Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich teile zunächst mit: Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung zur Umsetzung des Aktionsprogramms für Investitionen und Arbeitsplätze auf der Drucksache 13/8464, die in Verbindung mit der vereinbarten Debatte zu Maßnahmen für mehr Beschäftigung in Deutschland aufgerufen werden soll, und um die Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Verordnung über den Klärschlamm-Entschädigungsfonds, die ohne Debatte behandelt werden sollen, zu erweitern. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie die Gruppe der PDS haben fristgemäß beantragt, die heutige Tagesordnung zu erweitern.
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wünschen die Aufsetzung ihres Antrags auf der Drucksache 13/8644, mit dem der Bundeskanzler zur Abgabe einer Regierungserklärung am 9. Oktober 1997 zum Stand der deutschen Einheit aufgefordert werden soll.
Die Gruppe der PDS wünscht die Aufsetzung ihres Antrags auf der Drucksache 13/8649 mit der Aufforderung, heute eine Regierungserklärung zu diesem Thema abzugeben. Außerdem wünscht die PDS die Aufsetzung ihres Antrags auf der Drucksache 13/ 8613 zur Vertrauensfrage.
Wird zu diesen Geschäftsordnungsanträgen das Wort gewünscht? - Das ist der Fall. Als erster spricht der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube schon, daß es einen Tag vor den Feiern zum siebten Jahrestag der deutschen Einheit angebracht wäre, Rechenschaft darüber abzulegen, was in diesen sieben Jahren erreicht wurde, und über das, was in diesen sieben Jahren nicht erreicht wurde.
Sie könnten ja die Gelegenheit nutzen, um alle positiven Ergebnisse darzustellen. Sie müssen Gründe dafür haben, daß Sie dazu nicht bereit sind. Wahrscheinlich sind Sie es deswegen nicht, weil die positiven Ergebnisse nicht so zahlreich sind, daß Sie hier länger darüber reden könnten. Ich glaube also, daß eine Regierungserklärung wichtig ist und daß sie heute, einen Tag vor den Feiern, stattfinden muß und nicht eine Woche nach den Feiern, weil dann die unmittelbare Aktualität nicht mehr gegeben ist.
Aber selbst wenn die Regierungserklärung zu einem anderen Zeitpunkt abgegeben wird, wie es SPD und Bündnis 90/Die Grünen beantragen, geht es nicht an, daß zu einem so wichtigen Thema der Bundeswirtschaftsminister spricht; vielmehr muß dann der Bundeskanzler sprechen; denn es war der Bundeskanzler - und nicht Herr Rexrodt -, der 1990 gegenüber den neuen Bundesländern Versprechungen abgegeben hat. Er soll deshalb auch erzählen, was aus diesen Versprechungen geworden ist, und sich nicht aus seiner Verantwortung stehlen.
Wir haben darüber hinaus beantragt, die Tagesordnung um einen Antrag zur Vertrauensfrage zu erweitern, nämlich zur Vertrauensfrage des Bundeskanzlers an das Parlament - und das natürlich in der Erwartung, daß wir darüber so diskutieren, daß der Weg zu Neuwahlen eröffnet wird.
Nun steht ja die PDS mit ihrer Forderung nach Neuwahlen nicht allein; vielmehr hat der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine am Wochenende die gleiche Forderung gestellt; Kerstin Müller von Bündnis 90/ Die Grünen hat diese Forderung ebenfalls schon erhoben; auch aus verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen ist diese Forderung erhoben worden. Ich würde mich sehr wundern, wenn es hier nicht zumindest eine beachtliche Stimmenzahl dafür gäbe, diesen Tagesordnungspunkt zu behandeln. Wer dagegen ist, spricht dem Kanzler im Grunde genommen das Vertrauen aus und will gar nicht, daß Neuwahlen stattfinden.
Dr. Gregor Gysi
Wir haben es gegenwärtig mit einer gesellschaftlichen Blockade zu tun, und diese Blockade wird von allen - wenn auch mit unterschiedlichen Schuldzuweisungen - bestätigt. Die Regierungskoalition sagt, Bundesrat und SPD blockieren. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS weisen immer wieder darauf hin, daß es Blockaden innerhalb der Regierungskoalition selbst gibt. Die Kirchen beklagen Blockade. Die Gewerkschaften beklagen Blockade, aber auch die Unternehmerverbände und die Arbeitgeberverbände. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, daß es so nicht weitergeht, daß wir einen Neuanfang brauchen.
Ich finde, niemand hat das Recht, einer Bevölkerung mitzuteilen, daß ein Jahr lang nichts passieren wird, daß ein Jahr lang eine gesellschaftliche Blokkade aufrechterhalten bleibt.
Hier stehen wir in einer großen Verantwortung, weil die Folge davon nicht nur Politikverdrossenheit sein wird, sondern auch Demokratieverdrossenheit. Den Neuanfang, von dem ich sprach, können wir zum Beispiel dadurch befördern, daß wir den Mut zu Neuwahlen haben. Der einzige verfassungsrechtliche Weg, der dahin führt, ist der über die Vertrauensfrage. Deshalb sollte man nicht öffentlich Neuwahlen fordern und sich dann weigern, diesen verfassungsrechtlichen Weg zu gehen.
Was spricht denn eigentlich dagegen? Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind alle zu zerstreuen; denn wenn eine Vertrauensfrage nicht erfolgreich ausgeht, kann kein Gericht prüfen, was die Abgeordneten im einzelnen dazu bewogen hat, kein Vertrauen auszusprechen. Das ergibt sich auch aus dem damaligen Urteil.
Nein, es geht um anderes. Es geht um taktische Überlegungen. Ich verstehe ja, daß die F.D.P. die Sache mit dem Solidaritätszuschlag und vielleicht auch noch die Rentenreform unbedingt geregelt haben will. Sie verstehen, daß ich dagegen bin.
- Moment! Das ist nicht einmal ein Hinderungsgrund; denn die Fristen für Neuwahlen nach dem Stellen einer Vertrauensfrage sind nach dem Grundgesetz so, daß Sie, wenn Sie denn unbedingt wollen, über beides im Bundestag abstimmen lassen könnten. Das muß Sie nicht hindern.
Außerdem sind Sie überzeugt davon, danach wieder die Mehrheit zu haben. Das heißt, Sie können es ohnehin tun, wenn Sie glauben, diese Mehrheit zu bekommen.
Nein, ich glaube, es gibt nur die rein machttaktische Überlegung des Kanzlers, die dagegen spricht. Das bestätigt das, was Richard von Weizsäcker über ihn gesagt hat. Diese Überlegung lautet: Er will die Niedersachsenwahl abwarten, um einen bestimmten Kanzlerkandidaten vorher noch demontiert zu bekommen, und hofft, dann größere Chancen zu haben.
Aber eine solche rein taktische Überlegung - ob sie aufgeht oder nicht - darf nicht zu einer Blockade von Politik führen. Deshalb muß dieser Tagesordnungspunkt heute aufgesetzt werden. Wir müssen endlich anfangen, darüber nachzudenken, wie wir - verfassungsrechtlich korrekt - den Weg für Neuwahlen eröffnen.
Als nächster spricht zum Geschäftsordnungsantrag der Abgeordnete Rolf Schwanitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS beantragt heute, die Vertrauensfrage zu stellen. Um es gleich vorweg zu sagen: Die SPD wird diesem Antrag nicht zustimmen. Ich habe noch einmal in das Protokoll geschaut, meine Kolleginnen und Kollegen: Das letzte Mal hat die PDS das am 3. Juni 1997 beantragt, also vor vier Monaten. So ein Antrag hat bei Ihnen offensichtlich nur eine Haltbarkeitsdauer von vier Monaten. Wir werden uns an solchen Schaufensteraktionen nicht beteiligen.
Meine Damen und Herren, eine völlig andere Frage ist die, welchen Rang und welchen Stellenwert die ostdeutschen Probleme hier im Deutschen Bundestag haben. Ich sage ganz klar, daß wir an der Stelle heute eine Entscheidung zu treffen haben.
Ich will noch einmal auf die Entstehungsgeschichte der Debatte zur Lage in Ostdeutschland hinweisen. Wir haben als Sozialdemokraten bereits im Oktober 1995 einen Antrag eingebracht, in dem wir gesagt haben: Es muß jährlich über den Bericht zur Lage in den neuen Ländern im Parlament diskutiert werden. Im Januar 1996 hat sich die Koalition unter großen Mühen dazu durchringen können, diesem Antrag der SPD zuzustimmen, zunächst im Innenausschuß und dann im Plenum. Was wir im Oktober 1995 allerdings nicht gefunden haben, war der Bericht der Bundesregierung zur Lage in den neuen Ländern. Da gab es hier im Parlament eine scharfe Debatte, weil dieser Bericht ausgeblieben ist.
Was wir nun ein Jahr später hier erleben, sind das Hinausschieben dieser Debatte auf die nächste Woche, das Kürzen der Redezeit um die Hälfte - das ist ein ganz entscheidender Punkt, meine Damen und Herren - und vor allen Dingen das Reduzieren auf einen Teilaspekt des Gesamtproblems sowie das geplante Auftreten eines Mitglieds der Bundesregierung aus der dritten Reihe und nicht des Bundeskanzlers selbst.
Hier müssen wir folglich anders entscheiden. Deswegen beantragen wir, daß nächste Woche der Bun-
Rolf Schwanitz
deskanzler zur gesamten Problematik Ostdeutschlands eine Regierungserklärung abgibt.
Zu den Anträgen der Abgeordnete Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Ich kann es ganz kurz machen. Wir sind selbstverständlich dafür, daß wir über die Lage der vereinten Nation Deutschland debattieren. Wir haben das mit der Zustimmung der Opposition schon für die nächste Tagesordnung vorgesehen. Wir setzen damit die Tradition der Debatten in den letzten Jahren fort. Auch da haben wir aus gutem Grunde die Debatte jeweils nach dem Tag der deutschen Einheit geführt. Wir konnten nämlich die Diskussionen und die Anregungen, die bei diesem Anlaß gegeben worden sind, aufnehmen und mit in die Debatte einbringen.
Ich glaube, daß wir diese gute Tradition fortsetzen sollten.
Eins ist allerdings interessant: Die PDS, die „Partei der Deutschen Spaltung",
hat diese Debatte schon einmal vom Zaune gebrochen, vor zwei Jahren. Damals haben die anderen Oppositionsparteien diesen Vorschlag - zu Recht - nicht aufgegriffen. Jetzt erleben wir einen Schulterschluß zwischen PDS, SPD und Grünen.
Offensichtlich zeigt sich jetzt auch im Bundestag das, was wir heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" lesen können:
die Bemühungen um ein großes Bündnis zwischen SPD, Grünen und PDS. Wir machen dabei ausdrücklich nicht mit.
Was die Vertrauensfrage anbelangt: Der Bundeskanzler hat das Vertrauen dieser Koalition. Wir zeigen es Ihnen Woche für Woche und - Sie können sicher sein - auch in den kommenden Wochen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Der Geschäftsordnungsbeitrag von Gregor Gysi hinsichtlich der Vertrauensfrage hat deutlich gemacht, wie sehr der Kanzler schon auf die Unterstützung der PDS angewiesen ist.
- Natürlich! Es ist die letzte große Möglichkeit, hier aufzutreten, sich das Vertrauen aussprechen zu lassen.
Dieser Antrag ist absurd. Er ist unpolitisch. Solch einen Antrag stellt man, wenn man eine Mehrheit im Hause hat; dann wäre das gerechtfertigt.
Aber es ist doch völlig klar, daß die Koalition gerade in dieser zerbrechlichen Situation - -
- Sie saßen die ganze Nacht zusammen; Sie müssen hier unterbrechen, um sich wieder zusammenzusetzen, um den Kanzler zu stützen. Das ist das letzte, was Sie haben. Das letzte ist der große Aufzug von Helmut Kohl.
Es geht hier aber um etwas anderes. Der Bericht zum Stand der deutschen Einheit liegt vor. Die Intention, die der Bundestag mit seinem Beschluß im Mai letzten Jahres verfolgt hat, war, daß wir diesen Bericht hier in einer großen Debatte auswerten, so wie das früher üblich war - ich habe das im Ostteil Deutschlands im Fernsehen immer bewundert -; viele von Ihnen haben daran teilgenommen. Es hat bis 1989 die Tradition gegeben, daß man hier zur Lage der Nation gesprochen hat, zur Lage der Nation im geteilten Deutschland. Jetzt sollten wir zur Lage der Nation im vereinten Deutschland sprechen,
gerade wegen der globalen Herausforderungen und auch im Zuge der europäischen Integration. Das ist ganz wichtig. Das war immer Chefsache. Da hat man niemanden vorgeschickt.
Wenn man sich als Kanzler der Einheit feiern läßt, als Architekten der deutschen Einheit - und was weiß ich nicht alles -, dann hat man auch die Verantwortung, zum Bauverlauf und zum Zustand dieses Projektes hier Rede und Antwort zu stehen.
Ich will das hier nicht polemisch fassen
- vielleicht ein klein bißchen -: Ich habe großes Verständnis, wenn vor der großen Kabinettsumbildung dem Bundeswirtschaftsminister noch einmal Gelegenheit gegeben wird, eine Regierungserklärung ab-
Werner Schulz
zugeben. Aber eigentlich ist das Sache des Kanzlers. Ich habe das Gefühl - und werde es nicht los -, daß dieser legendäre Zug zur deutschen Einheit in einem Verschiebebahnhof gelandet ist und daß wir nicht nur Debatten, sondern auch Reformen verschieben.
Seit 1982 redet der Kanzler davon, daß er den liberalen und sozialen Reformstau auflösen möchte. Dieser Reformstau ist in aller Munde, aber leider nicht in der praktischen Auflösung.
Den Problemstau, den wir heute haben, hatten wir schon 1989 in der alten Bundesrepublik. Daran krankt ja auch der Osten Deutschlands, daß sich dieser Problemstau verschärft und zugespitzt hat. Über dieses Problem sollten wir reden. Man sollte sich der Aussprache stellen und nicht nur feierliche Reden halten. Ich kann ja verstehen, daß man erst einmal mit Bush und Teufel feiern möchte und vor seiner eigenen Festansprache keine Zwischenrufe und keine Kritik verträgt. Aber man sollte nicht so empfindlich sein, daß man nicht in der nächsten Woche die Debatte hier im Hause führen will.
Ob heute oder in der nächsten Woche ist uns im Grunde genommen egal. Wichtig ist, daß der Kanzler in dieser Frage, die Chefsache ist, spricht.
Wir sollten unsere eigenen Beschlüsse ernst nehmen und große Themen nicht herunterspielen und kleinreden lassen. Hier geht es auch um die Vorbildwirkung von Politik und darum, welche Ausstrahlung dieses Parlament noch hat und ob wir den eingeschlafenen deutsch-deutschen Diskurs noch einmal in Gang bringen. Deswegen bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir hier in der nächsten Woche eine große Debatte erleben.
Als letzter Redner zum Geschäftsordnungsantrag der Abgeordnete Joachim Hörster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann die Erregung des Kollegen Schulz über den Antrag, der Bundeskanzler möge die Mißtrauensfrage stellen, verstehen; denn dieser Antrag enthüllt in der Tat, wie desolat der Zustand der Opposition ist. Sowohl der Kollege Schwanitz als auch der Kollege Schulz haben nachhaltig unterstrichen, daß der Bundeskanzler in diesem Hohen Hause eine Mehrheit hat.
Dieses Hohe Haus entscheidet, wer Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird - sonst niemand.
Ich bin höchst verwundert über die Aufregung, die hier im Zusammenhang mit der Debatte über den Bericht zur Lage im wiedervereinigten Deutschland produziert wird. Wir haben uns doch in dieser Woche im Ältestenrat darauf verständigt, daß über diesen Bericht nächste Woche im Bundestag diskutiert wird. Das heißt, wir befassen uns mit diesem Thema und nehmen uns dieses Themas mit aller Ernsthaftigkeit an. Auch ich bin sehr mit der Meinung einverstanden - wie Sie es in all Ihren Reden haben durchklingen lassen -, daß es auf den Bundeskanzler ankommt.
Ohne diesen Bundeskanzler hätten wir nämlich die Einheit unseres Landes nicht erreicht; dann läge auch dieser Bericht nicht vor.
Nun hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Bundeskanzler einen Brief geschrieben, in dem folgendes steht:
Politik, sei es seitens der Regierung oder seitens der Opposition, darf den drängenden Problemen unseres Landes und unserer Gesellschaft nicht ausweichen.
Ich stimme Ihnen völlig zu. Geben Sie Ihre Blockadepolitik bei den dringenden und notwendigen Reformen auf, die wir in Deutschland brauchen!
Dann werden Sie für unser Land insgesamt etwas Vernünftiges tun und die Situation für die Menschen verbessern. Dazu fordere ich Sie auf.
Ihre heute hier gestellten Schaufensteranträge lehnen wir ab.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag der Gruppe der PDS, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrags, heute eine Regierungserklärung zum Stand der deutschen Einheit abzugeben, zu erweitern? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Aufsetzungsantrag ist bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der PDS mit den Stimmen aus allen anderen Fraktionen abgelehnt.
Als nächstes kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Erweiterung der Tagesordnung um die Beratung ihres Antrages auf Abgabe einer Regierungserklärung am 9. Oktober 1997 durch den Bundeskanzler. Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von CDU/
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der PDS auf Erweiterung der Tagesordnung um die Beratung ihres Antrages zur Vertrauensfrage. Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Die Koalitionsfraktionen haben darum gebeten, die Sitzung jetzt für etwa eine Stunde zu unterbrechen. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe die Zusatzpunkte 3 und 10 auf: ZP3 Vereinbarte Debatte
Maßnahmen für mehr Beschäftigung in Deutschland
ZP10 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung des Aktionsprogramms für Investitionen und Arbeitsplätze sowie des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung
Reformen für Investitionen und Arbeitsplätze — Drucksache 13/8464 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Ich weise darauf hin, daß wir nach dieser Debatte über zwei Beschlußempfehlungen des Vermittlungsausschusses namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren
so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Weltkonjunktur befindet sich im Aufwind, und die Weltwirtschaft wächst. Davon profitiert auch die Wirtschaft am Standort Deutschland. Alle Indikatoren zeigen aufwärts.
Ich finde es gut, daß die Weltwirtschaft im Aufwind ist.
Ich finde es großartig, wenn der Internationale Währungsfonds in Aussicht stellt, wir stünden, was die Weltwirtschaft anbelangt, vor den fünf besten Jahren - verglichen mit den letzten 50 Jahren -, wenn wir die richtigen Entscheidungen fällen würden. Dazu ist es notwendig, konstruktiv mitzuarbeiten und nicht in der Blockade zu verharren.
Die Arbeitslosigkeit bleibt aber noch bedrückend hoch. Daß sich der Aufschwung noch nicht auf dem Arbeitsmarkt auswirkt, hängt mit strukturellen Problemen zusammen, die im Zeichen der Globalisierung der Märkte immer stärker hervortreten. Zu diesen strukturellen Problemen gehören Überregulierungen auf dem Arbeitsmarkt, bei den Tarifverträgen, der Arbeitszeit oder beim Kündigungsschutz. Dazu gehören auch zu hohe Lohnnebenkosten, und schließlich hemmt ein Steuersystem mit zu hohen Spitzen- und Eingangssteuersätzen Arbeitsaufnahme und Arbeitseinsatz.
Wie man die Beschäftigungslage verbessert, zeigt ein kurzer Blick auf andere Länder: nach Großbritannien, nach Irland oder in die Niederlande. Großbritannien verbesserte sich bei der Arbeitslosenquote von 9,8 Prozent im Durchschnitt der 80er Jahre auf voraussichtlich 6,8 Prozent in 1997, Irland von 16,9 Prozent auf 11,7 Prozent und die Niederlande von 8,5 Prozent auf 6 Prozent.
In all diesen Ländern gab es durch einen politischen und gesellschaftlichen Konsens getragene Strukturreformen: in Großbritannien die Öffnung der Arbeitsmärkte, die Steigerung der Löhne deutlich unterhalb der Steigerung der Produktivität, wachstumsfreundliche Steuersenkungen und Korrekturen im Sozialsystem; in Irland eine konsequente Wachstumspolitik, Steuersenkungen, eine auf niedrige Zinsen und Preise gerichtete stabile Finanzpolitik und niedrige Tarifabschlüsse; in den Niederlanden eine zurückhaltende und flexible Lohnpolitik, einen Abbau von Sozialleistungen, Steuersenkungen und eine Teilzeitoffensive.
Das sind Bausteine, die für einen Standort im Zeichen der Globalisierung Beschäftigungserfolge bringen.
Davon haben wir in Deutschland all das umgesetzt, was diese Koalition mit ihrer eigenen Mehrheit umsetzen konnte. Wir haben alles auf den Weg gebracht. Wenn das eine oder andere noch nicht verwirklicht ist, liegt es allein an der SPD-Bundesratsmehrheit und an sonst nichts.
In einer Presseerklärung der SPD vom 24. Januar 1997 heißt es:
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Das Ziel einer Steuerreform muß sein, Wachstum und Beschäftigung zu fördern, die Leistungsträger spürbar zu entlasten, für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen und das Steuerrecht gründlich zu vereinfachen.
- „Leistungsträger spürbar zu entlasten" , habe ich soeben vorgelesen. Davon habe ich bei Ihrem Programm und bei den Vorhaben, bei denen Sie im Vermittlungsausschuß hätten mitwirken können, nichts gespürt.
Ich erinnere an das Modell des Kollegen Schleußer, dem ich von dieser Stelle aus ganz herzlich baldige Genesung wünsche.
Ich erinnere an frühere Äußerungen von führenden Sozialdemokraten, des Fraktionsvorsitzenden Scharping, des Ministerpräsidenten Schröder oder von Frau Ministerpräsidentin Simonis. Das waren alles schöne Worte, die eine Einigung möglich gemacht hätten.
Noch kürzlich hat der Managerkreis der SPD in einem umfangreichen Papier dargelegt, warum eine umfassende Steuerreform unverzichtbar ist. Auch auf der Basis der dort vorgeschlagenen Maßnahmen hätten wir uns im Vermittlungsverfahren in fünf Minuten einigen können. Von all dem wollte die SPD im Vermittlungsverfahren nichts mehr wissen. Übriggeblieben ist ein ökonomisch falsches, unechtes Vermittlungsergebnis zur Umfinanzierung von Lohnnebenkosten, finanziert durch eine Erhöhung der Mehrwert- und der Mineralölsteuer.
Worauf sich die SPD festgelegt hat, ist das Gegenteil von dem, was der nationale und internationale finanz- und steuerpolitische Sachverstand im Zeichen der Globalisierung einfordert, zuletzt auf dem Herbsttreffen von IWF und Weltbank in der letzten Woche in Hongkong.
Zur Sicherung der Beschäftigung und zur Eindämmung der Erosion des Steueraufkommens brauchen wir eine investitions- und wachstumsfördernde Finanzpolitik. Wir brauchen Strukturreformen und Entlastungen in den Sozialversicherungssystemen und bei den Steuern.
Ein Kompromiß bei der Steuerreform und der Senkung der Lohnnebenkosten kann nicht einseitig sein. Mit bloßen Umfinanzierungen bei den Sozialversicherungen und einem kaufkraftorientierten Steuerkonzept ist es nicht getan. Nachfragepolitik ist in einer offenen Volkswirtschaft ein Instrument mit zweifelhafter Wirkung. Höhere Nachfrage geht zu großen Teilen ins Ausland, erst recht, wenn wegen der hohen Steuer- und Abgabenlast bestimmte High-TechGüter in Deutschland nicht mehr hergestellt werden.
Kurzfristige Nachfrageimpulse schaffen keine dauerhaften Investitionen oder Arbeitsplätze, schon gar nicht, wenn sie zu Lasten der betrieblichen Erträge finanziert werden, also über unangemessene Lohnerhöhungen, höhere Steuern und Abgaben oder über höhere Zinsen durch eine höhere Staatsverschuldung.
Wenn Ministerpräsident Lafontaine jetzt nach dem Scheitern der Vermittlung zu massiven Lohnforderungen aufruft, ist das ökonomische Ignoranz, ist das gemeinwohlschädlich, weil dies für die ökonomische Entwicklung in Deutschland genau der falsche Weg ist.
IWF, OECD, Forschungsinstitute, Sachverständigenrat und zuletzt noch einmal nachdrücklich die Deutsche Bundesbank schreiben schwarz auf weiß: Das Konzept der Bundesregierung ist das richtige Konzept für einen erfolgreichen Standort Deutschland im 21. Jahrhundert.
Ihr Konzept, das Konzept der Opposition, ist bei der Anhörung des Finanzausschusses am 16. und 17. Juni 1997 von fast allen Experten abgelehnt worden. Auch bei den Lohnnebenkosten war die Meinung der Sachverständigen nahezu einhellig: Eine Umfinanzierung der gesetzlichen Lohnnebenkosten ist kein geeigneter Weg.
So führt der Sachverständigenrat in seinem Sondergutachten vom Frühjahr 1996 aus: Unter dem Gesichtspunkt einer Senkung der standortspezifischen Belastung insgesamt wird überhaupt nichts damit erreicht, daß man versicherungsfremde Leistungen durch Steuern finanziert. Voraussetzungen für Investitionen werden damit nicht verbessert.
Wenn dann Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, im „Morgenecho" des Westdeutschen Rundfunks am 26. September 1997 einfach behaupten, die Senkung der Lohnnebenkosten sei richtig, „weil sämtliche Wissenschaftler der Meinung sind, das ist in Ordnung so", dann ist das definitiv falsch, was Sie hier erklärt haben.
Sie unterschlagen ganz bewußt die entscheidende Bedingung, damit Arbeitsplätze geschaffen werden: Der Hauptteil der Beitragsstabilisierung muß durch interne Reformen der Versicherungssysteme, durch Einsparungen und nicht durch eine bloße Umfinanzierung geleistet werden.
Wir werden jetzt das beschließen, was ökonomisch richtig und ohne die Zustimmung der Blockademehrheit im Bundesrat möglich ist.
- Genau, jetzt sind wir dabei. Der Solidaritätszuschlag wird ab Beginn des nächsten Jahres um 2 Prozentpunkte gesenkt.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Nur eine Woche nach der kurzsichtigen Blockade der Steuerreformgesetze durch die SPD im Vermittlungsausschuß hat die Koalition ein überzeugendes Konzept zur Absenkung des Solidaritätszuschlages - -
- Da Sie das Konzept noch gar nicht kennen, wiederhole ich den Satz: Nur eine Woche nach der kurzsichtigen Blockade der Steuerreformgesetze durch die SPD im Bundesrat hat die Koalition ein überzeugendes Konzept zur Absenkung des Solidaritätszuschlages um zwei Prozentpunkte beschlossen.
Der Solidaritätszuschlag wird, wie versprochen, zum 1. Januar 1998 auf 5,5 Prozent reduziert. Das entspricht einer Steuerentlastung von 7,1 Milliarden DM. Die Entlastung kommt den Lohn-, Einkommen-und Körperschaftsteuerzahlern ungeschmälert zugute.
Es gibt keine steuerliche Gegenfinanzierung und keine Sonderlasten für einzelne Gruppen der Bevölkerung. Die Kreditaufnahme im Bundeshaushalt und im öffentlichen Gesamthaushalt wird 1998 nicht über das bisher Geplante hinaus erhöht. Der Ausgleich erfolgt über die Nutzung von Finanzierungsmöglichkeiten im Bereich der Erblastentilgung und der Veräußerung von Forderungen aus Grundstücksgeschäften.
- Normalerweise ist es unter gesitteten Menschen so, daß man, wenn man etwas hört, was man noch nicht kennt, für einen Moment zuhört, dann überlegt und dann antwortet.
Aber es gibt politische Typen wie Sie, Herr Fischer, die schreien, bevor sie wissen, was der andere gesagt hat.
Das zeigt: Es geht Ihnen doch gar nicht um die Aufnahme und Antwort hinsichtlich eines Vorschlags. Es geht Ihnen nur um den Krawall. Aber der wird heute nicht zu Ihren Gunsten enden. Das will ich Ihnen von vornherein klipp und klar sagen.
Die Tilgung beim Erblastentilgungsfonds wird um 5 Milliarden DM für 1998 gestreckt. Aus Forderungsverkäufen im Zusammenhang mit Grundstücksgeschäften des Bundes lassen sich rund 1,5 Milliarden DM erlösen.
- Das Ganze ist eigentlich komisch. Normalerweise beschwert sich die Opposition darüber, daß sie von Entscheidungen der Bundesregierung und der Koalition erst über die Presse erfährt. Nun gehen wir wenige Minuten, nachdem wir uns in den Koalitionsfraktionen verständigt haben, sofort ins Plenum, um Ihnen sogleich die Möglichkeit der Aufmerksamkeit und der Replik zu geben. Jetzt ist es wieder nicht recht. Ich glaube, wir praktizieren das richtige demokratische Verfahren.
Zusammen mit der bereits im Haushaltsplan vorgesehenen Nettoentlastung von 0,7 Milliarden DM ergeben die Tilgungsbegrenzungen und der Forderungsverkauf die Summe von 7,1 Milliarden DM, die für die vorgesehene Absenkung des Solidaritätszuschlages erforderlich ist. Mit ihrer raschen Entscheidung hat die Regierungskoalition wirtschafts- und finanzpolitische Handlungsfähigkeit auch unter schwierigsten Bedingungen unter Beweis gestellt.
Eindeutiges und klar definiertes Ziel der SPD ist es, durch Blockade in allen Bereichen notwendiger Reformen den Wählern eine scheinbare Lähmung der Regierungskoalition vor Augen zu führen. Diese kurzsichtige Strategie zu Lasten der deutschen Volkswirtschaft und zu Lasten der arbeitssuchenden Bevölkerung ist zum Scheitern verurteilt.
Trotz ihres Blockadekurses haben wir entscheidende Fortschritte erzielt, nicht zuletzt bei der Abschaffung der arbeitsplatzvernichtenden Substanzbesteuerung, bei der Vermögensteuer und bei der Gewerbekapitalsteuer.
Mit der Rückführung des Solidaritätszuschlags auf 5,5 Prozent erreichen wir zumindest ein Stück von der im Steuerreformkonzept vorgesehenen Tarifentlastung, die im Interesse von Leistungsanreizen und verbesserten Investitionsbedingungen dringend erforderlich ist.
Mit der raschen Entscheidung zur Rückführung des Solidaritätszuschlags unterstreichen wir zugleich unsere Entschlossenheit, am großen Steuerreformkonzept trotz des Widerstandes der SPD festzuhalten.
Unverzüglich nach der Bundestagswahl im nächsten
Jahr werden wir unsere Konzeptionen erneut in den
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Bundestag einbringen. Darauf können sich alle Bürger und Investoren in Deutschland verlassen.
Die steuerliche Nettoentlastung von rund 7 Milliarden DM wird der immer kräftiger werdenden wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung zusätzliche Impulse geben. Das Überspringen der Exportkonjunktur auf die Binnennachfrage wird erleichtert und die sich abzeichnende Trendwende am Arbeitsmarkt verstärkt. Was wir an Wachstum mit 2,5 Prozent in diesem und rund 3 Prozent im nächsten Jahr erwarten, wird mit den heutigen Entscheidungen noch sicherer erreichbar.
Mit ihrer Entscheidung zur Reduzierung des Solidaritätszuschlags und den vorangegangenen steuerlichen Beschlüssen entspricht die Bundesregierung den Erwartungen der nationalen und internationalen Fachleute. Der wirtschafts- und finanzpolitische Sachverstand drängt auf die steuerlichen Entlastungen und Strukturverbesserungen, die die SPD noch blockiert. Andere Länder beginnen mit den Reformen, die wir umsetzen wollten, für die wir alle Vorarbeiten geliefert hatten.
Mit den Entscheidungen zum Solidaritätszuschlag entfernen wir uns keinen Millimeter vom Kurs der strikten Haushaltskonsolidierung.
Wie im Haushaltsentwurf 1998 vorgesehen, bleibt die Kreditaufnahme unter der Höhe der Investitionen. Art. 115 des Grundgesetzes, der diese Grenze für die Kreditaufnahme vorgibt, wird strikt eingehalten.
Dies werden wir im Zusammenhang mit den abschließenden Haushaltsberatungen im November nach Vorlage der neuen gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzung und der sich anschließenden Steuerschätzung in jedem Fall sicherstellen.
Zum Ausgleich für die bisher noch nicht eingeplanten Einnahmeausfälle durch die Senkung des Solidaritätszuschlags in Höhe von 6,5 Milliarden DM nutzen wir erschließbare Chancen im Bereich der Tilgungsleistungen und der finanziellen Forderungen des Bundes gegen Dritte. Aus dem Bundeshaushalt werden jährlich rund 26,5 Milliarden DM für Zins- und Tilgungsleistungen des Erblastentilgungsfonds bereitgestellt.
Auf Grund der Stabilitätserfolge und der dadurch erreichten niedrigen Zinsen hat sich der Tilgungsanteil an dieser Annuität zuletzt deutlich besser entwikkelt, als zunächst vorausgeschätzt. So war zunächst 1998 von einer Tilgung von rund 5 Milliarden DM ausgegangen worden. Nach heutiger Einschätzung werden es 1997 12 Milliarden DM und 1998 zirka 9 Milliarden DM sein. Wir halten es deshalb für sinnvoll und gerechtfertigt, die Tilgungsleistungen 1998 um 5 Milliarden DM zu reduzieren. Die Zinszahlungen und die verbleibende Tilgung des Bundes bleiben davon unberührt. Unangetastet bleibt auch der Tilgungsanteil aus der Bundesbankablieferung.
Dieses Konzept ist ökonomisch sinnvoll, gut vertretbar und entspricht auch dem Generationenvertrag. Das heißt, wir bleiben in der Tilgung und werden etwa im vorgegebenen Zeitraum das tilgen, was durch die Erblast der Kommunisten in Deutschland entstanden ist. Das ist vertretbar, der richtige Weg und konjunkturell und auch für die Investitionen das Beste, was wir im Augenblick für die Volkswirtschaft in Deutschland tun können.
Mit dem Verkauf von Forderungen gegenüber Ländern, Kommunen und Zweckverbänden, die im Zusammenhang mit Grundstücksverkäufen entstanden sind, nutzen wir finanzielle Ressourcen, die uns eigentlich jetzt schon zur Verfügung stünden. Durch die Vereinbarung von Ratenzahlungen hat der Bund zugunsten der Käufer zunächst auf Liquiditätszufluß verzichtet. Wir können jetzt rascher über diese finanziellen Mittel verfügen, indem wir diese Forderungen an interessierte Finanzinstitute veräußern. Ein solcher Forderungsverkauf entspricht dem betrieblichen Alltag und ist ein legitimes Mittel, um Aktiva der öffentlichen Hand für Wachstums- und Beschäftigungsziele zu nutzen.
Meine Damen und Herren, die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zur Steuerentlastung und zum finanziellen Ausgleich für den Bundeshaushalt können unmittelbar in Angriff genommen werden. Bereits in der nächsten Woche soll ein Gesetz zur Senkung des Solidaritätszuschlags vom Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden.
Dies ist möglich, weil dem Bundestag ein sogenannter Restant des Jahressteuergesetzes 1997 vorliegt. Im Finanzausschuß kann damit in der nächsten Woche eine entsprechende Formulierungshilfe eingebracht werden.
Da es sich beim Solidaritätszuschlag um eine Bundessteuer handelt, ist eine Zustimmung des Bundesrates für ein Gesetz nicht erforderlich. Sollte der Bundesrat mit seiner SPD-geführten Mehrheit Einspruch einlegen, kann dieser mit Kanzlermehrheit vom Deutschen Bundestag zurückgewiesen werden, und wir werden ihn auch zurückweisen; darauf können Sie sich verlassen.
Die Anpassung der Tilgung beim Erblastentilgungsfonds erfordert eine entsprechende Veränderung des § 6 des Erblastentilgungsfonds-Gesetzes. Diese Anpassung kann im Rahmen des vorliegenden Haushaltsgesetzentwurfes für 1998 erfolgen. Durch die gesetzliche Anpassung bleiben, wie erwähnt, eine begrenzte Tilgung des Bundes und die Tilgung aus dem Bundesbankmehrgewinn erhalten. Die einzige Konsequenz ist, daß sich die Laufzeit bis zur
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
endgültigen Tilgung der Erblasten wieder etwas verlängert. Ursprünglich war bei geringer veranschlagten Tilgungsleistungen aber ohnehin eine längere Laufzeit vorausgeschätzt worden.
Für die Realisierung der Forderungen aus Grundstücksverkäufen bedarf es keiner gesetzlichen Voraussetzungen. Vorverhandlungen mit interessierten Käufern haben bereits stattgefunden. Nach dem Stand der Gespräche werden sich im Jahre 1998 rund 1,3 Milliarden DM realisieren lassen.
Meine Damen und Herren, die Öffentlichkeit und insbesondere die SPD haben zum Thema Solidaritätszuschlag langanhaltenden Streit, eine Lähmung der Koalition und kleinmütige Beschlüsse erwartet. Diese Erwartungen können wir heute mit dem vorgelegten Beschlußpaket positiv enttäuschen. Sie werden Ihre Reden übers Wochenende umschreiben müssen.
