Rede von
Ulla
Jelpke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir freuen uns, daß die Schweizerinnen und Schweizer dem rechtspopulistischen Volksbegehren „Jugend ohne Drogen" eine deutliche Abfuhr erteilt haben, dies nicht zuletzt, weil dieser Volksentscheid maßgeblich vom Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis, VPM, lanciert worden ist. Bekanntlich bewegen sich in dieser Psychosekte nicht nur bekannte Rechtsextremisten, sondern auch der Kollege Heinrich Lummer oder beispielsweise Hans Filbinger.
Zurück zum Volksbegehren. Dessen Erfolg ist meines Erachtens auch der Sieg einer nüchternen, auf Fakten beruhenden Debatte, also ganz das Gegenteil des gebetsmühlenartigen Wiederholens ideologischer Phrasen, wie wir sie heute wieder von Herrn Sauer und von der Bundesregierung hören konnten und wie wir sie hier schon gewohnt sind.
Die Schweizer Bevölkerung hat sich zuallererst deswegen mit einer so deutlichen Mehrheit für die Fortsetzung der vergleichsweise liberalen Drogenpolitik entschieden, weil diese schlichtweg erfolgreich ist. In den Jahren 1994 bis 1996 wurden in 15 Schweizer Städten Heroin, Methadon und Morphin an 1 246 Schwerstabhängige ärztlich kontrolliert verabreicht. Begleitet wurde diese Behandlung von einer dauerhaften medizinischen Kontrolle und von einem anspruchsvollen therapeutischen Programm. Als Folge dessen hat sich nicht nur die gesundheitliche Situation der Betroffenen deutlich verbessert; auch sank beispielsweise die Arbeitslosigkeit von 44 auf 20 Prozent, und die Beschaffungskriminalität hat, wie wir heute schon gehört haben, deutlich nachgelassen. Diese Fakten werden von den christdemokratischen Kritikern des Modells nicht bestritten. Wie sollte das auch geschehen? Es steht ja in der Untersuchung.
Auf einige der Argumente der Kollegen Sauer und Lintner, die dieser schon vorab veröffentlicht hat, möchte ich an dieser Stelle eingehen.
Erstens sagen auch Sie, die Beschaffungskriminalität der Therapiepatienten habe sich reduziert.
So weit, so gut. Drogenhändler würden aber nun massiv versuchen - so Ihre Argumentation -, ihre verlorengegangenen Kunden durch Neukonsumenten zu ersetzen.
Diese würden insgesamt betrachtet zu einem Anstieg
der Beschaffungskriminalität führen. Nun, dies erscheint mir aber gerade ein Argument für die Aus-
Ulla Jelpke
weitung dieses Projekts und nicht für dessen Beendigung zu sein.
Zweitens sagen Sie, nur 10 Prozent der Therapiepatienten seien vom Heroin losgekommen. Dann, bitte schön, Herr Lintner oder Herr Sauer, gestehen Sie doch ein, daß die Rückfallquote bei Ihrem auf totale Abstinenz setzenden Programm bei 85 bis 90 Prozent liegt.
Dieser Fakt führt bei Ihnen aber nicht dazu, daß Sie ein Ende Ihrer bornierten Politik einleiten, sondern, ganz im Gegenteil, die repressive Drogenpolitik fortsetzen.
Drittens kritisieren Sie, daß sich das Schweizer Modell angeblich von seinem Ziel der Drogenfreiheit verabschiedet habe. Herr Sauer und Herr Lintner - ich frage Sie als Bayern; mein Kollege Schlauch hat es hier schon erwähnt -: In welcher Welt leben wir eigentlich, wenn bei Ihrem Oktoberfest, das nur 16 Tage dauert, bisher 220 schwere Alkoholvergiftungen zu verzeichnen sind?
Es gibt meines Erachtens eine Mehrheit in diesem Hause - da bin ich Frau Leutheusser-Schnarrenberger für ihren Beitrag sehr dankbar - für eine andere Drogenpolitik, vor allen Dingen für eine Drogenpolitik, die die Konservativen blockieren könnte, die für die Abhängigen ist.
Ich sage Ihnen noch einmal von der Bundesregierung: Ihre Politik führt tatsächlich dazu, daß sich die Drogenhändler in diesem Land freuen. Heben Sie den Fraktionszwang auf! Dann können wir endlich das, was jetzt seit Jahren gefordert wird, umsetzen, nämlich Drogenabhängigen helfen.
Danke.