Rede von
Angelika
Mertens
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Abstimmungsergebnis in der Schweiz hat zwei Tatsachen eindrucksvoll bestätigt: erstens eine klare Absage an die Initiative Jugend ohne Drogen, die ja bekanntermaßen - das hat Frau Jelpke schon gesagt - eng mit dem VPM verbunden ist, bei dem es sich ja um keine harmlose Truppe handelt, und zweitens eine klare Unterstützung für eine erfolgreiche Drogenpolitik, die auf den ersten Blick vielleicht etwas exotisch anmutet. Hinter dem Ungewöhnlichen steckt aber vor allem eine kühle Analyse des Machbaren: Weg von der Ideologie und hin zu einer Politik, die sich ganz ohne Umweg bei den Süchtigen, aber auch bei den anderen Betroffenen auswirkt.
Ich möchte meine Zeit nutzen, über diese anderen Betroffenen in den Stadtteilen zu sprechen. Ich spreche nicht nur als Abgeordnete, sondern auch als Bewohnerin eines Stadtteils - das scheint die CDU nicht besonders zu interessieren -, der massiv von der Drogenpolitik des Bundes betroffen ist. Ich wohne nämlich im Schanzenviertel und habe hautnah miterlebt, wie sich mein Stadtteil durch Drogenhandel und Drogenkonsum verändert hat.
- Das denke ich schon. Ich würde eher einmal vorschlagen: Kommen Sie einmal mit, dann können Sie das Ergebnis Ihrer Politik sehen.
Haupthandelsware ist Kokain; die Abnehmer sind vor allen Dingen Schwerstabhängige und Mehrfachabhängige. Es geht hier eindeutig um den Beikonsum. Ich war dabei, als sich die Bewohnerinnen und Bewohner in einem breit angelegten Aktionsbündnis mit dem Ziel, den Stadtteil zurückzuerobern, zusammengefunden haben. Ich habe miterlebt, wie die große Mehrheit der Bewohner ihren Zorn nicht an den Süchtigen ausgelassen hat, sondern sie als Menschen mit einer oft unheilbaren Krankheit akzeptiert hat. Im übrigen habe ich auch miterlebt, wie einige Medien die Stimmung im Viertel immer wieder durch unverantwortliche, teilweise offen rassistische Berichterstattung angeheizt haben. Daß sich das bei der Bürgerschaftswahl nicht in rechten Stimmen niedergeschlagen hat, verdient ein Kompliment übrigens an die aufgeweckten Schanzenviertler. Inwieweit die Politik der CDU angekommen ist, kann ich Ihnen
Angelika Mertens
auch belegen: Das Durchschnittsergebnis betrug dort 15,4 Prozent. Die F.D.P. hat eine Chance verpaßt. Sie hätte sicherlich mehr als ihre 2,2 Prozent bekommen, wenn sie sich vorher eindeutig für eine Heroinvergabe ausgesprochen hätte.
Ich habe also in meinem Viertel gesehen, wie hoch die Akzeptanz für eine neue Drogenpolitik ist. Ich habe hautnah erlebt, wo die Grenzen örtlicher Politik liegen. Genau das erleben natürlich auch alle anderen Verantwortlichen in den großen Städten. Sie sind deshalb über die Parteigrenzen hinweg für das Schweizer Modell, weil es ein logisches Modell ist.
Aber das scheint die Bundestagsfraktion der Union nicht zu kratzen. Sie geht weiterhin ideologisch lupenrein mit dem Kopf durch die Wand.
Was ist denn nun wirklich logisch und was ist nicht ideologisch an der starren Haltung der CDU/CSU?
Ist es logisch oder ideologisch, daß Drogenabhängige auf Spielplätzen Spritzen setzen, anstatt ihnen dafür Räume zur Verfügung zu stellen? Ist es logisch oder ideologisch, zu behaupten, der Staat dürfe nicht zum Dealer werden, wenn Sie gleichzeitig das Methadon-Programm als Therapieform mittlerweile akzeptiert haben? Im Rahmen dieses Programms werden schließlich keine Pfefferminzbonbons verschrieben. Oder kommt es Ihnen vielleicht nur darauf an, wo etwas hergestellt wird? Wenn das so ist, dann kann Ihnen ein großer deutscher Pharmakonzern sicherlich weiterhelfen. Schließlich gehörte Heroin einmal zu seinen großen Exporterfolgen.
Ist es logisch oder ideologisch, wenn man zuläßt, daß der vergebliche Kampf gegen das verbotene Heroin die Gesellschaft jährlich zirka 13 Milliarden DM kostet, quasi als Förderprogramm für die organisierte Kriminalität? Nach jedem gescheiterten Anlauf sitzen wahrscheinlich die Drogenbosse zusammen, klopfen sich auf die Schenkel und lassen die Korken der Champagnerflaschen knallen.
Ihre Politik ist weit davon entfernt, logisch zu sein. Sie ist im höchsten Maße ideologisch. Manchmal denke ich, Sie würden Ihre Politik ändern, wenn sich das alles vor Ihrer Haustür abspielen würde. Aber es spielt sich eben nicht vor Ihrer Haustür, sondern vor meiner und der meiner Nachbarn ab. Ich kann Ihnen sagen: Es reicht. Wenn Sie mit dem Kopf durch die Wand wollen, dann benutzen Sie dafür nicht den Kopf anderer Leute.
Ich darf es einmal anders formulieren: Weder Sozialromantik bezüglich der armen Dealer, die eigentlich lieber acht oder zwölf Stunden im Hafen ackern wollen, noch eine ideologische Lebenslüge von der suchtfreien Existenz, sondern eine pragmatische, kühl überlegte Politik helfen uns weiter. Schauen Sie den Tatsachen ins Auge und werden Sie endlich politikfähig!