„April, April! Wir stimmen nicht mehr zu" und sich heute Christdemokraten hier hinstellen und uns vorwerfen, wir seien die Blockierer. Das, was Sie hier aufführen, ist ja geradezu lächerlich, meine Damen und Herren.
Herr Solms, Sie haben gerade mit Ihrem Zwischenruf - ich will ihn dem staunenden Publikum noch einmal in Erinnerung rufen: „Das ist halt so! " -
kundgetan, daß sich mittlerweile die gesamte CDU-Seite dieses Hauses auf der Grundlage Ihrer Intervention einem imperativen Mandat der F.D.P. beugt; das können Sie sich für ihre Parteikarriere auf die Weste schreiben. Was Sie hier abliefern, ist wirklich eine tolle Nummer.
Eine weitere in diesem Zusammenhang stehende Frage ist, wie es denn nun in der Koalition mit dem politischen Sachzusammenhang zwischen der Senkung der Lohnnebenkosten durch Umfinanzierung einerseits und dem sogegnannten Rentenreformgesetz 1999 andererseits steht. Da gibt es die unterschiedlichsten klimmzugartigen Deutungsversuche: Mal behaupten Sie, es gebe ihn gar nicht. Mal sagen Sie, er bestehe tatsächlich. Heute haben Sie wieder gesagt, er sei da. Gestern hat Herr Blüm wieder geäußert, es gebe ihn gar nicht. - Sie müssen sich irgendwann einmal entscheiden: Gibt es ihn, oder gibt es ihn nicht?
Der Weg, den die Koalition mit der Rentengesetzgebung ins Auge gefaßt hat, wird sie nicht aus der Beantwortung dieser Frage entlassen. Einen Automatismus gibt es nicht; den werden wir nicht zulassen. Die Koalition will ihre sogenannte Rentenreform, die bekanntlich nicht zustimmungspflichtig ist, nun, wie man hört, im Alleingang durchsetzen. Das kann sie. Das muß sie sogar; denn eine Zustimmung der SPD zur Kürzung des Rentenniveaus, zur Abschaffung der Erwerbsunfähigkeitsrente und zu einer rentenpolitischen Bestrafungsaktion für Schwerbehinderte ist nicht denkbar und wird nicht erfolgen.
Wie aber stellen sich die Damen und Herren der Union und der F.D.P. die Finanzierung ihres Gesetzeskonglomerates vor? Wie ich höre, wollen Sie eine einprozentige Senkung des Rentenversicherungsbeitrags davon abhängig machen, daß eine Mehrwertsteuererhöhung in einem gesonderten Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen und in Kraft gesetzt wird. Das ist ja nun ein merkwürdiger Eiertanz. Sie lehnen heute, so Ihre Ankündigung, einen Gesetzesvorschlag ab, der bereits die einprozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer vorsieht, um dies nächste Woche nachträglich durch ein neues Gesetz einzuführen.
Wissen Sie, was das ist? Das ist keine Politik, das ist schlicht Massenverdummung.
Bevor Sie sich hier weiter echauffieren, will ich Sie fragen, ob sich eigentlich jemand von Ihnen die Mühe gemacht hat, das Zahlenwerk, das Herr Blüm in Sachen „Senkung des Rentenversicherungsbeitrags" propagiert, durchzurechnen. Die leuchtenden Augen, die ich bei diesem Thema immer in der Koalition sehe, sind jedenfalls fehl am Platze. Die Wahrheit ist viel gemeiner, als Sie annehmen: Zum 1. Januar 1998 wird der Beitragssatz in der Rentenversicherung von 20,3 Prozent auf knapp 21 Prozent, vielleicht sogar auf 21 Prozent steigen. Herr Blüm sagt in seinen bisherigen Verlautbarungen in diesem Punkt nicht die Wahrheit; er schwindelt. Er ist nicht bereit, die effektive Beitragssituation dem Deutschen Bundestag zu offerieren.
Rudolf Dreßler
Von der Beitragssatzerhöhung, die Herr Blüm in Höhe von wahrscheinlich 0,7 Prozent vornehmen muß, wäre die Beitragssatzsenkung von 1 Prozent abzuziehen; es bliebe eine Senkung von 0,3 Prozent - wenn alles gutgeht. Von der großspurig angekündigten Beitragssenkung des Herrn Blüm würde in Wahrheit im wesentlichen eine „ Beitragssatznichterhöhung " übrigbleiben.
Wußten Sie das eigentlich schon? Und dann kommt der Bundessozialminister allen Ernstes her und f ordert uns auf, bei diesem Täuschungsmanöver mitzumachen.
Herr Kollege Blüm, Ihr Selbstfindungsprozeß im Verlauf der Rentendebatte der letzten Monate hat ja nun gestern auf dem Kongreß der Gewerkschaft Textil - Bekleidung seinen vorläufigen Höhepunkt durch Ihre entwaffnende Feststellung vor dem Auditorium gefunden - ich zitiere Herrn Blüm -: „Wenn keiner mehr etwas Gutes über uns sagt, dann muß ich das selber machen. "
Das ist die Lage. Es sagt keiner mehr etwas Gutes über die Bundesregierung, also müssen die Damen und Herren es selber übernehmen. Nur, Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sollten zur Kenntnis nehmen, daß Herr Blüm zugibt, daß keiner mehr über Sie etwas Gutes sagt. Sie sollten sich daher Ihre zukünftigen Reklamereden sehr genau überlegen.
Ich will noch hinzufügen: Nach den Entwicklungen der letzten Monate und nach den Datenkränzen, die uns laufend vom Bundesarbeitsminister vorgelegt wurden, traue ich keiner Zahl aus dem Hause Blüm mehr. Sie stimmen alle nicht. Ich empfehle jedem und jeder in diesem Hause: Verfahren Sie ebenso; dann sind Sie nämlich auf der sicheren Seite.
Ein Minister, der, wie in dieser Woche öffentlich verlautbart wurde, noch nicht einmal in der Lage ist, eine Beitragsbemessungsgrenze korrekt berechnen zu lassen, hat als seriöse Zahlenquelle für den Deutschen Bundestag ausgedient.
Ein Minister, der den Sozialversicherten in Ostdeutschland durch eine falsch berechnete Beitragsbemessungsgrenze zu viele Beiträge abverlangt hat, sich jetzt korrigieren und diese Beitragsbemessungsgrenze senken muß, dabei in Zeiten extremer Finanzenge auch noch neue Einnahmelöcher heraufbeschwört, hat auch politisch ausgedient.
Zum Schluß. Als ich gestern in einer Veranstaltung mit Bürgern den qualvollen politischen Stillstand dieser Koalition diskutierte,
meldete sich einer zu Wort und sagte als Diskussionsredner folgendes: Ich habe 15 Jahre Helmut Kohl ertragen und erlitten; es ist zwar richtig, daß ich das 16. Jahr auch noch schaffe, aber besser wäre, wenn uns das erspart bliebe; denn jeder Tag richtet neuen Schaden an. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Dieser Mann hat recht.