Damit schaffen wir eine gute Ausgangssituation für die Bewältigung der verbliebenen Reformaufgaben, insbesondere der noch ausstehenden Rentenreform.
Was wir heute leisten und erreichen, entspricht dem, was wir an glaubwürdigen Versprechen für die nächste Legislaturperiode abgeben können. In diesem Sinne bitte ich um Ihre Unterstützung.
In der nächsten Woche werden wir auch ein Gesetz zur Finanzierung der Senkung von Lohnnebenkosten bei der gesetzlichen Rentenversicherung vorlegen. Wir wollen einen zusätzlichen Bundeszuschuß an die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten. Er entspricht dem Mehraufkommen einer um einen Prozentpunkt erhöhten Mehrwertsteuer. Der für niedrigere Einkommensgruppen wichtige ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent soll unverändert bleiben.
In einer Untersuchung des Emnid-Instituts haben sich drei Viertel aller Befragten für drastische wirtschaftliche und soziale Reformen ausgesprochen, um Deutschland für Unternehmen attraktiver zu machen. Dieses Votum gab es trotz der ausdrücklichen Bedingung, dafür persönliche Einschränkungen hinzunehmen. Unser Land ist reformwillig.
Die Bundesregierung und die Koalition sind reformbereit und haben ihre Vorschläge gemacht. Wir haben das richtige Konzept. Die SPD verweigert sich. Sie verschließt die Augen vor der ökonomischen Realität, der Erfahrung der Wissenschaft und der Standortpolitik unserer Partner in Europa und auf den Weltmärkten. Es ist ganz eindeutig, wer die Verantwortung für die Verzögerung wichtiger Reformen trägt. Ich verwahre mich dagegen, daß das der Politik vorgeworfen wird.
Ich verwahre mich dagegen, daß allgemein die Politik denunziert wird. Die Verweigerung in Deutschland hat einen konkreten Namen: Sie heißt Lafontaine und Genossen. Das ist die Verweigerungsfront in Deutschland.
Herr Kollege Scharping, an Sie und die Kolleginnen und Kollegen der SPD: Hamburg hat gezeigt, Ihre Verweigerungshaltung wird nicht honoriert. Kommen Sie auf den Boden der Sachpolitik zurück, zum Wohle der Menschen in unserem Land!
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Rudolf Scharping, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, die Arbeitslosigkeit, die Millionen Menschen in Deutschland betrifft, die hohe Jugendarbeitslosigkeit, der Mangel an Ausbildungsplätzen - das alles erfordert eine seriöse, eine solide, eine zukunftsträchtige Politik. Zu der sind Sie nicht fähig.
Der Vermittlungsausschuß kam in Fragen der Steuerreform zu einem Ergebnis, und dieses Ergebnis lautet: Zunächst sollen die Lohnnebenkosten sinken, soll man die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung von Aufgaben befreien, die nicht durch Beiträge zu finanzieren sind. Wir waren der Auffassung, daß dies auch auf Zustimmung der Koalition treffen könnte.
Zum Beispiel hat der Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion am 8. September 1995, also vor zwei Jahren, im Deutschen Bundestag gesagt:
Deswegen halte ich die Vorschläge der SPD, die ich zwischenzeitlich genau gelesen habe, für eine sehr gute Anregung zu einer sachgerechten Diskussion. Man muß ja auch einmal loben, wenn etwas lobenswert ist, auch wenn es von der Opposition kommt.
Herr Kollege Solms, Sie werden heute gegen Ihre damalige Bekundung im Deutschen Bundestag - ob sie Ihrer Überzeugung entsprach, lasse ich offen - stimmen und das ablehnen, was dringend erforderlich ist, nämlich die Entlastung von Arbeitseinkommen, Arbeitsplätzen und Betrieben, die Menschen beschäftigen.
Dieses Ergebnis des Vermittlungsausschusses mit einer Senkung des Rentenversicherungsbeitrages und des Arbeitslosenversicherungsbeitrages um einen Prozentpunkt, was einer Entlastung von 30 Milliarden DM entspricht, wird vom Bundesarbeitsminister abgelehnt werden, von dem jeder weiß und von
Rudolf Scharping
dem jeder nachlesen kann, daß er dieses Konzept für richtig und für notwendig hält. Auch der Bundesarbeitsminister wird heute gegen seine Überzeugung in namentlicher Abstimmung ein Konzept ablehnen, das er selbst seit einigen Monaten mit der SPD gemeinsam vertreten hat.
Dasselbe trifft für viele andere aus der Koalition zu, nicht zuletzt für den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der CDU/CSU. Herr Kollege Schäuble, ich habe Ihren Vorschlag einen Tag vor der Wahl in Hamburg für die Möglichkeit gehalten, endlich etwas zu tun in den Fragen, in denen wir ganz offenkundig einer Meinung sind. Ich war der Auffassung, dieser Vorschlag bietet eine Chance, möglicherweise auch in anderen Fragen zur Einigung zu kommen, jedenfalls dort, wo gemeinsame Auffassungen bestehen. Sie werden heute gegen Ihre eigene Überzeugung Ihren eigenen Vorschlag in namentlicher Abstimmung ablehnen, der einen Weg hätte öffnen können. In dieser Situation der sozialdemokratischen Opposition Blockade vorzuwerfen ist heuchlerisch. Das hat nur mit Ihren Denk- und Handlungsblockaden zu tun, mit sonst nichts.
Im übrigen - auch darauf darf ich Sie aufmerksam machen, Herr Bundesfinanzminister - konnte man vor wenigen Tagen in der „Frankfurter Rundschau" einen Bericht lesen, wonach sich Finanz- und Umweltminister aus elf europäischen Staaten - übrigens auch die deutsche Umweltministerin - auf ein Konzept verständigt haben, das besagt: Die Kosten für Arbeit müssen sinken. Die Lohnnebenkosten müssen sinken. Finanziert werden muß das durch eine Verteuerung der Ressourcen, die zur Zeit zu preiswert sind und deswegen manchmal auch verschleudert werden.
Wie können Sie hier mit europäischen Entwicklungen argumentieren, wie können Sie eigentlich vertreten, daß Ihre Umweltministerin auf europäischer Ebene ein Konzept vertritt, das Sie hier im Deutschen Bundestag als unvernünftig denunzieren? Jeder weiß: Wenn es nicht zu einer Entlastung der Arbeitseinkommen und nicht zu einer Entlastung der Betriebe kommt, wird sich die Arbeitslosigkeit eher erhöhen, als daß sie endlich abgebaut wird - was die wichtigste Aufgabe deutscher Politik ist.
Das alles ist seit Jahren notwendig, seit Jahren bieten wir es an, seit Jahren wird es abgelehnt. Jeder weiß, daß hier im Deutschen Bundestag eine ganze Reihe von Mitgliedern sitzen, die gegen ihre eigene Überzeugung stimmen werden, weil sie nicht anders dürfen.
Was hier stattfindet, ist der Sieg der Koalitionsräson, vorgegeben von der F.D.P., über den sozialen Charakter der Volkspartei CDU/CSU.
Sie ruinieren sich selbst - und das dann auch konsequent.
Seit Jahren ist notwendig, seit Jahren bieten wir an und seit Jahren wird von Ihnen abgelehnt, eine wirksame Steuerreform durchzuführen, Schlupflöcher zu schließen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entlasten, Familien mit Kindern und den Betrieben, die ausbilden oder in neue Arbeitsplätze investieren, zu helfen.
Sie haben ein Gesetz mit neuen Löchern im Umfang von 45 Milliarden DM in den öffentlichen Haushalten verabschiedet.
Jetzt - das macht die ganze Unglaubwürdigkeit Ihrer Politik deutlich - müssen Sie zu einem Buchhaltertrick greifen, um wenigstens die Senkung des Solidaritätszuschlages zu finanzieren. Wenn es überhaupt eines Beweises bedurft hat, daß Sie niemals an die Seriosität, niemals an die Finanzierbarkeit, niemals an die Durchsetzbarkeit Ihrer sogenannten Steuerreform glaubten, dann haben Sie ihn angetreten. Denn wer 20 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt herausreichen will und dann Tage braucht, um zu einem so windigen Ergebnis von 6,5 Milliarden DM zu kommen, der verliert jede Glaubwürdigkeit. Sie wissen das ganz genau.
Nun haben Sie sich auf eine Methode verständigt, zu der ich gleich etwas sagen werde. Es ist ja wirklich erkennbar, daß die Erleichterung bei Ihnen größer ist als die sachliche Überzeugung.
Aber wie wird diese Erleichterung denn bezahlt? Welche Wirkungen entstehen daraus? Ich finde zu diesem Fall in der Wochenzeitung „Stern" eine interessante Tabelle, aus der hervorgeht: Wenn der Solidaritätszuschlag sinkt - wie Sie es uns vorschlagen -, wenn gleichzeitig das steuerfreie Existenzminimum steigt und der Rentenversicherungsbeitrag, wie wir fürchten müssen, auf 20,8 Prozent angehoben wird und der Krankenkassenbeitrag auch - das sind die Folgen Ihrer Politik -, dann hat das folgende Wirkungen: Wenn jemand 5000 DM verdient, verheiratet ist und zwei Kinder hat, verliert er monatlich 6 DM; wenn jemand 8000 DM verdient, verheiratet ist und zwei Kinder hat, verliert er monatlich 14 DM; wenn jemand 10000 DM verdient, verheiratet ist und zwei Kinder hat, verliert er monatlich 35 DM; wenn er 20 000 DM verdient, verheiratet ist und zwei Kinder hat, gewinnt er 44 DM; wenn er 100 000 DM verdient,
Rudolf Scharping
verheiratet ist und zwei Kinder hat, gewinnt er 891 DM. Sie machen erneut Finanzpolitik gegen die Massenkaufkraft, die Binnenkonjunktur, gegen die soziale Gerechtigkeit, gegen die Familien und gegen Kinder.
In der Politik soll man ja immer auf alles schauen, wie ich gelernt habe: Dieses Ergebnis tritt ein, weil Sie nicht in der Lage sind, Entscheidungen zu den Lohnnebenkosten zu treffen. Wenn Sie dazu in der Lage wären, könnte das zu einer Entlastung von Familien mit Kindern und der Normalverdiener beitragen und übrigens auch der Konjunktur in Deutschland helfen.
Nun kommt der Bundesfinanzminister und sagt, er habe die Tilgung gestreckt. Er redet von erschließbaren Chancen und davon, daß er Forderungen verkauft.
Er verhält sich wie ein Taschenspieler, dem nichts Besseres einfällt, als seinen Gläubigern zu sagen: Entschuldigt bitte, seit Jahren führt meine Politik, führt meine Arbeit zu keinem vernünftigen Ergebnis; ich bitte sehr um Verständnis dafür; setzt die Tilgung aus. Was jedem Menschen im seriösen Geschäftsleben als schwerer Mangel anhängen und seine Kreditwürdigkeit und Seriösität beeinträchtigen würde, verkaufen Sie uns hier als Erfolg. Das ist unglaublich.
Ich habe Ihnen ja schon mit der Darstellung der Tabelle aus dem „Stern" vom 1. Oktober demonstriert, wem diese Politik dient. Jetzt will ich sagen, wem sie schadet. Wie können Sie, die Christlich-Demokratische Union, eigentlich Tilgungsaussetzungen verantworten? Diese sind ja zu einem regelrechten Instrument geworden. Wir erinnern uns: Auch beim Eisenbahnvermögen haben Sie schon einmal die Tilgung ausgesetzt, um Ihren Haushalt über die Runden zu bekommen. Wie können Sie glauben, daß ein verantwortungsbewußter Mensch dem zustimmt, wenn Sie doch den zukünftigen Generationen, das heißt den Kindern, die Folgen Ihrer Politik hinterlassen, denen heute sich zu stellen Sie den Mut nicht haben?
Wem sind denn Ihre „erschließbaren Chancen" er-schließbar? Ist dieses vertretbar? Nein, es ist nicht vertretbar, daß Sie Menschen mit einem hohen Einkommen - es sei ihnen gegönnt - eine Steuererleichterung zuschanzen und diese Steuererleichterung dann in Zukunft von den jetzigen Kindern bezahlen lassen. Das ist zukunftsfeindliche und unseriöse Politik zugleich.
Da kommen Sie und reden von erschließbaren Chancen, Forderungen verkaufen, Tilgungen strecken. Was bringt denn das für die Arbeitsplätze, den Konsum und die Massenkaufkraft in Deutschland? Glauben Sie denn im Ernst, daß Menschen wie der Bundeskanzler oder ich oder andere auf Grund der jetzigen Senkung des Solidaritätszuschlages etwas für die Kaufkraft in Deutschland tun?
Vielleicht eine Lasagne oder eine Pizza mehr, ein Fahrradschlauch oder sonst irgend etwas. Aber es ist doch einfach lachhaft, zu behaupten, daß dies der Massenkaufkraft zugute kommt.
Sie machen erneut eine Politik der Umverteilung. Sie wird wieder zu Lasten von Arbeitsplätzen gehen. Sie beschädigen Chancen. Sie müssen doch eines sehen: Es kann mit dieser Politik nicht gelingen, neues Wachstum mit Einnahmen des Staates auf der einen und neuen Arbeitsplätzen auf der anderen Seite zu verknüpfen. Nein, hier wird vom Herrn Bundesfinanzminister - ich räume ein: mit einer gewissen Erleichterung - der Sieg der F.D.P. über das Prinzip der Vernunft und der Seriosität dargeboten.
Mit dieser Politik „Operation Goldfinger Nr. 2"
wird erneut eines demonstriert:
Wenn es um die Wahlchancen des Herrn Bundeskanzlers geht, dann wird er wie in der Vergangenheit auf die F.D.P. setzen, auch um den Preis, daß die Seriosität und die Glaubwürdigkeit der CDU darunter leiden.
Das geschieht schon heute.
Ich muß Ihnen sagen: Mit dieser Finanzpolitik der Taschenspielertricks, die immer neue Löcher aufreißt, um alte zu stopfen, die immer nur eine bestimmte Gruppe in der Bevölkerung bedient, für die große Mehrheit des deutschen Volkes aber nichts mehr tut, werden Sie scheitern. Man kann nur hoffen, daß Deutschland 1998 in einem Zustand ist, der die Aufgabe nicht zu schwer macht, dieses Land wieder in eine vernünftige Zukunft zu führen.
Rudolf Scharping
Ihre Politik belastet, wie es in der Vergangenheit schon der Fall war, die Zukunft. Sie ruiniert Arbeitsplätze, sie enttäuscht die Familien, sie bürdet den Kindern Zukunftslasten auf, die untragbar sind. In der Summe gefährdet sie die Zukunft unseres Landes. Wir lehnen diese Politik ab. Wir werben dafür, daß endlich wieder Politik für die breite Mehrheit des deutschen Volkes und für seine gute Zukunft gemacht wird. Sie sind dazu unfähig. Dafür haben Sie heute erneut einen Beweis angetreten.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Schäuble, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im fünften Buch des Werkes „Wilhelm Meisters Lehrjahre" erteilt uns Goethe folgenden Rat: Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und - wenn es möglich zu machen wäre - ein vernünftiges Wort sprechen.
Also, Herr Kollege Scharping, lassen Sie uns ein vernünftiges Wort sprechen!
- Wir haben Ihnen ruhig zugehört. Der Ratschlag ist nicht schlecht, obwohl es schwerfällt - wie wir gerade gehört haben -, ein vernünftiges Wort zu sprechen. Jetzt wollen wir es einmal versuchen.
Sie haben mich zitiert, und Sie stellen falsche Behauptungen auf. Ich möchte Sie bitten: Nehmen Sie das zurück! Bringen Sie die Sache in Ordnung! Unterstellen Sie mir nicht, ich würde hier gegen meine Überzeugung abstimmen! Diese Unterstellung ist nicht in Ordnung. Lassen Sie sie bleiben!
Ich stimme so ab, wie es mir mein Gewissen gebietet, und nicht anders. Um Ihnen zu gefallen, werde ich nicht das Gegenteil tun. Das war der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: An einer Stelle waren Sie nahe dran, die Wahrheit zu streifen.
Ich will Ihnen genau sagen, wo. Ich habe gesagt:
Wenn wir eine Strukturreform bei der Rentenversicherung und bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer zustande bringen würden, dann wäre ich persönlich dafür - ich habe ausdrücklich gesagt, daß das meine persönliche Meinung ist und daß sie nicht abgestimmt ist -, die Reform trotz der Meinungsverschiedenheiten nicht scheitern zu lassen.
Sie haben gesagt: Wenn man auf diesen Vorschlag eingegangen wäre, hätte man bei der Steuerreform vielleicht etwas erreichen können. - Wir haben aber gar nichts erreicht. Die Haltung der SPD war nach meinem Vorschlag zunächst nicht geschlossen, aber am Ende völlig klar: Es gibt unter gar keinen Umständen eine Strukturreform bei der Einkommen-und Körperschaftsteuer. Das ist die Wahrheit.
- Es mag ja sein, daß Sie sich bemüht haben. Es mag sein, daß sich einige Ministerpräsidenten im Vermittlungsausschuß bemüht haben, etwas zu erreichen.
Aber es ist ganz sicher so gewesen - so jedenfalls haben mich meine Freunde aus dem Vermittlungsausschuß unterrichtet -, daß der Abgeordnete aus Uelzen - um Herrn Schröder zu zitieren -, der noch nie seinen Wahlkreis gewonnen hat, schon frühzeitig den Antrag gestellt und immer mit Lafontaine telefoniert hat, damit nur ja nicht die Gefahr besteht, daß es im Vermittlungsausschuß eine Bewegung hin zur Einigung gibt. So ist die Wahrheit.
Sie haben auch in Ihrer Rede hier wiederum lediglich den Vorschlag der Umfinanzierung gemacht. Etwas anderes ist Ihnen nicht eingefallen: Steuern erhöhen, um den Sozialversicherungsbeitrag zu senken.
Man kann ja in der Frage der Mineralölsteuer unterschiedlicher Meinung sein; das ist doch nicht so aufregend. Aber unsere Position war immer - ich habe das von dieser Stelle aus schon oft gesagt -: Eine Umfinanzierung kann nicht der Ersatz für eine Strukturreform sein. Sie kann nur dazukommen.
Das ist der Unterschied zwischen additiv und alternativ. Sie wollen an Stelle einer Strukturreform bei der Sozialversicherung wie bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer nur eine Umfinanzierung. Das ist völlig unzureichend.
Das ist die gemeinsame Position aller Mitglieder der CDU und der CSU und, wie ich vermute, auch der F.D.P., also der Koalition als Ganzes.
Dr. Wolfgang Schäuble
Sie haben übrigens nur das Vermittlungsergebnis von Anfang August noch einmal vorgelegt. Neues ist Ihnen nicht eingefallen.
- Aber Sie haben doch gesagt, es wäre Bewegung möglich gewesen. Die Bewegung ist jedenfalls in dem Vermittlungsergebnis, das Sie durchgesetzt haben, nicht zu erkennen, sondern das ist die reine Blockade.
- Das Thema dieser Debatte ist doch mehr Beschäftigung in Deutschland. Lassen Sie uns doch ernsthaft über die Argumente und die Alternativen auseinandersetzen.
Ich glaube, es ist in Deutschland inzwischen unbestritten - diese Erkenntnis setzt sich im übrigen auch bei Ihnen zunehmend durch -, daß wir ohne strukturelle Reformen unseres Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts und unserer Systeme sozialer Sicherung nicht mehr Beschäftigung in Deutschland erreichen. Deswegen ist die Blockade dieser Reformen falsch.
Deshalb können Sie sie nicht mit der Umfinanzierung überdecken oder durch sie ersetzen, sondern diese kann nur zusätzlich hinzukommen.
Im übrigen hat Ihnen der Bundesfinanzminister gerade angekündigt, daß wir nächste Woche den Gesetzentwurf einbringen, um den Rentenversicherungsbeitrag um einen Prozentpunkt senken zu können. Dem können Sie dann zustimmen. Wenn Sie weitere strukturelle Reformen mittragen wollen: Im federführenden Ausschuß ist gerade die Renten-strukturreform verabschiedet worden. Nächste Woche werden wir hier darüber debattieren und sie verabschieden. Nur, wenn Sie glauben, es könne alles so bleiben, wie es ist - die Staatsquote müsse nicht verändert werden; sie wird durch Umfinanzierungsmodelle nicht verändert -, dann haben Sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt und dann sind Sie unfähig, Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung in Deutschland zu erreichen.
Daß Sie das inzwischen zunehmend selbst erkennen, wird doch daran sichtbar, daß der SPD-Vorsitzende Lafontaine vor einiger Zeit gesagt hat - nachdem er bisher gesagt hat, man brauche den Spitzensteuersatz überhaupt nicht zu senken, weil er glaubt, Neid sei ein wirkungsvolles Stimulans -, man solle wenigstens einen Mindeststeuersatz von 15 oder 20 Prozent für alle Steuerpflichtigen einführen. Das ist nun das Gegenteil einer sachlich richtigen Steuerpolitik. Sie, Herr Kollege Scharping, haben doch in der vergangenen Woche gesagt, man solle nun schnell einen Gesetzentwurf machen, um Steuerschlupflöcher zu schließen. Um Himmels willen, warum haben Sie ihn denn im Vermittlungsverfahren verhindert?
Der Unterschied ist doch sehr einfach. Wir haben gesagt: Steuerschlupflöcher schließen, um Steuersätze zu senken. Sie haben das verhindert und sagen jetzt: Steuerschlupflöcher schließen, ohne Steuersätze zu senken. Ein paar Tage danach sind Sie ja zurückgepfiffen worden. Das sind merkwürdige Sitten; Herr Hörster, das fangen wir bei uns nicht an, das ist klar.
Ich habe die Agenturmeldung vom 1. Oktober vorliegen, daß die SPD vorerst keinen eigenen Entwurf zu einem Gesetz zur Schließung von Steuerschlupflöchern vorlegen wird, wie es der Fraktionschef Scharping in der vergangenen Woche angekündigt hatte,
weil der Fraktionsgeschäftsführer Struck am Mittwoch erklärt hat, dazu müßten die Vorstellungen der SPD in diesem Bereich konkretisiert werden. Dazu seien aber noch Beratungen im SPD-Präsidium und mit den SPD-regierten Ländern notwendig.
Dazu braucht man doch gar nichts weiteres zu sagen. Es ist doch klar: Auch dies wird Lafontaine blokkieren. Das besagt die Erklärung von Struck; so einfach ist das.
Herr Kollege Dr. Schäuble, gestatten Sie dem Kollegen Conradi eine Zwischenfrage?
Ich möchte gerne den Gedanken zu Ende führen, Herr Präsident. - Herr Scharping, wenn wir Bewegung erreichen wollen, dann können wir es nicht so machen, wie Sie es heute versucht haben. Vielmehr müssen wir dann darüber reden, was in diesem Lande wirklich an strukturellen Reformen notwendig und möglich ist. Erst dann werden diese Debatten dazu führen, daß wir mehr Beschäftigung - oder jedenfalls die Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung - erreichen.
Bitte sehr.
Herr Dr. Schäuble, ist es nicht eigenartig, daß Sie nach 15 Jahren, in denen Sie in diesem Hause die Mehrheit hatten und zahlreiche Steuerschlupflöcher geschaffen haben, so daß der Bundeshaushalt heute am Ende ist, ausgerechnet die Opposition auffordern, sie solle Ihnen Vorschläge
Peter Conradi
machen, wie die Steuerschlupflöcher, die Sie zu verantworten haben, zu beseitigen sind?
Herr Kollege Conradi, ich habe die SPD doch gar nicht aufgefordert, einen Entwurf vorzulegen.
Unser Entwurf liegt doch vor, er ist sogar vom Bundestag verabschiedet worden. Er ist nur nicht in Kraft, weil die Mehrheit im Bundesrat die Zustimmung verweigert hat. Unser Entwurf liegt vor; wir brauchen keinen neuen Entwurf.
Ich habe gesagt - das ist bei Ihnen vielleicht nicht angekommen, weil Sie ein paar Helden haben, die immer dazwischenschreien, wobei die Qualität der Zwischenrufe wirklich im Gegensatz zur Quantität steht -: Daß die Richtigkeit einer Strukturreform auch bei Ihnen zunehmend erkannt wird, unterstreicht doch die Tatsache, daß sich jetzt auch Herr Scharping dafür einsetzt, wenigstens Schlupflöcher zu schließen.
Ich habe Sie überhaupt nicht aufgefordert, einen Vorschlag zu machen. Der Gesetzentwurf liegt vor; wir brauchen keinen neuen. Wir brauchen nur die Zustimmung des Bundesrates.
Übrigens, eine theoretische Chance gibt es noch: Wir lehnen jetzt das unechte Vermittlungsergebnis ab, und wenn das Wunder geschehen sollte, daß sich die Einsicht durchsetzt, dann kann der Bundesrat zustimmen, und wir haben eine wunderbare Strukturreform unseres Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts, die die Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung verbessert.
- Wenn Sie wollen, kann ich es Ihnen noch einmal erklären.
Herr Kollege Schäuble, es tut mir leid, daß ich Sie unterbrechen muß. Beantworten Sie noch eine Zwischenfrage von Frau Eichstädt-Bohlig?
Nein, ich würde jetzt gerne ein paar Sätze weiterreden. Ich muß mich ja auch noch mit den Zwischenrufen auseinandersetzen.
Der entscheidende Punkt, warum es so schwierig war, überhaupt auch nur einen Einstieg in ernsthafte Verhandlungen über eine Steuerreform zu gewinnen, ist doch gewesen, daß die Position, die Herr Lafontaine mehrfach verkündet hat - man sei nur bereit, über das Jahr 1998 zu verhandeln und über sonst nichts -, eine Position war, mit der man keine Steuerstrukturreform hinbekommt.
Das ist die Wahrheit. Das wissen wir doch alle.
- Jetzt seien Sie doch einmal einen Moment still!
Wir können doch nicht eine Steuerentlastung in der Größenordnung, wie sie notwendig ist, damit wir die Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung erreichen, bei den begrenzten haushaltspolitischen Spielräumen in einem Jahr schaffen. Das haben wir schon in den 80er Jahren nicht gekonnt. Deswegen haben wir die Reform damals in drei Stufen -1986, 1988, 1990 - durchgeführt. Deswegen haben wir auch diesmal gesagt: Die Reform muß über mehrere Jahre gehen. Dann können die Haushalte von Bund und Ländern auch etwaige Einnahmeausfälle verkraften.
Wenn man für eine Steuerstrukturreform einige Jahre Zeit hat, gibt es eine ganz andere Wirkung: Durch die Senkung der Steuersätze und die Beseitigung von Ausnahmen werden die Steuereinnahmen wieder steigen, weil die Wachstumskräfte gestärkt werden. Im Moment haben wir doch den katastrophalen Zustand, daß die Steuereinnahmen auf Grund der zu hohen Steuersätze bei Wirtschaftswachstum zurückgehen; das liegt an der Erosion der Steuerbasis. Diese Wirkung erzielen Sie aber nicht im ersten Jahr nach der Steuersatzsenkung. Ich habe Ihnen übrigens schon in der letzten Debatte dazu dargelegt, daß das der Kardinalfehler Ihrer Position ist. Vielleicht aber ändern Sie diese noch bis zur Sitzung des Bundesrats; denn noch kann er zustimmen. Noch gibt es eine Chance, dies auf den Weg zu bringen.
- Ich erkläre Ihnen gerade, Frau Matthäus-Maier, daß eine bloße Umfinanzierung ohne strukturelle Reformen den Anforderungen unseres Landes und des Arbeitsmarkts nicht gerecht wird.
Ich möchte eine weitere Bemerkung machen, wenn Sie es mir erlauben, auch diesmal im Sinne der Mahnung aus „Wilhelm Meisters Lehrjahre". Wir haben die Situation, daß die Mehrheit des Bundesrates, die der Wähler so verfügt hat - natürlich wird das Mandat für die Bundespolitik in erster Linie durch die Bundestagswahlen erteilt; aber bestimmte Ge-
Dr. Wolfgang Schäuble
setze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates -, derzeit nicht von der Koalition gestellt wird. Auch der Parteivorsitzende Helmut Kohl, als er Oppositionsführer war, und die Union, als sie im Bundesrat die Mehrheit hatte, waren nicht immer ganz zimperlich,
politische Vorstellungen der Union mit Hilfe ihrer Mehrheit durchzusetzen. Liebe Freunde, das ist die Wahrheit; das wissen wir doch alle. Aber die Rigidität, die Rücksichtslosigkeit, mit der die Mehrheit im Bundesrat heute durch den SPD-Vorsitzenden genutzt wird, ist neu in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und so nie dagewesen.
So wird es nicht bleiben können, wenn unser bewährtes System nicht Schaden nehmen soll. Es ist die exzessive Nutzung, die so mißbräuchlich ist.
Was bleibt uns als Mehrheit im Bundestag, als Koalition und Regierung in dieser Situation übrig? Wir müssen versuchen, das Menschenmögliche an strukturellen Reformen durchzusetzen, ohne daß die SPD-Mehrheit im Bundesrat die Chance hat, das zu blockieren. Das haben wir schon bei der Krankenkassenreform gemacht; es ist uns doch nicht leichtgefallen.
- Darf ich Sie zum letztenmal ermahnen: Ich habe während der Rede des Kollegen Scharping nicht einen einzigen störenden Zwischenruf gemacht.
Wenn auch Sie sich daran halten könnten, machten wir als Parlament insgesamt einen besseren Eindruck auf die Bevölkerung in unserem Lande.
Wir haben gesagt: Wir machen die Gesundheitsreform. Eigentlich wollten wir sie mit Zustimmung des Bundesrates machen. Das ging nicht, also haben wir es anders gemacht. Das hat uns viel Kritik eingebracht. Es gab zwei Anläufe: Erst wurde blockiert, dann ging es ohne Zustimmung des Bundesrates.
Wir werden beim Energiewirtschaftsrecht das gleiche Problem haben. Wir werden es im Zweifel wieder so machen müssen, daß eine Zustimmungspflicht des Bundesrates nicht besteht.
- Verzeihen Sie! Wenn Sie sich in unserem Land umschauen, dann werden Sie merken, daß die allermeisten Menschen in diesem Lande verstanden haben, daß die Bundesratsmehrheit legitim ist, daß aber dieser strategische Ansatz von Herrn Lafontaine, der in Ihren Reihen höchst umstritten ist, mißbräuchlich ist und daß es so nicht bleiben kann.
Ich will aber nur sagen, was uns in dieser Situation zu tun übrigbleibt. Was können wir in der Steuerpolitik beim Solidaritätszuschlag machen? Genau das, was der Bundesfinanzminister vorgetragen hat. Natürlich wäre eine Strukturreform des Einkommen-und Körperschaftsteuerrechts wichtiger und richtiger als die bloße Senkung des Solidaritätszuschlags. Das ist doch völlig unstreitig.
Im übrigen, Herr Scharping, haben Sie noch im Januar 1995 gesagt: Der Solidarzuschlag muß weg - je schneller, desto besser. - Das sagte auch SPD-Chef Rudolf Scharping.
Jetzt aber Spaß beiseite.
Jeder weiß: Die Steuereinnahmen gehen trotz hoher Steuersätze zurück; die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden sind notleidend. Die Bundesratsmehrheit handelt ja gegen die Interessen ihrer eigenen Länder. Wir können mangels Zustimmung der SPD-Mehrheit im Bundesrat eine Steuerreform im Moment nicht zustande bringen; das ist ein großer Schaden. Das einzige, was wir zustande bringen können, sind Maßnahmen, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedürfen: Das ist die Senkung des Solidarzuschlags.
Jetzt können wir die Ökonomen trefflich streiten lassen. Ich bin ganz sicher: Angesichts der Tatsache, daß trotz steigender Wirtschaftstätigkeit - im letzten Quartal haben wir ein reales Wachstum von 2,9 Prozent gehabt; im nächsten Jahr werden wir bei über 3 Prozent liegen - bei unseren jetzigen hohen Sätzen die Steuereinnahmen rückläufig sind, ist es dringend notwendig, wenigstens Schritte in Richtung auf eine Senkung der zu hohen Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerbelastung zu gehen. Der einzige Schritt, der uns bleibt, ist die Senkung des Solidarzuschlags. Es ist richtig, diesen Schritt so zu gestalten, daß er nicht etwa nachteilige ökonomische Folgen hat. Vielmehr wollen wir den Solidaritätszuschlag senken und wollen dabei in Kauf nehmen, daß wir mit den Einzahlungen in den Erblastentilgungsfonds etwas in zeitlichen Verzug geraten, wobei ich im übrigen sagen muß, daß wir bei diesen Einzahlungen - wie der Finanzminister dargelegt hat - besser liegen, als im Plan vorgesehen. Wenn ich die beiden Möglichkeiten gegeneinander abwäge, so komme ich zu dem Schluß, daß das das wirtschaftlich Beste und Vernünftigste ist, was wir tun können. Das ist aber nur so angesichts der Tatsache, daß Spielraum für Vernunft nur dort gegeben ist, wo die Zustimmung des Bundesrates nicht notwendig ist.
Dr. Wolfgang Schäuble
Leider ist ein Spielraum für Vernunft bei allen Angelegenheiten, die der Zustimmungspflicht des Bundesrates unterliegen, derzeit nicht vorhanden.
Deswegen werden wir diesen Weg gehen. Er ist richtig.
Eine weitere Bemerkung. Wir haben die grundlegenden strukturellen Reformen für mehr Beschäftigung in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht. Herr Kollege Conradi, auch das ist eine Antwort auf Ihre Zwischenfrage. Es ist ja nicht wahr, daß nichts geschehen ist. Wenn Sie sich an Ihre eigenen Reden aus dem letzten Jahr und daran erinnern, was Sie uns alles vorgeworfen haben, welche aus Ihrer Sicht schlimmen Dinge wir gemacht hätten, dann können Sie andererseits nicht gut behaupten, wir hätten gar nichts gemacht.
Das Sozialhilferecht ist reformiert worden. Es kommt jetzt darauf an, daß alle Sozialhilfeträger, Gemeinden, Städte und Landkreise, die Möglichkeiten, die das veränderte Sozialhilferecht ihnen für mehr Beschäftigung bei Sozialhilfeempfängern bietet,
nutzen und wahrnehmen und das umsetzen. Die Gesetze müssen auch umgesetzt werden!
Das Arbeitsförderungsgesetz ist novelliert worden und bietet Arbeitgebern, die zum Beispiel Langzeitarbeitslose einstellen, neue Möglichkeiten, Sozialversicherungsbeiträge von der Arbeitsverwaltung erstattet zu bekommen, um nur eines zu nennen.
Wir haben die Möglichkeiten für Existenzgründer verbessert. Wir haben den Handlungsspielraum und damit auch die Verantwortung der Tarifpartner in bezug auf die Lohnfortzahlung und das Schlechtwettergeld erweitert, weil die Tarifpartner ihren Teil der Verantwortung für den Arbeitsmarkt wahrnehmen müssen. Was erfreulich ist, ist, daß ja auf seiten der Tarifpartner, wie nicht zuletzt der Tarifabschluß bei der Altersteilzeit beweist, die Einsicht in die Notwendigkeit struktureller Reformen viel weiter verbreitet ist als zur Zeit im konkreten Handeln der Bundesratsmehrheit.
Wir haben die gesetzliche Krankenversicherung reformiert. In der vergangenen Woche konnten Sie lesen, daß die pharmazeutische Industrie darüber geklagt hat, daß in den Monaten Juli und August im Inland die Umsätze mit pharmazeutischen Produkten zurückgegangen sind. Das ist eine Folge der am 1. Juli in Kraft getretenen Reform der gesetzlichen Krankenversicherung. Das beweist: Es gibt Einsparungen. Einsparungen führen natürlich auch zu Umsatzrückgängen. Das läßt sich leider nicht vermeiden.
Wenn man einfach nur umfinanziert, weiß man nicht, was Sparen bedeutet. Es wird im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen gespart.
Die Rentenstrukturreform wird in der nächsten Woche vom Bundestag verabschiedet werden.
Wir sind also auf dem Weg der strukturellen Reformen.
Auch die Strukturreform unseres Einkommen-und Körperschaftsteuerrechts
ist dringend notwendig; sie ist unausweichlich. Sie hätte in dieser Legislaturperiode kommen müssen. Viele von Ihnen wissen: Es ist eine wirklich verantwortungslose Haltung von Ihnen, daß Sie das auf das Jahr 2000 schieben. Ich sage Ihnen: Die Strukturreform wird kommen.
Es wird ja das Argument angeführt werden: Wir haben dann im Bundesrat vielleicht immer noch die Mehrheit. Dazu möchte ich sagen, daß wir das einmal abwarten sollten, wie das mit der Mehrheit nach der Niedersachsen-Wahl aussehen wird.
Aber das lasse ich jetzt. Ich bin davon überzeugt: Die Mehrheit der Menschen in Deutschland wird bei der Bundestagswahl ihren Willen dahin gehend zum Ausdruck bringen, daß sie eine Strukturreform auch im Bereich des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts durchgeführt sehen will. Dann wird die Blokkade ein Ende haben.
