Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich würde ganz gerne eine Anekdote erzählen, aber das paßt vielleicht doch nicht so ganz.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
— Drucksache 10/4050 —
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Herr Staatssekretär Haunschild steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß zwar am 14. Oktober 1985 in Paris von der CNES die faktische Auftragsvergabe für das Weltraumprojekt „Hermes" erfolgte, eine politische und finanzielle Entscheidung der Bundesregierung aber immer noch nicht gefallen ist, und entstehen der deutschen Wirtschaft dadurch nicht wiedergutzumachende Nachteile?
Ich bitte Sie, Herr Staatssekretär, um Ihre Antwort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, bislang ist das Hermes-Projekt den anderen Partnern im Rahmen der Europäischen Weltraumorganisation ESA von Frankreich offiziell nicht zur Beteiligung angeboten worden. Deshalb liegt die Grundlage für eine Entscheidung der Bundesregierung über eine Beteiligung an diesem Projekt bisher nicht vor.
Die jetzt getroffene französische Entscheidung betrifft die Arbeitsteilung zwischen zwei französischen Unternehmen für die von Frankreich angestrebte Rolle des Hauptauftragnehmers. Falls sich später andere Staaten beteiligen, wird der Arbeitsanteil der Industrien der anderen Staaten vertraglich vereinbart werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär Haunschild, wie würden Sie dann erklären, daß die anderen
europäischen Staaten, die für eine Beteiligung in Betracht kommen, schon Absichtserklärungen über die Höhe ihrer möglichen Beteiligung abgegeben haben, und meinen Sie nicht, daß auch die Bundesrepublik im Interesse der deutschen Wirtschaft ebenso wie die anderen Länder hätte verfahren müssen, und zwar unabhängig von der Frage, ob an die Bundesrepublik eine Beteiligung am Hermes-Projekt offiziell tatsächlich herangetragen worden ist, was Sie j a verneinen?
Haunschild, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, der Bundesregierung sind offizielle Stellungnahmen anderer Regierungen über die Beteiligung oder auch über Beteiligungssätze bisher nicht bekannt. Es ist bekannt, daß Frankreich die Absicht hat, dieses Projekt im Rahmen der ESA vorzuschlagen, und es finden zur Zeit vorbereitende Gespräche statt. Nach unserer Kenntnis hat bisher keine Regierung, die aufgefordert worden ist, sich zu beteiligen, eine Entscheidung getroffen.
Zweite Zusatzfrage? — Bitte.
Darf ich den Eindruck wiedergeben und ihn in einer Frage formulieren, daß im Hinblick auf mögliche Finanzierungskonsequenzen für das SDI-Programm offensichtlich immer mehr eine übergroße Zurückhaltung der Bundesregierung bei forschungspolitischen Grundsatzentscheidungen, bei zivilen forschungspolitischen Entscheidungen zutage tritt?
Haunschild, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, dieser Eindruck ist, wenn er sich bei Ihnen gebildet haben sollte, sicherlich falsch. Eine inhaltliche Verbindung zwischen SDI und Hermes vermag ich nicht zu erkennen. Hermes ist ein rein ziviles Projekt. Auch die Fragen, ob das eine oder andere Projekt im Bundeshaushalt gedeckt werden kann, werden unabhängig voneinander nach den Qualitäten der einzelnen Projekte beurteilt.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
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12514 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Vizepräsident Frau RengerIch rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Hettling auf. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet.Danke schön, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfügung.Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Schulte auf. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet. Das gleiche gilt für die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Schulte (Menden).Es tut mir leid, Herr Staatssekretär, daß Sie die Fragen nicht beantworten können, aber der Fragesteller ist nicht im Raum.Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Der Fragesteller, der Abgeordnete Clemens, bittet um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 6 und 7. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Damit ist auch Ihr Geschäftsbereich abgeschlossen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner steht zur Beantwortung zur Verfügung.Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Rusche auf:Trifft es zu, daß bereits seit mehreren Monaten die Feldhaubitze FH 70 an Saudi-Arabien geliefert wird, und wann hat die Bundesregierung ihre Zustimmung für diesen Export erteilt?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die Bundesregierung hat im Oktober 1981 der Zulieferung von Teilen der Feldhaubitze FH 70 nach Großbritannien zugestimmt, die Großbritannien in eigener Verantwortung und Zuständigkeit nach Saudi-Arabien liefert.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Wie hoch ist der bundesdeutsche Anteil an dem Feldhaubitzensystem FH 70?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es handelt sich um einen Anteil — bitte, legen Sie mich jetzt nicht fest — von 36 %.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Kann die Bundesregierung ausschließen, daß diese nach Saudi-Arabien gelieferten Feldhaubitzen beispielsweise im Golfkrieg eingesetzt werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine Verantwortung für diese Waffenlieferung und einen Einfluß auf ihre Verwendung könnte nur Großbritannien als Lieferant übernehmen, nicht die Bundesregierung.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Rusche auf:
Welche Waffen werden mit Genehmigung der Bundesregierung auf der Grundlage von Lizenzvergaben bundesdeutscher Firmen in welchen arabischen Ländern hergestellt?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung ist bekannt, daß in einem arabischen Land, nämlich Saudi-Arabien, Handfeuerwaffen nach einer deutschen Lizenz hergestellt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte.
Kann die Bundesregierung verbindlich erklären, daß diese Waffen und Rüstungsmaterialien nicht auf der einen oder anderen Seite in Kriegen wie beispielsweise dem Golfkrieg eingesetzt werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Eine solche Erklärung kann in keinem Falle abgegeben werden, weil die Verwendung dieser Waffen in der Hand SaudiArabiens ist und von daher von der Bundesregierung kein Einfluß auf die Verwendung dieser Waffen ausgeübt werden kann, wie das nirgends in der Welt möglich ist.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rusche, bitte.
Hat die Bundesregierung überhaupt keinen Einfluß auf die mögliche Weiterlieferung dieser Waffen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat die Möglichkeit, bei Waffenlieferungen auf eine Endverbleibsklausel hinzuwirken. Aber sie hat über diese rechtliche Verpflichtung eines Empfängerlandes hinaus keine Möglichkeit, irgendeinen Einfluß auszuüben.
Eine Zusatzfrage, Frau Borgmann, bitte.
Ist die Bundesregierung von den Bezieherländern über den jeweiligen Endverbraucher informiert worden?Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, diese Antwort bezieht sich lediglich auf Lieferungen, die wir nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz oder nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigen und bei denen wir die Genehmigung mit einer Erklärung über den Endverbleib verbinden. Das bezieht sich nicht auf Waffenlieferungen Dritter wie etwa im Falle Englands. Das bezieht sich auch nicht auf die Produktion von Waffen, die beispielsweise in Saudi-Arabien oder in irgendeinem anderen Land der Welt — es gibt ja sehr viele Länder in der Welt, in denen Waffen hergestellt werden — in eigener
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12515
Parl. Staatssekretär GrünerRegie dieses Landes hergestellt werden, wo der Beitrag einer deutschen Firma in dem konkreten Fall darin besteht, daß die entsprechenden Fertigungsunterlagen — das ist im Ergebnis die Lizenz — an dieses Land verkauft worden sind und dafür eine Genehmigung erteilt worden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Staatssekretär, die Frage lautete j a: „Welche Waffen werden mit Genehmigung der Bundesregierung ... in welchen arabischen Ländern hergestellt?" Sie antworteten darauf: Der Bundesregierung ist ein Fall bekannt, in Saudi-Arabien. Mich interessiert nun präzise: Gibt es auch die Möglichkeit, daß Lizenzvergaben erfolgen, die rechtlich nicht von der Bundesregierung genehmigt werden müssen? Ist es also praktisch möglich, daß eine Firma einen Vertrag direkt abschließt, ohne daß das der Bundesregierung zur Kenntnis gelangt, was konkret natürlich bedeutet, daß, wenn Ihnen nur ein Fall bekannt ist, weil nur ein Fall genehmigt wurde, auch die Möglichkeit besteht, daß noch andere, Ihnen nicht bekannte und nicht genehmigte Lizenzverfahren vorliegen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das ist bei Einhaltung unserer Gesetze nicht möglich. Die Firmen, die hier in der Bundesrepublik Deutschland tätig sind und hier Ausfuhrgenehmigungen beantragen, sind an diese Gesetze gebunden. Das gilt selbstverständlich nicht für alle anderen Länder der Erde, die diese strengen, restriktiven Bestimmungen nicht kennen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Kennt die Bundesregierung nicht mindestens einen Fall, wo Waffen in einem arabischen Land mit deutschen Lizenzen und Fertigungsunterlagen hergestellt werden, obwohl keine Genehmigung erteilt worden ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, ich kenne keinen Fall, Herr Kollege Gansel.
Ich würde dann darum bitten, daß bei so detaillierten Fragen in der Fragestunde dieses Thema noch einmal aufgegriffen wird, wobei ich hinzufüge, daß alle an diesen Fragen Interessierten im Grunde eine sehr viel größere Information bekommen würden, wenn in den dafür zuständigen Ausschüssen mit den entsprechenden Möglichkeiten, die dort gegeben sind, gefragt würde; dann würde sich der Informationsstand wesentlich erhöhen lassen.
Dafür kann er nichts, Herr Kollege; aber der Parlamentarische Staatssekretär spricht hier für die Bundesregierung.
Ich rufe die Fragen 10 und 11 des Herrn Abgeordneten Mann auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; dann werden die Fragen nicht beantwortet.
Ich rufe die Frage 12 der Frau Abgeordneten Borgmann auf:
Trifft es zu, daß das bundeseigene Reisebüro DER eine Gruppenreise nach Namibia und Südafrika vom 16. November bis 1. Dezember 1985 organisiert, und wie bewertet die Bundesregierung die Werbung dafür, die die Verhältnisse in Südafrika als „exotische Mischung von Menschenrassen" beschreibt ?
Bitte sehr, Her Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß das DER — Deutsches Reisebüro GmbH — kein bundeseigenes Unternehmen ist. Es befindet sich allerdings mehrheitlich im Besitz der Bundesbahn. Schon aus diesem Grunde hat die Bundesregierung keinen Einfluß auf die Unternehmenspolitik dieses privaten Unternehmens und auch nicht auf die Werbung, die dieses Unternehmen betreibt.
Es trifft zu, daß eine DER-Niederlassung in Frankfurt am Main eine Gruppenreise nach Namibia und Südafrika geplant und vorbereitet hat. Sie wurde im April/Mai mit vier Anzeigen als Leserreise des Kopfblattes „Frankfurter Neue Presse" im Frankfurter Raum ausgeschrieben. Im August 1985 ist diese Reise mit Rücksicht auf die politische Situation im südlichen Afrika storniert worden. In den Werbeanzeigen war nach Auskunft des DER auf das hervorragende Klima, auf den Kontrastreichtum der Landschaft, das pulsierende Leben in modernen Städten und auf eine exotische Mischung der Menschenrassen im südlichen Afrika hingewiesen worden. Das DER bezeichnet diese Formulierung selbst als unglücklich. Ich kann mich dieser Wertung nur anschließen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? — Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 13 der Frau Abgeordneten Borgmann auf:
Ist die Bundesregierung darüber informiert, welche Rüstungsmaterialien aus bundesdeutscher Lizenzproduktion aus Argentinien, Brasilien und Spanien an Saudi-Arabien geliefert wurden und geliefert werden, und wie hoch sind die entsprechenden Beträge für 1984?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern sehen seit 1982 mit Bezug auf Nicht-NATO-Länder vor, daß bei Vergabe von Lizenzen, bei Exporten von Fertigungsunterlagen oder Anlagen zur Herstellung von Kriegswaffen Endverbleibsregelungen für die damit hergestellten Kriegswaffen anzustreben sind. Der Bundesregierung sind keine Verstöße gegen dementsprechend vereinbarte Regelungen bekannt.
Zusatzfrage, bitte.
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12516 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Trifft es zu oder hat die Bundesregierung da auch genaue Zahlen vorliegen, wovon ich eigentlich ausgehe, daß die jüngst veröffentlichten Rüstungsexportstatistiken der US-amerikanischen Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde richtig sind? Sie weisen nämlich für die Rüstungsexporte aus der Bundesrepublik Deutschland nach Saudi-Arabien für die Zeit von 1979 bis 1983 eine Höhe von 525 Millionen Dollar aus.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Zahl ist insofern falsch, als z. B. zwischen Genehmigungen und tatsächlichen Ausfuhren unterschieden werden muß. Ich möchte eigentlich auch in diesem Zusammenhang sagen, daß die Bundesregierung es vorziehen würde, diese Gesamtproblematik und ihre Details in entsprechenden Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu erörtern, weil dort auch außenpolitische Rücksichtnahmen, die naturgemäß eine große Rolle spielen, in anderer Weise geübt werden können, als das im Plenum des Deutschen Bundestages und damit in der Öffentlichkeit möglich ist, einschließlich der Erläuterung, was man von solchen Aussagen und solchen Statistiken halten kann.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Teilt die Bundesregierung unsere Auffassung, daß es besser wäre, die Rüstungsexportstatistiken zu veröffentlichen, bevor falsche Zahlen, wie Sie sie jetzt bezeichnen, von seiten der US-Regierung in Umlauf gebracht werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß es keine Regierung gibt, die eine solche Fülle von Detailinformationen zum Rüstungsexport bekanntgibt, vor allem auf Grund von Anfragen im Deutschen Bundestag, wie das die Bundesregierung tut. Ich persönlich und die Bundesregierung meinen, daß große Offenheit gegenüber dem Parlament zweckmäßig ist. Aber ich bitte zu berücksichtigen, daß diese kritischen Fragen bei uns deshalb gestellt werden, weil uns unsere restriktive Rüstungsexportpolitik dazu zwingt, sehr viele Rüstungsanfragen abzulehnen, während andere Länder, auf die Berufung genommen wird, etwa die Vereinigten Staaten von Amerika, ihre Rüstungsexportpolitik als Teil ihrer Sicherheitspolitik ausgesprochen expansiv betreiben, so daß die Veröffentlichung der Zahlen dort gleichzeitig eine Werbung darstellt. Unsere Restriktionen finden mit einen Grund darin, daß wir durch Veröffentlichung nicht Berufungsfälle schaffen wollen und nicht in die außenpolitische Verlegenheit gebracht werden wollen — soweit das überhaupt möglich ist —, erklären zu müssen, warum wir aus diesem oder jenem Grunde nicht liefern. Das ist die konkrete Schwierigkeit. Deshalb noch einmal meine Aussage, daß die Erörterung dieser Frage in den entsprechenden Ausschüssen des Deutschen Bundestages sehr viel mehr Informationen erbringen kann als Detailerörterungen hier bei öffentlichen Anfragen im Deutschen Bundestag.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, Herr Staatssekretär — das ist eine Frage, Frau Präsidentin —, daß es zunehmend Abgeordnete gibt, die es als eine Verletzung des parlamentarischen Mindestanstandes empfinden, wenn die Bundesregierung im Plenum nicht Auskunft gibt, auf Ausschüsse verweist, in Ausschüsse Beamte schickt, die nicht in der Lage sind zu antworten, oder auf andere Ausschüsse verweisen, mit dem Ergebnis, daß auch in vertraulich tagenden Ausschüssen — so wie heute im Verteidigungsausschuß — die Bundesregierung nicht bereit ist, die entsprechenden Zahlen auf den Tisch zu legen — das war die erste Hälfte der Frage, Frau Präsidentin, jetzt kommt die zweite — —
Ich glaube, das war eine Frage, und nur eine Frage ist zugelassen.
— Sie sagten es bereits, Herr Kollege. Herr Staatssekretär, möchten Sie darauf antworten?
— Nein, das geht nicht. Nur eine Frage ist möglich. Wir wollen nicht mogeln. — Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihre kritische Bewertung der Haltung der Bundesregierung in diesen Fragen in den Ausschüssen nicht teilen. Wenn es im Einzelfall zu einer solchen Haltung gekommen sein sollte, wird die Opposition Manns genug sein, entsprechende Schritte einzuleiten. Das ist auch die Aufgabe des Parlaments — so meine ich —, wenn Sie sich schlecht behandelt fühlen. Worauf es mir wirklich ankommt, Herr Kollege, ist, daß hier auch deutlich wird, daß die Beantwortung von Einzelfragen zur Rüstungsexportpolitik jedenfalls von einem Teil der Fragesteller als ein Mittel gesehen wird, Mißtrauen gegen die restriktive Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung in der Öffentlichkeit zu schüren, und deshalb die umfassende Information gar nicht im Vordergrund des Interesses steht. Das ist eine Bewertung von einzelnen Fragen. Das könnte ich auch im Detail belegen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rusche.
Wollte der Herr Gansel nicht noch seine zweite Zusatzfrage stellen?
Nein, Sie haben das Wort.
— Dies mache ich hier nämlich.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12517
Rusche [GRÜNE]: Meine Zusatzfrage lautet: Welche der von der saudiarabischen Militärdelegation im Dezember 1983 besuchten Firmen AEG, MBB, Siemens, Krauss-Maffei, SEL, Thyssen-Henschel, Dynamit-Nobel haben bisher Anfragen bezüglich Genehmigung für Ausfuhren nach Saudi-Arabien an die Bundesregierung gerichtet?Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich verweise auf die Aktuelle Stunde und auf die Erklärungen von Bundesminister Schäuble in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages zum Thema Rüstungsexport nach Saudi-Arabien.
Zusatzfrage, Herr Dr. Schierholz.
Auf Grund welcher Erkenntnisse kommen Sie jetzt zu dem messerscharfen Schluß auf die erste Zusatzfrage meiner Kollegin Frau Borgmann, daß die Zahl von 525 Millionen Dollar, die, wie gesagt, in dem Bericht der amerikanischen Abrüstungsbehörde ACDA steht, falsch sei, und darf ich aus dieser schnellen Antwort, die Sie gerade gegeben haben, schließen, daß Ihnen diese Zahl zumindest vorher schon bekannt war?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, ich komme zu dieser schnellen Antwort, weil ich die Verwechslung von Genehmigungen und tatsächlichen Ausfuhren als ein ständiges Mißverständnis feststelle, und ich sehr schnell geschlossen habe, daß auch hier so etwas mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen müßte. Das war meine Wertung, und das ist der Grund für diese Wertung.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Suhr auf:
Wie hoch ist der Warenwert der seit 1983 von der Bundesregierung für den Export nach Saudi-Arabien genehmigten Waren gemäß Teil 1 der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung, aufgeschlüsselt nach den Abschnitten A, B und C und Jahren?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Zunächst, Herr Kollege, bitte ich um Entschuldigung, daß Ihre damaligen Fragen zur Fragestunde des Deutschen Bundestages am 17. und 18. Oktober 1985, deren Beantwortung Ihnen am 16. Oktober 1985 schriftlich zugegangen ist, durch einen Übermittlungsfehler — „aus Saudi-Arabien" anstatt „nach Saudi-Arabien" — entstellt waren. Das Bundesministerium für Wirtschaft war allerdings von vornherein von einem Schreibfehler ausgegangen.
