Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und geehrten Kollegen! Nach dieser Vorlesung über Kapitalismus aus postkommunistischer Sicht wollen wir jetzt wieder zur Sache übergehen.
Es hat nach den Reden der Opposition der Eindruck entstehen können, daß hier in Deutschland die feindlichen Übernahmen offensichtlich der Normalfall ist und gesetzliche Regelungen dringend erforderlich sind. Tatsache ist, daß Anfang dieses Jahres die Krupp AG einen spektakulären Übernahmeversuch gegen Thyssen gestartet hat, der gescheitert ist. Noch vor Abgabe eines öffentlichen Übernahmeangebotes ist dieser Versuch am Widerstand der öffentlichen Meinung gescheitert, die natürlich maßgeblich von Politik, Gewerkschaften und den Medien geprägt wurde.
Der Fall Krupp/Thyssen beleuchtet einen Bereich, der erst in jüngster Zeit in das Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit geraten ist, nämlich den schon erwähnten Bereich der Unternehmensübernahmen. Aus politischer Sicht ist eine Übernahme zunächst einmal neutral zu bewerten. Es handelt sich dabei nicht von vornherein um etwas Negatives. Aber auch nicht jeder Einzelfall ist zu begrüßen, Frau Kollegin Wolf; darin gebe ich Ihnen sicherlich recht.
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
Im Ausland sind Übernahmen und Fusionen nichts Außergewöhnliches; insbesondere in Großbritannien und den Vereinigten Staaten gehören sie zum Alltag des Wirtschaftsgeschehens. Dort sind sie ein Instrument der Kontrolle des Managements eines Unternehmens durch die Wettbewerber. In Deutschland ist die Situation sicherlich eine andere. Hier sind bis heute Übernahmen, insbesondere feindliche Übernahmen, die Ausnahme. Wesentlicher Grund hierfür ist, daß sich die meisten deutschen Unternehmen, die an der Börse notiert sind, im Mehrheitsbesitz einzelner Aktionäre befinden. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, daß in Deutschland, wie im ersten Satz des Gesetzentwurfs der SPD zu Recht ausgeführt wird, keine gesetzliche Regelung für Unternehmensübernahmen besteht.
Die SPD hat den „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Unternehmensübernahmen" vorgelegt. Man muß allerdings sagen - das ist ein Beweis für den Aktionismus, den die SPD immer wieder an den Tag legt; wenn es einen aktuellen Fall gibt, wird so etwas wieder hochgepuscht -:
Dieser Entwurf ist in seinen Grundzügen nicht neu. Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung eines Textes, dessen erste Fassung bereits Bestandteil des Anfang 1995 vorgelegten Gesetzentwurfs der SPD zur - so hieß der Titel damals - „Verbesserung von Transparenz und Beschränkung von Machtkonzentration in der deutschen Wirtschaft" war.
Bei der Durchsicht des nun vorgelegten Entwurfs stellen sich zwei Fragen. Die erste lautet - das ist schon in den vorherigen Reden angeklungen -: Brauchen wir ein solches Gesetz zum jetzigen Zeitpunkt? Zweitens: Tragen die Regelungen, die der Gesetzentwurf enthält, den entgegengesetzten Interessen der bei einer Übernahme betroffenen Gruppen in angemessener Weise Rechnung?
Beide Fragen muß man verneinen. Erstens ist eine gesetzliche Regelung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angezeigt. Dafür gibt es zwei Gründe: Der Gesetzentwurf der SPD enthält zum einen Regelungen für freiwillige öffentliche Übernahmeangebote, zum anderen sieht er ein sogenanntes Zwangsangebot vor. Das Zwangsangebot verpflichtet den Erwerber, der mittelbar oder unmittelbar einen bestimmten Stimmrechtsanteil an einer inländischen börsennotierten Gesellschaft, der sogenannten Zielgesellschaft, erworben hat, zur Abgabe eines öffentlichen Angebots. Dieses Angebot muß sich auf den Erwerb aller Aktien der Zielgesellschaft erstrecken. Die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften soll typischerweise durch eine gesetzlich geregelte Übernahmekommission erfolgen. Also gibt es wieder zusätzlichen Bürokratismus nach dem Motto: Laßt uns eine neue Kommission bilden. - Ich bin der Meinung, wir haben davon ohnehin zu viele.
Dennoch sind die in dem Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen dem Grundsatz nach zu begrüßen. Sie haben jedoch einen Schönheitsfehler, Herr Bury. Die entscheidenden Regelungen bestehen nämlich bereits. Sie sind Bestandteil des von der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen Mitte 1995 erarbeiteten Übernahmekodex,
der ähnlich dem in Großbritannien geltenden „Take over-Code" als freiwillige Selbstverpflichtung der betroffenen Unternehmen konzipiert ist. Freiwillige Selbstverpflichtung - ich glaube, das ist das richtige Mittel.
In dem Gesetzentwurf wird von seiten der SPD ausgeführt, der Kodex habe in der Praxis nicht die notwendige Anerkennung gefunden. Das haben Sie sehr deutlich gesagt. Dazu muß man anmerken: Der Kodex besteht - wie wir gehört haben - seit zwei Jahren, und die Anerkennungsquote steigt ständig an. Die Regelungen des Kodex werden gegenwärtig überarbeitet, um den in der Praxis gewonnenen Erfahrungen Rechnung zu tragen. Auch das wird zur weiteren Anerkennung führen.