Ich bin gestern abend auf einer Veranstaltung einer wichtigen Arbeitgebervereinigung in einem großen Bundesland gewesen. Der Präsident hat nicht alles, was die Politik zustande gebracht hat, nur gelobt. Das kann man auch verstehen. Aber er hat etwas sehr Bemerkenswertes gesagt: Vieles an Reformen, auch an strukturellen Reformen unserer sozialen Sicherungssysteme - ich habe sie gerade aufgezählt -, ist auf den Weg gebracht worden; nicht um diese sozialen Sicherungssysteme abzuschaffen, sondern um sie zukunftsfest zu machen. Das ist auch das Ziel der Rentenreform.
Die Reformen zeigen auch Wirkung. Aber wir in Deutschland haben gelegentlich zu wenig Geduld. Wir meinen, wenn eine gesetzliche Änderung am 1. Juli in Kraft getreten ist, dann muß man am 10. Juli schon die Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt ablesen können. So funktioniert die Veränderung von Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt nicht.
Daß sich unsere Reformen auswirken und unser Weg der richtige ist, wird auch dadurch unterstrichen, daß das reale Wirtschaftswachstum in Deutschland zunimmt. Natürlich wäre es ganz verantwortungslos zu behaupten, wir hätten auf dem Arbeits-
Dr. Wolfgang Schäuble
markt eine gute Lage. Aber wir spüren Anzeichen der Veränderung zum Besseren.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Lassen Sie uns mutig und entschieden auf diesem Weg vorangehen! Der Vorschlag zur Senkung des Solidaritätszuschlages, den der Bundesfinanzminister Ihnen vorgetragen hat, findet die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion und ist ein geeigneter weiterer Schritt, um die Rahmenbedingungen für mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu verbessern.
Das Wort hat der Kollege Joschka Fischer, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem auch die zweite Runde des Einigungsversuchs zur großen Steuerreform im Vermittlungsausschuß gescheitert ist, bleibt - auch angesichts der heutigen Debatte - eine Bilanz, die uns eigentlich alle deprimieren müßte. Dieses Schwarzer-PeterSpiel, Kollege Schäuble, diese durchsichtige und auf die primitivste Form des Wahlkampfs zielende Methode
- nach dem Motto: „Die Opposition ist schuld! " , „Die Opposition blockiert! ", deswegen bekommen wir, die wir in den vergangenen 14 Jahren eigentlich Weltmeister der Strukturreformen waren, nichts hin - wird das Ansehen der Politik, das prophezeie ich Ihnen, insgesamt in Deutschland schädigen. Das wird andere stärken, nicht die demokratischen Parteien und die Fraktionen, die in diesem Hause sitzen. Das wird die Politikverdrossenheit stärken und letztendlich eine Abkehr von der Demokratie befördern. Das finde ich schlimm, gerade auch vor dem Hintergrund der Hamburger Wahlergebnisse.
Ich bin es auch leid, daß Zustände herbeigeredet werden, bei deren Beschreibung man das Gefühl hat, der Untergang des Abendlandes stehe unmittelbar bevor. Damit meine ich auch diese „Handlungsunfähigkeitsoper" . Ich darf Sie nur einmal daran erinnern, daß wir noch vor geringer Zeit hier im Hause gemeinsam - ich glaube, sogar fast einstimmig - die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft haben,
nachdem klar war, daß dies nicht wieder zu Lasten der Kommunen, vor allem der Großkommunen, geht. Denn das war unsere Sorge.
Deswegen, meine Damen und Herren, möchte ich in aller gebotenen Sachlichkeit - und auch mit der notwendigen polemischen Zuspitzung, die zu einer parlamentarischen Debatte gehört - die Situation noch einmal aus meiner Sicht darstellen: Die Situation ist ernst. Ich sage dies gerade am Vortag des Nationalfeiertags zum siebten Jahrestag der deutschen Einheit. Die Entwicklung in Ostdeutschland stagniert. Wenn man sich die Wachstumszahlen in Ostdeutschland, wenn man sich die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in Ostdeutschland anschaut, stellt man sogar fest, daß sie gegenüber Westdeutschland relativ zurückfallen.
Wir stehen gemeinsam vor folgendem Problem - ich will das jetzt nicht wieder am Bundeskanzler festmachen; vermutlich waren die Entscheidungen auch Ausdruck der objektiven Handlungszwänge und des Bewußtseins der Mehrheiten in diesem Lande -: Wir finanzieren mit dem Nachbau West in Ostdeutschland den Aufbau von Strukturen, die in Westdeutschland selbst mittlerweile hoch erneuerungsbedürftig geworden sind.
Das engt die Spielräume, auch und gerade die finanziellen Spielräume für Reformen, für alle Beteiligten dramatisch ein.
Bei all dem wird man die Notwendigkeit von Strukturreformen nicht verneinen können. Ich kenne auf seiten der Opposition in diesem Hause niemanden, der diese notwendigen Strukturreformen nicht schon längst bei der Regierung eingeklagt hätte. Ich frage mich nur: Warum sind Sie die nicht schon längst angegangen? Unser großes Problem ist doch nicht, Herr Kollege Schäuble, daß wir darüber diskutieren müssen: Brauchen wir eine große Steuerreform, ja oder nein? Wir bräuchten sie unseres Erachtens schon längst.
Unserer Meinung nach geht es aber nicht - da müssen Sie sich an den konkreten Taten messen lassen -, daß Sie hier gemeinsam mit der F.D.P. permanent verkünden: Steuerpolitisch brauchen wir eine entsprechende Absenkung des Staatsanteils. In Wirklichkeit betreiben Sie mit Steuerpolitik jedoch eine Gesellschaftspolitik, die letztendlich nur zu einem weiteren Auseinanderklaffen der Einkommensschere führt und nicht einen Arbeitsplatz mehr bringt.
Kollege Schäuble, mich würde dazu eine konkrete Antwort interessieren und nicht nur der Hinweis: Das kommt nicht innerhalb eines Jahres. - Das, was Sie an Wachstumsvorteilen darstellen, ist übrigens nicht das Ergebnis von Politik, ich meine, von Politik insgesamt; sondern es ist das Ergebnis der Restrukturierung der deutschen Volkswirtschaft, vor allen Dingen der großen Unternehmen, die mittlerweile erfolgreich abgeschlossen ist. Das ist die gute Bot-
Joseph Fischer
schaft. Die schlechte Botschaft ist, daß diese Restrukturierung massiv zu Lasten der Beschäftigung ging und geht.
Es ist hier mittlerweile zur Lachnummer von Liberalen und Konservativen geworden, daß auf die Massenkaufkraft hingewiesen wird. Da kann ich Ihnen nur sagen: Was machen Sie denn mit Ihrer Senkung des Solidaritätszuschlages anderes? Ist das etwa eine Stärkung von Investitionskraft? Oder ist es der Versuch der Stärkung von Massenkaufkraft?
Wir sind mit dem Solidaritätszuschlag und mit höheren Steuern doch nicht verheiratet. Wir fragen uns nur, wie Sie die Absenkung des Solidaritätszuschlags gegenfinanzieren wollen. Darauf komme ich nachher noch zu sprechen. Das, was Sie hier vorgestellt haben, ist ziemlich abenteuerlich und das Gegenteil von Strukturreformen.
Meine Damen und Herren, wir sind für eine große Steuerreform, die Steuervereinfachung, Steuergerechtigkeit und Steuertransparenz zum Ziel hat. Sie wäre mit uns machbar gewesen. Wir wenden uns auch nicht gegen eine entsprechende Reform der Einkommensteuertarife.
- Das haben wir immer gesagt. Da bedarf es keines Zwischenrufs von Dr. Kiwi, wirklich nicht. Das ist nicht nötig.
Was wir nicht mitmachen - und das ist der entscheidende Punkt -, ist eine unseriöse Entlastungspolitik, die nicht klar vorgibt, wie die neu aufgerissenen Löcher durch eine Gegenfinanzierung geschlossen werden sollen.
Ich will Ihnen sagen, was mit uns gegangen wäre und geht. Mit uns ist ein neuer Einkommensteuertarif möglich, wenn er mit dem Schließen von Steuerschlupflöchern und mit dem Abbau von Steuerumgehungstatbeständen gegenfinanziert wird.
Ich sehe in der Tat keinen Sinn darin, daß wir nominal hohe Spitzensteuersätze haben, die real tendenziell gegen null gehen. Das gilt für entsprechend angelegtes Vermögen, vor allen Dingen im Immobilienbereich. Darin sehe ich wenig Sinn.
Wogegen wir uns energisch wenden, ist, daß es zu einer realen Nettoentlastung der Spitzeneinkommen kommt. Wir sagen hier klipp und klar: Wir wollen keine reale Entlastung. Wir sind für ein nominales Absenken. Mit uns ist eine solche Umverteilungspolitik, wie Sie betreiben, nicht machbar.
Ein weiterer Punkt. Nach unseren Vorstellungen bekommen Sie und ich nicht mehr Geld. Das ist der Unterschied zwischen uns.
Das ist nun mal so. Damit werden wir vor die Wählerinnen und Wähler treten. Wir finden, wir können dies gut begründen, weil wir beide - Sie als Abgeordneter, ich als Abgeordneter, Sie als Unternehmer in letzter Zeit -, was unsere Einkommen betrifft, nicht was die betrieblichen Steuern betrifft, unter dieser Regierung genug bekommen haben. Die Probleme liegen in diesem Lande weiß Gott nicht bei uns, sondern weiter unten.
Wir sind für Steuergerechtigkeit. Wir sind für Steuervereinfachung. All dies wäre zu machen gewesen. Wir sind auch für eine Unternehmensteuerreform. Wir sind selbstverständlich für all das, was Arbeitsplätze schafft. Aber man muß dann doch auch sagen: Wir liegen vor allen Dingen bei den Lohnnebenkosten weit, weit über dem Durchschnitt, vor allen Dingen seit 1990, als die Lohnnebenkosten explodiert sind. Schauen Sie sich die jüngsten Veröffentlichungen dazu, zum Beispiel in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung", an: über die Arbeitslosenversicherung, wie die Belastungen im Ost-West-Verhältnis tatsächlich aussehen.
Damit ich hier nicht mißverstanden werde: Wir müssen den Aufbau Ost weiter solidarisch finanzieren - aus moralischen Gründen, aber auch aus ganz ökonomischen Gründen; denn jedes Verzögern dort wird meines Erachtens zu wesentlich mehr Kosten führen und den Zusammenhalt dieses Landes gefährden. Das sage ich, damit hier überhaupt kein Irrtum aufkommt.
Aber gerade vor diesem Hintergrund ist das, was Sie an Steuersenkungspolitik betreiben, verantwortungslos. Aus diesem Grunde ist das, was Sie an Steuersenkungspolitik betreiben, meines Erachtens kurzsichtig und wird die Zukunftschancen dieses Landes gefährden.
Wir sind für Steuervereinfachungen und Steuertransparenz. Das heißt, für uns wäre eine Politik des Schließens von Steuerschlupflöchern möglich gewesen. Wir sind aber noch mehr für ein Senken der hohen Bruttoarbeitskosten in diesem Lande.
Da kam der Kollege Schäuble, der, wie ich jetzt festgestellt habe, immerhin bei Wilhelm Meisters Lehrjahren angekommen ist, und hat jüngst etwas Vernünftiges gesagt.
Joseph Fischer
Er hat sogar etwas sehr Vernünftiges gesagt.
Ich habe das sogar im Fernsehen gesehen. Die Begründung war noch vernünftiger, Kollege Schäuble. Bei uns wäre sie mehrheitsfähig, in Ihrem Laden allerdings nicht. Das ist das große Problem.
Ich nehme es zurück: In der CDU ist das mehrheitsfähig, bei der CSU schon nicht mehr, und die F.D.P. kriegt die Krätze, wenn sie diesen Vorschlag umsetzen soll.
Herr Kollege Fischer, gestatten Sie dem Kollegen Schäuble eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Fischer, damit kein falsches Zitieren stehenbleibt: Sind Sie bereit zu bestätigen, daß ich gerade vor Ihnen vom Rednerpult aus erklärt habe,
daß wir immer gesagt haben - ich habe nie etwas anderes gesagt -, daß wir eine Beitragssenkung, durch Verbrauchssteuern finanziert, nur zusätzlich zu strukturellen Reformen bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer wie bei der Rentenversicherung machen können?
Ich habe gesagt: Ich persönlich würde es, wenn eine Strukturreform bei der Rente wie bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer möglich wäre, nicht an ein paar Pfennigen bei der Mineralölsteuer scheitern lassen.
Ich habe es gerade noch einmal gesagt. Ich bitte Sie zu bestätigen - ich frage Sie jetzt gar nicht -, daß ich gesagt habe, daß die SPD-Mehrheit im Bundesrat zu strukturellen Reformen weder bei der Einkommen-und Körperschaftsteuer noch bei der Rente bereit war und daß die Sache daran gescheitert ist.
Herr Kollege Schäuble, ich bin gern bereit, zurückzunehmen, daß Sie sich auf der Rückwärtsbewegung befinden. Das ist ohne jeden Zweifel richtig. Ich stimme Ihnen sogar zu: Eine Senkung der Lohnnebenkosten allein würde nicht reichen. Die Einführung einer Ökosteuer ist eine Strukturreform, die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist keine, mein Lieber. Das müßt ihr bei der ganzen Sache bedenken.
Wenn wir über Strukturreformen reden - ich finde, das ist ein sehr gutes Argument des Kollegen Schäuble -, dann sage ich Ihnen: Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, eine reine Umfinanzierung reicht nicht, sondern eine Ökosteuer - eine Erhöhung der Steuern auf den Energieverbrauch insgesamt und insofern nicht nur eine Erhöhung der Mineralölsteuer - würde meines Erachtens einen strukturellen Effekt auch auf die Öffnung neuer Märkte und damit auf neue Arbeitsplätze auslösen, den Sie mit Ihrer Mehrwertsteuererhöhung nicht bekommen.
Nun weiter: Herr Kollege Schäuble, ich stimme Ihnen sogar ausdrücklich zu, daß wir die Strukturreform - ich habe Ihnen gerade gesagt, was mit uns machbar ist - brauchen. Wir brauchen die Strukturreform, und Sie hätten sie längst anpacken müssen. Jetzt komme ich aber zum entscheidenden Unterschied, den ich vor der deutschen Öffentlichkeit klarstelle:
Wir würden gern einer Nettoentlastung zustimmen; denn wir sehen in hohen Steuersätzen und hohen Steuerlasten für die Bürgerinnen und Bürger keinen Selbstzweck. Wozu denn? Nichts wäre für eine Opposition leichter und schöner, als die Regierung wegen zu hoher Steuern zu geißeln und zu sagen: Wenn wir an die Regierung kommen - so versprechen wir -, werden die Steuern um den Faktor X, Y oder Z in einem Abwertungswettbewerb gesenkt.
Nur: Hat das etwas mit der Haushaltsrealität zu tun? Hat ein solches Versprechen etwas mit einer verantwortlichen Politik für unser Land zu tun?
Wir würden uns auf F.D.P.-Niveau begeben, wenn wir das täten.
Davor bewahre uns ein gütiges Schicksal.
Der entscheidende Punkt, Herr Kollege Schäuble, in dem wir uns unterscheiden - da liegt der eigentliche Dissens -, ist nicht die Notwendigkeit der Strukturreform, sondern die Nettoentlastung, die Sie vorschlagen. Auch da wären wir bereit zuzustimmen, wenn Sie endlich eine seriöse Gegenfinanzierung vorstellen würden. Das Prinzip Hoffnung, daß es sozusagen einen Selbstfinanzierungseffekt geben wird, werden wir Ihnen angesichts der Haushaltslöcher nicht abnehmen können.
Joseph Fischer
Ich will Ihnen etwas sagen: 1997 haben wir einen Fehlbetrag in Höhe von 71 Milliarden DM, der mittlerweile aufgelaufen ist. In 1998 pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß dieser Haushalt unseriös ist. Mein Kollege Metzger hat gestern im Haushaltsausschuß zu Recht den Antrag gestellt, endlich die Beratungen bis zur nächsten Steuerschätzung auszusetzen, damit wir nicht über reine Zahlenfiktionen reden, sondern wissen, welche Zahlen einigermaßen seriös sind. Mit diesem Finanzminister haben wir diesbezüglich ja schon die tollsten Erfahrungen gemacht.
Wie wollen Sie denn angesichts eines zusätzlich aufgetauchten und nicht finanzierten Defizites von 71 Milliarden DM noch eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM finanzieren? Real läuft das auf ein zusätzliches Haushaltsloch von über 50 Milliarden DM hinaus.
Gleichzeitig vertagen Sie mehr und mehr Probleme - auch die heutige Aktion zeigt das wieder - in die Zukunft. Sie wissen so gut wie ich, daß die Telekom-Aktien nicht einfach auf die hohe Kante gelegt wurden, sondern die zukünftigen Pensionsverbindlichkeiten decken sollten, die sich aus der Privatisierung ergeben. Die werden Sie nun ab dem Jahre 2000 ebenfalls aus dem Bundeshaushalt dekken müssen.
Beim Bundeseisenbahnvermögen haben Sie die Tilgung bereits storniert, ausgesetzt bzw. gestreckt, wie es mittlerweile heißt. Es gibt eine Vielzahl anderer Dinge, zu denen ich sage: Die Haushaltspolitik hat schon längst den Boden kalkulierbarer Seriosität verlassen. Dies gilt besonders, wenn ich mir ansehe, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt.
Herr Kollege Schäuble, in diesem Zusammenhang kommen Sie mit einer Nettoentlastung. Ich würde mir das sogar gefallen lassen, wenn Sie entsprechende Finanzierungsvorschläge für die Nettoentlastung gebracht hätten. Diese haben Sie mit Fug und Recht nicht gebracht. Sie wollten auf der einen Seite die Nettoentlastung in der „kleinen Koalition" mit der F.D.P. nach der Devise „Steuergeschenke für die Vermögenden und Reichen" machen, aber gegenfinanziert werden sollte es auf der anderen Seite mit der Opposition. Dies kann nicht aufgehen, denn eine Opposition, die zu diesem Konzept Ja sagt, würde sich an ihrem Wählerauftrag - auch eine Opposition hat einen Wählerauftrag nicht nur für das Allgemeinwohl, sondern auch für die Menschen, die sie gewählt haben - schlicht versündigen. Es wäre schlicht ein Wahlbetrug an den Wählerinnen und Wählern gewesen, die uns gewählt haben.
Dann kommt ihr jetzt sichtlich erleichtert hierher. Das war richtig zu merken. Daß ihr euch heute morgen nicht noch öffentlich geküßt habt, war alles. Aber das kommt vielleicht noch.
Die Erleichterung ist groß. Die Koalition ist bis auf weiteres gerettet. Am 11. November 1997 schauen wir weiter, was dann kommt. Sind die Steuerschätzungszahlen gut, bleibt die Stimmung heiter, sind sie schlecht, erleben wir in der Koalition wieder eine vorgezogene Karwoche. Heute seid ihr erleichtert. Es sei euch zu gönnen.
Nun zum Thema Steuererhöhungen. Der Vorschlag des Kollegen Solms war: Wir senken die Steuern, indem wir die Versicherungssteuer erhöhen. Keiner wollte für diesen politischen Wechselbalg hinterher die Verantwortung übernehmen. Das scheint vom Tisch zu sein. Es ist etwas gefunden worden, was - zumindest nach unserer Information - eigentlich zum Haushaltsausgleich 1998 vorgesehen war; da hattet ihr in der abschließenden Sitzung ja auch ein paar Probleme. Das wird jetzt schon einmal vorneweg verfrühstückt, nicht wahr?
Sie müssen aber schon gestatten, daß wir das näher und vor allen Dingen unter dem Gesichtspunkt betrachten, den Sie selbst angeführt haben: Strukturreformen. Diese Koalition der Strukturreformen, diese strukturellen Großreformatoren:
Wo sind denn jetzt Strukturreformen? Die Aktion „Goldschatz" - eine echte Strukturreform!
Was ihr heute vorgelegt habt, hat mit Strukturreform nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Es ist ein reiner Buchhaltertrick, eine Vertagung auf die Zukunft.
Aber eines muß man dieser Koalition lassen: Sie ist ästhetisch kreativ. Wie hat der Bundesfinanzminister immer für den Solidaritätszuschlag argumentiert? Der Solidaritätszuschlag wurde eingeführt, um den Erblastentilgungsfonds zu bedienen und abzubauen. Das muß man sich einmal vorstellen. Das mit dem Solidaritätszuschlag ist mittlerweile eine Leidensgeschichte, sie gleicht einem Irrentheater: rein, raus, rein und jetzt wieder raus. Wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden, gibt es vermutlich irgendwann wieder ein „rein".
Dieser Bundesfinanzminister macht heute einen Vorschlag, von dem er nicht überzeugt sein kann, wenn er seine fünf Sinne noch beieinander hat. Mit Strukturreform hat dies überhaupt nichts zu tun.
Herr Kollege Waigel, der Soli-Zuschlag war eingeführt worden, um den Erblastentilgungsfonds zu bedienen. Jetzt erklären Sie: Wir brauchen ihn für drei
Joseph Fischer
Jahre gar nicht zu bedienen, die Zinsen sind so niedrig. - Bleiben sie denn so niedrig? Was macht denn Theo Waigel, wenn die Bundesbank ein anderes Zinssignal gibt? Das ist eine spannende Frage.
Aber man liest in allen seriösen Wirtschaftsblättern: Dieser Finanzminister fährt nur noch auf kürzeste Sicht ohne Brille. Von Vorsorge ist da keine Rede mehr.
Aber Sie wissen doch so gut wie ich, Kollege Waigel, mit Strukturreform hat das alles nichts zu tun. Auch mit seriöser Haushaltspolitik hat das alles nichts zu tun. Sie versuchen, die Lösung der Probleme in die Zukunft hineinzuverlagern. Sie haben mit Ihrer Entscheidung nur ein Problem gelöst, kurzfristig ein Koalitionsproblem, aber mitnichten ein Haushaltsproblem.
Meine Damen und Herren, diese Koalition versucht, sich mühselig über die Runden zu retten. Die Interessen unseres Landes führen Sie noch im Mund; aber wenn es wirklich um Strukturreformen geht, erweisen Sie sich intern als handlungsunfähig. Schon bei 7,5 Milliarden DM hatten Sie Probleme, die Sie gerade über 14 Tage hinweg vorexerziert haben. Man könnte in einem Anfall von Ironie fast sagen: Oskar Lafontaine hat diese Koalition gerettet. Denn was hättet ihr wohl gemacht, wenn ihr 30 Milliarden DM Nettoentlastung aus eigener Kraft hättet aufbringen müssen? Das hättet ihr doch niemals hinbekommen. Das wissen Sie doch so gut wie ich. Deswegen wollten Sie die Bundesländer und die SPD in diese Aktion einbinden.
Sie haben die Interessen des Landes schon längst zugunsten des bloßen Machterhalts dieser Koalition aufgegeben. Das beweist die heutige Aktion erneut. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn weiterhin eine Regierung an der Macht ist, die zu struktureller Erneuerung unfähig ist, dann wird dieses Land weit zurückfallen. Dann wird der Aufbau Ost weiter stagnieren. Dann wird dieses Land auseinandergetrieben, statt zusammengehalten zu werden. Genau darum wird es aber in Zukunft gehen. Die Wählerinnen und Wähler werden dies zu entscheiden haben.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Solms, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich staune, Herr Fischer: Sie beklagen, daß die Strukturreform nicht kommt, die Sie selbst verhindert haben. Das ist ein besonderer Akt der Doppelzüngigkeit.
Die Grünen sind - dessen rühmen Sie sich; darauf können Sie auch stolz sein - Mitglied in verschiedenen Landesregierungen. Ich frage mich, was die Ministerpräsidenten dieser Länder bei den Verhandlungen letzte Woche im Vermittlungsausschuß eigentlich getan haben. In dem Moment, in dem die Ministerpräsidenten Beck und Scherf versucht haben, die Konfrontation aufzulösen, hat man von den Ministerpräsidenten, an deren Landesregierungen die Grünen beteiligt sind, nichts gehört.
Einige Finanzpolitiker der Grünen haben teilweise mutige Vorschläge zur Umgestaltung des Steuersystems gemacht. Alles Pustekuchen! Wenn es um die Realisierung geht - nichts! Sendepause! So geht das natürlich nicht.
Wir haben vor einer Woche versucht - das war der letzte Versuch -, im Vermittlungsausschuß nach mehreren vergeblichen Anläufen zu einem Kompromiß zu kommen, nämlich zu einer mit Entlastungen verbundenen Strukturreform, die zu mehr Steuergerechtigkeit und zu niedrigeren Steuern geführt hätte. Das war nicht zu erreichen, weil sich die Opposition ausschließlich auf Umverteilung - von der rechten Tasche in die linke Tasche - konzentriert hat. Das hilft keinem Investor, das hilft keinem Arbeitnehmer, und das hilft auch keinem Arbeitslosen. Denn daraus wird keine Botschaft für mehr Beschäftigung in Deutschland.
Nur eine Woche, nachdem dieses Verfahren gescheitert ist, legt die Koalition nun einen Vorschlag vor, und zwar in einem Bereich, in dem sie alleine handlungsfähig ist, und tut das, was möglich ist. Wir hätten viel lieber eine umfassende Strukturreform des Steuersystems gehabt. Das war mit Ihnen nicht zu erreichen. Nun senken wir den Solidaritätszuschlag um zwei Prozentpunkte. Das bringt genau die Entlastung, Herr Scharping, die auch Sie bzw. die SPD als mögliche Entlastung vorgeschlagen hat, nämlich etwas mehr als 7 Milliarden DM. Wenn Sie das für richtig halten, dann - ich lade Sie dazu ein - stimmen Sie dem Ganzen zu. Das ist eine vernünftige Maßnahme.
Die Absenkung des Solidaritätszuschlages ist ein Akt der Solidarität mit den Arbeitslosen in Deutschland.
Denn das bringt Hoffnung für mehr Beschäftigung. Die Investoren warten nämlich auf ein Signal, daß wir die Probleme erkannt haben und daß wir die allzu hohe Steuerbelastung, allerdings auch die allzu hohe Belastung mit Lohnnebenkosten und die allzu hohen bürokratischen Auflagen abbauen, damit Deutschland als Standort für Investitionen wettbewerbsfähig wird. Erst daraus folgt ja die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze in Deutschland mit denen in anderen Standorten. Deswegen ist es ein-
Dr. Hermann Otto Sohns
fach zwingend, daß wir diesen Weg der Entlastung in allen Bereichen gehen.
Es ist nicht so, daß wir uns nur auf das Steuersystem konzentriert hätten. Wir wollen in allen Bereichen entlasten, wo es notwendig ist. Die Gesundheitsstrukturreform haben Sie abgelehnt. Wir mußten die Gesetzentwürfe neu einbringen und vom Bundesrat unabhängig gestalten. Aber wir haben sie durchgesetzt. Sie ist seit Mitte dieses Jahres in Kraft.
Zur Rentenreform gab es bei Ihnen diese und jene Äußerung. Wir haben die Rentenstrukturreform gestern im Ausschuß verabschiedet und werden sie in der nächsten Woche im Deutschen Bundestag verabschieden. Wir hatten Ihnen angeboten, die Mehrwertsteuer um einen Punkt zu erhöhen, um den Zuschuß zur Rentenversicherung zu verbreitern, um dadurch die Beiträge zu senken. Sie haben es abgelehnt, ansonsten hätten wir es schon zum 1. Januar 1998 machen können.
Nun gehen wir die Rentenstrukturreform zum 1. Januar 1999 an und machen Ihnen weiterhin das Angebot einer Mehrwertsteuererhöhung. Das ist nicht etwas, was man gerne vor Wahlen macht. Das Angebot zur Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt dient ausschließlich als Zuschuß für die Rentenversicherung, damit die Beiträge gesenkt werden können. Diese Diskussion können wir das ganze nächste Jahr weiterführen. Die Rentenstrukturreform wird auf jeden Fall kommen.
Wir haben auch im letzten Jahr eine ganze Fülle von Maßnahmen ergriffen und durchgesetzt. Ich erinnere nur an wenige: an die Änderung beim Kündigungsschutz im Arbeitsrecht, an den Ladenschluß, an die Lohnfortzahlung und an vieles andere mehr.
In der Summe ergibt das eine ganz neue Perspektive.
Zum Schluß haben wir endlich mit Ihrer Zustimmung die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer abschaffen können. Übrigens hat sich Herr Schröder im Fernsehen gerühmt, daß er die Vermögensteuer mit abgeschafft habe. Ich habe hier immer nur erfahren, daß die SPD dagegen sei. Aber egal; die Substanzsteuern sind beseitigt.
Darauf folgt als dritter wichtiger Schritt nun die Absenkung des Solidarzuschlages um zwei Punkte. Das ist eine verteilungsgerechte Maßnahme, weil das proportional die Steuerbelastung verringert und jeden Steuerpflichtigen trifft. Das ist keine Erschwernis für die Menschen in den neuen Bundesländern. Auch sie zahlen Steuern. Auch sie werden dadurch entlastet. Aber die Zuschüsse zu den Investitionen in den neuen Bundesländern oder für Infrastrukturinvestitionen der Länder und der Kommunen durch den Bund werden um keinen Pfennig gesenkt.
Deswegen bleibt die Botschaft klar: Die Senkung des Solidarzuschlags ist ein Zeichen der Solidarität mit den Arbeitsuchenden in Ost und West. Sie ist ein Zeichen der Solidarität mit der jungen Generation; denn das Dringendste, auf das die jungen Leute warten, ist die Aussicht, ihr Leben durch eigene Arbeit finanzieren und gestalten zu können, und nicht auf die Unterstützung des Staates oder anderer Organisationen angewiesen zu sein.
Erst daraus ergibt sich die Perspektive für die Zukunft. Deswegen ist die Senkung des Solis ein so wichtiger Schritt.
Wenn Sie nun die Gegenfinanzierung kritisieren, dann läßt sich das sehr leicht auflösen. Der Bundesfinanzminister hat dankenswerterweise auf die Zahlenzusammenhänge hingewiesen. Ich will das wiederholen. Tilgungen und Zinsen für den Erblastentilgungsfonds machen rund 26 Milliarden DM pro Jahr aus. Der Tilgungsanteil ist weit über das geplante Maß hinaus angestiegen und beträgt im Moment etwa 12 Milliarden DM, obwohl langfristig nur 5 Milliarden DM geplant und eingesetzt waren.
In einer Situation, in der wir Entlastungen dringend zur Dynamisierung der Wirtschaft und für mehr Arbeitsplätze brauchen, ist es nicht nur zulässig und vertretbar, nein, es ist sogar notwendig, daß wir den Finanzspielraum, den wir dort haben, für die dringendere Zielsetzung der Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzen und Steuern senken. Das heißt, wenn jetzt die Tilgung um 5 Milliarden DM gekürzt würde, dann wäre die Tilgung immer noch höher als eigentlich geplant.
Das ist nun wirklich mehr als verantwortbar. Dazu kommt im übrigen noch, daß die über 7 Milliarden DM hinaus auflaufenden Gewinne der Deutschen Bundesbank zusätzlich in den Erblastentilgungsfonds eingestellt werden und damit die Tilgungsrate noch erhöhen. Wer sich mit Finanzpolitik ernstzunehmend beschäftigt, kann diesen Vorschlag nur für verantwortungsvoll halten.
Herr Scharping, ich wollte noch auf einen Punkt eingehen. Sie hatten darauf hingewiesen, daß ich vor zwei Jahren Forderungen und Vorstellungen der SPD gelobt habe. Ich bin ein ehrlicher Mensch: Wenn die Opposition etwas Vernünftiges sagt, lobe ich das. Nur ist inzwischen eine fundamentale Änderung eingetreten. Sie erinnern sich, daß die SPD im Herbst 1995 einen neuen Parteivorsitzenden gewählt hat. Er hat die Partei seitdem diszipliniert und einer bestimmten Strategie unterworfen.
Es ist übrigens interessant, daß er seinerzeit Helmut Schmidt vorgeworfen hat, daß man mit der Sekundärtugend Disziplin auch andere Dinge machen könne. Ich will das hier nur kurz erwähnen. Jetzt befleißigt er sich selbst der Sekundärtugend Disziplin. Dabei stellt sich heraus: Es kommt nicht darauf an, wie diese Tugend zu bezeichnen ist, sondern darauf, was man damit macht, und er macht eben Schädliches.
Herr Kollege Dr. Solms, gestatten Sie dem Kollegen Metzger eine Zwischenfrage?
Eine Sekunde. - Er verhindert nämlich mit dieser Disziplinierung der SPD, zielgerichtet auf eine Obstruktions- und Blokkadepolitik, daß wir unserer Verantwortung in den Organen der Gesetzgebung gerecht werden und die Chancen zur Schaffung von Arbeitsplätzen für die Jugend und für die Arbeitslosen verbessern. Deswegen ist das eine äußerst kritisierenswerte Haltung.
Bitte schön.
Herr Kollege Solms, jetzt besteht natürlich ein kleiner Gedankensprung zwischen Ihrer letzten Äußerung und meiner Nachfrage. Ich frage Sie trotzdem in bezug auf die Finanzierung der Senkung des Soli-Zuschlags.
Die erste Frage: Der Finanzminister hat gerade in Hongkong erfahren, daß andere Industriestaaten tendenziell die Zinsen erhöhen. Wie bewerten Sie die Tatsache, daß eine Zinserhöhung, die ja auch in Regierungskreisen erwartet wird, um 1 Prozent beim Erblastentilgungsfonds auf Grund seiner stark unterjährigen und kurzfristigen Refinanzierung nach dem jetzigen Berechnungsschlüssel einen zusätzlichen Zinsaufwand in Höhe von 3,5 Milliarden DM bedeuten würde und daß damit die 5 Milliarden DM für die Kürzung bei der Zuführung aus dem Bundeshaushalt schon fast aufgevespert wären?
Die zweite Frage: Die Regierung weiß genau, daß die Mehrerlöse aus dem Bundesbankgewinn im Zuge der Europäischen Währungsunion in der Tendenz sinken, so daß nicht einmal gesichert ist, daß die bisherigen Zuführungen an den Haushalt von 7 Milliarden DM pro Jahr gehalten werden. Wie bewerten Sie dies im Zusammenhang mit Seriosität und Kalkulierbarkeit?
Herr Kollege Metzger, Sie wissen ganz genau, daß wir nur vom Haushaltsjahr 1998 gesprochen haben,
daß der Euro 1998 noch gar nicht da ist und daß der Bundesbankgewinn 1998 diesen Zwecken voll zur Verfügung steht.
Zur ersten Frage nach den Zinsen: Daß die Zinsen steigen, mag ja sein. Im Moment kündigen sich aber keine Zinserhöhungen an. Aber selbst wenn Zinserhöhungen eintreten würden, wäre im nächsten Jahr einschließlich des Zuschusses aus der Bundesbank die Tilgungsrate voll gesichert, auch wenn wir so vorgehen. Deswegen ist das ein ganz seriöses Vorhaben.
Es bleibt bei grundsätzlich unterschiedlichen Auffassungen von Opposition und Koalition. Die Koalition tritt geschlossen für eine angebotsorientierte Politik ein. Wir wollen die Rahmenbedingungen für Beschäftigung so erleichtern, daß die Arbeitsplätze in Deutschland wieder in einen aussichtsreichen Wettbewerb mit anderen Standorten treten. Wir wollen die Arbeitsplätze nicht ins Ausland oder in die Schwarzarbeit verdrängen. Durch eine nachfrageorientierte Politik allein - dies ist die Philosophie der Opposition -
können wir das nicht erreichen; denn wir wissen gar nicht, worauf sich die Nachfrage richtet, ob sie sich auf den Einkauf von in Deutschland hergestellten Produkten oder auf andere Dinge richtet. Wir müssen also beides miteinander verbinden: durch die Verbesserung der Angebotsbedingungen gleichzeitig mehr Nachfrage schaffen - das heißt, Lohnkosten und Lohnzusatzkosten senken - und direkte Steuern senken. Dann erst werden wir das erreichen, was wir vorhaben.
Der zweite grundsätzliche Unterschied zwischen Opposition und Koalition ist der, daß die SPD das Geld soweit wie möglich beim Staat belassen will.
Wir wollen demgegenüber den Bürgern soviel wie möglich von dem Geld, das sie verdienen, in ihren Taschen belassen und ihnen nur soviel, wie dringend notwendig ist, um die staatlichen Aufgaben zu erfüllen, durch Steuern und Abgaben nehmen. Daß wir sagen, je mehr die Bürger arbeiten und je mehr sie verdienen, desto mehr soll es sich für sie lohnen, zeigt unser Vertrauen in das verantwortungsvolle Verhalten der Bürger und in ihre Leistungskräfte. Deswegen können wir auf Dauer keine Steuer- und Abgabenbelastung, die über 50 Prozent hinausgeht, ertragen.
Meine Damen und Herren, ich will abschließend sagen: Die Senkung des Solidarzuschlags ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg grundsätzlicher Strukturreformen. Die Koalition geht diesen Schritt geschlossen, einmütig und entschlossen. Wir sind spätestens seit heute wieder in der Offensive. Sie sind von diesem Schritt überrascht; ich verstehe das. Aber Sie werden sich damit auseinandersetzen müssen.
Es bleibt nämlich nicht dabei. Es wird nun Schritt für Schritt weitergehen: Wir werden das Sexualstrafrecht verschärfen und die Strafrechtsreform über die Bühne bringen. Wir werden uns an eine umfassende Bildungsreform heranmachen.
