Gesamtes Protokol
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Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Ich darf dem Hause zunächst mitteilen, daß für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Erhard mit Wirkung vom 9. Mai 1977 die Abgeordnete Frau Dr. Riede in den Bundestag eingetreten ist.
Für den verstorbenen Abgeordneten Spillecke ist mit Wirkung vom 9. Mai 1977 der Abgeordnete Thüsing in den Bundestag eingetreten.
Ich begrüße die neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche ihnen eine erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag.Über den Ablauf der heutigen Plenarsitzung ist die folgende interfraktionelle Vereinbarung getroffen worden: Von 9 Uhr bis etwa 11 Uhr Abgabe einer Regierungserklärung mit Aussprache, von 11 Uhr bis 14 Uhr Beginn der zweiten Beratung über das Rentenpaket ohne Abstimmung, von 14 Uhr bis 17 Uhr Unterbrechung der Plenarsitzung wegen der Beisetzungsfeierlichkeiten für den verstorbenen früheren Bundeskanzler Professor Dr. Ludwig Erhard, ab 17 Uhr Fortsetzung der zweiten Beratung über das Rentenpaket.Die Tagesordnungspunkte 6, 7 und 8, die Europavorlagen, sollen abgesetzt werden.Ich sehe und höre keinen Widerspruch. — Ich stelle fest, daß das Haus damit einverstanden ist.Die für heute vorgesehene Fragestunde soll ersatzlos ausfallen. Da hiermit von der Geschäftsordnung abgewichen wird, muß dies vom Bundestag nach § 127 der Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. Ich bitte diejenigen, die mit dem Vorschlag einverstanden sind, um ihr Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.Die eingereichten Fragen werden schriftlich beantwortet werden, soweit sie nicht bis heute 14 Uhr zurückgezogen werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Schließlich liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen — Stand: 3. Mai 1977, 15 Uhr — vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften
zuständig: Auswärtiger Ausschuß HaushaltsausschußBetr.: Bericht der Bundesregierung über Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahre 1975"
Bezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 14. März 1975zuständig: Innenausschuß
Ausschuß für Forschung und TechnologieBetr.: Über- und außerplanmäßige Ausgaben im 4. Vierteljahr des Haushaltsjahres 1976
Bezug: § 37 Abs. 4 BHO zuständig: HaushaltsausschußErhebt sich gegen die vorgeschlagene Überweisung Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann hat das Haus auch dem zugestimmt.Folgende Amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 6. Mai 1977 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 3 GG nicht gestellt:Gesetz zur Änderung des Ersten Gesetzes zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den BundGesetz zur Änderung des Gesetzes über Investitionszuschüsse für Mietwohnungen, Genossenschaftswohnungen und Wohnheime im sozialen WohnungsbauDer Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 4. Mai 1977 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:Verordnungen des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten fürGrège, weder gedreht noch gezwirnt, der Tarifnummer 50.02 des Gemeinsamen Zolltarifs, für 1977Garne, ganz aus Seide, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer ex 50.04 des Gemeinsamen Zolltarifs, für 1977Garne, ganz aus Schappeseide, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer ex 50.05 des Gemeinsamen Zolltarifs, für 1977
Verordnung des Rates über die Einfuhrregelung für bestimmte Textilerzeugnisse mit Ursprung in Macao (Drucksache 7/5913)Mitteilung der Kommission an den Rat über die Verhandlungen zwischen der Gemeinschaft und Papua-Neuguinea im Hinblick auf deren Beitritt zum AKP-EWG-Abkommen von LoméVerordnung des Rates über die vorzeitige Anwendung einiger den Warenhandel betreffenden Bestimmungen
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1818 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Präsident Carstensdes AKP-EWG-Abkommens von Lomé gegenüber einigen Staaten, die Abkommen über den Beitritt zum Lomé-Abkommen unterzeichnet haben
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2632/76 vom 19. Oktober 1976 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte handgearbeitete Waren (Drucksache 7/5945)Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2633/76 vom 19. Oktober 1976 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung der Gemeinschaftszollkontingente für bestimmte Gewebe und bestimmten Samt und Plüsch, der Tarifnummern ex 50.09, ex 50.10, ex 55.07, ex 55.09 und ex 58.04 des Gemeinsamen Zolltarifs (Drucksache 7/5946)Verordnung des Rates zum Abschluß des Abkommens in Form eines Briefwechsels betreffend Artikel 3 des Protokolls Nr. 8 des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Portugiesischen Republik (Drucksache 8/9)Verordnung des Rates zur Festsetzung der mengenmäßigen Ausfuhrkontingente der Gemeinschaft für bestimmte Asdien und Rückstände von Kupfer sowie für bestimmte Bearbeitungsabfälle und bestimmten Schrott aus Kupfer, Aluminium und Blei für das Jahr 1977 (Drucksache 8/17)Verordnung des Ratesüber den Abschluß des Abkommens in Form eines Briefwechsels betreffend Artikel 20 des Kooperationsabkommens und Artikel 13 des Interimsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko hinsichtlich der Einfuhr von Fruchtsalaten mit Ursprung in Marokko in die Gemeinschaftüber den Abschluß des Abkommens in Form eines Briefwechsels betreffend Artikel 19 des Kooperationsabkommens und Artikel 12 des Interimsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Demokratischen Volksrepublik Algerien hinsichtlich der Einfuhr von Fruchtsalaten mit Ursprung in Algerien in die Gemeinschaftüber den Abschluß des Abkommens in Form eines Briefwechsels betreffend Artikel 19 des Kooperationsabkommens und Artikel 12 des Interimsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Tunesischen Republik hinsichtlich der Einfuhr von Fruchtsalaten mit Ursprung in Tunesien in die Gemeinschaftüber den Abschluß des Abkommens in Form eines Briefwechsels betreffend Artikel 9 des Protokolls Nr. 1 des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Staat Israel hinsichtlich der Einfuhr von Fruchtsalaten mit Ursprung in Israel in die Gemeinschaftüber den Abschluß des Abkommens in Form eines Briefwechsels betreffend Artikel 9 des Protokolls Nr. 1 des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Staat Israel hinsichtlich der Einfuhr von Tomatenkonzentraten mit Ursprung in Israel in die Gemeinschaftüber den Abschluß des Abkommens in Form eines Briefwechsels zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Demokratischen Volksrepublik Algerien über die Einfuhr in die Gemeinschaft von Tomatenkonzentraten mit Ursprung in Algerien