Die nach Ländern oder Ländergruppen — das ist der Inhalt Ihrer Frage — aufgeschlüsselte Angabe von Exportgenehmigungen, um die Sie nunmehr nachfragen, wird nach der ständigen Praxis der Bundesregierung nicht in öffentlichen Sitzungen bekanntgegeben, denn es können aus solchen Angaben keine verläßlichen Rückschlüsse auf die tatsächlichen Ausfuhren gezogen werden. Deshalb wäre auch hier meine Anregung, solche Fragen in einem der zuständigen Ausschüsse zu erörtern, weil
wir, wie gesagt, nach ständiger Praxis öffentlich dazu nicht Stellung nehmen.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Dann hätte ich doch die Frage, wieso aus den Angaben, was tatsächlich exportiert wird, keine Rückschlüsse gezogen werden können.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich wiederhole noch einmal: weil eine Verwechslung zwischen Genehmigung und tatsächlicher Ausfuhr unvermeidlich ist. Ich habe das ja in der Aktuellen Stunde des Bundestages auch an dem Beispiel der Genehmigung einer Anlage zur Herstellung von Sprengstoffen und zur Lieferung einer Fabrik zur Herstellung von Maschinengewehren nach Saudi-Arabien dargelegt. Dafür war 1976 oder 1977 — ich erinnere mich an das Jahr nicht mehr genau — die Genehmigung erteilt worden. Aber geliefert worden ist nicht, weil die entsprechenden deutschen Antragsteller, die die Genehmigung erhalten hatten, nicht den Zuschlag erhalten haben. Deshalb ist zu unterscheiden zwischen Genehmigungen, die vielfach in den Statistiken auftauchen, und dem tatsächlichen Vollzug.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Ich würde dann zu der Frage 15 kommen wollen.
Herr Gansel, bitte.
Hier wurde ja nach den Zahlen ab 1983 gefragt, Herr Staatssekretär. Daran schließt sich meine Zusatzfrage an. Wenn der Wert der Genehmigungen für Waffenexporte nach Saudi-Arabien, die die Bundesregierung erteilt hat, größer ist als der der tatsächlich von Saudi-Arabien gekauften und importierten Waffen aus der Bundesrepublik, ergibt sich doch daraus wenigstens ein Rückschluß: Die Bereitschaft der Bundesrepublik, Waffen nach Saudi-Arabien zu verkaufen — Genehmigung —, war größer als der tatsächliche Bedarf Saudi-Arabiens, nämlich die tatsächliche Einfuhr.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist ein Irrtum, Herr Kollege. Der Bedarf ist möglicherweise aus anderen Quellen befriedigt worden. Eine solche Schlußfolgerung würde ich also nicht für richtig halten. Darüber ist ja auch in der Aktuellen Stunde des Bundestages sehr deutlich gesprochen worden. Aber es gibt für uns keinerlei Veranlassung, Genehmigungen, die wir im Rahmen unserer Rüstungsexportpolitik erteilt haben, etwa hier nicht in den uns gegebenen gesetzlichen Grenzen darzustellen.
Frau Präsidentin, ich möchte mich entschuldigen: Ich habe die Fragen des Herrn Kollegen Suhr zusammen beantwortet, ohne darauf aufmerksam zu machen, weil ja die Antwort lautet: Ich kann hier keine Details sagen. Das gilt für beide Fragen, Herr Kollege. Ich bitte um Verständnis.
Dann rufe ich nachträglich die Frage 15 des Kollegen Suhr auf:
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12518 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Vizepräsident Frau Renger Wie hoch ist der Warenwert der zwischen 1972 und 1982 von der Bundesregierung für den Export nach Saudi-Arabien genehmigten Waren gemäß Teil 1 der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung, aufgeschlüsselt nach den Abschnitten A, B und C?Herr Kollege Suhr hat dann natürlich noch Zusatzfragen zur Frage 15. Aber Sie, Herr Vogel, wollten noch eine Zusatzfrage zu Frage 14 stellen.
Herr Staatssekretär, kann man die von Ihnen geschilderte Gefahr der Verwechslung zwischen Genehmigungen und tatsächlichen Exporten nicht dadurch lösen, daß man, da ja, soweit ich weiß, auch die Exporte statistisch erfaßt werden, kurzerhand zwei Statistiken einführt und beide in nichtöffentlicher Sitzung zugänglich macht?
— Er hatte es vorhin schon abgelehnt, überhaupt etwas öffentlich zu sagen.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist sicher ohne weiteres möglich, das bei den Genehmigungen, die in diesem relevanten Bereich etwa nach dem Außenwirtschaftsgesetz oder nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz erteilt sind, einfach durch Rückfrage bei der entsprechenden Firma, die den Antrag gestellt hat, festzustellen. Das ist gar kein Problem. Ich glaube nicht einmal, daß man dafür eine eigene Statistik benötigt. Es ist jedenfalls möglich, das festzustellen, allerdings nur durch Rückfrage bei der entsprechenden Firma.
Wir können aber nicht sagen, wer tatsächlich geliefert hat, wer den Auftrag bekommen hat. Wir haben keine Möglichkeit, überall in der Welt exakt festzustellen, welche Auftragnehmer welche Aufträge ausführen.
Herr Abgeordneter Suhr, Sie haben noch zwei Zusatzfragen.
Ich hätte gern gewußt, ob die Bundesregierung wenigstens die wesentlichen Projekte für den Zeitraum von 1972 bis 1982 nennen und näher aufschlüsseln kann, ob es sich dabei um Panzerfahrzeuge, Gewehre oder Militärelektronik gehandelt hat.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Antworten sind u. a. auf die Kleinen Anfragen, die die GRÜNEN zu diesem Thema gestellt haben, erteilt worden.
Bitte, Herr Kollege, noch eine Zusatzfrage.
Ich hätte gern gewußt, ob die Bundesregierung bereit ist, darüber zu informieren, ob Rüstungsmaterialien aus bundesdeutscher Lizenzproduktion oder mit bundesdeutscher Zulieferung aus Argentinien, Brasilien oder Spanien an SaudiArabien geliefert wurden.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch hierzu hat die Bundesregierung auf entsprechende Anfragen aus dem Parlament schon Stellung genommen.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Borgmann.
Wenn die Bundesregierung mit uns der Meinung ist, daß der Nahe Osten ein Spannungs- und Krisengebiet ist, ist es dann nicht ratsam, statt durch weitere Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien Öl ins Feuer zu gießen, diese Exporte von Waffen, die im Golfkrieg und auch im Bürgerkrieg im Libanon aufgetaucht sind, sofort einzustellen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich glaube, daß in der Aktuellen Stunde des Bundestages die Antwort von Herrn Bundesminister Schäuble auf die politische Einschätzung der Lage im Nahen Osten, speziell in Saudi-Arabien, sehr eindeutig war.
Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich keinen Wert darin sehe, durch derartige pauschale Äußerungen unsere sehr guten wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, die wir zu diesen Ländern haben — unabhängig davon, wie ihre Haltung im Nahostkonflikt ist —, zu bewerten und in einer Weise zu kommentieren, die jedenfalls unseren außenpolitischen Interessen nicht gerecht wird.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Will die Bundesregierung bei der Vereinbarung mit der spanischen Regierung, dort spanische Panzer auf Grund deutscher Lizenzen für den Export nach Saudi-Arabien zu bauen, nicht nur Endverbleibsklauseln anstreben, sondern sie auch tatsächlich vereinbaren?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben dieses Anstreben in die rüstungsexportpolitischen Grundsätze von 1982, die in der sozialliberalen Koalition unter intensiver Beteiligung von Parlamentariern beider Fraktionen erarbeitet worden sind, aufgenommen, und zwar aus der Erkenntnis, daß mehr als Anstreben keine Grundlage für die von uns für notwendig gehaltene Rüstungskooperation mit befreundeten Ländern darstellt. Das war Gegenstand eingehender Unterhaltungen. Auch die engagierten Rüstungsexportgegner der sozialdemokratischen Fraktion in den damaligen Beratungen haben sich doch dem Gewicht dieser Argumente anschließen müssen.
— Wir streben es an, und es ist uns in einer ganzen Reihe von Fällen gelungen, das auch zu erreichen. Das gilt z. B. für die Genehmigung der Lieferung von Plänen. Für die umstrittene Fabrik in SaudiArabien ist es gelungen, eine Endverbleibsklausel zu erreichen, obwohl es sich nur um „Pläne" handelt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12519
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß es der Achtung dieses Parlamentes mehr entsprechen würde, wenn Sie schon schriftlich beantwortete Fragen, die zum Verständnis in dieser Fragestunde beantwortet werden sollten, hier auch noch einmal beantworten würden? Sie wissen, wir haben alle sehr viel zu lesen, und es ist vielleicht sehr sachdienlich, unter Umständen auch schriftlich schon beantwortete Fragen hier noch einmal zu beantworten.
Sie nehmen das zur Kenntnis, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bitte doch um Verständnis für meine Situation, daß hier Zusatzfragen gestellt werden und daß ich einfach nicht in der Lage bin, aus dem Kopf diese umfangreichen Antworten, zum Beispiel die Antwort auf eine Kleine Anfrage, aus den dargelegten Gründen hier noch einmal zu wiederholen, so daß ich eigentlich nur daran erinnern kann. Ich bin aber sehr gerne bereit und nehme Ihre Kritik zum Anlaß, dem Herrn Kollegen noch schriftlich mitzuteilen, wo wir diese Fragen beantwortet haben. Ich bin nicht in der Lage, hier aus dem Stand eine solche Antwort zu geben, wenn sie in einer Zusatzfrage gestellt wird. Ich bitte also auch hier um Verständnis für die Situation, in der sich der Antwortende befindet.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rusche.
Herr Staatssekretär, wie erklärt die Bundesregierung das Auftauchen bundesdeutscher Waffen im Libanon-Krieg, und welche Konsequenzen ergeben sich für die Bundesregierung aus der offensichtlichen Weiterlieferung?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es tut mir schrecklich leid. Auch hier muß ich sagen, daß wir zu dieser Frage schon Stellung genommen haben. Ich werde Ihnen die Fundstelle, die ich nicht im Kopf habe, ebenfalls schriftlich mitteilen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogel.
Herr Staatssekretär, Sie erläuterten vorhin Ihre Gründe, warum Sie die entsprechenden Statistiken nicht öffentlich bekanntmachen wollen. Muß ich daraus folgern, daß diese Statistiken als geheim eingestuft sind? Oder würde die Möglichkeit bestehen, in einer nichtöffentlichen Sitzung diese Statistiken in Erfahrung zu bringen und nachher öffentlich zu machen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, diese Möglichkeit würde nicht bestehen, sondern es würde die Möglichkeit bestehen, in einer nichtöffentlichen Sitzung unter entsprechenden Vereinbarungen des Ausschusses eine sehr viel weitergehende Information zu geben, als es hier in der öffentlichen Sitzung mit Rücksicht auf unsere außenpolitischen Interessen, allerdings auch mit Rücksicht auf gesetzliche Vorschriften, die wir zu beachten haben — Verwaltungsverfahrengesetz, Datenschutzgesetz — möglich ist. Im Ausschuß könnten wir jedenfalls sehr
viel weitergehen, als es hier in öffentlicher Sitzung möglich ist.
Der Herr Abgeordnete Mann hatte sich verspätet. Ich habe mich erkundigt. Es ist nicht möglich, daß ich Ihre Frage noch einmal aufrufe. Ich habe das viele Male so getan. Aber es gibt inzwischen eine feste Vereinbarung, daß wir es nicht noch einmal später aufrufen. Es tut mir furchtbar leid.
Dann zur Frage 16. Herr Staatssekretär könnten Sie diese Frage beantworten, obwohl Herr Abgeordneter Dr. Hupka um schriftliche Beantwortung gebeten hat? — Gut. Dann rufe ich diese Frage auf:
Wie hoch ist die Zahlungsverpflichtung der Volksrepublik Polen bezüglich staatlich verbürgter Kredite einschließlich der für 1985 bis 1990 gewährten sechs Freijahre?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Zahlungsverpflichtung der Volksrepublik Polen gegenüber der Bundesrepublik aus staatlich verbürgten Lieferanten- und Finanzkrediten beläuft sich auf rund 7,3 Milliarden DM. Hinzu kommen Zinsverpflichtungen Polens aus dem Umschuldungsabkommen 1981 und dem in Kürze abzuschließenden Umschuldungsabkommen für die Jahre 1982 bis 1984 in Höhe von rund 390 Millionen DM für die Jahre 1985 und 1986.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, wie viele Kredite sind davon staatsverbürgt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin leider noch nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten. Ich werde Ihnen die Antwort gerne schriftlich übermitteln.
Eine zweite Zusatzfrage. Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Die Zinsen, die zurückgestellt worden sind, belaufen sich dann, wenn ich Sie recht verstanden habe, bis zum Jahre 1985 auf 390 Millionen DM?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auf 390 Millionen DM.
Keine Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Pöppl auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Folge des Haushaltsbegleitgesetzes vom 22. Dezember 1983 von der Fahrzeugversicherungswirtschaft die Versicherungsbestimmungen in der Kraftfahrtversicherung dahin gehend verändert wurden, daß diejenigen Versicherten, die nur noch teilweise von der Kraftfahrzeug-Steuer befreit sind, keinen Beitragsnachlaß mehr gewährt bekommen, und teilt sie die Meinung, daß diese Regelung nicht behindertenfreundlich ist?Bitte sehr, Herr Staatssekretär.Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Versicherungswirtschaft hat die Tarifbestimmun-
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12520 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Parl. Staatssekretär Grünergen über den Beitragsnachlaß für Behinderte in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung im Gefolge des Haushaltsbegleitgesetzes nicht geändert. Die Versicherer haben vielmehr an der vollständigen Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer als Voraussetzung für den Beitragsnachlaß festgehalten.Entsprechendes gilt für die Fahrzeugvollversicherung, die jedoch nicht mehr der Genehmigungspflicht unterliegt. Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983 ist in das Kraftfahrzeugsteuergesetz § 3 a eingefügt worden. Hiernach erhalten bestimmte Behinderte mit Wirkung vom 1. April 1984 nur noch eine Kraftfahrzeugsteuerermäßigung von 50 %. Diesen Behinderten wird damit der Beitragsnachlaß von 25% in der KraftfahrzeugHaftpflichtversicherung nicht mehr gewährt, weil — wie gesagt — dieser Befreiungstatbestand nach den Versicherungsbedingungen an die vollständige Kraftfahrzeugsteuerbefreiung anknüpft. Entsprechend wurde der Kalkulationszuschlag bei den übrigen Versicherungsnehmern gesenkt. Der Bundesregierung ist bekannt, daß hierdurch Härten insbesondere für Gehbehinderte, die auf das Kraftfahrzeug angewiesen sind, entstanden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pöppl.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Einschätzung, daß die Bundesregierung bei der Einbringung des Steuerentlastungsgesetzes 1984 nicht beabsichtigt hatte, der Versicherungswirtschaft auf diesem indirekten Weg Beitragsmehreinnahmen gegenüber 1983 zu verschaffen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist richtig, daß wir diese Folge in der Versicherungswirtschaft bedauern. Aber wir können nicht daran vorbeisehen, daß wir mit unseren Maßnahmen dafür den Anlaß gegeben haben. Die Versicherungswirtschaft führt gegen eine Anpassung der geltenden Tarifbestimmungen an, daß der Beitragsnachlaß nicht durch einen entsprechenden Schadensverlauf gerechtfertigt sei, daß sie also bei einer entsprechenden Anpassung die Beiträge für die übrigen Versicherungsnehmer erhöhen müßte, wie das ja auch in der Vergangenheit der Fall war. Wir hätten es zwar gerne gesehen, wenn die Versicherungswirtschaft Wege gefunden hätte, das anders zu handhaben; ich meine aber, daß wir — als Bundesregierung — nicht etwa mit dem Finger auf die Versicherungswirtschaft zeigen können, denn wir selber haben es aus den bekannten Gründen für richtig gehalten, die Entlastungen, die in der Vergangenheit gewährt worden sind — sie haben einen stürmischen Aufschwung genommen, weil eben die Zahl der Schwerbehinderten durch die Art, wie sie definiert werden, außerordentlich stark angestiegen ist —, durch die entsprechenden Gesetze zurückzunehmen oder zu reduzieren.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pöppl.
Herr Staatssekretär, darauf habe ich eine zweite Frage anzubringen. Ist Ihnen
bekannt, daß nach einer Mitteilung der Bundesregierung vom 21. März 1985 nach altem Recht 3,5 Millionen Behinderte die Kfz-Steuerbefreiung und damit parallel den Beitragsnachlaß in der KfzHaftpflicht- und Kaskoversicherung in Anspruch nehmen konnten, während sich seit Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes 1984 — also ab 1. April 1984 — nur noch 550 000 Schwerbehinderte für die Inanspruchnahme der Kfz-Steuerermäßigung entschieden haben, und sind Sie mit mir der Auffassung, daß bei diesem Sachverhalt bei der Versicherungswirtschaft selbst bei Gewährung des Nachlasses auch in diesen 550 000 Fällen gegenüber früher geringere Beitragsausfälle — die ja ohnehin als Sozialkomponente gegeben und auf andere angerechnet wurden — entstehen würden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist sicher richtig. Zunächst einmal ist die Versicherungswirtschaft natürlich von dem stürmischen Anstieg der Beitragsermäßigungen überrascht worden. Dafür liegen mir Zahlen vor. Aber der jetzt denkbare Rückgang könnte durchaus in der Versicherungswirtschaft zu der Überlegung Anlaß geben — das ist der Hintergrund unseres Wunsches an die Versicherungswirtschaft — hier eine Korrektur eintreten zu lassen. Das ist allerdings für die Versicherungswirtschaft nach ihrer Darstellung mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden, und es bleibt dabei, daß eine solche Entlastung zu Lasten der übrigen Versicherten geht. Das muß man eben doch auch deutlich hinzufügen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Staatssekretär, sind die vom Kollegen Pöppl dankenswerterweise zum Gegenstand einer Anfrage gemachten Vorgänge auch Gegenstand eines versicherungsaufsichtsrechtlichen Verfahrens in Berlin?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, dafür gibt es keine Rechtsgrundlage, weil es sich hier nicht etwa darum handelt, daß eine Ermäßigung kalkulatorisch gerechtfertigt wird, sondern es geht um eine Ermäßigung, die von der übrigen Versichertengemeinschaft getragen werden muß. Somit ist das anders als bei kalkulatorischen Beitragssenkungen, die der Genehmigung durch die Bundesregierung unterliegen.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Pöppl auf:Wird die Bundesregierung die Bemühungen, die zu einer behindertenfreundlichen Änderung führen sollen, nachhaltig unterstützen, und sieht sie eine andere Möglichkeit, eine befriedigende Lösung herbeizuführen, als eine Änderung der entsprechenden Versicherungsbestimmungen durch die Versicherungswirtschaft?Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat sich in der Vergangenheit mehrfach nachdrücklich bei der Versicherungswirtschaft dafür eingesetzt, daß insbesondere die erheblich Gehbehinderten, die auf das Kraftfahrzeug angewiesen sind, weiterhin einen Beitragsnachlaß in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung erhalten. Die Ver-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12521
Parl. Staatssekretär Grünersicherungsunternehmen waren nicht bereit, beim Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen als zuständiger Genehmigungsbehörde einen Antrag auf Änderung der entsprechenden Tarifbestimmungen zu stellen, daß auch im Falle der Kraftfahrzeugsteuerermäßigung die Voraussetzungen für einen Beitragsnachlaß gegeben sind.Rechtliche Möglichkeiten, die Versicherungsunternehmen gegen ihren Willen zu einer Änderung der Tarifbestimmungen zu veranlassen, bestehen nicht.Die Bundesregierung wird auch weiterhin bei der Versicherungswirtschaft auf eine Änderung der Tarifbestimmungen zugunsten der erheblich Gehbehinderten hinwirken, da derzeit eine andere Lösungsmöglichkeit nicht gesehen wird.
