Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem auch die zweite Runde des Einigungsversuchs zur großen Steuerreform im Vermittlungsausschuß gescheitert ist, bleibt - auch angesichts der heutigen Debatte - eine Bilanz, die uns eigentlich alle deprimieren müßte. Dieses Schwarzer-PeterSpiel, Kollege Schäuble, diese durchsichtige und auf die primitivste Form des Wahlkampfs zielende Methode
- nach dem Motto: „Die Opposition ist schuld! " , „Die Opposition blockiert! ", deswegen bekommen wir, die wir in den vergangenen 14 Jahren eigentlich Weltmeister der Strukturreformen waren, nichts hin - wird das Ansehen der Politik, das prophezeie ich Ihnen, insgesamt in Deutschland schädigen. Das wird andere stärken, nicht die demokratischen Parteien und die Fraktionen, die in diesem Hause sitzen. Das wird die Politikverdrossenheit stärken und letztendlich eine Abkehr von der Demokratie befördern. Das finde ich schlimm, gerade auch vor dem Hintergrund der Hamburger Wahlergebnisse.
Ich bin es auch leid, daß Zustände herbeigeredet werden, bei deren Beschreibung man das Gefühl hat, der Untergang des Abendlandes stehe unmittelbar bevor. Damit meine ich auch diese „Handlungsunfähigkeitsoper" . Ich darf Sie nur einmal daran erinnern, daß wir noch vor geringer Zeit hier im Hause gemeinsam - ich glaube, sogar fast einstimmig - die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft haben,
nachdem klar war, daß dies nicht wieder zu Lasten der Kommunen, vor allem der Großkommunen, geht. Denn das war unsere Sorge.
Deswegen, meine Damen und Herren, möchte ich in aller gebotenen Sachlichkeit - und auch mit der notwendigen polemischen Zuspitzung, die zu einer parlamentarischen Debatte gehört - die Situation noch einmal aus meiner Sicht darstellen: Die Situation ist ernst. Ich sage dies gerade am Vortag des Nationalfeiertags zum siebten Jahrestag der deutschen Einheit. Die Entwicklung in Ostdeutschland stagniert. Wenn man sich die Wachstumszahlen in Ostdeutschland, wenn man sich die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in Ostdeutschland anschaut, stellt man sogar fest, daß sie gegenüber Westdeutschland relativ zurückfallen.
Wir stehen gemeinsam vor folgendem Problem - ich will das jetzt nicht wieder am Bundeskanzler festmachen; vermutlich waren die Entscheidungen auch Ausdruck der objektiven Handlungszwänge und des Bewußtseins der Mehrheiten in diesem Lande -: Wir finanzieren mit dem Nachbau West in Ostdeutschland den Aufbau von Strukturen, die in Westdeutschland selbst mittlerweile hoch erneuerungsbedürftig geworden sind.
Das engt die Spielräume, auch und gerade die finanziellen Spielräume für Reformen, für alle Beteiligten dramatisch ein.
Bei all dem wird man die Notwendigkeit von Strukturreformen nicht verneinen können. Ich kenne auf seiten der Opposition in diesem Hause niemanden, der diese notwendigen Strukturreformen nicht schon längst bei der Regierung eingeklagt hätte. Ich frage mich nur: Warum sind Sie die nicht schon längst angegangen? Unser großes Problem ist doch nicht, Herr Kollege Schäuble, daß wir darüber diskutieren müssen: Brauchen wir eine große Steuerreform, ja oder nein? Wir bräuchten sie unseres Erachtens schon längst.
Unserer Meinung nach geht es aber nicht - da müssen Sie sich an den konkreten Taten messen lassen -, daß Sie hier gemeinsam mit der F.D.P. permanent verkünden: Steuerpolitisch brauchen wir eine entsprechende Absenkung des Staatsanteils. In Wirklichkeit betreiben Sie mit Steuerpolitik jedoch eine Gesellschaftspolitik, die letztendlich nur zu einem weiteren Auseinanderklaffen der Einkommensschere führt und nicht einen Arbeitsplatz mehr bringt.
Kollege Schäuble, mich würde dazu eine konkrete Antwort interessieren und nicht nur der Hinweis: Das kommt nicht innerhalb eines Jahres. - Das, was Sie an Wachstumsvorteilen darstellen, ist übrigens nicht das Ergebnis von Politik, ich meine, von Politik insgesamt; sondern es ist das Ergebnis der Restrukturierung der deutschen Volkswirtschaft, vor allen Dingen der großen Unternehmen, die mittlerweile erfolgreich abgeschlossen ist. Das ist die gute Bot-
Joseph Fischer
schaft. Die schlechte Botschaft ist, daß diese Restrukturierung massiv zu Lasten der Beschäftigung ging und geht.
Es ist hier mittlerweile zur Lachnummer von Liberalen und Konservativen geworden, daß auf die Massenkaufkraft hingewiesen wird. Da kann ich Ihnen nur sagen: Was machen Sie denn mit Ihrer Senkung des Solidaritätszuschlages anderes? Ist das etwa eine Stärkung von Investitionskraft? Oder ist es der Versuch der Stärkung von Massenkaufkraft?