Verordnung des Rates über die Anwendung eines Antidumpingzolls für Rollenketten für Fahrräder mit Ursprung in Taiwan (Drucksache 8/105)Verordnung des Rates über den Abschluß eines Abkommens in Form eines Briefwechsels zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko hinsichtlich bestimmter Weine mit Ursprung in Marokko, die eine Ursprungsbezeichnung tragen (Drucksache 8/114)Entwurf eines Beschlusses des Rates über den Abschluß zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der portugiesischen Republik über die Ausfuhr bestimmter Textilwaren nach dem britischen Markt sowieVorschlag einer Verordnung des Rates zum Abschluß des Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Portugiesischen Republik über Zollkontingente für bestimmte Papierwaren (Drucksache 8/117)Verordnung des Rates zur vollständigen und zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Kartoffeln der Tarifstellen 07.01 A II a) und III b) (Drucksache 8/121)Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1631/76 zur Aufrechterhaltung der Genehmigungspflicht für die Einfuhr in das Vereinigte Königreich von Säcken und Beuteln aus Polyolefin-Geweben mit Ursprung in der Republik Korea (Drucksache 8/143)Verordnung des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1823/76 des Rates über die Genehmigungspflicht für die Einfuhr von Baumwollgarnen, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, mit Ursprung in Mexiko, in die Länder der Benelux (Drucksache 8/159)Verordnung des Rates zur Aufrechterhaltung der Einfuhrregelung für bestimmte Textilerzeugnisse mit Ursprung in derRepublik Korea in die Länder des Benelux
Verordnung des Rates über die Einfuhrregelung für bestimmte Juteerzeugnisse mit Ursprung in der Republik Indien
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 6. Mai 1977 mitgeteilt, daß die nachstehende Vorlage von der EG-Kommission zurückgezogen wurde und sich deshalb eine Berichterstattung an das Plenum erübrigt:Verordnung des Rates zur vollständigen und zeitweiligen Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für getrocknete Zwiebeln der Tarifstelle 07.04 A
Überweisung von EG-VorlagenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates über einige gegenüber bestimmten Drittländern anzuwendende vorläufige Maßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischbestände in der Fischereizone vor der Küste des Departements Guayana (Drucksache 8/314)überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Anpassung der Berichtigungskoeffizienten, die auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften angewandt werden (Drucksache 8/315)überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rateszur Einführung der Europäischen Rechnungseinheit in das Statut_ der Beamten der EG und die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften sowie in sonstige Verordnungen des Rates für die Beamten, ehemaligen Beamten und die sonstigen Bediensteten der Gemeinschaftenzur Einführung der Europäischen Rechnungseinheit in die Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 260/68 zur Festlegung der Bestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer zugunsten der Europäischen Gemeinschaftenzur entsprechenden Anpassung der Berichtigungskoeffizienten, die auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften angewandt werden, im Anschluß an die Einführung der Europäischen Rechnungseinheit in das Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften
überwiesen an den Innenausschuß , Haushaltsausschuß mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Aufrechterhaltung der in der Gemeinschaft getroffenen Einfuhrmaßnahmen für Hemden und Blusen mit Ursprung in der Republik Indien (Drucksache 8/317)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Anwendung des Protokolls Nr. 1 zu den Kooperationsabkommen mit Algerien, Marokko und Tunesien (Drucksache 8/318)überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Verlängerung des vorläufigenAntidumpingzolls für Kugellager, Kegelrollenlager und deren Teile mit Ursprung in Japan überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur vierten Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1163/76 über die Gewährung einer Umstellungsprämie im Weinbau (Drucksache 8/333)überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (Drucksache 8/334)überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um rechtzeitige Vorlage des Berichts vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnug Nr. 745/77 des Rates vom 5. April 1977 zur Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung (EWG) Nr. 194/77 zur Festlegung bestimmter Übergangsmaßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen gegenüber Schiffen, die die Flagge Polens, der DDR und der UdSSR führen undVerordnung Nr. 746/77 des Rates vom 5. April 1977 zur Spanien, Finnland und Portugal betreffenden Verlängerung der Geltungsdauer einiger Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 373/77 zur Festlegung von Übergangsmaßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen gegenüber Schiffen, die die Flagge bestimmter Drittländer führen und
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1819
Präsident CarstensVerordnung Nr. 747/77 des Rates vom 5. April 1977 zur Schweden betreffenden Verlängerung der Geltungsdauer einiger Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 373/77 zur Festlegung von Übergangsmaßnahmen zur Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen gegenüber Schiffen, die die Flagge bestimmter Drittländer führenüberwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen den Vorschlag erhoben werdenMeine Damen und Herren, auf der Diplomaten tribüne hat soeben der Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, The Rt. Hon. Roy Jenkins, Platz genommen.
Ich habe die Ehre, Sie, Herr Präsident, zu begrüßen. Es ist für den Deutschen Bundestag eine besondere Freude, den Präsidenten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften willkommen zu heißen.Meine Damen und Herren, wir kommen dann zu Punkt 2 der Tagesordnung:Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu den Londoner Gipfeltreffen.Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße die Gelegenheit, unmittelbar nach Rückkehr aus London, dem Bundestag über die Ergebnisse der internationalen Konferenzen und Besprechungen berichten zu können, die am vergangenen Wochenende und auch Anfang dieser Woche stattgefunden haben.Diese Konferenzen haben zusätzliche Bedeutung gewonnen durch die erstmalige Teilnahme der neuen Regierungen in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Japan, an ihrer Spitze Präsident Carter und Ministerpräsident Fukuda. Neben den Erörterungen im multilateralen Rahmen bot sich Gelegenheit zu zahlreichen bilateralen Gesprächen, so mit Präsident Carter, mit Präsident Giscard, mit Ministerpräsident Fukuda, mit dem türkischen Ministerpräsidenten Demirel, dem griechischen Ministerpräsidenten Karamanlis und mit dem portugiesischen Staatspräsidenten Eanes.Mein Gespräch mit Präsident Carter vor Beginn der Beratungen im Kreis der Sieben hat in einer für mich eindrucksvollen Weise das enge, freundschaftliche und vertrauensvolle Verhältnis zwischen unseren beiden Ländern und deren Regierungen bestätigt. Vielleicht darf ich persönlich hinzufügen: Die Vereinigten Staaten haben mit Jimmy Carter einen neuen Präsidenten, der mit Tatkraft und Energie an die Probleme seines Landes und an die Probleme der westlichen Welt herangeht.
