Rede von
Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte zeigt, daß es trotz des abgeschlossenen Versuches in der Schweiz kaum möglich ist, sich wirklich sachlich und in Ruhe mit der Frage auseinanderzusetzen, ob nicht die deutsche Drogenpolitik dringend einer Änderung und einer Ergänzung bedarf. Ich bin froh, daß sich die Schweizer Bevölkerung so mit diesem schwierigen Thema auseinandergesetzt hat. Denn es ist eine Anerkennung derjenigen, die darauf pochen, mit Aufklärung und Information und nicht mit populistischen und Ängste schürenden Informationen an die Lösung dieses Problems heranzugehen. Das sind 71 Prozent der Schweizer Bevölkerung, die nun nicht gerade als linke revolutionäre Bevölkerung einzuordnen ist.
Deshalb kann man die Ergebnisse dieses Versuches nicht einfach so abtun und argumentieren, daß das alles nicht zutreffe.
- Herr Sauer, ich bin wahrscheinlich eine der wenigen, die den gesamten Bericht gelesen hat.
Jeder Drogentote weniger ist doch ein Erfolg. Jeder Erstkonsument von harten Drogen weniger ist ein Erfolg. Jeder Schwerstabhängige weniger ist ein Erfolg. Sie müssen - gerade auch nach dem Bericht und nach anderen Untersuchungen - sehen, daß Sie an einen bestimmten Kreis von Schwerstabhängigen auf die Art und Weise, wie wir es bisher seit Jahren in Deutschland versuchen, nicht herankommen.
Warum beklagen die Polizeipräsidenten von über zwölf Städten in Deutschland, daß sie mit den Herausforderungen, mit der Gefahr oder dem Bestehen offener Drogenszenen nicht zurechtkommen? Sie sagen: Mit dem, was ihr uns mit euren drei Säulen und der eher strafrechtlich fixierten Drogenpolitik bietet, kommen wir nicht zurecht; das schaffen wir nicht. Bei uns könnt ihr die Probleme nicht abladen. - Genau das war der Werdegang der Änderung der Politik in der Schweiz hin zu dem jetzigen Weg. Da war es die Bevölkerung, da waren es die Polizeiverantwortlichen, die gesagt haben: Ändert etwas, so geht es nicht weiter!
Dann hat man die Gesundheitsräume und die Gassenzimmer in der Schweiz eingerichtet und hat sich mit dem Projekt der kontrollierten, wissenschaftlich begleiteten Heroinabgabe auseinandergesetzt. Nur darum geht es. Jetzt muß man auch hier in Deutschland bereit sein, dieses Projekt, zugeschnitten auf die Bedingungen in Deutschland, gesetzlich zu ermöglichen und einzuführen.
Dazu liegen Vorschläge vor. Ich bin der Meinung, man kann, nur weil die Bevölkerungszahl in der Schweiz mit der unseren nicht zu vergleichen ist, nicht sagen: Das alles interessiert uns nicht.
Ich möchte noch einige Argumente nennen, die immer gegen dieses Modellprojekt vorgebracht werden - sie sind wenig stichhaltig -: Der Staat, so wird gesagt, dürfe nicht als Dealer auftreten. Dazu nur soviel: Angesichts der hochwillkommenen Staatseinnahmen, die wir aus der Besteuerung von Alkohol und Tabak beziehen, ist das nicht nur ein Scheinargument, sondern ein scheinheiliges.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Im übrigen empfehle ich Ihnen dazu als Lektüre den heutigen Kommentar im „Rheinischen Merkur" , der äußerst aufschlußreich ist.
Ein wirklich ernstzunehmendes, weil in der Offentlichkeit leicht verfängliches Argument ist, daß die mit der kontrollierten Verabreichung von Heroin verbundenen Mittel sehr viel wirkungsvoller zur Verbesserung des rein abstinenzorientierten Therapieangebots verwendet werden sollten. Wenn man sich einmal die Kosten bei diesem Projekt ansieht, fällt einem auf, daß von den insgesamt aufgewendeten Kosten von etwa 50 DM pro Patient und Tag je ein Drittel von den Drogenabhängigen selbst, von den Krankenkassen und der öffentlichen Hand getragen wird. Ein fast doppelt so hoher Betrag, also zirka 100 DM pro Patient und Tag, steht dem an Einsparungen gegenüber. Konkret ergeben sich Einsparungen - so heißt es in dem Bericht, wenn man etwas weiter liest; es steht ziemlich weit hinten - bei der Arbeitslosen-und der Obdachlosenfürsorge, durch die Verbesserung der Gesundheit der Drogenabhängigen und aus der Abnahme des Delinquenzverhaltens.
Das alles bedeutet doch, daß die Teilnahme jedes einzelnen Drogenabhängigen an dem Versuch nach Abzug aller Kosten mit täglichen Nettoeinsparungen von rund 50 DM verbunden ist. Allein deshalb kann doch ein solches Kostenargument gegen diesen Versuch nicht vorgebracht werden.
Es ist fast böswillig, wenn man sich darauf beziehen wollte.
Ich bleibe dabei: Die Ergebnisse des Schweizer Modellprojekts sind eindrucksvoll. Ich glaube auch, daß das von der Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation bestätigt werden wird.
Deshalb spreche ich mich dafür aus, daß die deutsche Drogenpolitik um eine vierte Säule, nämlich die der Überlebenshilfe, mit den Elementen der Gesundheitsräume und des Projekts der kontrollierten Abgabe von Heroin angereichert wird. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion ist dieser Auffassung.