Wir sind mit dem Solidaritätszuschlag und mit höheren Steuern doch nicht verheiratet. Wir fragen uns nur, wie Sie die Absenkung des Solidaritätszuschlags gegenfinanzieren wollen. Darauf komme ich nachher noch zu sprechen. Das, was Sie hier vorgestellt haben, ist ziemlich abenteuerlich und das Gegenteil von Strukturreformen.
Meine Damen und Herren, wir sind für eine große Steuerreform, die Steuervereinfachung, Steuergerechtigkeit und Steuertransparenz zum Ziel hat. Sie wäre mit uns machbar gewesen. Wir wenden uns auch nicht gegen eine entsprechende Reform der Einkommensteuertarife.
- Das haben wir immer gesagt. Da bedarf es keines Zwischenrufs von Dr. Kiwi, wirklich nicht. Das ist nicht nötig.
Was wir nicht mitmachen - und das ist der entscheidende Punkt -, ist eine unseriöse Entlastungspolitik, die nicht klar vorgibt, wie die neu aufgerissenen Löcher durch eine Gegenfinanzierung geschlossen werden sollen.
Ich will Ihnen sagen, was mit uns gegangen wäre und geht. Mit uns ist ein neuer Einkommensteuertarif möglich, wenn er mit dem Schließen von Steuerschlupflöchern und mit dem Abbau von Steuerumgehungstatbeständen gegenfinanziert wird.
Ich sehe in der Tat keinen Sinn darin, daß wir nominal hohe Spitzensteuersätze haben, die real tendenziell gegen null gehen. Das gilt für entsprechend angelegtes Vermögen, vor allen Dingen im Immobilienbereich. Darin sehe ich wenig Sinn.
Wogegen wir uns energisch wenden, ist, daß es zu einer realen Nettoentlastung der Spitzeneinkommen kommt. Wir sagen hier klipp und klar: Wir wollen keine reale Entlastung. Wir sind für ein nominales Absenken. Mit uns ist eine solche Umverteilungspolitik, wie Sie betreiben, nicht machbar.
Ein weiterer Punkt. Nach unseren Vorstellungen bekommen Sie und ich nicht mehr Geld. Das ist der Unterschied zwischen uns.
Das ist nun mal so. Damit werden wir vor die Wählerinnen und Wähler treten. Wir finden, wir können dies gut begründen, weil wir beide - Sie als Abgeordneter, ich als Abgeordneter, Sie als Unternehmer in letzter Zeit -, was unsere Einkommen betrifft, nicht was die betrieblichen Steuern betrifft, unter dieser Regierung genug bekommen haben. Die Probleme liegen in diesem Lande weiß Gott nicht bei uns, sondern weiter unten.
Wir sind für Steuergerechtigkeit. Wir sind für Steuervereinfachung. All dies wäre zu machen gewesen. Wir sind auch für eine Unternehmensteuerreform. Wir sind selbstverständlich für all das, was Arbeitsplätze schafft. Aber man muß dann doch auch sagen: Wir liegen vor allen Dingen bei den Lohnnebenkosten weit, weit über dem Durchschnitt, vor allen Dingen seit 1990, als die Lohnnebenkosten explodiert sind. Schauen Sie sich die jüngsten Veröffentlichungen dazu, zum Beispiel in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung", an: über die Arbeitslosenversicherung, wie die Belastungen im Ost-West-Verhältnis tatsächlich aussehen.
Damit ich hier nicht mißverstanden werde: Wir müssen den Aufbau Ost weiter solidarisch finanzieren - aus moralischen Gründen, aber auch aus ganz ökonomischen Gründen; denn jedes Verzögern dort wird meines Erachtens zu wesentlich mehr Kosten führen und den Zusammenhalt dieses Landes gefährden. Das sage ich, damit hier überhaupt kein Irrtum aufkommt.
Aber gerade vor diesem Hintergrund ist das, was Sie an Steuersenkungspolitik betreiben, verantwortungslos. Aus diesem Grunde ist das, was Sie an Steuersenkungspolitik betreiben, meines Erachtens kurzsichtig und wird die Zukunftschancen dieses Landes gefährden.
Wir sind für Steuervereinfachungen und Steuertransparenz. Das heißt, für uns wäre eine Politik des Schließens von Steuerschlupflöchern möglich gewesen. Wir sind aber noch mehr für ein Senken der hohen Bruttoarbeitskosten in diesem Lande.
Da kam der Kollege Schäuble, der, wie ich jetzt festgestellt habe, immerhin bei Wilhelm Meisters Lehrjahren angekommen ist, und hat jüngst etwas Vernünftiges gesagt.
Joseph Fischer
Er hat sogar etwas sehr Vernünftiges gesagt.
Ich habe das sogar im Fernsehen gesehen. Die Begründung war noch vernünftiger, Kollege Schäuble. Bei uns wäre sie mehrheitsfähig, in Ihrem Laden allerdings nicht. Das ist das große Problem.
Ich nehme es zurück: In der CDU ist das mehrheitsfähig, bei der CSU schon nicht mehr, und die F.D.P. kriegt die Krätze, wenn sie diesen Vorschlag umsetzen soll.