Das Gespräch mit dem neuen Ministerpräsidenten von Japan, Fukuda, hat erneut gezeigt, daß zwischen unseren beiden Ländern und ihren beiden Regierungen — vor allem im Bereich der Wirtschafts- und Energiepolitik — eine weitgehende Übereinstimmung und der Wille zu enger Zusammenarbeit bestehen. Das wird in Zukunft auch nach außen noch deutlicher sichtbar werden.Dieser dritte Weltwirtschaftsgipfel hat vor allem das Bewußtsein aller Teilnehmer gestärkt und vertieft, daß die wirtschaftlichen Probleme nur gemeinsam gelöst werden können, daß wir nicht im Gegeneinander, sondern nur im Miteinander, indem wir am selben Ende des Stranges ziehen, die Weltwirtschaft vollends aus der Strukturkrise herausführen können. Dies zeigt, daß die Botschaft von Downing-Street zu Recht eine „Botschaft des Vertrauens" genannt worden ist.Ich möchte für die Bundesregierung zu den Ergebnissen dieses Downing-Street-Gipfels die folgenden Feststellungen treffen. Die intensiven und dichten Beratungen bestätigten die Politik, die die Bundesregierung zur Überwindung der Weltwirtschaftsrezession von Anfang an geführt hat. Diese Politik beruht darauf, daß erfolgversprechende nationale Maßnahmen nur im Rahmen enger internationaler Abstimmung und Zusammenarbeit Sinn machen und daß sie nur mit ineinandergreifenden Politiken in allen Ländern getroffen werden konnten und können.Nur durch diese seit 1974 sehr stark intensivierte internationale Zusammenarbeit ist es gelungen zu verhindern, daß sich einzelne Länder mittels Protektionismus auf dem Felde des Welthandels, mittels nationaler Schritte auf dem Felde der Währungspolitik zwecks kurzlebigen eigenen Vorteils abschnürten und insgesamt dadurch die Krise erst richtig vertieften. Daß dies durch das außerordentlich intensive Ausmaß der Gespräche im Laufe der letzten zwei, drei Jahre auf vielen Konferenzen, auch auf den drei weltwirtschaftlichen Gipfelkonferenzen, vermieden worden ist, das halte ich für den ganz entscheidenden Unterschied in der Bewältigung dieser gegenwärtig noch nicht voll überwundenen Weltwirtschaftskrise, wenn wir etwa Vergleiche ziehen zu dem eigensüchtigen Handeln vieler wichtiger Staaten der Welt Anfang der 30er Jahre und den damals daraus erwachsenen wirtschaftlichen, sozialen und dann in vielen Ländern leider Gottes schrecklichen politischen Konsequenzen.Das Bekenntnis zu einem offenen Welthandelssystem, das in London erneut bekräftigt worden ist, kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Die Aufrechterhaltung eines offenen Welthandelssystems durch die Rezessionsjahre 1974 und 1975 hindurch gehört zu den wichtigsten und positivsten Unterschieden dieser Phase im Vergleich mit derjenigen vor viereinhalb Jahrzehnten, Anfang der 30er Jahre.Dieser Unterschied, die sehr viel glücklichere Konstellation der Welt heute — nach Weltinflation, nach Zusammenbruch des Weltwährungssystems, nach der Ölkrise —, ist aber der Welt eben nicht in den Schoß gefallen, sondern es hat dazu auf allen Seiten großer Anstrengungen bedurft. Ich darf wohl hervorheben, daß wir Deutschen dabei unseren internationalen Beitrag geleistet haben: erstens mit unserer internen Stabilitätspolitik, die uns eine Aufwertung der Deutschen Mark ermöglicht hat, eine Aufwertung, die die Deutsche Mark immer wertvoller gemacht hat, allein von Anfang 1976 bis heute — nicht ganz 18 Monate — erneut um 17 %, zweitens
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1820 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Bundeskanzler Schmidtdadurch, daß wir, teils auf Grund dieser Aufwertung, teils auf Grund einer frühzeitig eingeleiteten Rezessionsbekämpfung, teils auf Grund der von uns herbeigeführten Stärkung der inländischen Nachfrage eine starke Importsteigerung für die Bundesrepublik Deutschland ausgelöst haben, die natürlich für unsere Partner eine Exportsteigerung und damit für sie eine Beschäftigungsstimulierung war; drittens haben wir international dazu beigetragen durch unsere Kredite, genauer gesagt, unsere Währungskredite, unsere Zahlungsbilanzhilfen, durch die wir solchen unserer Partner und Handelspartner, die von Defiziten in ihrer Leistungsbilanz, in ihrer Handels- und Zahlungsbilanz bedroht waren, gemeinsam mit einigen anderen Staaten geholfen und sie in den Stand gesetzt haben, weiterhin international zu funktionieren, was auch heißt, weiterhin unsere eigenen Exporte kaufen und bezahlen zu können.So konnte es gelingen, zu verhindern, daß in vielen Staaten Zahlungsbilanzdefizite von bisher in der Weltwirtschaftsgeschichte nicht dagewesenem Umfange den freien Welthandel gefährdeten. Es konnten die Gefährdungen des freien Welthandels und damit zusätzliche Gefährdungen der Arbeitsplätze überall vermieden werden. Wir setzen uns deshalb gemeinsam mit unseren Partnern auch zukünftig dafür ein, daß die Möglichkeiten des Internationalen Währungsfonds, des IMF, zur Finanzierung von Zahlungsbilanzdefiziten weiter ausgebaut werden. Ich füge gleich hinzu, daß dies nicht erfolgen wird, ohne dem Währungsfonds seine große Autorität zu erhalten, durch die der IMF hilft, die Wirtschaftspolitik von Defizitländern auf einen gesunden Weg zurückzugeleiten.Ich kann die Bedeutung der Verhinderung von Handelsrestriktionen auch unmittelbar für uns Deutsche, für die Sicherheit gerade unserer Arbeitsplätze nicht hoch genug veranschlagen. Wir sind die zweitgrößte Handelsnation der Welt und sind deswegen auch in unserer Beschäftigung an der außenwirtschaftlichen Flanke nun einmal ganz besonders verwundbar.Die Bundesregierung sieht sich durch London auch in ihrem Standpunkt bestärkt — Sie finden das in den Eingangspassagen der Erklärung von London —: Die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen ist die wirtschaftspolitische Aufgabe Nr. 1. Das Kommuniqué sagt hierzu in lapidarem Klartext:Inflation ist kein Heilmittel gegen Arbeitslosigkeit, sondern eine ihrer Hauptursachen.
Sie wissen, daß das vor vier oder acht Wochen im internationalen Konzert noch ein wenig anders klang.
— Ich verstehe die Unruhe auf seiten der Opposition nicht. Sie sollten froh sein, daß das endlich durchgesetzt werden konnte!
— Wissen Sie, lieber Freund, wenn Sie auf solche Konferenzen gingen, würden Sie über das Lob, das die 13- undesrepublik Deutschland dort erfahren hat, mit stolzgeschwellter Brust nach Hause kommen.
