gründe haben: dass sie in der Gründungs-
hase an anderes denken oder dass sie sich zu Altersvor-
orge kaum in der Lage sehen. Warum auch immer – hier
roht Altersarmut. Dieser Entwicklung dürften wir nicht
atenlos zusehen. In fast allen europäischen Ländern sind
elbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherung
ersichert. Ich meine, wir sollten diesem Vorbild beson-
ere Aufmerksamkeit widmen.


(Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD] – Dirk Niebel [FDP]: Begeisterung bei Ludwig Stiegler!)


In der Diskussion darüber, wie wir zusätzliche Ar-
eitsplätze schaffen können, ist schon häufig das Stich-
ort „Kombilohn“ gefallen und es ist darüber gespro-

hen worden, wie im Niedriglohnsektor zusätzliche
eschäftigung geschaffen werden kann. Völlig klar ist,
ass wir vorurteilsfrei alle Möglichkeiten prüfen sollten
nd müssen, wie wir mehr Menschen in Arbeit bringen.
nreize zur Aufnahme einer Beschäftigung haben wir in
ielfältiger Art gesetzt. Ich glaube, es fehlt uns an Trans-
arenz. Diese Anreize werden auch deshalb nicht in dem
ünschenswerten Maße genutzt, weil sie vor lauter Viel-

alt kaum zu überschauen sind. Deshalb ist richtig, was
ir uns vorgenommen haben: diesen Strauß an differen-

ierten Fördermöglichkeiten zu sortieren, zu bündeln, zu
inem sinnvollen Instrument zusammenzufassen und da-
ei immer zu prüfen, inwieweit sie zusätzliche Beschäf-
igung schaffen und inwieweit sie Menschen aus der
chwarzarbeit herausholen, sie in normale Arbeitsver-
ältnisse integrieren. Völlig klar ist für uns, dass eine
olche Politik fiskalisch beherrschbar sein muss, dass
erdrängungseffekte vermieden und Mitnahmeeffekte
inimiert werden müssen. Unser Ziel wird es dabei sein,
rmut zu vermeiden und Chancen zu eröffnen, dass ehr-

iche Arbeit auch honoriert wird. Was wir uns vorge-
ommen haben, ist ehrgeizig.

330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



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Klaus Brandner
Wenn wir uns die heutigen Arbeitslosenzahlen an-
schauen, können wir feststellen, dass wir zum ersten Mal
seit der Wiedervereinigung in einem November keinen
Anstieg, sondern einen Rückgang der Arbeitslosigkeit
zu verzeichnen haben.


(Dirk Niebel [FDP]: Hättet ihr zehn Tage weniger gezählt, wären es noch weniger!)


Das ist ein ermutigendes Signal; darauf müssen wir auf-
bauen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600602800

Herr Kollege, Sie wollten Ihr Manuskript jetzt nicht

sortieren, oder?


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1600602900

Ich wünsche uns von dieser verbesserten Basis aus

dazu viel Erfolg. Ich denke, gemeinsam schaffen wir
das.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1600603000

Das Wort hat der Kollege Heinrich Kolb, FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1600603100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man den Stand der Debatte zum jetzigen Zeit-
punkt in einem Satz zusammenzufassen versucht, kann
man zumindest insoweit Konsens feststellen: Wir brau-
chen mehr Arbeitsplätze. Das sagen alle und das ist auch
richtig. Denn vollkommen klar ist doch: Mindestens so
lange, wie wir bei der Entwicklung der sozialversiche-
rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse keine Trend-
umkehr erreichen, können die Sozialsysteme in Deutsch-
land nicht als zukunftssicher gelten. Das allein wird
zwar angesichts der demographischen Herausforderung
nicht reichen, aber es ist die notwendige Voraussetzung,
ohne die alles Weitere nicht geht.


(Beifall bei der FDP)


Herr Kollege Brandner, Tatsache ist: Wir haben – da-
für tragen zweifelsfrei Sie Verantwortung – zwischen
dem 30. Juni 2004 und dem 30. Juni 2005 pro Kalender-
tag durchschnittlich 900 Arbeitsplätze verloren und da-
mit eine entsprechende Zahl an Beitragszahlern. Gleich-
zeitig werden die Menschen, die ihren Arbeitsplatz
verlieren, oft selbst zu Leistungsempfängern der sozia-
len Sicherung. Damit wird das Problem bei den Sozial-
versicherungsträgern zusätzlich verschärft.

Deswegen warne ich sehr vor einer Selbstzufrieden-
heit, Herr Kollege Brandner, wie Sie sie gestern und
heute zur Schau gestellt haben. „Unsere Reformen zei-
gen Wirkung“, diese Äußerung von Herrn Brandner war
gestern im Ticker zu lesen. Selbst Herr Wissmann von
der Union sieht schon neue Zuversicht, die sich in den
Statistiken niedergeschlagen habe. Ich glaube, für solche
Äußerungen ist es noch etwas zu früh. Eine Trend-
wende ist noch nicht erkennbar.

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(C (D (Beifall bei der FDP sowie des Abg. HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen
oalition, dürfen nicht glauben – nach dem, was ich von
errn Brandner, Frau Falk und Herrn Minister
üntefering gehört habe, meine ich, das sagen zu

önnen –, dass sich ein mittelständischer Unternehmer
adurch ermuntert fühlen könnte, auch nur einen zusätz-
ichen Arbeitsplatz zu schaffen. Davon sind sie weit ent-
ernt.

Ich will Ihnen an einigen Beispielen erläutern, was
ir in den nächsten Monaten zu erwarten haben. Begin-
en möchte ich mit einer Maßnahme, die im Sommer
etzten Jahres von Rot-Grün und Union, sozusagen im
orlauf der großen Koalition, auf den Weg gebracht
urde und deren Wirkung erst ab 2006 einsetzen wird
gerade deswegen darf sie bei der Beurteilung der Ar-

eitsmarktentwicklung nicht außer Acht gelassen
erden –, nämlich dem Vorziehen der Fälligkeit der
ozialversicherungsbeiträge.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU])


Wir sprechen über einen Betrag von 20 Milliarden
uro, den die Unternehmen künftig 20 Tage früher zah-

en müssen als bisher. Weil so große Zahlen immer
chwer zu greifen sind, Herr Brandner, mache ich es et-
as anschaulicher am Beispiel eines Betriebes mit zehn
eschäftigten.


(Dirk Niebel [FDP]: Ja, erkläre es mal!)


ieser muss bei einem Durchschnittslohn von
000 Euro pro Beschäftigten bei einem Beitragssatz von

2 Prozent ab Januar 12 600 Euro dauerhaft vorzeitig
bführen. Diesen Betrag muss er vorfinanzieren. Einige
on Ihnen sagen – das haben wir alles gehört –:
2 600 Euro sollten doch wohl kein Problem sein. Ich
age Ihnen: Das ist für viele Mittelständler ein Problem.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Seit 2001 gibt es pro Jahr etwa 40 000 Unterneh-
enspleiten; diese Zahl ist ziemlich konstant. Die Men-

chen gehen doch nicht aus Jux und Tollerei zum Amts-
ericht, um Konkurs anzumelden. Viele Unternehmer
erden in Zeiten von Basel II ein großes Problem be-
ommen, wenn sie im Januar zu ihrer Bank gehen müs-
en und die Kreditlinie erweitern wollen. Das wird häu-
ig nicht funktionieren.

Das haben Sie zumindest teilweise erkannt; denn Sie
aben eine Übergangsregelung in das Gesetz aufgenom-
en, nach der man den Beitrag für Januar auf die Mo-

ate Februar bis Juli verteilen darf. – Sie nicken so
elbstgefällig, Herr Grotthaus.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Ich nicke nicht selbstgefällig, sondern zustimmend!)


pätestens ab Juli müssen die Unternehmen die volle
elastung tragen. Dann muss das finanziert werden. Un-

ernehmer sind doch nicht so dumm, dass sie im Januar

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 331


(A) )



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Dr. Heinrich L. Kolb
Menschen einstellen, wenn sie spätestens im Juli die
volle Belastung zu tragen haben.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU])


Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich einige in der
Politik gerne in die Taschen lügen.

Es gibt noch weitere Beispiele, die ich anführen will.

Von der Bürokratie, die das Ganze mit sich bringt,
habe ich noch nicht gesprochen. Ich nenne nur die Stich-
worte „doppelte Beitragsabführung bei den Unterneh-
men“ und „entsprechende Arbeit bei den Krankenkas-
sen“; das ist wiederum ein anderes Thema. Die
Vermutung liegt nahe, dass die Bürokratie, die hier ent-
steht, deutlich größer ist als das, was Sie mit Ihrem
Small-Company-Act den Unternehmen an Entlastung
bringen können.


(Beifall bei der FDP)


Der Small-Company-Act ist ein schönes Beispiel da-
für, dass Sie nicht die Sprache der Unternehmen in die-
sem Lande sprechen, zumindest nicht die Sprache der
mittelständischen Unternehmer. Darauf möchte ich hin-
weisen.

Zu dieser Vorbelastung kommt Anfang 2007 die
Erhöhung der Mehrwertsteuer hinzu. Herr
Müntefering, Sie als zuständiger Minister müssten ei-
gentlich auf die Barrikaden gehen. Denn je nachdem, ob
man die Mehrwertsteuer über die Preise weitergeben
kann oder nicht – vieles spricht dafür, dass man das in
der derzeitigen konjunkturellen Situation eher nicht kann
und dass das von den Unternehmen aufgefangen werden
muss –, werden Arbeitsplätze in erheblicher Größenord-
nung verlustig gehen. Es werden jedenfalls keine neuen
entstehen. Das gilt es hier festzuhalten.


(Beifall bei der FDP)


Jetzt kommen Sie mir nicht damit, Sie hätten die Bei-
träge um 2 Prozentpunkte gesenkt. Bildlich kann man
das so beschreiben: Sie nehmen den Leuten die Sau vom
Hof und geben ihnen zur Beruhigung ein Kotelett zu-
rück. Eine echte Verbesserung der Situation der Unter-
nehmen erreichen Sie nicht.


(Beifall bei der FDP)


All das zeigt – das geht an Herrn Brandner und auch
an die Adresse der Kollegen von der Union, die das frü-
her besser gewusst haben –: Sie haben nicht verstanden,
wie neue Arbeitsplätze entstehen. Die entstehen nicht
durch die Appelle des Kollegen Stiegler und des Minis-
ters Müntefering, die Wirtschaftsführer mögen jetzt doch
bitte dafür sorgen, dass neue Arbeitsplätze entstehen. Sie
entstehen dann, wenn sich ein mittelständischer Unter-
nehmer Gedanken macht und am Ende zu dem Ergebnis
kommt, er könne einen solchen Arbeitsplatz – durchaus
auch mit Gewinn – auf Dauer errichten. Ich muss sagen:
Dass Sie von der CDU und der CSU das vergessen ha-
ben, finde ich schon enttäuschend.


(Beifall bei der FDP)


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(C (D Es bringt nichts, wenn sich Herr Brandner und andere ier mächtig quälen und sagen, was sie alles getan haen. Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem ngler. (Klaus Brandner [SPD]: Was war denn beim Kündigungsschutz?)


Herr Brandner, was Sie beim Kündigungsschutz getan
aben, ist vollkommen nachrangig. Die Unternehmer
üssen am Schluss zu dem Ergebnis kommen, dass es

ich lohnt, Arbeitsplätze zu schaffen.


(Beifall bei der FDP)


Das wird auch bei den geplanten Änderungen des
ündigungsschutzgesetzes deutlich. Herr Kollege
ofalla, den ich heute hier nicht sehe, hat davon gespro-
hen, dass das eine der größten Reformen des Kündi-
ungsschutzes überhaupt sei.


(Vorsitz: Vizepräsident Wolfgang Thierse)


as ist wirklich nicht zu Ende gedacht. In der Praxis
eist das eine ganze Reihe von Problemen auf, die Sie,
err Brandner, aus der Gegensicht teilweise hier auch

ingeführt haben.

Es ist nämlich so: Eine sachgrundlose Befristung ist
iel flexibler; denn bei einer Befristung endet das Ar-
eitsverhältnis automatisch. Eine Kündigung muss dage-
en formal richtig geschrieben und zugestellt werden
nd der Betriebsrat muss angehört werden.


(Klaus Brandner [SPD]: Wir wollen doch Verbindlichkeit!)


ie sehen schon an diesen wenigen Beispielen, dass das
lles in Zukunft wesentlich bürokratischer wird.

Zum Schluss will ich noch ein paar Sätze zur Rente
agen. Früher hatten die Bank von England und die deut-
che Rentenversicherung das gleiche Ansehen. Beide
alten als Hort der Stabilität und der Seriosität. Herr
randner, für die Bank von England gilt das heute noch

mmer, während es für die deutsche Rentenversicherung
ach sieben Jahren Rot-Grün leider nicht mehr gilt.


(Beifall bei der FDP)


Die Rentenversicherung lebt von der Hand in den
und. Hatten wir 2001 noch eine Schwankungsreserve

on 13,5 Milliarden Euro, so beträgt sie heute unter dem
abel Nachhaltigkeitsrücklage gerade einmal noch et-
as weniger als 1 Milliarde Euro. Konnte man das frü-
er noch in Bruchteilen von Monaten ausrechnen, so
uss man das heute in Stunden tun, damit man das über-

aupt noch einigermaßen anschaulich darstellen kann.

In der Koalitionsvereinbarung arbeiten Sie weiter
ach dem Motto: Wir haben keine Lösung, also gibt es
uch kein Problem. Das ist Ihre politische Strategie, mit
er Sie hier an die Arbeit gehen.


(Beifall bei der FDP)


Ich finde es schade – leider kann ich das hier nicht
änger ausführen –, dass sich die Kollegen von der
nion hier auf Verschiebebahnhöfe einlassen, zum Bei-

piel wenn es darum geht, die Beiträge für ALG-II-
mpfänger zu reduzieren, was die Rentenversicherung

332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Dr. Heinrich L. Kolb
immerhin 2 Milliarden Euro kostet. Damit stehen hier
auch wieder 0,2 Beitragspunkte zu Kalkül.

Zum Schluss darf ich noch einen Satz von Frau
Engelen-Kefer zitieren:


(Dirk Niebel [FDP]: Oh ja!)


Die in der Koalitionsvereinbarung getroffenen Fest-
legungen geben zu der Befürchtung Anlass, dass
die engen und komplexen Verflechtungen zwischen
Rentenhöhe, Beitragssatz und Bundeszuschuss in
den Koalitionsverhandlungen möglicherweise nicht
hinreichend berücksichtigt worden sind.

Ich gebe Frau Engelen-Kefer selten Recht, aber an dieser
Stelle muss und will ich es gerne tun.


(Klaus Brandner [SPD]: Da mussten Sie aber weit greifen!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Müssen wir uns jetzt Sorgen machen?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600603200

Ich erteile das Wort Kollegen Ralf Brauksiepe, CDU/

CSU-Fraktion.


Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1600603300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An

keinem anderen Feld wird der Erfolg oder Misserfolg ei-
ner Regierung so festgemacht, wie an dem Feld Arbeit
und Soziales. Das galt für die abgewählte Bundesregie-
rung


(Dirk Niebel [FDP]: Für die abzuwählende Bundesregierung gilt das auch!)


und das wird auch für die neue Bundesregierung gelten.

Ich stimme dem Kollegen Brandner ausdrücklich zu:
Es kann nicht darum gehen, etwas schlecht zu machen
oder etwas schönzureden. Deswegen meine ich, dass
man sich zu Beginn dieser Legislaturperiode die Zahlen
und Fakten, mit denen wir es zu Beginn der Arbeit der
neuen Bundesregierung zu tun haben, einfach noch ein-
mal ganz nüchtern vergegenwärtigen muss.

