Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen mehr Unternehmer in Deutschland, nicht nur Übernehmer.
Während in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft echte Unternehmerpersönlichkeiten rar geworden sind, blüht das Geschäft der Unternehmensaufkäufer. Immer häufiger wird Unternehmenswachstum durch bloße Zukäufe, durch Finanzdispositionen und Unternehmensakquisitionen erzielt statt durch die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren oder die Erschließung neuer Absatzmärkte.
Seit 1986 hat sich die Zahl der Unternehmensübernahmen mit deutscher Beteiligung nahezu verdoppelt - ein Höchststand von 1773 Fällen im letzten Jahr, der lediglich im vereinigungsbedingten Rekordjahr 1991 übertroffen wurde. Bei drei Vierteln
Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Sohns Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Wolfgang Bierstedt
Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Dagmar Enkelmann
Hans Martin Bury
dieser Transaktionen waren deutsche Unternehmen die Käufer. Für 1997 rechnen alle Experten mit einem weiteren Anstieg der Übernahmeaktivitäten, da sich der Konzentrationsprozeß in Europa eher noch beschleunigt.
Obwohl der Markt für Unternehmensübernahmen boomt, gibt es in Deutschland - im Gegensatz zu anderen, zu führenden Finanzmärkten - noch immer keine verbindliche gesetzliche Regelung für solche Übernahmen. Das ist eines der vielen Defizite, die es in Deutschland dringend zu beheben gilt, damit es dem Finanzplatz Frankfurt nicht bald ebenso ergeht wie der Eintracht Frankfurt. Diese spielt bekanntlich in der zweiten Liga.
Der Wettbewerb mit den konkurrierenden Finanzplätzen nimmt vor dem Hintergrund der ökonomischen Integration Europas und der globalisierten Kapitalströme immer weiter zu. Doch dieselbe Bundesregierung, die sonst selbst bei der unpassendsten Gelegenheit auf den harten internationalen Wettbewerb und den daraus resultierenden Konkurrenzdruck verweist, sieht tatenlos zu, wie Deutschland im Bereich des Finanzmarktes zunehmend den Anschluß an internationale Standards verliert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor einem halben Jahr erschütterte der Übernahmeversuch der Thyssen AG durch Krupp-Hoesch die Republik. Aufgebrachte Stahlarbeiter marschierten nach Frankfurt und demonstrierten vor der dortigen Zentrale gegen die Rolle der Deutschen Bank, mit deren fachlicher und finanzieller Unterstützung der spektakuläre Übernahmecoup eingefädelt wurde.
- Daß Sie das nicht erschütterte, Herr Funke, wundert mich nicht mehr. Aber die Sorgen und die Wut der Stahlarbeiter sind für uns verständlich. Denn der Griff des Krupp-Vorstandes nach dem Duisburger Konkurrenten Thyssen war der bislang spektakulärste Versuch einer „feindlichen Übernahme" in Deutschland. „Kasino-Kapitalismus" schimpften die Gewerkschafter. Alfred Herrhausen, der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, hatte solche Praktiken in den 80er Jahren nicht weniger deutlich als „Wild-West-Methoden" gegeißelt, die es in Deutschland zu verhindern gelte.
In der Tat bieten die Erfahrungen aus den USA mit solchen „feindlichen Übernahmen" Anlaß zur Sorge. In den 80er Jahren boomte dort das Geschäft der Unternehmensaufkäufer. Treibende Kräfte waren sogenannte corporate raiders, Spekulanten, die Unternehmen aufkauften, filetierten und ausschlachteten. Mit den Übernahmen verfolgten sie einzig das Ziel, möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit zu verdienen. Auf der Strecke blieben dabei die Arbeitnehmer der Gesellschaften und die Kleinaktionäre.
Alle Experten sind sich einig, daß es auch in Deutschland künftig weitere Versuche feindlicher Unternehmensübernahmen geben wird. Das deutsche Konzernrecht bietet hier nur einen sehr eingeschränkten Schutz. Um so dringlicher wird die Schaffung einer verbindlichen Übernahmeregelung, die sicherstellt, daß bei Unternehmensübernahmen die Interessen aller Beteiligten - der Unternehmen, ihrer Arbeitnehmer und ihrer Aktionäre - gewahrt werden.
Der sogenannte Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission, eine Art freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen, war gestern auf den Tag genau zwei Jahre alt - zwei Jahre auf Bewährung. Doch das Urteil lautet: Bewährung nicht bestanden. Niemand bezweifelt heute noch ernsthaft, daß sich dieser Kodex als Flop erwiesen hat. Seine inhaltlichen Schwächen sind die fehlende Rechtswirksamkeit der Empfehlung, die zahnlose Überwachungsstelle „Übernahmekommission", der Mangel an Sanktionsmöglichkeiten, die viel zu hohe Grenze von 50 Prozent der Stimmiechte der Zielgesellschaft, nach deren Überschreiten ein Pflichtangebot überhaupt erst notwendig wird, die viel zu lange Frist von insgesamt 21 Monaten zur Vorlage des Pflichtangebotes und die fehlende Wirksamkeit für ausländische Aufkäufer. Ich habe gar nicht so viele Finger an einer Hand, wie dieser Kodex Mängel hat.