Die Fortschritte, die seit Rambouillet und Puerto Rico bei der Überwindung der Rezession von Produktion in der Welt und Welthandel gemacht worden sind und die die Weltwirtschaft auf den Weg der Expansion zurückgeführt haben, können uns hier in Deutschland nicht aus der Pflicht entlassen, die Arbeitslosigkeit weiterhin unermüdlich anzugehen. Es bedarf und bedurfte dazu keiner besonderen Hinweise durch andere.Die Bundesregierung hat zusammen mit anderen Regierungen in London erklärt — Sie finden das in der gemeinsamen Erklärung —, daß sie zu ihrem Wachstumsziel für die Fortsetzung des Erholungsprozesses einsteht und daß sie ein etwaiges spürbares Abfallen der Entwicklung von diesem Kurs nicht untätig hinnehmen würde. Dies ist nicht nur ein Lippenbekenntnis. Wir zeigen das durch das 16-Milliarden-Programm für Zukunftsinvestitionen. Ihn Zusammenhang damit — das Programm hat natürlich bei den Diskussionen in London eine Rolle gespielt — möchte ich hervorheben: Es kommt jetzt für uns alle darauf an, die Chancen dieses Programms "schnell und voll zu nutzen. Es war — auf Grund der nicht ganz einfachen Zusammenarbeit von Bund und Ländern — kein einfacher und kein kurzer Weg bis zur Verabschiedung dieses Programms. Am Nachmittag des 6. Mai — des Tages, an dem abends in London die Beratungen begannen — haben die Ministerpräsidenten der Länder — wenn auch unter gewissen Vorbehalten des einen hier und des anderen dort — dem gemeinsamen Programm ohne Einschränkungen zugestimmt.Ich appelliere an alle, die in den Städten, in den Gemeinden, bei den Ländern und in den Verwaltungen des Bundes durch dieses Programm zusätzliche Mittel und Aufgaben bekommen, diese Mittel jetzt schnell in zusätzliche effektive Nachfrage umzumünzen.
Die Gespräche in London zur Energiepolitik haben sicher in besonderem Maß zum besseren Verständnis der wechselseitigen, ja keineswegs überall übereinstimmenden Interessen und Meinungen auf diesem sehr komplexen Gebiet beigetragen. Einmütig ist die Auffassung — auch dies finden Sie in der Erklärung —, daß Kernenergie zunehmend zur Deckung des Weltenergiebedarfs erforderlich ist — trotz aller Möglichkeiten zur Energieeinsparung im allgemeinen und in den Vereinigten Staaten von Amerika im besonderen, die in die Wirklichkeit umgesetzt werden sollen und müssen.Unmittelbar im Zusammenhang damit steht mit ähnlichem Gewicht die Notwendigkeit, die Internationale Zusammenarbeit zur Vermeidung der Gefahr einer Ausbreitung von Atomwaffen und einer
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1821
Bundeskanzler SchmidtAusbreitung der Fähigkeit, Atomwaffen herzustellen, fortzuentwickeln.Fachleute der sieben in London beteiligten Länder werden in den nächsten zwei Monaten eine vorläufige Studie über die denkbaren Wege zu diesen beiden Zielen anfertigen und vorlegen. Sodann werden die Probleme in größerem Kreis erörtert werden. Freilich ist bei der Schwierigkeit der Materien nicht mit schnellen Ergebnissen zu rechnen. Ich erinnere daran, wie lange seinerzeit gearbeitet und verhandelt worden ist, ehe es zum Nonproliferationsvertrag kam.Diese Diskussionen werden nicht von den Industrieländern unter sich geführt werden können. Länder der Dritten Welt, insbesondere die sogenannten Schwellenländer, müssen nach unserer festen Überzeugung möglichst bald einbezogen werden. Im Anhang zur Londoner Erklärung wird bestätigt, daß die Nichtverbreitungsmaßnahmen gleichermaßen für die Industrieländer und die Entwicklungsländer annehmbar sein müssen. Übrigens haben wir natürlich die multilateralen, aber auch die bilateralen Gespräche genutzt, um auf den dringenden Bedarf an Kernbrennstoffen von Ländern, zu denen auch wir gehören, Ländern mit nur unzureichenden Vorräten an fossilen Primärenergieträgern — Öl, Kohle, Braunkohle, Erdgas — hinzuweisen, den diese Länder für die Sicherung ihrer Energieversorgung haben.Wie Sie wissen, hat Präsident Carter unmittelbar vor seiner Abreise nach London die Zustimmung zu schon seit langer Zeit beantragten Lieferungen angereicherten Urans gegeben; eine Entscheidung, die zugleich Verständnis für die Partner und Realitätssinn beweist.Ich habe den Eindruck — und es waren sehr offenherzig geführte, drei Stunden dauernde Gespräche zu diesem Punkt —, daß durch diese Gespräche einerseits auf nordamerikanischer Seite — ich beziehe Kanada und die kanadische Regierung hier ein — das Verständnis für die Lage der europäischen Partner und Japans weiter gewachsen ist. Aber ich will auch genauso gern einräumen, daß wir — ich nehme an, wohl alle Sieben — aus diesen Gesprächen zusätzliche Erkenntnisse und Denkansätze gewonnen haben. Gerade weil hier keine Lösungen fix und fertig auf dem Tisch liegen —niemand kann sie auf den Tisch legen —, gerade deswegen waren die Offenherzigkeit und die Rückhaltlosigkeit, mit der diese Gespräche geführt wurden, politisch besonders ermutigend.Einen Markstein hat die Konferenz schließlich auch gesetzt auf dem Weg zum für uns alle wichtigen Erfolg des Nord-Süd-Dialogs in der sogenannten KIWZ, der Konferenz über internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, die ja die Industrieländer gemeinsam mit den Erdöl- und den Entwicklungsländern in Paris durchführen. Auf dem Weg zu diesem Dialog befinden sich die sieben Teilnehmerstaaten von London und die Europäische Gemeinschaft gegenwärtig. Wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, um einen erfolgreichen Abschluß dieser Konferenz in der Pariser Avenue Foch zu erreichen.Die Bedeutung des Nord-Süd-Dialogs für den Frieden in der Welt und für die Funktionstüchtigkeit der Weltwirtschaft ist unbestritten. Das Wohl der Entwicklungsländer und das Wohl der Industrieländer sind eng miteinander verknüpft. Die Entwicklungsländer sind gleichberechtigte Partner der Industrieländer, und beide können ihre Interessen nur im Ausgleich miteinander befriedigen. Dabei kommen die wirtschaftlichen Fortschritte der Entwicklungsländer später uns in den Industrieländern zugute. Die Entwicklungsländer tragen damit auch zur Sicherung unserer Arbeitsplätze bei. Sie haben Anspruch auf unsere Solidarität, was auch in dem zum Ausdruck kommt, was bisher ebenso auf dem Gebiete der bilateralen Entwicklungshilfe wie auf dem der multilateralen Entwicklungshilfe geleistet worden ist.Die in London gemeinsam erklärte Bereitschaft, einzelne Rohstoffabkommen unter dem Dach eines gemeinsamen Fonds ins Auge zu fassen, und das Angebot, die Exporterlöse der Entwicklungsländer — nicht aller Rohstoffländer, sondern die Export- erlöse der Entwicklungsländer — zu stabilisieren, sind ebenfalls Ausdruck dieser Solidarität. Dabei unterstützen wir Deutschen — eben im Interesse der Funktionstüchtigkeit der Weltwirtschaft, auf die wir alle gemeinsam angewiesen sind — mit Nachdruck dieses Konzept der Erlösstabilisierung für die Exporte der Entwicklungsländer nicht erst seit dem Europäischen Rat in Rom oder seit London, sondern schon seit dem Wirtschaftsgipfel von Rambouillet heute vor zwei Jahren.Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, daß die Bundesregierung schon seit langem die Auffassung vertritt, das Verhältnis zu den Entwicklungsländern betreffe nicht nur die westlichen Industrieländer, sondern auch die östlichen, die Staaten des Comecon.
