Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Kommentator, so finde ich, hat die Quintessenz aus dem Schweizer Versuch richtig bezeichnet, als er darauf hingewiesen hat, daß der, der etwas ändern will, beweisen muß, ob damit ein Vorteil gegenüber dem Bisherigen erreicht werden kann. Das ist aus meiner Sicht trotz des Getöses, das Sie, Herr Singer, von sich gegeben haben, der entscheidende Gesichtspunkt bei dieser ganzen Diskussion.
Wir brauchen also Alternativen, die im Vergleich zu dem Hergebrachten zu besseren Ergebnissen führen. Die Schweizer Drogenpolitik hat nicht zu besseren Ergebnissen geführt. Ich darf Sie noch einmal daran erinnern - diese Zahl kann ja nicht bestritten werden -: In der Schweiz gibt es eine fast dreimal so hohe Belastung der Bevölkerung mit Heroinsüchtigen wie in Deutschland. Das ist das Ergebnis der Drogenpolitik in der Schweiz, die Sie uns immer so sehr ans Herz legen.
Herr Singer, mit welch primitiven Argumenten Sie arbeiten, ist mir wieder klargeworden. Sie wissen nämlich ganz genau, daß beispielsweise die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sehr wohl Präventionskampagnen betreibt, die völlig suchtunspezifisch gesteuert sind und sich auch schon an Vorschulkinder wenden. Sie kennen die Kampagne „Macht Kinder stark!". Dennoch stellen Sie sich hin und behaupten genau das Gegenteil, nämlich daß die Bundesregierung so etwas nicht tun würde.
Mich wundert überhaupt, meine Damen und Herren, wie wenig rational Sie mit dem Thema umgehen. Sie schreien immer, wir seien die Ideologen; wenn wir Ihnen aber Zahlen nennen, dann bemühen Sie sich nicht etwa, die Zahlen zu widerlegen. Sie sagen auch nicht, das, was wir über den Schweizer Versuch dargelegt haben, sei nicht zutreffend. Vielmehr äußern Sie frei aus dem Bauch heraus, daß das Ganze einfach humaner sei. Ich muß Ihnen sagen: Humaner ist sicher die Drogenpolitik, die dazu führt, daß es letztendlich weniger Heroinsüchtige als bei einer anderen Drogenpolitik gibt.
Wenn Sie das zum Maßstab nehmen, dann werden Sie feststellen, daß wir in Europa an hervorragender Stelle liegen - viel besser als die Schweiz, England oder die Niederlande. Das muß das Kriterium sein.
Drogenpolitik kann sich ja nicht nur um die Süchtigen kümmern.
Sie muß auch die Verantwortung dafür übernehmen, daß möglichst wenig Leute süchtig werden. Das ist der Maßstab für Drogenpolitik.
Frau Kollegin Mertens, Ihnen war vielleicht nicht klar, daß Sie mit dem Hinweis auf die Hamburger Verhältnisse ein ziemliches Eigentor geschossen haben.
Denn Unterschiede existieren nicht nur zwischen uns und der Schweiz, sondern auch innerhalb Deutschlands. Bei gleicher Bundespolitik muß man doch feststellen: In Hamburg haben Sie ein Drogenproblem, von dem die Politik meint, seiner nicht mehr Herr werden zu können; in München hingegen - um ein Beispiel zu nennen - gibt es zwar auch Drogenprobleme, aber bei weitem nicht in diesem Ausmaß und in dieser den Bürger so bedrängenden Form wie in Hamburg.
Wer ist also für die Zustände in Hamburg verantwortlich? Die Bundespolitik oder die dortige liberale Drogenpolitik?
- Frau Mertens, es ist völlig klar, daß dort, wo über Jahre hinweg Ihren Konzepten Rechnung getragen worden ist, wo offene Drogenszenen geduldet worden sind und wo eine sogenannte liberale Drogenpolitik verfolgt worden ist, die Probleme mittlerweile so
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
riesig sind, daß Sie sie mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr bewältigen können.
Deshalb schreien Sie als Täter jetzt „Haltet den Dieb!" und wollen uns empfehlen, diese miserablen Ergebnisse einer liberalen Drogenpolitik für die ganze Bundesrepublik zu übernehmen. Das kann eine verantwortungsbewußte Regierung unmöglich tun.
