Rede von
Paul
Schäfer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ehr geehrte Damen und Herren! In knapp 30 Tagen
eht das von der alten Bundesregierung ins Leben geru-
ene Einsteinjahr zu Ende. Wir haben in diesem Jahr
chöne, interessante und nachdenkenswerte Zitate von
instein gelesen, so am Kanzleramt, am Bundespresse-
mt und jetzt am Berliner Fernsehturm. Ich hätte mir ge-
ünscht, an der Fassade des Kanzleramtes folgendes
itat des großen Gelehrten lesen zu können:
Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die
Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau ein-
setzten.
Ein Zehntel der Energien, ein Bruchteil des Geldes
wären ausreichend, um den Menschen aller Länder
zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen
und die Katastrophe der Arbeitslosigkeit zu verhin-
dern.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 345
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Paul Schäfer
Das klingt idealistisch. Inzwischen liegen die welt-
weiten Militärausgaben wieder über 1 Billion US-Dol-
lar. Knapp die Hälfte davon entfallen auf die USA, zwei
Drittel auf die NATO-Staaten insgesamt. Das ist ein rie-
sengroßer Brocken, der der Lösung der Probleme des
21. Jahrhunderts im Wege steht. Es wäre wichtig, sol-
chermaßen fehlgeleitete Ressourcen endlich auf soziale,
ökologische und entwicklungspolitische Zwecke zu kon-
zentrieren.
Ich fürchte, dass auch diese Bundesregierung meinen
Wunsch nach diesem schönen Graffiti nicht erfüllen
wird; denn Abrüstung steht bei ihr nicht auf der Agenda.
Sie, Herr Verteidigungsminister, haben uns ja bereits
vorgewarnt, dass Sie für die mögliche Ausweitung von
Bundeswehreinsätzen noch mehr Geld als bisher geplant
benötigen. Dieses Geld wollen Sie aber nicht aus Ihrem
Etat aufbringen, sondern Sie wollen, dass das zulasten
anderer Haushalte geht. Sie sollten der Öffentlichkeit
rechtzeitig sagen, zu wessen Lasten die Finanzierung der
noch höheren Rüstungsausgaben gehen soll. Die Linke
bleibt dabei: Aufrüstung ist mit uns nicht zu machen.
Wir stehen für Rüstungsminderung.
Doch bevor wir über Geld reden, sollten wir über das
Wozu sprechen. Bundespräsident Köhler hat auf der
Kommandeurstagung im Oktober zu einer solch breiten
gesellschaftlichen Debatte über Sicherheitspolitik und
Sicherheitsstrategie aufgefordert. Der pensionierte Vier-
sternegeneral Klaus Reinhardt hat in diesem Rahmen
eine, wie ich finde, spitze These geliefert – ich darf zitie-
ren –:
Mit Ausnahme von Osttimor und Mazedonien kann
keiner der Auslandseinsätze, an denen die europäi-
schen Soldaten beteiligt waren, als Erfolg bezeich-
net werden.
Der Mann weiß bestimmt, wovon er redet.
Anstatt einfach immer nur weiterzumachen, sollte uns
eine solche Aussage zu gründlichem Nachdenken zwin-
gen.
Meine Damen und Herren, für die Fraktion Die Linke
gilt: Erstens. Die Streitkräfte sind gemäß § 87 a Grund-
gesetz zum Zwecke der Verteidigung des Landes aufge-
stellt. Der Hindukusch gehört nicht zum deutschen
Staatsgebiet.
Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland hat glo-
bale Verantwortung wahrzunehmen. Ich frage mich nur:
Warum kommen Sie in diesem Zusammenhang immer
gleich auf Soldaten?
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Darauf komme ich noch zu sprechen.
Drittens. Richtig ist, dass der Terror, Terrorgruppen
nd Terrornetzwerke bekämpft werden müssen. Aber der
on der Bush-Regierung ausgerufene unbegrenzte Krieg
egen den Terrorismus hat in eine Sackgasse geführt und
st zum Scheitern verurteilt.
Bei Peter Scholl-Latour können Sie nachlesen, dass in
ielen muslimischen Haushalten inzwischen das Bild
es Kapuzenmanns von Abu Ghureib aufgehängt ist –
leichsam das Menetekel an der Wand. Abu Ghureib,
uantanamo, die Brandbomben von Falludscha – der
ümmste Krieg seit Augustus –: Das wirft nicht nur ei-
en Schatten auf den Antiterrorkampf – so mögen Sie
as vielleicht empfinden –, das ist entschieden mehr, das
ommt eher Geschenken an al-Qaida gleich.
