Rede von
Johannes
Singer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Halsstarrig, störrisch und uneinsichtig halten Sie an einer Politik fest - damit meine ich nur noch die CDU -, deren Unrichtigkeit durch die monatlich und täglich auf uns einströmenden Zahlen zum Bereich der Drogenpolitik mehr als deutlich wird.
Mich hat gefreut, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, daß ich von Ihnen heute eine völlig andere Rede gehört habe als noch von Herrn Lanfermann am 18. Mai 1995. Seine Rede damals klang wie die von Herrn Hüppe und Herrn Sauer. Er hat nur das vorgetragen, was wir uns hier bis zum Erbrechen anhören müssen, was aber durch die Realität vielfach widerlegt worden ist.
Mich ärgert ein bißchen, daß Herr Sauer und Herr Hüppe jetzt weg sind; denn mit deren Beiträgen wollte ich mich intensiv beschäftigen. Eigentlich müßte Ihnen allen klargeworden sein, daß die CDU im Bundestag in bezug auf die Drogenpolitik in
Johannes Singer
Deutschland mittlerweile völlig isoliert dasteht. Frau Philipp, Sie sind mutterseelenallein.
Das weise ich Ihnen nach: In puncto „kontrollierte Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige" sind nicht nur alle anderen Parteien, die hier im Bundestag vertreten sind, anderer Auffassung als Sie. Wir haben auch die Zustimmung der beiden zentralen Verbände, die sich in Deutschland mit der Drogenpolitik befassen. Das sind der Fachverband Drogen und Rauschmittel, der die Praktiker in der Drogenberatung vereinigt, und die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren, ein immerhin der Regierung nicht allzu fern stehendes Institut.
Mich überrascht doch ein wenig, mit welcher Nonchalance Herr Sauer ein renommiertes Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich, einer der anerkanntesten Universitäten Europas, heruntermacht, sein Gutachten als unwissenschaftlich abqualifiziert und so tut, als sei es ein Gefälligkeitsgutachten, dessen Forschungsergebnisse bei Erteilung des Auftrages schon festgestanden hätten.
Wenn Sie sich mit diesem Gutachten und auch mit dem Abschlußbericht seriös befassen würden, Frau Philipp,
dann würden Sie feststellen, daß eben gerade nicht jeder, der da will - das ist in Schweden ursprünglich falsch gemacht worden -, zum Arzt laufen und sich das Rezept besorgen kann.
Vielmehr wird es eine genaue Einzelfallprüfung geben. Man schaut sich sehr genau an, ob jemand therapiefähig und therapiewillig ist. Es geht ja nicht nur um die Therapiefähigen, sondern auch um die Frage der Therapiewilligkeit. Es geht um diejenigen, die man nicht mehr mit herkömmlichen Programmen wie dem Methadon-Programm erreichen kann. Das haben uns die Polizeipräsidenten, zu denen eine ganze Reihe von CDU-Leuten gehören, eindrucksvoll im Januar in der „Spiegel"-Umfrage bestätigt.
- Auch bei dieser Volksabstimmung standen mit Sicherheit im Hintergrund ordnungspolitische Motive; gar keine Frage. Das bestreiten wir ja gar nicht. Deswegen hat die Volksabstimmung in der so konservativen Schweiz dieses Ergebnis gehabt, das Ihnen so wenig schmeckt.
Wenn Sie nun Umfragen zitieren, so muß ich sagen: Allensbach gehört für mich nun wirklich nicht mehr zu den allerseriösesten Instituten. Ziehen Sie doch einmal die Umfrage heran, die im Januar unmittelbar nach der „Pro und Contra"-Sendung gemacht worden ist, bei der es um den Hamburger Antrag auf kontrollierte Heroinabgabe ging. Auch in der konservativen Landeshauptstadt Stuttgart, Herr Schlauch, hat sich in dieser Sendung des Süddeutschen Rundfunks eine klare Mehrheit dafür ausgesprochen. Das geschah nicht etwa auf Grund der Sachverständigenaussagen in der Sendung. Vielmehr hat sich eine klare Mehrheit vor der Sendung wie auch nach der Sendung für die kontrollierte Heroinabgabe ausgesprochen. Von daher wäre ich in dieser Beziehung sehr vorsichtig.
Aber wir sollten Politik weiß Gott nicht allein auf Grund von Umfrageergebnissen, sondern unter Zugrundelegung von sachlichen Überlegungen machen. Sie können nicht leugnen, daß es durch das Schweizer Versuchsprojekt zu einer Zurückdrängung der Beschaffungskriminalität gekommen ist, und Sie können ebenfalls nicht leugnen - das hat Frau Knoche gesagt -: An einer kontrollierten Heroinabgabe allein ist noch keiner gestorben. Daß natürlich derjenige, der zusätzlich weitere Drogen konsumiert, in Gefahr ist, das wissen auch wir.
- Auch wir wissen, daß das in vielen Fällen üblich ist. Aber das besagt ja nicht, daß die Sache falsch ist.
Jeder, den man dazu bewegen kann, daß er zunächst einmal nur dieses Heroin nimmt, ist gesundheitlich besser dran und weniger gefährdet, einen frühen Drogentod zu sterben, als die 1600 Personen, die Sie jährlich ihrem Schicksal überlassen.
Ihnen macht es überhaupt nichts aus, sich gegen eine Herabsetzung der Promillegrenze zu sperren; Sie weigern sich, ein deutliches Zeichen dafür zu setzen, daß Sie auch bei den legalen Drogen neue Wege beschreiten wollen. Ich könnte auch die Einschränkung der Zigarettenwerbung am Nürburgring anführen. In bezug darauf hört man von CDU-Seite gar nichts; die legalen Drogen bleiben außen vor. Darüber wird das Mäntelchen der Nachsicht und des Schweigens gebreitet. Die ganze Präventionsarbeit erstreckt sich auf diesen Bereich nicht. Vielmehr wird innerhalb der Koalition gestritten, und man zankt sich darüber, ob man wenigstens ein solches MiniSchrittchen wie die Senkung der Promillegrenze von 0,8 auf 0,5 hinbekommen könnte. Da muß man auch noch ein gemeinsames Kampftrinken in den Ausschüssen veranstalten! Ich muß mich doch wundern, wozu sich Abgeordnete bereit finden können.
Johannes Singer
Ich sehe: Meine Redezeit ist längst abgelaufen. Ich danke für die Nachsicht des Herrn Präsidenten und Ihnen für das Zuhören.