Neben diesen Mängeln krankt der Kodex vor allem an der mangelnden Akzeptanz bei Deutschlands Aktiengesellschaften. Es mehren sich in der Zwischenzeit auch bei den Marktteilnehmern - bei Investmentfonds, in Bankenkreisen und an den Börsen - Forderungen, den unzureichenden Kodex durch eine verbindliche gesetzliche Regelung zu ersetzen.
Die Einsicht in die mangelnde Tauglichkeit ihres freiwilligen Übernahmekodex hatte zwischenzeitlich sogar die Börsensachverständigenkommission erfaßt. Bereits im Juli letzten Jahres hatte ihr Vorsitzender erklärt, die Kommission werde für den Fall, daß die Zustimmung zum Übernahmekodex weiterhin so gering bleiben sollte, die Verabschiedung eines Übernahmegesetzes empfehlen. Damals hatten 250 der 660 börsennotierten Gesellschaften den Übernahmekodex anerkannt. Heute sind es 274 von 680 Gesellschaften.
Selbst von den Vorzeigeunternehmen unter Deutschlands Aktiengesellschaften, den 30 DAXWerten, hat jede fünfte die Unterschrift unter den Kodex verweigert. Unter den Verweigerern befinden sich klangvolle Namen wie die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank - diese wird nun selbst übernommen -, BMW, Hoechst, Metro, RWE, VIAG und Volkswagen. Nimmt man die 100 größten börsennotierten Gesellschaften, sieht das Bild noch verheerender aus. Hier haben noch nicht einmal zwei Drittel der Unternehmen den Kodex anerkannt.
Am 22. August dieses Jahres schrieb das „Handelsblatt" - ich zitiere -:
Die weltweit üblichen Take-over-Standards -
Transparenz, Gleichbehandlung aller Aktionäre
und kalkulierbare Verhaltensregeln der Beteilig-
Hans Martin Bury
ten - sollten schon deshalb nicht verordnet werden, weil dies ein Armutszeugnis für die deutsche Wirtschaft wäre.
Meine Damen und Herren, das Armutszeugnis hat der deutschen Wirtschaft inzwischen jedoch der Vorstandsvorsitzende der Metallgesellschaft ausgestellt. Ende letzten Jahres hatte der Vorstand der Gesellschaft die zuvor ausgesprochene Anerkennung des Übernahmekodex widerrufen, weil die Metallgesellschaft, wie sich wenig später herausstellte, die Übernahme eines anderen Unternehmens plante.
In der Hauptversammlung der Metallgesellschaft am 28. März dieses Jahres demontierte ihr Vorstandsvorsitzender Neukirchen den Übernahmekodex endgültig. Er erklärte, das Unternehmen werde bei künftigen Akquisitionen von Fall zu Fall entscheiden, ob es den Kodex anerkenne oder nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei Unternehmensübernahmen geht es um viel: um die Zukunft von Unternehmen und Arbeitsplätzen und um viel Geld. Deshalb sind Schönwetterbekenntnisse oder freiwillige Verpflichtungen, die nach Belieben wieder aufgekündigt werden, vollkommen unzureichend.
Für ihren entlarvenden Schritt schulde der Finanzplatz Deutschland der Metallgesellschaft einen „besonderen Dank", schrieb damals die „Börsen-Zeitung". Dort heißt es weiter:
Denn klarer als durch diese gelassene Rücktrittserklärung der Metallgesellschaft konnte man es kaum machen, daß freiwillige Selbstverpflichtungen auch über Bord geworfen werden können und im Zweifelsfall wenig wert sind, wenn es - wie bei Übernahmen üblich - um hohe Summen geht.
„Übernahmekodex braucht Gesetz", kommentierte die „Börsen-Zeitung" am 7. März 1997
und schrieb:
Der Übernahmekodex auf Freiwilligkeit hat sich nicht bewährt. Es ist Zeit, das zu konstatieren. Und es ist Zeit, daß Bonn ein Gesetz entwirft, wie in Deutschland öffentliche Übernahmen zu erfolgen haben.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz liegt dem Deutschen Bundestag heute zur ersten Lesung vor. Der von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte Entwurf eines Übernahmegesetzes sieht die Schaffung einer gesetzlichen Übernahmeregelung im Wertpapierhandelsgesetz vor. Damit wird ein an internationalen Standards orientierter gesetzlicher Rahmen geschaffen, der Rechtssicherheit für die Unternehmen, ihre Arbeitnehmer und Aktionäre sowie potentielle
Investoren schafft. Der Finanzmarkt Deutschland wird auch in diesem Bereich an internationale Standards herangeführt. Das stärkt seine Wettbewerbsfähigkeit und ist ein entscheidender Beitrag zur Verbesserung der Aktienkultur in Deutschland.