Wir haben heute eine Million sozialversicherungs-
pflichtig Beschäftigte weniger und über 500 000 Ar-
beitslose mehr als noch vor drei Jahren. Trotz mehrerer
Nullrunden bei den Renten haben wir heute nur noch
etwa 1 Milliarde Euro in der Rücklage der gesetzlichen
Rentenversicherung, während es vor vier Jahren noch
14 Milliarden Euro waren.

Ich sage das nicht, um Vergangenheitsbewältigung zu
betreiben, sondern weil es einfach ein Unterschied ist, ob
man Rentenpolitik heutzutage mit einer Rücklage oder
ohne eine Rücklage macht. Wir beginnen die Arbeit der
großen Koalition in einer Zeit der Massenarbeitslosig-
keit und mit ausgezehrten Sozialkassen. Das ist die
Lage. Aus dieser Lage müssen wir gemeinsam, CDU/
CSU und SPD, nun das Beste für unser Land machen.

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(C (D (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir alle wissen: Die Arbeitsmarktpolitik allein ist
icht in der Lage, Beschäftigungsprobleme zu lösen. Die
mpulse für Wachstum und Beschäftigung müssen in
rster Linie aus der Wirtschafts- und Steuerpolitik und
us Forschung und Innovation kommen. Dennoch muss
nsere Arbeitsmarktpolitik natürlich daraufhin überprüft
erden, ob sie überall die richtigen Anreize setzt, um zu-

ätzliche Beschäftigung zu schaffen. Deswegen ist es gut
nd richtig, dass wir uns im Koalitionsvertrag darauf
erständigt haben, alle Arbeitsmarktmaßnahmen auf
en Prüfstand zu stellen. Was ineffizient und unwirksam
st, muss abgeschafft oder geändert werden; bewährte In-
trumente werden fortgeführt.

Uns ist auch das gemeinsame Ziel, auf das wir uns
erständigt haben, ganz wichtig, nämlich den Beitrags-
atz in der Arbeitslosenversicherung zu senken. Es ge-
ört zu den wenigen Punkten, über die quer durch die
arteien Konsens besteht, dass die Lohnnebenkosten in
eutschland zu hoch sind und dass zu hohe Lohnneben-
osten zu Arbeitsplatzverlusten führen. Deswegen ist es
in wichtiger Schritt, den Beitragssatz in der Arbeitslo-
enversicherung auf 4,5 Prozent zu senken. Es ist gut,
ass wir uns in der großen Koalition darauf verständigt
aben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Brandner [SPD])


Wir müssen – es ist deutlich geworden, dass wir uns
uch hier einig sind – an das Thema Kombilohn heran-
ehen. Ich weiß, das ist ein schwieriges Feld. Aber ohne
ine intelligente Kombination aus Arbeits- und Transfer-
inkommen werden wir für viele Menschen in unserem
and keine Chancen auf Beschäftigung auf dem Arbeits-
arkt schaffen. Wir dürfen zwar nichts übers Knie bre-

hen, aber wir müssen dieses Thema in den nächsten
onaten entschlossen angehen.

Wir haben uns auch vorgenommen, das Thema Kün-
igungsschutz anzupacken. Dazu ist viel gesagt wor-
en. Ich stimme Minister Müntefering ausdrücklich zu.
an sollte nicht schon jetzt sagen, dass das dieses oder

enes Ergebnis haben wird. Vielmehr macht es Sinn, die
irkung dieser Regelung, auf die wir uns verständigt

aben, in Ruhe abzuwarten, nämlich die Wartefrist von
erzeit sechs auf 24 Monate zu verlängern und im Ge-
enzug die heutigen Möglichkeiten zur sachgrundlosen
efristung abzuschaffen. Von diesem Ergebnis kann
an sagen: Die Beschäftigten erhalten künftig wieder

nbefristete statt befristete Verträge und die Arbeitgeber
ehalten trotzdem die Flexibilität des heutigen Befris-
ungsrechts. Von daher ist das eine vernünftige Vereinba-
ung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich dachte, das sollte eine Verbesserung werden! Was ist denn aus Sicht der Unternehmer der Fortschritt für neue Arbeitsplätze?)


Natürlich hätten wir uns im Bereich betriebliche
ündnisse für Arbeit etwas anderes vorgestellt. Doch

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 333


(A) )



(B) )


Dr. Ralf Brauksiepe
lassen Sie mich, Herr Kollege Niebel, ein für allemal sa-
gen: Diejenigen, die mit betrieblichen Bündnissen für
Arbeit als Ziel in den Wahlkampf gegangen sind, haben
nicht die Mehrheit, um das umzusetzen. So einfach ist
die Sache.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen werden wir das machen, was politisch mög-
lich ist.

Ich erwarte allerdings auch, dass sich die Tarifpar-
teien entlang dessen, was es bereits gibt ..., auf be-
triebliche Bündnisse einigen, wie das in vielen
Branchen bereits der Fall ist. Geschieht das nicht,
wird der Gesetzgeber zu handeln haben.

Die letzten beiden Sätze sind nicht von mir, sondern von
Gerhard Schröder bei der Vorstellung seiner Agenda im
Rahmen seiner Regierungserklärung vom 14. März 2003.
Das Protokoll vermerkte damals: Beifall bei der SPD
und dem Bündnis 90/Die Grünen. – Wir werden uns also
noch aneinander zu gewöhnen haben. Aber das, was
Bundeskanzler Schröder in diesem Zusammenhang ge-
sagt hat, bleibt im Grundsatz richtig.

Wir werden uns bei den Hartz-IV-Gesetzen unter
Zeitdruck auf Reformen verständigen müssen. Wir ha-
ben uns vorgenommen, 3,8 Milliarden Euro einzusparen.
Mir ist aber auch wichtig, dass die Zusage eingehalten
wird, die wir den Kommunen gegeben haben und die wir
auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, dass
wir an der Entlastung der Kommunen um bundesweit
2,5 Milliarden Euro festhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es ist notwendig, das zu tun. Wir haben uns das vorge-
nommen und werden die entsprechenden Maßnahmen
dazu beschließen.

Wir bringen heute das Fünfte SGB-III-Änderungs-
gesetz in diese Debatte ein. Die Koalition hat sich damit
auf all das verständigt, was laut Koalitionsvertrag unbe-
dingt noch in diesem Jahr gemacht werden muss. Dazu
gehören vor allem die Verlängerung der Arbeitsmarkt-
maßnahmen für Ältere, die Verlängerung der Förderung
für Ich-AGs um ein halbes Jahr und die Verlängerung
der Übergangsregelung im Arbeitszeitgesetz.

Über die so genannten Hartz-Reformen ist viel disku-
tiert und gestritten worden. Manches davon war vernünf-
tig, anderes unvernünftig. Mein Vorgänger als Sprecher
für Arbeit und Soziales, Karl-Josef Laumann, hat in sei-
ner unverwechselbaren Art einmal festgestellt, dass wir
den „Hartz-Schrott“ – den es eben auch gibt – beseitigen
müssten. Das haben wir jetzt dankenswerterweise ge-
meinsam mit den Sozialdemokraten beschließen können.
So wird die Einrichtung von Personal-Service-Agentu-
ren ab dem nächsten Jahr nicht mehr zwingend sein. Die
Verlängerung der Ich-AG um ein halbes Jahr erfolgt nur
deshalb, um in dieser Zeit zu einer vernünftigen Neure-
gelung für die Förderung der Selbstständigkeit von zu-
vor Arbeitslosen zu kommen. Das ist eine vernünftige
Lösung. Die alte Ich-AG wird verschwinden. Damit ver-

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(C (D chwindet, nebenbei bemerkt, auch ein Unwort, das beser nie erfunden worden wäre, wie ich meine. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben uns auf die Einführung einer Übergangs-
egelung im Arbeitszeitgesetz geeinigt, um das Urteil
es EuGH vom September 2003 hinsichtlich der Bereit-
chaftsdienste in deutsches Recht umzusetzen. Den Ar-
eitgebern ist eine zweijährige Übergangsfrist einge-
äumt worden, um die Tarifverträge gemeinsam mit den
rbeitnehmervertretern anzupassen. Das ist bekanntlich

n vielen Bereichen bereits geschehen. In anderen Berei-
hen steht es aber noch aus. Ich habe Verständnis für den
nwillen all derer, die sich auf die veränderten Bedin-
ungen eingestellt haben und nun wollen, dass der Ge-
etzgeber entsprechend handelt. Wir müssen aber auch
ie Realitäten zur Kenntnis nehmen. Es gibt noch Über-
angsprobleme. Weil es also offensichtlich notwendig
st, haben wir uns darauf geeinigt, die Übergangsrege-
ung nochmals um ein Jahr zu verlängern. Es muss aber
lar sein, dass das Arbeitszeitgesetz ab 2007 ohne Ein-
chränkungen gilt.


(Dirk Niebel [FDP]: Jetzt aber wirklich!)


Die Schaffung von Arbeitsplätzen hat – das wissen
ir alle – auch grundlegende Bedeutung für die Finan-

ierung der sozialen Sicherungssysteme. Der Aderlass
ei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs-
erhältnissen in den letzten Jahren hat bei allen Sozial-
assen zu massiven Beitragseinbrüchen geführt.

In Zukunft geht es insbesondere darum, dass wir alles
un, um die gesetzliche Rentenversicherung zu konso-
idieren und die Rentenfinanzen wieder auf ein sicheres
undament zu stellen. Das wird zu den Hauptaufgaben
er Rentenpolitik in dieser Legislaturperiode gehören.
ch meine, eine solche Herkulesaufgabe gemeinsam zu
eistern ist auch eine Rechtfertigung für eine große
oalition. Ich begrüße außerdem, dass wir uns darauf
erständigt haben, trotz der notwendigen Erhöhung des
esetzlichen Renteneintrittsalters denjenigen, die auf
5 Beitragsjahre kommen, die Möglichkeit zu bieten,
bschlagsfrei in Rente zu gehen, und damit deren Le-
ensleistung anzuerkennen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Minister Müntefering, lassen Sie mich zum Ab-
chluss gewissermaßen unter uns Westfalen noch ein
ersönliches Wort sagen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Keine Kungeleien!)


ie haben Ihre Volksschulzeit im Sauerland angespro-
hen. Sie waren meines Wissens damals auch Messdie-
er. Ich kann Ihnen versichern: Sie werden in unserer
raktion – mich eingeschlossen – wahrscheinlich mehr
enschen als in jeder anderen Fraktion finden, die auch

u diesem Kirchendienst bestellt waren.


(Dirk Niebel [FDP]: Bei der Regierung hilft nur noch beten!)


334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Dr. Ralf Brauksiepe
Sie haben sich dann für einen parteipolitischen Weg
entschieden, von dem Ihnen vermutlich die Mehrheit der
regelmäßigen Kirchgänger in Ihrer hochsauerländischen
Heimatgemeinde eher abgeraten hätte. Sie haben sich
dann nach 51 Berufsjahren entschlossen, gemeinsam mit
uns Deutschland voranzubringen. Sie haben das in den
letzten Wochen mit großem Einsatz und unter großen
persönlichen Opfern getan, Herr Minister. Wie Sie den
Parteivorsitz verloren und gleichwohl konzentriert und
zielorientiert mit uns weiterverhandelt haben, das war
schon stark. Das hat uns beeindruckt, Herr Minister.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Ausmaß an Pflichtgefühl, Verantwortungsbe-
wusstsein und Arbeitseinstellung, das Sie dabei gezeigt
haben, stößt in unserer Fraktion auf großen Respekt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das war echt sozialdemokratisch! – Dirk Niebel [FDP]: Heldenverehrung im Bundestag! Das finde ich Klasse!)


Sie werden es nie erleben, dass wir solche Charakterei-
genschaften als Sekundärtugenden verspotten, Herr Mi-
nister.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: So sind wir!)


Sie haben Ihren guten Willen eindrucksvoll demons-
triert. Wir haben ebenfalls guten Willen. Lassen Sie uns
die Arbeit also im Interesse unseres Landes und seiner
Menschen gemeinsam angehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das denn mit den Messdienern zu tun? – Ludwig Stiegler [SPD]: Wo ist der Messwein?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600603400

Ich erteile Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke,

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Elke Reinke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1600603500

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Werte Damen und Herren! Die Linke im Bundestag be-
grüßt ausdrücklich die Angleichung der Regelleistun-
gen beim Arbeitslosengeld II. Dieser Schritt ist längst
überfällig; denn die Lebenshaltungskosten in Sachsen-
Anhalt unterscheiden sich nicht von denen in Hessen
oder Niedersachsen. Die unbegründete Unterscheidung
zwischen Ost und West war für viele Menschen im letz-
ten Jahr auch ein Grund dafür, protestierend auf die
Straße zu gehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir hatten damit Recht. Die Montagsdemonstrationen
haben viel in unserem Land verändert, unter anderem
und nicht zuletzt die Zusammensetzung dieses Hohen
Hauses.


(Beifall bei der LINKEN)


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(C (D eshalb ist die Anhebung des Arbeitslosengeldes II in stdeutschland auf 345 Euro dringend geboten, und war rückwirkend zum 1. Januar 2005. Die Zusammenführung von Sozialhilfe und Areitslosenhilfe war ein richtiger Schritt. Sozialhilfeempänger sind endlich sozialversichert. Die Forderung der Sozialverbände und der Arbeitsruppen war, die alte Sozialhilfe armutsfest zu machen. as ist mit Hartz IV nicht erfüllt worden. in Anspruch auf Würde und Teilhabe am gesellchaftlichen Leben ist mit dem staatlich gewährten xistenzminimum in Höhe von 345 Euro plus Wohnnd Heizkosten kaum möglich. Glauben Sie mir, ich eiß, wovon ich spreche. In der alten Sozialhilfe gab es Einmalleistungen, zum eispiel für die Schulausstattung eines Kindes oder den auf einer Waschmaschine. Heute verlangt der Gesetzeber, dass der notwendige Betrag zur Deckung der Kosen angespart wird. Täglich stehen dem Arbeitsloseneld-II-Empfänger zur Verfügung: 88 Cent für das rühstück, je 1,57 Euro für Mittagund Abendessen, 0 Cent für den öffentlichen Nahverkehr, 7 Cent für Teefonate sowie 15 Cent für Sportund Freizeitveranstalungen. Sollen unsere Bürgerinnen und Bürger ohne Areit lieber die täglichen 34 Cent für Zeitungen und eitschriften oder 34 Cent für den täglichen Caféoder neipenbesuch einsparen? Das wäre eine Möglichkeit. – Verzichteten sie auf Zeiungen und Zeitschriften, dann könnten sie sich nach eiem Jahr Handwäsche mit etwas Glück den „Luxus“ eier gebrauchten Waschmaschine leisten. Im Koalitionsvertrag steht zu Recht: „Eine Gesellchaft ohne Kinder hat keine Zukunft.“ Diesen Satz üssen wir aber auch ernst nehmen. Eine Familie aus einer Nachbarschaft in der Nähe von Aschersleben ersucht, diesen Anspruch bei ihren fünf Kindern umzuetzen. Bis zum letzten Jahr haben drei von ihnen die usikschule besucht. Unter Arbeitslosengeld-II-Bedin ungen wäre es vielleicht noch möglich, einem Kind den Luxus“ von Busfahrt und Musikunterricht zu gönnen. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Das ist nicht hinnehmbar!)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Zuruf von der LINKEN)


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


elches Kind darf es sein? Wie würden Sie entschei-
en? Ich sage Ihnen das Ergebnis: Keines der Kinder
eht mehr hin.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: So sieht es im Leben aus!)


345 Euro plus Wohnkosten reichen nicht aus, um
rundbedürfnisse ausreichend zu befriedigen. Hartz IV

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 335


(A) )



(B) )


Elke Reinke
führt zu Existenzunsicherheit, Armut und sozialer Isola-
tion und erzeugt in der Gesellschaft ein Klima der Angst.


(Beifall bei der LINKEN)


Sozial ist nicht nur, was Arbeit schafft. Man muss davon
auch menschenwürdig leben können.


