o Sie Recht haben, haben Sie Recht. Tja, so kann es
ommen, Herr Müntefering. Gestern wollten Sie noch
en klugen Fahrlehrer geben und heute sitzen Sie selbst
ei diesem Crashkurs am Steuer. Und dann geben Sie
uch noch Vollgas.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2005 325
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Brigitte Pothmer
Herr Müntefering, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen:
Ich habe Sorge, dass Sie mit diesem Crashkurs und mit
dem Vollgas den Karren wirklich an die Wand fahren.
Was gestern noch Crashkurs war, ist heute die Koalition
der neuen Möglichkeiten.
Sie wissen, dass ich neu in diesem Parlament bin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von
der CDU/CSU, ich kann Ihnen sagen: Sie haben mich
bereits jetzt tief beeindruckt.
Sie haben mich tief beeindruckt mit Ihrer rhetorischen
Geschmeidigkeit, die Sie in diesem Hohen Hause an den
Tag legen.
– Ich bewundere Sie. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich,
dass es nicht mein erstes Ziel ist, Sie darin zu übertref-
fen.
Der Volksmund sagt, eine Krähe hackt der anderen
kein Auge aus. Wenn ich mir die Koalitionsvereinbarung
anschaue, dann muss ich feststellen, dass das tatsächlich
zutrifft. Diese Koalitionsvereinbarung ist vor allen Din-
gen von einem Ziel getragen: von dem Ziel, dass keiner
der beiden Koalitionspartner das Gesicht verliert. Sie
selbst haben im Mittelpunkt der Verhandlungen gestan-
den und nicht etwa die Arbeitslosen. Diese sind es, die
bei diesem Deal verloren haben – und nicht nur ihr Ge-
sicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
noch vor wenigen Monaten waren Sie der Auffassung,
Rot-Grün werde Deutschland in den Untergang führen,
weil nach Ihrer Auffassung die Arbeitsmarktpolitik nur
halbherzig vorangetrieben würde. Was ist eigentlich die
Steigerung von Untergang? Bei diesen Koalitionsver-
handlungen ging es aber noch nicht einmal um halbher-
zige, sondern maximal nur um viertelherzige Reformen
auf dem Arbeitsmarkt. Was glauben Sie eigentlich, wo-
hin Sie Deutschland mit dieser Art von Politik führen?
Die Maßnahmen, die Sie beschlossen haben, sind nicht
stark und zukunftstauglich. Sie sind vor allen Dingen ei-
nes: Sie sind widersprüchlich und konzeptionslos.
So wollen Sie auf der einen Seite die Schwarzarbeit
mit einem umfänglichen Programm bekämpfen. Es ist
richtig: Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt. Aber mit
der Erhöhung der Mehrwertsteuer legen Sie auf der an-
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Sie wollen einerseits die Lohnnebenkosten senken.
urch die angekündigte Erhöhung der Beitragssätze in
er Rentenversicherung steigen die Beiträge aber ande-
erseits erst einmal wieder.
Sie wollen das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre he-
aufsetzen. Gleichzeitig ziehen Sie sich aber aus der
ualifizierung älterer Arbeitsloser zurück. Auf diese
eise wird die Anhebung zu nichts anderem als zu ei-
em Programm zur Reduzierung der Renten.
Ich sage Ihnen einmal etwas: Ich habe überhaupt
ichts gegen eine Politik der kleinen Schritte. Zum Pro-
lem wird eine solche Politik allerdings in dem Moment,
n dem Sie mit Siebenmeilenstiefeln gleichzeitig in die
ndere Richtung marschieren.
Ihrer Politik fehlt nicht nur die Richtung, ihr fehlen
uch die Schwerpunkte. Mit Ihrer linearen Senkung
er Lohnnebenkosten fördern Sie auch diejenigen, die
s gar nicht nötig hätten: die Menschen mit hohen Ein-
ommen. Wenn Sie Ihr Vorhaben auf die Senkung der
ohnnebenkosten bei den geringen Einkünften konzen-
rieren würden, dann würden Sie in diesem Bereich eine
rhebliche Entlastung erreichen und damit deutlich mehr
rbeitsplätze schaffen, als das nach Ihren Vorstellungen
er Fall ist, nämlich 500 000.
Ich kann Ihnen da nur das Progressivmodell der Frak-
ion der Grünen ans Herz legen. Dann brauchen Sie nicht
och einmal lange über Kombilohnmodelle reden. Dann
önnen Sie handeln.
ie Schwerpunktgruppe, mit der wir uns beschäftigen
üssen, sind doch die Geringqualifizierten. Mit unserem
odell wird die Gruppe gefördert, die die allergrößten
robleme hat, aus der Arbeitslosigkeit herauszukom-
en.
Wir alle können uns sicher noch erinnern: Helmut
ohl hatte versprochen, die Arbeitslosigkeit zu halbie-
en.
as war 2000.
erhard Schröder wollte sie auf 3,5 Millionen senken.
Ja, da waren auch wir dabei. – Jetzt will sich auch Frau
erkel an der Senkung der Arbeitslosigkeit messen las-
en. Aber anders als ihre Vorgänger nennt sie dabei keine
iele und keine Zahlen.
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Brigitte Pothmer
Das kann ja ein Ausdruck ihrer Schläue sein. Aber es
könnte auch ein Ausdruck der tiefen Skepsis sein, die sie
gegen ihre eigenen Modelle und gegen ihre eigenen Pro-
gramme hat. Ich habe den Verdacht: Genauso ist es. Ich
kann nur sagen: Zumindest an diesem Punkt wäre sie
sehr dicht bei den Menschen. Denn 79 Prozent der Be-
völkerung sind der Auffassung, dass die von Angela
Merkel angeführte große Koalition die Situation auf dem
Arbeitsmarkt keineswegs verbessern wird.
Herr Minister Müntefering, damit keine Missver-
ständnisse auftreten: Auch ich bin der Auffassung, dass
es Aufgabe einer Regierung ist, die Lohnnebenkosten zu
senken. Aber die Probleme sind etwas komplexer. Ich
finde, es ist auch Aufgabe einer Regierung, dafür zu sor-
gen, dass die Unternehmen in einem demokratischen
Gemeinwesen wieder Verantwortung übernehmen. Die
Gewinne der 29 im DAX geführten Unternehmen sind
im Vergleich zum Vorjahr – man höre und staune – um
61 Prozent von 9 Milliarden auf 14,5 Milliarden Euro
gestiegen. Gleichzeitig werden Arbeitsplätze abgebaut,
abgebaut, abgebaut.
In Hannover kündigt gerade der Conti-Vorstand ein-
seitig die Vereinbarung, die er vor wenigen Monaten mit
der Arbeitnehmerseite getroffen hat. Es geht jetzt wieder
um 300 Arbeitsplätze. Vorher hatten die Beschäftigten
eine Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich hinge-
nommen. Ich finde, das ist eine Provokation, die die Ta-
rifparteien zunehmend belastet.
Sie persönlich haben ja einmal unter dem Stichwort
„Heuschrecken“ angekündigt, Lösungen für diese Pro-
bleme zu suchen.
Was ist eigentlich daraus geworden?