Ich wiederhole die einzelnen Zahlen jetzt nicht mehr, weil sie schon mehrfach genannt worden sind. Für mich ist das Entscheidende - das sollte auch Ihnen zu denken geben -: Die verelendeten Schwerstabhängigen sind offenbar in der Schweiz gar nicht erreicht worden. Für uns ist das ein sehr interessanter Aspekt, weil auch wir Mühe haben, an diese Leute heranzukommen. Es stellt sich heraus, daß zwei Drittel derjenigen, die mit dem Versuch erreicht werden konnten, aus einem vorhandenen Methadonprogramm kamen und sich überwiegend in einem guten gesundheitlichen Zustand befanden. Diejenigen Abhängigen aber, die wir alle meinen und bei denen wir unseren Grips wirklich anstrengen müssen, um sie zu bewegen, in eine Therapie zu gehen, sind auch in der Schweiz nicht erreicht worden. Fachleute haben mir erklärt, daß diese Menschen in ihrem Verhalten schon so destrukturiert sind, daß sie nicht mehr in der Lage sind, sich alle vier Stunden an eine bestimmte Stelle zu begeben, um dort unter Aufsicht zu spritzen. Das ursprüngliche Ziel des Versuches ist also überhaupt nicht erreicht worden.
- Sie nehmen ja gar nicht zur Kenntnis, was in dem Bericht steht.
- Frau Knoche, Sie können ihn nicht gelesen haben;
andernfalls hätten Sie in Ihrer Rede Falsches behauptet. Lesen Sie nach: Zwei Drittel kommen aus einem Methadonprogramm.
Wir versuchen mit einer sehr individuell gestrickten Betreuung, den einzelnen Schwerstabhängigen dazu zu bewegen, die Motivation für eine Abstinenztherapie aufzubauen. Erfolge sind vorhanden, auch wenn sie nicht überwältigend sind. Aber immerhin gelingt es uns, den einen oder anderen dafür zu gewinnen.
Obwohl es für mich nicht neu war, hat mich sehr beeindruckt, daß bei dieser Kampagne in der
Schweiz Ex-Junkies aufgetreten sind, die folgendes ehrlich bekannt haben: Wenn damals, als wir süchtig waren, die Möglichkeit bestanden hätte, von staatlichen Abgabestellen Heroin zu bekommen, dann wären wir mit tödlicher Sicherheit nie aus der Sucht herausgekommen.
Diesen Sachverhalt muß man einfach zur Kenntnis nehmen.
Sie halten mit diesem Angebot Heroinsüchtige in der Sucht fest. Sucht ist eine Krankheit, und Krankheiten sollte man normalerweise zu heilen versuchen. Das heißt, wir sollten gar nicht darüber streiten: Wir müssen alles aufwenden, was uns zu Gebote steht, um die Leute zu heilen, das heißt, aus der Sucht herauszuholen. Wir dürfen sie nicht noch durch die Abgabe von Originalsuchtstoffen in der Sucht festhalten.
Frau Knoche, es ist wirklich lächerlich: Wenn Sie konsequent denken würden, dann dürften Sie bei Heroin nicht aufhören. Die Konsequenz Ihres Vorschlages ist - die Schweiz hat die Versuche ja auch auf Kokain und andere Suchtstoffe erstreckt -, daß jeder, der süchtig ist, seinen Suchtstoff letztlich in irgendeiner Form verabreicht bekommt, um in seiner Sucht bleiben zu können, ohne dafür etwas Ungesetzliches tun zu müssen.
Sie sind also auf einem Weg, dessen Ende Sie vielleicht noch gar nicht sehen. Warum wollen Sie jemandem, der von Crack abhängig ist, die Abgabe von Crack verweigern? Warum wollen Sie einem Abhängigen Ecstasy oder Kokain verweigern? Sie sind auf einem Weg, an dessen Ende eine nicht vorhersehbare Zahl von nicht therapierbaren Süchtigen steht.
Noch eines, weil immer das Argument der Kriminalität gebracht wird: Die Statistik der Kriminalpolizei des Kantons Zürich weist aus - das ist wirklich sehr interessant -, daß sie 1996 mehr denn je mit schwerem Einbruch und Raub zu tun hatte sowie eine Rekordmenge an Heroin sichergestellt wurde, und das im dritten Jahr des Versuchs, quasi auf seinem Höhepunkt.
Es mag schon sein, daß der eine oder andere, der aus einem Methadonprogramm kommt und jetzt Heroin bekommt zur Beschaffung keine kriminellen Taten mehr begeht. Da gebe ich Ihnen durchaus recht. Nur, die Gesamtbilanz der Kriminalität hat sich nicht verbessert, sondern verschlechtert. Darum muß ich Ihnen sagen: Nach den Ergebnissen des Schweizer Versuches gibt es keinen Grund, die deutsche Drogenpolitik zu ändern.
Parl. Staatssekretär Eduard Lintner
Aber - auch das mag Ihnen Beweis dafür sein, daß wir mit den Dingen offen und objektiv umzugehen versuchen -
wir, der Kollege Seehofer und ich, haben uns verabredet, Mitte dieses Monats in die Schweiz zu fahren, um uns briefen zu lassen, um uns die Ergebnisse erläutern zu lassen. Vielleicht können so manche der Fragen, die von uns aufgeworfen wurden, noch geklärt werden. - Das mag Ihnen ein Zeichen dafür sein, daß wir nicht einfach über Ihre Einwände hinweggehen. Aber was wir bis jetzt wissen, ist nicht besonders ermutigend.