Rede von
Gudrun
Schaich-Walch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Sauer, Sie sollten vielleicht wenigstens physikalische Gesetzmäßigkeiten zur Kenntnis nehmen. Auf vier Beinen steht man sicherer denn als auf drei. So ist das.
In der Drogenpolitik bemerken wir bei Ihnen den gleichen Realitätsverlust wie in der Steuerpolitik, in der Arbeitsmarktdebatte und auch bei der Rente und anderen Sozialbereichen.
Der Punkt ist doch, daß Sie nicht bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir eine bestimmte Gruppe von Menschen haben, die suchtkrank sind, die von den Angeboten, die wir ihnen machen, nicht erreicht werden,
und daß Sie diese aus der Gruppe derer aussortieren, die einen Anspruch auf menschliche Versorgung und auf Menschenwürde hat. Diesen Anspruch auf einen vernünftigen Umgang haben auch alle die Menschen, die mit den Drogenabhängigen zu tun haben.
Ich betrachte es als einen wirklich großen Erfolg, daß 70 Prozent der Schweizer für die Drogenpolitik ihres Landes und damit auch für die Möglichkeit der Heroinabgabe gestimmt haben. Die Gegenaktion unter dem wohlklingenden Namen „Jugend ohne Drogen" hat es vordergründig vielleicht gut gemeint; aber sie hat es mit Sicherheit mit den drogenkranken Menschen nicht gut gemeint.
Ich würde mich natürlich freuen, wenn die Jugendlichen Abstand von Alkohol, Zigaretten oder anderen Drogen nähmen. Deshalb bedaure ich es so maßlos, daß Sie die Aufklärungsmittel der BZgA zur Förderung der Prävention in diesem Haushalt gestrichen haben.
So wird das keine vernünftige Angelegenheit; denn das dritte Bein - das wichtigste Bein, das Sie haben - haben Sie zur Hälfte amputiert.
Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß es sich um kranke Menschen handelt. Die Schweiz belegt, daß man den Menschen deutlich machen kann, warum es verschiedene Hilfsangebote gibt. Die Menschen in der Schweiz haben es begriffen. Auch die Menschen in der Bundesrepublik werden es begreifen. Die Frankfurter haben es schon lange begriffen, obwohl dort eine Drogenpolitik betrieben wird, die gänzlich an Ihren Vorstellungen vorbeigeht und bei der wir immer einen Balanceakt bezüglich der entsprechenden Gesetzgebung machen. In Frankfurt hat es auch die CDU-Regierung begriffen. Alle Parteien haben es dort begriffen. Nur einer begreift das Ganze nicht: das ist die Bundesregierung.
Wir waren in der Schweiz und haben mit den Menschen gesprochen. Das einzige, was Sie mitgebracht haben, ist, daß Sie die Wissenschaftler, die an dem Programm dort gearbeitet haben und es evaluieren, diskreditieren und ihnen letztendlich nichts anderes als Schummelei unterstellen.
Denn Sie wollen nicht wahrhaben, daß die Sterblichkeitsrate zurückgegangen ist - aber es geht ja um eine Menschengruppe, die Sie vielleicht nicht interessiert -,
daß die gesundheitliche Situation der Patienten verbessert werden konnte, daß das Risiko einer HIV-Infektion reduziert worden ist und daß die Beschaffungskriminalität ganz eindeutig zurückgegangen ist, und zwar von 69 Prozent auf 10 Prozent.
Beschaffungskriminalität bringt Menschen ins Gefängnis und schadet und schädigt andere Menschen in einem unglaublichen Maße. Das ist eine Situation, bei der Sie nicht weiterhin nur zuschauen können. Sie können nicht auf der einen Seite die organisierte Kriminalität bekämpfen und auf der anderen Seite
Gudrun Schaich-Walch
Kranke ohne Hilfe lassen und die Menschen damit in die Kriminalität treiben.
Das ist doch keine vernünftige, nachvollziehbare Politik mehr.
Die Schweizer hatten die Gelegenheit, die wir leider nicht haben, nämlich diese Politik zu überprüfen. Sie haben sie nicht nur an der Tatsache überprüft, daß sich ein paar Suchtkranke zu der Drogenpolitik und dazu, wie sie das Angebot empfinden, äußern konnten, sondern sie haben die gesamte Bevölkerung befragt. Die Bevölkerung hat auf Grundlage dessen, was sie tagtäglich in den Großstädten erlebt, entschieden.
Wenn Sie aus irgendwelchen Kaffs kommen und uns in Städten, wo es eine liberalere Drogenpolitik gibt, Ihre katastrophale Politik vor die Türe kippen, dann sage ich als Frankfurterin: Wir haben die Nase voll davon, daß 60 Prozent der Menschen, die bei uns um Hilfe nachsuchen, aus Ländern kommen, die ihnen die Hilfe verweigern.