(Beifall bei der LINKEN)


Hartz IV sollte Erwerbslose fördern, damit sie wieder in
den ersten Arbeitsmarkt kommen. Hartz IV hat zwar Ar-
beitsplätze geschaffen, aber fast nur in der Verwaltung
der Arbeitslosigkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Das war wohl nicht der Zweck dieser teuren „Jahrhun-
dertreform“.

Die Verdächtigungen von Herrn Clement lenken von
dem Versagen der Reformen ab. Eigentlich wäre eine öf-
fentliche Entschuldigung fällig.


(Beifall bei der LINKEN)


Stattdessen will die große Koalition Leistungsempfänger
zur Teilnahme an telefonischen Umfragen verpflichten.
Damit höhlt sie die geltenden Rechtsgrundlagen aus.
Das geplante Instrument des Datenabgleichs greift auf
die Methoden der Rasterfahndung zurück.

Politik verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn das ge-
sellschaftliche Problem der Erwerbslosigkeit durch Be-
schimpfung und Druck auf einkommensschwache und
erwerbslose Menschen gelöst werden soll.


(Beifall bei der LINKEN – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ein bisschen einfach, Frau Kollegin! Ein bisschen simpel!)


Zuerst bauen Sie soziale Rechte ab, jetzt schränken Sie
auch noch bürgerliche Freiheitsrechte ein. Das ist das
Gegenteil von „Mehr Freiheit wagen“.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: In der DDR war eben alles besser!)


Die Regierungskoalition will 3,8 Milliarden Euro im
Haushalt der Bundesagentur streichen. Ein Teil dieser
Sparsumme soll durch Kürzung der Rentenbeiträge
erwerbsloser Menschen von monatlich 78 Euro auf
40 Euro erbracht werden. Das ist aber ein Sparen auf
Kosten der zukünftigen Rentenleistungen genau dieser
Menschen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die von Ihnen geplanten Vorhaben, vor allem die Er-
höhung der Mehrwertsteuer, bedeuten für Erwerbslose
und einkommensschwache Menschen eine weitere Ein-
schränkung ihres Lebensunterhaltes um bis zu 15 Pro-
zent.

Eine zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik muss
sich an anderen Kriterien messen lassen: Wie kann die
vorhandene Erwerbsarbeit gerecht verteilt werden? Wie
können gesellschaftliche Tätigkeiten, Pflege- und Erzie-
hungsaufgaben zu Feldern der Erwerbsarbeit werden?

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(C (D uf diese Fragen ist im Koalitionsvertrag kaum eine ntwort zu finden. (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Bedauerlicherweise!)


Meine Fraktion hält einen öffentlich geförderten Be-
chäftigungssektor für unumgänglich.


(Beifall bei der LINKEN)


r ist auch finanzierbar, wenn unter anderem die 1-Euro-
obs in reguläre, versicherungspflichtige Arbeitsverhält-
isse überführt werden. Es gibt viele soziale, ökologi-
che, kulturelle und sportliche Aufgabenfelder.

Die Linke im Bundestag fordert eine bedarfsgerechte
oziale Grundsicherung, und zwar für jeden Bedürfti-
en. Eine Kindergrundsicherung muss schnellstmöglich
ingeführt werden. Das ist die wirkliche Alternative zu
artz IV.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine Antwort auf das Problem der Massenarbeitslo-
igkeit wird die Politik nur mit den Menschen finden.
ine solche Politik muss sozial gerecht sein und allen
enschen eine Perspektive bieten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600603600

Kollegin Reinke, das war Ihre erste Rede. Herzliche

ratulation!


(Beifall)


Ich erteile nun das Wort Kollegen Max Straubinger,
DU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jetzt die Wahrheit!)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1600603700

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

ozial ist, was Arbeit schafft. Unter diesem Slogan ha-
en wir in der vergangenen Zeit Wahlkampf geführt,
ber auch gearbeitet. Auch wenn das in abgewandelter
orm oft das große Anliegen anderer Parteien war, so
tehen wir heute hier im Plenum bei Antritt der neuen
undesregierung natürlich dafür, dies in die Tat umzu-

etzen. Denn Arbeit bedeutet, wie unsere Bundeskanzle-
in vorgestern in der Regierungserklärung bereits tref-
end ausgeführt hat, mehr als Einkommen und Geld für
ie Menschen, sie bedeutet auch Erfüllung für die Men-
chen. Dies ist hier ein entscheidender Gesichtspunkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen, dass Arbeit Lebensperspektiven schafft,
en Menschen Sicherheit gibt und ihnen Würde und
elbstachtung vermittelt. Das ist ein entscheidender
esichtspunkt unserer Koalitionsvereinbarung, die wir
etroffen haben. Dies geschah zugegebenermaßen in

336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Max Straubinger
schwierigen Verhandlungen, weil wir mit den verschie-
densten, vielleicht auch sehr voneinander entfernten po-
litischen Vorstellungen in den Wahlkampf gezogen sind.
Ich bin aber überzeugt, dass wir eine gute Grundlage für
die nächsten vier Jahre gelegt haben, mehr Arbeits-
plätze in Deutschland zu schaffen und damit den Men-
schen eine bessere Zukunft zu geben. Dies ist auch in
unserem Koalitionsvertrag formuliert. Das bedeutet auch
Sicherheit für die Familien und die Förderung unserer
Kinder durch Bildung sowie Stärkung der Wissenschaft
und damit Chancen für die zukünftigen Entwicklungen
in Deutschland.

Verschiedene Redner der Opposition haben heute
manche Maßnahme bereits der Kritik unterzogen. Des-
halb möchte ich einen Punkt aufgreifen. Kollege Niebel
hat darauf hingewiesen, dass beispielsweise eine Mehr-
wertsteuererhöhung kontraproduktiv wäre.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ist!)


Ich aber bin der Meinung, dass man das nicht vereinzelt
darstellen darf. Wir werden die Mehrwertsteuer anhe-
ben, aber gleichzeitig die Lohnnebenkosten um 2 Pro-
zentpunkte senken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Was nützt das dem Rentner?)


Die Senkung der Lohnnebenkosten bedeutet eine
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft
und zugleich eine Verbesserung der Situation der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer. Der entscheidende
Gesichtspunkt ist, dass bei uns mehr Arbeitsplätze ge-
schaffen werden. Ich wohne im Grenzgebiet zu Oberös-
terreich, wo der Mehrwertsteuersatz bei 20 Prozent liegt.
Ich kann nicht erkennen, dass es dort mehr Schwarzar-
beit als bei uns gibt. Man sollte das Ganze vielleicht et-
was realistischer betrachten.

Ich erinnere an die letzte Regierungserklärung von
Bundeskanzler Schröder. Es war Wahlkampf und er hat
unser Wahlprogramm – es sah eine Mehrwertsteuererhö-
hung um 2 Prozentpunkte vor bei gleichzeitiger Absen-
kung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von
6,5 Prozent auf 4,5 Prozent des Bruttolohns – mit dem
Hinweis darauf kritisiert, dass die skandinavischen Län-
der den Arbeitsmarkt offensichtlich besser in den Griff
bekommen haben. In diesem Zusammenhang hat er al-
lerdings vergessen, darauf hinzuweisen, dass die skandi-
navischen Länder einen Mehrwertsteuersatz von 25 Pro-
zent haben. Lassen Sie uns das ohne Scheuklappen
diskutieren! Wir sollten uns mit dieser Problematik in
den kommenden Gesetzgebungsverfahren intensiv aus-
einander setzen.

Es wird über das Vorziehen der Beitragszahlung an
die Rentenversicherung um 20 Tage geklagt; dies be-
deute eine Mehrbelastung für die Betriebe. Als Selbst-
ständiger kann ich das nachvollziehen. Aber, werte Kol-
legen von der FDP, was wäre die Alternative gewesen?
Eine Erhöhung der Beitragssätze in der gesetzlichen
Rentenversicherung um 0,5 Prozentpunkte! Leider habe
ich von Ihnen dazu nichts gehört.

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(C (D (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: Die wollen immer nur die Rosinen!)


Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Dritten
ozialgesetzbuches und anderer Gesetze schaffen wir
ichtige Perspektiven für die Entwicklung des Arbeits-
arktes. Wesentliche Punkte dieses Gesetzentwurfs
urden hier schon dargelegt. Wir stärken vor allen Din-
en die Chancen für Jugendliche. Dies ist eines der
ntscheidenden Kriterien. Bundesarbeitsminister Franz
üntefering hat bereits auf den Ausbildungspakt hin-

ewiesen. Ich möchte mich der damit verbundenen Auf-
orderung an die Wirtschaft anschließen. An dieser
telle möchte ich den zahlreichen Betrieben, die sich der
usbildung verbunden fühlen und zusätzliche Lehrstel-

en schaffen, aber auch ein Dankeschön sagen. Ihr Tun
edeutet Zukunftschancen für unsere jungen Bürgerin-
en und Bürger. An dieser Stelle wollen wir auch zu-
ünftig ansetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Es gilt natürlich auch, die Chancen älterer Arbeit-
ehmerinnen und Arbeitnehmer zu stärken. In der
chweiz und in Schweden sind zwei Drittel der über
5-Jährigen erwerbstätig. In Großbritannien sind es
6 Prozent. Bei uns waren es im Jahr 2004 nur knapp
2 Prozent. Das muss uns natürlich nachdenklich stim-
en. Vor allen Dingen unter dem Gesichtspunkt des Er-

ahrungsschatzes, den ältere Arbeitnehmerinnen und Ar-
eitnehmer ins Erwerbsleben einbringen, müssen wir die
ituation bei uns verbessern.

Wir werden die Geltungsdauer der Maßnahmen der so
enannten 58er-Regelung verlängern.


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist ein Fehler!)


eines Erachtens sollten wir dabei aber sehr kritisch
orgehen. Ich halte es hier mit dem Kollegen Dr. Peter
truck, dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, der immer
agt: Ein Gesetz kommt aus dem Gesetzgebungsverfah-
en nicht so heraus, wie es hineingegangen ist. Mögli-
herweise müssen wir über dieses Gesetz noch diskutie-
en. Denn es kann natürlich nicht sein, dass Großbetriebe
iese Chancen letztendlich nutzen können, während die
leinbetriebe den Kürzeren ziehen, weil die Beschäftig-

en dort bis zum 65. Lebensjahr arbeiten müssen, da die
inanzielle Lage der Betriebe es nicht erlaubt, hohe Ab-
indungen oder Ähnliches zu zahlen.


(Zuruf von der FDP: Die dürfen arbeiten!)


s geht zwar darum, den Übergang vom Erwerbsleben
ur Rente zu erleichtern, aber die Kosten für die Allge-
einheit sind dabei auch zu berücksichtigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


assen Sie uns darüber also noch nachdenken.

In diesem Zusammenhang gilt es klarzustellen – das
st heute bereits in vielfältiger Weise getan worden –,
ass wir es schaffen müssen, die älteren Arbeitnehmer
erstärkt im Arbeitsprozess zu halten. Das entspricht den
eschlüssen zur Rentenversicherung, die wir im Koali-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 337


(A) )



(B) )


Max Straubinger
tionsvertrag in den Eckpunkten niedergelegt haben. Das
ist meines Erachtens entscheidend.

Wir stehen dazu, dass vor allen Dingen die Rente si-
cher ist und dass dies auch im Rahmen der Generatio-
nengerechtigkeit gestaltet werden kann. Trotz aller Pro-
blematik ist doch festzustellen: Die Rentnerinnen und
Rentner können sich auf das deutsche Rentenversiche-
rungssystem verlassen, auch wenn es natürlich besser
wäre, wenn wir eine höhere Rücklage in der gesetzlichen
Rentenversicherung hätten. Es ist entscheidend, dies
auch in der Zukunft sicherzustellen. Gerade die große
Koalition hat hierfür eine gute Chance. Haben wir bis
Anfang oder Mitte der 90er-Jahre die Rentenpolitik in
der Regel gemeinsam gestaltet, so ist diese Gemeinsam-
keit in der Folge, vielleicht aus Wahlkampfgründen, auf-
gekündigt worden. Wir haben jetzt die große Chance, für
die Renterinnen und Rentner wieder eine gemeinsame
Politik quer über alle Parteien zu betreiben. Ich rufe hier
alle dazu auf, daran mitzuwirken, dass die Rente sicher
ist; denn das höchste Gut für die Rentnerinnen und Rent-
ner ist Sicherheit.

Entscheidend ist nicht immer die Höhe, auch wenn
wir stolz darauf sein können, dass die Einkommenssitua-
tion der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland gut
ist. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregie-
rung hat festgestellt, dass nur 1,3 Prozent der Rentnerin-
nen und Rentner oder der älteren Generation der Sozial-
hilfe anheim fallen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist 2030 ganz anders!)


Das ist um 2 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt al-
ler. Darauf können wir stolz sein. Auch das sollten wir
den Menschen hier einmal darlegen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Was ist denn mit der Zukunft der Rente?)


Dennoch werden wir sicherlich zusätzlich die kapital-
gedeckte Vorsorge stärken müssen.

Ich komme damit zum Schluss. – Ich bin davon über-
zeugt, dass wir gemeinsam die Probleme in Deutschland
bewältigen können, wenn wir sie mit dem nötigen Mut
und der nötigen Zuversicht angehen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Max, auf geht’s! Wir packen’s!)


Wichtig ist für mich dabei auch, festzustellen, dass wir
natürlich positiv nach vorn blicken müssen. Den Bedürf-
tigen in unserer Gesellschaft, seien es ältere oder kranke
Menschen, Menschen mit Behinderung oder Sozialhilfe-
empfänger, können wir nur dann wirklich helfen, wenn
wir Deutschland gemeinsam stark machen, wenn jeder
Einzelne sein Bestes gibt und mit vollem Engagement
dabei ist. Wer ein Herz für mehr Leistung hat, der hat
auch einen längeren Atem für mehr Hilfe.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns die Aufgaben ange-
hen! Ich bin davon überzeugt, auch aufgrund der Ver-
handlungen zum Koalitionsvertrag und der abgelaufenen

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(C (D age und Wochen, die wir gemeinsam erlebt haben – ich anke an dieser Stelle ausdrücklich (Ludwig Stiegler [SPD]: Max, schau zu uns her!)


em Bundesarbeitsminister Franz Müntefering für die
roßartige Arbeit in der Verhandlungsgruppe; ich durfte
abei sein –, dass Deutschland nach vier Jahren besser
astehen wird als jetzt, wenn wir auf dieser Grundlage
nd mit diesem Geist die Probleme angehen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Stiegler hat nicht geklatscht! – Dirk Niebel [FDP]: Das Protokoll verzeichnet bitte: Lob vom Kollegen Stiegler!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600603800

Ich erteile Kollegen Markus Kurth, Fraktion Bünd-

is 90/Die Grünen, das Wort.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1600603900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

ber weite Strecken dieser Debatte wähnt man sich
icht im Bundestag, sondern bei einem Wettbewerb der
auberer und Illusionisten. Die einen versprechen das
and, in dem Milch und Honig fließen, wenn man nur
obin Hood zum politischen Schutzpatron wählt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


ie anderen – original Müntefering – versprechen or-
entlich Brot und Aufstrich; als Instinktsozialdemokrat
issen Sie, was da ankommt. Aber Sie verursachen ein
erartiges Chaos bei der Finanzierungsarchitektur der
ozialversicherungssysteme, dass man sich fragen muss,
b am Ende überhaupt noch ein Knäckebrot übrig bleibt.

