Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Knoche, wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, wird früh Witwe.
Ich möchte gerne etwas zu der Emotionalität sagen, die in diesem Bereich verständlich ist, weil die Menschen das Elend der Abhängigen sehen.
Ich finde es nicht in Ordnung, wenn hier eine Fraktion der anderen unterstellt, Drogentote seien dieser Fraktion egal. Das ist einfach nicht in Ordnung.
Ich glaube, wir kommen nur zu einem Ergebnis, wenn wir uns das nicht unterstellen, sondern gemeinsam nach einem Weg suchen. Ich habe den Eindruck, daß man in den Ländern, in denen es diesen Grundkonsens gibt, im Bereich der Drogenpolitik sehr viel weiter gekommen ist, als wir das hier in der Bundesrepublik im Augenblick sind.
Ich werde Ihnen das gleich am Beispiel Schweden zeigen,
und zwar wissenschaftlich manifest untermauert, Frau Knoche. Ich habe seit meiner Zeit der Tätigkeit im Landtag von Nordrhein-Westfalen intensiv die Drogenpolitik der Schweiz verfolgt, weil es damals um Methadon ging. Herr Professor Uchtenhagen - Sie waren dabei; ich habe es ihm selbst gesagt - hat uns mit derselben Begründung und derselben Argumentation, mit der er uns vor zwölf Jahren Methadon angeraten hat, jetzt angeraten, in Heroinprogramme einzusteigen. Ich halte das nicht für sehr glaubwürdig, und die wissenschaftliche Untermauerung ist mehr als schwach.
Beatrix Philipp
Es ist auch nicht wahr, Frau Knoche, wenn Sie sagen, Heroinabgabe durch Ärzte hätte dazu geführt, daß es keinen Todesfall mehr gibt. Das ist einfach nicht wahr. Wissen sie, warum nicht? Weil Sie den Beikonsum vergessen. Wenn es so ist, wie Sie sagen, daß ein Heroinabhängiger Heroin bekommmt und sonst nichts nimmt, dann haben Sie recht. Das ist logisch; das wissen wir. Aber so ist es doch nicht. Ich finde es ganz schlimm, wenn hier der Eindruck erweckt wird und der Bevölkerung vorgegaukelt wird - das trifft auch auf die NRZ zu, Herr Schlauch; auch ich kenne diese Zeitung, und zwar schon ein bißchen länger -, über diesen Weg würde man tatsächlich das schaffen, was uns allen ein Anliegen ist - wenn es denn noch ein gemeinsames ist -, nämlich Drogenfreiheit.
Ich bestreite, daß wir uns einig sind.
Ich komme auf das Beispiel von Frankfurt zu sprechen. Ich teile die Auffassung, die dort dazu geführt hat, daß es solche Räume gibt, nicht. Ich will Ihnen auch sagen, warum nicht: Wir wissen, Frau Schaich-Walch, in Frankfurt gibt es ungefähr 8000 Süchtige. Von zirka 600 Druckeinheiten ist die Rede, das heißt, man erfaßt ungefähr 200 Abhängige. Das bedeutet, daß 200 Abhängige, die ungefähr 3 Prozent der gesamten Abhängigen ausmachen, Kosten in Höhe von 2,5 bis 2,9 Millionen DM verursachen.
Was ist denn eigentlich mit den 97 Prozent anderen Abhängigen?
Es ist auch falsch, Frau Mertens, wenn Sie von den Spielplätzen in Ihrem Schanzenviertel reden. Sie erwecken der Bevölkerung gegenüber den Eindruck, daß in dem Augenblick, wo es Druckräume gibt, wo es die Abgabe von Heroin an Abhängige gibt, das Problem der Spritzen auf dem Spielplatz verschwindet. Dieser Eindruck ist nicht nur falsch; auch die Fakten sprechen dagegen. Wenn Sie 6 Prozent der Abhängigen erreichen - ich lasse jetzt einmal außen vor, wie sich das hier oder da auswirkt -, dann bleiben 94 Prozent übrig. Dann ist Ihr Problem mit den Spielplätzen überhaupt nicht erledigt.
Nächster Punkt: 70 Prozent der Heroinabhängigen, Frau Knoche, haben einen Beikonsum von Kokain. Was machen Sie denn eigentlich mit denen? Ich mache einmal einen Strich unter das Thema. Ich will das nicht beschreiben, weil ich es einfach bedaure, daß der Eindruck entsteht, man würde hier das Problem von Grund auf lösen. Aber man schadet! Wissen Sie, wem man massiv schadet? Man schadet dem gesamten Präventionsbereich.
Wie erklären Sie den jungen Menschen, daß der Staat und daß Mediziner auf der einen Seite Drogen offiziell abgeben und daß Sie auf der anderen Seite in Schulen oder wo sonst auch immer den Jugendlichen sagen wollen, sie sollten ein möglichst drogenfreies Leben führen? Das paßt überhaupt nicht zusammen und ist meiner Ansicht nach unglaubwürdig.
Ich will als letztes Schweden zitieren, weil es mir scheint, daß viele nicht wissen, daß man dort, weil man einen Grundkonsens hatte, auf einem - meiner Ansicht nach - richtigen Weg ist. In Schweden war liberalste Drogenpolitik an der Tagesordnung. Das weiß eigentlich jeder, der sich ein bißchen damit befaßt hat. 1965 gab es ein Programm zur Abgabe von Drogen. Zwei Jahre später ist man davon abgegangen, weil sich die Zahl der Drogenabhängigen verdoppelt hat. 1969 wurden die Polizeikräfte auf diesem Gebiet verzehnfacht und restriktivste, repressivste Maßnahmen ergriffen. 1970 wurde der Drogenbesitz entkriminalisiert. 1980 gab es ein Verbot des Drogenbesitzes unter Androhung von Geld- und Gefängnisstrafen. Seit 1988, Frau Knoche, ist nicht nur der Besitz, sondern auch die Einnahme von Drogen in Schweden unter Strafe gestellt.
Liebe Frau Mertens, vielleicht informieren Sie sich auch darüber einmal: Bei Befragungen von Schülern in Schweden im Jahr 1967 gaben 17 Prozent der Mädchen und 23 Prozent der Jungen an, schon einmal Drogen genommen zu haben. Dieser Anteil ist bis 1975 auf 8 Prozent, bis 1992 auf 3 bis 5 Prozent gesunken. Heute ist der Schutz der Jugendlichen vor der Drogenabhängigkeit oberstes Ziel in Schweden.