Zusatzfragen werden nicht gestellt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Gallus steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Trifft es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu, daß die Walderkrankungen in Baden-Württemberg 1985 nicht mehr zugenommen haben und daß in Oberschwaben bereits eine leichte Besserung des Zustandes der Wälder festzustellen war, und kann daraus bejahendenfalls gefolgert werden, daß die Anstrengungen der Bundesregierung und der baden-württembergischen Landesregierung zur Minderung der Schadstoffe in der Luft bereits erste Erfolge zeitigen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, die vom Land Baden-Württemberg veröffentlichten Zahlen weisen aus, daß die Waldschäden insgesamt nicht weiter zugenommen haben. Werden jedoch nur die mittleren und schweren Schäden betrachtet, ergibt sich in diesem Bereich eine weitere Zunahme um 2,9% der Waldfläche.
Das Gebiet Oberschwaben umfaßt im wesentlichen das Wuchsgebiet „süddeutsches Alpenvorland". Die Abnahme der geschädigten Fläche um 1% liegt so niedrig, daß diese Veränderung statistisch nicht signifikant ist.
Der Bundesregierung liegen keine Meßdaten über den Gehalt an Luftschadstoffen in Waldgebieten des süddeutschen Alpenvorlandes vor. Von daher können auch keine Angaben über die dortigen Luftschadstoffbelastungen und deren Veränderungen gemacht werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Angaben über die Situation in Baden-Württemberg, wo es nach Ihrer Aussage tatsächlich zu einem Stillstand gekommen zu sein scheint, zu der Hoffnung berechtigen, daß die Maßnahmen, die die Bundesregierung in die Wege geleitet hat, jetzt doch allmählich zu sichtbaren Erfolgen führen?
Gallus Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, es würde etwas zu weit führen, heute schon zu sagen, daß sich das Ergebnis der Maßnahmen zeigt. Ich bin der Meinung, in diesem Jahr hat die günstige Witterung für den Wald ihren erheblichen Teil dazu beigetragen, daß gewissermaßen ein Stopp der Entwicklung eingetreten ist. Das soll uns nicht dazu verleiten, mit den Maßnahmen nachzulassen, die auf breiter Front weiterhin aufrechterhalten werden müssen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, indem ich Ihrem letzten Halbsatz ausdrücklich beipflichte, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung diese Hilfe von Petrus für den Stopp des weiteren Anwachsens von Schäden in den Wäldern zum Anlaß nehmen wird, bei den bevorstehenden Beratungen über die neue Großfeuerungsanlagen-Verordnung den Wünschen etwa des Bundesrates möglichst weit entgegenzukommen, die dort vorgesehenen Werte noch zu verschärfen.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung wird alles tun, die Maßnahmen in der Weise voranzutreiben, wie es überhaupt möglich ist, um hier Entscheidungen auch in bezug auf die Wirtschaft zu treffen, damit der Wald gerettet werden kann. Dafür bestehen gute Aussichten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Staatssekretär, können Sie Meldungen bestätigen, daß erstmals Eichen und Eichenwälder in größerem Umfang vom Waldsterben betroffen sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe das wie Sie ebenfalls gelesen, und wir werden der Öffentlichkeit sobald wie möglich eine Zusammenstellung der tatsächlichen Schäden in diesem Jahr übergeben, sobald dies im Kabinett behandelt worden ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie der Auffassung des Fachministers in Nordrhein-Westfalen und des Fachministers in Rheinland-Pfalz zu, daß das Stoppen der Weiterentwicklung der Schäden insbesondere darauf zurückzuführen ist, daß im letzten Sommer leider 30% mehr Niederschlag gefallen ist, daß also ein regenreicher Sommer war, wobei z. B. im Westerwald die
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12522 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Immer
Niederschlagsmenge auf 1 300 bis 1 500 mm — durchschnittliche Niederschlagsmenge pro Jahr 1 000 mm — angestiegen ist?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann dem zustimmen. Aber ich würde nicht „leider" sagen. Denn das hat zwar teilweise negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft gehabt, aber für den Wald hat es sich offensichtlich positiv ausgewirkt.
Ich rufe die Frage 20 des Herr Abgeordneten Eigen auf:
Welche Mengen Rindfleisch werden in der zweiten Hälfte des Jahres 1985 aus Drittländern in die Europäische Gemeinschaft importiert, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, diese Importverpflichtungen aus GATT-, Lomé- und Assoziierungsabkommen auszusetzen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herer Kollege, für die zweite Jahreshälfte 1985 ist mit Rindfleischeinfuhren der Gemeinschaft in der Größenordnung von ca. 100 000 t zu rechnen. Aus Assoziierungsabkommen bestehen keine Importverpflichtungen. Möglichkeiten, die Importverpflichtungen auszusetzen, sieht die Bundesregierung nicht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht doch möglich, in der Zeit, in der die Rindfleischmärkte durch den Weideabtrieb besonders stark belastet sind — dies ist j a auch durch die Intervention mit besonders hohen Kosten für die Europäische Gemeinschaft verbunden; in der Tat sind ja Verpflichtungen übernommen worden, etwa über das Abkommen von Lomé, GATT oder Assoziierung —, den Import in dieser Zeit einmal etwas zurückzuführen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eigentlich ist das Inhalt meiner Antwort auf Ihre nächste Frage. Aber grundsätzlich kann ich dazu sagen, daß die Europäische Gemeinschaft allein in diesem Jahr angesichts der besonderen Situation am Rindfleischmarkt in der EG in bezug auf die Abschlachtung von Kühen und eines zusätzlichen gewaltigen Anfalls an Jungbullenfleisch gewaltige Anstrengungen unternommen hat, die Lage in Europa zu stabilisieren. Das hat letzten Endes dazu geführt, daß wir durch unsere Ausgleichsbeträge für den Export von Rindfleisch auf dem Weltmarkt in anderen Ländern der Erde durchaus das umgekehrte Ergebnis heraufbeschworen haben. Diese Länder können nämlich auf Grund des günstigen Angebotes der EG jetzt ihrerseits ihre Produkte nicht mehr am Weltmarkt absetzen. Diesen Zusammenhang müssen wir auch sehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Möglichkeiten untersucht worden, in bilateralen Verhandlungen mit den Exportländern doch gewisse
Abkommen zu treffen, die jedermann für vernünftig halten würde?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin sicher, daß sich die Europäische Kommission, die die Aufgabe hat. entsprechend zu handeln, laufend überlegt, welche zusätzlichen Möglichkeiten es noch gibt, die Rindfleischsituation in der Europäischen Gemeinschaft zu verbessern.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Welche Notbremse könnte die Bundesregierung bzw. die Europäische Gemeinschaft bei den Rindfleischimporten ziehen, wenn die deutsche bzw. europäische Rindfleisch erzeugende Landwirtschaft in eine die Existenz vernichtende Notlage kommt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die im GATT-Abkommen enthaltene Möglichkeit einer zeitlich begrenzten Anwendung der Schutzklausel könnte nur realisiert werden, wenn eindeutig nachgewiesen wird, daß die Marktstörungen durch die GATT-begünstigten Einfuhren verursacht werden. Dieser Nachweis ist jedoch nicht zu erbringen. Während der Umfang der GATT-Kontingente seit Jahren unverändert blieb, ist die Rindfleischerzeugung der Gemeinschaft in den letzten Jahren laufend gestiegen. Auch muß die Gemeinschaft alles vermeiden, was die Schwierigkeiten mit den Drittländern vergrößern würde, die auf Grund der gestiegenen Rindfleischexporte der Gemeinschaft entstanden sind.
Bei den im Lomé-Vertrag vorgesehenen Einfuhrregelungen mit den AKP-Staaten hat die Gemeinschaft auf die Anwendung von Schutzklauseln verzichtet, soweit die vereinbarten Einfuhrmengen eingehalten werden, um den entwicklungspolitischen Charakter dieser Abkommen zu verstärken.
Nach Auffassung der Bundesregierung mull die Gemeinschaft alle sonstigen Möglichkeiten ausschöpfen, die zu einer Verbesserung des Marktgleichgewichtes bei Rindfleisch in der Gemeinschaft beitragen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen, bitte.
Herr Staatssekretär, das 3. Lomé-Abkommen wird ja morgen in erster Lesung im Bundestag beraten. Sollte man nicht doch bei der Paraphierung sicherstellen, daß in besonderen Marktsituationen auch im Bereich des LoméAbkommens gewisse Schutzmaßnahmen möglich sein werden?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Abkommen ist ausgehandelt. Ich sehe hier keine Möglichkeit, solche Klauseln in den Vertrag einzufügen. Dazu müßte ja von Grund auf neu verhandelt werden. Sie wissen, daß nicht nur die Situation in bezug auf Rindfleisch hier Probleme aufwirft, mit denen wir zu kämpfen haben, sondern auch die Fragen des AKP-Zuckers und vieles andere mehr.
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Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, können Sie verstehen, daß die Landwirte, die jetzt beim Weideabtrieb 300 bis 500 DM je Tier verlieren, kein Verständnis dafür haben, daß, aus welchem Grund auch immer, während der Saison, d. h. des Weideabtriebs, solche Mengen wie 100 000 t Rindfleisch oder, da eine t Rindfleisch 3,5 Tieren entspricht, das Fleisch von 350 000 Tieren in die Europäische Gemeinschaft eingeführt werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe dafür volles Verständnis. Doch ich muß hier zwei Dinge erwähnen.
Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland und die EG sind gehalten, Verträge einzuhalten.
Zweitens muß ich daran erinnern, daß die Rindfleischsituation in Deutschland schwieriger als in den übrigen Gebieten Europas ist, weil hier im Zusammenhang mit der Einführung der Milchquote verstärkt auf Rindfleischproduktion gesetzt worden ist und die Ausdehnung der Rindfleischproduktion — besonders bei Bullen um 10% — nirgends so stark wie in der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist.
Da wir hier bewußt selber zu dieser Situation beigetragen haben, müssen wir auch sehen, wie wir mit den Dingen fertigwerden. Die Bundesrepublik Deutschland hat j a nun, obwohl die EG-Kommission nur für 3 Wochen die Intervention von Hälften zugebilligt hat, alles unternommen, daß, nachdem es in die Intervention von Hintervierteln übergeht, auch noch Vorderviertel interveniert werden können. Wir haben diese Vorsorge getroffen. Ich glaube, daß in den nächsten Wochen über diesen Weg eine gewisse Erleichterung an den Märkten eintreten wird. Allerdings kann ich nicht versprechen, daß sich daraus höhere Preise ergeben werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogel.
Herr Staatssekretär, ich würde gern mal das Verhältnis sehen, weil es hier um 100 000 t geht, die eingeführt werden: Wie viele Tausend oder Millionen Tonnen werden denn in der EG in jedem Jahr produziert?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich bin jetzt überfragt, Herr Kollege. Aber ich gebe Ihnen das gerne schriftlich.
Herr Kollege Jäger, bitte.
Herr Staatssekretär, da Sie eben selber gesagt haben, daß die Mehrproduktion in der Bundesrepublik Deutschland auf die durch die Milchquotenregelung erzwungene Umstellung vieler Landwirte, also einen Umstand zurückgeht, den die Landwirte nicht zu vertreten haben, sondern der durch die verspäteten Maßnahmen der EG hervorgerufen ist, frage ich: Sieht die Bundesregierung hier nicht einen akuten Handlungsbedarf zugunsten der deutschen Landwirte, die Fleisch erzeugen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir sehen den Handlungsbedarf, der bereits seit einem Jahr gegeben ist, sehr wohl. Wir haben 1984 aus der EG heraus 800 000 t Rindfleisch exportiert, weil die Exporterstattungen um 15% angehoben worden sind. Diese — ich möchte sagen — erhöhten Exporterstattungen mußten am 1. Januar 1985 auf Grund der GATT-Einwendungen zurückgenommen werden. Wir haben im Augenblick 785 000 t Rindfleisch in den Lägern als zusätzlichen Effekt dieser Entwicklung. Daraus mögen Sie erkennen, daß wir trotz allen guten Willens vor Problemen stehen, die nicht einfach zu lösen sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, dann kann ich Ihren Worten entnehmen, daß die Folgewirkung der unseligen Quotenregelung weiterhin die Landwirtschaft in ihren Einkommen belastet und daß es eben doch eine Fehlentscheidung war?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das können Sie nicht entnehmen. Tatsache ist: Wir haben nicht nur zuviel Rindfleisch, sondern wir haben hauptsächlich zuviel Milch. Gleichgültig, auf welche Weise die Europäische Gemeinschaft die Reduzierung der Milchproduktion vorgenommen hat — jetzt haben wir die Quote —, die Bauern wären auch dann, wenn man einen anderen Weg in bezug auf die Senkung des Milchpreises beschritten oder die Mitverantwortungsabgabe in welcher Form auch immer gewählt hätte, höchstwahrscheinlich zu der Entscheidung gekommen, weniger Kühe zu halten, um mit weniger Kühen rentabler wirtschaften zu können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lutz.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie gerade so fesselnd über die Rindfleischsituation und über Hinterviertel und Vorderviertel gesprochen haben, frage ich: Können Sie einem agrarischen Laien erklären, ob es auch Mittelviertel gibt und was mit denen ist?
Ich würde sagen: Wir wollen uns nicht aufhalten lassen.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, vielleicht sind Sie Lehrer; ich bin nur Volksschüler. Aber ein Ganzes hat vier Viertel oder zwei Hälften.
Ich danke Ihnen schön, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Herr Bun-
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12524 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Vizepräsident Frau Rengerdesminister Windelen steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.Ich rufe Frage 22 des Herrn Abgeordneten Büchler auf:Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß von den Ostverträgen und auch vom Grundlagenvertrag mit der DDR eine politische Bindungswirkung hinsichtlich der Grenzen in Europa ausgeht?Bitte, Herr Bundesminister.
Herr Kollege Büchler, die Ostverträge und der Grundlagenvertrag sind geltendes Recht. Die Bundesrepublik Deutschland ist daher rechtlich und politisch an diese Verträge gebunden. Dies gilt selbstverständlich auch in Hinblick auf die in diesen Verträgen getroffenen Aussagen zu den Grenzen. Das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen folgt aus dem Gewaltverzicht.
Die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland bekennt sich vorbehaltlos zum Gewaltverzicht. Damit im Einklang steht die Möglichkeit des friedlichen Wandels, wie sie im Prinzip 1 der KSZE-Schlußakte niedergelegt ist. Dort heißt es: Die Teilnehmerstaaten „sind der Auffassung, daß ihre Grenzen, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht, durch friedliche Mittel und durch Vereinbarung verändert werden können".
Die Bundesrepublik Deutschland kann und darf für sich allein die bestehende Rechtslage einschließlich des Friedensvertragsvorbehalts nicht ändern. Von dieser Rechtsposition geht keine Bedrohung für die Nachbarn aus.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchler.
Herr Minister, wie ist Ihre Meinung zu den Aussagen des Bundeskanzlers vom 6. Februar, in denen er ausdrücklich auf die Rede des Kollegen Rühe mit der Bindungswirkung auch darüber hinaus Bezug genommen hat?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Büchler, ich gehe davon aus, daß Sie sich sowohl an die Rede des Kollegen Rühe als auch an meine Rede, die ich am gleichen Tag in der gleichen Debatte gehalten habe, und an die Antwort des Bundeskanzlers, auf die Sie sich heute beziehen, erinnern. Ich zitiere, was der Bundeskanzler in dieser Debatte gesagt hat. Er sagte — es folgt ein wörtliches Zitat —:
Meine Freunde Heinrich Windelen und Volker Rühe haben in ihren kurzen Beiträgen meine Position noch einmal aus der Sicht der Union sehr klar unterstrichen. Sie haben beide etwas gesagt, was ich nur mit einem Satz aufgreifen will: daß neben der rechtlichen Situation und den rechtlichen Grundlagen das Leben natürlich 40 Jahre lang — das sind Generationen — weitergegangen ist und daß wir alle das zur Kenntnis nehmen, übrigens auch die Kollegen Hupka, Czaja und die Vertriebenen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchler.
Herr Minister, jetzt wäre ich schon daran interessiert, zu wissen, wie Sie diese vier Aussagen — die Ihrige, die des Kollegen Rühe, die des Bundeskanzlers und die von Herrn Czaja — in Einklang bringen wollen.
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Büchler, dies ist kein Problem. Sowohl die Haltung des Bundeskanzlers als auch die Haltung der Bundesregierung und die Haltung der Bundestagsfraktionen der Koalitionsparteien — zu denen gehören auch die von Ihnen genannten Kollegen — beziehen sich in der Deutschlandpolitik auf die Grundsätze, wie sie immer wieder in Regierungserklärungen und auch in der letzten gemeinsamen Entschließung niedergelegt sind, nämlich auf das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, auf den Deutschlandvertrag, auf den Moskauer und den Warschauer Vertrag von 1970, auf das Viermächteabkommen von 1971, auf die Briefe zur Deutschen Einheit sowie auf die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972, auf den Grundlagenvertrag mit der DDR und auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1973 und vom Juli 1975.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schierholz.
Herr Minister, darf ich Ihren bisherigen Antworten entnehmen, daß der Begriff der politischen Bindungswirkung, die von den Verträgen ausgeht, für Sie mittlerweile zu einem Begriff geworden ist, der aus dem deutschen Sprachschatz getilgt ist? Denn Sie haben diesen Begriff bei der Beantwortung der sehr konkreten Frage von Herrn Büchler nicht gebraucht.