Denn was machen Sie? Erstens nehmen Sie eine
ehrwertsteuererhöhung vor, von der gestern Peer

teinbrück, Ihr eigener Finanzminister, sagte, sie sei für
ie Wirtschaft kontraproduktiv.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da haben wir es!)


an muss also gar nicht auf Zitate aus dem Wahlkampf
urückgreifen; erst gestern ist das von dieser Stelle aus
estgestellt worden. Das heißt, Sie beschränken Wachs-
um, aber auch Beschäftigung und die Lohnsumme und
amit natürlich die Einnahmen für die Sozialversiche-
ung. Einen Teil von diesem Geld wollen Sie zur Sen-
ung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge verwenden.
eil das aber nicht komplett reicht, müssen Sie – das

inde ich bedauerlich, liebe Sozialdemokraten – auch die
ktive Arbeitsmarktpolitik ein bisschen ausdünnen, ob-
ohl sie schon zurückgefahren worden ist. Dieses biss-

hen Geld, diese Steuermittel, packen Sie dann in die
ozialversicherung.

Gleichzeitig aber nehmen Sie zweitens aus einem be-
achbarten Zweig der Sozialversicherung, der gesetzli-
hen Krankenversicherung, Steuern in Höhe von
,2 Milliarden Euro heraus und produzieren durch die

338 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


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Markus Kurth
Mehrwertsteuererhöhung eine zusätzliche Finanzie-
rungslücke von 900 Millionen Euro. Das macht zusam-
men 0,5 Beitragssatzpunkte.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und dann rechnen die mit minus 0,5 bei den Beiträgen zur Krankenversicherung bei den Rentnern! Wo sollen die denn herkommen?)


Drittens wird die gesetzliche Rentenversicherung,
ein weiterer Zweig der Sozialversicherung, kurzfristig
mit einem Einnahmeausfall von 2 Milliarden Euro belas-
tet, weil Sie nämlich den Rentenversicherungsbeitrag für
die Arbeitslosengeld-II-Bezieher um die Hälfte kürzen.

Viertens. 2007 wird der Rentenversicherungsbeitrag
auf 19,9 Prozent erhöht.

Auf dieses unselige Kuddelmuddel von Geben und
Nehmen setzen Sie dann laut Koalitionsvertrag als mit-
telfristige Perspektive auch noch die Absicht, den Bun-
deszuschuss zur Rentenversicherung einzufrieren. Dazu
sagte am 16. November selbst der damalige CDU-
Rentenexperte Andreas Storm – der jetzt ins Bildungs-
ministerium weggelobt wurde, damit er nicht mehr stö-
ren kann – ganz klar, dass der Bundeszuschuss weder auf
diesem Niveau noch auf dem Niveau von 2007 eingefro-
ren werden kann.

Auf diese Art und Weise werden Sie die kürzlich ver-
einbarten Ziele der Niveausicherung der Rente und der
Beitragssatzstabilität nicht erreichen. Das muss man hier
einmal ganz klar feststellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Alles in allem ist das Ganze ein unheimlich grobes
Gefummel. Von Ihren kleinen Schritten gehen letzten
Endes einer vor, einer zurück und zwei Trippelschritte
seitwärts


(Dirk Niebel [FDP]: Wie unter Rot-Grün eigentlich!)


und am Ende des Tages kratzen Sie sich am Kopf und
fragen sich, warum Sie nicht vorwärts gekommen sind.

Man findet keine Antwort auf die Kardinalfrage be-
züglich der sozialen Sicherung, nämlich das Problem der
zurückgehenden abhängigen Beschäftigung und der zu-
rückgehenden Sozialversicherungseinnahmen. Das ist
das Kernproblem. Da mögen manche sagen, die Mini-
jobs seien dafür verantwortlich. Aber selbst wenn wir
alle Minijobs in voll sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung umwandeln würden, hätten wir in der Er-
werbsgesellschaft weiterhin den Trend, dass mehr outge-
sourct wird, dass es mehr so genannte Ein-Mann-
Unternehmen oder Freelancer gibt,


(Dirk Niebel [FDP]: Das waren früher mal Scheinselbstständige, als ihr noch regiert habt!)


dass die Arbeitswelt sich so verändert, dass die Sozial-
versicherungseinnahmen sinken, weil die abhängige Be-
schäftigung zurückgeht.

Sie hatten doch zumindest im Ansatz einmal die Er-
kenntnis, dass die Lohneinkommen sinken und andere

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(C (D inkommensarten – Einkommen aus Kapital, Selbsttändigkeit, Vermögen, Zinsen, Mieten, Pachten – an Beeutung gewinnen. Sie selbst, liebe Sozialdemokraten, aben doch genau darauf die Forderung einer Bürgerersicherung und einer Verbeitragung ebendieser Betandteile des Volkseinkommens fußen lassen. Von dieen ganzen Überlegungen und Erkenntnissen ist im oalitionsvertrag aber überhaupt nichts mehr zu finden. (Elke Ferner [SPD]: Da mussten ja auch zwei unterschreiben, nicht nur wir allein!)


tattdessen setzen Sie auf die Belebung des klassischen
ollbeschäftigungsmodells, das es so nicht mehr geben
ird. So ehrlich müssen wir sein und das müssen wir
lar sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Bündnis 90/Die Grünen haben darauf Ant-
orten.


(Dirk Niebel [FDP]: Das Problem ist, euch fragt keiner!)


ir sind dafür, die soziale Sicherung über einen stärke-
en Steueranteil zu finanzieren, statt ein solches Hin und
er zu veranstalten. Wir haben die Bürgerversicherung
anz klar thematisiert. Wir schlagen vor, die Steueran-
eile zielgerichtet dort einzusetzen, wo sie die größte He-
elwirkung entfalten, nämlich bei den gering Qualifi-
ierten und Niedriglohnbeschäftigten; dort kann eine
ezuschussung der Sozialversicherungsbeiträge in der
erspektive die höchste Beschäftigungswirkung entfal-

en.

Aber wenn Sie schon bei der Finanzierung keine gro-
en Schritte machen können oder wollen, hätte man
och wenigstens einen kleinen Schritt bei der institutio-
ellen Struktur der Sozialversicherung machen können.
as meine ich? Ich meine, die einzelnen Zweige der So-

ialversicherung wirken unvollständig und nicht wirk-
ich gut zusammen. Nirgends wird das so deutlich wie
m Bereich der Politik für Menschen mit Behinderun-
en, wo wir im Moment die absurde Situation haben,
ass die Berufsförderungswerke nicht hinreichend von
er Bundesagentur für Arbeit beschickt werden, wo-
urch wir es versäumen, Menschen mit Behinderungen
ine ordentliche zweite Berufsausbildung zu geben, da-
it sie wieder einen sozialversicherungspflichtigen Ar-

eitsplatz im Erwerbsleben einnehmen können.

Was wir da auf der einen Seite kurzfristig bei der
undesagentur einsparen, das werden wir in den nächs-

en Jahren wegen der Langzeitarbeitslosigkeit dieser
ersonen ausgeben müssen; ganz abgesehen von dem
ersönlichen Schicksal dieser Menschen. Das ist ein rie-
iges Problem, bei dem ich mir gewünscht hätte, dass
ie das angesprochen hätten. Denn ich glaube, dass in
iesem Haus in Bezug auf diese Frage eine relativ große
inigkeit besteht. Wir haben es kurz vor Ende der letzten
egislaturperiode als rot-grüne Koalition im Zusammen-
ang mit dem Bericht der Bundesregierung über die
age von Menschen mit Behinderung in einem Ent-
chließungsantrag angesprochen. Ich weiß, dass von der
DU/CSU Herr Hüppe und andere Kleine Anfragen zur

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 339


(A) )



(B) )


Markus Kurth
Wiedereingliederung von Menschen mit Behinderungen
in den Beruf gestellt haben. Sie haben uns da ja auch
richtig getriezt und die richtigen Fragen gestellt.
Schließlich vermute ich, dass auch der Kollege Seifert
zustimmen wird. Das heißt, wir hätten die Chance, hier
eine ganz große Koalition für einen kleinen, aber wichti-
gen Schritt für einige zehntausend Menschen zustande
zu bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns doch wenigstens versuchen, bei solchen
Punkten den notwendigen Pragmatismus an den Tag zu
legen, wenn man es schon nicht hinbekommt, die wirk-
lich großen Schritte in die richtige Richtung zu tun.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600604000

Weitere Wortmeldungen zu diesen Themenbereichen

liegen nicht vor.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/109, Tagesordnungspunkt 8,
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/120,
Zusatzpunkt 8, soll an den Ausschuss für Arbeit und So-
ziales überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Wir kommen abschließend zu dem Themenbereich
Verteidigung. Das Wort hat der Bundesminister der Ver-
teidigung, Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
gung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben in diesen Tagen gerade das 50-jährige
Bestehen der Bundeswehr gefeiert. Wir konnten, glaube
ich, gemeinsam feststellen, dass die Bundeswehr hohes
Ansehen in unserer Bevölkerung genießt. Deshalb
möchte ich dies zu Beginn meiner Rede deutlich heraus-
stellen und den Soldatinnen und Soldaten meinen herzli-
chen Dank sagen, die in 50 Jahren dafür gesorgt haben,
dass Frieden, Freiheit und Sicherheit in unserem Land
gewährleistet werden – und dies teilweise auch in ge-
fährlichen Einsätzen. Deshalb noch einmal mein herzli-
cher Dank an die Soldatinnen und Soldaten für ihren
Einsatz.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in den Koalitionsverhandlungen in diesem
Bereich eine gute gemeinsame Grundlage gefunden. Ich
möchte daher meinem Amtsvorgänger, dem Kollegen
Peter Struck, für seine Arbeit und seinen Dienst für un-
ser Land während seiner Amtszeit als Bundesminister
der Verteidigung danken.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


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(C (D Die Koalitionsvereinbarung ist, denke ich, eine gute rundlage für die Außenund Sicherheitspolitik. Die undeswehr befindet sich ja mitten in einem Transforationsprozess. Die Bundeswehr hat in den letzten 5 Jahren den Wandel erfolgreich gestaltet; sie ist zu eier Armee der Einheit und auch zu einer Armee im Einatz geworden. Sie dient der Friedenssicherung nach inen und nach außen (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


nd auch dem Ansehen unseres Landes im Ausland. Sie
eistet hier Hervorragendes.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Das internationale Engagement Deutschlands in den
ereinten Nationen, in der NATO und in der Europäi-
chen Union entspricht den Interessen und der Verant-
ortung unseres Landes. Ich möchte hervorheben, dass
ie NATO den starken Anker unserer Sicherheits- und
erteidigungspolitik darstellt. Die Allianz ist eine Werte-
emeinschaft; sie ist die Verbindung zwischen Europa
nd Amerika. Ich glaube, sie muss weiter ausgebaut und
ortentwickelt werden, weil das die Grundlage auch für
ie Sicherheit in unserem Land gewährleistet.

Wir nehmen auch in Europa unsere Verantwortung
ahr, und zwar gemeinsam an der Seite Nordamerikas.
ir werden diese gemeinsame Position fortentwickeln.

ch denke, dass die Stärkung der freundschaftlichen Be-
iehungen zu unseren Verbündeten, insbesondere zu den
ereinigten Staaten von Amerika, von hoher Bedeu-

ung ist.

Ich will in diesem Zusammenhang hinzufügen: Unser
and hat den Vereinigten Staaten von Amerika viel zu
erdanken. Ich denke dabei an den Aufbau unseres Lan-
es, an die Berliner Luftbrücke und an die deutsche Ein-
eit. Deshalb ist es richtig, dass die Sicherheit Deutsch-
ands im Bündnis mit den Vereinigten Staaten
ewährleistet wird. Wir werden diesen Weg auch in Zu-
unft gemeinsam gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ein starkes Europa ist der beste Partner für ein starkes
merika. Wir brauchen die Fortentwicklung der Euro-
äischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, um

m Bündnis wirkungsvoll zusammenzuarbeiten.

Mit der Beteiligung an den Einsätzen der Allianz und
er Europäischen Union zeigt Deutschland Solidarität
it den Verbündeten und Partnern, wird seiner interna-

ionalen Verantwortung gerecht und trägt damit zur Si-
herheit des eigenen Landes bei.

Die Veränderung der Lage wird dadurch deutlich,
ass sich auf Grundlage der Beschlüsse des Deutschen
undestages die Bundeswehr mittlerweile in Auslands-
insätzen vom Balkan über das Horn von Afrika bis
ach Afghanistan mit über 6 000 Soldatinnen und Solda-
en befindet. Dass dies gefährliche Einsätze sind, muss-
en wir leider Gottes in den letzten Wochen wieder zur

340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
Kenntnis nehmen. Ich glaube daher, dass gerade dieses
Parlament unsere Soldatinnen und Soldaten bei ihren ge-
fährlichen Einsätzen besonders unterstützen muss, weil
sie der Sicherheit unseres Landes dienen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


In meine Überlegungen beziehe ich ein, dass wir den
Reformprozess weiter politisch begleiten müssen. Aber
wir müssen auch die finanziellen Grundlagen schaffen,
damit diese Einsätze auch in Zukunft gewährleistet wer-
den können. Man kann nämlich nicht verantworten, Sol-
datinnen und Soldaten in solch gefährliche Einsätze zu
schicken, ohne die finanziellen Grundlagen und die
Grundlagen für Ausbildung und Ausrüstung zu schaffen.
Diese Grundlagen sind aber notwendig, damit solche
Einsätze verantwortet werden können.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Es ist richtig, dass die Angehörigen der Bundeswehr
und ihre Familien Planungssicherheit brauchen. Deshalb
haben wir in der Koalitionsvereinbarung beschlossen,
dass wir an den getroffenen Stationierungsentschei-
dungen festhalten. Aber wir brauchen auch ein klares
Bekenntnis zur Situation der Bundeswehr, was ihre Aus-
rüstung und ihre Positionierung angeht. Deshalb bin ich
froh und glücklich darüber, dass wir gemeinsam be-
schlossen haben, an der allgemeinen Wehrpflicht fest-
zuhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist längst keine allgemeine Wehrpflicht mehr!)


Die allgemeine Wehrpflicht hat sich bewährt. Nach
über 50 Jahren Bundeswehr und ihrer positiven Ent-
wicklung kann man feststellen, dass die Verwurzelung
der Bundeswehr mit der Demokratie ein besonderer As-
pekt der Wehrpflichtarmee ist. Auch aus diesem Grunde
sollte man an der Wehrpflicht festhalten und sie fortent-
wickeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Verteidigung bedeutet in der Welt der Globalisierung,
Gefahren von deutschem Territorium fernzuhalten. Des-
halb prägen die Einsatzerfordernisse Fähigkeiten, Aus-
rüstung und Ausbildung der Bundeswehr. Wir gehen die-
sen Weg konsequent weiter und damit bleibt die
Bundeswehr im internationalen Friedenseinsatz und in
der internationalen Gefahrenabwehr leistungsfähig –
im engen Zusammenwirken mit unseren Verbündeten
und Partnern.