Mittlerweile haben mehr als 80 Prozent aller Unternehmen, deren Aktien Bestandteil des Dax 30 sind, - also die größten börsennotierten Gesellschaften -, den Kodex anerkannt. Sie drehen das Ganze natürlich um und sagen, ein Fünftel hätte noch nicht zugestimmt. Wir sehen es positiv: 80 Prozent haben zugestimmt.
Entscheidend ist jedoch, daß nahezu alle Übernahmen in diesem Zeitraum zur Zufriedenheit der Unternehmen und ihrer Aktionäre gemäß den Regeln des Kodex abgewickelt wurden. Der Kodex hat seine Ziele in der Praxis weitestgehend erreicht.
Zudem ist in diesem Zusammenhang für mich erstaunlich, warum ausgerechnet von seiten der SPD eine Verschärfung der freiwilligen Regelungen des Kodex gefordert wird. Das Land Niedersachsen, das bekanntlich über einen erheblichen Einfluß bei der VW AG verfügt, hat noch nicht einmal darauf hingewirkt, daß VW die freiwilligen Regelungen des Übernahmekodex anerkennt. Augenscheinlich bestehen wieder einmal große Unterschiede zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Es spricht aber auch noch folgendes gegen eine gesetzliche Regelung zum jetzigen Zeitpunkt: Die Erfahrungen mit dem Kodex haben gezeigt, daß einzelne Teilbereiche noch überarbeitungsbedürftig sind. Bei einem freiwilligen Kodex ist eine solche Überarbeitung sehr zügig möglich. Hätte der Kodex hingegen Gesetzeskraft, Herr Bury, dann würde sich eine Überarbeitung auf Grund der notwendigen parlamentarischen Verfahren als wesentlich schwieriger herausstellen.
Schließlich sind auch die gegenwärtig in Brüssel beginnenden Beratungen einer gesellschaftsrechtli-
Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser
chen Richtlinie über Übernahmeangebote zu erwähnen. Herr Funke hat darauf bereits hingewiesen. Es steht zu erwarten, daß Ende 1998 bzw. Anfang 1999 eine entsprechende europäische Richtlinie in Kraft treten wird, die die bei einer Übernahme einzuhaltenden Verfahren regeln wird. Allerdings ist bis jetzt unklar, wie die europäische Regelung im einzelnen aussehen wird. Es macht aber wenig Sinn, vorzeitig ein Gesetz zu verabschieden, das auf Grund divergierender europäischer Vorgaben bereits nach wenigen Monaten wieder geändert werden müßte.
Bei dieser Sachlage ist es meines Erachtens falsch, zum heutigen Zeitpunkt ein Übernahmegesetz im Bundestag zu behandeln. Sofern sich im nächsten Jahr nach der Verabschiedung der Richtlinien und vor dem Hintergrund der weiterhin gewonnenen Erfahrungen mit dem Kodex allerdings herausstellen sollte, daß eine gesetzliche Regelung unumgänglich ist, so sind wir sicherlich für solche gesetzlichen Regelungen zugänglich. Aber in einer Situation, in der allseits eine staatliche Regulierungsflut beklagt wird, sollten nicht ohne Not Gesetze geschaffen werden, deren Änderungsbedarf bereits jetzt abzusehen ist. Dafür hätten auch die Betroffenen wenig Verständnis.
Nun lassen Sie mich noch zwei Beispiele dafür bringen, wo unsere Kritik an Ihrem Gesetzentwurf in der Sache ansetzt. Der Gesetzentwurf, der generell behauptet, sich an internationalen Standards zu orientieren, sieht, wie erwähnt, ein Zwangsangebot, das heißt die Verpflichtung zum Erwerb aller Aktien vor, und zwar bereits beim Erwerb eines Stimmrechtsanteils von mehr als 25 Prozent. Dazu muß gefragt werden, welche Standards das dann sein sollen. Es ist angesprochen worden, daß die Quote von 25 Prozent mit Sicherheit falsch ist und nicht ausreichen wird.
Das zweite Beispiel betrifft das Verfahren, innerhalb dessen über Streitigkeiten bei Unternehmensübernahmen entschieden werden soll. Dazu gibt es bei Ihnen keinerlei Aussagen. Wir wissen doch alle ganz klar: Wenn dabei der übliche Rechtsweg - also bis zu drei Instanzen - eingehalten werden muß, dann dauert es unter Umständen sechs Jahre, bis man zu einer Entscheidung kommt.
Eine solche Rechtsunsicherheit ist für die betroffenen Unternehmen und Aktionäre nicht hinnehmbar.
Fazit: Herr Bury, wir sollten hier keinen Schnellschuß abfeuern; das würde mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringen. Auch die führenden Rechtsexperten wie beispielsweise Professor Hopt von der Universität Hamburg haben klipp und klar gesagt, es sollten keine Übernahmeregeln über das Knie gebrochen werden; vielmehr sollte darüber ausführlich diskutiert werden. Wir sollten jetzt schrittweise zu einer Übernahmekultur kommen. Ich glaube, das ist sinnvoller, als jetzt einen Schnellschuß abzufeuern.
Herzlichen Dank.