Rede von
Dr.
Barbara
Höll
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Danke, Herr Präsident. - Bei einem zu versteuernden Einkommen von 150 000 DM macht Ihr Vorschlag der zweiprozentigen Absenkung allerdings eine wirkliche Entlastung von 1070 DM bei 4010 DM bisherigem Soli-Zuschlag aus.
Stichwort Lohnnebenkosten: Sie lassen beiseite, daß es zahlreiche Leistungen der sozialen Sicherungssysteme gibt, die tatsächlich versicherungsfremde Leistungen sind und eigentlich von der Allgemeinheit, den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in ihrer Gesamtheit, und nicht nur von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufzubringen wären. Wenn Sie hier eine Diskussion über die Lohnnebenkosten beginnen und dieses beiseite lassen, bleibt nur die Feststellung, daß es Ihnen gar nicht darum geht, die Lohnnebenkosten zu senken, sondern darum, die unternehmerischen Lohnkosten zu senken, um nicht mehr und nicht weniger.
Dr. Barbara Höll
Obwohl die Lohnstückkosten in der Bundesrepublik seit Jahren wesentlich langsamer steigen als die in den wichtigsten Konkurrenzländern und die Lohnsteigerungen in den vergangenen Jahren weit hinter dem Produktivitätszuwachs geblieben sind, wollen Sie ausschließlich die Lohnsumme drücken, um einen noch höheren Exportüberschuß zu erwirtschaften. Das ist das einzige Ziel Ihrer Maßnahmen.
In dem Grimmschen Märchen, das ich als Aufhänger meiner Rede genommen habe, gibt es noch eine dritte Gabe: Knüppel aus dem Sack. Bei den Gebrüdern Grimm war allerdings der Bruder, der diese dritte Gabe bekam, mit Vernunft gesegnet und konnte mit dieser Gabe umgehen. Herr Waigel kann es nicht,
zumindest nicht zum Wohle für die Mehrheit der Bevölkerung, nicht zum Wohle der Menschen, die arbeiten oder gern arbeiten wollen und Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe beziehen, auch nicht zum Wohle der Kinder und Jugendlichen, die sich noch nicht einmal wehren können, und der Seniorinnen und Senioren. Sie haben nichts, aber rein gar nichts von der Senkung des Soli-Zuschlages.
Sie werden aber durch eine Maßnahme getroffen, die Herr Waigel eben in einem Nebensatz erwähnte: die einprozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das ist genau der Punkt, zu dem die SPD einen gleichlautenden Vorschlag unterbreitet hat. Wir sind strikt dagegen. Ich muß in Erinnerung rufen, daß Verbrauchsteuern schon erhöht wurden: 1991 wurde die Mineralölsteuer und 1991 sowie 1993 die Versicherungssteuer erhöht; auch die Tabak- und die Mehrwertsteuer wurden bereits erhöht. Nach der Erhöhung all dieser Verbrauchsteuern, die die Allgemeinheit getroffen hat, nun die nächste Erhöhung.
Das heißt, jedes Paar Kinderschuhe wird teurer. Es verhält sich, Herr Waigel, nicht so, daß das die Bezieher niedriger Einkommen nicht treffen würde. Jede neue Brille wird teurer. Seniorinnen und Senioren, aufgepaßt! Herr Waigel tritt Herrn Seehofer zur Seite, so daß auch die Medikamente wieder teurer werden. Es handelt sich um eine wirkliche soziale Katastrophe, die Sie mit Ihrer Gesamtpolitik heraufbeschwören.
Vor genau einem Jahr legte die Koalition ein 50Punkte-Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung vor. Die Veränderung der Ladenöffnungszeiten, die Aufweichung der Kündigungsschutzregelungen, die Abschaffung des Schlechtwettergeldes und die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle wurden im Namen von Wachstum und Beschäftigung durchgeboxt. Ein Wachstum der Unternehmergewinne und minus 500 000 Arbeitsplätze sind das Ergebnis Ihres Programms!
Als Partei des Demokratischen Sozialismus lehnen wir das, was Sie hier vorlegen und in der nächsten
Woche hier durchzuboxen versuchen, kategorisch ab. Ihre Senkung des Soli-Zuschlages ist genau die falsche Maßnahme und verstärkt die Spaltung dieser Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland in arm und reich.
Wir lehnen aber auch das Vermittlungsergebnis ab, weil wir in diesem Zusammenhang gegen eine Erhöhung der Mineralölsteuer und gegen die Mehrwertsteuererhöhung sind.
Wir haben ein eigenes Konzept zur Steuerpolitik vorgelegt. Wir haben ein Konzept zur Rentenpolitik vorgelegt, auf dessen Grundlage in Ruhe und mit Sachverstand und Vernunft Vorschläge erarbeitet werden können; Vorschläge, die eine tatsächlich neue Perspektive eröffnen. Das ist die Perspektive nicht in Richtung einer von Herrn Solms gewollten Amerikanisierung der Verhältnisse und eines weiteren Sozialabbaus - nein -, sondern in Richtung einer solidarischen Gesellschaft.
Es kann auch in dieser Republik, in der soviel Geld vorhanden ist, ein Ausgleich geschaffen werden. Bei einer veränderten Politik besteht die Möglichkeit, daß dem Grundgesetz wieder Genüge getan wird. Eigentum verpflichtet immer noch. Diesen Grundsatz haben Sie ja bisher noch nicht abgeschafft.
Aus diesem Grunde werden wir Ihren Entwurf heute ablehnen und in der nächsten Woche hier entsprechend auftreten.
Ich danke Ihnen.