Wir werden die Energiekosten für die Wirtschaft durch eine Reform des Energiewirtschaftsrechtes senken. Wir werden das Wettbewerbsrecht und die
Dr. Hermann Otto Sohns
Kapitalmarktbedingungen für Investitionen von jungen Unternehmen verbessern. Es gibt eine Fülle von Maßnahmen. Wir lassen uns von Ihnen dabei nicht aufhalten. Der Reformzug fährt weiter.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen hier eigentlich zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses über die Steuerreform 1998/99 und darüber, wie Herr Waigel heute nacht eine schöne Erleuchtung hatte.
Wir sind noch in den Haushaltswochen, in der Haushaltsdiskussion für 1998, wo wir absolute Finanzierungslöcher haben. Alle Koalitionäre warten wie die Kaninchen vor der Schlange, was denn die Steuerschätzung im November bringen wird. Wir sind im Haushaltsvollzug für dieses Jahr, wo wir ein Defizit von etwa 20 Milliarden DM zu erwarten haben.
Aber Herr Waigel hatte heute nacht die Erleuchtung und hat seine Kollegen davon überzeugt, daß man trotz alledem den Solidaritätszuschlag im nächsten Jahr senken kann. Er hat sogar entdeckt, wie man das Ganze finanzieren kann, nämlich durch die Streckung des Erblastentilgungsfonds. Ich muß sagen, mich erinnert das alles etwas an das Grimmsche Märchen: Goldesel, streck dich, Tischlein, deck dich, Knüppel aus dem Sack.
Zur Streckung des Erblastentilgungsfonds: Die Zinsen werden weiter bezahlt, aber die Tilgung wird bewußt verlängert. Risiken, wie sie eben der Herr Kollege Metzger aufgezeigt hat, werden bewußt zur Seite geschoben. Das ist eine mehr als abenteuerliche Haushaltspolitik - und dies auf einem Schuldenberg von über 2 Billionen DM, auf dem die Bundesrepublik und alle Bürgerinnen und Bürger, egal welchen Alters, sitzen, den Herr Waigel als am längsten amtierender Bundesfinanzminister wesentlich mitverschuldet hat.
Jede Sekunde - schauen Sie auf die Uhr! - erhöht sich die Verschuldung der öffentlichen Hand der Bundesrepublik Deutschland um 3171 DM, also, indem ich diesen Satz spreche, schon locker um mehr als 10 000 bis 15 000 DM. Das muß man sich einmal vorstellen!
Auf dieser Grundlage wollen Sie aber den Soli-Zuschlag senken und sagen: Das kann man auch; denn die Tilgung muß ja nicht eher erfolgen. Das heißt aber im Klartext: Sie wollen sicherstellen, daß die Banken in dem von Ihnen veranschlagten Zeitraum Zinsen kassieren können, auf alle Fälle länger, als es nötig wäre.
Der Goldesel, Herr Waigel, hat im Unterschied zu Ihnen tatsächlich Gold abgesondert. Sie versuchen nur hilflos, nach Gold zu greifen. Dabei machen Sie noch eine Politik nach dem Versuch „Tischlein, deck dich" in konsequenter Fortführung Ihrer Klientelpolitik seit 1982. Ich muß sagen, Sie haben eine Steuerpolitik zu verantworten, die in vehementer Weise die Unternehmer und die Höchstverdienenden in diesem Lande entlastet hat.
Ich erinnere nur an das Standortsicherungsgesetz 1993 und an die Abschaffung der Vermögensteuer in diesem Jahr. Das gesamte Steuerkonzept diente nur dazu, diejenigen zu entlasten, die Ihrer Meinung nach Leistungsträger sind. Diese sind bei Ihnen immer alle männlich; aber das nur nebenbei. Das Wort Leistungsträger wurde mit einem neuen Inhalt erfüllt: Es geht nicht um die Arbeiter und Arbeiterinnen, um Krankenschwestern, Lehrer und Lehrerinnen und Bauarbeiter; es geht um diejenigen Menschen, die viel Geld haben. Das setzen Sie mit Leistung gleich.
Personen mit hohem Einkommen und Bezieher höchster Einkommen wollen Sie entlasten.
Das Gesamtsteuerkonzept ist erst einmal im Bundesrat gescheitert. Also versuchen Sie es mit dem Soli-Zuschlag. Bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 30 000 DM bedeutet das für 1998 bei einem zu zahlenden Steuerbetrag von 2880 DM eine Ersparnis von 60 DM. Wenn man das auf zwölf Monate umlegt, bleiben dank Ihrer Senkung monatlich bei einer vierköpfigen Familie nicht sehr viele Mehreinnahmen.
Einen Moment bitte. - Darf ich darum bitten, daß wenigstens die vorderen Reihen die Regeln der Höflichkeit beachten.
Danke, Herr Präsident. - Bei einem zu versteuernden Einkommen von 150 000 DM macht Ihr Vorschlag der zweiprozentigen Absenkung allerdings eine wirkliche Entlastung von 1070 DM bei 4010 DM bisherigem Soli-Zuschlag aus.
Stichwort Lohnnebenkosten: Sie lassen beiseite, daß es zahlreiche Leistungen der sozialen Sicherungssysteme gibt, die tatsächlich versicherungsfremde Leistungen sind und eigentlich von der Allgemeinheit, den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in ihrer Gesamtheit, und nicht nur von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufzubringen wären. Wenn Sie hier eine Diskussion über die Lohnnebenkosten beginnen und dieses beiseite lassen, bleibt nur die Feststellung, daß es Ihnen gar nicht darum geht, die Lohnnebenkosten zu senken, sondern darum, die unternehmerischen Lohnkosten zu senken, um nicht mehr und nicht weniger.
Dr. Barbara Höll
Obwohl die Lohnstückkosten in der Bundesrepublik seit Jahren wesentlich langsamer steigen als die in den wichtigsten Konkurrenzländern und die Lohnsteigerungen in den vergangenen Jahren weit hinter dem Produktivitätszuwachs geblieben sind, wollen Sie ausschließlich die Lohnsumme drücken, um einen noch höheren Exportüberschuß zu erwirtschaften. Das ist das einzige Ziel Ihrer Maßnahmen.
In dem Grimmschen Märchen, das ich als Aufhänger meiner Rede genommen habe, gibt es noch eine dritte Gabe: Knüppel aus dem Sack. Bei den Gebrüdern Grimm war allerdings der Bruder, der diese dritte Gabe bekam, mit Vernunft gesegnet und konnte mit dieser Gabe umgehen. Herr Waigel kann es nicht,
zumindest nicht zum Wohle für die Mehrheit der Bevölkerung, nicht zum Wohle der Menschen, die arbeiten oder gern arbeiten wollen und Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe beziehen, auch nicht zum Wohle der Kinder und Jugendlichen, die sich noch nicht einmal wehren können, und der Seniorinnen und Senioren. Sie haben nichts, aber rein gar nichts von der Senkung des Soli-Zuschlages.
Sie werden aber durch eine Maßnahme getroffen, die Herr Waigel eben in einem Nebensatz erwähnte: die einprozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das ist genau der Punkt, zu dem die SPD einen gleichlautenden Vorschlag unterbreitet hat. Wir sind strikt dagegen. Ich muß in Erinnerung rufen, daß Verbrauchsteuern schon erhöht wurden: 1991 wurde die Mineralölsteuer und 1991 sowie 1993 die Versicherungssteuer erhöht; auch die Tabak- und die Mehrwertsteuer wurden bereits erhöht. Nach der Erhöhung all dieser Verbrauchsteuern, die die Allgemeinheit getroffen hat, nun die nächste Erhöhung.
Das heißt, jedes Paar Kinderschuhe wird teurer. Es verhält sich, Herr Waigel, nicht so, daß das die Bezieher niedriger Einkommen nicht treffen würde. Jede neue Brille wird teurer. Seniorinnen und Senioren, aufgepaßt! Herr Waigel tritt Herrn Seehofer zur Seite, so daß auch die Medikamente wieder teurer werden. Es handelt sich um eine wirkliche soziale Katastrophe, die Sie mit Ihrer Gesamtpolitik heraufbeschwören.
Vor genau einem Jahr legte die Koalition ein 50Punkte-Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung vor. Die Veränderung der Ladenöffnungszeiten, die Aufweichung der Kündigungsschutzregelungen, die Abschaffung des Schlechtwettergeldes und die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle wurden im Namen von Wachstum und Beschäftigung durchgeboxt. Ein Wachstum der Unternehmergewinne und minus 500 000 Arbeitsplätze sind das Ergebnis Ihres Programms!
Als Partei des Demokratischen Sozialismus lehnen wir das, was Sie hier vorlegen und in der nächsten
Woche hier durchzuboxen versuchen, kategorisch ab. Ihre Senkung des Soli-Zuschlages ist genau die falsche Maßnahme und verstärkt die Spaltung dieser Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland in arm und reich.
Wir lehnen aber auch das Vermittlungsergebnis ab, weil wir in diesem Zusammenhang gegen eine Erhöhung der Mineralölsteuer und gegen die Mehrwertsteuererhöhung sind.
Wir haben ein eigenes Konzept zur Steuerpolitik vorgelegt. Wir haben ein Konzept zur Rentenpolitik vorgelegt, auf dessen Grundlage in Ruhe und mit Sachverstand und Vernunft Vorschläge erarbeitet werden können; Vorschläge, die eine tatsächlich neue Perspektive eröffnen. Das ist die Perspektive nicht in Richtung einer von Herrn Solms gewollten Amerikanisierung der Verhältnisse und eines weiteren Sozialabbaus - nein -, sondern in Richtung einer solidarischen Gesellschaft.
Es kann auch in dieser Republik, in der soviel Geld vorhanden ist, ein Ausgleich geschaffen werden. Bei einer veränderten Politik besteht die Möglichkeit, daß dem Grundgesetz wieder Genüge getan wird. Eigentum verpflichtet immer noch. Diesen Grundsatz haben Sie ja bisher noch nicht abgeschafft.
Aus diesem Grunde werden wir Ihren Entwurf heute ablehnen und in der nächsten Woche hier entsprechend auftreten.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Rudolf Dreßler, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat hier vor wenigen Minuten einen, wie ich finde, bedenkenswerten, wenn auch angelehnten, aber deshalb nicht weniger richtigen Satz gesagt: Man sollte versuchen, jeden Tag ein vernünftiges Wort zu sagen. Herr Kollege Schäuble, ich will deshalb einen durchaus vernünftigen Satz von Ihnen, gesagt in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche" und dort in der Ausgabe vom 13. Februar 1997 wiedergegeben, in Erinnerung rufen. Dort sagten Sie - ich zitiere wörtlich -:
Für mich ist es genauso erwägenswert, die Maßnahmen zur Fortbildung und Umschulung, die jetzt von der Bundesanstalt für Arbeit aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung bezahlt werden, aus Steuermitteln zu finanzieren.
Wenn ich das, was Sie heute morgen gesagt haben, daß Sie ebenfalls für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Senkung der Rentenbeiträge eintreten, mit Ihrem vernünftigen Wort vom 13. Februar 1997 zusammenlege, dann muß ich fragen: Was konkret, Herr Kollege Schäuble, hindert Sie eigentlich heute
Rudolf Dreßler
mittag daran, dem Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zuzustimmen?
Herr Kollege Dreßler, gestatten Sie dem Kollegen Dr. Schäuble eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Präsident, ich muß jetzt die Antwort, die Herr Dreßler von mir erheischt, in Form einer Frage geben.
Ja, das müssen Sie.
Herr Kollege Dreßler, würden Sie mir zustimmen, daß zu dem vernünftigen Wort des einen, was Sie mir attestiert haben, auch von der anderen Seite in einer Situation, da wir im Bundestag und im Bundesrat unterschiedliche Mehrheiten haben, ein vernünftiges Wort hinzukommen sollte? Das vernünftige Wort von Ihrer Seite müßte lauten: Wir brauchen eine strukturelle Reform des Rentensystems und der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Wenn Sie dies sagen würden, dann könnten wir uns einigen.
Herr Kollege Schäuble, die Frage bezüglich der strukturellen Reform ist, wie Sie sicherlich wissen, eine Frage der inneren Überzeugung.
- Nun halten Sie sich doch einmal an die Vorlage Ihres eigenen Fraktionsvorsitzenden. Es kann doch nicht sein, daß er uns auffordert, ruhig zu sein, und Sie gleichzeitig zur heiteren Turbulenz ermuntert.
Herr Kollege Schäuble, das ist eine Frage der inneren Überzeugung. Ich werfe Ihnen zum Beispiel nicht vor, daß Sie das, was ich Kürzungen im Rentenbereich nenne, aus Ihrer Sicht als strukturelle Reform verkaufen. Ich wehre mich aber dagegen, daß Sie die strukturellen Veränderungen, die wir vorschlagen - nämlich die Beendigung der Atomisierung des Arbeitsmarktes zu Lasten der Rentenversicherung und die Beendigung des weiteren Verstetigens von versicherungsfremden Leistungen in den Sozialversicherungssystemen; diese Verstetigung würde zu schwerwiegenden Konsequenzen im Hinblick auf die Akzeptanz der Systeme führen -, nicht als strukturelle Reform akzeptieren und daß Sie uns in diesem Zusammenhang den Vorwurf, das sei eine reine Umfinanzierung, an den Kopf werfen.
Herr Kollege Schäuble, ich will Ihren Satz vom vernünftigen Wort an jedem Tag aufgreifen und Sie an das erinnern, was Sie vor 14 Tagen von diesem Pult aus gesagt haben. Da haben Sie gesagt: Lassen Sie uns das machen, was möglich ist. Möglich sind Ihre Vorschläge hinsichtlich der Mineralölsteuer und der Arbeitslosenversicherung sowie unser Vorschlag - der auch Ihr Vorschlag ist - hinsichtlich der Mehrwertsteuer. Ich frage noch einmal: Was hindert Sie denn eigentlich daran, Ihre eigenen öffentlichen Verlautbarungen heute im Bundestag durch Zustimmung zum SPD-Gesetzentwurf zu bestätigen? Das sind doch andere Gründe, Herr Schäuble.
Wenn Sie hier für Redlichkeit eintreten - das ist in Ordnung -, dann bitte ich Sie aber auch, unsere Argumente, die Ihren Interviewäußerungen und Ihren Redebeiträgen inhaltlich überhaupt nicht entgegenstehen, nicht auf andere Art und Weise zu diskreditieren.
Es gibt Schicksalsschläge im Leben, Herr Schäuble. Ein Schicksalsschlag für Sie und mich in dieser Stunde ist, daß die Wahrheit so aussieht: Wir beide könnten hier einen Personengruppenantrag einbringen,
bestehend aus Ihren Interviewäußerungen und dem Text von Herrn Blüm, von mir aus mit meiner gnädigen Unterstützung. Dann hätten wir unsere Übereinstimmung zu Papier gebracht. Aber Koalitionsmachtbalance hindert Sie doch in Wahrheit daran, über Ihre eigene Überzeugung hier abzustimmen. Das ist der Sachverhalt.
Herr Schäuble, ich will Ihnen - wegen der intellektuellen Redlichkeit - ein zweites sagen. Der Bundesfinanzminister stellt sich heute morgen hier hin und erklärt uns, er habe Spielräume für seine Steuergesetzgebung. Wenn ich mich recht erinnere, ist die Zahl 20 Milliarden DM gefallen. Wenn Sie wirklich Spielräume haben, Herr Waigel, Herr Schäuble, Herr Solms: Was hindert Sie daran, diesen vorgeblichen Spielraum zur weiteren Senkung des Solidarbeitrages zu nutzen? Dazu brauchen Sie uns nämlich gar nicht.
Die Wahrheit ist: Sie haben null Spielraum, sondern setzen eine Tilgung aus, was nach Auskunft des Kollegen Metzger, soeben in der Zwischenfrage hier im Plenum eingebracht, am Schluß zusätzliche Belastungen für die Steuerzahler von über 3 Milliarden DM ausmacht. Das ist der Hintergrund.
Sie können doch nicht ernsthaft von uns erwarten, daß die Koalitionsmachtbalance, die Sie zu diesem Schritt zwingt und die hinterher den Steuerzahlern zusätzlich 3 Milliarden DM abverlangt, von uns auch noch unterstützt wird. Wo kommen wir denn da hin? Die Wahrheit ist: Wenn Herr Waigel hier von Spielräumen spricht, dann soll er sie auf den Tisch legen.
Rudolf Dreßler
Im übrigen darf ich Ihnen verraten: Wir haben ihn im Vermittlungsausschuß in unzähligen Sitzungen aufgefordert, diese Spielräume schriftlich zu fixieren. Bis zur letzten Minute hat sich Herr Waigel geweigert. Wir wissen heute, warum: weil er überhaupt keine Spielräume hat, weil er uns mit Ihnen um die Fichte geführt hat.
Wer diese öffentliche politische Debatte um die von allen anerkannte Notwendigkeit der Senkung von Lohnnebenkosten einerseits und die Diskussionsbeiträge der Vertreter der Regierungsfraktionen andererseits vergleicht und mit dem Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag in ein Verhältnis setzt, der trifft auf erstaunliche Widersprüche. Sie von der CDU/CSU und der F.D.P. philosophieren in der Öffentlichkeit andauernd über die Notwendigkeit der Senkung der Lohnnebenkosten. Wenn es dann im Parlament konkret wird, wenn es über Gesetzentwürfe abzustimmen gilt, die diese Senkung tatsächlich herbeiführen, dann verweigern Sie sich und lehnen sie ab. Dies ist ein bemerkenswertes Dokument politischer Unaufrichtigkeit in dieser Legislaturperiode durch die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen.
Deshalb sage ich Ihnen: Wer heute die Chance zur Senkung der Lohnnebenkosten nicht ergreift, sondern diese Chance sogar torpediert, wird sich den Vorwurf der Hinterlist gefallen lassen müssen, weil er die zu hohen Lohnnebenkosten klammheimlich akzeptiert, um sie dann wieder klammheimlich politisch zu instrumentalisieren. Denn zu hohe Lohnnebenkosten eignen sich bekanntlich trefflich, unser Sozialversicherungssystem als abbruchreif und den globalen wirtschaftlichen Anforderungen nicht mehr gewachsen zu denunzieren. Genau das tun sowohl F.D.P. als auch bestimmte Kreise von CDU/CSU seit geraumer Zeit ebenso gezielt wie systematisch. Wer abräumen will - das wollen diese Kreise -, braucht dazu ein Szenario und entsprechende öffentliche Stimmungen.
Zu dieser Einschätzung paßt, daß diejenigen, die in der Koalition so heftig über die Notwendigkeit einer Senkung der Lohnnebenkosten räsonieren, in Wahrheit zu den Verursachern ständiger Kostenerhöhungen gehören.
Es gibt - vielleicht haben Sie das in den letzten Jahren Ihrer Zugehörigkeit zum Parlament noch nicht mitbekommen - seit der Wiederherstellung der deutschen Einheit nur einen einzigen Vertreter von höheren Lohnnebenkosten: Das ist die amtierende Bundesregierung mit ihrer falschen Politik,
die notwendigen finanziellen Konsequenzen aus der Einigung weitgehend der Sozialversicherung zu übertragen. Es gibt nur diesen, sonst keinen.
Man stelle sich nur einmal einen Augenblick lang vor, die Rentenversicherungsbeiträge lägen bei 18 statt bei 20,3 Prozent, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge bei 4,5 statt bei 6,5 Prozent. Kein ernstzunehmender Mensch würde vom vermeintlichen „Wettbewerbshemmnis Sozialversicherung" sprechen. Im Gegenteil: Die Systeme würden als so verläßlich und stabil gelten, wie sie immer waren und tatsächlich im Kern immer noch sind.
Nun höre ich - im Zusammenhang mit dem berechtigten Vorwurf an die Adresse der Koalition, sie sei der einzige Produzent von höheren Lohnnebenkosten - aus wirtschaftsnahen Kreisen, verstärkt durch die F.D.P.-Bundestagsfraktion, den Einwand, die 1,7 Prozent Pflegeversicherungsbeitrag hätten ja auch höhere Lohnnebenkosten bewirkt. Zudem habe die SPD dem zugestimmt. Mit Verlaub, meine Damen und Herren von der F.D.P.: Die Pflegeversicherungsbeiträge sind für die Unternehmen keine Lohnnebenkosten. Die Pflegeversicherungsbeiträge werden ausschließlich von den Arbeitnehmern gezahlt. Haben Sie das schon vergessen?
Der formale Beitragsanteil der Unternehmen wird durch die Arbeitnehmer in Form eines zusätzlichen Arbeitstages nach Abschaffung des Buß- und Bettages kompensiert - auf deutsch: ausgeglichen. Haben Sie das auch schon vergessen?
Wer also, wie wirtschaftsnahe Kreise und die F.D.P.-Bundestagsfraktion, darüber fabuliert, man könne den Überschuß der Pflegeversicherung von 8 Milliarden DM, der übrigens von Anfang an gewollt war, zur Senkung von Lohnnebenkosten gebrauchen - sprich: zur Senkung der Pflegeversicherungsbeiträge -, der will sich an Geld vergreifen, das ihm gar nicht gehört. Das ist für die F.D.P. übrigens typisch.
Das wäre ja noch schöner: Die Arbeitnehmer finanzieren ihre Pflegeversicherung selbst, erzielen dabei einen Überschuß und sollen ihn zur Belohnung zur Hälfte an die Arbeitgeber abgeben, die sich von Anfang an geweigert haben, auch nur eine müde Mark Beitrag in die Pflegeversicherung zu zahlen. Soweit kommt es noch.
Nein, meine Damen und Herren, wer die Lohnnebenkosten wirklich senken will, der kann sich nicht trickreich aus der Geldbörse anderer bedienen, sondern der muß dem Gesetzesvorschlag des Vermittlungsausschusses zustimmen, der heute zur Abstimmung steht. Es ist zwar richtig: Dieser Vorschlag
Rudolf Dreßler
wurde mit der Stimmenmehrheit von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Vermittlungsausschuß beschlossen. Wenn es in der Koalition einige geben sollte, die es schaudert, wenn sie einem sozialdemokratischen Vorschlag zustimmen sollen, so kann ich Sie beruhigen - deshalb wiederhole ich es -: Dieser Vorschlag, der heute hier zur Abstimmung steht, ist Fleisch vom Fleische der CDU.
Soweit es sich um die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge und deren Finanzierung durch eine Mehrwertsteuererhöhung um einen Punkt handelt, stammt der Vorschlag wortwörtlich, bis zum Semikolon, von Herrn Blüm. Soweit es sich um die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages und die Mineralölsteuererhöhung handelt, entspricht er dem Geist und Gehalt nach exakt jenem Vorschlag, den Herr Schäuble vor fast zwei Wochen in Ingolstadt gemacht hat.
Die Opposition in diesem Hause hat nun mit ihrem Mehrheitsbeschluß im Vermittlungsausschuß dafür gesorgt, daß die CDU über ihre eigenen Vorschläge endlich auch im Parlament abstimmen darf.
Wenn diese Abstimmung so ausgeht, wie sie in den Vorstandsgremien der CDU ausgegangen wäre, hätte CDU-Vorsitzender Kohl eine Abstimmung durchführen lassen, dann wäre die Senkung der Lohnnebenkosten heute perfekt.
„April, April! Wir stimmen nicht mehr zu" und sich heute Christdemokraten hier hinstellen und uns vorwerfen, wir seien die Blockierer. Das, was Sie hier aufführen, ist ja geradezu lächerlich, meine Damen und Herren.
Herr Solms, Sie haben gerade mit Ihrem Zwischenruf - ich will ihn dem staunenden Publikum noch einmal in Erinnerung rufen: „Das ist halt so! " -
kundgetan, daß sich mittlerweile die gesamte CDU-Seite dieses Hauses auf der Grundlage Ihrer Intervention einem imperativen Mandat der F.D.P. beugt; das können Sie sich für ihre Parteikarriere auf die Weste schreiben. Was Sie hier abliefern, ist wirklich eine tolle Nummer.
Eine weitere in diesem Zusammenhang stehende Frage ist, wie es denn nun in der Koalition mit dem politischen Sachzusammenhang zwischen der Senkung der Lohnnebenkosten durch Umfinanzierung einerseits und dem sogegnannten Rentenreformgesetz 1999 andererseits steht. Da gibt es die unterschiedlichsten klimmzugartigen Deutungsversuche: Mal behaupten Sie, es gebe ihn gar nicht. Mal sagen Sie, er bestehe tatsächlich. Heute haben Sie wieder gesagt, er sei da. Gestern hat Herr Blüm wieder geäußert, es gebe ihn gar nicht. - Sie müssen sich irgendwann einmal entscheiden: Gibt es ihn, oder gibt es ihn nicht?
Der Weg, den die Koalition mit der Rentengesetzgebung ins Auge gefaßt hat, wird sie nicht aus der Beantwortung dieser Frage entlassen. Einen Automatismus gibt es nicht; den werden wir nicht zulassen. Die Koalition will ihre sogenannte Rentenreform, die bekanntlich nicht zustimmungspflichtig ist, nun, wie man hört, im Alleingang durchsetzen. Das kann sie. Das muß sie sogar; denn eine Zustimmung der SPD zur Kürzung des Rentenniveaus, zur Abschaffung der Erwerbsunfähigkeitsrente und zu einer rentenpolitischen Bestrafungsaktion für Schwerbehinderte ist nicht denkbar und wird nicht erfolgen.
Wie aber stellen sich die Damen und Herren der Union und der F.D.P. die Finanzierung ihres Gesetzeskonglomerates vor? Wie ich höre, wollen Sie eine einprozentige Senkung des Rentenversicherungsbeitrags davon abhängig machen, daß eine Mehrwertsteuererhöhung in einem gesonderten Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen und in Kraft gesetzt wird. Das ist ja nun ein merkwürdiger Eiertanz. Sie lehnen heute, so Ihre Ankündigung, einen Gesetzesvorschlag ab, der bereits die einprozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer vorsieht, um dies nächste Woche nachträglich durch ein neues Gesetz einzuführen.
Wissen Sie, was das ist? Das ist keine Politik, das ist schlicht Massenverdummung.
Bevor Sie sich hier weiter echauffieren, will ich Sie fragen, ob sich eigentlich jemand von Ihnen die Mühe gemacht hat, das Zahlenwerk, das Herr Blüm in Sachen „Senkung des Rentenversicherungsbeitrags" propagiert, durchzurechnen. Die leuchtenden Augen, die ich bei diesem Thema immer in der Koalition sehe, sind jedenfalls fehl am Platze. Die Wahrheit ist viel gemeiner, als Sie annehmen: Zum 1. Januar 1998 wird der Beitragssatz in der Rentenversicherung von 20,3 Prozent auf knapp 21 Prozent, vielleicht sogar auf 21 Prozent steigen. Herr Blüm sagt in seinen bisherigen Verlautbarungen in diesem Punkt nicht die Wahrheit; er schwindelt. Er ist nicht bereit, die effektive Beitragssituation dem Deutschen Bundestag zu offerieren.
Rudolf Dreßler
Von der Beitragssatzerhöhung, die Herr Blüm in Höhe von wahrscheinlich 0,7 Prozent vornehmen muß, wäre die Beitragssatzsenkung von 1 Prozent abzuziehen; es bliebe eine Senkung von 0,3 Prozent - wenn alles gutgeht. Von der großspurig angekündigten Beitragssenkung des Herrn Blüm würde in Wahrheit im wesentlichen eine „ Beitragssatznichterhöhung " übrigbleiben.
Wußten Sie das eigentlich schon? Und dann kommt der Bundessozialminister allen Ernstes her und f ordert uns auf, bei diesem Täuschungsmanöver mitzumachen.
Herr Kollege Blüm, Ihr Selbstfindungsprozeß im Verlauf der Rentendebatte der letzten Monate hat ja nun gestern auf dem Kongreß der Gewerkschaft Textil - Bekleidung seinen vorläufigen Höhepunkt durch Ihre entwaffnende Feststellung vor dem Auditorium gefunden - ich zitiere Herrn Blüm -: „Wenn keiner mehr etwas Gutes über uns sagt, dann muß ich das selber machen. "
Das ist die Lage. Es sagt keiner mehr etwas Gutes über die Bundesregierung, also müssen die Damen und Herren es selber übernehmen. Nur, Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sollten zur Kenntnis nehmen, daß Herr Blüm zugibt, daß keiner mehr über Sie etwas Gutes sagt. Sie sollten sich daher Ihre zukünftigen Reklamereden sehr genau überlegen.
Ich will noch hinzufügen: Nach den Entwicklungen der letzten Monate und nach den Datenkränzen, die uns laufend vom Bundesarbeitsminister vorgelegt wurden, traue ich keiner Zahl aus dem Hause Blüm mehr. Sie stimmen alle nicht. Ich empfehle jedem und jeder in diesem Hause: Verfahren Sie ebenso; dann sind Sie nämlich auf der sicheren Seite.
Ein Minister, der, wie in dieser Woche öffentlich verlautbart wurde, noch nicht einmal in der Lage ist, eine Beitragsbemessungsgrenze korrekt berechnen zu lassen, hat als seriöse Zahlenquelle für den Deutschen Bundestag ausgedient.
Ein Minister, der den Sozialversicherten in Ostdeutschland durch eine falsch berechnete Beitragsbemessungsgrenze zu viele Beiträge abverlangt hat, sich jetzt korrigieren und diese Beitragsbemessungsgrenze senken muß, dabei in Zeiten extremer Finanzenge auch noch neue Einnahmelöcher heraufbeschwört, hat auch politisch ausgedient.
Zum Schluß. Als ich gestern in einer Veranstaltung mit Bürgern den qualvollen politischen Stillstand dieser Koalition diskutierte,
meldete sich einer zu Wort und sagte als Diskussionsredner folgendes: Ich habe 15 Jahre Helmut Kohl ertragen und erlitten; es ist zwar richtig, daß ich das 16. Jahr auch noch schaffe, aber besser wäre, wenn uns das erspart bliebe; denn jeder Tag richtet neuen Schaden an. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Dieser Mann hat recht.
Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Repnik .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Fraktionsvorsitzender Wolfgang Schäuble hat nach der Rede von Herrn Kollegen Scharping gesagt, er habe die Wahrheit scharf gestreift. Herr Kollege Dreßler, nach der Rede, die Sie eben gehalten haben, kann ich nur sagen: Sie lagen weit neben der Wahrheit.
Bisher habe ich angesichts der Diskussionen, die wir in den vergangenen Monaten geführt haben, immer gedacht, Sie hätten es noch nicht begriffen; jetzt weiß ich: Sie wollen es nicht begreifen. Deshalb ist es wichtig, daß ich in den wenigen Minuten, die ich zur Verfügung habe, noch einmal ein paar Grundelemente herausarbeite. Auch Herr Schäuble hat dies heute morgen getan.
Wenn wir den Standort Deutschland stärken wollen, wenn wir Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen, wenn wir Arbeitsplätze schaffen wollen, dann brauchen wir eine Reihe von Maßnahmen. Dazu zählen folgende Punkte: Wir müssen herunter mit den Steuersätzen; wir müssen herunter - darin sind wir uns ja einig - mit den Lohnzusatzkosten, aber wir müssen auch herunter mit der Staatsquote. Darin, daß sie dies nicht erkennt, liegt doch exakt das Fehlverhalten der SPD in all diesen Auseinandersetzungen. Was Sie, Herr Dreßler, genauso wie der Kollege Scharping hier dargelegt haben, führt zu nichts anderem, als daß von der einen in die andere Kasse umgeschichtet wird. Die Staatsquote und die Abgabenquote werden nicht gesenkt; der Bürger und die Wirtschaft werden nicht entlastet. Das führt nicht zu neuen Arbeitsplätzen. Darum ist Ihr Weg so verhängnisvoll und falsch.
Deshalb brauchen wir die Strukturreform. Deshalb werden wir in der nächsten Woche dem Deutschen
Hans-Peter Repnik
Bundestag eine Rentenreform vorlegen, die Vorschläge für eine Rentenstrukturreform und die Rentenfinanzierung umfaßt, und wir werden sie auch verabschieden.
Herr Kollege Dreßler, wenn Sie vorhin gesagt haben: „Es geht nichts voran", dann erwidere ich: Natürlich sind wir in den letzten anderthalb Jahren vorangeschritten. Ganz konsequent werden wir diesen Weg weiter beschreiten.
Wir haben die Sozialhilfereform gegen Ihre Stimmen durchgepaukt. Zum erstenmal seit 1996 sind die Sozialhilfeleistungen rückläufig - ein Erfolg dieser Reform.
Auch die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes haben wir ebenso wie die Krankenkassenreform gegen Ihre Stimmen durchgesetzt. Es ist unlauter und es ist unredlich - außerdem spielen Sie mit den Gefühlen der Menschen -, wenn Sie den Eindruck erwecken, die Krankenkassenbeiträge seien wegen dieser Koalition gestiegen. Wenn Seehofer und seine Reform nicht gewesen wären, dann wären die Krankenversicherungsbeiträge jetzt nicht auf diesem hohen Niveau eingefroren, sondern angestiegen. Wir haben dazu beigetragen, daß sie nicht weiter ansteigen. Die Maßnahmen dazu sind gegen Ihre Stimmen im Deutschen Bundestag beschlossen worden.
Das Wachstumförderungsgesetz und die Arbeitslosenhilfereform haben wir gegen Ihre Stimmen durchgesetzt, das Schlechtwettergeld ebenfalls.
- Ja, schreien Sie nur auf! Wenn wir zum heutigen Zeitpunkt in Deutschland ein weitaus höheres wirtschaftliches Wachstum haben, dann hat das etwas mit den Reformen zu tun, die diese Koalition gegen Ihren Willen durchgesetzt hat. Das kann doch überhaupt nicht bestritten werden.
Wir lassen es weder bei Herrn Dreßler noch bei Herrn Scharping zu, daß die Stimmung durch deren Miesmacherei so beeinträchtigt wird, daß keine neuen Investitionen getätigt werden und daß die Bürger nicht in den Konsum gehen, weil sie Sorgen vor der Zukunft haben. Greifen wir doch die positiven Zeichen auf! Das stärkt den Standort Deutschland.
Herr Kollege Repnik, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßen?
Nein, das möchte ich jetzt nicht. Ich will noch zwei Gedanken zu Ende bringen.
Was der Kollege Dreßler vorhin zur Pflegeversicherung gesagt hat, war eine unverantwortliche Demagogie erster Güte.
Es wird den Menschen wieder angst gemacht. Kein Mensch denkt daran, an die Gelder der Pflegeversicherung zu gehen. Stellen Sie doch nicht solche Behauptungen auf!
Herr Dreßler, Sie haben uns aufgefordert, Ihrem Vorschlag heute zuzustimmen. Ich finde, mein Fraktionsvorsitzender hat schlüssig dargelegt, weshalb wir Ihrem Vorschlag nicht zustimmen können.
Es handelt sich hier nicht um eine Mixtur der Vorstellungen von Schäuble und Blüm. Der Fraktionsvorsitzende hat immer deutlich gemacht, daß wir zweierlei brauchen. Wir brauchen eine Veränderung in der Struktur bei der Rente, und wir brauchen zumindest einen Einstieg in die Strukturreform der Steuern. Beides stand als Angebot, beides haben Sie abgelehnt. Deshalb ist es nicht möglich, Ihrem Antrag zuzustimmen.
Ein Weiteres. Sie erwecken den Eindruck, als ob eine Vielzahl von sogenannten versicherungsfremden Leistungen nur vom Beitragszahler und nicht von der breiten Öffentlichkeit bezahlt würde. Herr Kollege Dreßler, Sie können doch nicht bestreiten, daß der Bundeszuschuß für die Rente - immerhin 85 Milliarden DM - eine ganz gewaltige Last für versicherungsfremde Leistungen abdeckt.
Sie können doch nicht bestreiten, daß es über die 85 Milliarden DM hinaus noch einmal 12 Milliarden DM an Erstattungsleistungen aus der Bundeskasse für die Rentenversicherung gibt.
Fast 100 Milliarden DM bezahlt der Steuerzahler aus der Steuerkasse für die Rentenversicherung. Das ist doch eine Summe!
Wenn wir in der nächsten Woche unsere Rentenreform durchgesetzt haben - wir laden Sie ein, bei der Mehrwertsteuererhöhung zur Absenkung des Versicherungsbeitrags mitzumachen -, dann kommen noch einmal 15 Milliarden DM hinzu. Das ist der richtige Weg; alles andere führt nicht zum Ergebnis.
Ein letzter Hinweis. Sie haben aus dem Vermittlungsausschuß berichtet, der Finanzminister sei noch nicht einmal bereit gewesen, Spielräume auszuloten. Verehrter Herr Kollege Dreßler, auch in diesem Punkt bitte ich Sie, bei der Wahrheit zu bleiben.
Hans-Peter Repnik
Noch nach Mitternacht - von Donnerstag auf Freitag vergangener Woche - haben wir ein dickes Papier vorgelegt, in dem wir Sie aufgefordert haben -
- Herr Präsident, darf ich trotz der wenigen mir verbleibenden Redezeit auf den Zwischenruf eingehen? Ich bitte darum.
Sie haben das Wort, Herr Kollege.
Ich bedanke mich sehr, Herr Präsident.
Angesichts des Zwischenrufes des Kollegen Struck ist es vielleicht ganz gut, wenn ich einmal das Plenum des Deutschen Bundestages und die Öffentlichkeit, soweit sie diese Sitzung verfolgt, über folgenden Sachverhalt informiere.