Es ist eine Selbsttäuschung der Bundesregierung, man
önne neben diesem Krieg mit all seinen schmutzigen
omponenten einen sauberen Job als Entwicklungs- und
ufbauhelfer verrichten. Ich denke, man muss zu diesem
rieg „gegen das Böse in der Welt“ unmissverständlich
uf Distanz gehen. Das hat nichts damit zu tun, auf eine
errüttung des transatlantischen Verhältnisses hinauszu-
ollen, wie das der Kollege Schockenhoff vorgestern
einte. Es muss uns vielmehr darum gehen, die transat-
antischen Beziehungen auf eine neue Grundlage zu stel-
en, nämlich auf die Grundlage eines kooperativen Mul-
ilateralismus und der Beachtung des Völkerrechts.
Das muss im Übrigen dann aber auch für die Bundes-
egierung gelten. Beim Jugoslawienkrieg war das nicht
er Fall. Man hat sich nicht darauf bezogen.
Viertens. Wir wenden uns dagegen, dass den Streit-
räften immer mehr Aufgaben zugeschrieben werden,
ür die sie nicht gemacht sind und für die sie keine Lö-
ung bringen können. In diesem Zusammenhang sage
ch: Lassen Sie strikt die Hände von einer Ausweitung
es Einsatzes von Streitkräften im Innern. Bomben-
ttentate wie in London und Madrid sind durch Panzer
icht zu verhindern.
Ich nenne noch zwei andere Beispiele:
Erstes Beispiel, die ALTHEA-Mission in Bosnien.
ie Bundeswehr geht dort gegen Holzdiebstahl vor und
st dort mit Brückenbau beschäftigt. Ich frage mich: Wa-
um werden dort nicht Aufträge an regionale Unterneh-
en vergeben, um die dortige Wirtschaft auf die Beine
u bringen?
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Paul Schäfer
Herr Minister, Sie haben in diesem Zusammenhang
jetzt selber eingeräumt, dass man überprüfen müsse, ob
man diese Auslandseinsätze umstrukturieren könne, weil
es nicht sein dürfe, dass die Bundeswehr quasi die Funk-
tionen einer Hilfspolizei übernehme. Diese Spur sollten
Sie weiterverfolgen. Wir werden in diesem Sinne bean-
tragen, die militärische ALTHEA-Mission zu beenden
und in eine internationale Polizeimission umzuwandeln.
Zweites Beispiel. Laut Koalitionsvertrag soll die Bun-
deswehr bei der territorialen Absicherung der Grenzen
des Bündnisgebietes helfen. Das ist interessant. Glau-
ben Sie wirklich, dass sich das Problem des Zuwande-
rungsdrucks mit dem sechs Meter hohen Zaun von Me-
lilla, den elektronischen Überwachungssystemen von
Andalusien und den Fregatten und Schnellbooten der
NATO lösen lässt? Ich glaube nicht.
An anderer Stelle hat sich die Bundeswehr als hilf-
reich erwiesen. Ich danke den Soldatinnen und Soldaten,
die Hilfsgüter für die Erdbebenopfer nach Pakistan ge-
bracht haben. Angesichts der 400 000 Menschen, die
dort noch immer ohne Unterkunft sind, möchte ich die
Bundesregierung dringend bitten, ihr Engagement dort
zu verstärken.
Wir regen in diesem Zusammenhang an, die vorhande-
nen Kapazitäten und Fertigkeiten der Bundeswehr aus-
zugliedern und in einem zivilen Katastrophenhilfskorps
zu bündeln.
Meine Damen und Herren, ich wollte noch etwas zur
Bundeswehrreform und den aktuellen Zahlen sagen, die
deutlich machen, dass von einer Wehrgerechtigkeit über-
haupt keine Rede mehr sein kann. Deshalb sollte die
Wehrpflicht endlich und unwiderruflich aufgehoben
werden.
Lassen Sie mich mit einem Ceterum censeo schlie-
ßen, das wir Ihnen in den nächsten Monaten nicht erspa-
ren können und immer wieder einbringen werden: Die
Atomsprengköpfe in Büchel und Ramstein sind unver-
züglich abzuziehen und zu zerstören.
Gerade mit Blick auf die bedrohlichen Entwicklungen
im Iran füge ich hinzu: Wer Nuklearwaffen besitzt oder
wer nukleare Teilhabe praktiziert, der kann von anderen
schlecht nukleare Enthaltsamkeit fordern. Sowohl im
Nahen Osten als auch bei uns führt der Weg hier nur
über die allgemeine Abrüstung.
Ich bedanke mich.