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, darf ich noch einmal den ersten Satz meiner Antwort zitieren. Ich habe den Eindruck, daß Sie ihn zumindest nicht richtig aufgefaßt haben. Ich wiederhole:
Die Ostverträge und der Grundlagenvertrag sind geltendes Recht. Die Bundesrepublik Deutschland ist daher rechtlich und politisch an diese Verträge gebunden. Dies gilt selbstverständlich auch im Hinblick auf die in diesen Verträgen getroffenen Aussagen zu den Grenzen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Minister, trifft es zu, daß bereits die Bundesregierung Brandt/Scheel im Allgemeinen Teil der Denkschrift zum Warschauer Vertrag sagt, daß das Deutschland von morgen die dann bei friedensvertraglichen Regelungen bestehende Lage nicht werde außer Betracht lassen können, es dabei aber — wörtlich — „insbesondere auf die Haltung der Drei Mächte ankommt", und gibt es ein Dokument, in dem die Drei Mächte von ihrem Deutschland-Begriff in den Vierer-Erklärungen von Berlin im Deutschlandvertrag oder in Erklärungen
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Dr. Czajaüber die Selbstbestimmung der Deutschen bisher abgewichen sind?Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Czaja, in ihrer Denkschrift zu den Verträgen hat die Bundesregierung damals auch gegenüber dem Deutschen Bundestag deutlich gemacht, in welchem Rahmen — d. h. im Rahmen unseres Grundgesetzes — sie handlungsfähig sei. Ich gehe davon aus, daß Sie aus dieser Denkschrift richtig zitiert haben. Sie enthält auch noch einige weitere bemerkenswerte Feststellungen.Mir ist seitdem kein Rechtsakt, kein Vertrag und keine Erklärung der für Deutschland als Ganzes verantwortlichen Mächte bekannt, in der sie von dieser Position abgerückt wären.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Terborg.
Herr Bundesminister, habe ich die Antwort auf die Frage meines Kollegen Büchler nur deshalb nicht verstanden, weil sie inhaltsleer war?
Windelen, Bundesminister: Frau Kollegin, dies ist eine rein subjektive Feststellung, auf die ich meinerseits nicht antworten kann.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Bundesminister, habe ich Ihre Antwort richtig verstanden, daß der Friedensvertragsvorbehalt, der j a auch Bestandteil der Verträge ist, nach wie vor gilt?
Windelen, Bundesminister: Selbstverständlich, Herr Kollege Hupka. Es gibt seitdem — ich wiederhole es — keinen Rechtsakt, der an diesen Voraussetzungen etwas hätte ändern können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmude.
Herr Minister, da der Bundeskanzler in der Debatte am 6. Februar dieses Jahres in der von Ihnen zitierten Äußerung ausdrücklich erklärt hat, daß der Kollege Rühe seine Position ebenfalls dargestellt hat, frage ich Sie, ob die Bundesregierung der Auffassung ist — und jetzt folgt das Zitat des Kollegen Rühe —, „daß der Warschauer Vertrag mit Polen eine politische Bindungswirkung hat, die auch von einem wiedervereinigten Deutschland nicht ignoriert werden könnte".
Ist das die Auffassung der Bundesregierung?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, der Bundeskanzler hat sich zu dieser speziellen Aussage des Kollegen Rühe nicht geäußert, sondern er hat
sich in der von mir bereits zitierten Weise zu beiden Beiträgen geäußert.
Ich möchte aber, damit nicht der Eindruck entsteht, ich wollte Fragen hier ausweichen, von denen Sie vielleicht annehmen, sie seien mir unbequem, was nicht der Fall ist, folgendes sagen: Die Bundesregierung — ich habe das vorhin ausgeführt — hat sich uneingeschränkt zu einer Politik des Gewaltverzichts bekannt. Dies ist ein fundamentales Prinzip und gilt nach unserer Auffassung selbstverständlich auch über die Geltungsdauer bestehender Verträge hinaus.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Löffler.
Herr Bundesminister, stimmen Sie mir zu, daß Rechtsvorbehalte nur so viel Wert haben, wie sie in einem überschaubaren Rahmen auch tatsächlich in Politik umgewandelt werden können? Stimmen Sie mir weiter zu, daß z. B. der Rechtsvorbehalt der österreichischen Regierung und des österreichischen Kaisers im Hinblick auf Schlesien gegenüber Preußen im Grunde genommen durch den Ablauf der Geschichte gegenstandslos geworden ist? Stimmen Sie mir auch zu, daß trotz des Wiederholens eines solchen Rechtsvorbehaltes das gleiche mit dem Rechtsvorbehalt geschehen könnte, den wir ständig einlegen?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Löffler — ich sage das gerade Ihnen mit Bedauern —, ich stimme Ihrer ersten Feststellung ausdrücklich nicht zu. Ich bin der Meinung, daß eine Politik, die nicht auf Recht gegründet ist, keine demokratische Politik ist.
Ich füge hinzu, daß gerade ein Volk, dem man nicht zu Unrecht den Vorwurf macht, es hätte sich in der Vergangenheit über Rechtspositionen hinweggesetzt, besonders sorgsam auf die Einhaltung von Rechtspositionen achten sollte.
Ich gehe gern auf Ihr Beispiel Österreich ein. Das österreichische Volk hat anders als das deutsche Volk Gelegenheit gehabt, in freier Selbstbestimmung über seine Zukunft zu entscheiden. Es hat dabei — in freier Selbstbestimmung! — auf einen Anschluß an den übrigen Teil der deutschen Nation verzichtet. Es versteht sich jetzt also als eigene Nation. Das österreichische Volk hat sich in freier Selbstbestimmung auch zur Neutralität verpflichtet. Damit hat es im Gegensatz zum deutschen Volk auch Gelegenheit gehabt, in freier Selbstbestimmung über sein Schicksal zu entscheiden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lowack.
Herr Bundesminister, sind Sie der Auffassung aller bisherigen Bundesregie-
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12526 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Lowackrungen, daß die Verträge, die für die Bundesrepublik Deutschland von den dafür vorgesehenen Organen abgeschlossen werden, nicht das ganze Deutschland binden können, wie es nach der Präambel des Grundgesetzes immer noch das Ziel der deutschen Politik ist?Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Lowack, die Rechtsauffassung der Bundesregierung weicht auch in dieser Frage nicht von der Rechtsauffassung ihrer Vorgängerregierungen ab.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hiller.
Herr Minister, aus welchen Gründen hat sich die Bundesregierung die Auffassung des Kollegen Rühe von der politischen Bindungswirkung nicht explizit zu eigen gemacht?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, weil die Politik der Bundesregierung — wie ich eben auch dargetan habe —, der Fraktion, der Koalition auf den Rechtspositionen beruht, die ich aufgezählt habe. Ich habe hinzugefügt, daß sich unabhängig von der Geltungsdauer bestehender Verträge die Bundesrepublik Deutschland — ich glaube sagen zu dürfen: das ganze deutsche Volk — zum Gewaltverzicht verpflichtet hat, d. h. insoweit gibt es selbstverständlich auch über Vertragstexte hinaus eine politische Bindungswirkung.
Einen Moment. Ich muß etwas klären. Es wird immer Bezug genommen auf einen Kollegen. Es ist nicht üblich, namentlich auf die Kollegen Bezug zu nehmen. Wenn Sie Ihre Fragen stellen, bitte ich Sie, das so zu tun, daß ich nicht in die Schwierigkeit komme, entscheiden zu müssen. Herzlichen Dank.
— Das weiß ich auch. Aber das Problem ist ja nicht so ganz einfach zu lösen. Man kann ohne Namensnennung auch zum gleichen Ergebnis kommen. Deswegen bitte ich darum.
Herr Abgeordneter Mann hat eine Zusatzfrage.
Herr Minister, zu dem Begriff der politischen Bindungswirkung: Stimmen Sie mir darin zu, daß die Bundesregierung und vor allen Dingen die CDU/CSU im Begriff ist, das Porzellan erneut zu zerschlagen, das der Kollege Rühe mit diesem positiven Begriff aus Ihrer Sicht zusammenzufügen versucht hatte?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Mann, ich habe nicht den mindesten Anlaß, Ihrer Feststellung zuzustimmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Haack.
Herr Minister Windelen, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß derjenige,
der von einer politischen Bindungswirkung der Ostverträge ausgeht, eine Auffassung vertritt, die nicht mit den Rechtsgrundlagen der Bundesrepublik Deutschland übereinstimmt?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Dr. Haack, ich habe Ihnen eben deutlich gemacht, in welchem Zusammenhang auch die Bundesregierung von einer politischen Bindungswirkung ausgeht, nämlich in bezug auf den uneingeschränkten Verzicht auf Anwendung und Androhung von Gewalt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heimann.
Herr Bundesminister, wenn Sie aus rechtlichen Gründen jetzt hier ausdrücklich klarmachen, daß die Bundesregierung nicht hinter dem steht, was Herr Rühe über die Bindungswirkung gesagt hat — —
Jetzt muß ich Sie wirklich unterbrechen. Ich hatte eben gesagt, Sie sollten bitte nicht auf den Herrn Kollegen Rühe oder andere Kollegen Bezug nehmen.
Ich bitte um Entschuldigung. Jetzt kommt meine Frage. Herr Bundesminister, dann frage ich Sie, ob Sie wenigstens hinter der politischen Aussage stehen, die Sie selbst gemacht haben — ich zitiere —: „Für die Bundesregierung gilt in der Tat, den trennenden Charakter der Grenzen im Osten so zu überwinden, wie wir ihn im Westen weitgehend überwunden haben. Es geht dabei nicht um die Verlagerung der Grenzen. Der Kern der deutschen Frage ist die Freiheit. Die Einheit ohne Freiheit hätten wir wahrscheinlich schon haben können."
Windelen, Bundesminister: Selbstverständlich, Herr Kollege, stehe ich im Gegensatz zu manchen anderen zu dem, was ich gesagt habe.
Wenn ich mich in diesem Zusammenhang, wie ich dies immer zu tun pflege, ausdrücklich auf das Recht auf freie Selbstbestimmung, nämlich auf Freiheit, bezogen habe, dann bedeutet dies, Herr Kollege Heimann, selbstverständlich, daß die Freiheit auch das Recht zur Entscheidung auf staatliche Einheit beinhalten muß; sonst wäre es keine Freiheit, und sonst gäbe es keine freie Selbstbestimmung.
Darf ich darauf aufmerksam machen, daß wir für diese sehr wichtige politische Situation, die wir hier behandeln, noch sieben weitere Fragen haben. Wir haben über eine Viertelstunde für die erste Frage verbraucht. Bei den nächsten Fragen wäre es vielleicht gut, daß man versucht, diese alle mit abzuhandeln.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12527
Vizepräsident Frau RengerIch rufe dann die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Büchler auf:Trifft es zu, daß, wenn der Bundeskanzler von der Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen spricht, damit vor al lem gemeint ist, daß sich beide deutsche Staaten gemeinsam um Sicherheit in Europa bemühen müssen, wie es Artikel 5 des Grundlagenvertrages und eine mündliche Zusatzvereinbarung vorsehen?Bitte, Herr Bundesminister.Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Büchler, die Bundesregierung versteht die Verantwortungsgemeinschaft der beiden Staaten in Deutschland im Sinne der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 9. Februar 1984. Dort heißt es wörtlich:Die Bundesrepublik Deutschland und die DDR stehen in einer Verantwortungsgemeinschaft für den Frieden und die Sicherheit in Europa. Beide müssen sich um eine Entschärfung der internationalen Lage bemühen. Von deutschem Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchler.
Hat die Bundesregierung diese Aussage mit Leben erfüllt, daß heißt, verhandelt sie auf dieser Basis mit der DDR, um zu konkreten inhaltlichen Ergebnissen zu kommen?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Büchler, es wird Ihnen sicher nicht unbekannt sein, daß über diese Fragen zwischen den Bündnissen insgesamt verhandelt wird. Es wäre nicht sehr nützlich, wenn jeder der einzelnen Bündnispartner isoliert und vielleicht sogar durch eine Nebenaußenpolitik durch die jeweiligen Oppositionen verhandeln würde.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Büchler.
Herr Bundesminister, mir ist natürlich auch bekannt, daß es Gespräche darüber gibt. Ich weiß nicht, warum Sie das jetzt unterschlagen. In diesem Zusammenhang möchte ich fragen, ob es da in diesen Gesprächen gerade über die Sicherheitsfragen mehr als nur Austausch von Positionen gegeben hat.
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, selbstverständlich hat es mehr als einen Austausch von Informationen in diesen Fragen gegeben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lowack.
Herr Bundesminister, was spricht eigentlich dagegen, zu meinen, daß die Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen die Verantwortungsgemeinschaft aller Deutschen meint?
Windelen, Bundesminister: Dagegen spricht nichts, Herr Kollege.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Bundesminister, haben Sie Ihre Antwort, die Sie eben auf die Frage des Kollegen Büchler gegeben haben, auch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten abgestimmt?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, dies wäre ein unübliches Verfahren für die Bundesregierung. Die Bundesregierung trifft ihre Feststellungen in eigener Verantwortung.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmude.
Im Anschluß an die Frage des Abgeordneten Kuhlwein frage ich, Herr Minister, ob sich auch der Bundeskanzler und die Bundesregierung bei der Betonung der Verantwortungsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und der DDR von dem Bahrschen Gedanken der Sicherheitspartnerschaft haben leiten lassen.
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, wir haben uns bei dieser Feststellung von dem Text leiten lassen, wie er einvernehmlich im letzten Jahr im Bundestag beschlossen wurde.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Bundesminister, trifft es zu, daß in der Entschließung von 1984 darauf hingewiesen wird, daß sich diese gemeinsame Verantwortung nur im Rahmen der Beziehungen der beiden Großmächte vollziehen kann und vorrangig auf die Entschärfung der Teilung Europas und Deutschlands zielt?
Windelen, Bundesminister: Ich gehe davon aus, Herr Kollege Dr. Czaja, daß dies auch die SPD nicht anders sieht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Löffler.
Herr Bundesminister, halten Sie es für besonders friedensfördernd in Europa, wenn gerade zum jetzigen Zeitpunkt die Grenzen, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, in Frage gestellt werden?Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Löffler, es wird immer dann notwendig sein, auf Rechtspo-
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Bundesminister Windelensitionen hinzuweisen, wenn sie von Dritten in Frage gestellt werden.
Sonst besteht in der Tat dazu kein Anlaß. Ich würde von mir aus auch sagen, es ist nicht besonders produktiv, immer wieder Rechtsfragen klären zu müssen, die im Grunde eindeutig sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Minister, da Sie sich zu einer Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen in beiden deutschen Staaten bekennen: Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um im Rahmen dieser Verantwortungsgemeinschaft die Stationierung atomarer Raketen in der DDR und in der Bundesrepublik rückgängig zu machen?
Windelen, Bundesminister: Die Deutschlandpolitik ist in die Politik ihres Bündnisses eingebunden, deren Ziel es ist, mit möglichst wenig Waffen den Frieden sicher zu machen. Dies wird Gegenstand von Verhandlungen der Führungsmächte der Bündnisse in Genf sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Bundesminister, wäre der Begriff der Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen richtig verstanden, wenn darin auch die Verantwortungsgemeinschaft für die Freiheit aller Deutschen mit zu verstehen wäre?
Windelen, Bundesminister: Herr Dr. Hupka, wir möchten die Verantwortung für die Grundwerte der Menschheit in keiner Weise eingeschränkt sehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Bundesminister, ist es nicht geradezu unzulässig, die bislang bestehende rechtliche Zugehörigkeit der Oder-Neiße-Gebiete zu Deutschland politisch zu negieren?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, auch dazu gibt es klare rechtliche Positionen, die von der Bundesregierung bei Abschluß der Verträge gesetzt wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu eindeutige Aussagen gemacht. Ich kann nicht erkennen, daß sich an diesen Positionen inzwischen etwas geändert hätte.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es jetzt vor
allem an der DDR ist, ihren Beitrag zur Verantwortungsgemeinschaft für den Frieden zu leisten und vor allem die außerordentlich friedensfeindlichen Sperranlagen an der innerdeutschen Grenze endlich abzubauen und zu beseitigen?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, ich möchte die Verantwortung nicht auf einen Teil Deutschlands beschränken. Wir haben uns vielmehr alle der Verantwortung zu stellen. Aber natürlich ist es zutreffend, daß die Sperranlagen, die Grenzsicherungsanlagen nicht in unserer Verantwortung stehen. Das heißt also: Wenn sie zur Disposition stehen, dann stehen sie zur Disposition der DDR.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Borgmann.
Gehen Sie mit uns einig in der Meinung, daß Personen wie der Abgeordnete Sauer zu den ewig Gestrigen gehören?
Nein, so geht es nun wirklich nicht mehr. Bewertungen von Abgeordneten sind in diesem Hause nicht üblich. Ich bitte Sie, eine Frage klar zu stellen. — Danke schön.
Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Minister, von welchen geographischen Zielvorstellungen geht die Bundesregierung denn aus, wenn sie als Ziel ihrer Deutschlandpolitik die Wiedervereinigung Deutschlands anstrebt?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, ich habe aus meiner Zeit als Vizepräsident gelernt, daß Zusatzfragen wenigstens in einem gewissen losen Zusammenhang zur Ausgangsfrage stehen müssen. Ich kann einen solchen auch nur losen Zusammenhang nicht erkennen.
Ich akzeptiere das.Meine Damen und Herren, dann rufe ich die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Haack auf:Stimmt die Bundesregierung der Feststellung zu, daß die „Deutsche Frage" vor allem eine europäische Frage ist und daß eine adäquate Antwort darauf nur gegeben werden kann, wenn sie von den Menschen in beiden deutschen Staaten und von der Völkergemeinschaft in Ost und West getragen wird, und daß es deshalb nicht darum gehen kann, Grenzen zu verschieben, sondern den Grenzen in Europa ihren trennenden Charakter zu nehmen?Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Dr. Haack, die Bundesregierung hält an dem politischen Ziel fest, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt, wie es in den Briefen zur Deutschen Einheit niedergelegt ist. Der Bundeskanzler hat dazu am 12. September 1985 ausgeführt:Weil die Teilung Deutschlands auch die TeilungEuropas ist, ist auch die deutsche Frage nur imeuropäischen Rahmen zu lösen. Nicht um
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Bundesminister WindelenGrenzen, nicht um Hoheitsrechte geht es vorrangig, sondern um die Freiheitsrechte der Menschen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, darf ich aus dieser Antwort schließen, daß Sie damit meine Frage — wenn auch in größerem Zusammenhang
— bejahen?
Windelen, Bundesminister: Ich mache mir die Feststellung des Herrn Bundeskanzlers zu eigen. Dies war ja vorhin schon Gegenstand einer Zusatzfrage, wo ausdrücklich auf meine Position hinsichtlich der Grenzen Bezug genommen wurde.
Darf ich Sie bitte noch einmal fragen, ob Sie bereit sind, auf meine Frage, die ich unter Nr. 24 gestellt habe, unmittelbar zu antworten, oder ob ich aus Ihrer Antwort, die ich durchaus akzeptiere, eine Bejahung herauslesen darf?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, ich darf noch einmal darauf verweisen, daß ich mich ja schon sehr klar geäußert habe.
Ich wollte nicht gerne etwas wiederholen, aber ich
bin gerne dazu bereit. Ich habe gesagt: Das Ziel ist
— dies sagt ja auch der Bundeskanzler —, die Freiheitsrechte der Menschen zu sichern.