- Ja, ich weiß. Sie machen mich darauf aufmerksam, daß die Sitzungen vertraulich sind. Aber wenn Sie mich mit wahrheitswidrigen Zwischenrufen herausfordern, dann muß ich den Weg zur Wahrheit hier finden.
Der Sachverhalt ist ganz einfach: Wir haben gesagt, daß wir bereit sind - das waren förmliche Angebote -, mit Ihnen über Strukturveränderungen und Tarifabsenkungen zu diskutieren. Der Finanzminister hat bestätigt, daß er in der Lage ist, auch in der Sitzung des Vermittlungsausschusses entsprechende neue Tarifverläufe zu präsentieren. Aber es mußte eine Grundvoraussetzung gegeben sein, nämlich daß wir wissen, wie groß der Spielraum ist, der uns zur Verfügung steht, wie groß die Verteilungsmasse ist.
Wir hatten eine Liste von Maßnahmen mit einem Volumen von mehr als 30 Milliarden DM aufgestellt. Ich habe Sie aufgefordert, diese Liste Punkt für Punkt durchzugehen, um zu klären, ob es um 18, 20, 24, 28, 30 oder 32 Milliarden DM geht. Wenn wir diese Arbeit geleistet hätten, hätten wir über die Tarifabsenkung reden können. Sie haben durch einen Geschäftsordnungsantrag verhindert, überhaupt in die Beratung der Liste einzusteigen. Dies ist die Wahrheit.
Herr Kollege, jetzt müssen Sie aber zum Schluß kommen.
Daraus wird deutlich, daß Sie zu einer Reform nicht bereit waren.
Blockade pur, das war Ihr Ziel. Das haben Sie erreicht. Wir werden es aber nicht dabei belassen.
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Struck das Wort.
Herr Präsident! Herr Kollege Repnik, vorausschickend, daß ich Sie an sich als einen Kollegen schätze, der im Gegensatz zu Ihrem Fraktionsvorsitzenden schon bei der Wahrheit bleibt,
möchte ich Sie doch noch auf folgendes hinweisen. Sie haben unter Brechung des Gebotes der Vertraulichkeit der Sitzungen des Vermittlungsausschusses - als ich einmal in einer Debatte ankündigte, das zu tun, hat das übrigens zu hektischen Aktivitäten Ihres Fraktionsvorsitzenden geführt; leider konnte er keine Vorschrift finden, in der das kritisiert wird - über den Verlauf der Beratungen berichtet.
Sie haben behauptet, der Bundesfinanzminister habe einen Vorschlag unterbreitet, den zu diskutieren wir uns geweigert hätten. Ich stelle hier fest, Herr Kollege Repnik - auch für diejenigen, die nun leider nicht das Vergnügen haben, an Vermittlungsausschußsitzungen teilzunehmen -: Herr Kollege Waigel hat sich entgegen mehrfacher Aufforderung und nach Verstreichen mehrerer Fristen, auch einer Nachfrist, die wir ihm noch gewährt haben,
bis zum Ende der Sitzung geweigert, einen neuen Vorschlag vorzulegen. Dann diskutieren wir auch nicht über einen neuen Vorschlag.
Ehe ich Ihnen, Herr Repnik, das Wort gebe, möchte ich die Mitglieder des Vermittlungsausschusses doch daran erinnern,
sich der Tatsache bewußt zu sein, daß Sie sich durch öffentliche Gespräche über den Verlauf der Sitzungen weitere Beratungen erschweren.
Herr Kollege Repnik, Sie können auf die Intervention des Kollegen Struck antworten. Sie haben das Wort, bitte schön.
Herr Präsident! Ich weiß um die Spielregeln im Vermittlungsausschuß. Deshalb habe ich mich immer an die Spielregeln gehalten.
Aber wenn im Plenum des Deutschen Bundestages durch Zwischenrufe, die im Zweifel auch ihren Niederschlag im Protokoll finden, eine wahrheitswidrige Behauptung aus der Sitzung des Vermittlungsausschusses aufgestellt wird, dann muß ich die Chance haben, dies zu korrigieren, zumal ich persönlich angesprochen bin.
Ich werde mir die gebotene Zurückhaltung in meiner Replik auferlegen: Wir haben in der vorvergangenen Sitzung des Vermittlungsausschusses signalisiert - ich selbst habe das, auch öffentlich, formuliert und darüber auch mit dem Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses, dem Kollegen Voscherau, darüber gesprochen -: Wir sind bereit und in der Lage - auch der Finanzminister kann dazu Stellung nehmen -, verschiedene Tarifabläufe darzustellen, von denen wir auch entsprechende Modelle erarbeitet haben, wenn ein paar Grundvoraussetzungen geklärt sind.
Erstens war zu klären, ob die SPD tatsächlich für eine Nettoentlastung ist oder nicht. Da gibt es aber zwischen der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und dem Fraktionsvorsitzenden nachweislich öffentlicher Äußerungen einen Widerspruch. Auch der Parteivorsitzende sieht es anders als wir. Wir haben gesagt: Wir müssen doch wissen, ob wir in Höhe von 5 Milliarden DM, 10 Milliarden DM oder 20 Milliarden DM entlasten können. Davon ist auch der Spielraum für den Tarifverlauf abhängig. Dazu haben wir aber nichts erfahren.
Zweitens. Wir haben keine entscheidende Antwort auf eine ganz wichtige Frage bekommen - das war alles öffentlich; darum kann ich es hier noch einmal in Erinnerung rufen -: Von der SPD wurde lediglich gesagt, man sei nicht bereit - Frau Matthäus-Maier, Sie haben das wiederholt gesagt -, über das Jahr 1998 hinaus mit uns über diese Punkte nachzudenken.
Wir haben gesagt: Wenn wir Ihrem Vorschlag folgen und eine erste Stufe einführen würden, dann hätte dies zur Folge, daß wir ab 1999 folgende eine Steuerzunahme hätten. Diese Reform würde zu Steuererhöhungen und nicht zu Steuersenkungen führen. Das wäre schädlich für den Arbeitsplatz Deutschland. Wir haben dazu nichts erfahren.
Herr Struck, ganz konkret: Es lag eine dicke Liste vor - übrigens keine Liste des Finanzministers allein, sondern abgestimmt mit den Ländern; die Länder Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben mitgewirkt. Wir haben gesagt: Jetzt gehen wir diese Liste durch. Wenn wir - von mir aus nachts um 3 Uhr - bei 24 Milliarden DM gelandet wären, dann hätte Theo Waigel uns sagen können,
wie sich diese 24 Milliarden DM oder die 18 Milliarden DM auf den Tarif auswirken.
Aber Sie waren nicht bereit, mit uns die schwierige Aufgabe der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu leisten. Deshalb waren wir nicht in der Lage, einen neuen Tarifverlauf zu unterbreiten. Dies ist die Wahrheit und nichts anderes.
Ich schließe die Aussprache.Wir haben zwei unterschiedliche Überweisungen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/8464 federführend an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Dann kommen wir zur Überweisung des Entschließungsantrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 13/8647 . Es wird die Überweisung der Vorlage federführend an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. - Ich sehe und höre auch dazu keinen Widerspruch. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Zusatzpunkte 4 und 5 auf:ZP4 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Steuerreformgesetz (StRG) 1998- Drucksachen 13/7242, 13/7775, 13/8020, 13/ 8177, 13/8178, 13/8326, 13/8465, 13/8466, 13/ 8592 -Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter StruckZP5 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Steuerreformgesetz 1999- Drucksachen 13/7480, 13/7917, 13/8022, 13/ 8023, 13/8177, 13/8179, 13/8327, 13/8465, 13/ 8467, 13/8593 -Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter StruckEhe wir zu den Abstimmungen kommen, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen darauf aufmerksam
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Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Oktober 1997 17605
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirschmachen, daß noch eine Reihe weiterer Abstimmungen, wenn auch nicht namentlich, erfolgt.Wir kommen zunächst zur Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1998 auf Drucksache 13/8592. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, unter Aufhebung des Gesetzesbeschlusses vom 26. Juni 1997 den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. und den inhaltsgleichen Gesetzentwurf der Bundesregierung abzulehnen. Dazu ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. -Darf ich fragen, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekanntgegeben. *)Wir setzen die Abstimmungen fort. Es folgt nun die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1999 auf Drucksache 13/8593 . Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die von ihm vorgeschlagene Fassung insgesamt abzustimmen ist. Auch hierzu ist namentliche Abstimmung beantragt worden.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Darf ich fragen, ob die Urnen besetzt sind? - Das ist der Fall.Ich eröffne die Abstimmung. -Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat?
Noch einmal: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat?
Sind alle Stimmen abgegeben worden? - Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme abgeben will? - Das ist nicht der Fall.Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird später bekanntgegeben.** )Wir setzen die Beratungen fort.s) Seite 17607 B **) Seite 17612CIch rufe die Tagesordnungspunkte 12 b bis 12 g sowie den Zusatzpunkt 6 auf:12. Überweisungen im vereinfachten Verfahrenb) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der FinanzenEntlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1996 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes -- Drucksache 13/7352 —Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschußc) Beratung des Antrags des Bundesministeriums für WirtschaftRechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" für das Wirtschaftsjahr 1996- Drucksache 13/8562 —Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuß Ausschuß für Wirtschaftd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Köhne, Eva Bulling-Schröter, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDSNeuordnung und Demokratisierung der Elektrizitätswirtschaft- Drucksache 13/8553 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheite) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Beer, Amke Dietert-Scheuer, Dr. Uschi Eid, weiterer abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENUnterbindung der Lieferung von Beobachtungs- und Aufklärungsgeräten zur mobilen Grenzüberwachung einschließlich Satellitentelefonen an die Türkei- Drucksache 13/8564 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußVerteidigungsausschußf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, Angelika Beer, Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNENAktive Außenpolitik der Bundesregierung zum Schutz der Menschenrechte in der Türkei— Drucksache 13/8565 —Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuß
RechtsausschußAusschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
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17606 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Oktober 1997
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirschg) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung zur Überprüfung des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege— Drucksache 13/8389 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Fremdenverkehr und TourismusZP6 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kristin Heyne, Gila Altmann , Albert Schmidt (Hitzhofen) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENEinbeziehung der EU-rechtlich vorgeschriebenen Trassenpreise in das Finanzierungskonzept für den Transrapid— Drucksache 13/8631 —Überweis ungsvorschlag:Ausschuß für Verkehr HaushaltsausschußEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 e und die Zusatzpunkte 7 und 9 auf. Es handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 13 a:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Christoph Matschie, Ernst Bahr, Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDUmweltverträglichkeitsprüfung bei WismutSanierungsprojekten- Drucksachen 13/2651, 13/5863 -Berichterstattung: Abgeordneter Rolf KutzmutzDer Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2651 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 13 b:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Uwe-Jens Rössel, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDSAusweitung des Sanierungsauftrages der Wismut GmbH- Drucksachen 13/4836, 13/5864 –Berichterstattung: Abgeordneter Ulrich PetzoldDer Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4836 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 13 c:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 238 zu Petitionen- Drucksache 13/8566 -Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung im übrigen angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 13 d:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 239 zu Petitionen - Drucksache 13/8567 -Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.Tagesordnungspunkt 13 e:Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses
Sammelübersicht 241 zu Petitionen- Drucksache 13/8569 -Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.Vizepräsident Dr. Burkhard HirschZusatzpunkt 7:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Neununddreißigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung- Drucksachen 13/7916, 13/8095, Nr. 2, 13/ 8637 -Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.Zusatzpunkt 9:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Verordnung der BundesregierungZustimmungsbedürftige Verordnung über den Klärschlamm-Entschädigungsfonds
- Drucksachen 13/8292, 13/8507 Nr. 2.1, 13/ 8646 -Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.Ich gebe nun das von den Schriftführererinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1998 bekannt. Abgegebene Stimmen: 606. Mit Ja haben gestimmt 287, mit Nein 318 bei 1 Enthaltung. Damit ist die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses abgelehnt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 606; davon:ja: 288nein: 318JaSPDBrigitte AdlerGerd AndresHermann Bachmaier Ernst BahrDoris BarnettKlaus BarthelIngrid Becker-Inglau Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf BindigArne Börnsen Anni Brandt-ElsweierTilo BrauneDr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin BuryHans Büttner Marion Caspers-MerkWolf-Michael Catenhusen Peter ConradiDr. Herta Däubler-Gmelin Christel DeichmannKarl DillerDr. Marliese Dobberthien Peter DreßenRudolf DreßlerLudwig EichPeter EndersGernot ErlerPetra Ernstberger Annette FaßeElke FernerLothar Fischer Gabriele FograscherIris FollakDagmar Freitag Anke Fuchs Monika Ganseforth Konrad GilgesIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerAngelika Graf Dieter GrasedieckAchim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred HartenbachDr. Liesel Hartenstein Klaus HasenfratzDr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf HempelmannDr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe HikschReinhold Hiller Stephan HilsbergGerd HöferFrank Hofmann Ingrid HolzhüterErwin HornEike Hovermann Wolfgang IlteBarbara ImhofBrunhilde Irber Renate JägerJann-Peter Janssen Ilse JanzDr. Uwe JensVolker Jung Sabine Kaspereit Susanne KastnerErnst KastningKlaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich KloseDr. Hans-Hinrich Knaape Walter KolbowFritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad KunickChristine Kurzhals Dr. Uwe KüsterWerner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus LennartzKlaus Lohmann Christa LörcherErika LotzDr. Christine LucygaDieter Maaß
Winfried Mante Ulrike Mascher Christoph MatschieIngrid Matthäus-MaierHeide Mattischeck Markus Meckel Ulrike MehlHerbert Meißner Angelika MertensDr. Jürgen Meyer Ursula MoggMichael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith NiehuisDr. Rolf Niese Doris OdendahlGünter Oesinghaus Leyla OnurManfred Opel Adolf Ostertag Kurt PalisAlbrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim PoßRudolf PurpsKarin Rehbock-Zureich Margot von RenesseRenate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter Günter RixeReinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg SchäferGudrun Schaich-WalchDieter Schanz Rudolf Scharping Bernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried Scheffler Horst SchildOtto SchilyDieter Schloten Günter SchluckebierHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Regina Schmidt-ZadelHeinz Schmitt
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias SchubertRichard Schuhmann
Brigitte Schulte
Vizepräsident Dr. Burkhard HirschReinhard Schultz Volkmar Schultz (Köln)Use SchumannDr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst SchwanholdRolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa SeusterHorst SielaffErika SimmJohannes SingerDr. .Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland SorgeWolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig StieglerDr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg TaussDr. Bodo TeichmannJella TeuchnerDr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Uta Titze-Stecher Adelheid TröscherHans-Eberhard Urbaniak Siegfried VerginGünter VerheugenUte Vogt
Karsten D. Voigt Josef VosenHans Georg WagnerHans WallowDr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit Gunter WeißgerberGert Weisskirchen Jochen WeltHildegard Wester Lydia WestrichDr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter WiefelspützBerthold WittichDr. Wolfgang WodargHeidi WrightDr. Christoph ZöpelPeter ZumkleyBÜNDNIS 90 / DIE GRÜNENGila Altmann Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)Marieluise Beck Matthias BerningerAnnelie BuntenbachAmke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi EidAndrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita GrießhaberGerald HäfnerAntje HermenauUlrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika KnocheDr. Angelika Köster-Loßack Steffi LemkeDr. Helmut LippeltOswald Metzger Kerstin Müller Winfried NachtweiChrista NickelsEgbert Nitsch Cern ÖzdemirSimone Probst Halo Saibold Christine ScheelIrmingard Schewe-Gerigk Rezzo SchlauchAlbert Schmidt Wolfgang Schmitt
Ursula SchönbergerWerner Schulz Christian SterzingManfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger VolmerHelmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)PDSPetra BlässEva Bulling-Schrötèr Dr. Ruth FuchsAndrea GysiHanns-Peter HartmannDr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla JelpkeGerhard JüttemannDr. Heidi Knake-WernerRolf KutzmutzHeidemarie LüthDr. Günther Maleuda Manfred Müller
Rosel NeuhäuserDr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Klaus-Jürgen WarnickDr. Winfried WolfGerhard ZwerenzFraktionslosKurt Neumann
NeinCDU/CSUUlrich Adam Peter Altmaier Anneliese AugustinJürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter BastenDr. Wolf Bauer Brigitte BaumeisterMeinrad Belle Hans-Dirk BierlingDr. Joseph-Theodor Blank Renate BlankDr. Heribert Blens Peter BleserDr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen BorchertWolfgang Börnsen Wolfgang BosbachDr. Wolfgang Bötsch Klaus BrähmigRudolf Braun Paul BreuerMonika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Hartmut Büttner
Dankward BuwittManfred Carstens Peter Harry Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert DeittertGertrud Dempwolf Albert DeßRenate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria EichhornWolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst EylmannAnke EymerUse FalkJochen FeilckeUlf FinkLeni Fischer Herbert FrankenhauserDr. Gerhard Friedrich Erich G. FritzHans-Joachim Fuchtel Norbert GeisDr. Heiner Geißler Michael GlosWilma GlücklichDr. Reinhard Göhner Peter GötzDr. Wolfgang Götzer Joachim GresKurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred GrundHorst Günther Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef HellingDr. Renate Hellwig Ernst HinskenPeter HintzeJosef HollerithDr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim HörsterHubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr.-Ing. Rainer JorkMichael Jung
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus KalbSteffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard KarwatzkiVolker Kauder Peter KellerEckart von KlaedenDr. Bernd KlaußnerUlrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski
Thomas KossendeyRudolf KrausWolfgang Krause Andreas KrautscheidArnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul KrügerReiner KrziskewitzDr. Hermann Kues Werner KuhnDr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef LaumannVera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Editha LimbachWalter Link Eduard LintnerDr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß Dr. Dietrich MahloErwin MarschewskiGünter Marten Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgRudolf MeinlDr. Michael MeisterDr. Angela Merkel Friedrich MerzRudolf Meyer
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd MüllerElmar Müller Engelbert NelleBernd Neumann
Vizepräsident Dr. Burkhard HirschJohannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto
Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm PeschUlrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Beatrix PhilippDr. Winfried PingerRonald PofallaDr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies PretzlaffDr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans RaidelDr. Peter RamsauerRolf RauHelmut Rauber Peter RauenOtto RegenspurgerChrista Reichard Klaus Dieter Reichardt
Dr. Bertold ReinartzErika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert RiederDr. Erich Riedl Klaus RiegertDr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Adolf Roth
Norbert Röttgen Dr. Christian RuckRoland Sauer Ortrun SchätzleDr. Wolfgang Schäuble Hartmut SchauerteHeinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd SchmidbauerChristian Schmidt Dr.-Ing. Joachim Schmidt
Andreas Schmidt Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr vonSchorlemerDr. Erika Schuchardt Wolfgang SchulhoffDr. Dieter Schulte Gerhard Schulz (Leipzig)Frederick Schulze
Diethard Schütze Clemens SchwalbeWilhelm Josef Sebastian Horst SeehoferMarion Seib Heinz-Georg SeiffertRudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen SikoraJohannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika SteinbachDr. Wolfgang Freiherr vonStettenDr. Gerhard Stoltenberg Andreas StormMax Straubinger Matthäus Strebl Michael StübgenEgon SussetDr. Rita SüssmuthMichael TeiserDr. Susanne TiemannDr. Klaus Töpfer Gottfried TrögerDr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt
Dr. Horst WaffenschmidtDr. Theodor WaigelAlois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen WarnkeKersten WetzelHans-Otto Wilhelm Gert WillnerBernd WilzWilly Wimmer Matthias WissmannDr. Fritz WittmannDagmar Wöhrl Michael WonnebergerElke WülfingPeter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang ZöllerF.D.P.Ina AlbowitzDr. Gisela Babel Hildebrecht Braun
Günther Bredehorn
Jörg van EssenDr. Olaf FeldmannGisela Frick Horst Friedrich Rainer FunkeDr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther
Dr. Karlheinz Guttmacher Ulrich HeinrichWalter HircheDr. Burkhard HirschBirgit HomburgerDr. Werner HoyerUlrich IrmerDetlef Kleinert
Roland KohnDr. Heinrich L. Kolb Jürgen KoppelinDr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe LührGünther Friedrich NoltingDr. Rainer Ortleb Lisa PetersDr. Günter Rexrodt Dr. Klaus RöhlHelmut Schäfer Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-JortzigEntschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPUAbgeordnete
Antretter, Robert, SPD Lenzer, Christian, CDU/CSUBehrendt, Wolfgang, SPD Dr. Probst, Albert, CDU/CSUBlunck, Lilo, SPD Zierer, Benno, CDU/CSUHoffmann, ,Jelena V., SPDIch rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans Martin Bury, Ernst Schwanhold, Anke Fuchs , weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Unternehmensübernahmen (Übernahmegesetz)- Drucksache 13/8164 -Überweisungsvorschlag:Finanzausschuß RechtsausschußAusschuß für WirtschaftNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Hans Martin Bury.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen mehr Unternehmer in Deutschland, nicht nur Übernehmer.
Während in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft echte Unternehmerpersönlichkeiten rar geworden sind, blüht das Geschäft der Unternehmensaufkäufer. Immer häufiger wird Unternehmenswachstum durch bloße Zukäufe, durch Finanzdispositionen und Unternehmensakquisitionen erzielt statt durch die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren oder die Erschließung neuer Absatzmärkte.
Seit 1986 hat sich die Zahl der Unternehmensübernahmen mit deutscher Beteiligung nahezu verdoppelt - ein Höchststand von 1773 Fällen im letzten Jahr, der lediglich im vereinigungsbedingten Rekordjahr 1991 übertroffen wurde. Bei drei Vierteln
Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Sohns Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Wolfgang Bierstedt
Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Dagmar Enkelmann
Hans Martin Bury
dieser Transaktionen waren deutsche Unternehmen die Käufer. Für 1997 rechnen alle Experten mit einem weiteren Anstieg der Übernahmeaktivitäten, da sich der Konzentrationsprozeß in Europa eher noch beschleunigt.
Obwohl der Markt für Unternehmensübernahmen boomt, gibt es in Deutschland - im Gegensatz zu anderen, zu führenden Finanzmärkten - noch immer keine verbindliche gesetzliche Regelung für solche Übernahmen. Das ist eines der vielen Defizite, die es in Deutschland dringend zu beheben gilt, damit es dem Finanzplatz Frankfurt nicht bald ebenso ergeht wie der Eintracht Frankfurt. Diese spielt bekanntlich in der zweiten Liga.
Der Wettbewerb mit den konkurrierenden Finanzplätzen nimmt vor dem Hintergrund der ökonomischen Integration Europas und der globalisierten Kapitalströme immer weiter zu. Doch dieselbe Bundesregierung, die sonst selbst bei der unpassendsten Gelegenheit auf den harten internationalen Wettbewerb und den daraus resultierenden Konkurrenzdruck verweist, sieht tatenlos zu, wie Deutschland im Bereich des Finanzmarktes zunehmend den Anschluß an internationale Standards verliert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor einem halben Jahr erschütterte der Übernahmeversuch der Thyssen AG durch Krupp-Hoesch die Republik. Aufgebrachte Stahlarbeiter marschierten nach Frankfurt und demonstrierten vor der dortigen Zentrale gegen die Rolle der Deutschen Bank, mit deren fachlicher und finanzieller Unterstützung der spektakuläre Übernahmecoup eingefädelt wurde.
- Daß Sie das nicht erschütterte, Herr Funke, wundert mich nicht mehr. Aber die Sorgen und die Wut der Stahlarbeiter sind für uns verständlich. Denn der Griff des Krupp-Vorstandes nach dem Duisburger Konkurrenten Thyssen war der bislang spektakulärste Versuch einer „feindlichen Übernahme" in Deutschland. „Kasino-Kapitalismus" schimpften die Gewerkschafter. Alfred Herrhausen, der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, hatte solche Praktiken in den 80er Jahren nicht weniger deutlich als „Wild-West-Methoden" gegeißelt, die es in Deutschland zu verhindern gelte.
In der Tat bieten die Erfahrungen aus den USA mit solchen „feindlichen Übernahmen" Anlaß zur Sorge. In den 80er Jahren boomte dort das Geschäft der Unternehmensaufkäufer. Treibende Kräfte waren sogenannte corporate raiders, Spekulanten, die Unternehmen aufkauften, filetierten und ausschlachteten. Mit den Übernahmen verfolgten sie einzig das Ziel, möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit zu verdienen. Auf der Strecke blieben dabei die Arbeitnehmer der Gesellschaften und die Kleinaktionäre.
Alle Experten sind sich einig, daß es auch in Deutschland künftig weitere Versuche feindlicher Unternehmensübernahmen geben wird. Das deutsche Konzernrecht bietet hier nur einen sehr eingeschränkten Schutz. Um so dringlicher wird die Schaffung einer verbindlichen Übernahmeregelung, die sicherstellt, daß bei Unternehmensübernahmen die Interessen aller Beteiligten - der Unternehmen, ihrer Arbeitnehmer und ihrer Aktionäre - gewahrt werden.
Der sogenannte Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission, eine Art freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen, war gestern auf den Tag genau zwei Jahre alt - zwei Jahre auf Bewährung. Doch das Urteil lautet: Bewährung nicht bestanden. Niemand bezweifelt heute noch ernsthaft, daß sich dieser Kodex als Flop erwiesen hat. Seine inhaltlichen Schwächen sind die fehlende Rechtswirksamkeit der Empfehlung, die zahnlose Überwachungsstelle „Übernahmekommission", der Mangel an Sanktionsmöglichkeiten, die viel zu hohe Grenze von 50 Prozent der Stimmiechte der Zielgesellschaft, nach deren Überschreiten ein Pflichtangebot überhaupt erst notwendig wird, die viel zu lange Frist von insgesamt 21 Monaten zur Vorlage des Pflichtangebotes und die fehlende Wirksamkeit für ausländische Aufkäufer. Ich habe gar nicht so viele Finger an einer Hand, wie dieser Kodex Mängel hat.
Neben diesen Mängeln krankt der Kodex vor allem an der mangelnden Akzeptanz bei Deutschlands Aktiengesellschaften. Es mehren sich in der Zwischenzeit auch bei den Marktteilnehmern - bei Investmentfonds, in Bankenkreisen und an den Börsen - Forderungen, den unzureichenden Kodex durch eine verbindliche gesetzliche Regelung zu ersetzen.
Die Einsicht in die mangelnde Tauglichkeit ihres freiwilligen Übernahmekodex hatte zwischenzeitlich sogar die Börsensachverständigenkommission erfaßt. Bereits im Juli letzten Jahres hatte ihr Vorsitzender erklärt, die Kommission werde für den Fall, daß die Zustimmung zum Übernahmekodex weiterhin so gering bleiben sollte, die Verabschiedung eines Übernahmegesetzes empfehlen. Damals hatten 250 der 660 börsennotierten Gesellschaften den Übernahmekodex anerkannt. Heute sind es 274 von 680 Gesellschaften.
Selbst von den Vorzeigeunternehmen unter Deutschlands Aktiengesellschaften, den 30 DAXWerten, hat jede fünfte die Unterschrift unter den Kodex verweigert. Unter den Verweigerern befinden sich klangvolle Namen wie die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank - diese wird nun selbst übernommen -, BMW, Hoechst, Metro, RWE, VIAG und Volkswagen. Nimmt man die 100 größten börsennotierten Gesellschaften, sieht das Bild noch verheerender aus. Hier haben noch nicht einmal zwei Drittel der Unternehmen den Kodex anerkannt.
Am 22. August dieses Jahres schrieb das „Handelsblatt" - ich zitiere -:
Die weltweit üblichen Take-over-Standards -
Transparenz, Gleichbehandlung aller Aktionäre
und kalkulierbare Verhaltensregeln der Beteilig-
Hans Martin Bury
ten - sollten schon deshalb nicht verordnet werden, weil dies ein Armutszeugnis für die deutsche Wirtschaft wäre.
Meine Damen und Herren, das Armutszeugnis hat der deutschen Wirtschaft inzwischen jedoch der Vorstandsvorsitzende der Metallgesellschaft ausgestellt. Ende letzten Jahres hatte der Vorstand der Gesellschaft die zuvor ausgesprochene Anerkennung des Übernahmekodex widerrufen, weil die Metallgesellschaft, wie sich wenig später herausstellte, die Übernahme eines anderen Unternehmens plante.
In der Hauptversammlung der Metallgesellschaft am 28. März dieses Jahres demontierte ihr Vorstandsvorsitzender Neukirchen den Übernahmekodex endgültig. Er erklärte, das Unternehmen werde bei künftigen Akquisitionen von Fall zu Fall entscheiden, ob es den Kodex anerkenne oder nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei Unternehmensübernahmen geht es um viel: um die Zukunft von Unternehmen und Arbeitsplätzen und um viel Geld. Deshalb sind Schönwetterbekenntnisse oder freiwillige Verpflichtungen, die nach Belieben wieder aufgekündigt werden, vollkommen unzureichend.
Für ihren entlarvenden Schritt schulde der Finanzplatz Deutschland der Metallgesellschaft einen „besonderen Dank", schrieb damals die „Börsen-Zeitung". Dort heißt es weiter:
Denn klarer als durch diese gelassene Rücktrittserklärung der Metallgesellschaft konnte man es kaum machen, daß freiwillige Selbstverpflichtungen auch über Bord geworfen werden können und im Zweifelsfall wenig wert sind, wenn es - wie bei Übernahmen üblich - um hohe Summen geht.
„Übernahmekodex braucht Gesetz", kommentierte die „Börsen-Zeitung" am 7. März 1997
und schrieb:
Der Übernahmekodex auf Freiwilligkeit hat sich nicht bewährt. Es ist Zeit, das zu konstatieren. Und es ist Zeit, daß Bonn ein Gesetz entwirft, wie in Deutschland öffentliche Übernahmen zu erfolgen haben.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz liegt dem Deutschen Bundestag heute zur ersten Lesung vor. Der von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte Entwurf eines Übernahmegesetzes sieht die Schaffung einer gesetzlichen Übernahmeregelung im Wertpapierhandelsgesetz vor. Damit wird ein an internationalen Standards orientierter gesetzlicher Rahmen geschaffen, der Rechtssicherheit für die Unternehmen, ihre Arbeitnehmer und Aktionäre sowie potentielle
Investoren schafft. Der Finanzmarkt Deutschland wird auch in diesem Bereich an internationale Standards herangeführt. Das stärkt seine Wettbewerbsfähigkeit und ist ein entscheidender Beitrag zur Verbesserung der Aktienkultur in Deutschland.
Ausländische Investoren bemängeln seit langem, daß der deutsche Finanzmarkt keinen ausreichenden Schutz bei Unternehmensübernahmen bietet, und investieren lieber in anderen Märkten, in denen der Schutz von Minderheitsaktionären gewährleistet ist. Denn entwickelte Finanzmärkte wie die USA, Frankreich oder Großbritannien, aber auch Länder wie Spanien oder Portugal verfügen längst über verbindliche Regelungen für solche Transaktionen.
Darüber hinaus regelt der Entwurf Transparenzanforderungen und Verhaltensmaßregeln für die bietende und die Ziel-Gesellschaft. Als Aufsichtsorgan über Unternehmensübernahmen soll die „Übernahmekommission" fungieren. Damit werden die bereits im Rahmen des Übernahmekodex geschaffenen Strukturen aufgenommen, aber zugleich auf eine saubere gesetzliche Grundlage gestellt und mit wirksamen Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem Scheitern der Krupp-Thyssen-Übernahme klagte der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Herr Breuer, in Deutschland fehle es an einer „Übernahmekultur". Der gescheiterte Übernehmer, Krupp-Chef Cromme, forderte gar, in Deutschland müßten verkrustete Strukturen aufgebrochen werden, damit „feindliche Übernahmen" künftig geräuschlos und unproblematisch über die Bühne gehen könnten.
Die Strukturen, die in Deutschland aufgebrochen werden müssen, sind die Verflechtungen der Deutschland AG, die sich gerade im Übernahmeversuch Krupp-Thyssen einmal mehr manifestierten. Das „Handelsblatt" kommentierte zutreffend:
Daß ein Mitglied des Vorstands der Bank, Ulrich Cartellieri, im Aufsichtsrat der Thyssen AG sitzt, die von Krupp-Hoesch übernommen werden sollte, ist Teil des verfilzten Systems der Unternehmensführungen. Es ist charakterisiert durch Kreuz- und Querverflechtungen zwischen Banken, Versicherungen und Konzernen. Das Beispiel Cartellieri illustriert die Ämterhäufung und die Einflußmöglichkeiten von Vorstandsmitgliedern deutscher Großbanken.
Zur Entwicklung einer echten Finanzmarktkultur in Deutschland, in deren Rahmen dann auch Unternehmensübernahmen möglich sein müssen, ist es notwendig, die bestehenden Machtkonzentrationen bei den Banken und Versicherungen und die daraus resultierenden Interessenkonflikte endlich abzubauen. Für Unternehmensübernahmen bedeutet dies eine klare Trennung zwischen den Interessen der Banken und den Interessen der betroffenen Unternehmen; denn der Fall Krupp-Thyssen zeigte exemplarisch, daß Unternehmensübernahmen in Deutschland so lange ordnungspolitisch problematisch sein werden, wie die Einflußkumulation bei Deutschlands Großbanken nicht wirksam beseitigt ist.
Hans Martin Bury
Es ist absolut inakzeptabel, daß eine Bank sowohl die übernehmende Gesellschaft als auch die Zielgesellschaft berät, zugleich das Übernahmeangebot finanziert und zudem ein Vorstandsmitglied derselben Bank im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft vertreten ist.
Vollkommen zu Recht ist die Rolle der Deutschen Bank beim Krupp-Thyssen-Fall wegen dieser Interessenkollision scharf kritisiert worden. Es kann nicht angehen, daß eine Bank eine feindliche Übernahme einfädelt, um sich mit der Finanzierung eine goldene Nase zu verdienen, und die Arbeitnehmer den Deal mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze bezahlen.
Zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland gehört daher als zentraler Ansatz die Umsetzung der Maßnahmen zur Beschränkung der Macht der Banken. Die entsprechenden Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion liegen dem Deutschen Bundestag seit langem vor. Die abschließende Beratung unseres Gesetzentwurfes wurde von der Regierungskoalition jedoch bewußt verschleppt. In den letzten Tagen, Herr Funke, konnte man einmal mehr davon lesen, daß die Koalition ihren Gegenentwurf zu unserem Transparenz- und Wettbewerbsgesetz, das sogenannte KonTra-Gesetz, jetzt doch noch im Kabinett beraten und danach in den Bundestag einbringen will. Derartige Ankündigungen haben wir in dieser Legislaturperiode bereits mehrfach gehört. Herausgekommen ist bislang nichts. Ohnehin ist der vor knapp einem Jahr der Öffentlichkeit präsentierte „KonTra-Gesetzentwurf" - der so heißt, wie er ist, nämlich kontraproduktiv - des Bundesministeriums der Justiz mehr eine Scheinreform getreu dem Motto: Es muß etwas geschehen, aber es darf nichts passieren.
Meine Damen und Herren, es muß etwas passieren in Deutschland! Wir haben die Chance, den Entwurf eines Übernahmegesetzes mit dem 3. Finanzmarktförderungsgesetz zu verabschieden. Nehmen Sie das Angebot an! Damit wäre dem Finanzplatz Deutschland, wäre den Arbeitnehmern und Aktionären gleichermaßen gedient.
Für neue Dynamik am Stillstandort Deutschland brauchen wir jedoch mehr als ein Übernahmegesetz. Der nächste Schritt ist die Übernahme der Bundesregierung.
Ehe ich das Wort weitergebe, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Steuerreformgesetz 1999 bekannt. Abgegebene Stimmen: 602. Mit Ja haben gestimmt 262, mit Nein haben gestimmt 333, 7 Enthaltungen. Damit ist die Beschlußempfehlung abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 603; davon:
ja: 262
nein: 334
enthalten: 7
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Arne Börnsen Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury
Hans Büttner Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer Gabriele Fograscher
Iris Follak
Dagmar Freitag Anke Fuchs Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Angelika Graf Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann
Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Klaus Lohmann Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß Winfried Mante Ulrike Mascher Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer Ursula Mogg
Michael Müller Jutta Müller (Völklingen) Christian Müller (Zittau) Volker Neumann (Bramsche) Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Günter Rixe
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Horst Schmidbauer
Ulla Schmidt Dagmar Schmidt (Meschede) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt (Berg)
Walter Schöler
Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
Brigitte Schulte Reinhard Schultz (Everswinkel)
Volkmar Schultz Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt
Karsten D. Voigt Josef Vosen
Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg
Heidi Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Elisabeth Altmann
Marieluise Beck Matthias Berninger
Annelle Buntenbach Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer Joseph Fischer (Frankfurt) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Manuel Kiper
Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger
Kerstin Müller Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Egbert Nitsch Cem Özdemir
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt Wolfgang Schmitt (Langenfeld)
Werner Schulz Christian Sterzing
Manfred Such
Dr. Antje Vollmer
Helmut Wilhelm Margareta Wolf (Frankfurt)
PDS
Christina Schenk Klaus-Jürgen Warnick
Fraktionslos
Kurt Neumann
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Julius Louven
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Michael von Schmude
Gerhard Schulz (Leipzig) Frederick Schulze
Antretter, Robert, SPD Lenzer, Christian, CDU/CSU
Behrendt, Wolfgang, SPD Dr. Probst, Albert, CDU/CSU
Blunck, Lilo, SPD Zierer, Benno, CDU/CSU
Hoffmann, ,
Jelena V., SPD
Ich gebe nun dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wir brauchen mehr Unternehmer in Deutschland", hat Herr Bury gesagt. Im selben Atemzug verhindern Sie aber jede Maßnahme, um mehr Unternehmen in Deutschland ansiedeln zu können. Der Standort Deutschland sollte verbessert und nicht mit noch mehr einschränkenden Gesetzen für In- wie für Ausländer uninteressant gemacht werden.