Die östlichen Industrieländer ziehen im steigenden Umfang Vorteile aus der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung. Sie sollten sich daher nicht entziehen, wenn es um gesteigerte Hilfe und um Ressourcentransfer zugunsten der Entwicklungsländer geht.
Wir sind in London übereingekommen, die Comecon-Staaten zur Beachtung dieser Verpflichtung einzuladen.
Ein letzter Hinweis zum Nord-Süd-Verhältnis. Im Sinne eines konstruktiven Dialogs, im Sinne der Erzielung eines Ergebnisses am Schluß dieses Dialogs in diesem Sommer, das wir doch suchen, kann es auf seiten der Ölländer, der OPEC-Länder, wie auf seiten der Entwicklungsländer nicht um ein einseitiges Nehmen gehen, sondern diese Gruppen von Staaten müssen auch etwas geben, wenn die weltwirtschaftlichen Beziehungen neu stabilisiert und verbessert werden sollen. Hierzu sollen die Entwicklungs- und Ölländer durch die Gewährleistung der Sicherheit von ausländischen Privatinvestitionen auf ihrem Boden, in ihrer Wirtschaft, beitragen; denn auch sie brauchen die Privat-
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1822 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Bundeskanzler Schmidtinvestitionen. Wenn es in Zukunft keine mehr gäbe, könnten wir mit staatlichen Entwicklungshilfen allein die Entwicklung der Entwicklungsländer ganz gewiß nicht finanzieren.
Ich sage es noch einmal: Die Entwicklungs- und die Ölländer sollen durch Gewährleistung der Sicherheit ausländischer Privatinvestitionen in ihren Staaten beitragen. Die Ölländer sollen außerdem durch die Zusicherung eines ausreichenden und kontinuierlichen Erdölangebots dazu beitragen.Die Bundesregierung hat es übrigens als positiv empfunden, das erstmals auch der Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaft am Londoner Gipfeltreffen teilnahm.
Es ist ja bekannt, daß wir uns beim letzten Europäischen Rat in Rom sehr dafür eingesetzt hatten. Ich denke, daß die Kombination von angelsächsischem Pragmatismus, der Roy Jenkins auszeichnet, mit dem Gewicht der Kommission in Zukunft dazu führen wird, daß der gegenwärtige Anfang auch ausgebaut wird.
Lassen Sie mich nun zu der Konferenz des Nordatlantischen Bündnisses übergehen. Wie schon seit vielen Jahren üblich, war dieser Konferenz eine Begegnung zwischen den drei Westmächten und der Bundesrepublik Deutschland vorgeschaltet, der Drei Mächte, die besondere Verantwortung für Berlin und Deutschland tragen. Bei dieser Gelegenheit haben die Staats- und Regierungschefs eine Berlin-Erklärung verabschiedet, die sich klar und entschieden zu den Voraussetzungen äußert, die für die Lebensfähigkeit und für die Sicherheit der Stadt unabdingbar sind und bleiben. Ich freue mich, daß auch die Opposition bereits die hohe Qualität dieser Erklärung, die ja schon vor einigen Tagen veröffentlicht worden ist, wenn ich es richtig sehe, ohne Einschränkung anerkannt hat.Gleichwohl möchte ich die leitenden Gedanken noch einmal hervorheben: Strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächteabkommens sind wesentlich für die Vertiefung der Entspannung, für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und für die Entwicklung der Zusammenarbeit in ganz Europa. Zum anderen weisen die Drei Mächte Versuche entschieden zurück, die Rechte und Verantwortlichkeiten der Drei Mächte und der Sowjetunion in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes in Frage zu stellen. Zum dritten wird die hohe Bedeutung der Bindungen zwischen Berlin und dem Bund hervorgehoben, insbesondere das Recht der Bundesrepublik Deutschland zur Vertretung Berlins nach außen. Zum vierten wird der enge Zusammenhang hervorgehoben, der zwischen der politischen Lage Berlins und seiner wirtschaftlichen Entwicklung besteht. Und schließlich haben die Drei Mächte ihre Verpflichtung bekräftigt, die Sicherheit Berlins weiterhin zu garantieren. Die Sowjetunion wird daran erinnert, daß die Entspannung ernsthaft beeinträchtigt würde, wenn die im Viermächteabkommen eingegangenen Verpflichtungen nicht eingehalten werden sollten. Diese Erklärung ist später von allen Partnern des Nordatlantischen Bündnisses bekräftigt worden, und ich denke, daß sie in West und Ost verstanden worden ist.Ich stimme mit Generalsekretär Honecker überein, wenn er sagt, wie wir es heute in den Nachrichtendiensten lesen können, daß das Abkommen für den westlichen Teil Berlins Zukunftschancen eröffnet hat. Ich kann allerdings nicht beipflichten, daß es im Viermächteabkommen nur um West-Berlin, nur um Berlin gehe.
Es heißt im Viermächteabkommen im Text, daß die Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit für Berlin von diesem Abkommen nicht berührt werden. Wir wollen nicht mehr, als das Abkommen tatsächlich gegeben hat; aber an dem, was es gegeben hat, wollen wir festhalten.
Das Treffen der Staats- und Regierungschefs des Bündnisses, das sich an dieses Vierer-Gespräch anschloß, gehört zu den bedeutsamen Ereignissen in der Geschichte der Allianz. Nachdem sich in Portugal ein Demokratisierungsprozeß vollzogen hat, waren in diesem Frühjahr zum ersten Mal in der Geschichte des Bündnisses alle 15 Partnerstaaten durch demokratisch gewählte Repräsentanten vertreten.