Das heutige Verständnis von Verteidigung schließt
aber den direkten Schutz Deutschlands vor neuartigen
Bedrohungen wie den internationalen Terrorismus ein.
Die Bundeswehr muss daher ihre Fähigkeiten auch im
Inland bei Katastrophen und zum Schutz Deutschlands
einbringen. Auch in Ansehung der Verhandlungen vor
dem Bundesverfassungsgericht über das Luftsicherheits-
gesetz haben wir vereinbart, dass wir, wenn es notwen-

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(C (D ig ist, in Bezug auf dieses Gesetz eine rechtliche Klartellung vornehmen, damit derartige Einsätze auf esicherter Grundlage verantwortet werden können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darüber hinaus ist es natürlich so, dass die Bundes-
ehr beispielsweise im Katastrophenschutz und in ande-

en Notsituationen entsprechende Unterstützung leistet.
ch will nur kurz erwähnen, dass die Bundeswehr bei
em Stromausfall im Münsterland selbstverständlich da-
ür Sorge getragen hat, dass die Menschen in dieser
chwierigen Situation ausreichend Verpflegung hatten.
udem wurden beispielsweise Unterkünfte für
00 Menschen zur Verfügung gestellt. 900 Soldaten wa-
en im Einsatz, um dafür zu sorgen, Menschen zu bergen
nd Stromerzeugungsaggregate zur Verfügung zu stel-
en.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür brauchen wir keine Bundeswehr! Die gibt es im Baumarkt!)


uch im Bereich der Katastrophenhilfe und der Nothilfe
n unserem Land hat die Bundeswehr wichtige Funktio-
en.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sicherheit umfasst heute ganz neue Dimensionen.
eshalb brauchen wir grundsätzlich eine sicherheitspoli-

ische Standortbestimmung in Deutschland. Daher haben
ir vereinbart, dass wir im nächsten Jahr ein Weißbuch
orlegen – denn das letzte Weißbuch stammt aus dem
ahre 1994 –, womit wir dafür Sorge tragen wollen, dass
ie sicherheitspolitische Diskussion in Deutschland vo-
ankommt. Wir wollen darin eine gemeinsame Standort-
estimmung vornehmen und zu einem gemeinsamen
erständnis von Sicherheit und zu einer sicherheitspoli-

ischen Gesamtstrategie kommen. Ich glaube, das ist not-
endig. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir ein der-

rtiges Weißbuch vorlegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Lassen Sie mich abschließend sagen: Unsere Solda-
innen und Soldaten genießen zu Recht großes Vertrauen
nd Anerkennung. Aus dem Primat der Politik ergibt
ich für uns gegenüber der Bundeswehr die Verpflich-
ung, eine Politik auf der Grundlage von Verantwortung,
erlässlichkeit und Gemeinsamkeit zu gestalten. Wir
ollen gemeinsam erfolgreich arbeiten: für Frieden und
reiheit und für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bür-
er in Deutschland.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600604100

Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDP-

raktion.


(Beifall bei der FDP)


Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 341


(A) )



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Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1600604200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Jung, zunächst einmal Glückwunsch zur
Übernahme der Befehls- und Kommandogewalt über die
Bundeswehr! Sie haben ein äußerst verantwortungsvol-
les Amt übernommen. Bei keinem anderen Minister ha-
ben Entscheidungen, wie dies bei Ihnen der Fall ist, ei-
nen so direkten Einfluss auf das Wohl und auf Leib und
Leben der Menschen, für die Sie Verantwortung tragen.
Deshalb wünsche ich Ihnen im Namen der FDP-Fraktion
für die Ausübung Ihres Amtes stets eine glückliche
Hand.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die deutschen Streitkräfte leisten Herausragendes,
nicht nur in Afghanistan oder auf dem Balkan. Die Sol-
datinnen und Soldaten leisten Herausragendes im Rah-
men aller Einsätze im Ausland, aber auch bei ihrem
Dienst in der Heimat, an ihren Standorten in Deutsch-
land. Herr Minister Jung, Sie können sich auf eine vor-
bildlich funktionierende Truppe verlassen. Dafür ge-
bührt den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den
zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundes-
wehr Dank und Anerkennung.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Es ist erfreulich, dass dieser Dank und diese Anerken-
nung von einer so großen Mehrheit dieses Hauses geteilt
werden. Unverständlich ist allerdings für uns, wie SPD
und Union beschließen konnten, den Wehrpflichtigen
das Weihnachts- und Entlassungsgeld zu streichen,


(Zurufe von der SPD: Was?)


das Weihnachtsgeld der Zeit- und Berufssoldaten zu hal-
bieren oder die bislang steuerfreien Übergangsbeihilfen
der Zeitsoldaten zukünftig zu besteuern. Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren von CDU/CSU und SPD, da-
von sind jährlich 65 000 Wehrpflichtige, 130 000 Zeit-
und 60 000 Berufssoldaten, also die gesamten Streit-
kräfte, betroffen.


(Zuruf von der SPD: Wer hat das beschlossen?)


Ich frage Sie: Ist das Ausdruck von Dank und Anerken-
nung?


(Beifall bei der FDP)

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages

warnte vor wenigen Tagen eindringlich vor weiteren
Einkommenskürzungen. Er hat festgestellt, dass Wehr-
pflichtige einen geringeren Tagessold bekommen als
Putzfrauen an Stundenlohn, und der ist wahrlich nicht
hoch. Ist das in den Augen der Regierung Ausdruck von
Dank und Anerkennung?

Herr Minister Jung, Sie haben sich ausdrücklich ge-
gen die Kürzungen gewandt. Dabei haben Sie unsere
volle Unterstützung. Setzen Sie die Rücknahme der Be-
schlüsse im Sinne der Soldatinnen und Soldaten durch!


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/ CSU: Bisher haben wir ja noch nichts beschlossen!)


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(C (D Herr Minister, Sie haben in den letzten Tagen geäuert, wieder mehr Wehrpflichtige einberufen zu wollen. abei haben wir 55 000 Dienstposten und wissen, dass ir eigentlich kein Geld haben, die Zahl der Stellen aus uweiten. Auch mit den angedachten Kürzungen passt as nicht zusammen. Die FDP ist der Meinung, dass wir ie Aussetzung der Wehrpflicht brauchen. Sie ist nämich weder sicherheitspolitisch erforderlich noch gesellchaftspolitisch vermittelbar. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


enn heute nicht einmal mehr jeder fünfte pflichtdienst-
augliche junge Mann zum Dienst in der Bundeswehr he-
angezogen wird, hat das mit Gerechtigkeit nichts mehr
u tun.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In Ihrem Koalitionsvertrag steht:

Die Bundesregierung bekennt sich zur Allgemeinen
Wehrpflicht. Diese Dienstpflicht ist nach wie vor
die beste Wehrform.

er nach einer Begründung sucht, findet sie nicht. Sie
leiben sie schuldig. Ich frage mich daher: Ist dies viel-
eicht deshalb die beste Wehrform, weil Wehrpflichtige
o preiswert zu haben sind oder weil sich die Dienst-
flichtigen nicht wehren können, wenn der Sold jahre-
ang nicht erhöht wird oder plötzlich über die Streichung
es Weihnachtsgelds gesprochen wird? Oder kann man
us dem Kreis der Wehrpflichtigen leichter den notwen-
igen Nachwuchs an Zeitsoldaten rekrutieren? Meine
amen und Herren der Koalition, das ist keine taugliche
rgumentation. Die allgemeine Wehrpflicht war zu Zei-

en des Kalten Krieges, als es ausschließlich um die Ver-
eidigung des Landes ging, die einzig richtige Wehrform.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie war damals schon falsch!)


ir wissen aber alle, dass diese Zeiten vorbei sind. Die
undeswehr ist eine Armee im Einsatz.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Aber auch der Landesverteidigung!)


eswegen ist diese Argumentation nicht mehr akzepta-
el.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Minister Jung, ich möchte mich noch einmal di-
ekt an Sie wenden. Sie haben in der „Welt“ gesagt:

... die Wehrpflicht ist die Grundlage für unsere de-
mokratische Armee.

iese Behauptung ist ebenso falsch wie die erste.


(Beifall bei der FDP)


ie sollen denn die 40 000 jungen Männer, die die Ar-
ee in ihrem neunmonatigen Pflichtdienst nur flüchtig

ennen lernen, die Entwicklung und das Selbstverständ-
is der Bundeswehr bestimmen? Was ist eigentlich mit

342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


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Birgit Homburger
den 60 000 Berufs- und den 130 000 Zeitsoldaten? Wel-
chen Einfluss auf die Entwicklung und das Selbstver-
ständnis der Bundeswehr haben nach Ihrer Auffassung
eigentlich die knapp 40 000 Offiziere und 130 000 Un-
teroffiziere? Wirken sie nicht viel mehr bestimmend als
die Wehrpflichtigen? Unsere Zeit- und Berufssoldaten
sind Staatsbürger in Uniform. Sie leisten allein schon
aufgrund ihrer Anzahl einen deutlich höheren Beitrag
bei der Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Markus Meckel [SPD] und des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Minister, Sie haben ein neues Weißbuch ange-
kündigt. Das ist in der Tat überfällig; das letzte stammt
aus dem Jahr 1994, auf den Weg gebracht von den Mi-
nistern Volker Rühe und Dr. Klaus Kinkel. In den sieben
Jahren der rot-grünen Bundesregierung gab es nur ent-
sprechende Ankündigungen. Das ist eine unverantwort-
liche Nachlässigkeit. In den letzten zehn Jahren, in den
Jahren des größten Umbruchs in der deutschen Sicher-
heitspolitik, gab es keinerlei wegweisende Festlegung
der Aufgaben und der Zusammenarbeit der für die Si-
cherheit verantwortlichen Institutionen im Rahmen einer
umfassenden nationalen Sicherheitsvorsorge. Wir hof-
fen, dass sich dieser Zustand rasch ändert, und sagen un-
sere konstruktive Begleitung bei der Erarbeitung des
Weißbuchs zu.

Darüber hinaus geht die FDP-Fraktion fest davon aus,
dass die Bundesregierung in dem Weißbuch auch die
Kriterien für die Beteiligung der Bundeswehr an interna-
tionalen Auslandseinsätzen definiert. Das ist eine Auf-
gabe, der wir uns stellen müssen. Wir können nicht jedes
Mal aus dem Bauch heraus entscheiden. Es muss klare
Kriterien geben. Diese müssen sich in dem Weißbuch
wiederfinden.


(Beifall bei der FDP)


In gleicher Weise werden wir die Statusfrage des
Kosovo bei allen Zeitplanungen für den Transforma-
tionsprozess hin zu einer gefestigten innenpolitischen
Struktur verfolgen. Nachdem der UN-Sicherheitsrat jetzt
grünes Licht für den Statusprozess gegeben hat, ist es
absolut unerlässlich, dass die Bundesregierung den Sta-
tusunterhändler der UN, Expräsident Martti Ahtisaari, in
jeder Weise unterstützt. Sobald es das Umfeld des Ein-
satzes zulässt, muss die militärische Präsenz reduziert
und die zivile Hilfe erhöht werden. Das Ziel dieser Maß-
nahme ist, dass wir beim Übergang in demokratische
Strukturen mithelfen.


(Beifall bei der FDP)


Wir begrüßen ausdrücklich, dass das Parlamentsbetei-
ligungsgesetz die Verfahrensgrundlage der konstitutiven
Entscheidung des Deutschen Bundestages über Aus-
landseinsätze der Bundeswehr bleiben soll. Wir, die
FDP-Bundestagsfraktion, sind ohne Wenn und Aber für
die Beibehaltung der Parlamentsarmee. Parlamentsar-
mee ist kein Selbstzweck. Wenn man sich die Diskussio-
nen im Deutschen Bundestag über Einsätze der Bundes-
wehr ansieht, kann man sagen, dass noch jede Beratung

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(C (D u Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten im insatz geführt hat. Ich möchte zum Schluss sagen, dass die Ausstattung nd Bewaffnung der Streitkräfte uns schon Sorgen mahen. Es ist enttäuschend, welche lapidaren Sätze in der oalitionsvereinbarung stehen. Damit ist den deutschen oldatinnen und Soldaten in Afghanistan überhaupt icht geholfen; denn nur die Hälfte ihrer Fahrzeuge bieet Schutz gegen Sprengstoffund Minenanschläge. Da it ist im Übrigen auch dem Heer nicht geholfen, dessen usrüstung weiter veraltet. Einen Silberstreif am Hori ont gibt es da nicht. Wir hören wohl die Ankündigunen, dass es eine bestmögliche Ausrüstung der Bundesehr geben soll, aber leider sehen wir im Augenblick och nicht, wie Sie das erreichen wollen. Wir sagen Ihen klar und deutlich: Den Worten müssen Taten folgen. enn sie das tun, haben Sie die Unterstützung der FDPundestagsfraktion. Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird die undesregierung auf dem Feld der Sicherheitsund erteidigungspolitik konstruktiv, aber eben auch kritisch egleiten. Im Mittelpunkt unseres gesamten Handelns erden die Menschen stehen, unabhängig davon, ob in niform oder in Zivil. Vielen Dank. Ich erteile das Wort Kollegen Walter Kolbow, SPD raktion. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! eine Damen und Herren! Herr Bundesminister, ich ratuliere Ihnen zu Ihrer Jungfernrede im Deutschen undestag. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


(Beifall bei der FDP)


(Beifall bei der FDP)


(Beifall bei der FDP)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600604300
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1600604400

s ist auch Ihre erste Rede als Inhaber der Befehls- und
ommandogewalt. Frau Kollegin Homburger hat das
wie so häufig, aber leider nicht immer – charmant und

reffend gewürdigt.


(Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Die SPD-Bundestagsfraktion sichert Ihnen, Herr Bun-
esminister, eine konstruktive, kooperative und gute
usammenarbeit zu. Da der frühere Bundesverteidi-
ungsminister und meine Wenigkeit in der SPD-Bundes-
agsfraktion aufgrund deren Beschlüsse einflussreiche
mter ausüben dürfen, ist eine solche Zusammenarbeit
it der Breite unserer Fraktion auch gewährleistet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 343


(A) )



(B) )


Walter Kolbow
Ich denke, Frau Kollegin Homburger, dass wir Be-
schlüsse erst kritisieren können, wenn sie denn gefasst
sind. Der Erste, der sich gegen die Einbeziehung der Bun-
deswehr in die berühmt-berüchtigte 1 Milliarde Euro, die
bei Einsparungen im öffentlichen Bereich zu erbringen
sind, gewandt hat, war der ehemalige Verteidigungsmi-
nister und jetzige Fraktionsvorsitzende. Also kritisieren
Sie uns nicht schon, bevor Sie die Tatsachen kennen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich denke, Sie müssten dann später sagen: Aha, es ist
doch nicht eingetreten, was ich hier schon als beschlos-
sen dargestellt habe. Bleiben Sie also bitte bei der Wirk-
lichkeit!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Koalitionsvertrag und die Debatte über die Re-
gierungserklärung haben gerade hinsichtlich des sicher-
heitspolitischen Bereichs deutlich gemacht, dass sich die
Koalitionsparteien mit der Bundesregierung in der Um-
setzung der europäischen Sicherheitsstrategie wiederfin-
den wollen. Denn sie verbindet eine vorausschauende
Friedenspolitik, Fähigkeiten zur Prävention und das Set-
zen auf Verhandlungslösungen bei Konflikten mit dem
Ausbau der Fähigkeiten zu gemeinsamen militärischen
Handlungen.

Dabei stellt sich die Frage: Welchen globalen sicher-
heitspolitischen Bedrohungen sehen wir uns heute ge-
genüber und wie müssen wir vor diesem Hintergrund
– allerdings nicht aus dem Bauch heraus, Frau Kollegin
Homburger – in verantwortlicher Weise unsere parla-
mentarischen Entscheidungen treffen, wenn es um Aus-
landseinsätze geht?

Deswegen, denke ich, ist es ganz wichtig, dass wir
uns bewusst sind, dass der Generalsekretär der Vereinten
Nationen, Kofi Annan, fünf wesentliche Gruppen von
Bedrohungen identifiziert hat: Armut, Seuchen und
Umweltzerstörung, international organisierte Kriminali-
tät, zwischenstaatliche und innerstaatliche Konflikte,
Massenvernichtungswaffen und ihre illegale Verbreitung
sowie den internationalen Terrorismus. Das ist mit dem
Gewaltmonopol der Vereinten Nationen zu verbinden,
wenn es denn notwendig ist.

Auch denke ich, dass die neue Fraktion in diesem
Hause, wenn wir über UNMIS entscheiden – wie es also
im Süden des Sudans weitergehen soll –, überprüfen
muss, wo sie steht, wenn es darum geht, Menschen auch
mit militärischen Maßnahmen zu helfen und sie zu ret-
ten.


(Beifall bei der SPD)


Wir sind auch hier im Parlament weite Wege gegan-
gen, um zu solchen Entscheidungen zu kommen.