Nachdem die Steuerreform durch Ihre unverständliche Blockade - leider - gegen die Wand gefahren worden ist und dadurch Impulse für Investitionen abgetötet worden sind, wird nunmehr durch Ihren Gesetzentwurf zur Regelung von Unternehmensübernahmen oder durch den Entwurf der Grünen zur Begrenzung der Bankenvollmacht und zur Verbesserung der Unternehmenskontrolle
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
versucht, neue Hürden aufzubauen und ausländische Investoren vom deutschen Markt abzuschrekken.
Sie haben mit Ihrer Diskussion, die Absenkung der Spitzensteuersätze mache die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer, eine billige Neiddiskussion hervorgerufen.
Sie haben schlichtweg nicht begriffen, Herr Struck, daß die hohen Steuern in Deutschland inländische Firmen ins Ausland treiben und ausländische Firmen von Deutschland fernhalten.
Auch Ihnen müßten doch zwei Zahlen die Augen öffnen:
Deutsche Firmen haben im Jahre 1996 im Ausland über 60 Milliarden DM investiert, ausländische Firmen in Deutschland weniger als 5 Milliarden DM. Das ist die Diskrepanz, die es zu beseitigen gilt.
So wie Herr Flick seinen Wohnsitz in Österreich nahm - das im übrigen einen sozialistischen Finanzminister hat, der im Gegensatz zu Ihnen begriffen hat, daß niedrige Steuern Steuerzahler anlocken und hohe Steuern Steuerzahler verjagen -, wird das jetzt leider - legal - auch eine Reihe von wohlhabenden, gut verdienenden Bürgern tun. Sie machen dadurch unsere Nachbarländer reicher und unser Deutschland ärmer. Irgendwann müßte doch auch Ihnen einmal aufgehen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß es merkwürdig ist, daß Frau Schreinemakers ihr Geld mit dem deutschen Fernsehzuschauer verdient, aber ihre Steuern dafür in Belgien zahlt.
Ein großes Unternehmen aus meinem Wahlkreis, das ein Vertriebszentrum mit 400 bis 500 Arbeitskräften in Nordrhein-Westfalen bauen will - jetzt muß ich fast sagen: wollte -, hat festgestellt, daß ein Standort im grenznahen Holland, bei Venlo, ihm jährlich 14,5 Millionen DM Kosten spart. Dabei hätte dieses Unternehmen die erhöhten Lohn- und Lohnnebenkosten in der Größenordnung von 4,5 Millionen DM noch hingenommen, aber die 10 Millionen DM Steuern mehr pro Jahr akzeptierte es einfach nicht.
Wenn die Entscheidung dieses Unternehmens tatsächlich so fällt und der Betrieb in Holland aufgebaut wird, sind es vermutlich nur holländische Bauarbeiter, die dieses Zentrum bauen, übrigens vermutlich in einer Rekordgenehmigungszeit, weil keine Bremsen durch rot-grüne Politik wie in Nordrhein-Westfalen vorhanden sind. Das sind ziemlich sicher 400 bis
500 Holländer, die dort arbeiten. Holland kassiert zwar 10 Millionen DM weniger Steuern als Deutschland kassiert hätte, aber immerhin noch in einer Größenordnung von 50 Millionen DM. Deutschland bekommt gar nichts. Das ist das, was wir Ihnen anlasten und wo wir Sie anmahnen.
Nun wollen Sie auch noch Unternehmensübernahmen unnötig erschweren und die angebliche Bankenübermacht brechen, nur weil es bei der Fusion bzw. Übernahme von Krupp und Thyssen zu Schwierigkeiten gekommen ist. Übrigens hat dabei die Republik nicht gewackelt, Herr Bury. Sie müssen da schon irgendwoanders gewesen sein oder waren selber nicht ganz auf den Beinen, so daß Sie glaubten, daß die Republik gewackelt habe.
Sie wollen nun den gerade zum 1. Oktober 1995 eingeführten freiwilligen Übernahmekodex im Gesetz noch dazu mit deutlichen Verschärfungen verankern und mit beträchtlichen Bußgeldern versehen. Sie haben gesagt, dieser Übernahmekodex sei ein Flop. Das ist ja wohl angesichts der Tatsache, daß 346 von 670 börsennotierten Aktiengesellschaften diesen erst zwei Jahre alten Kodex schon anerkannt haben, ein Witz. Die Auswirkungen sollten erst einmal abgewartet werden.
Wer dies voreilig als Flop bezeichnet, will nicht das freie Spiel der Kräfte, sondern Planwirtschaft.
Die Begrenzung des Beteiligungsbesitzes von Banken an branchenfremden Unternehmen auf 5 Prozent ist abzulehnen; sie ist vermutlich auch verfassungswidrig, weil hier keinerlei Einfluß auf irgendeine Größenordnung genommen werden kann. Ebenso ist das Übernahmeverbot bei einer schon bestehenden Beteiligung über 25 Prozent aus dem Grunde abzulehnen, weil hier keine marktbeherrschende Stellung vorliegt. Das ist eindeutig abzulehnen und rechtlich wohl auch bedenklich.
Übrigens wäre manche Firma, Herr Bury, bereits pleite gegangen, wenn nicht die Banken rechtzeitig eingesprungen wären. Außerdem halte ich es für schlichtweg unannehmbar und falsch, die Banken als Horrorinstrumente der Wirtschaft zu bezeichnen. Wir haben mit den von Ihnen beschuldigten Banken in den letzten 50 Jahren Deutschland aufgebaut. Bis auf Ausnahmen haben die Banken volkswirtschaftlich verantwortlich gehandelt. Die von Ihnen, Herr Bury, neulich abends im Fernsehen aufgestellte Behauptung, Banken und Versicherungen hinderten Innovation und Fortschritt,
ist so absurd und abenteuerlich, daß man darauf eigentlich gar nicht eingehen muß und kann. Das ist einfach schlichtweg falsch.
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Auf EU-Ebene wird zudem zur Zeit eine Richtlinie vorbereitet, die Unternehmensübernahmen zum Gegenstand hat. Wir sollten uns die Zeit bis zu deren Erlaß - voraussichtlich Ende 1998/Anfang 1999 - lassen und sie nutzen, unsere Erfahrungen mit dem Übernahmekodex zu sammeln, um sie dann auf der Grundlage der EG-Richtlinie in ein Gesetz einzuarbeiten. Ich gehe davon aus, daß so etwas auch vorgesehen ist. Wir werden dann hier ein vernünftiges Gesetz vorlegen.
Lassen Sie mich zum Schluß wiederholen: Wir müssen unsere Wirtschaft in Deutschland ent- und dürfen sie nicht belasten, sowohl in steuerlicher als auch in verwaltungsbürokratischer Hinsicht. Auch die Bürger müssen die Steuerentlastung spüren, weil es nicht sein darf, daß derjenige, der hart arbeitet, netto weniger hat als diejenigen, die von seinen Steuergeldern unterstützt werden und nicht arbeiten.
Schweden, Holland und Neuseeland haben gezeigt, wie man einen Staat retten kann, der zu einem Wohlfahrtsstaat verkommen war oder zu verkommen drohte. Wir sollten es nicht so weit kommen lassen, sondern rechtzeitig die Weichen stellen. Auch Sie, meine Damen und Herren, haben Verantwortung für die Menschen in Deutschland. Es gibt nicht nur die Würde der Sozialhilfeempfänger, sondern auch die Würde und Bürde derjenigen, die dafür aufkommen, daß jene in Würde leben können. Aber das sollte sich auf diejenigen beschränken, die wegen Krankheit, Alters oder Kindererziehung nicht arbeiten können. Alle anderen sollten mindestens für das Geld, das sie aus Steuermitteln von der Allgemeinheit erhalten, gemeinnützige Arbeiten verrichten.
Insgesamt tun Entlastung und Deregulierung Not. Alles andere, auch das, was Sie vorschlagen, ist von Übel.
Danke schön.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Margareta Wolf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion und ich finden den Gesetzentwurf der SPD, der heute zur Beratung ansteht,
ausgesprochen gut.
Ich will Ihnen zwei Argumente nennen, warum wir ihn ausgesprochen gut finden: Er sieht erstens eine weisungsunabhängige Übernahmekommission vor, die nicht beim Bundesaufsichtsamt, sondern beim BMF angesiedelt ist. Der zweite Punkt, den ich ausgesprochen interessant und bestechend finde, ist die Ausgestaltung der Übernahmekommission. So sieht die SPD, wie ich finde, eine gute Mischung aus Staat und Markt vor. Nach den Vorstellungen der SPD bestellt das BMF Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichberechtigt in diese Kommission.
Herr von Stetten, wenn Sie sich an den 19. März 1997 erinnern, dann muß ich sagen, daß der hier vorgelegte Gesetzentwurf tatsächlich ein Instrument ist, das uns zur Sicherung der sozialen Marktwirtschaft an die Hand gegeben wird. Ich sage Ihnen auch, warum ich dieser Meinung bin.
Ich war mit meinem Kollegen Fischer diese Woche Dienstag bei Krupp/Thyssen. Wir haben dort mit dem Gesamtbetriebsrat und auch dem Vorstand geredet. Der Gesamtbetriebsrat und die Belegschaft stehen heute noch unter dem Trauma dieser mißglückten feindlichen Übernahme aus dem März dieses Jahres.
Ich möchte Ihnen sagen, wie der Gesamtbetriebsrat bei Thyssen eingestellt ist, nämlich ausgesprochen modern. Herr Funke, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende sagte mir: Wir begreifen uns in erster Linie als Ko-Manager; wir machen Druck auf die Unternehmensleitung in Richtung Fusion; wir machen Druck zur Nutzung von Synergieeffekten und in Richtung technologischer Innovation. - Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Wenn dieses Gesetz im März dieses Jahres schon gegriffen hätte, hätte man eine Verständigung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gehabt. Man hätte damals die Fusion gehabt, und man hätte das Land nicht in Schrecken versetzt. Ich denke, wenn Sie, Herr Funke und Herr Minister Rexrodt, diesen Ansatz in Anlehnung an die Erfahrungen in anderen Ländern frühzeitig gewählt hätten, hätte dieses Land tatsächlich etwas gewonnen.
Nun zu dem Satz von Herrn Waigel, den er heute morgen gesagt hat - Zitat -: Ich verwahre mich dagegen, die Politik für den Reformstau verantwortlich zu machen. - Verehrter Herr Staatssekretär, seit November 1996 liegt der Referentenentwurf zur Novellierung des Aktienrechts vor. Herr Rexrodt hat, als er diese Arbeitsgruppe, der ja auch Sie angehören, eingerichtet hat, gesagt, daß die Kumulation der Einflußmöglichkeiten der Banken in dieser Republik ein wettbewerbliches Gefährdungspotential darstellen.
Die Fraktion von Herrn Kohl und Ihre Fraktion haben in ihren Koalitionsvereinbarungen geschrieben, daß das kumulierte Einflußpotential der Banken reduziert und die Macht der Banken zurückgedrängt werden muß. Warum lassen Sie sich mit Ihrem Gesetzentwurf so fürchterlich viel Zeit? Ich habe folgende Äußerung von Ihnen, Herr Funke, in der FAZ vom 21. April 1997 gelesen - Zitat -:
Spätestens vor der Sommerpause soll das Kabinett über die Aktienrechtsreform entscheiden.
Was ist passiert? Nichts ist passiert, vermutlich weil
Sie noch im Schatten der Krupp/Thyssen-Geschichte
standen und mit Ihrem unzureichenden Entwurf, der
Margareta Wolf
im Prinzip überhaupt nichts ändert, nicht vor die über diesen Fall empörte Öffentlichkeit treten konnten.
Zweite Situation. Herr Bury, Herr Gres, Sie und ich waren Mitte Juni bei der IG Metall in Frankfurt. Bei dieser Gelegenheit haben Sie, Herr Funke, auf die Frage der interessierten Aufsichtsräte der IG Metall, wann dieser Referentenentwurf eingebracht wird, gesagt: nach der Sommerpause; nach meiner Erinnerung am 23. September. - Heute haben wir den 2. Oktober. Nichts ist geschehen.
Letzte Woche wurde ich wie auch Sie vom Südwestfunk interviewt. Auf meine Frage „Was hat Herr Funke Ihnen gesagt, wann der Referentenentwurf eingebracht wird?" antwortete der Redakteur: Herr Funke hat Anfang Oktober gesagt. - Ich bin wirklich gespannt, wann es zur Verabschiedung dieses Referentenentwurfs im Kabinett kommt.
Ich bin noch mehr darauf gespannt, welche Positionen noch hineinfließen werden. Was ist denn mit der Position von Lambsdorff, die Bankenbeteiligung auf 5 bis 10 Prozent zu begrenzen? - Sie ist gecancelt. Was ist mit der Position des F.D.P.-Wirtschaftsministers aus Rheinland-Pfalz, der mit einem eigenen Entwurf in den Bundesrat gegangen ist? Dieser Entwurf ist sehr weitgehend; er wird von uns unterstützt. Was die Übernahmeregelung und die wechselseitigen Beteiligungen angeht, zeigt er allerdings Defizite. Mich würde interessieren, was Sie zu diesem Entwurf sagen. Wir würden uns sehr wünschen, daß gerade die Positionen von Brüderle in Ihren Referentenentwurf Eingang finden.
Eine weitere Frage drängt sich mir auf: Was ist denn mit der Position von Dieter Wolf? Seit einem Jahr sagt er unablässig, daß es dringend notwendig sei, in diesen Referentenentwurf ein Verbot der Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten in konkurrierenden Unternehmen aufzunehmen, und zwar sowohl auf Personen als auch auf entsendende Unternehmen bezogen. Wird die Position von Dieter Wolf, der immerhin der Präsident des Bundeskartellamtes ist, von Ihnen aufgegriffen?
Das sind alles Fragen über Fragen. Ich habe den Eindruck, Sie sitzen das einfach aus. Man wartet auf einen Zeitpunkt, an dem es vermeintlich niemanden mehr interessiert. Ich kann nur wiederholen, was Herr Bury gesagt hat: Das geht zu Lasten des Finanzplatzes Deutschland. Das wissen auch Sie genau. Wenn ausländische Investoren sagen, es handele sich hier um eine von Banken- und Versicherungen abgeschottete Marktstruktur, so ist das sicherlich kein Anreiz für die Etablierung von Investmentgesellschaften und kleinen Wertpapierhandelshäusern hier in Deutschland.
Erlauben Sie mir noch eine letzte Bemerkung. In der „Woche" von vor zwei Wochen stand unter dem Stichwort „Macht der Banken - Wir brauchen mehr Transparenz" - jetzt zitiere ich -:
Das gerade erst durch den Börsengang der Telekom entfachte Interesse der Deutschen am Aktienmarkt könnte schnell wieder erlahmen, wenn die Spielregeln der Hochfinanz auf Dauer zu undurchsichtig blieben. Die neuen Aktionäre wollen mehr wissen, besser durchblicken, schneller informiert sein.
Diesem Tatbestand, den wir in diesem Haus seit Jahren beklagen, wird Ihr Referentenentwurf nicht gerecht. Wir brauchen mehr Transparenz, mehr Demokratie und mehr Wettbewerb und nicht ein kleines Aktienrechtsreförmchen, das im Prinzip überhaupt nichts an der jetzigen Situation ändert.
Danke schön.
Nun spricht der bereits mehrfach erwähnte Abgeordnete Rainer Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich, der Fall Krupp Thyssen Hoesch war ein entscheidendes und wichtiges Thema. Die Erde hat sicherlich nicht gebebt. Inzwischen haben sich Krupp und Hoesch hinsichtlich der Stahlseite und der anderen Bereiche sehr gut geeinigt. Dies ist ohnehin zwischen den Parteien unstrittig gewesen. Also, der seltene Fall eines „unfriendly take-over" ist nicht eingetreten. Ich sage deswegen „selten", weil der Fall in der Bundesrepublik Deutschland selten ist. In Amerika und in Großbritannien ist das nicht selten. Trotzdem geht die Welt dort nicht unter.
- Natürlich gibt es dafür Regeln. Die haben wir hier auch, Herr Bury.
Diese Regeln haben wir im Übernahmekodex. Der Übernahmekodex ist 1995 von den betroffenen Kreisen im Wege der Selbstregulierung eingeführt und unterzeichnet worden; ich gebe zu, nicht von allen, aber er ist doch immerhin - was Sie selbst eingeräumt haben - von 80 Prozent der entscheidenden DAX-Werte akzeptiert worden. Dieser Übernahmekodex hat sich im Prinzip bewährt. Es gibt noch einige Lücken. Es fehlen auch noch einige Unternehmen. Daran wird gearbeitet. Ich halte es grundsätzlich für richtiger, daß die betroffene Wirtschaft die Regeln selber bestimmt. Der Staat ist dazu nicht so geeignet. Aber wir wollen die Entwicklung mit beobachten.
Vom Grundsatz her muß man weiterhin über die Dinge nachdenken. Ich glaube, daß wenigstens bislang keine Schäden daraus entstanden sind, daß wir keinen gesetzlichen Übernahmekodex oder eine entsprechende Regelung im Aktienrecht haben. Sie wissen, daß wir im Konzernrecht und im Aktienrecht durchaus vernünftige Regelungen, beispielsweise hinsichtlich der Beherrschungsverträge, vorgesehen haben.
Rainer Funke
Aber lassen Sie mich etwas zum Zeitpunkt Ihres Entwurfs sagen. Ich glaube, daß Ihr Entwurf aus zwei Gründen zu früh kommt.
Erstens halte ich - das habe ich eben angedeutet - die Anwendungsphase des Kodex für zu kurz, um genügend Erfahrung zu sammeln. Aber zeitlich unpassend ist die Vorlage zweitens auch angesichts der europäischen Entwicklung.
Gerade in diesen Tagen - Herr Bury, das hätten Sie eigentlich wissen müssen - wird die EU-Kommission ihren geänderten Vorschlag für eine 13. Richtlinie vorlegen und den Mitgliedstaaten offiziell zuleiten. Damit reagiert sie auf die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem früheren Vorschlag in der Fassung von 1996.
Die amtierende luxemburgische Präsidentschaft will schon in Kürze im Rat mit den Beratungen beginnen. Ich rechne fest damit, daß in einem Jahr unter österreichischer Präsidentschaft ein gemeinsamer Standpunkt festgelegt und während der dann folgenden deutschen Präsidentschaft 1999 die Richtlinie endgültig verabschiedet wird.
Herr Bury, ich bin durchaus bereit, auch national etwas zu machen. Aber Kapitalmärkte sind nun einmal international. Wir müssen uns nach den europäischen oder möglichst nach den gesamten internationalen Kapitalmärkten richten. Aus diesem Grunde scheint es mir auch zweckmäßig zu sein, daß wir in Europa mit den immerhin nicht unbedeutenden Finanzplätzen Paris, Mailand, Frankfurt und London eine einheitliche Richtlinie haben.
- Entschuldigen Sie, ich komme sofort zu dem, was Sie sagen. Was heißt „angeblich weiter"? Ist die 30Prozent-Regelung, die die Engländer haben, eine günstigere Regelung? Sie nehmen eine 25 prozentige Hürde. Ich weiß nicht, ob die englische Regelung für den kleineren Aktionär wirklich richtiger ist. Ich persönlich würde eine höhere als die 30-Prozent-Hürde für richtiger halten.
Das muß aber einheitlich europäisch und darf nicht durch kleinliche nationale Entwürfe geregelt werden, wie Sie sie hier vorschlagen. Selbst Professor Baums, der Ihren Entwurf vorbereitet hat, wollte diese 25-Prozent-Regelung so wohl nicht.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu den Dingen anmerken, die Frau Kollegin Wolf eben noch angesprochen hat, nämlich die Aktienrechtsnovelle oder das KontraG. Es ist richtig, ich habe gesagt, daß wir voraussichtlich Ende September den Entwurf des KontraG im Kabinett haben. Das war nicht möglich. Ich brauche die Gründe hier nicht im einzelnen darzulegen. Aber Sie werden feststellen, daß ich mich nur um wenige Tage verschätzt habe. Das ist vielleicht durchaus verständlich; denn wir hatten mit den Themen, die wir noch vor wenigen Stunden hier im Bundestag beraten haben, reichlich zu tun. Man kann auch nicht mehr als arbeiten. Das Kabinett muß sich auf solche Dinge auch vorbereiten.
Wir werden dieses KontraG - mir würde das Wort Aktienrechtsnovelle viel besser gefallen - in den nächsten Monaten hier im Bundestag miteinander beraten können. Dann können Sie Ihre Kritik äußern. Ich glaube aber, das ist bei diesem Tagesordnungspunkt nicht angebracht gewesen, zumal Sie ja noch gar nicht genau wissen, wie die Aktienrechtsnovelle durch das Kabinett gehen wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Macht der Banken zu begrenzen und dubiose Machenschaften der Banken zu unterbinden wird seit Jahren in diesem Hause, zumindest von einem Teil der Mitglieder dieses Hauses, gefordert. Es ist sogar melodisch verwertet worden in einem Lied von Klaus Lage, der sagt: Mit einem Federstrich vernichten sie Existenzen.
Sein Lied ist dabei eine originelle Untermauerung dieser Debatte um die Stellung der deutschen Kreditinstitute in der Wirtschaft. Dabei geht es in der Diskussion weder um „das Mitschleppen von ideologischem Ballast" oder pauschale populistische Bankenschelte, wie dies der Bundesverband Deutscher Banken seinen Kritikern gerne vorwirft. Es geht um Fakten. Aktuelle Beispiele fragwürdiger Machenschaften von Banken wie die von Dresdner-Bank-Managern, die ihren Kunden zur Steuerhinterziehung im großen Stil rieten, oder die Verstrickung der Deutschen Bank in den Schneider-Coup
- das ist so, Herr Hauser; das wissen Sie - hätten der Bundesregierung spätestens jetzt eine Lehre sein sollen. Doch die Regierung ist auch in diesem Falle unbelehrbar.
Herr Rexrodt ignorierte und ignoriert weiterhin, daß Großbanken mittlerweile eine außergewöhnliche Machtposition erlangt und diese im Zuge der deutschen Einheit konsequent ausgebaut haben. Sie beginnt gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und endet bei der Einflußnahme auf Unternehmensübertragungen bzw. auf unternehmensinterne Entscheidungen. So verweigern die Banken - trotz hehrer Selbstverpflichtungen - Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern noch immer das Recht
Dr. Barbara Höll
auf Eröffnung eines Girokontos. Banken sind es, die im Osten Existenzgründerinnen und Existenzgründern vielfach Kredite verwehren oder Kreditbedingungen anbieten, die wesentlich schlechter sind als die in den alten Bundesländern. Manche Idee mußte somit von Beginn an ad acta gelegt werden.
Das Beispiel der gescheiterten, für Arbeitnehmer und Aktionäre schädlichen „feindlichen Obernahme" der Thyssen AG durch die Krupp AG zeigte die Verstrickung von Banken mit Unternehmen. Nicht zuletzt ergaben Untersuchungen des Mannheimer Wirtschaftswissenschaftlers Professor Perlitz, daß Unternehmen, die unter Bankeneinfluß stehen, in bezug auf Rendite, Wachstum und Finanzierungseffizienz schlechter abschneiden als unbeeinflußte Unternehmen.
Diese Vormachtstellung der Banken und die damit einhergehende Abhängigkeit vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen von den Banken als einzigen Kreditgebern sowie die mangelnde Transparenz der Bankentätigkeit sichern ihnen dabei ständig steigende Gewinne. Begünstigt wird eine solche marktbeherrschende Position durch wechselseitige Kapitalverflechtungen, Anteilsbesitz an Industrieunternehmen, Depotstimmrecht und die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten. Hinzu kommen fragwürdige Kreditentscheidungen, Entscheidungen zur Emissions- und Anlagetätigkeit, die die Einflußposition der Banken stärken.
In der Diskussion um die Macht der Banken bemühen sich deren Vertreter bisher redlich, ihr „Licht" bescheiden unter den Scheffel zu stellen: Von rund 1500 Mandaten in den Aufsichtsräten der 100 größten deutschen Unternehmen wären Ende 1993 gerade mal 99 von Mitgliedern privater Banken gehalten worden. Die zehn größten Banken hätten andererseits ihren Anteilsbesitz an allen Kapitalgesellschaften seit 1976 von 1,3 Prozent auf 0,4 Prozent reduziert. - Von den Vertretern der Kreditwirtschaft wird bewußt verschleiert, daß es auf Grund der fehlenden empirischen Informationsbasis natürlich sehr schwierig ist, die Debatte über Macht und Einfluß der Banken sachlich zu führen. Tatsache ist doch, daß Banken zusätzlich über Stimmrecht aus dem Depotbesitz und aus den Stimmen ihrer eigenen Kapitalanlagegesellschaften verfügen und diese Stimmrechte weidlich nutzen. Das kann nicht geleugnet werden.
Diese Tatsachen wurden bereits in der vergangenen Legislaturperiode durch zahlreiche Sachverständige kritisiert. Handlungsbedarf ist bereits seit längerem gegeben. Die aktuellen Vorfälle, die meine Vorrednerinnen und mein Vorredner schon ausgiebig dargestellt haben, belegen die absolute Aktualität der Notwendigkeit einer Lösung. Notwendig sind die Transparenz und die Kontrolle wirtschaftlicher Macht im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie kleiner und mittelständischer Unternehmen.
Von Ihnen wurde versucht, diese Diskussion bereits
in der ersten Lesung abzuwürgen, indem gesagt
wurde, man müsse erst die Wirkung der Selbstverpflichtung abwarten. Dies haben wir in den letzten Jahren schon weidlich erlebt. Ich erinnere nur an das „Bündnis für Arbeit", die Selbstverpflichtung der Industrie, Arbeitsplätze zu schaffen, die nicht eingehalten wurde, und an die Selbstverpflichtung zur Schaffung von Ausbildungsplätzen, die nicht eingehalten wurde. Es geht auch nicht an, der Diskussion mit dem Hinweis auf internationales Recht auszuweichen. Fangen Sie hier an, Ihre Hausaufgaben zu machen!
Der vorgelegte Gesetzentwurf der SPD schlägt viele richtige Sachen vor, wie die Beschränkung des Beteiligungsbesitzes und weiteres.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aus diesem Grunde wünsche ich mir eine sachliche und schnelle Diskussion, so daß das entsprechende Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann.
Ich bedanke mich.
Ich gebe das
Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Hansgeorg Hauser.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und geehrten Kollegen! Nach dieser Vorlesung über Kapitalismus aus postkommunistischer Sicht wollen wir jetzt wieder zur Sache übergehen.
Es hat nach den Reden der Opposition der Eindruck entstehen können, daß hier in Deutschland die feindlichen Übernahmen offensichtlich der Normalfall ist und gesetzliche Regelungen dringend erforderlich sind. Tatsache ist, daß Anfang dieses Jahres die Krupp AG einen spektakulären Übernahmeversuch gegen Thyssen gestartet hat, der gescheitert ist. Noch vor Abgabe eines öffentlichen Übernahmeangebotes ist dieser Versuch am Widerstand der öffentlichen Meinung gescheitert, die natürlich maßgeblich von Politik, Gewerkschaften und den Medien geprägt wurde.
Der Fall Krupp/Thyssen beleuchtet einen Bereich, der erst in jüngster Zeit in das Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit geraten ist, nämlich den schon erwähnten Bereich der Unternehmensübernahmen. Aus politischer Sicht ist eine Übernahme zunächst einmal neutral zu bewerten. Es handelt sich dabei nicht von vornherein um etwas Negatives. Aber auch nicht jeder Einzelfall ist zu begrüßen, Frau Kollegin Wolf; darin gebe ich Ihnen sicherlich recht.
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
Im Ausland sind Übernahmen und Fusionen nichts Außergewöhnliches; insbesondere in Großbritannien und den Vereinigten Staaten gehören sie zum Alltag des Wirtschaftsgeschehens. Dort sind sie ein Instrument der Kontrolle des Managements eines Unternehmens durch die Wettbewerber. In Deutschland ist die Situation sicherlich eine andere. Hier sind bis heute Übernahmen, insbesondere feindliche Übernahmen, die Ausnahme. Wesentlicher Grund hierfür ist, daß sich die meisten deutschen Unternehmen, die an der Börse notiert sind, im Mehrheitsbesitz einzelner Aktionäre befinden. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, daß in Deutschland, wie im ersten Satz des Gesetzentwurfs der SPD zu Recht ausgeführt wird, keine gesetzliche Regelung für Unternehmensübernahmen besteht.
Die SPD hat den „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Unternehmensübernahmen" vorgelegt. Man muß allerdings sagen - das ist ein Beweis für den Aktionismus, den die SPD immer wieder an den Tag legt; wenn es einen aktuellen Fall gibt, wird so etwas wieder hochgepuscht -:
Dieser Entwurf ist in seinen Grundzügen nicht neu. Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung eines Textes, dessen erste Fassung bereits Bestandteil des Anfang 1995 vorgelegten Gesetzentwurfs der SPD zur - so hieß der Titel damals - „Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft" war.
Bei der Durchsicht des nun vorgelegten Entwurfs stellen sich zwei Fragen. Die erste lautet - das ist schon in den vorherigen Reden angeklungen -: Brauchen wir ein solches Gesetz zum jetzigen Zeitpunkt? Zweitens: Tragen die Regelungen, die der Gesetzentwurf enthält, den entgegengesetzten Interessen der bei einer Übernahme betroffenen Gruppen in angemessener Weise Rechnung?
Beide Fragen muß man verneinen. Erstens ist eine gesetzliche Regelung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angezeigt. Dafür gibt es zwei Gründe: Der Gesetzentwurf der SPD enthält zum einen Regelungen für freiwillige öffentliche Übernahmeangebote, zum anderen sieht er ein sogenanntes Zwangsangebot vor. Das Zwangsangebot verpflichtet den Erwerber, der mittelbar oder unmittelbar einen bestimmten Stimmrechtsanteil an einer inländischen börsennotierten Gesellschaft, der sogenannten Zielgesellschaft, erworben hat, zur Abgabe eines öffentlichen Angebots. Dieses Angebot muß sich auf den Erwerb aller Aktien der Zielgesellschaft erstrecken. Die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften soll typischerweise durch eine gesetzlich geregelte Übernahmekommission erfolgen. Also gibt es wieder zusätzlichen Bürokratismus nach dem Motto: Laßt uns eine neue Kommission bilden. - Ich bin der Meinung, wir haben davon ohnehin zu viele.
Dennoch sind die in dem Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen dem Grundsatz nach zu begrüßen. Sie haben jedoch einen Schönheitsfehler, Herr Bury. Die entscheidenden Regelungen bestehen nämlich bereits. Sie sind Bestandteil des von der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen Mitte 1995 erarbeiteten Übernahmekodex,
der ähnlich dem in Großbritannien geltenden „Take over-Code" als freiwillige Selbstverpflichtung der betroffenen Unternehmen konzipiert ist. Freiwillige Selbstverpflichtung - ich glaube, das ist das richtige Mittel.
In dem Gesetzentwurf wird von seiten der SPD ausgeführt, der Kodex habe in der Praxis nicht die notwendige Anerkennung gefunden. Das haben Sie sehr deutlich gesagt. Dazu muß man anmerken: Der Kodex besteht - wie wir gehört haben - seit zwei Jahren, und die Anerkennungsquote steigt ständig an. Die Regelungen des Kodex werden gegenwärtig überarbeitet, um den in der Praxis gewonnenen Erfahrungen Rechnung zu tragen. Auch das wird zur weiteren Anerkennung führen.
Mittlerweile haben mehr als 80 Prozent aller Unternehmen, deren Aktien Bestandteil des Dax 30 sind, - also die größten börsennotierten Gesellschaften -, den Kodex anerkannt. Sie drehen das Ganze natürlich um und sagen, ein Fünftel hätte noch nicht zugestimmt. Wir sehen es positiv: 80 Prozent haben zugestimmt.
Entscheidend ist jedoch, daß nahezu alle Übernahmen in diesem Zeitraum zur Zufriedenheit der Unternehmen und ihrer Aktionäre gemäß den Regeln des Kodex abgewickelt wurden. Der Kodex hat seine Ziele in der Praxis weitestgehend erreicht.
Zudem ist in diesem Zusammenhang für mich erstaunlich, warum ausgerechnet von seiten der SPD eine Verschärfung der freiwilligen Regelungen des Kodex gefordert wird. Das Land Niedersachsen, das bekanntlich über einen erheblichen Einfluß bei der VW AG verfügt, hat noch nicht einmal darauf hingewirkt, daß VW die freiwilligen Regelungen des Übernahmekodex anerkennt. Augenscheinlich bestehen wieder einmal große Unterschiede zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Es spricht aber auch noch folgendes gegen eine gesetzliche Regelung zum jetzigen Zeitpunkt: Die Erfahrungen mit dem Kodex haben gezeigt, daß einzelne Teilbereiche noch überarbeitungsbedürftig sind. Bei einem freiwilligen Kodex ist eine solche Überarbeitung sehr zügig möglich. Hätte der Kodex hingegen Gesetzeskraft, Herr Bury, dann würde sich eine Überarbeitung auf Grund der notwendigen parlamentarischen Verfahren als wesentlich schwieriger herausstellen.
Schließlich sind auch die gegenwärtig in Brüssel beginnenden Beratungen einer gesellschaftsrechtli-
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
chen Richtlinie über Übernahmeangebote zu erwähnen. Herr Funke hat darauf bereits hingewiesen. Es steht zu erwarten, daß Ende 1998 bzw. Anfang 1999 eine entsprechende europäische Richtlinie in Kraft treten wird, die die bei einer Übernahme einzuhaltenden Verfahren regeln wird. Allerdings ist bis jetzt unklar, wie die europäische Regelung im einzelnen aussehen wird. Es macht aber wenig Sinn, vorzeitig ein Gesetz zu verabschieden, das auf Grund divergierender europäischer Vorgaben bereits nach wenigen Monaten wieder geändert werden müßte.
Bei dieser Sachlage ist es meines Erachtens falsch, zum heutigen Zeitpunkt ein Übernahmegesetz im Bundestag zu behandeln. Sofern sich im nächsten Jahr nach der Verabschiedung der Richtlinien und vor dem Hintergrund der weiterhin gewonnenen Erfahrungen mit dem Kodex allerdings herausstellen sollte, daß eine gesetzliche Regelung unumgänglich ist, so sind wir sicherlich für solche gesetzlichen Regelungen zugänglich. Aber in einer Situation, in der allseits eine staatliche Regulierungsflut beklagt wird, sollten nicht ohne Not Gesetze geschaffen werden, deren Änderungsbedarf bereits jetzt abzusehen ist. Dafür hätten auch die Betroffenen wenig Verständnis.
Nun lassen Sie mich noch zwei Beispiele dafür bringen, wo unsere Kritik an Ihrem Gesetzentwurf in der Sache ansetzt. Der Gesetzentwurf, der generell behauptet, sich an internationalen Standards zu orientieren, sieht, wie erwähnt, ein Zwangsangebot, das heißt die Verpflichtung zum Erwerb aller Aktien vor, und zwar bereits beim Erwerb eines Stimmrechtsanteils von mehr als 25 Prozent. Dazu muß gefragt werden, welche Standards das dann sein sollen. Es ist angesprochen worden, daß die Quote von 25 Prozent mit Sicherheit falsch ist und nicht ausreichen wird.
Das zweite Beispiel betrifft das Verfahren, innerhalb dessen über Streitigkeiten bei Unternehmensübernahmen entschieden werden soll. Dazu gibt es bei Ihnen keinerlei Aussagen. Wir wissen doch alle ganz klar: Wenn dabei der übliche Rechtsweg - also bis zu drei Instanzen - eingehalten werden muß, dann dauert es unter Umständen sechs Jahre, bis man zu einer Entscheidung kommt.
Eine solche Rechtsunsicherheit ist für die betroffenen Unternehmen und Aktionäre nicht hinnehmbar.
Fazit: Herr Bury, wir sollten hier keinen Schnellschuß abfeuern; das würde mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringen. Auch die führenden Rechtsexperten wie beispielsweise Professor Hopt von der Universität Hamburg haben klipp und klar gesagt, es sollten keine Übernahmeregeln über das Knie gebrochen werden; vielmehr sollte darüber ausführlich diskutiert werden. Wir sollten jetzt schrittweise zu einer Übernahmekultur kommen. Ich glaube, das ist sinnvoller, als jetzt einen Schnellschuß abzufeuern.
Herzlichen Dank.