Auf diese Gemeinsamkeit der geistigen und politischen Grundlagen hat der Staatspräsident Portugals in seiner Eröffnungsansprache mit Recht hingewiesen. Hierbei dürfen wir Deutschen daran denken, daß wir der jungen portugiesischen Demokratie in kritischer Stunde, als die Freiheit dort keineswegs gesichert war, nicht nur gedanklich und mit Worten, sondern auch mit Taten geholfen haben. Wir dürfen, ohne unbescheiden zu sein, feststellen, daß wir einen erheblichen Beitrag zur Stabilisierung in Portugal geleistet haben, der ein Stück europäische Solidarität war. Wir werden diesen Beitrag auch in Zukunft noch ausweiten.
Ein ganz klein bißchen dürfen wir auf diesen Teil aktiver deutscher Außenpolitik in den letzten Jahren auch stolz sein.Die Teilnahme von Präsident Carter hat die enge Verbundenheit zwischen Nordamerika und Europa auf diesem Treffen des Rates des Nordatlantischen Bündnisses eindrucksvoll bestätigt. Carter hat erklärt, daß dieses Bündnis das Kernstück der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik sei und bleibe. Er hat sich mit Nachdruck für rechtzeitige und eingehende Konsultationen in allen wichtigen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Fragen ausgesprochen, und er hat die Bedeutung der europäischen Einigung für diese Allianz gewürdigt. In meiner Rede vor dem Rat — sie wird wohl mor-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1823
Bundeskanzler Schmidtgen hier veröffentlicht werden — habe ich gesagt: Der Konsensus über die militärische Strategie ist für den europäisch-amerikanischen Zusammenhalt von entscheidender Bedeutung. Ich habe hinzugefügt, daß die militärische Strategie nur ein Teil der Gesamtstrategie ist, die das Bündnis insgesamt und gemeinsam verfolgen muß. Die Zusicherung Präsident Carters, daß Amerika zum geltenden Konzept, zum geltenden militärstrategischen, verteidigungsstrategischen Konzept der flexible response steht und daß Amerika am Prinzip der Vorneverteidigung festhält, ist für uns in diesem Zusammenhang von besonderem Gewicht.Das Bündnis hat Beschlüsse gefaßt, die darauf abzielen, die politische Zusammenarbeit zu stärken und die Verteidigungsbereitschaft zu erhöhen.Der Rat wird die langfristigen Tendenzen des OstWest-Verhältnisses untersuchen und ihre Auswirkungen auf das Bündnis und die etwa daraus zu ziehenden Konsequenzen bewerten.Die Verteidigungsminister sind beauftragt, ein langfristiges Programm zu entwickeln, um die Verteidigungsbedürfnisse der 80er Jahre zu untersuchen und um die Verteidigungsanstrengungen des Bündnisses wirksamer zu gestalten.Wir begrüßen ferner,, daß der amerikanische Präsident erklärt hat, die Rüstungszusammenarbeit zwischen den Verbündeten, insbesondere zwischen Europa und Nordamerika, solle keine Einbahnstraße sein — wir haben das sehr unterstrichen und angenagelt —, er habe für den Waffenkauf, für den Kauf von Ausrüstungsgegenständen in Europa Weisungen erteilt, und daß er konkrete Vorschläge für besser ausgeglichene Zusammenarbeit gemacht hat. Dies entspricht den Vorstellungen, die viele europäische Regierungen und auch die Bundesregierung seit Jahren vertreten haben.Meine Damen und Herren, wir sagen unseren eigenen Bürgern, die übrigen 14 Regierungschefs sagen ihren Bürgern und wir sagen zu insgesamt 15 Ländern der Welt nichts Neues, wenn wir gleichwohl hervorheben wollen und abermals betonen wollen: Das Bündnis dient der Strategie des Friedens.Neben der militärischen Komponente — der Abschreckung eines eventuellen Angreifers und der Erhaltung der Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen — steht die politische Zielsetzung, die schließlich doch alles überwölben muß. Aus ihr entsteht die konsequente Bemühung um den Abbau bestehender Spannungen und um die Verkleinerung aller den Frieden gefährdenden Reibungsflächen.Es ist ganz klar, daß Entspannungspolitik keineswegs eine mit leichter Hand unternommene, keine zur Aufweichung wirksamer Verteidigung unternommene Operation ist. Im Gegenteil, nur Verteidigungsfähigkeit, Gleichgewicht und Entspannung zusammen können uns dem Ziel, den Frieden noch sicherer zu machen, näherbringen.Dabei ist die Komponente des engen Zusammenwirkens zur Festigung der wirtschaftlichen Stabili-tat und damit der sozialen Stabilität innerhalb der Staaten unseres Bündnisses und innerhalb der Weltwirtschaft insgesamt genauso unerläßlich wie die zuvor genannten Komponenten. Dies war sowohl auf dem Weltwirtschaftsgipfel als auch in der Ratstagung des Nordatlantischen Bündnisses gleichermaßen klar, und es wurde gleichermaßen von vielen so ausgesprochen. Die Überwindung der Weltwirtschaftskrise ist für die Erhaltung der westlichen Gemeinschaft genauso wichtig wie deren Fähigkeit, sich zu verteidigen. Genauso wichtig ist und bleibt die Verringerung der Reibungsflächen zwischen West und Ost, um den Frieden zu sichern.
Darüber gab es keine Meinungsverschiedenheit.
Ich selbst habe in meiner Rede im Rat des Bündnisses, für die Menschen unseres Staates und für diejenigen Deutschen sprechend, die ihre Stimme nicht offen erheben können, weil sie auf der anderen Seite der Linie leben, die Europa teilt, gesagt, daß es für unsere deutsche Nation, für diese geteilte Nation, wo die eine — größere — Hälfte hier und die kleinere Hälfte drüben leben und wo es schwierig ist, zueinander zu kommen, miteinander zu sein, von ganz besonderer Bedeutung ist, daß der Prozeß der Entspannung fortgesetzt werde, weil unsere Menschen die Teilung, die Trennung ganz besonders empfinden — physisch, geistig und tief in ihrer Seele — und weil nur in einem spannungsfreien Europa dieser Zustand, dieser besondere Zustand, in dem die deutsche Nation leben muß, gemildert werden kann. Ich bin sicher, daß diese Schilderung der Gefühle der Deutschen im NATO-Rat, die dort Eindruck hinterlassen hat, nicht nur die Gefühle der Deutschen, die in diesem Staat leben, sondern auch die Gefühle aller Deutschen zutreffend wiedergegeben hat.