Ich habe hinzugefügt, daß die Freiheit auch die Freiheit zur Einheit umfassen müsse, das heißt also auch, die Freiheit, in einem Staat zusammenleben zu dürfen. In diesem Zusammenhang betrachte ich das Zitat des Bundeskanzlers als Antwort auf Ihre Frage.
Sie hatten Ihre zwei Fragen schon gestellt.
— Der Bundesminister hat sie beantwortet, so wie er es für richtig hielt. Es tut mir leid.
Herr Abgeordneter Mann, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Minister, stimmen Sie mir darin zu, daß die NATO — auch nicht der Warschauer Pakt — kein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zur Wahrung des Friedens ist — insoweit beschränke ich mich bei dem Zitat auf Artikel 24 unseres Grundgesetzes —, wie es den Vätern und wenigen Müttern des Grundgesetzes 1949 vorschwebte?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, ich kann auch hier keinerlei Zusammenhang zur Ausgangsfrage erkennen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Bundesminister, können Sie mit darin zustimmen, daß die Bundesregierung, der Sie angehören, dem Satz zustimmen kann, den der damalige und jetzige Bundesaußenminister in der Regierung Helmut Schmidt am 25. Juli 1975 bei der Einbringung der KSZE-Schlußakte in diesem Hohen Hause gesagt hat:
In Wahrheit hat die Konferenz ausdrücklich und in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht die Möglichkeit friedliche und einvernehmlicher Grenzänderungen anerkannt. Sie hat damit sowohl die deutsche wie die europäische Option offengehalten.
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, es fällt mir nicht schwer, diese Position zu übernehmen, zumal ich ja in der Antwort auf die erste Frage des Kollegen Büchler darauf hingewiesen habe, daß im Prinzip 1 der KSZE-Schlußakte niedergelegt ist, daß die Teilnehmerstaaten der Auffassung sind, daß ihre Grenzen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht durch friedliche Mittel und durch Vereinbarung verändert werden können.
Zusatzfrage, Abgeordneter Lowack.
Herr Bundesminister, gehört nicht auch, wenn es darum geht, den Grenzen in Europa ihren trennenden Charakter zu nehmen, dazu, daß dort, wo völkerrechtlich wirksame Grenzen noch nicht vereinbart sind, diese Art von Demarkationslinien in den Status völkerrechtlich vereinbarter Grenzen erhoben wird?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, ich möchte auch hier bezweifeln, ob ein Zusammenhang mit der Ausgangsfrage gegeben ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heimann.
Herr Bundesminister, auf Ihre unklare Antwort auf die Frage von Herrn Kollegen Haack frage ich Sie jetzt noch einmal direkt: Würde es die Bundesregierung begrüßen, wenn der Bundestag eine Feststellung träfe, in der es hieße: Es geht nicht darum, Grenzen zu verschieben, sondern Grenzen in Europa ihren trennenden Charakter zu nehmen?Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, ich habe eben das zitiert, was der Bundeskanzler exakt zu diesem Punkt ausgeführt hat. Ich habe es deswegen zitiert, weil er damit die Meinung der Bundesregierung wiedergegeben hat. Ich wiederhole es: „Weil die Teilung Deutschlands auch die Teilung Europas ist, ist auch die deutsche Frage nur im europäischen Rahmen zu lösen. Nicht um Grenzen, nicht um Hoheitsrechte geht es vorrangig, sondern um die Freiheitsrechte der Menschen." Ich bitte, zu akzeptie-
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Bundesminister Windelenren, daß wir hier auf unsere Weise das ausdrücken, was Inhalt Ihrer Frage ist.
Zu einer Zusatzfrage Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, zu bestätigen, daß wir das Ziel, welches in den Briefen zur deutschen Einheit niedergelegt ist, überhaupt nur dann erreichen können, wenn wir als allererste Voraussetzung auf jedwede Gebietsansprüche verzichten, wie es ja in dem deutsch-polnischen Vertrag geschehen ist,
und damit die jetzige Grenzziehung respektieren?
Windelen, Bundesminister: Frau Kollegin, dessen bedarf es nicht. Der Warschauer Vertrag trifft hier eine eindeutige Aussage. Die Bundesregierung macht sich völkerrechtlich abgeschlossene Verträge zu eigen und wird sie wortgetreu einhalten.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Dr. Czaj a.
Herr Bundesminister, stimmt im Zusammenhang mit der Frage nach der europäischen Lösung von Herrn Kollegen Haack die jetzige Bundesregierung den Feststellungen der früheren Bundesregierung zu, daß eine unentbehrliche Voraussetzung für internationale Beziehungen in Europa auch die Gewährleistung wirksamer Volksgruppenrechte für die Deutschen ist, wie dies im übrigen Ziffer 41 auch des Godesberger Programms bis heute fordert?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Czaja, die Bundesregierung stimmt dieser Feststellung zu.
Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Heimann auf:
Steht die Bundesregierung weiterhin zum vollen Wortlaut der Erklärung, die Bundeskanzler Kohl und Staatsratsvorsitzender Honecker als Kommuniqué ihres Gesprächs am 12. März 1985 in Moskau veröffentlicht haben?
Bitte sehr, Herr Bundesminister.
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege Heimann, die Antwort lautet: Ja.
Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.
Herr Bundesminister, gibt es nach Meinung der Bundesregierung irgendwelche Anhaltspunkte, daß der Text der Moskauer Erklärung von Bundeskanzler Kohl und dem Staatsratsvorsitzenden Honecker vertrags- und verfassungswidrige Nachbesserungen zu den Ostverträgen und vor allem zu dem Grundlagenvertrag enthält?
Windelen, Bundesminister: Die Antwort lautet: Nein.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß Herr Kollege Dr. Czaja das Gegenteil behauptet hat?
Windelen, Bundesminister: Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt.
Zu einer Zusatzfrage Frau Terborg.
Herr Bundesminister, hätten Sie die Güte, dem Hohen Hause jetzt den Wortlaut des Kommuniqués kundzutun, nach dem mein Kollege Herr Heimann gefragt hat?
Windelen, Bundesminister: Aber selbstverständlich gern. Nur weiß ich nicht, Frau Kollegin, ob es im Sinn einer Fragestunde liegt, die kurze Fragen und kurze Antworten erfordert, eine ganze Erklärung vorzulesen. Aber natürlich bin ich gern bereit, dies zu tun, wenn es gewünscht wird.
Ich glaube, meine Damen und Herren, das geht etwas zu weit. Vielleicht können Sie einen bestimmten Auszug vortragen? Aber ich glaube, nach unseren Regeln, die kurze Fragen und kurze Antworten erfordern, ist es kaum möglich, daß das hier ganz vorgelesen wird. — Frau Kollegin Hürland, wünschen Sie das Wort zur Geschäftsordnung?
Ich bitte, daß es schriftlich übersandt wird.
Bestehen Sie darauf, daß es vorgelesen wird?
— Herr Bundesminister, sind Sie imstande, das vorzulesen?
Windelen, Bundesminister: Frau Präsident, ich hoffe, daß es daran keinen Zweifel gibt.
Dann haben Sie das Wort. Bitte sehr.Windelen, Bundesminister: Ich lese wunschgemäß die zweite Hälfte der gemeinsamen Erklärung über das Gespräch des Bundeskanzlers mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR in Moskau vor — dieses Gespräch fand am 12. März 1985 statt —:Helmut Kohl und Erich Honecker erklärten übereinstimmend, daß mit der Wiederaufnahme des Rüstungskontroll-Dialogs zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion eine neue Phase in den West-OstBeziehungen eingeleitet werden könne. Positiv beurteilten sie die Möglichkeit, daß von den Genfer Rüstungskontrollgesprächen generelle Impulse für eine Verbesserung des West-OstVerhältnisses ausgehen können.Dem politischen Dialog und der Zusammenarbeit zwischen Ost und West komme, so wurde erklärt, gerade jetzt großes Gewicht zu.
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Bundesminister WindelenEs wurde betont, daß Fortschritte zum Wohl der Menschen im beiderseitigen Verhältnis in hohem Maße geeignet seien, zur Verbesserung des politischen Klimas und zur Vertrauensbildung in den West-Ost-Beziehungen beizutragen.Ich gehe davon aus, daß jetzt der Passus folgt, auf den Sie, Frau Kollegin, besonderen Wert gelegt haben. Er lautet:Die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen sind eine grundlegende Bedingung für den Frieden, wurde erklärt.
Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg, von deutschem Boden muß Frieden ausgehen.Beide Seiten traten dafür ein, alle Anstrengungen zu unternehmen, um auf der Basis des Grundlagenvertrages normale gutnachbarliche Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR im Interesse von Frieden und Stabilität in Europa zu entwickeln und auszubauen.So weit die Erklärung.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister. Damit ist die Fragestunde beendet.
Die Fragen 26 und 27 des Abgeordneten Hiller , die Frage 28 der Abgeordneten Frau Terborg und die Frage 29 des Abgeordneten Hettling werden nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat die Frau Kollegin Dr. Timm.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren!
— In der Tat, Herr Kollege Reddemann, sind wir der Meinung, daß die Fragen aus dem Bereich des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen zur Deutschlandpolitik unzureichend beantwortet worden sind.
Ich beantrage daher im Namen der SPD-Fraktion gemäß Abs. I Nr. 1 b der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Themenbereich. Das lag sehr nahe.
Meine Damen und Herren, Sie haben soeben gehört, daß die Fraktion der SPD zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht, wie gesagt, Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache muß nach Nr. 2 der Richtlinien unmittelbar nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden. Das ist der Fall.
Ich rufe also auf:
Aktuelle Stunde Deutschlandpolitik
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Büchler.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die entscheidende Frage, die sich hier heute stellt, ist, ob die Bundesregierung ohne Wenn und Aber zu den Ostverträgen steht, ob der Bundeskanzler noch zu seiner Erklärung, die er in Moskau mit Erich Honecker abgegeben hat, steht, und ob die Union ihn dabei noch unterstützt. Seit der letzten Entschließung zur Deutschlandpolitik, in der sich kein Wort über die Grenzen in Europa finden läßt, war gerade diese Frage immer wieder Gegenstand von Diskussionen, Diskussionen, die, wie wir alle wissen, uns im Ausland geschadet und den ostpolitischen Handlungsspielraum der Bundesregierung eingeengt haben. Offensichtlich mangelt es der alten Resolution in diesem Punkt an Klarheit. Deshalb ist sie ergänzungsbedürftig. Man braucht nicht jedes Jahr, meint der Kollege Dregger, dasselbe zu beschließen. Jetzt wollen Sie es doch tun, wie wir erfahren haben. Dabei ist es aber jetzt an der Zeit, daß das leidige Thema und die im Ausland schädliche Diskussion über unsere Grenzen gemeinsam beendet wird.
Dieser Meinung ist nicht nur die SPD. Diese Meinung hat auch Herr Rühe, jedenfalls hatte er sie nie im Rundfunk noch im Juni dieses Jahres.Die weltpolitische Situation ändert sich. Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten sind daran interessiert, über die Beendigung oder wenigstens Beschränkung des Wettrüstens miteinander zu reden.In dieser Situation brauchen wir eine gemeinsame Position. Wir brauchen eine Bundesregierung, die sich mit dem Ziel eines aktiven Beitrags zu Frieden und Abrüstung auf den ganzen Bundestag berufen kann, um unsere deutschen und europäischen Interessen wirksam vertreten zu können.Deshalb ist eine neue Entschließung zur Deutschlandpolitik notwendig, die nicht statisch in der Bekräftigung unbezweifelter Rechtspositionen stekkenbleibt. Daß man bei der Bekräftigung der Rechtspositionen nicht stehenbleiben darf, auch das ist eine Meinung des stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion. Hier liegen Gemeinsamkeiten, die über das hinausgehen, was wir in der letztjährigen Entschließung festgelegt haben. Wenn dann in den Verhandlungen über den gemeinsamen Text ja nicht irgendein Unionsabgeordneter auftritt, sondern der deutschlandpolitische Sprecher Ihrer Fraktion, sollte man meinen, er spricht für die Fraktion. Ich denke, er hat das auch gemeint, aber sich leider geirrt. Sein Parteivorsitzender, Franz Josef Strauß, will ja selbst den Be-
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Büchler
griff „Verantwortungsgemeinschaft" tilgen, der sogar in der alten Entschließung steht
— beruhigen Sie sich, Herr Reddemann — und nicht zuletzt ein zentraler Begriff einer Aussage des Bundeskanzlers im letzten Bericht zur Lage der Nation war. Man darf hier fragen, ob vielleicht Herr Strauß den Bundeskanzler tilgen will.
Was Sie von der Union mit Hilfe des Umfallers Mischnick — ich muß das leider sagen — und zum Schaden des Ansehens des allmählich politisch vereinsamenden Außenministers jetzt vorschlagen, dient nur dazu, einer weiteren Vertiefung der bei Ihnen vorhandenen Meinungsunterschiede entgegenzuwirken. Mit dem Außenminister hat dieser Vorgang sehr viel zu tun. Er hatte gesagt — ich habe zugehört —: Sollte es noch Verbesserungen und Veränderungen geben, so muß Wert darauf gelegt werden, daß nichts, was die Regierung oder der Bundeskanzler in der Vergangenheit gesagt haben, dabei zurückgenommen wird. Sie ziehen den ganzen Entwurf zurück und damit alles, was der Bundeskanzler in den letzten Monaten gesagt hat. Ich frage mich: Wann ziehen Sie den Bundeskanzler zurück?
Die FDP macht das Gegenteil von dem, was ihr eigener Außenminister vorschlägt. Die FDP ist die Umfaller-Partei schlechthin.
— Herr Ronneburger, es tut mir leid, sie gibt jetzt doch preis, was Sie noch in die Rechtskoalition an Eigenständigkeit hineingerettet haben: Ihre — wenn Sie wollen: unsere — gemeinsame Deutschland- und Ostpolitik.
Das Wort hat der Abgeordnete Lintner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Büchler, lassen Sie mich einmal nach diesem Rundumschlag auf den tatsächlich hier zur Debatte stehenden Vorgang eingehen.Meine Damen und Herren, der Versuch meiner Fraktion, den Bericht des Bundeskanzlers zur Lage der Nation im geteilten Deutschland auch 1985 parlamentarisch wieder mit einer von CDU/CSU, FDP und SPD gemeinsam getragenen Entschließung abzuschließen,
begann bereits im März 1985, Herr Kollege Vogel. Wir waren zwar damals schon der Meinung, daß eigentlich nur die gemeinsame Entschließung vom 7. Februar 1984 unverändert bekräftigt werden sollte. Dennoch waren wir bereit, auf Schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen, die die SPD-Bundestagsfraktion schon damals mit ihrer eigenen deutschlandpolitischen Vergangenheit hatte.
Ich darf sie in diesem Zusammenhang an ihr eigenes deutschlandpolitisches Positionspapier vom Dezember 1984 erinnern,
wo diese Schwierigkeiten j a abzulesen sind. Dieses Entgegenkommen, meine Damen und Herren, schien uns deshalb vertretbar zu sein, weil gemeinsam getragene Grundsätze in der Deutschlandpolitik auch für uns natürlich einen hohen politischen Stellenwert haben.
Wichtig war es dabei aber für uns, Herr Dr. Vogel, zu versuchen, ein Abrücken der SPD von den noch im Jahre 1984 gemeinsam beschlossenen Grundsätzen zu verhindern.
Es wurde danach fünf Monate lang verhandelt, und am Ende dieser Verhandlungen stand ein „Entwurf".
Er hätte Bestand und Sinn haben können, wenn er von den Verhandlungspartnern gemeinsam getragen worden wäre,
nicht nur verbal und aus optischen Gründen, sondern tatsächlich, d. h. für mich vollinhaltlich. Dazu gehört aber nach meiner Auffassung auch zwingend: Er hätte dann auch im gleichen Sinne ausgelegt werden müssen.
Aber bereits kurz nach Erstellung des Entwurfs, noch bevor dieser veröffentlicht worden war,
hat z. B. Kollege Heimann von der SPD schon in einem Interview mit dem Deutschlandfunk wichtige Formulierungen in ungerechtfertigter Weise mit einer sehr einseitigen Deutung versehen. Dabei hat er uns praktisch unterstellt, wir hätten z. B. den Friedensvertragsvorbehalt in bezug auf die Ostverträge aufgegeben. Damit wurden wichtige Teile des Entwurfs — Herr Kollege Heimann, ich habe Ihnen das damals sofort schriftlich mitgeteilt — in ein Zwielicht gebracht, das hätte vermieden werden
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Lintnersollen; denn dieses Zwielicht hat wiederum zu Rückfragen in unserer eigenen Fraktion Anlaß gegeben.
Dadurch, meine Damen und Herren, wurden aber auch geistige Vorbehalte gegen den Text des Entwurfs bei der SPD deutlich, welche die erzielte Gemeinsamkeit als vermeintlich und rein formal erscheinen ließen. Dabei war natürlich die inhaltliche Gemeinsamkeit für uns das Fundament dieser gemeinsamen Anstrengungen. Der Zweck der ganzen Operation, nämlich die Unterstützung der deutschlandpolitischen Anstrengungen der Bundesregierung durch eine neue gemeinsame deutschlandpolitische Festlegung,
war dadurch nicht mehr zu erreichen.
Deshalb halte auch ich es für folgerichtig, daß wir die letzte gemeinsame Entschließung vom Februar 1984 nunmehr bekräftigen sollten.
Für unsere Fraktion, meine Damen und Herren, kann ich dagegen feststellen — das halte ich für wichtig —,
daß über die Grundlagen unserer Deutschlandpolitik keinerlei Differenzen bestehen.
Die jüngsten Diskussionen sind irrtümlich da und dort so eingeschätzt worden. Die Frage war aber lediglich, ob diese gemeinsam bejahten Grundsätze in dem Entwurf auch genügend berücksichtigt worden sind. In der gemeinsamen Entschließung von 1984 ist dies nach unser aller gemeinsamer Auffassung der Fall. Deshalb sollte diese Entschließung jetzt unverändert bekräftigt werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Hektik der Auseinandersetzungen der letzten Tage und Wochen, zu denen der Kollege Büchler heute leider noch wieder einiges hinzugefügt hat,
sind einige Fakten offenbar aus dem Blickfeld verschwunden.
