Nein, ich würde jetzt gerne ein paar Sätze weiterreden. Ich muß mich ja auch noch mit den Zwischenrufen auseinandersetzen.
Der entscheidende Punkt, warum es so schwierig war, überhaupt auch nur einen Einstieg in ernsthafte Verhandlungen über eine Steuerreform zu gewinnen, ist doch gewesen, daß die Position, die Herr Lafontaine mehrfach verkündet hat - man sei nur bereit, über das Jahr 1998 zu verhandeln und über sonst nichts -, eine Position war, mit der man keine Steuerstrukturreform hinbekommt.
Das ist die Wahrheit. Das wissen wir doch alle.
- Jetzt seien Sie doch einmal einen Moment still!
Wir können doch nicht eine Steuerentlastung in der Größenordnung, wie sie notwendig ist, damit wir die Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung erreichen, bei den begrenzten haushaltspolitischen Spielräumen in einem Jahr schaffen. Das haben wir schon in den 80er Jahren nicht gekonnt. Deswegen haben wir die Reform damals in drei Stufen -1986, 1988, 1990 - durchgeführt. Deswegen haben wir auch diesmal gesagt: Die Reform muß über mehrere Jahre gehen. Dann können die Haushalte von Bund und Ländern auch etwaige Einnahmeausfälle verkraften.
Wenn man für eine Steuerstrukturreform einige Jahre Zeit hat, gibt es eine ganz andere Wirkung: Durch die Senkung der Steuersätze und die Beseitigung von Ausnahmen werden die Steuereinnahmen wieder steigen, weil die Wachstumskräfte gestärkt werden. Im Moment haben wir doch den katastrophalen Zustand, daß die Steuereinnahmen auf Grund der zu hohen Steuersätze bei Wirtschaftswachstum zurückgehen; das liegt an der Erosion der Steuerbasis. Diese Wirkung erzielen Sie aber nicht im ersten Jahr nach der Steuersatzsenkung. Ich habe Ihnen übrigens schon in der letzten Debatte dazu dargelegt, daß das der Kardinalfehler Ihrer Position ist. Vielleicht aber ändern Sie diese noch bis zur Sitzung des Bundesrats; denn noch kann er zustimmen. Noch gibt es eine Chance, dies auf den Weg zu bringen.
- Ich erkläre Ihnen gerade, Frau Matthäus-Maier, daß eine bloße Umfinanzierung ohne strukturelle Reformen den Anforderungen unseres Landes und des Arbeitsmarkts nicht gerecht wird.
Ich möchte eine weitere Bemerkung machen, wenn Sie es mir erlauben, auch diesmal im Sinne der Mahnung aus „Wilhelm Meisters Lehrjahre". Wir haben die Situation, daß die Mehrheit des Bundesrates, die der Wähler so verfügt hat - natürlich wird das Mandat für die Bundespolitik in erster Linie durch die Bundestagswahlen erteilt; aber bestimmte Ge-
Dr. Wolfgang Schäuble
setze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates -, derzeit nicht von der Koalition gestellt wird. Auch der Parteivorsitzende Helmut Kohl, als er Oppositionsführer war, und die Union, als sie im Bundesrat die Mehrheit hatte, waren nicht immer ganz zimperlich,
politische Vorstellungen der Union mit Hilfe ihrer Mehrheit durchzusetzen. Liebe Freunde, das ist die Wahrheit; das wissen wir doch alle. Aber die Rigidität, die Rücksichtslosigkeit, mit der die Mehrheit im Bundesrat heute durch den SPD-Vorsitzenden genutzt wird, ist neu in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und so nie dagewesen.
So wird es nicht bleiben können, wenn unser bewährtes System nicht Schaden nehmen soll. Es ist die exzessive Nutzung, die so mißbräuchlich ist.
Was bleibt uns als Mehrheit im Bundestag, als Koalition und Regierung in dieser Situation übrig? Wir müssen versuchen, das Menschenmögliche an strukturellen Reformen durchzusetzen, ohne daß die SPD-Mehrheit im Bundesrat die Chance hat, das zu blockieren. Das haben wir schon bei der Krankenkassenreform gemacht; es ist uns doch nicht leichtgefallen.
- Darf ich Sie zum letztenmal ermahnen: Ich habe während der Rede des Kollegen Scharping nicht einen einzigen störenden Zwischenruf gemacht.
Wenn auch Sie sich daran halten könnten, machten wir als Parlament insgesamt einen besseren Eindruck auf die Bevölkerung in unserem Lande.
Wir haben gesagt: Wir machen die Gesundheitsreform. Eigentlich wollten wir sie mit Zustimmung des Bundesrates machen. Das ging nicht, also haben wir es anders gemacht. Das hat uns viel Kritik eingebracht. Es gab zwei Anläufe: Erst wurde blockiert, dann ging es ohne Zustimmung des Bundesrates.