Meine Damen und Herren, eine Ratssitzung des Bündnisses beschäftigt sich mit vielen Gegenständen, dabei auch mit dem Ungleichgewicht im klassischen militärischen, d. h. im sogenannten konventionellen, Bereich, mit einer Reihe von Tatsachen, die niemand übersehen oder bagatellisieren darf. Wir haben das in unserem Beitrag gegenüber den in London versammelten Staats- und Regierungschefs der Allianz gesagt, und die Sorge, die uns dieses Ungleichgewicht bereitet, wird im Kommuniqué des Bündnisses auch beim Namen genannt.Vielleicht darf ich hier einfügen, daß wichtige politische Texte eigentlich gelesen werden sollten, bevor jemand gegen sie polemisiert und sich über sie öffentlich abfällig äußert.
Ich halte es nicht für gut — und das habe ich im Rat auch gesagt —, wenn einzelne Generale des Bündnisses, einzelne Journalisten in unseren Staaten und ebenso einzelne Politiker in unseren Staaten von Zeit zu Zeit dieses bestehende Ungleichgewicht dramatisieren.
Wir haben keinen Grund, Angst zu verbreiten. ImGegenteil, wir haben allen Grund, Zuversicht zu
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1824 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Bundeskanzler Schmidtverbreiten; wir stehen nämlich in unserer Sicherheit gut dal
Ohne daß ich auf die Polemiken eingehen will, die mir aus den letzten Tagen seitens einzelner Oppositionspolitiker schriftlich vorliegen: Ich kann Ihnen nur sagen, das, was hier einige von Ihnen schreiben, würde, vorgetragen im Rat des Nordatlantischen Bündnisses oder in der Siebener-Konferenz in Downing Street 10, manche der Herren, die so schreiben und so reden, in dieselbe Lage bringen, in der sie seit Beginn der Entspannungspolitik immer gewesen sind,' nämlich in die Isolation.
Meine Damen und Herren, zurück zu dem bestehenden Ungleichgewicht auf dem Felde der klassischen Bewaffnung, der konventionellen Waffen: Man muß das im Zusammenhang mit dem großen strategischen Gespräch zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten sehen. Die amerikanische Regierung bemüht sich darum, durch ein neues Abkommen mit der Sowjetunion, SALT II genannt, die strategischen atomaren Waffen, nämlich die, die von Kontinent zu Kontinent reichen, in ein stabiles Gleichgewicht, in Parität zu bringen. Wir hoffen sehr, daß die beiden Weltmächte dabei Erfolg haben werden. Dieser Wunsch, daß die beiden Weltmächte darin Erfolg haben mögen, wird von allen Partnern im Westen geteilt.Wenn es nun aber gelingt, die großen strategischen Nuklearwaffen, die von Kontinent zu Kontinent reichen, mit ihrer ungeheuren Zerstörungskraft tatsächlich und auch formell — vertraglich — in ein Gleichgewicht zu bringen, dann wird es um so mehr darauf ankommen, daß nicht auf niedrigerer Ebene, nämlich bei den konventionellen Waffen, bei den Bodentruppen, den Panzern, der Artillerie, den unterstützenden Luftstreitkräften, ein Übergewicht einer Seite bestehenbleibt.Es gibt, ganz theoretisch gesprochen, zwei Möglichkeiten, auch hier, auf dieser konventionellen Ebene, zu einem Gleichgewicht, zur Parität zu kommen. Man könnte auf der einen Seite aufrüsten, insbesondere zunächst auf westlicher Seite, um das Gleichgewicht zu erreichen; dann würde allerdings die andere Seite nachziehen, dann wieder der Westen, und damit hätten wir jene Rüstungsspirale, wie man sie aus der Vergangenheit kennt.Theoretisch könnte man sich auf der anderen Seite auch durch Abschmelzung, durch Verringerung nach unten hin auf ein gleichmäßiges niedrigeres Niveau einigen, auf eine auf beiden Seiten der Gleichung — ich sage: Gleichung — kollektive Gesamtstärke. Dies ist das Ziel der von den beteiligten Bündnispartnern gemeinsam erarbeiteten Haltung für die Wiener Verhandlungen, die unter dem Stichwort MBFR geführt werden. Seit neun Jahren, seit 1968 treten die 'Bundesregierungen — dies gilt für diese Bundesregierung ebenso wie für deren Vorgängerinnen — für eine beiderseitige Verminderung der Streitkräfte ein, die zu einem ausgewogenen, balancierten Ergebnis, zu einer ausgewogenen Gleichung führen soll. Wir haben das auch in London wieder getan. Meine Ausführungen dazu, deren Text morgen hier veröffentlicht werden wird, haben dort Zustimmung gefunden.Die Teilnehmer der Londoner Gipfeltreffen waren sich auch darin einig, daß entschiedenes Eintreten für die Rechte und die Würde des einzelnen, der Person innerhalb und außerhalb der eigenen Staatsgrenzen Grundelement ihrer Politik ist und bleiben wird. Es gab gar keinen Zweifel daran, daß es darauf ankommt, den Menschen nicht durch polemische Rhetorik, sondern praktisch zu helfen, daß sie ihre Rechte erhalten und in Anspruch nehmen können. Präsident Carter hat in diesem Zusammenhang in London klar gesagt: Die Vereinigten Staaten gehen im konstruktiven Geiste der Kooperation und nicht im Geiste der Konfrontation nach Belgrad.
An die Adresse eines Kollegen gewendet, der sich in erstaunlicher Weise und in erstaunlicher Sprache schriftlich zu diesem Teil der Londoner Beratungen geäußert hat, kann ich nur dies sagen: Es haben ja auch schon frühere Regierungen und ein früherer Außenminister, der mit ihm gemeinsam der Union angehört, Erfahrungen gemacht, was dessen Versuche von Tritten in die Kniekehlen der Regierungen angeht. Ich will hier nicht darauf eingehen. Ich kann dem Abgeordneten, der sich in dieser erstaunlichen Sprache geäußert hat, nur sagen, daß der amerikanische Präsident und die Regierung des United Kingdom und die Regierung Frankreichs und die Regierung Japans und die Regierung Italiens und die Regierung Kanadas und die deutsche Bundesregierung in dieser Frage alle ganz gleich denken. Unterlassen Sie den Versuch, hier Spaltungen in das westliche Bündnis hineintreiben zu wollen!
Ich möchte von dieser Stelle aus allen Konferenzteilnehmern in London für die offenen, für die konstruktiven und für die von gegenseitigem Verständnis getragenen Gespräche in Downing Street danken. Die hervorragende Atmosphäre und das positive Ergebnis dieser Gespräche verdanken wir nicht zuletzt dem meisterhaften Vorsitz des Gastgebers, des britischen Prime Minister Jim Callaghan.