Erstens. Der gemeinsame Beschluß vom. 9. Februar 1984 war gar kein normaler Vorgang, und nicht umsonst habe ich damals dem Kollegen Heimann für seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zum Entgegenkommen bei der Suche nach dem notwendigen Kompromiß in manchen Fragen ausdrücklich gedankt.Zweitens. Dieser Beschluß vom letzten Jahr, der nicht üblich, aber um so erfreulicher war, war keineswegs nur ein Minimalkonsens,
sondern er enthielt die Grundsätze, auf denen die Deutschlandpolitik in der Vergangenheit beruhte
und auf denen sie nach unserer gemeinsamen Überzeugung im vergangenen Jahr auch in Zukunft beruhen soll.Drittens. Die in ihm festgelegten Grundsätze unserer Deutschlandpolitik waren auch im vergangenen Jahr Richtschnur einer weiterhin im Interesse der Menschen im geteilten Land erfolgreichen Politik.Viertens. Diese Grundsätze, von SPD, CDU/CSU und FDP gemeinsam erarbeitet und getragen, können auch für die Zukunft Leitsätze einer Politik sein, die ohne das Streben nach vordergründigem Tageserfolg und ohne das in dieser Grundfrage unserer geteilten Nation schädliche, j a verhängnisvolle Streben nach parteipolitischer Profilierung
an den Zielen von Frieden, von Freiheit und Menschenrechten für alle Deutschen und an der Oberwindung der Teilung orientiert bleibt. Daher ist meine Bestätigung dieses Beschlusses vom vergangenen Jahr, ein Vorschlag, den meine Fraktion, den ich persönlich in den ersten Gesprächen nach dem Bericht zur Lage der Nation gemacht und im Laufe der Verhandlungen mehrfach wiederholt habe,
sinnvoll und ausreichend.
Es bedarf auch nach Auffassung meiner Fraktion keiner Wiederholung des in diesem Jahr gescheiterten Versuchs.Dennoch, meine Damen und Herren, bleibt ein Gefühl der Enttäuschung darüber, daß die Arbeit vieler Monate, das Ringen um den notwendigen oder möglichen Kompromiß,
das Bemühen um den Mut zur Lücke in der letzten Phase dann doch gescheitert sind.
Ich möchte an dieser Stelle ganz ausdrücklich meinen Kollegen Berichterstattern aus beiden Fraktionen für ihre Bereitschaft danken, Formulierungen zuzustimmen, die den gemeinsamen Willen ausdrückten, ohne den jeweils anderen in seinen
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RonneburgerGrundüberzeugungen zu berühren oder gar zu verletzen.
Daß diese Bereitschaft in den Gremien der beiden großen Fraktionen nicht honoriert wurde,
wird auch diese Kollegen unbefriedigt lassen.
— Dann hätten Sie an den Verhandlungen teilnehmen müssen.
Deutschlandpolitik, meine Damen und Herren, dieses so empfindliche und doch so wichtige Gebiet unserer gemeinsamen Aufgabe in diesem deutschen Parlament, kann nur erfolgreich sein, wenn wir nicht in Haarspalterei und kleinliche Taktik verfallen.
Ist es eigentlich vorstellbar — ich nenne jetzt einmal zwei Beispiele aus dieser Arbeit —, daß die Formel von den beiden Staaten in Deutschland ersetzt werden mußte durch „die zwei Staaten in Deutschland"?
Kann man sich mit der Forderung abfinden, daß die deutsche Frage — und hier, Herr Büchler, weichen Sie von dem ab, was wir gemeinsam getan haben — nicht als offen, sondern als ungelöst bezeichnet werden mußte?
Ich will diese Aufzählung, meine Kollegen, nicht verlängern.Sicher ist aber für meine Fraktion und für mich, daß die Antwort auf die deutsche Frage vom deutschen Volk erst in der Zukunft in Übereinstimmung mit den europäischen Nachbarn gegeben werden kann.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir sind keine Nationalisten, die Erfahrungen unserer Geschichte hindern uns daran. Aber gerade wegen dieser Erfahrungen wollen wir, daß alle Deutschen eines Tages die Freiheitsrechte in Anspruch nehmen können, von denen wir auf dieser Seite der Grenze schon heute jeden Tag so selbstverständlich Gebrauch machen. Und dies, Herr Kollege Büchler, ist die Kontinuität unserer Politik.
Und ich kann für meine Fraktion nur versichern:Wir werden die Deutschlandpolitik, für die wir immer eingetreten sind, die der Bundeskanzler, derBundespräsident und die Regierungserklärungen festgelegt haben, auch in Zukunft unterstützen und tragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schierholz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir hier in den letzten Tagen und auch heute wieder erlebt haben, ist nach meinem Eindruck ein regelrechter deutschlandpolitischer Eiertanz. Es geht — da gebe ich Ihnen völlig recht, Herr Ronneburger — vornehmlich um taktische und parteipolitische Manöver. Und dafür sollte uns allen die deutschlandpolitische Ortsbestimmung dieses Parlaments zu schade sein.
Für uns GRÜNE liegt ein Kern des Konfliktes darin, daß der Entschließungsentwurf jetzt und für die Zukunft die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen bekräftigt. Dem stimmen wir voll zu.
Um so ernster muß registriert werden, was sich bei Ihnen in der Union abgespielt hat. Der deutschnationale Flügel ist im Dreieck gesprungen,
macht alte Ansprüche auf die ehemaligen Ostgebiete geltend und droht mit Wahlverweigerung. Dieser Begriff ist doch gefallen.
Die Union ist deutschlandpolitisch beschlußunfähig geworden,
weil Herr Czaja und seine Freunde diesen Teil des Entschließungsentwurfs in den Geruch der Verfassungswidrigkeit bringen. Herr Windelen, das ist doch passiert.
Nun leugnen Sie das doch nicht!
Da ist schon die Frage zu stellen, wer in dieser Regierung eigentlich die Richtlinien der Politik bestimmt.
Aber der Bundeskanzler hat ja selber mit seinen doppeldeutigen Äußerungen zur Frage der Grenzgarantien dazu beigetragen, daß die alten Geister immer wieder auf den Plan gerufen worden sind. Notwendig wären klare und eindeutige Worte, die den Versuch, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, ein für allemal beenden und den osteuropäischen Nachbarvölkern die Angst vor einem neuen großdeutschen Alptraum nehmen würden.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12535
Dr. SchierholzStatt dessen sind die Koalitionsfraktionen jetzt verzweifelt bemüht, die Kuh vom Eis zu bringen. Man hört aus ihren eigenen Reihen das Wort von den politischen Managementfehlern. Nachdem monatelang ein gemeinsamer Entschließungsantrag beraten worden war, hört man jetzt lapidar aus den Reihen der Koalition: Es besteht kein Entschließungsbedarf.Es ist aber nur allzu deutlich, daß Teile der Union auch im Hinblick auf den Wahlkampf eine schärfere Gangart einschlagen wollen, bei der jede tatsächliche oder vermeintliche Gemeinsamkeit mit der SPD nur stören würde. Aber das ist nicht unser Problem. Hier muß vor allem die SPD mal klären, mit wem und in welche Richtung sie Deutschlandpolitik betreiben will.
Denn in einem Punkt hat Franz Josef Strauß doch wohl recht: Ein Scheinkonsens kann nur schaden und die Klarheit der politischen Begriffe und die Konturen politischer Positionen verwaschen. Der gemeinsame Entschließungsentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, fällt weit hinter die Positionen zurück, die Sie, meine Damen und Herren von der SPD, in der Vergangenheit vertreten haben. Auch das müssen Sie sich einmal sagen lassen.
Über dem gegenwärtigen Streit wird gern übersehen, daß sowohl der gemeinsame Entschließungsentwurf als auch die von der CDU/CSU jetzt wieder eingebrachte Resolution vom Februar 1984 im Kern auf die Entschließung des Bundestages vom 17. Mai 1972 zurückgehen. Deutlicher kann kaum werden, daß sich in den Grundlagen der Deutschlandpolitik seitdem kaum etwas bewegt hat. Herr Windelen hat gerade gestern in seinem Interview klargemacht, daß da für ihn zwischen hundert Tagen, hundert Monaten und hundert Jahren kaum ein Unterschied besteht.Meine Damen und Herren, das ist nicht nur der Verzicht auf eine aktive Deutschlandpolitik, sondern das ist der Bankrott schlechthin. Wenn Sie von der SPD sich dieser Bankrotterklärung anschließen wollen, ist das Ihr Problem. Eine halbherzige Deutschlandpolitik, die glaubt, man könnte die CDU/CSU durch Formelkompromisse zu einer realistischen Deutschlandpolitik bewegen, ist allerdings auf Sand gebaut.Unsere Position ist eindeutig und orientiert sich an den historisch gewachsenen Realitäten.
Wir begreifen Deutschlandpolitik in erster Linie — da greife ich gern den Begriff aus der SPD auf — als Friedenspolitik. Wer den Frieden in Europa wirklich will, muß sich klipp und klar zu einer Garantie der bestehenden Grenzen bekennen,
und eine aktive Friedens- und Entspannungspolitik betreiben. — Herr Reddemann, dazu sind auch Sie herzlich eingeladen.
Dazu gehören gemeinsame deutsch-deutsche Abrüstungsinitiativen genauso wie normale Kontakte zur Volkskammer. Vor allem aber gehört dazu die Anerkennung der Existenz beider deutscher Staaten samt ihrer Staatsbürgerschaft.
Der eindeutige Verzicht — hören Sie genau zu, Herr Jäger! — auf eine nationalstaatliche Ausrichtung der Politik ist ein tragendes Element für eine europäische Friedensordnung, in der niemand mehr Angst vor einem großdeutschen Wahn zu haben braucht.Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das wichtigste Anliegen deutscher Politik ist es, die Spaltung unseres Landes friedlich zu überwinden.
Niemand kann heute sagen, wann wir dieses Ziel erreichen werden.
Bis dahin bleibt es unsere Aufgabe, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem auch das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Seine Einheit wiedererlangen heißt, wieder vereinigt' zu werden.Am 9. Februar 1984 verabschiedeten die verfassungtragenden Fraktionen des Deutschen Bundestages
einstimmig eine Entschließung, in der dieses Ziel klar angesprochen wurde. Dieser Beschluß sollte nach den Worten des Kollegen Heimann, des Berichterstatters, eine dauerhafte Grundlage für eine gemeinsame Deutschland- und Berlinpolitik bilden.
Sie tat es leider nicht. Schon ein Jahr später, in der Debatte vom 27. Februar 1985, war die SPD-Fraktion nicht mehr bereit, die Entschließung des Vorjahres zu bekräftigen. Sie legte einen neuen Entwurf vor.
Die langen Bemühungen, wenigstens einen Minimalkonsens zu erzielen, endeten in Formelkompromissen, welche die Widersprüche allenfalls verdekken, aber nicht mehr überbrücken konnten. Ich be-
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12536 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Bundesminister Windelendaure das, muß aber die Tatsache zur Kenntnis nehmen. Es wäre im übrigen auch nicht sinnvoll, tatsächliche Meinungsverschiedenheiten nur zu verkleistern.
Das gäbe nur Anlaß zu neuem Streit über die richtige Auslegung der Formulierungen. Aber damit wäre der Sache wohl kaum gedient.Die Regierungskoalition hat diese Gemeinsamkeit nicht aufgekündigt, und sie wird es auch in Zukunft nicht tun. Sie steht unverändert zu der gemeinsamen Entschließung des vergangenen Jahres. Inzwischen haben aber einige sehr namhafte Mitglieder der SPD öffentlich erklärt, die deutsche Frage sei nicht mehr offen
und das Wiedervereinigungsgebot der Präambel des Grundgesetzes stehe zur Disposition. Hier liegt der eigentliche Bruch gegenüber der Entschließung von 1984.
Auch der SPD-Vorsitzende Willy Brandt hat in seiner Münchener Rede vom 18. November 1984 bestritten, daß die deutsche Frage noch offen sei.
Die Diskussion darüber, so sagt er, bringe nichts ein; sie verlängere allenfalls alte Illusionen aus den 50er Jahren und sollte deswegen so rasch wie möglich beendet werden. Meine Damen und Herren, wie läßt sich damit vereinbaren, was der gleiche Willy Brandt im Oktober 1962, also lange nach dem Bau der Mauer in Berlin, vor der Harvard-Universität aussprach?
Er sagte: Die Bundesrepublik kann „nicht auf eine Politik verzichten, deren Ziel die Wiederherstellung der staatlichen Einheit ist". Er fuhr wörtlich fort: „Sie kann also in der Konsequenz nicht darauf verzichten, von der Sowjetunion die Aufgabe jenes Territoriums zu fordern, das heute sowjetisch besetzt ist."
Meine Damen und Herren, inzwischen hat sich die SPD offenbar mehrheitlich der heutigen Haltung von Willy Brandt angeschlossen. Für uns aber bleibt es bei dem Wort, das Bundespräsident von Weizsäcker ausgesprochen hat: „Die deutsche Frage bleibt offen, solange das Brandenburger Tor zu ist."
Es ist schmerzlich, zu erkennen, daß der Bundespräsident hier nicht mehr für alle sprechen konnte. Der Bundesregierung ist jede Unterstützung ihrer Bemühungen für die Menschen willkommen. Wer aber Nebendeutschlandpolitik betreiben will undsich dabei zum Anwalt von SED-Forderungen macht,
der sollte das nicht unter dem Deckmantel vorgeblicher Gemeinsamkeiten tun.
Der Kurs unserer Deutschlandpolitik ist klar und berechenbar.
Sie bleibt durch die Positionen bestimmt, die in vielen Regierungserklärungen und auch im Beschluß vom 9. Februar 1984 bekräftigt worden sind. Auf dieser Grundlage werden wir fortfahren, für die Zeit unserer Teilung deren bittere Folgen für unser Volk zu lindern und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Der Grundlagenvertrag bietet dafür Möglichkeiten, die längst nicht ausgeschöpft sind. Praktische Verbesserungen und die Frage, wie sie erreicht werden können, sind wichtiger als immer neue Resolutionen
oder Diskussionen über Rechtsfragen,
die ohnehin längst geklärt sind oder nicht zu unserer Disposition stehen.
Die Bundesregierung braucht für ihre Politik im Interesse der Menschen breite Unterstützung. Der Beschluß vom 9. Februar 1984 ist eine solche Unterstützung. Es wäre hilfreich, wenn er heute mit der gleichen Mehrheit wie 1984 bestätigt würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Heimann.
Herr Bundesminister, Sie haben soeben von den drei verfassungstragenden Fraktionen gesprochen, die hier im letzten Jahr eine gemeinsame Entschließung verabschiedet haben. Ich habe eine dieser Fraktionen vertreten. Aber die Ausgrenzung, die in Ihren Worten liegt, kann ich in keiner Weise unterstreichen.
Ich verstehe mich als Mitglied einer der drei Fraktionen und gehe davon aus, daß alle vier Fraktionen verfassungstragend sind.
Herr Bundesminister, wer sagt Ihnen eigentlich, daß die SPD-Fraktion einen Satz wie „Solange das Brandenburger Tor zu ist, ist die deutsche Frage offen" nicht unterstreicht? Wer sagt Ihnen das ei-Deutscher Bundestag 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12537Heimanngentlich? Ich habe das im Berlin-politischen Teil sogar vorgeschlagen.
Denn das ist, Herr Bundesminister, inhaltlich nichts anderes als die Formulierung, daß es darauf ankommt, den trennenden Charakter der Grenzen zu überwinden, aber nicht die Grenzen selbst in Frage zu stellen.
Ich möchte, meine Damen und Herren, ein Wort zu dem sagen, was Sie, Herr Kollege Ronneburger, hier vorgetragen haben. Herr Kollege Ronneburger, mir tut es wirklich aufrichtig leid, daß Sie offenbar kein Gefühl dafür haben, wie Sie den hohen Respekt, den Sie hier, auch in unserer Fraktion, genießen, mit Reden wie der, die Sie hier soeben gehalten haben, verspielen. Warum reden Sie über Dinge, die nicht verhandelt worden sind? Sagen Sie doch offen, daß wir zu einem Ergebnis gekommen sind und Sie sehr dafür waren. Und dann erklären Sie meinetwegen, daß die FDP aus Rücksicht auf die zerstrittene CDU/CSU nun nicht noch mehr Schwierigkeiten in der Koalition machen will. Erklären Sie das!
Dann haben wir auch Respekt vor Ihrer Haltung.Herr Kollege Lintner, Sie haben wirklich mein kollegiales Mitgefühl für Ihre Lage. Weil Sie das haben, will ich es Ihnen ersparen, auf diese erbärmliche Begründung dafür einzugehen, daß Sie heute nicht mehr zu dem stehen, was Sie mit mir vereinbart haben.
Meine Damen und Herren, ich will ganz kurz sagen, was die SPD-Fraktion bewogen hat, den Versuch zu machen, erneut zu einer gemeinsamen Entschließung zu kommen.
Ich will es wie folgt begründen: In der relativ kurzen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es zwei große politische Richtungsentscheidungen gegeben: Die eine ist mit dem Namen Konrad Adenauer verbunden und heißt Westintegration, die andere ist mit den Namen Willy Brandt und Egon Bahr verbunden und heißt Ostpolitik. So wie sich die SPD mit der großen Rede von Herbert Wehner — im Juni 1960 ist es geschehen — auf den Boden der vollzogenen Westintegration stellen mußte, die sie mehr als ein Jahrzehnt erbittert bekämpft hatte, um die Tür zur deutschen Einheit nicht zuschlagen zu lassen, so muß sich die CDU/ CSU heute, und zwar ohne Wenn und Aber, auf den Boden der Ostpolitik — präziser noch: auf den Boden der gültigen und geschlossenen Ostverträge — stellen.
Darum geht es, und nur darum ging es bei dem Versuch, erneut eine gemeinsame Entschließung zur Deutschlandpolitik zuwege zu bringen.
Der Versuch ist gescheitert, die Aufforderung bleibt.Dem Bundeskanzler fehlt offensichtlich die intellektuelle und moralische Kraft,
ihm fehlt — das ist nun wirklich offenkundig geworden — auch die ausreichende Zustimmung in seiner Fraktion und vor allen Dingen aus München,
eine vergleichbare Aussage zu treffen wie damals Herbert Wehner im Juni 1960.So ist es denn der Bundespräsident, in dessen großen Reden zum 8. Mai oder vor dem Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf sich die Nation wiederfindet und in denen unsere Nachbarn im Westen und im Osten ein Bild der Deutschen erkennen, das Europa eine Perspektive des Friedens und der Partnerschaft verheißt.
Meine Damen und Herren, das ist übrigens der Kern der Formulierungsvorschläge, die ich im Auftrag meiner Fraktion für den Text der gemeinsamen Entschließung gemacht habe. Ich will hier jetzt nicht alle einzeln aufzählen; wir haben heute in der Fragestunde darüber geredet. Die Unverletzlichkeit der Grenzen in Europa: Wie peinlich! Der Bundeskanzler hatte das vorher bekräftigt. Wir hören heute: Die Bundesregierung steht dazu. Aber für die CDU/CSU-Fraktion ist das der Hauptgrund, dieser Entschließung nicht zuzustimmen.
Die im Grundlagenvertrag enthaltenen Prinzipien der Gleichberechtigung, der Unabhängigkeit und Selbständigkeit im Verhältnis der beiden Staaten zueinander; die Formulierung des Bundespräsidenten auf dem Evangelischen Kirchentag: „Es geht nicht darum, Grenzen zu verschieben, sondern Grenzen den trennenden Charakter für die Menschen zu nehmen."; schließlich der von Franz Josef Strauß als verschwommene Phraseologie bezeichnete Begriff der Verantwortungsgemeinschaft, der übrigens nicht von Egon Bahr stammt, sondern von dem Göttinger Historiker von Thadden und der schon im Text der alten gemeinsamen Entschließung enthalten ist,
zu der nun Herr Dregger und Franz Josef Strauß zurück wollen. Peinlich, peinlich, peinlich.
