Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube schon, daß es einen Tag vor den Feiern zum siebten Jahrestag der deutschen Einheit angebracht wäre, Rechenschaft darüber abzulegen, was in diesen sieben Jahren erreicht wurde, und über das, was in diesen sieben Jahren nicht erreicht wurde.
Sie könnten ja die Gelegenheit nutzen, um alle positiven Ergebnisse darzustellen. Sie müssen Gründe dafür haben, daß Sie dazu nicht bereit sind. Wahrscheinlich sind Sie es deswegen nicht, weil die positiven Ergebnisse nicht so zahlreich sind, daß Sie hier länger darüber reden könnten. Ich glaube also, daß eine Regierungserklärung wichtig ist und daß sie heute, einen Tag vor den Feiern, stattfinden muß und nicht eine Woche nach den Feiern, weil dann die unmittelbare Aktualität nicht mehr gegeben ist.
Aber selbst wenn die Regierungserklärung zu einem anderen Zeitpunkt abgegeben wird, wie es SPD und Bündnis 90/Die Grünen beantragen, geht es nicht an, daß zu einem so wichtigen Thema der Bundeswirtschaftsminister spricht; vielmehr muß dann der Bundeskanzler sprechen; denn es war der Bundeskanzler - und nicht Herr Rexrodt -, der 1990 gegenüber den neuen Bundesländern Versprechungen abgegeben hat. Er soll deshalb auch erzählen, was aus diesen Versprechungen geworden ist, und sich nicht aus seiner Verantwortung stehlen.
Wir haben darüber hinaus beantragt, die Tagesordnung um einen Antrag zur Vertrauensfrage zu erweitern, nämlich zur Vertrauensfrage des Bundeskanzlers an das Parlament - und das natürlich in der Erwartung, daß wir darüber so diskutieren, daß der Weg zu Neuwahlen eröffnet wird.
Nun steht ja die PDS mit ihrer Forderung nach Neuwahlen nicht allein; vielmehr hat der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine am Wochenende die gleiche Forderung gestellt; Kerstin Müller von Bündnis 90/ Die Grünen hat diese Forderung ebenfalls schon erhoben; auch aus verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen ist diese Forderung erhoben worden. Ich würde mich sehr wundern, wenn es hier nicht zumindest eine beachtliche Stimmenzahl dafür gäbe, diesen Tagesordnungspunkt zu behandeln. Wer dagegen ist, spricht dem Kanzler im Grunde genommen das Vertrauen aus und will gar nicht, daß Neuwahlen stattfinden.
Dr. Gregor Gysi
Wir haben es gegenwärtig mit einer gesellschaftlichen Blockade zu tun, und diese Blockade wird von allen - wenn auch mit unterschiedlichen Schuldzuweisungen - bestätigt. Die Regierungskoalition sagt, Bundesrat und SPD blockieren. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS weisen immer wieder darauf hin, daß es Blockaden innerhalb der Regierungskoalition selbst gibt. Die Kirchen beklagen Blockade. Die Gewerkschaften beklagen Blockade, aber auch die Unternehmerverbände und die Arbeitgeberverbände. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, daß es so nicht weitergeht, daß wir einen Neuanfang brauchen.
Ich finde, niemand hat das Recht, einer Bevölkerung mitzuteilen, daß ein Jahr lang nichts passieren wird, daß ein Jahr lang eine gesellschaftliche Blokkade aufrechterhalten bleibt.
Hier stehen wir in einer großen Verantwortung, weil die Folge davon nicht nur Politikverdrossenheit sein wird, sondern auch Demokratieverdrossenheit. Den Neuanfang, von dem ich sprach, können wir zum Beispiel dadurch befördern, daß wir den Mut zu Neuwahlen haben. Der einzige verfassungsrechtliche Weg, der dahin führt, ist der über die Vertrauensfrage. Deshalb sollte man nicht öffentlich Neuwahlen fordern und sich dann weigern, diesen verfassungsrechtlichen Weg zu gehen.
Was spricht denn eigentlich dagegen? Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind alle zu zerstreuen; denn wenn eine Vertrauensfrage nicht erfolgreich ausgeht, kann kein Gericht prüfen, was die Abgeordneten im einzelnen dazu bewogen hat, kein Vertrauen auszusprechen. Das ergibt sich auch aus dem damaligen Urteil.
Nein, es geht um anderes. Es geht um taktische Überlegungen. Ich verstehe ja, daß die F.D.P. die Sache mit dem Solidaritätszuschlag und vielleicht auch noch die Rentenreform unbedingt geregelt haben will. Sie verstehen, daß ich dagegen bin.
- Moment! Das ist nicht einmal ein Hinderungsgrund; denn die Fristen für Neuwahlen nach dem Stellen einer Vertrauensfrage sind nach dem Grundgesetz so, daß Sie, wenn Sie denn unbedingt wollen, über beides im Bundestag abstimmen lassen könnten. Das muß Sie nicht hindern.
Außerdem sind Sie überzeugt davon, danach wieder die Mehrheit zu haben. Das heißt, Sie können es ohnehin tun, wenn Sie glauben, diese Mehrheit zu bekommen.
Nein, ich glaube, es gibt nur die rein machttaktische Überlegung des Kanzlers, die dagegen spricht. Das bestätigt das, was Richard von Weizsäcker über ihn gesagt hat. Diese Überlegung lautet: Er will die Niedersachsenwahl abwarten, um einen bestimmten Kanzlerkandidaten vorher noch demontiert zu bekommen, und hofft, dann größere Chancen zu haben.
Aber eine solche rein taktische Überlegung - ob sie aufgeht oder nicht - darf nicht zu einer Blockade von Politik führen. Deshalb muß dieser Tagesordnungspunkt heute aufgesetzt werden. Wir müssen endlich anfangen, darüber nachzudenken, wie wir - verfassungsrechtlich korrekt - den Weg für Neuwahlen eröffnen.