Rede von
Rezzo
Schlauch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt.
So steht es in unserem Grundgesetz.
Im Gegensatz zu den Bürgerinnen und Bürgern hierzulande haben die Schweizer das Recht, sich ab und zu tatsächlich in Volksabstimmungen als Souverän zu betätigen. Es soll hier keine Debatte über Formen unmittelbarer Demokratie geführt werden, aber der letzte Sonntag hat gezeigt: Die Schweizer haben bewiesen, daß die Bürgerinnen und Bürger mitunter klüger sind als ihre Regierung. Das gilt zumindest für die Regierung in unserem Land.
Damit sind wir bei der Frage: Was ist eine kluge Drogenpolitik? Die Antwort ist zugegebenermaßen nicht leicht. Eines ist aber sicher: Eine Drogenpolitik, die sich mit ständig steigenden Zahlen von Süchtigen, mit 1600 Drogentoten in unserem Land allein im letzten Jahr, mit rasant wachsender Beschaffungskriminalität und der damit zusammenhängenden Verwahrlosung in den Zentren unserer Großstädte zufriedengibt und sagt, „Wir sehen keinen Änderungsbedarf", ist nicht klug, ist unvernünftig und ist der Ideologie verhaftet.
Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Herr Lintner, hat in seiner Stellungnahme der dpa gesagt, die Situation beider Länder sei nicht vergleichbar
- warten Sie ab -; in der Schweiz gäbe es bei knapp 7 Millionen Einwohnern 30 000 Heroinsüchtige, was auf die deutsche Bevölkerung hochgerechnet 300 000 bis 400 000 Süchtige bedeuten würde. Tatsächlich aber gäbe es hier nur 120 000 bis 150 000 Betroffene.
Was will uns Herr Lintner damit sagen? Will er uns sagen, daß erst bei der Verdoppelung der Zahl der Heroinsüchtigen über die ärztliche Abgabe von Heroin und die Einrichtung von Druckräumen auch bei uns nachgedacht werden kann? Will er sagen, daß man erst dann mit solchen Hilfen eingreifen kann, wenn die Verelendung eingesetzt hat? Soll das heißen, daß Sie einer Verelendungstheorie pur das Wort reden? Ich glaube, das kann nicht Ihr Ernst sein.
Die „Neue Ruhr-Zeitung" kommentiert diesen Vorgang so:
Wer hoffte, das Schweizer Abstimmungsergebnis für die kontrollierte Rauschgiftabgabe beeindrucke den Nachbarn, mußte heute wieder die deutsche Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen: Die Bonner Drogenpolitik geht weiter über Leichen.
Das ist nicht mein Zitat, sondern das Zitat dieser Zeitung.
Das steht ganz im Gegensatz zur Situation beim weltweit größten organisierten Drogenkonsum auf der Münchner Wies'n, wo drei Ärzte 16 Tage lang Schichtdienst leisten und in der ersten Woche 2500 Drogenvergiftungen und weitere 250 Schwerstvergiftungsfälle, sogenannte Alkoholleichen, registriert wurden.
Das Ergebnis unserer Drogenpolitik lautet: Die Zahl der Drogenabhängigen nimmt zu, und die großen Dealer reiben sich die Hände. Die parlamentarischen Initiativen liegen auf dem Tisch. Wir wissen alle, was wir tun könnten, aber wir tun nichts. Es gibt in dieser Regierung und in dieser Fraktion keine Petra Roth, sondern es gibt nur einen Herrn Sauer und einen Herrn Lintner, und es bleibt, wie es ist. Die Situation für unsere Drogenabhängigen ist im Grunde genommen nicht mehr erträglich.
Was in der Schweiz möglich ist, müßte auch bei uns möglich sein. Die Schweiz ist nicht ein Sodom und Gomorrha oder der Hort eines Tohuwabohus. Sorgen Sie mit uns - da ist die F.D.P. angesprochen - für eine gesundheitliche Prävention, und überlassen Sie die Drogenpolitik nicht der Ordnungspolitik. Gesundheitsräume sind spezialpräventive Maßnahmen, die dem Ansatz der „harm reduction" , also der Schadensminimierung, folgen.
Wenn sich dadurch als Begleiteffekt die öffentliche Sicherheit erhöhen und die Verwahrlosung in unseren Stadtzentren reduzieren läßt, dann, so glaube ich, ist es Zeit, die Blockade, die von hier kommt, zu durchbrechen und den Weg für eine Reform frei zu machen.
Danke.