Nun gebe ich dem Abgeordneten Hans Michelbach das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluß der Debatte möchte ich Fazit ziehen: Die Aussagen der SPD, der Grünen und der PDS waren wieder eindrucksvoll. Sie haben das mit den Ausdrücken „Armutszeugnis für die deutsche Wirtschaft", „verfilztes System der Wirtschaft" verdeutlicht. Ich kann Ihnen nur raten: Mit Beschimpfungen auf die Banken und das Wirtschaftssystem hat in diesem Land noch niemand einen neuen Arbeitsplatz schaffen können.
Gleichzeitig geben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf vor - daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, mit einem Gesetzentwurf vorpreschen, ist ja sehr ungewöhnlich -, der Retter des Finanzplatzes Deutschland zu sein. Das ist ein Widerspruch in sich. Denn mit Ihrer Blockade der Steuerreform haben Sie dem Finanzplatz Deutschland unermeßlichen Schaden zugefügt -
mehr als ein Übernahmegesetz je wiedergutmachen könnte.
Hätten wir Ihre wirtschaftsfeindlichen Umfinanzierungs- und Steuererhöhungsvorschläge umgesetzt, wären zumindest Unternehmensübernahmen aus dem Ausland kein Problem mehr: Bei der SPD-Steuerpolitik hätte kein ausländisches Unternehmen noch Interesse daran, Unternehmen in Deutschland zu übernehmen. Dann wäre das Problem gelöst, allerdings nach Art der SPD. Gleichzeitig wird deutlich, daß Wirtschafts- und Finanzmarktlenkung bei der SPD eine Wunschvorstellung bleibt.
Lassen Sie mich auf einige Aspekte Ihres Vorschlages eingehen. Zur Überwachung der Unternehmensübernahmen schlagen Sie ein äußerst kompliziertes und zeitaufwendiges Verfahren mit einem Gesetz zur Regelung von Unternehmensübernahmen vor. Allein der Paragraph zum Inhalt der Angebotsunterlagen umfaßt 17 Punkte mit bis zu fünf Unterpunkten.
Ihr bürokratischer Regelungsentwurf vergißt: Unternehmensübernahmen sind nicht mit der Nominierung eines SPD-Kanzlerkandidaten vergleichbar. Sie dürfen sich nicht über Monate, ja Jahre hinziehen, sondern müssen sachgerecht und schnell entschieden werden. Nur so kann eine dem Finanzplatz Deutschland förderliche Regelung gefunden werden. Denn eine Übernahme ist an sich nichts Schlechtes, wenn sie in den richtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vollzogen wird.
Unverständlich ist mir auch, warum wir, bevor eine entsprechende EU-Richtlinie - Staatssekretär Hauser hat darauf zu Recht hingewiesen - Ende nächsten Jahres verabschiedet wird, gesetzgeberisch tätig werden sollen. In Ihrem Antrag schreiben Sie:
Hans Michelbach
Die gesetzliche Übernahmeregelung schafft Rechtssicherheit für die Unternehmen, ihre Arbeitnehmer und Aktionäre.
Ich nenne das glatten Zynismus. Wenn wir Ihren Antrag umsetzen würden, säßen wir in einem Jahr wieder hier zusammen und würden dann über das „Unternehmensübernahmeänderungsgesetz" beraten. Das bedeutet natürlich keine Planungssicherheit und schafft wenig Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Damit werden Investitionen blockiert, und dem Finanzplatz Deutschland wird Schaden zugefügt. Sie aber nennen diesen Vorgang Rechtssicherheit. Sie haben keinen wirtschaftspolitischen Sachverstand, der praxisnah ist - generell und auch bei diesem Thema nicht.
Meine Damen und Herren, Unternehmensübernahmen sind ein sensibler Bereich, in dem schnell mehr Schaden als Nutzen durch die überhastete Verabschiedung eines Übernahmegesetzes angerichtet werden kann. Wir haben ohnehin eine viel zu hohe Regulierungsdichte im Bereich des Kapitalmarktes, die erfreulicherweise mit dem vorliegenden Dritten Finanzmarktförderungsgesetz gelockert werden soll.
Wir müssen die Förderung von Unternehmensbeteiligungsgesellschaften und die Deregulierung bei den Investmentfonds voranbringen. Diese Forderungen haben Priorität und werden durch das Bundesministerium der Finanzen vorangebracht. Wir dürfen diese positiven Ansätze zur Deregulierung und zur Schaffung einer neuen Risikokultur nicht ersticken. Deutschland braucht mehr Risikokapital. Dies schafft man durch Deregulierung und nicht durch neue Regulierung.
Es gilt, auch für die internationalen Anleger Planungssicherheit zu schaffen und sie nicht gleich wieder mit neuen Regulierungsvorschlägen à la Übernahmegesetz zu erschrecken. Schauen Sie doch über Ihren Tellerrand hinaus. Sie schaden mit Ihrer Regulierungswut dem Standort Deutschland, seinen Unternehmen und letztendlich auch seinen Arbeitsplätzen.
Sie übersehen völlig, aus welchen Motiven andere Länder Regulierungsmaßnahmen bereits getroffen haben. Ende der 80er Jahre waren feindliche Übernahmen in den USA an der Tagesordnung, deren Auswirkungen auf die Arbeitnehmer und die betroffenen Unternehmen sicher um ein Vielfaches schädlicher waren, als es bei uns der Fall war. Dies sind einige Negativbeispiele.
Der völlig deregulierte US-Wettbewerbs- und Finanzmarkt ist mit der deutschen Situation überhaupt nicht vergleichbar. Sie können hier nur das Kinde mit dem Bade ausschütten.
In Ihrem Antrag führen Sie auch aus, daß nur 260 von 670 börsennotierten Aktiengesellschaften den Übernahmekodex anerkannt haben und daher eine verbindliche Regelung dringend notwendig ist. Sie hätten sich besser bei der Übernahmekommission der Deutschen Börse informieren sollen. Das haben Sie scheinbar nicht getan.
Obwohl nicht alle den Übernahmekodex unterzeichnet haben, wurden die Regelungen des freiwilligen Übernahmekodex bei einer großen Zahl der Übernahmen, die bisher stattgefunden haben, freiwillig befolgt. Es ist also eine reine Verdummungstaktik, davon zu sprechen, große Teile der Wirtschaft hätten diesen Verhaltenskodex nicht akzeptiert.
Die Übernahmekommission weiß zu berichten, daß sogar ausländische Unternehmen den Kodex, obwohl sie ihm gar nicht unterliegen, freiwillig befolgen.
Meine Damen und Herren, Zwang, Regulierung und staatliche Lenkung sind für uns die schlechtere Lösung gegenüber Eigenverantwortung und Selbstverpflichtung. Das gilt auch für diesen Verhaltenskodex.
Wie Sie wahrscheinlich auch nicht wissen, hat sogar die Krupp AG bei ihrem sicher nicht vornehmen Versuch der Übernahme von Thyssen, obwohl sie den Kodex grundsätzlich nicht anerkannt hat, eine sogenannte Anerkennungserklärung abgegeben. Es ist also völlig irreführend, wenn Sie gerade mit der Übernahme Krupp/Thyssen die Notwendigkeit einer so umfassenden, bürokratischen gesetzlichen Regelung herbeireden. Das ist nur Mittel zum Zweck.
Sie wollen etwas ganz anderes. Sie wollen natürlich die Verketzerung der Wirtschaft, die Verketzerung der Banken. Das ist Ihr Hauptangriffsziel. Gerade dieser Fall Krupp/Thyssen zeigt, daß die Freiwilligkeit des Übernahmekodex funktioniert hat. Es besteht nach meiner Ansicht also kein Grund für blinden Aktionismus, wie Sie ihn hier heute vorschlagen.
Meine Damen und Herren, wir beklagen in Deutschland seit langem eine zu geringe Zahl von ausländischen Investitionen. Ich glaube, darauf sollten wir gerade bei der Frage des Finanzmarktes abheben. Ein kurzfristig mit dem Holzhammer zusammengezimmertes Übernahmegesetz à la SPD ist das Schlechteste, was wir jetzt tun können. Wir müssen sehen, daß bei uns investiert wird, daß wir unsere Finanzmärkte offen gestalten, damit auch ausländische Investoren wieder bei uns investieren und Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist das richtige Ziel, nicht eine weitere Regulierung.
Vielen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/8164 an die in der Ta-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konsequenzen für die Drogenpolitik in der Bundesrepublik nach der Schweizer Volksabstimmung
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Rezzo Schlauch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt.
So steht es in unserem Grundgesetz.
Im Gegensatz zu den Bürgerinnen und Bürgern hierzulande haben die Schweizer das Recht, sich ab und zu tatsächlich in Volksabstimmungen als Souverän zu betätigen. Es soll hier keine Debatte über Formen unmittelbarer Demokratie geführt werden, aber der letzte Sonntag hat gezeigt: Die Schweizer haben bewiesen, daß die Bürgerinnen und Bürger mitunter klüger sind als ihre Regierung. Das gilt zumindest für die Regierung in unserem Land.
Damit sind wir bei der Frage: Was ist eine kluge Drogenpolitik? Die Antwort ist zugegebenermaßen nicht leicht. Eines ist aber sicher: Eine Drogenpolitik, die sich mit ständig steigenden Zahlen von Süchtigen, mit 1600 Drogentoten in unserem Land allein im letzten Jahr, mit rasant wachsender Beschaffungskriminalität und der damit zusammenhängenden Verwahrlosung in den Zentren unserer Großstädte zufriedengibt und sagt, „Wir sehen keinen Änderungsbedarf", ist nicht klug, ist unvernünftig und ist der Ideologie verhaftet.
Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Herr Lintner, hat in seiner Stellungnahme der dpa gesagt, die Situation beider Länder sei nicht vergleichbar
- warten Sie ab -; in der Schweiz gäbe es bei knapp 7 Millionen Einwohnern 30 000 Heroinsüchtige, was auf die deutsche Bevölkerung hochgerechnet 300 000 bis 400 000 Süchtige bedeuten würde. Tatsächlich aber gäbe es hier nur 120 000 bis 150 000 Betroffene.
Was will uns Herr Lintner damit sagen? Will er uns sagen, daß erst bei der Verdoppelung der Zahl der Heroinsüchtigen über die ärztliche Abgabe von Heroin und die Einrichtung von Druckräumen auch bei uns nachgedacht werden kann? Will er sagen, daß man erst dann mit solchen Hilfen eingreifen kann, wenn die Verelendung eingesetzt hat? Soll das heißen, daß Sie einer Verelendungstheorie pur das Wort reden? Ich glaube, das kann nicht Ihr Ernst sein.
Die „Neue Ruhr-Zeitung" kommentiert diesen Vorgang so:
Wer hoffte, das Schweizer Abstimmungsergebnis für die kontrollierte Rauschgiftabgabe beeindrucke den Nachbarn, mußte heute wieder die deutsche Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen: Die Bonner Drogenpolitik geht weiter über Leichen.
Das ist nicht mein Zitat, sondern das Zitat dieser Zeitung.
Das steht ganz im Gegensatz zur Situation beim weltweit größten organisierten Drogenkonsum auf der Münchner Wies'n, wo drei Ärzte 16 Tage lang Schichtdienst leisten und in der ersten Woche 2500 Drogenvergiftungen und weitere 250 Schwerstvergiftungsfälle, sogenannte Alkoholleichen, registriert wurden.
Das Ergebnis unserer Drogenpolitik lautet: Die Zahl der Drogenabhängigen nimmt zu, und die großen Dealer reiben sich die Hände. Die parlamentarischen Initiativen liegen auf dem Tisch. Wir wissen alle, was wir tun könnten, aber wir tun nichts. Es gibt in dieser Regierung und in dieser Fraktion keine Petra Roth, sondern es gibt nur einen Herrn Sauer und einen Herrn Lintner, und es bleibt, wie es ist. Die Situation für unsere Drogenabhängigen ist im Grunde genommen nicht mehr erträglich.
Was in der Schweiz möglich ist, müßte auch bei uns möglich sein. Die Schweiz ist nicht ein Sodom und Gomorrha oder der Hort eines Tohuwabohus. Sorgen Sie mit uns - da ist die F.D.P. angesprochen - für eine gesundheitliche Prävention, und überlassen Sie die Drogenpolitik nicht der Ordnungspolitik. Gesundheitsräume sind spezialpräventive Maßnahmen, die dem Ansatz der „harm reduction" , also der Schadensminimierung, folgen.
Wenn sich dadurch als Begleiteffekt die öffentliche Sicherheit erhöhen und die Verwahrlosung in unseren Stadtzentren reduzieren läßt, dann, so glaube ich, ist es Zeit, die Blockade, die von hier kommt, zu durchbrechen und den Weg für eine Reform frei zu machen.
Danke.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Roland Sauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schweizer Volksabstimmung über die Fortsetzung der kontrollierten Heroinabgabe an Schwerstabhängige kann für die Bundesrepublik keine Auswirkungen haben
- Herr Schlauch, hören Sie zu, bevor Sie schreien -, da die drogenpolitische Situation beider Länder nicht vergleichbar ist. Die Schweiz ist durch ihre liberale Drogenpolitik neben den Niederlanden zum Eldorado und zum Magnet für Drogenabhängige in Europa geworden.
Ich erinnere nur daran, wohin diese tolerierende Politik geführt hat. Halten Sie sich einmal die Schlagworte Letten und Platzspitz vor Augen.
In der Schweiz hat die Zahl der Drogenkonsumenten und Drogentoten ständig zugenommen.
Deutschland dagegen hat mit seiner abstinenzorientierten Drogenpolitik nach Norwegen die niedrigste Zahl an Drogenabhängigen im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Das nehmen Sie alles nicht zur Kenntnis. Sie tun so, als ob unsere Drogenpolitik gescheitert wäre. Wir stehen mit unserer Drogenpolitik in Europa hervorragend da.
Der gesamte Schweizer Versuch stand von vornherein unter erheblichem politischen Druck. Ein Experiment auf rein wissenschaftlicher Basis war dieses Programm zu keiner Zeit. Es gab keine Kontrollgruppe, die, mit den gleichen finanziellen Mitteln ausgestattet, eine drogenfreie Therapie gemacht hat. Erst dann kann man wissenschaftlich evaluieren, was besser ist. Wenn man diese Mittel, diese Millionen von Franken, in eine drogenfreie Therapie gesteckt hätte, hätte man in noch viel größerem Maße eine soziale und gesundheitliche Stabilisierung erreicht, als das bei diesem Heroinabgabeprogramm geschehen ist.
Bereits vor Versuchsende warben Projektleiter wiederholt für diese Heroinversuche. Von vornherein war klar: Dieser Versuch hatte den Beweis für die Richtigkeit einer liberalen Drogenpolitik zu liefern.
- Das Ergebnis stand schon vorher fest, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
Lassen Sie mich einige Punkte kurz darstellen. Die Ergebnisse dieses Modellversuches sind zweifelhaft, und sie sind auch enttäuschend.
Erster Punkt: Schwerstdrogenabhängige - Herr Schlauch, Sie haben gar nicht alles gelesen - waren die ursprüngliche Zielgruppe. Sie wurde deutlich verfehlt. So waren mehr als drei Viertel der Gesamtteilnehmer in einem guten körperlichen Allgemeinzustand. Diese wären noch am ehesten für eine drogenfreie Therapie zu gewinnen gewesen.
Zweiter gravierender Mangelpunkt: Über 60 Prozent der Teilnehmer kamen aus Methadonprogrammen. Durch die staatlich organisierte Heroinabgabe wurden paradoxerweise Abhängige aus dem Methadonprogramm, einem höherschwelligen Programm, herausgelockt und auf den Irrweg des Heroinkonsums geführt. Der Staat - das sage ich ganz bewußt - leistet also Hilfestellung zum Kick.
Dritter Punkt: Sicher hat die Delinquenz der Teilnehmer durch die nahezu kostenlose Abgabe von Heroin abgenommen. Das ist klar. Wenn man Heroin nahezu kostenlos bekommt, muß man nicht mehr beschaffungskriminell werden. Allerdings - das übersehen Sie völlig - kam es 1996 in Zürich zu einer Heroinschwemme mit Niedrigpreisen und mit der Beschlagnahme von Rekordmengen. Die Dealer haben versucht, ihre Verluste, die sie durch die staatliche Heroinabgabe erlitten haben, mit einem verstärkten Heroinangebot an Nichtabhängige auszugleichen. Der massive Anstieg der Beschaffungskriminalität in Zürich ist das Ergebnis davon.
Herr Schlauch, dies können Sie natürlich alles ändern, indem Sie an alle Heroinabhängigen Heroin abgeben.
Das ist so ähnlich wie die Ausgabe von Freibier an Alkoholiker. Das ist Ihre Politik. Aber das ist keine verantwortungsvolle Drogenpolitik. Sie wird mit uns so nicht geschehen.
Durch die Heroinabgabe haben sich somit die Verfügbarkeit und die Fremdgefährdung außerhalb der Programmteilnehmer erschreckend erhöht. Lediglich 83 Abhängige von 1146 Programmteilnehmern haben sich für eine abstinenzorientierte Behandlung gewinnen lassen. Dies ist wirklich keine beeindrukkende Erfolgsquote.
Sehen Sie dagegen zum Beispiel das Ergebnis von Baden-Württemberg, Herr Schlauch, wo wir einen niederschwelligen Drogenentzug mit großem Erfolg praktizieren: Hier sind nach einer nur vierwöchigen Behandlung über 70 Prozent - in der Schweiz sind es 7 Prozent - zu einer Weiterbehandlung bereit.
Roland Sauer
Wir sagen ganz kurz, Herr Schlauch: Wir halten an unserer bewährten Drogenpolitik mit den drei Säulen Prävention, Therapie und Repression fest. Mit uns wird es, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die vierte Säule, die Drogen akzeptierende Überlebenshilfe, nicht geben.
Herzlichen Dank.
Ich gebe der
Abgeordneten Gudrun Schaich-Walch das Wort.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Sauer, Sie sollten vielleicht wenigstens physikalische Gesetzmäßigkeiten zur Kenntnis nehmen. Auf vier Beinen steht man sicherer denn als auf drei. So ist das.
In der Drogenpolitik bemerken wir bei Ihnen den gleichen Realitätsverlust wie in der Steuerpolitik, in der Arbeitsmarktdebatte und auch bei der Rente und anderen Sozialbereichen.
Der Punkt ist doch, daß Sie nicht bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir eine bestimmte Gruppe von Menschen haben, die suchtkrank sind, die von den Angeboten, die wir ihnen machen, nicht erreicht werden,
und daß Sie diese aus der Gruppe derer aussortieren, die einen Anspruch auf menschliche Versorgung und auf Menschenwürde hat. Diesen Anspruch auf einen vernünftigen Umgang haben auch alle die Menschen, die mit den Drogenabhängigen zu tun haben.
Ich betrachte es als einen wirklich großen Erfolg, daß 70 Prozent der Schweizer für die Drogenpolitik ihres Landes und damit auch für die Möglichkeit der Heroinabgabe gestimmt haben. Die Gegenaktion unter dem wohlklingenden Namen „Jugend ohne Drogen" hat es vordergründig vielleicht gut gemeint; aber sie hat es mit Sicherheit mit den drogenkranken Menschen nicht gut gemeint.
Ich würde mich natürlich freuen, wenn die Jugendlichen Abstand von Alkohol, Zigaretten oder anderen Drogen nähmen. Deshalb bedaure ich es so maßlos, daß Sie die Aufklärungsmittel der BZgA zur Förderung der Prävention in diesem Haushalt gestrichen haben.
So wird das keine vernünftige Angelegenheit; denn das dritte Bein - das wichtigste Bein, das Sie haben - haben Sie zur Hälfte amputiert.
Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß es sich um kranke Menschen handelt. Die Schweiz belegt, daß man den Menschen deutlich machen kann, warum es verschiedene Hilfsangebote gibt. Die Menschen in der Schweiz haben es begriffen. Auch die Menschen in der Bundesrepublik werden es begreifen. Die Frankfurter haben es schon lange begriffen, obwohl dort eine Drogenpolitik betrieben wird, die gänzlich an Ihren Vorstellungen vorbeigeht und bei der wir immer einen Balanceakt bezüglich der entsprechenden Gesetzgebung machen. In Frankfurt hat es auch die CDU-Regierung begriffen. Alle Parteien haben es dort begriffen. Nur einer begreift das Ganze nicht: das ist die Bundesregierung.
Wir waren in der Schweiz und haben mit den Menschen gesprochen. Das einzige, was Sie mitgebracht haben, ist, daß Sie die Wissenschaftler, die an dem Programm dort gearbeitet haben und es evaluieren, diskreditieren und ihnen letztendlich nichts anderes als Schummelei unterstellen.
Denn Sie wollen nicht wahrhaben, daß die Sterblichkeitsrate zurückgegangen ist - aber es geht ja um eine Menschengruppe, die Sie vielleicht nicht interessiert -,
daß die gesundheitliche Situation der Patienten verbessert werden konnte, daß das Risiko einer HIV-Infektion reduziert worden ist und daß die Beschaffungskriminalität ganz eindeutig zurückgegangen ist, und zwar von 69 Prozent auf 10 Prozent.
Beschaffungskriminalität bringt Menschen ins Gefängnis und schadet und schädigt andere Menschen in einem unglaublichen Maße. Das ist eine Situation, bei der Sie nicht weiterhin nur zuschauen können. Sie können nicht auf der einen Seite die organisierte Kriminalität bekämpfen und auf der anderen Seite
Gudrun Schaich-Walch
Kranke ohne Hilfe lassen und die Menschen damit in die Kriminalität treiben.
Das ist doch keine vernünftige, nachvollziehbare Politik mehr.
Die Schweizer hatten die Gelegenheit, die wir leider nicht haben, nämlich diese Politik zu überprüfen. Sie haben sie nicht nur an der Tatsache überprüft, daß sich ein paar Suchtkranke zu der Drogenpolitik und dazu, wie sie das Angebot empfinden, äußern konnten, sondern sie haben die gesamte Bevölkerung befragt. Die Bevölkerung hat auf Grundlage dessen, was sie tagtäglich in den Großstädten erlebt, entschieden.
Wenn Sie aus irgendwelchen Kaffs kommen und uns in Städten, wo es eine liberalere Drogenpolitik gibt, Ihre katastrophale Politik vor die Türe kippen, dann sage ich als Frankfurterin: Wir haben die Nase voll davon, daß 60 Prozent der Menschen, die bei uns um Hilfe nachsuchen, aus Ländern kommen, die ihnen die Hilfe verweigern.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte zeigt, daß es trotz des abgeschlossenen Versuches in der Schweiz kaum möglich ist, sich wirklich sachlich und in Ruhe mit der Frage auseinanderzusetzen, ob nicht die deutsche Drogenpolitik dringend einer Änderung und einer Ergänzung bedarf. Ich bin froh, daß sich die Schweizer Bevölkerung so mit diesem schwierigen Thema auseinandergesetzt hat. Denn es ist eine Anerkennung derjenigen, die darauf pochen, mit Aufklärung und Information und nicht mit populistischen und Ängste schürenden Informationen an die Lösung dieses Problems heranzugehen. Das sind 71 Prozent der Schweizer Bevölkerung, die nun nicht gerade als linke revolutionäre Bevölkerung einzuordnen ist.
Deshalb kann man die Ergebnisse dieses Versuches nicht einfach so abtun und argumentieren, daß das alles nicht zutreffe.
- Herr Sauer, ich bin wahrscheinlich eine der wenigen, die den gesamten Bericht gelesen hat.
Jeder Drogentote weniger ist doch ein Erfolg. Jeder Erstkonsument von harten Drogen weniger ist ein Erfolg. Jeder Schwerstabhängige weniger ist ein Erfolg. Sie müssen - gerade auch nach dem Bericht und nach anderen Untersuchungen - sehen, daß Sie an einen bestimmten Kreis von Schwerstabhängigen auf die Art und Weise, wie wir es bisher seit Jahren in Deutschland versuchen, nicht herankommen.
Warum beklagen die Polizeipräsidenten von über zwölf Städten in Deutschland, daß sie mit den Herausforderungen, mit der Gefahr oder dem Bestehen offener Drogenszenen nicht zurechtkommen? Sie sagen: Mit dem, was ihr uns mit euren drei Säulen und der eher strafrechtlich fixierten Drogenpolitik bietet, kommen wir nicht zurecht; das schaffen wir nicht. Bei uns könnt ihr die Probleme nicht abladen. - Genau das war der Werdegang der Änderung der Politik in der Schweiz hin zu dem jetzigen Weg. Da war es die Bevölkerung, da waren es die Polizeiverantwortlichen, die gesagt haben: Ändert etwas, so geht es nicht weiter!
Dann hat man die Gesundheitsräume und die Gassenzimmer in der Schweiz eingerichtet und hat sich mit dem Projekt der kontrollierten, wissenschaftlich begleiteten Heroinabgabe auseinandergesetzt. Nur darum geht es. Jetzt muß man auch hier in Deutschland bereit sein, dieses Projekt, zugeschnitten auf die Bedingungen in Deutschland, gesetzlich zu ermöglichen und einzuführen.
Dazu liegen Vorschläge vor. Ich bin der Meinung, man kann, nur weil die Bevölkerungszahl in der Schweiz mit der unseren nicht zu vergleichen ist, nicht sagen: Das alles interessiert uns nicht.
Ich möchte noch einige Argumente nennen, die immer gegen dieses Modellprojekt vorgebracht werden - sie sind wenig stichhaltig -: Der Staat, so wird gesagt, dürfe nicht als Dealer auftreten. Dazu nur soviel: Angesichts der hochwillkommenen Staatseinnahmen, die wir aus der Besteuerung von Alkohol und Tabak beziehen, ist das nicht nur ein Scheinargument, sondern ein scheinheiliges.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Im übrigen empfehle ich Ihnen dazu als Lektüre den heutigen Kommentar im „Rheinischen Merkur" , der äußerst aufschlußreich ist.
Ein wirklich ernstzunehmendes, weil in der Offentlichkeit leicht verfängliches Argument ist, daß die mit der kontrollierten Verabreichung von Heroin verbundenen Mittel sehr viel wirkungsvoller zur Verbesserung des rein abstinenzorientierten Therapieangebots verwendet werden sollten. Wenn man sich einmal die Kosten bei diesem Projekt ansieht, fällt einem auf, daß von den insgesamt aufgewendeten Kosten von etwa 50 DM pro Patient und Tag je ein Drittel von den Drogenabhängigen selbst, von den Krankenkassen und der öffentlichen Hand getragen wird. Ein fast doppelt so hoher Betrag, also zirka 100 DM pro Patient und Tag, steht dem an Einsparungen gegenüber. Konkret ergeben sich Einsparungen - so heißt es in dem Bericht, wenn man etwas weiter liest; es steht ziemlich weit hinten - bei der Arbeitslosen-und der Obdachlosenfürsorge, durch die Verbesserung der Gesundheit der Drogenabhängigen und aus der Abnahme des Delinquenzverhaltens.
Das alles bedeutet doch, daß die Teilnahme jedes einzelnen Drogenabhängigen an dem Versuch nach Abzug aller Kosten mit täglichen Nettoeinsparungen von rund 50 DM verbunden ist. Allein deshalb kann doch ein solches Kostenargument gegen diesen Versuch nicht vorgebracht werden.
Es ist fast böswillig, wenn man sich darauf beziehen wollte.
Ich bleibe dabei: Die Ergebnisse des Schweizer Modellprojekts sind eindrucksvoll. Ich glaube auch, daß das von der Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation bestätigt werden wird.
Deshalb spreche ich mich dafür aus, daß die deutsche Drogenpolitik um eine vierte Säule, nämlich die der Überlebenshilfe, mit den Elementen der Gesundheitsräume und des Projekts der kontrollierten Abgabe von Heroin angereichert wird. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion ist dieser Auffassung.
Ich gebe der Abgeordneten Ulla Jelpke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir freuen uns, daß die Schweizerinnen und Schweizer dem rechtspopulistischen Volksbegehren „Jugend ohne Drogen" eine deutliche Abfuhr erteilt haben, dies nicht zuletzt, weil dieser Volksentscheid maßgeblich vom Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis, VPM, lanciert worden ist. Bekanntlich bewegen sich in dieser Psychosekte nicht nur bekannte Rechtsextremisten, sondern auch der Kollege Heinrich Lummer oder beispielsweise Hans Filbinger.
Zurück zum Volksbegehren. Dessen Erfolg ist meines Erachtens auch der Sieg einer nüchternen, auf Fakten beruhenden Debatte, also ganz das Gegenteil des gebetsmühlenartigen Wiederholens ideologischer Phrasen, wie wir sie heute wieder von Herrn Sauer und von der Bundesregierung hören konnten und wie wir sie hier schon gewohnt sind.
Die Schweizer Bevölkerung hat sich zuallererst deswegen mit einer so deutlichen Mehrheit für die Fortsetzung der vergleichsweise liberalen Drogenpolitik entschieden, weil diese schlichtweg erfolgreich ist. In den Jahren 1994 bis 1996 wurden in 15 Schweizer Städten Heroin, Methadon und Morphin an 1 246 Schwerstabhängige ärztlich kontrolliert verabreicht. Begleitet wurde diese Behandlung von einer dauerhaften medizinischen Kontrolle und von einem anspruchsvollen therapeutischen Programm. Als Folge dessen hat sich nicht nur die gesundheitliche Situation der Betroffenen deutlich verbessert; auch sank beispielsweise die Arbeitslosigkeit von 44 auf 20 Prozent, und die Beschaffungskriminalität hat, wie wir heute schon gehört haben, deutlich nachgelassen. Diese Fakten werden von den christdemokratischen Kritikern des Modells nicht bestritten. Wie sollte das auch geschehen? Es steht ja in der Untersuchung.
Auf einige der Argumente der Kollegen Sauer und Lintner, die dieser schon vorab veröffentlicht hat, möchte ich an dieser Stelle eingehen.
Erstens sagen auch Sie, die Beschaffungskriminalität der Therapiepatienten habe sich reduziert.
So weit, so gut. Drogenhändler würden aber nun massiv versuchen - so Ihre Argumentation -, ihre verlorengegangenen Kunden durch Neukonsumenten zu ersetzen.
Diese würden insgesamt betrachtet zu einem Anstieg
der Beschaffungskriminalität führen. Nun, dies erscheint mir aber gerade ein Argument für die Aus-
Ulla Jelpke
weitung dieses Projekts und nicht für dessen Beendigung zu sein.
Zweitens sagen Sie, nur 10 Prozent der Therapiepatienten seien vom Heroin losgekommen. Dann, bitte schön, Herr Lintner oder Herr Sauer, gestehen Sie doch ein, daß die Rückfallquote bei Ihrem auf totale Abstinenz setzenden Programm bei 85 bis 90 Prozent liegt.
Dieser Fakt führt bei Ihnen aber nicht dazu, daß Sie ein Ende Ihrer bornierten Politik einleiten, sondern, ganz im Gegenteil, die repressive Drogenpolitik fortsetzen.
Drittens kritisieren Sie, daß sich das Schweizer Modell angeblich von seinem Ziel der Drogenfreiheit verabschiedet habe. Herr Sauer und Herr Lintner - ich frage Sie als Bayern; mein Kollege Schlauch hat es hier schon erwähnt -: In welcher Welt leben wir eigentlich, wenn bei Ihrem Oktoberfest, das nur 16 Tage dauert, bisher 220 schwere Alkoholvergiftungen zu verzeichnen sind?
Es gibt meines Erachtens eine Mehrheit in diesem Hause - da bin ich Frau Leutheusser-Schnarrenberger für ihren Beitrag sehr dankbar - für eine andere Drogenpolitik, vor allen Dingen für eine Drogenpolitik, die die Konservativen blockieren könnte, die für die Abhängigen ist.
Ich sage Ihnen noch einmal von der Bundesregierung: Ihre Politik führt tatsächlich dazu, daß sich die Drogenhändler in diesem Land freuen. Heben Sie den Fraktionszwang auf! Dann können wir endlich das, was jetzt seit Jahren gefordert wird, umsetzen, nämlich Drogenabhängigen helfen.
Danke.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Hubert Hüppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon interessant, was hier heute wieder einmal gesagt wird und daß man eine Volksabstimmung über eine ganz andere Drogenpolitik als die in Deutschland zum Anlaß nimmt, wieder alte Hüte hervorzuzaubern.
Wenn Sie sich einmal den Text der Abstimmung genau angeschaut hätten, wüßten Sie, daß es gar nicht nur um Heroinabgabe ging, sondern zum Beispiel auch darum, Methadon nicht mehr verschreiben zu dürfen. Deswegen können Sie das Votum, das in der Schweiz abgegeben worden ist, nicht als Votum gegen die deutsche Politik auffassen; denn die deutsche Politik ist eine andere als die, die durch diese Volksinitiative gefordert wurde.
Sehen Sie einmal die Umfragen in Deutschland. Wenn Sie so viel Wert auf Volkes Meinung legen, dann schauen Sie sich doch einmal die größte Umfrage der letzten Zeit von Allensbach an. Da wurde gefragt, wie viele Menschen aus der Bevölkerung dafür wären, über den Arzt Heroin verschreiben zu lassen. Sie werden feststellen: Ganze 29 Prozent teilen Ihre Auffassung.
- Das ist so.
Über zwei Drittel der deutschen Bevölkerung meint, daß sogar der Besitz kleiner Mengen von Drogen hart bestraft werden müsse. Das geht viel weiter als das, was wir wollen.
Aber wenn Sie wirklich Volkes Willen in Ihrer, in unserer Republik ernst nehmen, dann müßten Sie von der SPD und Sie vom Bündnis 90/Die Grünen Ihre Anträge schon längst eingestampft haben.
Meine Damen und Herren, ich habe mir den Bericht, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wirklich einmal angeschaut. Ich habe mir, wie Sie auch, vor Ort die Problematik angesehen. Es ist eben eine Tatsache - Herr Sauer hat schon darauf hingewiesen -, daß eben nicht die Gruppe der Schwerstabhängigen erreicht worden ist. Die stehen wieder auf der Straße.
Ich will Ihnen einmal etwas aus dem Bericht darlegen, den derjenige verfaßt hat, der selbst daran interessiert war, dieses Projekt durchzuziehen. Nach diesen Zahlen liegt bei der ersten Gruppe die Haltequote lediglich bei 61,5 Prozent. Das heißt, fast 40 Prozent sind wieder auf der Straße, sind tot oder haben sich in das Programm zurückbegeben, aus dem sie gekommen sind.
Ich halte es für nicht anständig - das muß ich einmal sagen -, wenn wie zum Beispiel im „Spiegel" gefeiert wird, daß 15 Prozent von diesen Leuten zu einem Methadon-Programm übergewechselt sind, wenn man weiß - das wird im letzten Bericht natürlich nicht mehr erwähnt, weil Professor Uchtenhagen, der den Artikel verfaßt hat, ja weiß, daß es ein
Hubert Hüppe
Argument gegen ihn ist -, daß man vorher 60 Prozent aus einem aktuellen Methadon-Programm herausgenommen hat. Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen.
Jetzt nenne ich Ihnen einmal die Eingangsuntersuchung. Dort wurde von ärztlicher Seite - das ist wenigstens neutral - festgestellt, nur ein Prozent der Teilnehmer habe sich in einem sehr schlechten Gesundheitszustand befunden, weitere 20 Prozent in einem schlechten Zustand, aber insgesamt 79 Prozent in einem guten oder sehr guten Gesundheitszustand.
Dasselbe gilt für den Ernährungszustand. 80 Prozent waren in einem guten oder sehr guten Ernährungszustand, 19 Prozent in einem schlechten. Bezüglich der Psyche befanden sich immerhin noch 59 Prozent in einem guten oder sehr guten Zustand. Ganze 13 Prozent waren überhaupt obdachlos. Jetzt sagen Sie mir mal, ob diese Beschreibung tatsächlich auf das Bild des verelendeten Junkies oder nicht vielmehr auf Personen zutrifft, die man wirklich noch für eine Therapie hätte gewinnen können.
Wenn Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger - es wäre ganz gut zuzuhören, weil ich Ihnen noch ein paar wichtige Sachen zu sagen habe -, wirklich sagen, es habe sich um Therapieresistente gehandelt, dann frage ich Sie: Wie kommen Sie auf diese Idee? In dem Bericht steht drin, daß 47 Prozent der Teilnehmer nie eine drogenfreie Langzeittherapie angefangen haben. Wie kommen Sie darauf, daß sie dafür nicht zu gewinnen seien? Das verstehe ich überhaupt nicht. Es stimmt natürlich, daß in der Gruppe selbst die Leute natürlich nicht mehr in dem Maße straffällig geworden sind. Aber man kann doch nicht als Erfolg werten, daß dann, wenn man die tödliche oder krankmachende Droge gibt, nicht mehr so viel Beschaffungskriminalität auftritt. Tatsache ist, daß die Kriminalität im Kanton Zürich insgesamt erheblich gestiegen ist. Es hat also nicht geholfen. Auch die offene Szene, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, hat weiter bestanden, als es die Abgabe gab. Sie ist erst dadurch aufgelöst worden, daß man mit einem massiven polizeilichen Einsatz gegen die Leute vorgegangen ist. Man hat dafür 100 Millionen Franken ausgegeben. Wenn Sie heute durch diese Viertel gehen, werden Sie feststellen, daß nirgendwo eine solch hohe Polizeipräsenz wie in diesen Vierteln besteht. Mit anderen Worten: Das Programm ist gescheitert. Das ist, wenn man den Bericht gelesen hat, eindeutig.