Wir werden beim Energiewirtschaftsrecht das gleiche Problem haben. Wir werden es im Zweifel wieder so machen müssen, daß eine Zustimmungspflicht des Bundesrates nicht besteht.
- Verzeihen Sie! Wenn Sie sich in unserem Land umschauen, dann werden Sie merken, daß die allermeisten Menschen in diesem Lande verstanden haben, daß die Bundesratsmehrheit legitim ist, daß aber dieser strategische Ansatz von Herrn Lafontaine, der in Ihren Reihen höchst umstritten ist, mißbräuchlich ist und daß es so nicht bleiben kann.
Ich will aber nur sagen, was uns in dieser Situation zu tun übrigbleibt. Was können wir in der Steuerpolitik beim Solidaritätszuschlag machen? Genau das, was der Bundesfinanzminister vorgetragen hat. Natürlich wäre eine Strukturreform des Einkommen-und Körperschaftsteuerrechts wichtiger und richtiger als die bloße Senkung des Solidaritätszuschlags. Das ist doch völlig unstreitig.
Im übrigen, Herr Scharping, haben Sie noch im Januar 1995 gesagt: Der Solidarzuschlag muß weg - je schneller, desto besser. - Das sagte auch SPD-Chef Rudolf Scharping.
Jetzt aber Spaß beiseite.
Jeder weiß: Die Steuereinnahmen gehen trotz hoher Steuersätze zurück; die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden sind notleidend. Die Bundesratsmehrheit handelt ja gegen die Interessen ihrer eigenen Länder. Wir können mangels Zustimmung der SPD-Mehrheit im Bundesrat eine Steuerreform im Moment nicht zustande bringen; das ist ein großer Schaden. Das einzige, was wir zustande bringen können, sind Maßnahmen, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedürfen: Das ist die Senkung des Solidarzuschlags.
Jetzt können wir die Ökonomen trefflich streiten lassen. Ich bin ganz sicher: Angesichts der Tatsache, daß trotz steigender Wirtschaftstätigkeit - im letzten Quartal haben wir ein reales Wachstum von 2,9 Prozent gehabt; im nächsten Jahr werden wir bei über 3 Prozent liegen - bei unseren jetzigen hohen Sätzen die Steuereinnahmen rückläufig sind, ist es dringend notwendig, wenigstens Schritte in Richtung auf eine Senkung der zu hohen Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerbelastung zu gehen. Der einzige Schritt, der uns bleibt, ist die Senkung des Solidarzuschlags. Es ist richtig, diesen Schritt so zu gestalten, daß er nicht etwa nachteilige ökonomische Folgen hat. Vielmehr wollen wir den Solidaritätszuschlag senken und wollen dabei in Kauf nehmen, daß wir mit den Einzahlungen in den Erblastentilgungsfonds etwas in zeitlichen Verzug geraten, wobei ich im übrigen sagen muß, daß wir bei diesen Einzahlungen - wie der Finanzminister dargelegt hat - besser liegen, als im Plan vorgesehen. Wenn ich die beiden Möglichkeiten gegeneinander abwäge, so komme ich zu dem Schluß, daß das das wirtschaftlich Beste und Vernünftigste ist, was wir tun können. Das ist aber nur so angesichts der Tatsache, daß Spielraum für Vernunft nur dort gegeben ist, wo die Zustimmung des Bundesrates nicht notwendig ist.
Dr. Wolfgang Schäuble
Leider ist ein Spielraum für Vernunft bei allen Angelegenheiten, die der Zustimmungspflicht des Bundesrates unterliegen, derzeit nicht vorhanden.
Deswegen werden wir diesen Weg gehen. Er ist richtig.
Eine weitere Bemerkung. Wir haben die grundlegenden strukturellen Reformen für mehr Beschäftigung in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht. Herr Kollege Conradi, auch das ist eine Antwort auf Ihre Zwischenfrage. Es ist ja nicht wahr, daß nichts geschehen ist. Wenn Sie sich an Ihre eigenen Reden aus dem letzten Jahr und daran erinnern, was Sie uns alles vorgeworfen haben, welche aus Ihrer Sicht schlimmen Dinge wir gemacht hätten, dann können Sie andererseits nicht gut behaupten, wir hätten gar nichts gemacht.
Das Sozialhilferecht ist reformiert worden. Es kommt jetzt darauf an, daß alle Sozialhilfeträger, Gemeinden, Städte und Landkreise, die Möglichkeiten, die das veränderte Sozialhilferecht ihnen für mehr Beschäftigung bei Sozialhilfeempfängern bietet,
nutzen und wahrnehmen und das umsetzen. Die Gesetze müssen auch umgesetzt werden!