Es ist einfach lächerlich, wenn jetzt behauptet wird,die SPD habe in den Verhandlungen den Versuch
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12538 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Heimanngemacht, einseitig draufzusatteln. Das haben wir nicht getan.
Aber wenn natürlich die deutschnationale Teilfraktion der CDU/CSU jetzt dauernd ihre verbalen Opfer auf den schwarz-weiß-roten Altären eines in Wirklichkeit 1945 ...
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
... untergegangenen Deutschen Reiches erbringt, ...
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende, es tut mir leid.
... dann müssen — ich will den Satz zu Ende führen — ein paar Klarstellungen getroffen werden. Deshalb reicht der alte Text nicht mehr.
Das Wort hat der Abgeordnete Werner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Heimann, ich finde, wir sollten die Debatte über ein so schwieriges Thema in einem anderen Stil und Ton gestalten, als Sie das gerade eben getan haben.
Ich glaube, es hat wenig Sinn, wenn Sie jetzt mit dem Grundtenor „Haltet den Dieb!" auftreten
und darauf hinzuweisen versuchen, wie achso uneinig diese CDU/CSU-Fraktion sei.
Ich möchte für mich und meine Kollegen aus-und nachdrücklich feststellen, daß wir völlig einer Auffassung sind bezüglich der von dieser Bundesregierung gestalteten Deutschlandpolitik. Wir unterstützen sie voll und ganz.
Wir sind, Herr Heimann, der Überzeugung, daß die deutsche Frage offen ist und daß sie von uns politisch offengehalten werden muß bis zum Zeitpunkt der Herbeiführung eines Friedensvertrages, in dem auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts auch das deutsche Volk in Übereinstimmung mit seinen Nachbarn seine Einheit in seiner eigenen staatlichen Organisationsform und in seinen Grenzen wird finden können.Ich bedaure es, daß Sie die Bundesregierung pauschal angreifen, wiewohl Sie doch genau wissen, daß gerade diese Bundesregierung alles daransetzt, um Gemeinsamkeit nicht nur gegenüber den Partnern im Westen, sondern auch gegenüber den Partnern im Osten herbeizuführen, vor allen Dingen mehr politische Zusammenarbeit mit der DDR, aber auch mit den anderen Nachbarn im Osten. Die Entwicklung in den vergangenen Monaten spricht doch dafür.Herr Heimann, lassen Sie mich auch noch sagen: Nicht wir haben unsere Position inhaltlich verändert,
sondern die SPD!
Da war doch Herr Apel, für den die deutsche Frage nicht mehr offen ist. Da nennt Herr Brandt das Offenhalten der deutschen Frage eine Illusion. Da kommt Herr Schmude und denkt laut darüber nach, wie man eigentlich die Respektierung der Staatsbürgerschaft der DDR in Einklang mit dem Grundgesetz handhaben könnte.
Da wurde der Bundeskanzler angegriffen, weil er die Rechtspositionen vor den Vertriebenen dargelegt hat.
Da wurden die Vertriebenen, weil sie den Mut hatten, sich zu ihren Rechten zu bekennen, von Teilen von Ihnen als Revanchisten beschimpft.Meine Damen und Herren in der SPD, Sie gehen doch immer mehr in eine Richtung, die dahin führt, daß am Ende Ihrer Politik eine Reduktion des Nationbegriffs steht, eine Reduktion hin zur Vorstellung der Nation als bloßer Schicksals- und Kulturgemeinschaft. Sie bemühen sich doch in allem, was in den vergangenen Monaten an Nebenpolitik unternommen wurde, darum,
Zweifel zu säen, daß wir die Wiedervereinigung der Deutschen in Frieden und Freiheit auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts im Rahmen einer freiheitlichen Ordnung für die Deutschen und für alle europäischen Völker werden erringen können.Deswegen meinen wir, die Spaltung Europas und die Spaltung Deutschlands
können nicht gegeneinander, sondern nur miteinander beseitigt werden. Das ist unsere Politik!
Das ist die Politik der kleinen Schritte, eine Politik, mit der gerade diese Bundesregierung in mühevoller Kleinarbeit Schritt für Schritt, aber erfolgreich vorankommt. Es ist deswegen wohl kein Zufall, daß vor kurzem im schwedischen Fernsehen ausgerechnet Egon Bahr dieser Bundesregierung beachtliche Leistungen und Erfolge im innerdeutschen Verhältnis bescheinigt hat.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12539
Werner
Deswegen, meine Damen und Herren, die recht herzliche Bitte an Sie: Wenn wir hier über Deutschland und Deutschlandpolitik sprechen, dann kehren Sie zurück zu der von uns allen gemeinsam getragenen Grundlage der Resolution vom Februar 1984.
Unterstützen Sie die Deutschlandpolitik der Bundesregierung und verzichten Sie auf eine Nebenpolitik mit Pankow. Wenn dies geschieht, meine Damen und Herren von der SPD, dann vollzieht sich Gemeinsamkeit nicht mehr nur verbal, sondern auch faktisch, in der Realität.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in der Deutschlandpolitik eine Aktuelle Stunde; ich kann nur hoffen und wünschen, daß es keine dunkle Stunde wird.
Nicht von ungefähr
möchte ich uns alle noch einmal an jene Feststellung erinnern, die Franz Josef Strauß im vergangenen Jahr in München getroffen hat. Darin heißt es:
Niemand sollte bei uns unterschätzen, mit welcher Irritation man auch im verbündeten Ausland inzwischen wieder auf Deutschland blickt. Täuschen wir uns nicht: Niemand unter unseren europäischen Nachbarn oder draußen in der Welt hat noch ein Interesse, wiederum an deutscher Irrationalität zu genesen oder sich von deutscher Hysterie und Ängsten anstecken zu lassen oder auch am deutschen Selbstmitleid mitleiden zu müssen, dieser schrecklichsten aller deutschen Krankheiten.
Meine Damen und Herren, diese Erkenntnis ist gut, sie ist richtig. Nur, sie zu haben allein genügt ja noch nicht. Es müssen daraus die politischen Konsequenzen abgeleitet werden. Politische Turnübungen auf doppeltem Boden nützen da gar nichts.
Auch hier gilt: Die Wahrheit macht frei von falschen Hoffnungen und Anpassungen, sie macht frei für die Gestaltung unserer Zukunft.
Wir haben uns am Ende der 60er Jahre gegen Unverständnis und Unterstellungen zu einem vertraglichen Miteinander der beiden deutschen Staaten durchgekämpft.
Keinen Schritt, den wir getan haben, müssen wir heute bereuen. Im Gegenteil; ohne den Grundlagenvertrag und
die vielen Folgeabkommen sähe es heute um die Einheit der Nation trübe aus.
So aber haben wir für menschliche Erleichterungen und für konkret erfahrbaren menschlichen Zusammenhalt Substanzsicherung betrieben.
Meine Damen und Herren, um diese Politik in der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Welt erfolgreich betreiben zu können, jetzt und in der Zukunft, ist größtmögliche Geschlossenheit hier im Deutschen Bundestag wahrlich von Nutzen. Es war deshalb ein erfreuliches und, wie ich meine, für die Menschen im geteilten Deutschland hoffnungsvolles Ereignis, als wir uns, CDU/CSU und FDP zusammen mit der SPD, auf eine gemeinsame deutschlandpolitische Aussage im Januar 1984 einigen konnten. Wenn der Anlauf für die Fortschreibung einer solchen Erklärung jetzt gescheitert ist, sollten wir nicht nur nach dem Schuldigen
forschen. Nein, meine Damen und Herren, zertrümmern wir damit nicht auch noch den gemeinsamen Ansatzpunkt, den wir gewonnen haben!
Denn nur wenn wir ihn bewahren, werden wir weiter für menschliche Erleichterungen im geteilten Deutschland streiten können. Handeln wir in unserer Verantwortung für die Menschen im geteilten Land!
Abschließend möchte ich bemerken - und wiederhole damit eine gestrige Äußerung —: Es wäre fatal, wenn sich Kapitel 19 Vers 32 der Apostelgeschichte auf unsere deutschlandpolitische Debatte übertragen ließe. Dort heißt es nämlich:
Etliche schrien so, etliche ein anderes, und die Gemeinde ward irre, und die meisten wußten nicht, warum sie zusammengekommen waren.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haack.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hoppe, Ihre Rede hat mir schon etwas besser gefallen als die von Ihrem Kollegen Ronneburger.
Bei Ihrem Bibelzitat haben Sie wahrscheinlich an Ihren Koalitionspartner gedacht.
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12540 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Dr. HaackUnmittelbar nach der Debatte zum Bericht zur Lage der Nation am 27. Februar dieses Jahres hat Herr Kollege Rühe erklärt, es bleibe zu hoffen, daß der in dieser Debatte sichtbar gewordene grundsätzliche Konsens nicht wieder durch den innenpolitischen Meinungsstreit zwischen den Parteien beschädigt werde; denn für parteipolitische Kontroversen sei die Deutschlandpolitik ein ganz ungeeignetes Thema. Der Generalssekretär der CDU hat am selben Tag gesagt: „Man muß nach vorne sehen. Die CDU hat 1972 längst hinter sich gelassen. Wir halten die Verträge nicht nur ein, sondern wir wollen sie mit Leben erfüllen. Eine rückwärts gerichtete, rein an der Grenzfrage orientierte Diskussion hat keinen Sinn.
Da der Streit keinen politischen Sinn hat" — so Geißler am 27. Februar —, „sondern eher ein Seminarstreit ist, ist er natürlich auch schädlich, weil er im Ausland zu Mißverständnissen Anlaß gibt."
Leider sind diese richtigen Einsichten schon nach acht Monaten aufgegeben worden. Zwischen den damaligen Äußerungen des Herrn Geißler und des Herrn Rühe und der heutigen Rede des Herrn Bundesministers Windelen liegen Welten.
Leider wird die Gemeinsamkeit ohne Not aufgekündigt. Teile der CDU sind in die Zeit vor 1972 zurückgefallen.
Hatte Generalsekretär Geißler zu dem Streit, der vor acht Monaten in der Fraktion der CDU/CSU vor Abgabe der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zur Lage der Nation entbrannt war, noch gesagt, dies sei eine etwas künstliche Diskussion von Einzelgängern, die für keine große Gruppe in der Union repräsentativ sei,
so sehen wir heute die CDU/CSU-Fraktion in der Gefangenschaft dieser angeblichen Einzelgänger.
Meine Damen und Herren, jeder Deutsche, dem es um die Zukunft seines Landes geht, muß darüber zornig sein. Die gemeinsame, schon ausgehandelte Entschließung zur Deutschlandpolitik hätte der Deutschlandpolitik insgesamt genützt. Die jetzige Diskussion lenkt vom Kern der deutschen Frage ab, weil sie die politische Bindungswirkung der Ostverträge in der Grenzfrage nicht wahrhaben will und so den deutschen Interessen Schaden zufügt.
Ich wiederhole hier, was ich als damaliger Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses zu dem deutsch-polnischen Vertrag am 10. Mai 1972 an dieser Stelle zur Grenzfrage gesagt habe:Erstens.Die Frage der Westgrenze ist für den polnischen Staat eine Existenzfrage. Diese Grenze wird vom östlichen Bündnissystem garantiert. Diese Grenze wird von allen Staaten der Welt als endgültig angesehen. Nur wenn die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland diesen Sachverhalt zur Kenntnis nimmt, ist ein deutsch-polnischer Ausgleich möglich.
Zweitens.... Der deutsch-polnische Vertrag ist mehr als ein Gewaltverzichtsvertrag.Herr Windelen wollte ihn heute wieder ausschließlich als Gewaltverzichtsvertrag darstellen.Durch die klare Grenzfeststellung der Bundesrepublik ... wird der Weg frei gemacht für eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen und für eine Aussöhnung der beiden Nachbarvölker, der der gleiche historische Rang zukommen wird wie der Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich in den 50er Jahren.
Wer auch heute noch, im Jahre 1985, darüber hinwegtäuschen will, daß die Oder-Neiße-Grenze ein nicht rechtlich, aber politisch endgültig geregeltes Problem ist, wird unfähig, zu erklären, daß es in der Deutschlandpolitik um die Sicherung der engen Bindung West-Berlins an die Bundesrepublik, die Verbesserung der Beziehungen beider deutscher Staaten, die Wahrung der Einheit der Nation und die Aufrechterhaltung des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen geht.Die Form des Zusammenlebens der Deutschen und mehr Freiheiten für unsere Landsleute in der DDR gehören zur ungelösten deutschen Frage, nicht aber Gebiets- oder Grenzänderungsansprüche.
Der bayerische Ministerpräsident hat auf Grund eines an ihn gesandten Fernschreibens des Präsidenten des Bundes der Vertriebenen gegen den Entwurf einer gemeinsamen Entschließung zur Deutschlandpolitik protestiert. Wenn heute und in Zukunft — ich sage das ganz deutlich — Fernschreiben von Verbandsfunktionären — selbst wenn sie Abgeordnete sind — mehr bewirken als Einsicht, Verstand und Realismus, wenn der Opportunismus zum alleinigen Maßstab für Entscheidungen wird, ist verantwortliche Politik am Ende.
Wir appellieren deshalb eindringlich an die CDU/ CSU-Fraktion, einen solchen gefährlichen Weg in nationalen Existenzfragen nicht weiterzugehen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12541
Dr. HaackDie Deutschlandpolitik darf in der Grenzfrage nicht ins Zwielicht geraten.
-- Letzter Satz, Frau Präsidentin.Nicht Ablenkungsmanöver, wie wir sie vorhin in der Fragestunde und bei der Rede von Minister Windelen erlebt haben, sind geboten, sondern die konsequente Fortführung der Vertragspolitik der 70er Jahre im Interesse unseres Volkes.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedaure es, daß ein Teil der Opposition versucht — dazu haben Sie nichts gesagt, Herr Haack —, die Teilung Deutschlands und damit das Ende der Kontinuität Deutschlands zu bekräftigen. Das ist gescheitert.
Es wird in einen Entschließungsentwurf nicht der Versuch hineingetragen werden können, einen Totenschein für Deutschland hineinzuinterpretieren;
denn politisch ist Deutschland wieder im In- und Ausland aktuell, auch wenn es manchen nicht paßt. Die nötigen menschlichen Erleichterungen sollen den Fortbestand Deutschlands nicht auslöschen.
Kissinger ermahnte die Deutschen im Fernsehen zweimal zu mehr Selbstbehauptung und Selbstbewußtsein, sonst werde der Osten die deutsche nationale Frage lösen. Honecker sagte: Wenn ihr das, was ich Kapitalismus nenne, überwindet, dann ist die Wiedervereinigung da. Aber die westlichen Gipfelkonferenzen bekannten sich auf Drängen Kohls als Oppositionsführer und als Bundeskanzler zur freien Selbstbestimmung der Deutschen. Dafür danken wir ihnen.
Das Zusammengehörigkeitsbewußtsein des deutschen Volkes ist unerschüttert. Früher hieß es auch: Hundert Jahre SPD sind hundert Jahre Kampf um die Selbstbestimmung, nicht nur in Afrika, sondern auch der Deutschen. Deshalb zur deutschen Frage ein Zitat von gestern — nicht in meiner Ausdrucksweise —.
Eine europäische Friedensordnung darf nicht einfach bestätigen, was der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat. Sie muß vielmehr neue Formen der Zusammenarbeit möglich machen und Grenzen einebnen.
Zu ihr müßte ein europäisches Volksgruppenrecht gehören. Sie müßte Menschenrechte
nicht nur deklarieren, sondern auch praktizieren.
Das ist ein Zitat von Außenminister Willy Brandt vom 2. Juli 1967 im Deutschlandfunk.
Ich wäre dankbar, wenn Sie jetzt klatschten. Denn trotz politischen Zickzacks hat sich an dieser grundlegenden Notwendigkeit nach 17 Jahren und durch die Ostverträge nichts geändert. Dieses Ziel fordert auch Ziffer 41 des noch fortbestehenden Godesberger Programms.
Nach Völker-, Vertrags- und Ostvertragsrecht, aber auch nach Verfassungsrecht ist die Sache Deutschland eindeutig.
Der Bundeskanzler zitiert in jeder großen Rede die für die langfristige Deutschlandpolitik verbindlichen Dokumente, zu denen ich voll stehe und deren Nachbesserung zum Schaden Deutschlands er am 4. Juli 1985 ausdrücklich als völlig indiskutabel bezeichnete.
Er hat am 12. März 1985 das uralte allgemeine Souveränitätsprinzip nicht auf eine vom fortbestehenden Deutschland abgetrennte Souveränität der DDR als Ausland bezogen, sondern dasselbe gesagt, was bereits 1973 das Foreign Office im Oberhaus erklärte. Es gibt auch kein völkerrechtswirksames Dokument, das im operativen Teil Gebietsübertragungen an fremde Souveräne und endgültige Grenzziehung bewirkt, wie das Auswärtige Amt noch am 10. Mai im Bundestag bestätigt hat.
Dagegen stehen nämlich die Ansprüche der Siegermächte zur Mitwirkung an der Lösung der deutschen Frage. Dagegen stehen unsere und der Verbündeten freie, von den Ostverträgen hingenommene Vertragsverpflichtungen in Art. 7 des Deutschlandvertrags. Dagegen stehen die Noten der Sieger zu den Ostverträgen und der Verbündeten von August und November 1970 zur Fortgeltung der Deutschlandpolitik gemäß der Berliner Vierererklärung und des Londoner Abkommens sowie der Briefe zur deutschen Einheit. Dagegen stehen auch der Wortlaut von Potsdam und das Fehlen von Anerkennungsformeln in den Ostverträgen.
In verbindlicher Auslegung des Wahrungs- und Offenhaltegebots der Verfassung stellte daher auf Grund der Aussagen der Regierung Brandt/Scheel zum Vertragsinhalt das Bundesverfassungsgericht 1973, 1975 und 1983 fest:.. .
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.
... Auch nach den Ostverträgen besteht Deutschland rechtlich fort, ist die DDR nicht Ausland, sind die Gebiete östlich von Oder und Neiße aus der Zugehörigkeit zu Deutschland nicht entlassen. Daher gilt Schumachers letzte
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12542 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
Dr. CzajaRede: Nur das geeinte deutsche Volk kann eine verbindliche Zusage über seine Grenzen abgeben.