Aus militärpolitischer, aber auch aus sicherheitspoliti-
scher Sicht sind die wesentlichen Bedrohungen die
durch den internationalen Terrorismus, durch die Ver-
breitung von Massenvernichtungswaffen sowie durch
zwischenstaatliche und innerstaatliche Konflikte. Sie
müssen genau analysiert werden, bevor wir unsere Ent-

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(C (D cheidungen treffen. Das haben wir auch getan und aus en neuen Bedrohungslagen Schlussfolgerungen gezoen. Die deutsche Antwort ist anhand der drei Grundpfeier unserer Außen-, Sicherheitsund Verteidigungspoliik plakativ zu erläutern: Deutsche Sicherheitspolitik st umfassend, multinational und präventiv. Im Zeitalter er Globalisierung sind Sicherheit und Verteidigung icht mehr geographisch und inhaltlich einzugrenzen. ie neuen Bedrohungen und Herausforderungen machen s erforderlich, die Gewährleistung von Sicherheit nicht llein auf polizeiliche oder militärische Mittel zu stüten. Unser neues sicherheitspolitisches Umfeld verlangt in unehmendem Maße nach Antworten, die den vielfältien, oft nicht militärischen Ursachen von Gewalt und Intabilität gerecht werden, und nach Antworten, die dem enannten Bedrohungsund Risikospektrum entsprehen und sowohl zur Prävention und zur langfristigen ntschärfung von Bedrohungen unserer Sicherheit wie uch zu ihrer unmittelbaren Bekämpfung beitragen. Ich denke, dieser umfassende deutsche Ansatz, den ir, liebe Kolleginnen und Kollegen von der grünen raktion, miteinander erarbeitet haben, begegnet nicht ediglich den Symptomen von Konflikten, sondern er etzt an ihren Wurzeln an. Es kommt also nicht allein arauf an, terroristische Taten zu verhindern, sondern uch darauf, dem Heranwachsen neuer Täter vorzubeuen. Dazu gehören – denn im Weiteren wäre es immer öglich, Streitkräfte einzusetzen – auch die Bekämp ung von Armut und Arbeitslosigkeit, ie Verbreitung von Menschenrechten und demokratichen Werten – das hat der Kollege Weisskirchen gestern n seiner beeindruckenden Rede zum Schluss der außenolitischen Debatte dargestellt – ie auch die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe. Bei der Umsetzung benötigen wir alle, Frau Kollegin omburger, natürlich Einfühlungsvermögen. Wir sind mmer sehr stark mit unseren Emotionen dabei. Aber wir rauchen natürlich auch ein umfassenderes Verständnis remder Kulturen und Religionen; denn wir müssen alles elehrende vermeiden. Auch das haben unsere Soldatinen und Soldaten im Rahmen ihrer Auslandseinsätze uner Beweis gestellt. Sie waren nicht nur Botschafter, sonern sie haben auch zivil-militärische Zusammenarbeit raktiziert, dadurch Eigenschutz betrieben, Bedrohunen vermindert und dem Land und den Leuten geholfen. as ist beeindruckend und verdient Dank und Anerkenung. Meine Damen und Herren, auch der zweiten Säule nserer Sicherheitspolitik, dem Handeln im multinatioalen Rahmen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit idmen. Krisenbewältigung einschließlich der Verhü ung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus 344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 Walter Kolbow kann aus unserer Sicht am nachhaltigsten unter dem Dach und mit der Mandatierung der Vereinten Nationen, von NATO, Europäischer Union und OSZE sichergestellt werden. Die Reform der Vereinten Nationen muss auch in diesem Zusammenhang gesehen werden. Denn die Vereinten Nationen sind die einzige politische Institution mit universellem Charakter; sie haben das Gewaltmonopol. Laut der Charta der Vereinten Nationen trägt ja der Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Herr Kollege Gysi, sie haben gestern das Völkerrecht apostrophiert. Ich respektiere das. Aber bei Entscheidungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist es doch nichts anderes als das Völkerrecht, das eine Rolle spielt, und dem haben auch wir uns verpflichtet. Ich denke, dass Sie sich zu Herzen nehmen sollten, was Heribert Prantl in Bezug auf Sie gestern in der „Süddeutschen Zeitung“ geschrieben hat: dass man eine Linkspartei nicht mit gehobenem Schabernack repräsentiert. Zurzeit beteiligt sich Deutschland mit Militärbeobachtern an den UN-geführten Beobachtermissionen in Georgien, Äthiopien und Eritrea sowie im Sudan, bei der in diesen Tagen eine Verlängerung des Mandates ansteht. Zu den schon angesprochenen UN-mandatierten Einsätzen SFOR und KFOR leistet die Bundeswehr maßgebliche Beiträge. Ich unterstütze, was Sie gesagt haben zum Einflussnehmen auf die redlichen und wichtigen Bemühungen des UN-Beauftragten dort, des ehemaligen finnischen Ministerpräsidenten. Auch bei ISAF in Afghanistan leisten wir maßgebliche Beiträge – im Sinne und unter Ausgestaltung ebendes Völkerrechtes. Herr Minister, bei dem, was Sie zur NATO und zur Europäischen Union gesagt haben, bin ich mit Ihnen ganz auf einer Linie. Ich denke, dass der Besuch der Bundeskanzlerin bei der NATO, bei Generalsekretär de Hoop Scheffer – am ersten Tag ihrer Auslandsreisen – nicht nur ein gutes und richtiges Signal war, sondern dass das auch zum Ausdruck gebracht hat, dass wir nicht nur bündnisfähig, sondern auch im Bündnis aktiv und verantwortungsbereit sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


(Zurufe von der FDP: Na, Na!)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


(A) )


(B) )


(Beifall bei der SPD)


Die aktuellen Diskussionen über die NATO der
Zukunft – wir erinnern uns an die Münchener Sicher-
heitskonferenz vom Februar 2005 – zeigen, dass auch bei
unseren Freunden und Alliierten unbestritten ist, dass
Handlungsbedarf zur Wiederbelebung des politischen
und strategischen Dialogs in der NATO besteht. Auch in
der Nordatlantischen Versammlung werden wir sicher-
lich daran arbeiten und damit auch das transatlantische
Bündnis, die transatlantischen Beziehungen Europa-
USA, Deutschland-USA auf eine richtige Basis stellen.
Die Beschlussfassungen der Koalitionsfraktionen und
der Bundesregierung weisen hier den richtigen Weg.
NATO und EU sind keine Gegensätze, sondern ergänzen

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(C (D ich. Die EU kann weiterhin zentrale Beiträge zur Bewäligung der sicherheitspolitischen Herausforderungen der ukunft leisten. Die dritte Säule deutscher Sicherheitspolitik besteht n der Prävention von Konflikten. Wenn wir sie mit ngagement und politischem Willen betreiben, wird sie um Ergebnis haben, dass wir hier im Parlament nicht zu äufig über Auslandseinsätze debattieren müssen, sonern dass durch die Qualität unserer präventiven Politik uf allen Ebenen gewährleistet wird, dass der Einsatz ilitärischer Mittel die Ultima Ratio bleibt. Ich darf eshalb auch noch einmal an den von der alten Bundesegierung im Mai 2005 verabschiedeten Aktionsplan Zivile Krisenprävention und Konfliktlösung und Frieenskonsolidierung“ erinnern, der unseren Willen, dass räventive Maßnahmen Vorrang haben, unterstreicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brau-
hen – bei Beibehaltung des Kernauftrages Landesver-
eidigung – die Transformation der Bundeswehr. Sie ga-
antiert am besten gut vorbereitete, ausgebildete und
usgerüstete Soldatinnen und Soldaten, die in den Bünd-
issen und in Zusammenarbeit mit der internationalen
taatengemeinschaft ihre Aufgaben für den Frieden in
er Welt erfüllen und die sicherheitspolitischen Heraus-
orderungen des 21. Jahrhunderts meistern. Wir sind auf
iesem Weg an Ihrer Seite und an der Seite der Bundes-
egierung.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600604500

Ich erteile das Wort Kollegen Paul Schäfer, Fraktion

ie Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Paul Schäfer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1600604600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

ehr geehrte Damen und Herren! In knapp 30 Tagen
eht das von der alten Bundesregierung ins Leben geru-
ene Einsteinjahr zu Ende. Wir haben in diesem Jahr
chöne, interessante und nachdenkenswerte Zitate von
instein gelesen, so am Kanzleramt, am Bundespresse-
mt und jetzt am Berliner Fernsehturm. Ich hätte mir ge-
ünscht, an der Fassade des Kanzleramtes folgendes
itat des großen Gelehrten lesen zu können:

Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die
Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau ein-
setzten.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Zehntel der Energien, ein Bruchteil des Geldes
wären ausreichend, um den Menschen aller Länder
zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen
und die Katastrophe der Arbeitslosigkeit zu verhin-
dern.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 345


(A) )



(B) )


Paul Schäfer (Köln)


(Beifall bei der LINKEN – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einstein hat Recht!)


Das klingt idealistisch. Inzwischen liegen die welt-
weiten Militärausgaben wieder über 1 Billion US-Dol-
lar. Knapp die Hälfte davon entfallen auf die USA, zwei
Drittel auf die NATO-Staaten insgesamt. Das ist ein rie-
sengroßer Brocken, der der Lösung der Probleme des
21. Jahrhunderts im Wege steht. Es wäre wichtig, sol-
chermaßen fehlgeleitete Ressourcen endlich auf soziale,
ökologische und entwicklungspolitische Zwecke zu kon-
zentrieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fürchte, dass auch diese Bundesregierung meinen
Wunsch nach diesem schönen Graffiti nicht erfüllen
wird; denn Abrüstung steht bei ihr nicht auf der Agenda.
Sie, Herr Verteidigungsminister, haben uns ja bereits
vorgewarnt, dass Sie für die mögliche Ausweitung von
Bundeswehreinsätzen noch mehr Geld als bisher geplant
benötigen. Dieses Geld wollen Sie aber nicht aus Ihrem
Etat aufbringen, sondern Sie wollen, dass das zulasten
anderer Haushalte geht. Sie sollten der Öffentlichkeit
rechtzeitig sagen, zu wessen Lasten die Finanzierung der
noch höheren Rüstungsausgaben gehen soll. Die Linke
bleibt dabei: Aufrüstung ist mit uns nicht zu machen.
Wir stehen für Rüstungsminderung.


(Beifall bei der LINKEN)


Doch bevor wir über Geld reden, sollten wir über das
Wozu sprechen. Bundespräsident Köhler hat auf der
Kommandeurstagung im Oktober zu einer solch breiten
gesellschaftlichen Debatte über Sicherheitspolitik und
Sicherheitsstrategie aufgefordert. Der pensionierte Vier-
sternegeneral Klaus Reinhardt hat in diesem Rahmen
eine, wie ich finde, spitze These geliefert – ich darf zitie-
ren –:

Mit Ausnahme von Osttimor und Mazedonien kann
keiner der Auslandseinsätze, an denen die europäi-
schen Soldaten beteiligt waren, als Erfolg bezeich-
net werden.


(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)


Der Mann weiß bestimmt, wovon er redet.


(Beifall bei der LINKEN)


Anstatt einfach immer nur weiterzumachen, sollte uns
eine solche Aussage zu gründlichem Nachdenken zwin-
gen.

Meine Damen und Herren, für die Fraktion Die Linke
gilt: Erstens. Die Streitkräfte sind gemäß § 87 a Grund-
gesetz zum Zwecke der Verteidigung des Landes aufge-
stellt. Der Hindukusch gehört nicht zum deutschen
Staatsgebiet.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland hat glo-
bale Verantwortung wahrzunehmen. Ich frage mich nur:
Warum kommen Sie in diesem Zusammenhang immer
gleich auf Soldaten?



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(C (D (Walter Kolbow [SPD]: Das habe ich Ihnen dargelegt! Nicht immer nur Soldaten!)


Darauf komme ich noch zu sprechen.

Drittens. Richtig ist, dass der Terror, Terrorgruppen
nd Terrornetzwerke bekämpft werden müssen. Aber der
on der Bush-Regierung ausgerufene unbegrenzte Krieg
egen den Terrorismus hat in eine Sackgasse geführt und
st zum Scheitern verurteilt.


(Beifall bei der LINKEN – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!)


Bei Peter Scholl-Latour können Sie nachlesen, dass in
ielen muslimischen Haushalten inzwischen das Bild
es Kapuzenmanns von Abu Ghureib aufgehängt ist –
leichsam das Menetekel an der Wand. Abu Ghureib,
uantanamo, die Brandbomben von Falludscha – der
ümmste Krieg seit Augustus –: Das wirft nicht nur ei-
en Schatten auf den Antiterrorkampf – so mögen Sie
as vielleicht empfinden –, das ist entschieden mehr, das
ommt eher Geschenken an al-Qaida gleich.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist eine Selbsttäuschung der Bundesregierung, man
önne neben diesem Krieg mit all seinen schmutzigen
omponenten einen sauberen Job als Entwicklungs- und
ufbauhelfer verrichten. Ich denke, man muss zu diesem
rieg „gegen das Böse in der Welt“ unmissverständlich

uf Distanz gehen. Das hat nichts damit zu tun, auf eine
errüttung des transatlantischen Verhältnisses hinauszu-
ollen, wie das der Kollege Schockenhoff vorgestern
einte. Es muss uns vielmehr darum gehen, die transat-

antischen Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stel-
en, nämlich auf die Grundlage eines kooperativen Mul-
ilateralismus und der Beachtung des Völkerrechts.


(Beifall bei der LINKEN)


Das muss im Übrigen dann aber auch für die Bundes-
egierung gelten. Beim Jugoslawienkrieg war das nicht
er Fall. Man hat sich nicht darauf bezogen.

Viertens. Wir wenden uns dagegen, dass den Streit-
räften immer mehr Aufgaben zugeschrieben werden,
ür die sie nicht gemacht sind und für die sie keine Lö-
ung bringen können. In diesem Zusammenhang sage
ch: Lassen Sie strikt die Hände von einer Ausweitung
es Einsatzes von Streitkräften im Innern. Bomben-
ttentate wie in London und Madrid sind durch Panzer
icht zu verhindern.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich nenne noch zwei andere Beispiele:

Erstes Beispiel, die ALTHEA-Mission in Bosnien.
ie Bundeswehr geht dort gegen Holzdiebstahl vor und

st dort mit Brückenbau beschäftigt. Ich frage mich: Wa-
um werden dort nicht Aufträge an regionale Unterneh-
en vergeben, um die dortige Wirtschaft auf die Beine

u bringen?


(Beifall bei der LINKEN)


346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Paul Schäfer (Köln)

Herr Minister, Sie haben in diesem Zusammenhang
jetzt selber eingeräumt, dass man überprüfen müsse, ob
man diese Auslandseinsätze umstrukturieren könne, weil
es nicht sein dürfe, dass die Bundeswehr quasi die Funk-
tionen einer Hilfspolizei übernehme. Diese Spur sollten
Sie weiterverfolgen. Wir werden in diesem Sinne bean-
tragen, die militärische ALTHEA-Mission zu beenden
und in eine internationale Polizeimission umzuwandeln.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweites Beispiel. Laut Koalitionsvertrag soll die Bun-
deswehr bei der territorialen Absicherung der Grenzen
des Bündnisgebietes helfen. Das ist interessant. Glau-
ben Sie wirklich, dass sich das Problem des Zuwande-
rungsdrucks mit dem sechs Meter hohen Zaun von Me-
lilla, den elektronischen Überwachungssystemen von
Andalusien und den Fregatten und Schnellbooten der
NATO lösen lässt? Ich glaube nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


An anderer Stelle hat sich die Bundeswehr als hilf-
reich erwiesen. Ich danke den Soldatinnen und Soldaten,
die Hilfsgüter für die Erdbebenopfer nach Pakistan ge-
bracht haben. Angesichts der 400 000 Menschen, die
dort noch immer ohne Unterkunft sind, möchte ich die
Bundesregierung dringend bitten, ihr Engagement dort
zu verstärken.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir regen in diesem Zusammenhang an, die vorhande-
nen Kapazitäten und Fertigkeiten der Bundeswehr aus-
zugliedern und in einem zivilen Katastrophenhilfskorps
zu bündeln.