Das Arbeitsförderungsgesetz ist novelliert worden und bietet Arbeitgebern, die zum Beispiel Langzeitarbeitslose einstellen, neue Möglichkeiten, Sozialversicherungsbeiträge von der Arbeitsverwaltung erstattet zu bekommen, um nur eines zu nennen.
Wir haben die Möglichkeiten für Existenzgründer verbessert. Wir haben den Handlungsspielraum und damit auch die Verantwortung der Tarifpartner in bezug auf die Lohnfortzahlung und das Schlechtwettergeld erweitert, weil die Tarifpartner ihren Teil der Verantwortung für den Arbeitsmarkt wahrnehmen müssen. Was erfreulich ist, ist, daß ja auf seiten der Tarifpartner, wie nicht zuletzt der Tarifabschluß bei der Altersteilzeit beweist, die Einsicht in die Notwendigkeit struktureller Reformen viel weiter verbreitet ist als zur Zeit im konkreten Handeln der Bundesratsmehrheit.
Wir haben die gesetzliche Krankenversicherung reformiert. In der vergangenen Woche konnten Sie lesen, daß die pharmazeutische Industrie darüber geklagt hat, daß in den Monaten Juli und August im Inland die Umsätze mit pharmazeutischen Produkten zurückgegangen sind. Das ist eine Folge der am 1. Juli in Kraft getretenen Reform der gesetzlichen Krankenversicherung. Das beweist: Es gibt Einsparungen. Einsparungen führen natürlich auch zu Umsatzrückgängen. Das läßt sich leider nicht vermeiden.
Wenn man einfach nur umfinanziert, weiß man nicht, was Sparen bedeutet. Es wird im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen gespart.
Die Rentenstrukturreform wird in der nächsten Woche vom Bundestag verabschiedet werden.
Wir sind also auf dem Weg der strukturellen Reformen.
Auch die Strukturreform unseres Einkommen-und Körperschaftsteuerrechts
ist dringend notwendig; sie ist unausweichlich. Sie hätte in dieser Legislaturperiode kommen müssen. Viele von Ihnen wissen: Es ist eine wirklich verantwortungslose Haltung von Ihnen, daß Sie das auf das Jahr 2000 schieben. Ich sage Ihnen: Die Strukturreform wird kommen.
Es wird ja das Argument angeführt werden: Wir haben dann im Bundesrat vielleicht immer noch die Mehrheit. Dazu möchte ich sagen, daß wir das einmal abwarten sollten, wie das mit der Mehrheit nach der Niedersachsen-Wahl aussehen wird.
Aber das lasse ich jetzt. Ich bin davon überzeugt: Die Mehrheit der Menschen in Deutschland wird bei der Bundestagswahl ihren Willen dahin gehend zum Ausdruck bringen, daß sie eine Strukturreform auch im Bereich des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts durchgeführt sehen will. Dann wird die Blokkade ein Ende haben.
Ich bin gestern abend auf einer Veranstaltung einer wichtigen Arbeitgebervereinigung in einem großen Bundesland gewesen. Der Präsident hat nicht alles, was die Politik zustande gebracht hat, nur gelobt. Das kann man auch verstehen. Aber er hat etwas sehr Bemerkenswertes gesagt: Vieles an Reformen, auch an strukturellen Reformen unserer sozialen Sicherungssysteme - ich habe sie gerade aufgezählt -, ist auf den Weg gebracht worden; nicht um diese sozialen Sicherungssysteme abzuschaffen, sondern um sie zukunftsfest zu machen. Das ist auch das Ziel der Rentenreform.
Die Reformen zeigen auch Wirkung. Aber wir in Deutschland haben gelegentlich zu wenig Geduld. Wir meinen, wenn eine gesetzliche Änderung am 1. Juli in Kraft getreten ist, dann muß man am 10. Juli schon die Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt ablesen können. So funktioniert die Veränderung von Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt nicht.
Daß sich unsere Reformen auswirken und unser Weg der richtige ist, wird auch dadurch unterstrichen, daß das reale Wirtschaftswachstum in Deutschland zunimmt. Natürlich wäre es ganz verantwortungslos zu behaupten, wir hätten auf dem Arbeits-
Dr. Wolfgang Schäuble
markt eine gute Lage. Aber wir spüren Anzeichen der Veränderung zum Besseren.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Lassen Sie uns mutig und entschieden auf diesem Weg vorangehen! Der Vorschlag zur Senkung des Solidaritätszuschlages, den der Bundesfinanzminister Ihnen vorgetragen hat, findet die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion und ist ein geeigneter weiterer Schritt, um die Rahmenbedingungen für mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu verbessern.