Das Wort hat Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich auch in diesem Jahr bemüht, Gemeinsamkeiten der Deutschlandpolitik fortzusetzen und auszubauen. Gegenüber dem sehr viel knapperen Bundestagsbeschluß vom Februar 1984, von dem wir übrigens nichts zurückzunehmen haben, behandelt der jetzt von den Vertretern der drei Fraktionen unterschriebene Entwurf folgende Punkte ausführlich: das Bekenntnis zum Fortbestehen der deutschen Nation und zu ihrem Selbstbestimmungsrecht, die Ablehnung einer deutschen Neutralitätspolitik und die. Ablehnung einer Verwischung der ideologischen Unterschiede zwischen demokratischen und kommunistischen Systemen, wenn diese Unterschiede auch Vereinbarungen zur Sicherung des gemeinsamen Überlebens nicht im Wege stehen dürfen.Unter Aufnahme der seit Februar 1984 gerade auch in den Unionsparteien geführten Diskussion wollten wir die Gemeinsamkeit außerdem in folgenden zwei Punkten ergänzen: in der Bekräftigung der Aussagen über die Grenzen in Europa, wie sie auch der Kanzler mehrfach unterstrichen hat, und in der Betonung des Auftrags, Deutschlandpolitik als Friedenspolitik zu praktizieren. Sie, meine Damen und Herren in der Union, sind zu solcher Gemeinsamkeit in Existenzfragen der Nation aber nicht mehr in der Lage, weil Sie selbst heillos zerstritten sind.
Sie finden zur Grenzfrage keine gemeinsame Haltung, und Ihr rechter Flügel fällt jetzt sogar hinter die von der Bundesrepublik abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge zurück. Sie versagen auch vor der wichtigen Aufgabe, für die beiden deutschen Staaten eine gemeinsame positive Rolle in der Entspannung des Ost-West-Verhältnisses zu finden. Das hat auch Ihr unwürdiges Taktieren gegenüber dem Angebot gezeigt, über den Abzug chemischer Waffen vom Boden beider deutscher Staaten Verhandlungen aufzunehmen.
Das Interesse unseres Volkes aber verlangt, daß wir nicht zusehen, wie existenzielle Fragen über unsere Köpfe hinweg entschieden werden.
Die Friedenssicherung ist unser ureigenes deutsches Anliegen. Würde sie versagen, wäre das zuerst unser Ende, gleichgültig, in welchem der beiden deutschen Staaten wir leben.
Wir Sozialdemokraten stellen die Sache der Nation über die Partei.
Aber die Betonköpfe in der Union sind gegen eine solche Gemeinsamkeit. Und nicht nur das, Sie fallen sogar hinter die Erklärung von 1984 zurück. So kritisiert Herr Strauß den Begriff der Verantwortungsgemeinschaft, den Sie mit uns 1984 gemeinsam beschlossen haben.
Sie wollen auch hinter die Aussage vom Kollegen Rühe zurück, daß die politische Bindungswirkung des Warschauer Vertrages natürlich über seine juristische Bindungswirkung hinausgeht. Unser Freund Claus Arndt hat Ihnen dazu gerade noch einmal etwas Nachhilfeunterricht erteilt.Aber Sie wollen vor allen Dingen weg von den Aussagen des Vertrages über die Unverletzlichkeit der Grenzen und die territoriale Integrität und Souveränität aller Staaten in Europa. Sie haben es abgelehnt — gegenüber einem Bundespräsidenten, der aus Ihren Reihen kommt —, seine Worte aus der großen Rede vom 8. Mai zu unterschreiben, daß es nicht darum geht, Grenzen zu verschieben, sondern darum, ihnen den trennenden Charakter zu nehmen.Der Bundeskanzler aber schweigt zu alledem, ob aus Unfähigkeit oder aus Feigheit, sei dahingestellt.
Der Außenminister versucht, das Verhängnis aufzuhalten. Aber seine Partei ist — nicht zuletzt durch ihn -- das Umfallen gewöhnt.
Die Situation ist also die: die Rechte in der Bundesrepublik
nötigt der Union und der Koalition den geschichtlichen Rückwärtsgang auf. Aus der Verblendung der Rechten und aus der Feigheit in der Mitte der Union und in der FDP sind Sie auf dem Wege zurück in eine Geisteshaltung, an der die Weimarer Republik vor einem halben Jahrhundert schließlich zerbrochen ist,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12543
Dr. Ehmke
an einer Geisteshaltung, die eine der Ursachen war für die Teilung unseres Landes und den Verlust unserer ostdeutschen Heimat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ehmke, wenn Sie in dem Ringen um Gemeinsamkeit glaubwürdig sein wollen, dann dürfen Sie nicht Angebote der Gemeinsamkeit mit solchen polemischen Formulierungen zurückweisen.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben gestern ausdrücklich Wort für Wort die gemeinsame Erklärung von 1984 bestätigt. Wie kommen Sie dazu, hier die Unwahrheit zu sagen und zu erklären, wir wollten dahinter zurückfallen?
Ein Politiker, der tatsächlich vorhandene Gemeinsamkeit in einer schwierigen Angelegenheit öffentlich leugnet, der gehört eher in die Weimarer Republik als in die Republik der Bundesrepublik Deutschland.
In der 84er Erklärung, wo wir die Gemeinsamkeit der Worte haben, sind ganz klar Aussagen zu den Verträgen getroffen worden, die auch über ein bloßes pacta sunt servanda hinausgehen. Das heißt, wer will: die Gemeinsamkeit der Worte ist auf der Grundlage von 1984 vorhanden.Aber wir wollen mehr: echte Gemeinsamkeit, wo immer sie im konkreten Handeln, der Gemeinsamkeit des Handelns, zu erreichen ist. Dort setzt die Kritik an. Die Frage ist nämlich, ob Sie durch weitere Alleingänge in der Sicherheitspolitik nicht die Gemeinsamkeit des Handelns in der Deutschlandpolitik gefährden.
Wir wollen echte Gemeinsamkeit, keine taktische Gemeinsamkeit.
Bloße jährliche feierliche Resolutionsgemeinschaft, Herr Kollege Ehmke, die dann im Alltag der Politik durch Gegenpolitik und durch sicherheitspolitische Alleingänge gefährdet wird, reicht nicht aus.
Grundlage einer aktiven Deutschland- und Ostpolitik ist für uns eben auch eine klare und berechenbare West- und Sicherheitspolitik. Insofern müssen Sie sich wirklich entscheiden, ob Sie die Gemeinsamkeit wollen oder die Gegenpolitik.Der Vorsitzende unserer Fraktion, Herr Dr. Dregger, hatte am Montag dieser Woche noch einmal zu den unumstrittenen und festen Grundlagen unserer Deutschland- und Ostpolitik Stellung genommen und daran erinnert.
Ich füge, weil Sie mich so häufig angesprochen haben, hinzu: Ich stehe zu dem, was ich am 6. Februar gesagt habe.
Ich halte das politisch für vernünftig und rechtlich für völlig einwandfrei. Aber ich muß auch sagen — und da verrate ich kein Geheimnis —, daß diese Rede eben nicht zu den unumstrittenen Grundlagen unserer Politik gehört.
— Das zu erklären, wäre wohl kaum möglich.
Zu diesen gemeinsamen Grundlagen, die unumstritten sind, gehört allerdings die gemeinsame Entschließung vom 9. Februar 1984 mit den darin aufgeführten Dokumenten zur Deutschlandpolitik ebenso wie die Berichte des Bundeskanzlers zur Lage der Nation im geteilten Deutschland. Deshalb gilt für uns selbstverständlich — ich sage das mit aller Klarheit, weil das in Zweifel gezogen wurde — auch die Aussage des Bundeskanzlers vom 27. Februar dieses Jahres. Ich zitiere:Wir bekräftigen jetzt und für die Zukunft den Warschauer Vertrag und die darin zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen verankerte Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen als eine grundlegende Bedingung für den Frieden.Dieses gehört zu den unumstrittenen Grundlagen unserer Politik.
— Ich glaube, deutlicher kann man das nicht sagen. In seiner Rede vor der Landsmannschaft Schlesiens hat der Bundeskanzler am 16. Juni 1985 unterstrichen, daß die Rechtslage Deutschlands nicht zur Disposition steht, und er hat — an die Menschen in Polen gerichtet — hinzugefügt, daß von diesen Rechtspositionen keine Bedrohung für unsere Nachbarn ausgeht. Das steht unmittelbar im Zusammenhang mit seiner Aussage in dem schon erwähnten Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland, einer unumstrittenen Grundlage der Politik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
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12544 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985
RüheIn ihr heißt es:In den Gebieten jenseits der polnischen Westgrenze leben heute polnische Familien, denen diese Landschaften in zwei Generationen zur Heimat geworden sind. Wir werden dies achten und niemals in Frage stellen.Dieses sind eindeutige, klare und unumstrittene Formulierungen.
Meine lieben Kollegen, diese programmatische Aussage zur Regierungspolitik von Bundeskanzler Kohl — und in derselben Regierungserklärung finden Sie auch die Formulierung: „Nicht Grenzen zu verschieben, sondern sie zu überwinden, das ist der Kern unserer Deutschlandpolitik" — hat die volle Unterstützung der Fraktion der CDU/CSU. Das möchte ich an dieser Stelle mit aller Klarheit sagen.
Wenn Sie sich mit uns auseinandersetzen wollen, dann tun Sie das in einer intellektuellen redlichen Weise, aber machen Sie nicht den Versuch, den Teil, der unumstritten ist, ins Gerede zu bringen.
Es versteht sich von selbst, daß die abgeschlossenen Verträge und Vereinbarungen mit der DDR sowie mit den anderen Staaten des Warschauer Pakts rechtsverbindlich sind und nach Geist und Buchstaben gelten. Sie gehören heute mit zu den Grundlagen unserer Politik.Was die Formulierung von der Verantwortungsgemeinschaft der beiden Staaten in Deutschland betrifft, so steht auch dieser Begriff in der gemeinsamen Erklärung von 1984. Deshalb wird er politisch nicht auf den Index gesetzt, sondern er gehört zum gemeinsamen Gedankengut, das alle Parteien hier in diesem Bundestag verbindet.
Nehmen Sie das zur Erklärung.Die Frage, die wir an Sie richten müssen, ist immer wieder: Was paßt Ihnen an der gemeinsamen Erklärung von 1984 nicht? Wozu stehen Sie nicht mehr? Was wollen Sie geändert wissen? Diese Fragen müssen Sie in dieser Debatte doch eindeutig beantworten.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Handlos.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegen! Am 9. Februar 1984 haben sich — es wurde heute schon einige Male gesagt — CDU/CSU, SPD und FDP auf eine gemeinsame Entschließung zur Deutschlandpolitik geeinigt, und soweit ich mich erinnern kann, herrschte damals rundherum Zufriedenheit bei allen Fraktionen, die diese Entschließung unterschrieben haben. Nachdem sich grundsätzliche Fragen nicht anders stellen, sehe ich gar nicht ein, daß 1985 erneut eine Resolution verabschiedet werden soll, weil Resolutionen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, je öfter sie gefaßt werden, desto weniger wert sind.
Auch dies muß man hier einmal klar und deutlich herausstellen, und das sollten wir gerade in der Deutschlandpolitik berücksichtigen.Ich habe mich zu Wort gemeldet, um hier einmal die Frage zu stellen, welche Art von Deutschlandpolitik dieses Parlament überhaupt betreiben will. Besteht unsere Deutschlandpolitik nur als eine Art Pflichtübung nach innen, um dem Auftrag des Grundgesetzes verbal gerecht zu werden, also Gedenkfeiern zum 17. Juni, Bericht der Regierung und Debatte zur Lage der Nation bzw. deutschlandpolitische Resolutionen, oder wollen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten eine aktive Deutschlandpolitik nach außen betreiben? Ich glaube, daß nur Letzteres, also eine aktive Deutschlandpolitik, langfristig zum Erfolg führen kann. Was meine ich damit?Bundeskanzler Kohl ist in diesen Tagen bei dem amerikanischen Präsidenten, um über die bevorstehenden Genfer Verhandlungen zu sprechen. Warum ersucht dieses Parlament nicht den Kanzler, beim amerikanischen Präsidenten darauf hinzuwirken, dal3 dieser in Genf mit dem sowjetischen Generalsekretär auch über die deutsche Teilung und die Frage einer Wiedervereinigung spricht, meine Damen und Herren? Ich stelle hier diese Frage einmal ganz konkret. Wir betreiben nur immer ein bißchen Nabelschau, so glaube ich, mit Resolutionen und ähnlichem mehr und gehen dann wieder zur Tagesordnung über.Das Wiedervereinigungsgebot und das Recht der Deutschen auf nationale Selbstbestimmung sind wichtigste Pfeiler unseres Grundgesetzes, und hier, glaube ich, hat dieses frei gewählte Parlament einen erheblichen Nachholbedarf. Man hat manchmal bei uns hier in diesem Haus den Eindruck, daß Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik oder was auch immer eine höhere Priorität als eine aktive Deutschlandpolitik besitzt. In diesem Parlament ist so selten von einem notwendigen Friedensvertrag die Rede. Ich habe das heute nur von einem Kollegen gehört. Ich nenne auch die Abschaffung der Feindstaatenklausel. Warum ist das eigentlich so? Ich möchte für meine Partei, die Freiheitliche Volkspartei, die beiden Begriffe wieder einmal in die parlamentarische Diskussion mit einführen.Erlauben Sie mir auch, daß ich etwas zu dem neuen Besuchstheater um Herrn Honecker sage, das sich hier wieder einmal anbahnt, wenn man heute „Die Welt" liest. In Berichten aus Ost-Berlin wird erneut darauf hingewiesen, daß Partei- und Staatschef Erich Honecker offenbar immer noch sehr viel Spielraum bleibt, um das Theaterstück um
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Oktober 1985 12545
Handlosseinen Besuch in der Bundesrepublik Deutschland teils als Komödie und teils als Tragödie weiterzuspielen. Herr Honecker hat zweifellos vor allem deshalb ein leichtes Spiel bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, weil alle Parteien an einer Verbesserung der innerdeutschen Beziehungen interessiert sind. Während aus offiziellen Kanälen von Ost-Berlin nach Bonn, von gelegentlichen Signalen abgesehen, eine offensichtliche Verzögerungstaktik getrieben wird, läßt Honecker gegenüber ausgewählten Gesprächspartnern erkennen oder auch nur durchblicken, daß sein lange geplanter Besuch in der Bundesrepublik durchaus noch in diesem Jahre erfolgen könnte. Beobachter in Ost-Berlin glauben, daß diesen Hinweisen ein Nachsatz fehlt, der mit dem Wörtchen „wenn" beginnen müßte, wenn nämlich erneut Vorleistungen von der Bundesrepublik Deutschland erbracht werden, weil offensichtlich das Wohlverhalten im Hinblick auf die Spionageskandale der letzten Zeit nicht genügt hat. Es würde mich nicht wundern, wenn die Bundesregierung erneut womöglich solche finanziellen Vorleistungen erbringt, damit uns Herr Honecker dann die Ehre seines Besuches zuteil werden läßt, Herr Kollege Dregger. Mit einer solchen Deutschlandpolitik, meine Damen und Herren, kommen wir kein Stück vorwärts. Wir kommen kein Stück vorwärts; das möchte ich noch einmal betonen.Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Die UdSSR muß erkennen, daß es Entspannung und wirklichen Frieden nur dann geben kann, wenn die deutsche Frage auf der Grundlage allgemeiner, geheimer und freier Wahlen gelöst wird. Die Westmächte müßten, wie das hier der Kollege Czaja schon sagte, an ihre Verpflichtungen aus dem Deutschland-Vertrag von 1955, Art. 7, erinnert werden, in dem als gemeinsames Ziel festgehalten ist: ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die Europäische Gemeinschaft integriert ist. Darum geht es, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, und um nichts anderes — nicht um kurzfristige Resolutionen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Als einer, der in den letzten Jahren an der Ausarbeitung etlicher Entschließungsentwürfe und auch einer Entschließung, die wir hier gemeinsam verabschiedet haben, beteiligt war, möchte ich zum Abschluß dieser Debatte ein kurzes Resümee ziehen.Ich glaube, meine Damen, meine Herren von der SPD, es läßt sich nach all den Aufgeregtheiten, die Sie heute vorgetragen haben, einfach folgendes feststellen:Erstens. Sie wollten keine wirkliche Gemeinsamkeit mehr.
Die konnten Sie nicht wollen, weil Ihre deutschlandpolitischen Beschlüsse aus dem Dezember 1984 dem widersprachen, was wir als gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages vorher verabschiedet hatten.Zweitens. Meine Damen, meine Herren von der SPD, bereits die letzte gemeinsame Erklärung — und dies weiß ich nun sehr genau — hatte in Ihrer Fraktion beträchtlichen Widerstand ausgelöst,
weil ein beachtlicher Teil Ihrer knallroten Gruppe in der Fraktion schon damals nicht die geringste Absicht hatte, mit der Koalition eine gemeinsame Entschließung zu verabschieden.
Es handelt sich um dieselbe rote Gruppe, die sich inzwischen so weit von der demokratischen Mitte verabschiedet hat, daß sie die demokratische Mitte des Deutschen Bundestages schwarz-weiß-roter Gedanken bezichtigt.
Drittens. Die SPD hat eine Erklärung angestrebt, in der ihr unklare Vokabeln erlauben sollten, auch das Gegenteil dessen als gemeinsam auszugeben, was tatsächlich von den anderen Partnern gemeint war. Dies, meine Damen, meine Herren, ist ein Anlaß, einem solchen Entschließungsentwurf nicht zuzustimmen. Er hätte dasselbe gebracht wie die Verträge, die damals von Egon Bahr mit der Sowjetunion ausgehandelt worden sind, nämlich unterschiedliche Interpretationen, gegensätzliche Aussagen, die nicht zur Gemeinsamkeit, sondern zu neuen Auseinandersetzungen geführt hätten.Viertens. Um von dem Ausscheren aus der Gemeinsamkeit abzulenken, zog die SPD-Fraktion heute eine Debatte auf, deren einziges Ziel darin bestanden hat, an die Stelle der Gemeinsamkeit die bewußte Diffamierung mindestens von Teilen der Union zu setzen. Das, meine Damen, meine Herren, ist, glaube ich, nicht etwas, was man eine gemeinsame Deutschlandpolitik nennen könnte. Das ist nichts weiter als ein Versuch, sich auf einer Schiene zu bewegen, die Ihre SPD in früheren Jahren nie akzeptiert hätte.Und wenn der Herr Kollege Ehmke heute versucht hat, die Demokraten in der Union und in der FDP mit den Rechtsradikalen in der Weimarer Republik in Übereinstimmung zu bringen,
wenn Herr Ehmke versucht hat, dieser zweiten Republik so etwas wie eine Zeit aufzuschwätzen, die dem Ende der ersten Republik entspräche, darf ich nur in aller Ruhe feststellen: Herr Kollege Ehmke, die erste Republik ist daran zugrunde gegangen, daß demokratische Politiker glaubten, mit einer Diktaturpartei gemeinsame Sache machen zu sollen. Bevor Sie das nächste Mal gemeinsame Partei-
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Reddemanngespräche mit der SED in Ost-Berlin führen, sollten Sie sich das vor Augen führen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. Oktober 1985, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.