Ausländische Investoren bemängeln seit langem, daß der deutsche Finanzmarkt keinen ausreichenden Schutz bei Unternehmensübernahmen bietet, und investieren lieber in anderen Märkten, in denen der Schutz von Minderheitsaktionären gewährleistet ist. Denn entwickelte Finanzmärkte wie die USA, Frankreich oder Großbritannien, aber auch Länder wie Spanien oder Portugal verfügen längst über verbindliche Regelungen für solche Transaktionen.
Darüber hinaus regelt der Entwurf Transparenzanforderungen und Verhaltensmaßregeln für die bietende und die Ziel-Gesellschaft. Als Aufsichtsorgan über Unternehmensübernahmen soll die „Übernahmekommission" fungieren. Damit werden die bereits im Rahmen des Übernahmekodex geschaffenen Strukturen aufgenommen, aber zugleich auf eine saubere gesetzliche Grundlage gestellt und mit wirksamen Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem Scheitern der Krupp-Thyssen-Übernahme klagte der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Herr Breuer, in Deutschland fehle es an einer „Übernahmekultur". Der gescheiterte Übernehmer, Krupp-Chef Cromme, forderte gar, in Deutschland müßten verkrustete Strukturen aufgebrochen werden, damit „feindliche Übernahmen" künftig geräuschlos und unproblematisch über die Bühne gehen könnten.
Die Strukturen, die in Deutschland aufgebrochen werden müssen, sind die Verflechtungen der Deutschland AG, die sich gerade im Übernahmeversuch Krupp-Thyssen einmal mehr manifestierten. Das „Handelsblatt" kommentierte zutreffend:
Daß ein Mitglied des Vorstands der Bank, Ulrich Cartellieri, im Aufsichtsrat der Thyssen AG sitzt, die von Krupp-Hoesch übernommen werden sollte, ist Teil des verfilzten Systems der Unternehmensführungen. Es ist charakterisiert durch Kreuz- und Querverflechtungen zwischen Banken, Versicherungen und Konzernen. Das Beispiel Cartellieri illustriert die Ämterhäufung und die Einflußmöglichkeiten von Vorstandsmitgliedern deutscher Großbanken.
Zur Entwicklung einer echten Finanzmarktkultur in Deutschland, in deren Rahmen dann auch Unternehmensübernahmen möglich sein müssen, ist es notwendig, die bestehenden Machtkonzentrationen bei den Banken und Versicherungen und die daraus resultierenden Interessenkonflikte endlich abzubauen. Für Unternehmensübernahmen bedeutet dies eine klare Trennung zwischen den Interessen der Banken und den Interessen der betroffenen Unternehmen; denn der Fall Krupp-Thyssen zeigte exemplarisch, daß Unternehmensübernahmen in Deutschland so lange ordnungspolitisch problematisch sein werden, wie die Einflußkumulation bei Deutschlands Großbanken nicht wirksam beseitigt ist.
Hans Martin Bury
Es ist absolut inakzeptabel, daß eine Bank sowohl die übernehmende Gesellschaft als auch die Zielgesellschaft berät, zugleich das Übernahmeangebot finanziert und zudem ein Vorstandsmitglied derselben Bank im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft vertreten ist.
Vollkommen zu Recht ist die Rolle der Deutschen Bank beim Krupp-Thyssen-Fall wegen dieser Interessenkollision scharf kritisiert worden. Es kann nicht angehen, daß eine Bank eine feindliche Übernahme einfädelt, um sich mit der Finanzierung eine goldene Nase zu verdienen, und die Arbeitnehmer den Deal mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze bezahlen.
Zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland gehört daher als zentraler Ansatz die Umsetzung der Maßnahmen zur Beschränkung der Macht der Banken. Die entsprechenden Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion liegen dem Deutschen Bundestag seit langem vor. Die abschließende Beratung unseres Gesetzentwurfes wurde von der Regierungskoalition jedoch bewußt verschleppt. In den letzten Tagen, Herr Funke, konnte man einmal mehr davon lesen, daß die Koalition ihren Gegenentwurf zu unserem Transparenz- und Wettbewerbsgesetz, das sogenannte KonTra-Gesetz, jetzt doch noch im Kabinett beraten und danach in den Bundestag einbringen will. Derartige Ankündigungen haben wir in dieser Legislaturperiode bereits mehrfach gehört. Herausgekommen ist bislang nichts. Ohnehin ist der vor knapp einem Jahr der Öffentlichkeit präsentierte „KonTra-Gesetzentwurf" - der so heißt, wie er ist, nämlich kontraproduktiv - des Bundesministeriums der Justiz mehr eine Scheinreform getreu dem Motto: Es muß etwas geschehen, aber es darf nichts passieren.
Meine Damen und Herren, es muß etwas passieren in Deutschland! Wir haben die Chance, den Entwurf eines Übernahmegesetzes mit dem 3. Finanzmarktförderungsgesetz zu verabschieden. Nehmen Sie das Angebot an! Damit wäre dem Finanzplatz Deutschland, wäre den Arbeitnehmern und Aktionären gleichermaßen gedient.
Für neue Dynamik am Stillstandort Deutschland brauchen wir jedoch mehr als ein Übernahmegesetz. Der nächste Schritt ist die Übernahme der Bundesregierung.