Meine Damen und Herren, ich wollte noch etwas zur
Bundeswehrreform und den aktuellen Zahlen sagen, die
deutlich machen, dass von einer Wehrgerechtigkeit über-
haupt keine Rede mehr sein kann. Deshalb sollte die
Wehrpflicht endlich und unwiderruflich aufgehoben
werden.

Lassen Sie mich mit einem Ceterum censeo schlie-
ßen, das wir Ihnen in den nächsten Monaten nicht erspa-
ren können und immer wieder einbringen werden: Die
Atomsprengköpfe in Büchel und Ramstein sind unver-
züglich abzuziehen und zu zerstören.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der LINKEN: Bravo!)


Gerade mit Blick auf die bedrohlichen Entwicklungen
im Iran füge ich hinzu: Wer Nuklearwaffen besitzt oder
wer nukleare Teilhabe praktiziert, der kann von anderen
schlecht nukleare Enthaltsamkeit fordern. Sowohl im
Nahen Osten als auch bei uns führt der Weg hier nur
über die allgemeine Abrüstung.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600604700

Herr Kollege Schäfer, dies war Ihre erste Rede im

Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation dazu.


(Beifall)


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(C (D Ich erteile nun das Wort Kollegen Winfried Nachtwei, raktion Bündnis 90/Die Grünen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ehr geehrter Minister Jung, als Oppositionsfraktion ünschen wir Ihnen als neuem Verteidigungsminister, er Sie eine ganz besondere Verantwortung unter den inistern haben, eine glückliche Hand für eine Politik er Gewaltverhütung und Gewalteindämmung im ienste kollektiver Sicherheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1600604800

Auch als so genannte Einsatzarmee ist und bleibt die
undeswehr weiterhin eine Parlamentsarmee. In der
oalitionsvereinbarung ist ein Prüfauftrag formuliert
orden: Sollte sich angesichts neuer Erfahrungen ein
Zitat – „Bedarf zur Weiterentwicklung ergeben, so
erden die Koalitionsfraktionen Initiativen einbringen“.
as ist zunächst eine Selbstverständlichkeit.

Zugleich muss ich aber von Vornherein klarstellen:
ie Überprüfung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes
arf nicht zum Einfallstor für die Unionsforderung aus
er letzten Legislaturperiode werden, nämlich die Parla-
entsbeteiligung im Falle der NATO Response Force

u lockern. Würden solche potenziell härtesten und ris-
antesten Einsätze der Bundeswehr vom Parlamentsvor-
ehalt ausgenommen, so wäre die Parlamentsbeteiligung
m Mark getroffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


ch gehe davon aus und hoffe, dass eine übergroße
ehrheit des Bundestages eine solche Selbstentmach-

ung des Bundestages nicht mitmachen würde.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Zur anderen Seite des Hauses, zur Fraktion Die
inke, sage ich: In Sachen Friedens- und Sicherheitspo-

itik sind wir als grüne Fraktion ausdrücklich an einer
rnsthaften und echten Auseinandersetzung mit Ihnen
nd selbstverständlich auch mit den anderen Fraktionen
nteressiert. Die Herausforderungen auf diesem Feld
ind inzwischen allerdings so groß und dynamisch, dass
ir es uns ersparen sollten, allzu viel aneinander vorbei-

ureden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


estatten Sie deshalb ein paar grundsätzliche Klarstel-
ungen, die ich bereits in der vorherigen Legislatur-
eriode von diesem Platz aus schon häufiger gemacht
abe. Aber zu Beginn einer Legislaturperiode ist eine
iederholung angebracht:

Erstens. In der Tat wird nach unserer Auffassung
eutschland nicht am Hindukusch verteidigt. Dort geht

s gerade um zentrale und kollektive Sicherheitsinte-
essen und auch um zentrale europäische und deutsche
icherheitsinteressen, aber nicht um die Existenz der

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 347


(A) )



(B)


Winfried Nachtwei
Bundesrepublik und nicht um die Wahrnehmung eines
nationalen Selbstverteidigungsrechts Deutschlands. Das
ist die erste Klarstellung.

Zweitens. Einsätze bewaffneter Streitkräfte dürfen
ausschließlich auf Grundlage der Verfassung und des
Völkerrechts erfolgen. Laut Grundgesetz und Urteil des
Bundesverfassungsgerichts von 1994 darf die Bundes-
wehr außerhalb der Landesverteidigung nur im Rahmen
von Systemen kollektiver Sicherheit zum Zweck der
Friedenssicherung und der Durchsetzung internationalen
Rechts eingesetzt werden. Mit anderen Worten: nur für
Ziele der Vereinten Nationen und nach den Regeln der
Vereinten Nationen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Es gilt die Präambel der Vereinten Nationen – es ist
wichtig, sie immer wieder einmal durchzusehen –: Ers-
tens. Krieg ist eine Geißel der Menschheit. Zweitens. Es
gilt das Gebot der internationalen Friedenssicherung und
des internationalen Gewaltverbots. Drittens – auch das
steht in der Präambel –: Waffengewalt ist nur im ge-
meinsamen Interesse zulässig.

Nun zum Koalitionsvertrag und dem, was in Zukunft
nötig ist: Die Bundeskanzlerin will mit der großen
Koalition mehr Freiheit wagen. In Sachen Wehrpflicht
tun Sie genau das Gegenteil.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Mit schwachen Argumenten halten Sie an einer Grund-
rechtseinschränkung fest, die vor allem von den betrof-
fenen jüngeren Menschen in keiner Weise mehr nach-
vollzogen werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen vom ehemaligen
Koalitionspartner SPD, mehr Demokratie wagen er-
scheint in diesem Bereich genau entgegengesetzt. Eine
innerparteiliche Willensbildung zu dieser Streitfrage
wurde zunächst vertagt, dann noch einmal vertagt und
anschließend auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verscho-
ben.


(Widerspruch bei der SPD – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bitter!)


Inzwischen haben wir mehr als zehn Jahre Erfahrung
mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr und mit deut-
schem Engagement in Krisenregionen insgesamt. Ange-
sichts wachsender Ernüchterung in den letzten Jahren ist
eine große und umfassende Zwischenbilanz und Aus-
wertung dieses Engagements angesagt. Was wurde er-
reicht, was wurde nicht erreicht? Wo gab und gibt es
gute Ansätze, wo Lücken?

Eine solche Bilanzierung ist die notwendige Voraus-
setzung für eine deutsche Sicherheitsstrategie. Auf der
europäischen Ebene haben wir inzwischen ein solches
strategisches Dokument. Auf der Ebene der Vereinten

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(C (D ationen – Kollege Kolbow hat das angesprochen – gibt s mit dem Bericht von Kofi Annan und der High Level roup ebenfalls Dokumente strategischer Dimension. ber auf deutscher Ebene fehlt ein solches Dokument. as müssen wir angehen. Eine solche Sicherheitsstrateie ist notwendig, um einen klareren außenund sichereitspolitischen Kurs zu fahren. Sie ist auch für mehr ohärenz und Transparenz notwendig. In den letzten Jahren hat es aus nachvollziehbaren ründen eine regelrechte Entgrenzung deutscher Sichereitspolitik gegeben. Ich glaube, jetzt ist es angesagt, ich über neue Grenzen zu verständigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Rainer Stinner [FDP]: Jetzt, wo Sie in der Opposition sind!)


Nein. Sie waren bei den verteidigungspolitischen De-
atten in der letzten Legislaturperiode möglicherweise
icht dabei. Das ist regelrecht ein Mantra von mir. Das
st keine neue Erkenntnis.

Zur Abrüstung: Dabei hat natürlich auch die Frage
er nuklearen Teilhabe einen besonderen Stellenwert. In
er Tat ist die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik
ölliger Unsinn und lässt sich nicht mehr begründen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eine umfassende, auf Gewaltvorbeugung ausgerich-
ete Sicherheitspolitik braucht Fähigkeiten, die am
edarf orientiert und ausgewogen sind. Bei den Be-

chaffungen der Bundeswehr sind – angefangen bei der
ritten Tranche des Eurofighter – erhebliche Korrektu-
en nötig und möglich.

Sicherheitspolitik, die wirksam und gleichzeitig Frie-
enspolitik sein soll, erfordert vor allem bessere Fähig-
eiten zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und
riedenskonsolidierung. Hier sind in den vergangenen
ieben Jahren sehr wichtige Fortschritte erzielt worden.
s war eine ausdrückliche Erleichterung, festzustellen,
ass im neuen Koalitionsvertrag die Umsetzung des
ktionsplans zur Zivilen Krisenprävention angekün-
igt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Vor der Rede des Kollegen Kolbow musste ich fest-
tellen, dass kein anderer Redner der großen Koalition
azu Stellung genommen hat. Es ist eine weitere gewisse
rleichterung, dass wenigstens Sie diesen Punkt betont
aben.

Im Koalitionsvertrag wird die Vorlage eines Weiß-
uchs versprochen. Das ist zu begrüßen. Kanzlerin
erkel verspricht eine umfassende Diskussion. Dies ist

ichtig, aber die Diskussion darf nicht wieder im Nach-
inein stattfinden, wie es in der Vergangenheit immer
ieder der Fall war. Die Diskussion muss stattdessen die
rarbeitung des Weißbuchs begleiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

)

348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


(A) )



(B) )


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600604900

Herr Kollege Nachtwei, Sie müssen bitte zum Ende

kommen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1600605000

Ich komme jetzt zum Schluss. – Denn nur mit einer

solchen breiten sicherheits- und friedenspolitischen De-
batte können wir der zunehmenden Abkehr von einer
Politik internationaler Verantwortung in der Bevölke-
rung entgegenwirken. Den „freundlich Desinteressier-
ten“, wie es der Bundespräsident formuliert hat, in der
Gesellschaft, aber auch in der Politik sollten wir deutlich
machen, dass es hierbei um nicht weniger als die Frage
des Verhältnisses der Bundesrepublik zu Krieg und Frie-
den geht.

Danke schön.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600605100

Ich erteile Kollegen Bernd Siebert, CDU/CSU-Frak-

tion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Bernd Siebert (CDU):
Rede ID: ID1600605200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte mit einem Dank beginnen. Ich möchte den Sol-
datinnen und Soldaten und den vielen zivilen Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern meinen ausdrücklichen Dank
für 50 Jahre erfolgreicher Arbeit der Bundeswehr aus-
sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Geschichte der Bundeswehr ist eine Erfolgsge-
schichte der Streitkräfte in der Demokratie. Als Armee
des Volkes gewährleistet sie nach wie vor die Landes-
und Bündnisverteidigung in einem sicherheitspolitisch
veränderten Umfeld. Als Armee des Friedens leistet sie
tagtäglich wertvolle Arbeit bei der internationalen Kri-
senbewältigung und Konfliktbegrenzung im Ausland.
Als Armee der Wehrpflicht hat sie im Bündnis und auch
in der deutschen Bevölkerung Vertrauen geschaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als Armee der Einheit hat sie die Integration zwischen
Ost und West überaus erfolgreich bewältigt.

Generationen von Berufs- und Zeitsoldaten wie auch
von Wehrpflichtigen haben dazu ihren ganz persönlichen
Beitrag geleistet. In diesem Sinne danke ich unserer
Bundeswehr für fünf Jahrzehnte Dienst an den Men-
schen und Frieden in der Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu diesem Zeitpunkt die Verantwortung im Verteidi-
gungsministerium zu übernehmen, um an entscheiden-
der Stelle die Erfolgsstory der Bundeswehr fortzusetzen,
ist eine besondere Herausforderung. Deshalb gratuliere

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(C (D ch dem neuen Bundesminister der Verteidigung, r. Franz Josef Jung, herzlich zu seiner Ernennung und ünsche ihm bei all seinen Entscheidungen eine glückli he Hand und viel Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


ie CDU/CSU-Fraktion wird dabei trefflich mithelfen.

Die Bundeswehr ist auf dem schwierigen Weg der
ransformation ein gutes Stück vorangekommen. Aber
s bleibt noch viel zu tun. Die Angehörigen der Bundes-
ehr haben nicht immer hinreichend das Gefühl, dass

ie mit ihrem Fachwissen ernst genommen werden. Ex-
erner Sachverstand kann langjährige Erfahrung nur be-
renzt kompensieren und schon gar nicht ersetzen. Hier
ürfen wir die Motivation unserer hoch qualifizierten
itarbeiter nicht ohne Not aufs Spiel setzen.

Auf der anderen Seite müssen sich die Angehörigen
er Bundeswehr stärker als bisher mit den Reformen in
er Bundeswehr identifizieren. Nicht überall ist die Be-
eitschaft zum Umbruch in befriedigendem Maße vor-
anden. Wir müssen dieses Vertrauen auch gewinnen,
ndem wir ein Ziel definieren, das die Bundeswehr errei-
hen soll. Deshalb ist das Weißbuch, von dem Dr. Franz
osef Jung vorhin gesprochen hat, dringend notwendig.
ie Privatisierung von Leistungen, die nicht zu den
ernfähigkeiten zählen, sollte im Lichte bereits gemach-

er Erfahrungen vorangetrieben werden. Es geht dabei
m Effizienzgewinne für die Streitkräfte, die Konzentra-
ion auf die Kernfähigkeiten und die Entlastung der Bun-
eswehr von einsatzunterstützenden Aufgaben. Das sind
ach unserer Auffassung die Grundlagen und der Maß-
tab für Privatisierungen.

Wir müssen aufpassen, dass die Bundeswehr nicht
um Spielball finanzpolitischer Engpässe wird. Die
undeswehr hat wie kaum eine andere Organisation in
en vergangenen Jahren Einsparungen erbracht. Ihre
itarbeiter haben dafür viele Entbehrungen, wie Verset-

ungen oder Einschnitte in ihre persönliche Lebensfüh-
ung, hinnehmen müssen, von denen weite Teile unserer
esellschaft nicht betroffen sind. Dies bedeutet aber

uch, dass im Verteidigungshaushalt nicht weiter gestri-
hen werden kann. Wer dies tut, riskiert die Motivation
er Soldatinnen und Soldaten sowie der zivilen Mitar-
eiter der Bundeswehr.


(Beifall bei der CDU/CSU)


eshalb sage ich ganz deutlich: Eine Streichung des Ur-
aubs- und des Entlassungsgeldes für Wehrpflichtige
alte ich für nicht akzeptabel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


enn ernsthaft darüber diskutiert wird, rund 172 Euro
eihnachts- und rund 690 Euro Entlassungsgeld für

unge Menschen einzusparen, denen wir ein persönliches
pfer, nämlich die Wehrpflicht, abverlangen, dann kann

ch nur sagen: Dies ist nur sehr schwer hinnehmbar. Ich
erde mich deshalb mit aller Kraft dafür einsetzen, dass

s dazu nicht kommen wird.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 349


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Bernd Siebert

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden die Auslandseinsätze der Bundeswehr
auch in Zukunft parlamentarisch begleiten, und zwar
auch kritisch. Wer unsere Männer und Frauen einem Ri-
siko für Leib und Leben aussetzt, muss ihnen das beste
Material zu ihrem Schutz an die Hand geben. Dazu ge-
hört auch eine optimale Ausbildung für die Erfüllung ih-
res Auftrages. Dies zu gewährleisten ist eine wesentliche
politische Verantwortung der Abgeordneten des Deut-
schen Bundestages. Wer als Soldat in einen Einsatz ge-
schickt wird, muss wissen, wofür. Ein an deutschen Si-
cherheitsinteressen orientierter Auftrag ist damit eine
wichtige Voraussetzung für künftige Einsätze. Wer in
Einsätze geht, muss sicher sein können, dass sein Auf-
traggeber, das Parlament, für seine soziale Absicherung
im Falle eines ungünstigen Ereignisses sorgt. Auch dies
ist eine wichtige politische Verantwortung der Parlamen-
tarier. Wer in Einsätze geht, muss eine Ausstiegsoption
haben. Hier ist die Politik in besonderem Maße gefor-
dert.