- Ja gut, Herr Schlauch, wenn Sie sagen, es sei ein Erfolg der Therapie von Herrn Professor Uchtenhagen, -
Herr Kollege Hüppe, Sie müssen zum Abschluß Ihrer Rede kommen.
letzter Satz - - die Leute sehr lange in der Heroinabgabe zu belassen, kann man das so stehenlassen. Nur wir wollen nicht diese Art von Erfolg; wir wollen die Leute drogenfrei bekommen.
Ich gebe das
Wort der Abgeordneten Angelika Mertens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Abstimmungsergebnis in der Schweiz hat zwei Tatsachen eindrucksvoll bestätigt: erstens eine klare Absage an die Initiative Jugend ohne Drogen, die ja bekanntermaßen - das hat Frau Jelpke schon gesagt - eng mit dem VPM verbunden ist, bei dem es sich ja um keine harmlose Truppe handelt, und zweitens eine klare Unterstützung für eine erfolgreiche Drogenpolitik, die auf den ersten Blick vielleicht etwas exotisch anmutet. Hinter dem Ungewöhnlichen steckt aber vor allem eine kühle Analyse des Machbaren: Weg von der Ideologie und hin zu einer Politik, die sich ganz ohne Umweg bei den Süchtigen, aber auch bei den anderen Betroffenen auswirkt.
Ich möchte meine Zeit nutzen, über diese anderen Betroffenen in den Stadtteilen zu sprechen. Ich spreche nicht nur als Abgeordnete, sondern auch als Bewohnerin eines Stadtteils - das scheint die CDU nicht besonders zu interessieren -, der massiv von der Drogenpolitik des Bundes betroffen ist. Ich wohne nämlich im Schanzenviertel und habe hautnah miterlebt, wie sich mein Stadtteil durch Drogenhandel und Drogenkonsum verändert hat.
- Das denke ich schon. Ich würde eher einmal vorschlagen: Kommen Sie einmal mit, dann können Sie das Ergebnis Ihrer Politik sehen.
Haupthandelsware ist Kokain; die Abnehmer sind vor allen Dingen Schwerstabhängige und Mehrfachabhängige. Es geht hier eindeutig um den Beikonsum. Ich war dabei, als sich die Bewohnerinnen und Bewohner in einem breit angelegten Aktionsbündnis mit dem Ziel, den Stadtteil zurückzuerobern, zusammengefunden haben. Ich habe miterlebt, wie die große Mehrheit der Bewohner ihren Zorn nicht an den Süchtigen ausgelassen hat, sondern sie als Menschen mit einer oft unheilbaren Krankheit akzeptiert hat. Im übrigen habe ich auch miterlebt, wie einige Medien die Stimmung im Viertel immer wieder durch unverantwortliche, teilweise offen rassistische Berichterstattung angeheizt haben. Daß sich das bei der Bürgerschaftswahl nicht in rechten Stimmen niedergeschlagen hat, verdient ein Kompliment übrigens an die aufgeweckten Schanzenviertler. Inwieweit die Politik der CDU angekommen ist, kann ich Ihnen
Angelika Mertens
auch belegen: Das Durchschnittsergebnis betrug dort 15,4 Prozent. Die F.D.P. hat eine Chance verpaßt. Sie hätte sicherlich mehr als ihre 2,2 Prozent bekommen, wenn sie sich vorher eindeutig für eine Heroinvergabe ausgesprochen hätte.
Ich habe also in meinem Viertel gesehen, wie hoch die Akzeptanz für eine neue Drogenpolitik ist. Ich habe hautnah erlebt, wo die Grenzen örtlicher Politik liegen. Genau das erleben natürlich auch alle anderen Verantwortlichen in den großen Städten. Sie sind deshalb über die Parteigrenzen hinweg für das Schweizer Modell, weil es ein logisches Modell ist.
Aber das scheint die Bundestagsfraktion der Union nicht zu kratzen. Sie geht weiterhin ideologisch lupenrein mit dem Kopf durch die Wand.
Was ist denn nun wirklich logisch und was ist nicht ideologisch an der starren Haltung der CDU/CSU?
Ist es logisch oder ideologisch, daß Drogenabhängige auf Spielplätzen Spritzen setzen, anstatt ihnen dafür Räume zur Verfügung zu stellen? Ist es logisch oder ideologisch, zu behaupten, der Staat dürfe nicht zum Dealer werden, wenn Sie gleichzeitig das Methadon-Programm als Therapieform mittlerweile akzeptiert haben? Im Rahmen dieses Programms werden schließlich keine Pfefferminzbonbons verschrieben. Oder kommt es Ihnen vielleicht nur darauf an, wo etwas hergestellt wird? Wenn das so ist, dann kann Ihnen ein großer deutscher Pharmakonzern sicherlich weiterhelfen. Schließlich gehörte Heroin einmal zu seinen großen Exporterfolgen.
Ist es logisch oder ideologisch, wenn man zuläßt, daß der vergebliche Kampf gegen das verbotene Heroin die Gesellschaft jährlich zirka 13 Milliarden DM kostet, quasi als Förderprogramm für die organisierte Kriminalität? Nach jedem gescheiterten Anlauf sitzen wahrscheinlich die Drogenbosse zusammen, klopfen sich auf die Schenkel und lassen die Korken der Champagnerflaschen knallen.
Ihre Politik ist weit davon entfernt, logisch zu sein. Sie ist im höchsten Maße ideologisch. Manchmal denke ich, Sie würden Ihre Politik ändern, wenn sich das alles vor Ihrer Haustür abspielen würde. Aber es spielt sich eben nicht vor Ihrer Haustür, sondern vor meiner und der meiner Nachbarn ab. Ich kann Ihnen sagen: Es reicht. Wenn Sie mit dem Kopf durch die Wand wollen, dann benutzen Sie dafür nicht den Kopf anderer Leute.
Ich darf es einmal anders formulieren: Weder Sozialromantik bezüglich der armen Dealer, die eigentlich lieber acht oder zwölf Stunden im Hafen ackern wollen, noch eine ideologische Lebenslüge von der suchtfreien Existenz, sondern eine pragmatische, kühl überlegte Politik helfen uns weiter. Schauen Sie den Tatsachen ins Auge und werden Sie endlich politikfähig!
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Monika Knoche.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich möchte der Schweizer Bevölkerung mein Kompliment aussprechen und ihr ganz herzlich dafür danken, daß sie in einer hochemotionalen Diskussion - sie wußte, es ist ein international viel beachteter Volksentscheid - nüchtern und zugleich zutiefst menschlich entschieden hat. Sie hat sich dafür entschieden, Menschen, die eine illegalisierte Droge konsumieren und dabei ein Suchtverhalten entwikkelt haben, gesellschaftlich nicht allein stehenzulassen. Sie hat sich dafür entschieden, daß der Staat die Aufgabe hat, die Fürsorge bei denen nicht enden zu lassen, die von einem illegalisierten Stoff nicht loskommen. Das verdient unsere große Anerkennung.
Dieses Schweizer Modell - Sie können hier noch so viele Argumente dagegen anführen - ist wissenschaftlich manifest untermauert. Es ist in der Schweiz gelungen, Menschen in einer schwierigen Phase zu stabilisieren. Es ist gelungen, den Gesundheitszustand dieser Leute zu verbessern. Es ist gelungen, die Reintegration, die Eigenständigkeit der Lebensführung, ja sogar die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Keine andere Form der Drogensubstitution kann bessere Erfolgsquoten vorweisen als dieses Schweizer Modell der kontrollierten Heroinabgabe.
- Ich sage: Substitution.
Es ist sehr wichtig, Herr Hüppe, folgendes noch einmal zu betonen: Noch niemand ist an der ärztlich verordneten Abgabe von Heroin gestorben. Aber
Monika Knoche
sehr viele sterben, weil sie ihnen verweigert wird. Das ist die harte Wahrheit.
Ich frage mich: Woher nimmt die Politik das Recht, zu definieren, wer eine Überlebenschance hat und wer nicht? Woher nimmt man sich dieses Recht? Die Doppelzüngigkeit, die Doppelbödigkeit, die Heuchelei, die dahintersteckt, kostet Menschen - in Deutschland sind es jährlich 1600 Menschen - das Leben. Das müssen wir uns vor Augen führen.
Gesundheitspolitik hat nicht das Recht, eine bestimmte Lebensführung zur Voraussetzung von Hilfe zu machen. Ich bin der Überzeugung, daß gerade die Erfahrungen, die in der Schweiz gemacht worden sind, uns, die wir hier verantwortlich zu entscheiden haben, den Auftrag geben, Parteibücher und Ideologien beiseite zu legen und Menschen nicht medizinische Hilfe vorzuenthalten. Es grenzt an unterlassene Hilfeleistung, wenn wir nicht endlich hier in Deutschland diesen Schritt tun.
Es wird Ihnen auch nichts bringen, Beispiele dafür anzuführen, daß der körperliche Zustand nicht desolat genug sei, um in diese Projekte zu kommen.
Wir waren dort, Herr Hüppe. Beide waren wir in Zürich. Sie wissen so gut wie ich, daß es viele Erkrankte gibt, die schwere psychische Erkrankungen haben und die große Probleme haben, reintegriert zu werden. Dennoch werden sie erreicht. Dies können Sie in Deutschland nicht vorweisen. Es gibt gar kein Recht, Menschen von Angeboten auszuschließen. Wir müssen niedrigschwellig alles tun, sie auch in die Gesundheitsversorgung zu reintegrieren.
Bitte vergessen Sie nicht - Herr Sauer ist im Moment nicht da -: Ich bin Karlsruher Bürgerin und Abgeordnete, Baden-Württembergerin. Aus Baden-Württemberg kommt der Karlsruher Appell, der die Bundesregierung eindringlichst auffordert, den Städten endlich die Möglichkeit zu geben, kontrollierte Programme zu machen. Karlsruhe ist eine CDU-regierte Stadt; Herr Seiler ist dort Oberbürgermeister der CDU. Stuttgart ist eine CDU-regierte Stadt. Frankfurt ist eine CDU-regierte Stadt. Sie können hier nicht ein rot-grünes Szenario aufbauen. Die Vernunft hat gesiegt, auch bei Politikerinnen und Politikern Ihrer eigenen Partei.
Widersetzen Sie sich nicht der Entwicklung der Zeit. Die Zeit ist reif dafür.
Ich habe es sehr begrüßt, als Herr Bundesgesundheitsminister Seehofer - der sich heute für diese Debatte entschuldigt hat - gesagt hat, er werde nach Zürich fahren und sich dieses Modell anschauen. Ich bin überzeugt davon: Wenn er als Gesundheitspolitiker entscheidet, dann wird er sich dieser Entwicklung nicht in den Weg stellen.
Danke.
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Beatrix Philipp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Knoche, wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, wird früh Witwe.
Ich möchte gerne etwas zu der Emotionalität sagen, die in diesem Bereich verständlich ist, weil die Menschen das Elend der Abhängigen sehen.
Ich finde es nicht in Ordnung, wenn hier eine Fraktion der anderen unterstellt, Drogentote seien dieser Fraktion egal. Das ist einfach nicht in Ordnung.
Ich glaube, wir kommen nur zu einem Ergebnis, wenn wir uns das nicht unterstellen, sondern gemeinsam nach einem Weg suchen. Ich habe den Eindruck, daß man in den Ländern, in denen es diesen Grundkonsens gibt, im Bereich der Drogenpolitik sehr viel weiter gekommen ist, als wir das hier in der Bundesrepublik im Augenblick sind.
Ich werde Ihnen das gleich am Beispiel Schweden zeigen,
und zwar wissenschaftlich manifest untermauert, Frau Knoche. Ich habe seit meiner Zeit der Tätigkeit im Landtag von Nordrhein-Westfalen intensiv die Drogenpolitik der Schweiz verfolgt, weil es damals um Methadon ging. Herr Professor Uchtenhagen - Sie waren dabei; ich habe es ihm selbst gesagt - hat uns mit derselben Begründung und derselben Argumentation, mit der er uns vor zwölf Jahren Methadon angeraten hat, jetzt angeraten, in Heroinprogramme einzusteigen. Ich halte das nicht für sehr glaubwürdig, und die wissenschaftliche Untermauerung ist mehr als schwach.
Beatrix Philipp
Es ist auch nicht wahr, Frau Knoche, wenn Sie sagen, Heroinabgabe durch Ärzte hätte dazu geführt, daß es keinen Todesfall mehr gibt. Das ist einfach nicht wahr. Wissen sie, warum nicht? Weil Sie den Beikonsum vergessen. Wenn es so ist, wie Sie sagen, daß ein Heroinabhängiger Heroin bekommmt und sonst nichts nimmt, dann haben Sie recht. Das ist logisch; das wissen wir. Aber so ist es doch nicht. Ich finde es ganz schlimm, wenn hier der Eindruck erweckt wird und der Bevölkerung vorgegaukelt wird - das trifft auch auf die NRZ zu, Herr Schlauch; auch ich kenne diese Zeitung, und zwar schon ein bißchen länger -, über diesen Weg würde man tatsächlich das schaffen, was uns allen ein Anliegen ist - wenn es denn noch ein gemeinsames ist -, nämlich Drogenfreiheit.
Ich bestreite, daß wir uns einig sind.
Ich komme auf das Beispiel von Frankfurt zu sprechen. Ich teile die Auffassung, die dort dazu geführt hat, daß es solche Räume gibt, nicht. Ich will Ihnen auch sagen, warum nicht: Wir wissen, Frau Schaich-Walch, in Frankfurt gibt es ungefähr 8000 Süchtige. Von zirka 600 Druckeinheiten ist die Rede, das heißt, man erfaßt ungefähr 200 Abhängige. Das bedeutet, daß 200 Abhängige, die ungefähr 3 Prozent der gesamten Abhängigen ausmachen, Kosten in Höhe von 2,5 bis 2,9 Millionen DM verursachen.
Was ist denn eigentlich mit den 97 Prozent anderen Abhängigen?
Es ist auch falsch, Frau Mertens, wenn Sie von den Spielplätzen in Ihrem Schanzenviertel reden. Sie erwecken der Bevölkerung gegenüber den Eindruck, daß in dem Augenblick, wo es Druckräume gibt, wo es die Abgabe von Heroin an Abhängige gibt, das Problem der Spritzen auf dem Spielplatz verschwindet. Dieser Eindruck ist nicht nur falsch; auch die Fakten sprechen dagegen. Wenn Sie 6 Prozent der Abhängigen erreichen - ich lasse jetzt einmal außen vor, wie sich das hier oder da auswirkt -, dann bleiben 94 Prozent übrig. Dann ist Ihr Problem mit den Spielplätzen überhaupt nicht erledigt.
Nächster Punkt: 70 Prozent der Heroinabhängigen, Frau Knoche, haben einen Beikonsum von Kokain. Was machen Sie denn eigentlich mit denen? Ich mache einmal einen Strich unter das Thema. Ich will das nicht beschreiben, weil ich es einfach bedaure, daß der Eindruck entsteht, man würde hier das Problem von Grund auf lösen. Aber man schadet! Wissen Sie, wem man massiv schadet? Man schadet dem gesamten Präventionsbereich.
Wie erklären Sie den jungen Menschen, daß der Staat und daß Mediziner auf der einen Seite Drogen offiziell abgeben und daß Sie auf der anderen Seite in Schulen oder wo sonst auch immer den Jugendlichen sagen wollen, sie sollten ein möglichst drogenfreies Leben führen? Das paßt überhaupt nicht zusammen und ist meiner Ansicht nach unglaubwürdig.
Ich will als letztes Schweden zitieren, weil es mir scheint, daß viele nicht wissen, daß man dort, weil man einen Grundkonsens hatte, auf einem - meiner Ansicht nach - richtigen Weg ist. In Schweden war liberalste Drogenpolitik an der Tagesordnung. Das weiß eigentlich jeder, der sich ein bißchen damit befaßt hat. 1965 gab es ein Programm zur Abgabe von Drogen. Zwei Jahre später ist man davon abgegangen, weil sich die Zahl der Drogenabhängigen verdoppelt hat. 1969 wurden die Polizeikräfte auf diesem Gebiet verzehnfacht und restriktivste, repressivste Maßnahmen ergriffen. 1970 wurde der Drogenbesitz entkriminalisiert. 1980 gab es ein Verbot des Drogenbesitzes unter Androhung von Geld- und Gefängnisstrafen. Seit 1988, Frau Knoche, ist nicht nur der Besitz, sondern auch die Einnahme von Drogen in Schweden unter Strafe gestellt.
Liebe Frau Mertens, vielleicht informieren Sie sich auch darüber einmal: Bei Befragungen von Schülern in Schweden im Jahr 1967 gaben 17 Prozent der Mädchen und 23 Prozent der Jungen an, schon einmal Drogen genommen zu haben. Dieser Anteil ist bis 1975 auf 8 Prozent, bis 1992 auf 3 bis 5 Prozent gesunken. Heute ist der Schutz der Jugendlichen vor der Drogenabhängigkeit oberstes Ziel in Schweden.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Abschluß kommen.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. - Ich sage es noch einmal: Es gibt diesen politischen Grundkonsens in anderen Ländern. Wir alle wissen, daß es keine drogenfreie Gesellschaft gibt. Aber wir sollten uns einig sein, wie wir damit umgehen. Wir sollten den Schwerpunkt auf die Prävention setzen. Wir brauchen keine Korrektur unserer Drogenpolitik, sondern den politischen Grundkonsens in einer ganz zentralen Zukunftsfrage. Was wir besonders brauchen, meine Damen und Herren, ist eine ehrliche und ideologiefreie Diskussion.
Vielen Dank.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Hans-Hinrich Knaape.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jede Sucht ist eine Krankheit. Sie zerstört eine Persönlichkeit, einen Menschen. Eine hundertprozentige Drogenabstinenz ist ein , nicht das Therapieziel der Behandlung. Im Vordergrund jeder Therapie steht der Mensch als Persönlichkeit, als ein Subjekt, dessen Würde der zwischenmenschlichen Solidarität in der Gesellschaft bedarf.
Aus dieser Sicht ist eine repressive Drogenpolitik realitätsfern und starrsinnig, wenn sie bestimmendes Element ist. Sie widerspricht außerdem den humanistischen Anschauungen unserer christlichen Gesellschaft.
Insofern kommt der Versuch der ärztlich kontrollierten Verschreibung von Betäubungsmitteln in der Schweiz - das Heroin möchte ich besonders hervorheben - zu einem Ergebnis, das, auch im Vergleich zu anderen Therapien, für die Eignung in der Behandlung bislang wenig zugängiger Heroinabhängiger spricht.
Die Versuchsdurchführung erbrachte den Beweis, daß schwerstabhängig Heroinsüchtige durch die ärztlich kontrollierte Verordnung von Heroin an ein therapeutisches Team über einen längeren Zeitraum gebunden werden können. Über die Indikation sollte noch gesprochen werden; sie ist sehr eng zu stellen.
Die Heroinsüchtigen sind während dieser Zeit therapiefähig und therapiebereit. Somatisch und psychosozial bessert sich ihr Zustand erheblich, und deliktisch, in bezug auf die Beschaffungskriminalität, zeigt sich eine Abnahme ihres Handelns.
Insgesamt liegt ein therapeutischer Ansatz vor, der den Ausstieg aus der Drogenabhängigkeit erleichtern kann. Alles spricht dafür, daß nun der Bundestag diese Therapiemöglichkeit auch für die Bundesrepublik an ausgewählten Standorten gesetzlich ermöglichen sollte. Eine Aktuelle Stunde ist sicher der richtige Ort, sich wortgewaltig vorzuführen, aber nicht der Zeitpunkt, in dem diese wichtige, von der Vernunft bestimmte Entscheidung gefällt werden sollte.
Nach wie vor steht die Drogentherapie auf vier Standbeinen: erstens der Prävention, die im Kindes-und Jugendalter einsetzen muß; zweitens der Bekämpfung des illegalen Drogenhandels - hier sind Konsequenz und Härte gefordert -; drittens den Therapien, die nunmehr um die ärztliche Therapie Schwerstabhängiger mit Heroin erweitert werden sollten und viertens der besonderen Hilfe für Drogensüchtige, sowohl durch psychosoziale Betreuung auf der Straße und zu Hause als auch durch freie Abgabe von sterilen Spritzen und durch Bereitstellung von sauberen Drogenzimmern an besonderen Standorten.
Eine Drogenpolitik kann in eine Sackgasse geraten, scheitern kann sie nicht; denn das Idealziel einer Drogenabstinenz aller Menschen ist eine Illusion, die der Wirklichkeit nicht entspricht.
Insofern müssen neue therapeutische Ansätze, auch wenn sie nur Teilgruppen der Süchtigen erfassen, aufgegriffen und verfolgt werden. Darüber sollten wir im Gesundheitsausschuß streiten, um den optimalen Weg unter Einbeziehung aller Bedenken für eine geringe Anzahl unserer Mitmenschen, die aber unserer Hilfe in der Gesellschaft bedürfen, zu finden.
Schließen möchte ich mit abgewandelten Worten aus der Debatte am Vormittag: Denn mit Waigels Worten werden politische Typen wie Sie der Verweigerung einen Namen geben, wenn Sie nicht mit Schäuble ein vernünftiges Wort sprechen. Nur dann haben Sie die Zeichen der Zeit erkannt, damit auch die Rücksichtslosigkeit nicht neu in unserer politischen Erfahrung wird. - Weiter nach Schäuble: Machen Sie im Parlament einen besseren Eindruck auf mich! Handeln Sie nicht wirklich verantwortungslos, sondern lassen Sie uns mutig auf diesem Weg vorangehen; denn Strukturreformen Ihrer Drogenpolitik sind erforderlich.
Ich danke Ihnen.
Ich gebe dem Abgeordneten Johannes Singer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Halsstarrig, störrisch und uneinsichtig halten Sie an einer Politik fest - damit meine ich nur noch die CDU -, deren Unrichtigkeit durch die monatlich und täglich auf uns einströmenden Zahlen zum Bereich der Drogenpolitik mehr als deutlich wird.
Mich hat gefreut, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, daß ich von Ihnen heute eine völlig andere Rede gehört habe als noch von Herrn Lanfermann am 18. Mai 1995. Seine Rede damals klang wie die von Herrn Hüppe und Herrn Sauer. Er hat nur das vorgetragen, was wir uns hier bis zum Erbrechen anhören müssen, was aber durch die Realität vielfach widerlegt worden ist.
Mich ärgert ein bißchen, daß Herr Sauer und Herr Hüppe jetzt weg sind; denn mit deren Beiträgen wollte ich mich intensiv beschäftigen. Eigentlich müßte Ihnen allen klargeworden sein, daß die CDU im Bundestag in bezug auf die Drogenpolitik in
Johannes Singer
Deutschland mittlerweile völlig isoliert dasteht. Frau Philipp, Sie sind mutterseelenallein.
Das weise ich Ihnen nach: In puncto „kontrollierte Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige" sind nicht nur alle anderen Parteien, die hier im Bundestag vertreten sind, anderer Auffassung als Sie. Wir haben auch die Zustimmung der beiden zentralen Verbände, die sich in Deutschland mit der Drogenpolitik befassen. Das sind der Fachverband Drogen und Rauschmittel, der die Praktiker in der Drogenberatung vereinigt, und die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren, ein immerhin der Regierung nicht allzu fern stehendes Institut.
Mich überrascht doch ein wenig, mit welcher Nonchalance Herr Sauer ein renommiertes Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich, einer der anerkanntesten Universitäten Europas, heruntermacht, sein Gutachten als unwissenschaftlich abqualifiziert und so tut, als sei es ein Gefälligkeitsgutachten, dessen Forschungsergebnisse bei Erteilung des Auftrages schon festgestanden hätten.
Wenn Sie sich mit diesem Gutachten und auch mit dem Abschlußbericht seriös befassen würden, Frau Philipp,
dann würden Sie feststellen, daß eben gerade nicht jeder, der da will - das ist in Schweden ursprünglich falsch gemacht worden -, zum Arzt laufen und sich das Rezept besorgen kann.
Vielmehr wird es eine genaue Einzelfallprüfung geben. Man schaut sich sehr genau an, ob jemand therapiefähig und therapiewillig ist. Es geht ja nicht nur um die Therapiefähigen, sondern auch um die Frage der Therapiewilligkeit. Es geht um diejenigen, die man nicht mehr mit herkömmlichen Programmen wie dem Methadon-Programm erreichen kann. Das haben uns die Polizeipräsidenten, zu denen eine ganze Reihe von CDU-Leuten gehören, eindrucksvoll im Januar in der „Spiegel"-Umfrage bestätigt.
- Auch bei dieser Volksabstimmung standen mit Sicherheit im Hintergrund ordnungspolitische Motive; gar keine Frage. Das bestreiten wir ja gar nicht. Deswegen hat die Volksabstimmung in der so konservativen Schweiz dieses Ergebnis gehabt, das Ihnen so wenig schmeckt.
Wenn Sie nun Umfragen zitieren, so muß ich sagen: Allensbach gehört für mich nun wirklich nicht mehr zu den allerseriösesten Instituten. Ziehen Sie doch einmal die Umfrage heran, die im Januar unmittelbar nach der „Pro und Contra"-Sendung gemacht worden ist, bei der es um den Hamburger Antrag auf kontrollierte Heroinabgabe ging. Auch in der konservativen Landeshauptstadt Stuttgart, Herr Schlauch, hat sich in dieser Sendung des Süddeutschen Rundfunks eine klare Mehrheit dafür ausgesprochen. Das geschah nicht etwa auf Grund der Sachverständigenaussagen in der Sendung. Vielmehr hat sich eine klare Mehrheit vor der Sendung wie auch nach der Sendung für die kontrollierte Heroinabgabe ausgesprochen. Von daher wäre ich in dieser Beziehung sehr vorsichtig.
Aber wir sollten Politik weiß Gott nicht allein auf Grund von Umfrageergebnissen, sondern unter Zugrundelegung von sachlichen Überlegungen machen. Sie können nicht leugnen, daß es durch das Schweizer Versuchsprojekt zu einer Zurückdrängung der Beschaffungskriminalität gekommen ist, und Sie können ebenfalls nicht leugnen - das hat Frau Knoche gesagt -: An einer kontrollierten Heroinabgabe allein ist noch keiner gestorben. Daß natürlich derjenige, der zusätzlich weitere Drogen konsumiert, in Gefahr ist, das wissen auch wir.
- Auch wir wissen, daß das in vielen Fällen üblich ist. Aber das besagt ja nicht, daß die Sache falsch ist.
Jeder, den man dazu bewegen kann, daß er zunächst einmal nur dieses Heroin nimmt, ist gesundheitlich besser dran und weniger gefährdet, einen frühen Drogentod zu sterben, als die 1600 Personen, die Sie jährlich ihrem Schicksal überlassen.
Ihnen macht es überhaupt nichts aus, sich gegen eine Herabsetzung der Promillegrenze zu sperren; Sie weigern sich, ein deutliches Zeichen dafür zu setzen, daß Sie auch bei den legalen Drogen neue Wege beschreiten wollen. Ich könnte auch die Einschränkung der Zigarettenwerbung am Nürburgring anführen. In bezug darauf hört man von CDU-Seite gar nichts; die legalen Drogen bleiben außen vor. Darüber wird das Mäntelchen der Nachsicht und des Schweigens gebreitet. Die ganze Präventionsarbeit erstreckt sich auf diesen Bereich nicht. Vielmehr wird innerhalb der Koalition gestritten, und man zankt sich darüber, ob man wenigstens ein solches MiniSchrittchen wie die Senkung der Promillegrenze von 0,8 auf 0,5 hinbekommen könnte. Da muß man auch noch ein gemeinsames Kampftrinken in den Ausschüssen veranstalten! Ich muß mich doch wundern, wozu sich Abgeordnete bereit finden können.
Johannes Singer
Ich sehe: Meine Redezeit ist längst abgelaufen. Ich danke für die Nachsicht des Herrn Präsidenten und Ihnen für das Zuhören.
Nun gebe ich als letztem das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Eduard Lintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Kommentator, so finde ich, hat die Quintessenz aus dem Schweizer Versuch richtig bezeichnet, als er darauf hingewiesen hat, daß der, der etwas ändern will, beweisen muß, ob damit ein Vorteil gegenüber dem Bisherigen erreicht werden kann. Das ist aus meiner Sicht trotz des Getöses, das Sie, Herr Singer, von sich gegeben haben, der entscheidende Gesichtspunkt bei dieser ganzen Diskussion.
Wir brauchen also Alternativen, die im Vergleich zu dem Hergebrachten zu besseren Ergebnissen führen. Die Schweizer Drogenpolitik hat nicht zu besseren Ergebnissen geführt. Ich darf Sie noch einmal daran erinnern - diese Zahl kann ja nicht bestritten werden -: In der Schweiz gibt es eine fast dreimal so hohe Belastung der Bevölkerung mit Heroinsüchtigen wie in Deutschland. Das ist das Ergebnis der Drogenpolitik in der Schweiz, die Sie uns immer so sehr ans Herz legen.
Herr Singer, mit welch primitiven Argumenten Sie arbeiten, ist mir wieder klargeworden. Sie wissen nämlich ganz genau, daß beispielsweise die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sehr wohl Präventionskampagnen betreibt, die völlig suchtunspezifisch gesteuert sind und sich auch schon an Vorschulkinder wenden. Sie kennen die Kampagne „Macht Kinder stark!". Dennoch stellen Sie sich hin und behaupten genau das Gegenteil, nämlich daß die Bundesregierung so etwas nicht tun würde.
Mich wundert überhaupt, meine Damen und Herren, wie wenig rational Sie mit dem Thema umgehen. Sie schreien immer, wir seien die Ideologen; wenn wir Ihnen aber Zahlen nennen, dann bemühen Sie sich nicht etwa, die Zahlen zu widerlegen. Sie sagen auch nicht, das, was wir über den Schweizer Versuch dargelegt haben, sei nicht zutreffend. Vielmehr äußern Sie frei aus dem Bauch heraus, daß das Ganze einfach humaner sei. Ich muß Ihnen sagen: Humaner ist sicher die Drogenpolitik, die dazu führt, daß es letztendlich weniger Heroinsüchtige als bei einer anderen Drogenpolitik gibt.
Wenn Sie das zum Maßstab nehmen, dann werden Sie feststellen, daß wir in Europa an hervorragender Stelle liegen - viel besser als die Schweiz, England oder die Niederlande. Das muß das Kriterium sein.
Drogenpolitik kann sich ja nicht nur um die Süchtigen kümmern.
Sie muß auch die Verantwortung dafür übernehmen, daß möglichst wenig Leute süchtig werden. Das ist der Maßstab für Drogenpolitik.
Frau Kollegin Mertens, Ihnen war vielleicht nicht klar, daß Sie mit dem Hinweis auf die Hamburger Verhältnisse ein ziemliches Eigentor geschossen haben.
Denn Unterschiede existieren nicht nur zwischen uns und der Schweiz, sondern auch innerhalb Deutschlands. Bei gleicher Bundespolitik muß man doch feststellen: In Hamburg haben Sie ein Drogenproblem, von dem die Politik meint, seiner nicht mehr Herr werden zu können; in München hingegen - um ein Beispiel zu nennen - gibt es zwar auch Drogenprobleme, aber bei weitem nicht in diesem Ausmaß und in dieser den Bürger so bedrängenden Form wie in Hamburg.
Wer ist also für die Zustände in Hamburg verantwortlich? Die Bundespolitik oder die dortige liberale Drogenpolitik?
- Frau Mertens, es ist völlig klar, daß dort, wo über Jahre hinweg Ihren Konzepten Rechnung getragen worden ist, wo offene Drogenszenen geduldet worden sind und wo eine sogenannte liberale Drogenpolitik verfolgt worden ist, die Probleme mittlerweile so
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
riesig sind, daß Sie sie mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr bewältigen können.
Deshalb schreien Sie als Täter jetzt „Haltet den Dieb!" und wollen uns empfehlen, diese miserablen Ergebnisse einer liberalen Drogenpolitik für die ganze Bundesrepublik zu übernehmen. Das kann eine verantwortungsbewußte Regierung unmöglich tun.
Ich wiederhole die einzelnen Zahlen jetzt nicht mehr, weil sie schon mehrfach genannt worden sind. Für mich ist das Entscheidende - das sollte auch Ihnen zu denken geben -: Die verelendeten Schwerstabhängigen sind offenbar in der Schweiz gar nicht erreicht worden. Für uns ist das ein sehr interessanter Aspekt, weil auch wir Mühe haben, an diese Leute heranzukommen. Es stellt sich heraus, daß zwei Drittel derjenigen, die mit dem Versuch erreicht werden konnten, aus einem vorhandenen Methadonprogramm kamen und sich überwiegend in einem guten gesundheitlichen Zustand befanden. Diejenigen Abhängigen aber, die wir alle meinen und bei denen wir unseren Grips wirklich anstrengen müssen, um sie zu bewegen, in eine Therapie zu gehen, sind auch in der Schweiz nicht erreicht worden. Fachleute haben mir erklärt, daß diese Menschen in ihrem Verhalten schon so destrukturiert sind, daß sie nicht mehr in der Lage sind, sich alle vier Stunden an eine bestimmte Stelle zu begeben, um dort unter Aufsicht zu spritzen. Das ursprüngliche Ziel des Versuches ist also überhaupt nicht erreicht worden.
- Sie nehmen ja gar nicht zur Kenntnis, was in dem Bericht steht.
- Frau Knoche, Sie können ihn nicht gelesen haben;
andernfalls hätten Sie in Ihrer Rede Falsches behauptet. Lesen Sie nach: Zwei Drittel kommen aus einem Methadonprogramm.
Wir versuchen mit einer sehr individuell gestrickten Betreuung, den einzelnen Schwerstabhängigen dazu zu bewegen, die Motivation für eine Abstinenztherapie aufzubauen. Erfolge sind vorhanden, auch wenn sie nicht überwältigend sind. Aber immerhin gelingt es uns, den einen oder anderen dafür zu gewinnen.
Obwohl es für mich nicht neu war, hat mich sehr beeindruckt, daß bei dieser Kampagne in der
Schweiz Ex-Junkies aufgetreten sind, die folgendes ehrlich bekannt haben: Wenn damals, als wir süchtig waren, die Möglichkeit bestanden hätte, von staatlichen Abgabestellen Heroin zu bekommen, dann wären wir mit tödlicher Sicherheit nie aus der Sucht herausgekommen.
Diesen Sachverhalt muß man einfach zur Kenntnis nehmen.
Sie halten mit diesem Angebot Heroinsüchtige in der Sucht fest. Sucht ist eine Krankheit, und Krankheiten sollte man normalerweise zu heilen versuchen. Das heißt, wir sollten gar nicht darüber streiten: Wir müssen alles aufwenden, was uns zu Gebote steht, um die Leute zu heilen, das heißt, aus der Sucht herauszuholen. Wir dürfen sie nicht noch durch die Abgabe von Originalsuchtstoffen in der Sucht festhalten.
Frau Knoche, es ist wirklich lächerlich: Wenn Sie konsequent denken würden, dann dürften Sie bei Heroin nicht aufhören. Die Konsequenz Ihres Vorschlages ist - die Schweiz hat die Versuche ja auch auf Kokain und andere Suchtstoffe erstreckt -, daß jeder, der süchtig ist, seinen Suchtstoff letztlich in irgendeiner Form verabreicht bekommt, um in seiner Sucht bleiben zu können, ohne dafür etwas Ungesetzliches tun zu müssen.
Sie sind also auf einem Weg, dessen Ende Sie vielleicht noch gar nicht sehen. Warum wollen Sie jemandem, der von Crack abhängig ist, die Abgabe von Crack verweigern? Warum wollen Sie einem Abhängigen Ecstasy oder Kokain verweigern? Sie sind auf einem Weg, an dessen Ende eine nicht vorhersehbare Zahl von nicht therapierbaren Süchtigen steht.
Noch eines, weil immer das Argument der Kriminalität gebracht wird: Die Statistik der Kriminalpolizei des Kantons Zürich weist aus - das ist wirklich sehr interessant -, daß sie 1996 mehr denn je mit schwerem Einbruch und Raub zu tun hatte sowie eine Rekordmenge an Heroin sichergestellt wurde, und das im dritten Jahr des Versuchs, quasi auf seinem Höhepunkt.
Es mag schon sein, daß der eine oder andere, der aus einem Methadonprogramm kommt und jetzt Heroin bekommt zur Beschaffung keine kriminellen Taten mehr begeht. Da gebe ich Ihnen durchaus recht. Nur, die Gesamtbilanz der Kriminalität hat sich nicht verbessert, sondern verschlechtert. Darum muß ich Ihnen sagen: Nach den Ergebnissen des Schweizer Versuches gibt es keinen Grund, die deutsche Drogenpolitik zu ändern.
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Aber - auch das mag Ihnen Beweis dafür sein, daß wir mit den Dingen offen und objektiv umzugehen versuchen -
wir, der Kollege Seehofer und ich, haben uns verabredet, Mitte dieses Monats in die Schweiz zu fahren, um uns briefen zu lassen, um uns die Ergebnisse erläutern zu lassen. Vielleicht können so manche der Fragen, die von uns aufgeworfen wurden, noch geklärt werden. - Das mag Ihnen ein Zeichen dafür sein, daß wir nicht einfach über Ihre Einwände hinweggehen. Aber was wir bis jetzt wissen, ist nicht besonders ermutigend.
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 8. Oktober 1997, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.