Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Regie-
rungserklärung mehrfach darauf hingewiesen, dass wir
in Deutschland mehr Freiheit wagen müssen. Ich unter-
stütze sie darin ausdrücklich. Denn in einer arbeitsteili-
gen Gesellschaft wie der unsrigen stellt Massenarbeitslo-
sigkeit die stärkste Form der Freiheitsberaubung dar, die
man einem Menschen zumuten kann. In einer arbeitstei-
ligen Gesellschaft wie der unsrigen kommen viele so-
ziale Kontakte durch das Arbeitsverhältnis zustande. Es
ermöglicht, sich selbst zu definieren und Einkommen zu
erzielen, um sich Wünsche zu erfüllen. Deswegen war
die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit im jüngsten
Wahlkampf das Hauptthema aller Parteien.
Wenn man allerdings eben der Rede des Kollegen
Müntefering zugehört hat, dann könnte man fast meinen,
dass die Performance in der Arbeitsmarktpolitik unter
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Es hat sich letztlich nichts verändert. Die Union tut so,
als hätte sie etwas erreicht. Die SPD macht mit, weil es
ihr nicht wehtut. Das Einzige, was dadurch bewirkt wird,
ist mehr Bürokratie für die Betriebe und Belegschaften
und weniger Sicherheit für die Beschäftigten.
Notwendig wären betriebliche Bündnisse für
Arbeit. Ich weiß, es tut Ihnen allen weh, aber die Union
hat diesen wesentlichen Punkt bereits im Vorfeld – quasi
als Eintrittsgeld für die Koalitionsverhandlungen – auf-
gegeben. Das war ein großer Fehler. Denn worum geht
es hierbei? Es geht darum, dass die Menschen in den Be-
trieben, die schließlich keine unmündigen Kinder, son-
dern erwachsen sind, die Möglichkeit bekommen sollen,
ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, da-
mit sie unabhängig von dem, was Kollektive in fernen
Verbandszentralen auf Arbeitgeberseite oder Gewerk-
schaftszentralen auf Arbeitnehmerseite für richtig hal-
ten, selbst Entscheidungen treffen können, wenn sie die
Situation in ihrem Betrieb anders beurteilen als die
Funktionäre. Diese Chance auf mehr Mündigkeit und so-
mit mehr Freiheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer, aber auch für Unternehmensleitungen haben Sie in
Ihrer Koalitionsvereinbarung in keiner Weise skizziert.
Die Trennung zwischen Bundeswirtschaftsministe-
rium und Arbeitsministerium ist falsch. Man kann Wirt-
schaft und Arbeit nicht voneinander trennen. Beides
hängt fundamental zusammen. Aufgrund der Trennung
muss man befürchten, dass die alten Grabenkämpfe aus
der vergangenen Legislaturperiode, die vor 2002 zwi-
schen einem liberal-konservativen Wirtschaftsministe-
rium und einem gewerkschaftsgesteuerten Sozialminis-
terium stattfanden, wieder aufbrechen. Das führt im
Ergebnis dazu, dass in Deutschland Arbeit teurer wird,
Beschäftigung abgebaut und mehr Bürokratie entstehen
wird. In einem Bereich haben Sie tatsächlich mehr Ar-
beitsplätze geschaffen, und zwar in der Bundesregie-
rung, indem Sie den Regierungsapparat auf 70 Mitglie-
der aufgebläht haben.
Wir müssen es schaffen, einen höheren Beschäfti-
gungsanteil bei Älteren und Frauen zu erzielen. Andere
Volkswirtschaften, in denen die Erwerbstätigenquote
bei Älteren und Frauen höher ist als bei uns, haben eine
niedrigere Arbeitslosigkeit. Es gibt Wissenschaftler, die
Ihnen belegen können, dass das eine mit dem anderen
zusammenhängt. Das heißt, dass wir besser werden müs-
sen. Wenn Sie aber – Sie haben heute einen entsprechen-
den Gesetzentwurf vorgelegt – die 58er-Regelung, wo-
nach man ab dem 58. Lebensjahr Leistungen beziehen
kann, ohne wieder arbeiten zu müssen, verlängern, dann
verlängern Sie auch die Möglichkeit der Frühverrentung
und unterstützen damit den Jugendwahn, der in Deutsch-
land vorherrscht. Lassen Sie mich als baden-württem-
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Wir müssen tatsächlich die so genannten Senioritäts-
rinzipien überprüfen, die dazu führen, dass ältere Ar-
eitslose keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben.
Immer älter, immer teurer“ heißt es im Moment. Das ist
alsch. Aber das darf in der Konsequenz nicht bedeuten,
b dem 40. Lebensjahr die Löhne zu senken, sondern
uss dazu führen, dass wir die entsprechenden Regelun-
en überprüfen und zu einer produktivitätsorientierten
ezahlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ommen. Es kann dann sein, dass ein Vater in der Phase
er Familiengründung, weil er ranklotzt, einmal mehr
erdient und dass ein älterer Arbeitnehmer, weil er es ein
isschen ruhiger angehen lassen will, einmal weniger
erdient. Aber die Pauschalität der eben von mir zitier-
en Aussage ist schlichtweg verheerend und führt dazu,
ass die Notwendigkeit, älteren Menschen mit ihren
ompetenzen und Qualifikationen eine Chance zum
instieg in den Arbeitsmarkt zu geben, in Deutschland
och weiter an den Rand gedrängt wird. Das ist eine völ-
ig falsche Politik.
Wir sind als Freie Demokraten der festen Überzeu-
ung, dass wir eine wachstumsorientierte Wirtschafts-
olitik benötigen, um die Massenarbeitslosigkeit wirk-
am zu bekämpfen. Die Koalitionsvereinbarung von
chwarz-Rot bietet aber hierfür keine Blaupause, weil
ie hinter den notwendigen Schritten zurückbleibt, weil
ie kleingeistig, feige
richtig – und mutlos ist und weil sie zu kurz greift. Mit
hr wird im Endeffekt das fortgesetzt, was wir unter Rot-
rün sieben Jahre leidvoll erfahren mussten. Ich bin sehr
raurig darüber, dass die Koalition nunmehr aus einer
ozialdemokratischen Partei und einer zunehmend so-
ialdemokratisierten Partei besteht. Diese werden den
rbeitsmarkt nicht deregulieren können. Das ist schade
ür Deutschland. Ich möchte aber ankündigen: Alles,
as wir unterstützen können, werden wir unterstützen.
Zum Schluss das Positive: Ich unterstütze ausdrück-
ich, dass in Zukunft der private Arbeitgeber-„Haus-
alt“ im Vergleich zu anderen Arbeitgebern nicht länger
iskriminiert werden soll; denn bei 4,5 Millionen regis-
rierten Arbeitslosen muss Ihnen allen, die Sie das stän-
ig als Dienstmädchenprivileg diskriminiert haben,
chlichtweg egal sein, wo Arbeitsplätze geschaffen wer-
en, ob im Handwerk, im Haushalt oder in der Industrie.
ir brauchen Arbeitsplätze. Dafür brauchen wir entspre-
hende Rahmenbedingungen. Um Arbeitsplätze zu
320 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005
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Dirk Niebel
schaffen, braucht man Aufträge. Aber dazu haben Sie
noch keinen Vorschlag gemacht.
Vielen Dank.