Mandatserteilungen dürfen nicht einem Automatis-
mus folgen, sondern müssen das Ergebnis intensiver par-
lamentarischer Beratungen sein und bleiben. Sie müssen
die internationalen Verpflichtungen Deutschlands und
ihre auf Partnerschaft beruhenden integrierten Einbin-
dungen in internationale Stäbe berücksichtigen. Die Ein-
sätze müssen in regelmäßigem Abstand unter Berück-
sichtigung der sicherheitspolitischen Lageentwicklung
neu bewertet werden. Im Sinne dieser drei Punkte muss
auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz im Lichte ge-
wonnener Erfahrungen weiter optimiert werden.

Grundsätzlich wird sich Deutschland im Rahmen sei-
ner Möglichkeiten weiterhin an friedenserhaltenden Ein-
sätzen beteiligen. Dabei ist eine Überdehnung der vor-
handenen Fähigkeiten dringend zu vermeiden. Die
Bundeswehr ist aber nicht nur auf Auslandseinsätze aus-
gerichtet. Sie muss so strukturiert sein, dass sie weiterhin
auch die Landesverteidigung als verfassungsgemäßen
Kernauftrag gewährleisten kann. Eine Absenkung des
Zielumfanges von circa 250 000 Soldaten ist deshalb
ebenso wenig in unserem Sinne wie eine weitere Auf-
gabe von Standorten und Truppenteilen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin sehr dankbar und zufrieden, dass sich diese
Bundesregierung zur allgemeinen Wehrpflicht be-
kennt. Sie ist gemessen an unserer Geschichte und unse-
rer gesellschaftspolitischen Struktur nach wie vor die
beste Wehrform für unser Land. Sie dient der wichtigen
Verklammerung zwischen Streitkräften und Gesell-
schaft, ohne die auch ein Parlament keine hinreichende
Entscheidungsbasis besitzt.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist inzwischen mehr Ideologie als Wirklichkeit!)


– Wir in der großen Koalition haben beschlossen, daran
festzuhalten, weil unsere Gesellschaft damit außeror-
dentlich gute Erfahrungen gemacht hat. Das soll auch so

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(C (D leiben. Die Risiken, die einzugehen Sie vorhaben, weren wir nicht eingehen. Der Erhalt nationaler wehrtechnischer Kapazitäten nd Kernfähigkeiten zur bedarfsgerechten Ausrüstung nserer Streitkräfte bleibt auch in der Zukunft aus icherheitsund kooperationsbedingten Gründen notendig. Die technologische Leistungsfähigkeit und die irtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der deutschen ehrtechnischen Industrie beruhen in erster Linie auf eier hohen Ingenieurkunst, leistungsfähigen Mitarbeitern nd zukunftsfähigen Unternehmen. Hier beziehe ich usdrücklich die vielen mittelständischen Betriebe in iesem Bereich ein. Wir wollen, dass sie auch bei interationalen Kooperationen zur Realisierung von Waffenystemen ein technologisch und industriell attraktiver artner bleiben. Das trägt nicht zuletzt zum Erhalt hochertiger Arbeitsplätze in unserem Land auch in Zukunft ei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Bundesregierung steht also auch im Verteidi-
ungsbereich vor großen Herausforderungen. Die CDU/
SU-Bundestagsfraktion wird einen entscheidenden
eitrag zur Lösung der anstehenden Probleme in Zu-
unft leisten. Ich bin sicher, dass wir im Sinne der Bun-
eswehr und im Sinne unseres Landes tragfähige Be-
chlüsse und Ergebnisse erreichen werden und dass
amit die große Koalition auch in diesem Bereich eine
rfolgreiche Arbeit abliefert.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600605300

Als letztem Redner erteile ich dem Kollegen Rainer

rnold, SPD-Fraktion, das Wort.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1600605400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

unächst auch einen herzlichen Glückwunsch, Herr
ung, zu Ihrer neuen und schwierigen Aufgabe. Sie kön-
en sich darauf verlassen, dass wir Ihre Arbeit im Sinne
er Menschen bei der Bundeswehr unterstützen. Sie ha-
en bereits die erste Windböe gespürt. Es stellte sich die
rage, wie wir mit den jungen Menschen, die bei der
undeswehr oder im zivilen Ersatzdienst einen ganz be-

onderen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten, wirk-
ich fair umgehen. Auch wir sagen Ihnen zu: Eigentlich

üssten wir denen ein bisschen mehr geben. Sie hätten
as verdient. Auf keinen Fall darf es bei denen weniger
erden. Hier gibt es eine große Gemeinsamkeit.


(Beifall bei der SPD)


Diese Gemeinsamkeit haben wir auch bei den Koali-
ionsverhandlungen schon nach wenigen Stunden ge-
pürt. Es ist ein gutes Zeichen, dass der Verteidigungsbe-
eich als erster eine Vereinbarung zustande gebracht hat.
as ist auch ein wichtiges Zeichen für die Menschen in
er Bundeswehr. Ich habe den Eindruck, dass es ange-
ichts ihrer schwierigen Aufgaben für die Soldatinnen

350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005


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Rainer Arnold
und Soldaten arg wichtig ist, dass sie stets das Gefühl
haben, dass das, was sie im Ausland und im Inland leis-
ten, von der Gesellschaft in ihrer großen Breite getragen
wird. Deshalb war es ein gutes Symbol, dass wir so
schnell zusammengekommen sind.


(Beifall bei der SPD)


Es lag eigentlich auch auf der Hand: Diese neue Koali-
tion will die Strukturreformen in Deutschland fortsetzen.
Im Bereich der Verteidigung stehen wir nicht am An-
fang. Minister Struck hat die Transformation der
Streitkräfte bereits ein gutes Stück vorangebracht.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Es bleibt auch in Zukunft bei den sicherheitspoliti-
schen Kernaussagen der Vergangenheit. Die Bundes-
wehr dient der internationalen Konfliktverhütung und
der Krisenbewältigung. Sie dient der Unterstützung und
der Kooperation mit unseren Bündnispartnern. Es bleibt
aber auch bei der wichtigen Aufgabe der Landesverteidi-
gung. Es bleibt bei der Aufgabe der Rettung von deut-
schen Staatsbürgern. Natürlich leistet die Bundeswehr
auch zukünftig einen Beitrag zur Hilfe im Inland.

Lassen Sie mich an dieser Stelle Folgendes sagen: Ich
bin sehr dafür, dass unsere Soldaten Hilfestellung im In-
land immer auf einer eindeutigen und klaren Rechts-
grundlage leisten können. Wenn sich zeigt, dass wir
diese Rechtsbasis verändern müssen, dann sollten wir
das auch gemeinsam tun. Ich will aber nicht, dass die
Soldaten andere Aufgaben als die der Amtshilfe über-
nehmen. Ich will schon gar nicht, dass mancher Ruf ei-
nes Innenministers aus den Ländern, der meint, man
könne aus den Soldaten Hilfspolizisten machen, hier in
Berlin gehört wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Unfug!)


Darum wird es in der Zukunft eben nicht gehen.

Diese Koalition bekennt sich zum geplanten Transfor-
mationsprozess und damit auch zum Stationierungskon-
zept der Bundeswehr. Ganz wichtig, besonders für dieje-
nigen, die eine Familie haben, ist: Die Soldatinnen und
Soldaten und die Zivilbeschäftigten haben – trotz aller
Veränderungen, die sie mitmachen müssen; wir wollen
die Menschen auf diesen Reformweg mitnehmen – auch
unter der neuen Koalition Planungssicherheit. Dabei
bleibt das Parlamentsbeteiligungsgesetz die Grundlage
der Entscheidungen für die Entsendung von deutschen
Streitkräften in Auslandseinsätze.

Frau Homburger, ich war schon ein bisschen über-
rascht, dass Sie es so dargestellt haben, als wenn man
solche Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft.


(Birgit Homburger [FDP]: Ganz sicher nicht! Wir haben immer klare Kriterien genannt!)


Wenn das bei Ihnen der Fall war, dann würde ich das be-
dauern. Ich habe das nie so empfunden. Wir haben sol-
che Entscheidungen immer sehr sorgsam abgewogen.

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(C (D ie wollen einen Kriterienkatalog: Wenn so und so viele riterien erfüllt sind, dann kann man zu einem Aus andseinsatz Ja sagen. Diese Vorstellung ist nun wirklich bsurd. Es wird dabei bleiben, dass in jedem Einzelfall abgeogen wird. azu gehört natürlich, dass wir uns der Verantwortung, ölkermord in der Welt zu verhindern, stellen. Dazu geört, dass wir uns auch dazu bekennen, deutsche, also ationale Interessen in der Staatengemeinschaft zu wahen. (Birgit Homburger [FDP]: Das muss man auch einmal festlegen!)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


(Birgit Homburger [FDP]: Richtig!)


as alles ist legitim. Wir haben auch ein Interesse an
tabilität in Europa. Dies ist aber Konsens. Wir alle sind
ns einig: Ein solches Weißbuch sollte nicht nur von ei-
er Debatte in diesem Parlament, sondern auch von einer
reiten gesellschaftlichen Diskussion über Sicherheits-
olitik in Deutschland begleitet werden; das wäre schon
ine guter Prozess. Das Weißbuch bietet hierfür eine
hance. Wir werden alles dafür tun, um einen möglichst
reit angelegten Prozess zu initiieren. Ein solcher Pro-
ess ist ganz wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es bleibt auch bei der Verlässlichkeit der Wehr-
flicht. Wer glaubt, man könne, was die Bundeswehr an-
eht, einfach einen Hebel betätigen – FDP und Grüne
enken das gelegentlich – und die Wehrpflicht so mir
ichts, dir nichts abschaffen, zeigt, dass er wirklich nicht
eiß, wie komplex dieses Gefüge ist: praktische Rolle
er Wehrpflichtigen, innere Struktur, Befindlichkeiten
nd Mentalitäten bei den Streitkräften.

Frau Homburger, Sie machen einen gewaltigen Feh-
er. Die Argumentation, eine Einsatzarmee könne keine

ehrpflichtarmee mehr sein, ist definitiv falsch. Ich
enne Ihnen nur zwei Beispiele:

Eine – quantitativ und qualitativ – wichtige Säule im
uslandseinsatz sind die freiwillig länger Wehrdienst
eistenden. Glaubt jemand, man könne diese jungen
änner, die im Regelfall Abitur haben oder einen Aus-

ildungsberuf erlernt haben, ganz einfach durch Mann-
chaftsdienstgrade ersetzen, die man auf dem Arbeits-
arkt rekrutiert? Was wäre das für eine Veränderung?!
anche unserer Bündnispartner beneiden uns um diese

ungen Männer. Glauben Sie wirklich, dass eine Einsatz-
rmee keine Aufgaben im Inneren mehr hat, die Wehr-
flichtige erledigen können, zum Beispiel in den Büros,
n der Logistik oder woanders? Ihr Argument, eine Ein-
atzarmee passe nicht zur Wehrpflicht, ist wirklich
alsch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 351


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Rainer Arnold

Kollege Nachtwei, unsere Partei, die Sozialdemokra-
tische Partei, wird diese Diskussion nicht ablehnen, wie
Sie uns unterstellen. Wir werden sie in Verbindung mit
der Diskussion über ein neues Grundsatzprogramm ganz
sorgsam führen. Dazu wird gehören, dass wir alle gesell-

sich eine linke Partei vor so einer internationalen Ver-
pflichtung unseriös in die Büsche schlägt.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

schaftlichen Auswirkungen mitdiskutieren. Wir werden
darüber im nächsten Jahr eine sehr sorgsame Diskussion
zu führen haben.

Lassen Sie mich am Ende noch ein paar Sätze zu den
Überlegungen von der Fraktion der Linken über
Auslandseinsätze sagen. Manche Debatte wird für uns
einfacher – den Eindruck habe ich –, wenn Sie, werte
Kolleginnen und Kollegen, einfach einmal mit nach Af-
ghanistan oder ins Kosovo fahren;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


denn dann werden Sie merken, dass Ihre Behauptung,
eine Armee könne nicht helfen, im Sinne von humanitä-
rer Hilfe, der Realität nicht standhält. Was die Bundes-
wehr dort im Bereich von CIMIC an Kooperationen leis-
tet, was Reservisten an beruflicher Erfahrung als Maurer
oder Ingenieur einbringen und wie dankbar die Leute für
diese Unterstützung sind, das sollten Sie sich einfach
einmal anschauen; dann werden Sie so sicherlich nicht
mehr reden können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben Einstein zitiert. Er hat natürlich Recht da-
mit, dass Krieg nicht die Probleme löst. Auch der Gene-
ral, den Sie zitiert haben, hat natürlich Recht damit, dass
die Bundeswehr diese Prozesse nicht zu Ende führen
kann. Die Bundeswehr ist im Kosovo nicht dafür zustän-
dig, den politischen Prozess zu einer Lösung der Status-
frage zu führen. Soldaten können das Töten und Morden
stoppen und sie können eine Situation sozusagen einfrie-
ren, damit Diplomatie Zeit und Raum hat, die Prozesse
zu organisieren. Hierbei haben die Soldaten eine wich-
tige Aufgabe; denn ohne die Soldaten hätten wir über-
haupt nicht die Gelegenheit, die politischen Prozesse zu
gestalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist natürlich ein ziemlich oberflächliches Vorurteil,
dass wir zunächst auf die militärische Karte setzen. Das
ist schlichtweg falsch. Diese Koalition und alle europäi-
schen Partner setzen natürlich auf das ganze Paket der
Fähigkeiten. Da ist Prävention. Da ist faire wirtschaftli-
che Zusammenarbeit. Da ist natürlich in erster Linie Di-
plomatie gefragt. Aber dort, wo sie versagt, muss es da-
bei bleiben, dass wir uns auch mit Soldaten vor
Menschen in Bedrängnis stellen. Das ist ein zutiefst hu-
manitärer Auftrag. Ich verstehe nicht so recht, warum

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(D Wir können uns nicht Scheuklappen aufsetzen und arauf hoffen, dass wir als Deutsche mit den Problemen er Welt nichts zu tun haben. (Zuruf von der LINKEN: Die können auch zivil gelöst werden!)


ies geht uns alle etwas an. Es ist ein gefährlicher An-
atz. Schauen Sie einmal, wer alles Ihnen applaudiert!

öglicherweise bekommen Sie bei Ihren Thesen auch
pplaus von der falschen Seite. Wir werden diese Dis-
ussionen in den nächsten Jahren sicherlich noch führen.

Alles in allem: Die Bundeswehrreform bleibt auf gu-
em Weg. Die Bundeswehr wird am Ende des Reform-
rozesses noch mehr können und leisten als im Augen-
lick. Wir setzen auf das wichtigste Kapital, nämlich die
enschen bei der Truppe. Wir werden alles tun, damit

ie bei der Besoldung möglicherweise einen eigenständi-
en Status bekommen, um den individuellen Bedürfnis-
en besser Rechnung tragen zu können. Wir werden alles
un, damit die Menschen bei der Bundeswehr durch eine
ute Ausbildung eine tragfähige Brücke in das Zivil-
eben finden. Wir werden alles dafür tun, dass das Aller-
ichtigste, nämlich der notwendige Schutz für die Sol-
atinnen und Soldaten im Einsatz, mit der allerhöchsten
riorität zur Verfügung gestellt wird. Das heißt, die Bun-
eswehr ist auch in dieser neuen Koalition in allerbesten
änden. Es bleibt bei Kontinuität beim Transformations-
rozess. Es bleibt bei Kontinuität beim Stationierungs-
rozess. Es bleibt dabei: Deutschland bleibt ein verläss-
icher sicherheitspolitischer Partner für die Vereinten
ationen und für die ganze Welt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1600605500

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Ich

chließe die Aussprache.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 14. Dezember 2005, 13 Uhr,
in. Gleichzeitig mache ich darauf aufmerksam, dass in
ieser Sitzung die Befragung der Bundesregierung und
ie Fragestunde stattfinden werden.

Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
in freundliches Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.