Es ist in den letzten Jahrzehnten ein bisher einmaliger Vorgang, daß die Staats- und Regierungschefs zu derart eingehenden und die ganze Breite der internationalen Probleme umfassenden Beratungen zusammengetreten sind.Herr Präsident, ich bin aus London mit dieser Überzeugung zurückgekehrt:Erstens. Die Länder der westlichen Gemeinschaft — und dazu gehört Japan - haben ihren Zusammenhalt und ihre Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln bewiesen. Sie werden die drängenden Probleme in gemeinsamer Anstrengung lösen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1825
Bundeskanzler SchmidtZweitens. Die Politik der Bundesregierung ist in die Haltung der Gemeinschaft der westlichen Staaten eingebettet. Die Ergebnisse der drei Londoner Gipfeltreffen entsprechen voll der von der Bundesregierung vertretenen Politik.
Drittens. Wir Deutschen haben zu einem unserer Bedeutung angemessenen Teil dazu beigetragen, diese gemeinsame Position mitzugestalten. All dies stärkt mein und unser Vertrauen in die Zukunft.
Die Bundesregierung wird diesen Weg, der in London gemeinsam so deutlich, so besonders deutlich bezeichnet wurde, konsequent fortsetzen, und sie bittet dafür um die Unterstüzung dieses Hauses.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache über die Regierungserklärung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, die allerdings einige für den Stil von Regierungserklärungen merkwürdige Einlagen aufweist,
darf ich im Namen der Fraktion der CDU/CSU Stellung nehmen. Für uns ist es selbstverständlich, daß wir, wie wir es auch schon zu Beginn dieser Woche getan haben, uneingeschränkt unsere Zustimmung zu dieser Berlin-Erklärung bekunden und ihre hohe Qualität unterstreichen.
Sie trägt offensichtlich die Handschrift des neuen amerikanischen Präsidenten,
und das ist gut so.
Ich weiß noch, wie höhnisch oder polemisch damals, als das Berlin-Abkommen ausgehandelt wurde, meine Kritik vermerkt wurde, es wäre gut, in diesem Abkommen keine Unklarheiten zu ermöglichen; denn mit Recht berufen sich die drei Westmächte und die Bundesrepublik darauf, daß das Berlin-Abkommen für Berlin als Ganzes gilt. Aber hat man das auch dem Verhandlungspartner am Konferenztisch gesagt und in kodifizierter Form mit seiner Unterschrift festgehalten? Ich möchte nur diese kritische Erinnerung ins Gedächtnis zurückrufen.Erlauben Sie mir gerade in diesem Zusammenhang nur noch ein kurzes Wort zu Berlin. Wir danken unseren Bundesgenossen, gerade den drei westlichen Garantiemächten, für ihre klare Haltung. Aber diese klare Haltung sollte auch durch eine Politik in Berlin belohnt werden, die nicht darin besteht, diese Stadt ständig mehr und mehr herunterzuwirtschaften.
Es ist hier nicht die Zeit, auf diese Vorgänge im einzelnen einzugehen, aber jeder weiß, was damit gemeint ist. Wenn man immer wieder feststellt, daß die Lebensfähigkeit Berlins gestärkt werden muß, wenn man nach privaten Investitionen ruft — Sie wissen ja, daß die Investitionen in Berlin im Jahre 1976 gegenüber früheren Jahren erheblich zurückgegangen sind —, dann sollte die Bundesregierung hier mit gutem Beispiel vorangehen.
Es ist nicht Feigheit, und es nicht eine Ausrede, wenn namhafte und zahlungsfähige Vertreter der deutschen Wirtschaft sagen: Wenn schon die Bundesregierung nicht den Mut hat, den Sitz der Nationalstiftung in Berlin festzulegen, wie kann man dann von uns verlangen, daß wir von Jahr zu Jahr größere Investitionen in Berlin tätigen sollen?
Hier folgt der Handel der Flagge und nicht umgekehrt.Ich darf ferner unsere Zustimmung zu dem Fünfpunkteprogramm des amerikanischen Präsidenten auf dem NATO-Treffen bekunden, ohne im einzelnen auf alle Punkte eingehen zu können. Aber wenn der amerikanische Präsident einen zusätzlichen Beitrag der USA, also eine Stärkung der konventionellen Streitkräfte durch die USA, unter der Bedingung, daß die Verbündeten desgleichen tun, in Aussicht stellt, dann muß doch für eine Vermehrung des Rüstungsstandes der NATO in Europa durch die Amerikaner und — nach dem Gesetz der kommunizierenden Röhren — durch die Verbündeten eine Notwendigkeit bestehen. Warum diese Notwendigkeit besteht, braucht hier nicht noch einmal eigens ausführlich dargelegt zu werden.In diesem Zusammenhang, Herr Bundeskanzler, haben Sie das Thema gefälscht, wenn Sie den Kollegen Jaeger angreifen. Der Angriff des Kollegen Jaeger richtete sich doch nicht gegen die Bundeswehr. Das ist eine Ihrer üblichen Verdrehungen, den Akzent ganz anders zu legen, als er ursprünglich gesetzt worden ist. Wenn der Kollege Jaeger Ihre Warnung, man solle das militärische Übergewicht der Sowjetunion auf konventionellem Gebiet in Europa nicht dramatisieren, kritisch würdigt, so ist es das gute Recht eines jeden Abgeordneten, eine solche Würdigung vorzunehmen. Wohin kämen wir denn, wenn ein Abgeordneter nicht mehr das Verhalten oder eine Äußerung des Regierungschefs einer kritischen Würdigung unterziehen dürfte!
Hören Sie doch auf mit dieser Maulkorb-Politik, die Sie hier ständig durch Verfälschung des Themas betreiben wollen!
Im übrigen steht doch in dem Schlußkommuniqué der Londoner NATO-Konferenz — ich zitiere wörtlich —.Besonders besorgniserregend ist das ständig anhaltende
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1826 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Strauß— man hätte sogar ruhig formulieren dürfen: „das ständig ansteigende" ; aber das ist mein Zusatz —Offensivpotential der Streitkräfte des Warschauer Paktes.Das ist es doch, was uns alle beunruhigen muß.
Wir rufen doch nicht zu einem panikartigen Verhalten auf. Wir sind nicht die Väter der Formel „Lieber rot als tot". Das sind andere. Die müssen Sie zum Teil bei Ihren Freunden suchen, nicht bei uns.
Daß das Offensivpotential des Warschauer Paktes ständig zunimmt, ist doch die Ursache dafür, daß Präsident Carter einen zusätzlichen amerikanischen Beitrag und vermehrte Anstrengungen der europäischen Bündnispartner für notwendig hält. Eine andere Erklärung kann es doch für den, der lesen, schreiben und denken kann, nicht geben. Darum ist es eine Verfälschung des Themas, wenn Sie dem Kollegen Jaeger unterstellen, sein Angriff richte sich gegen die Bundeswehr.Ich bin wahrlich ein überzeugter Anhänger der Bundeswehr und habe das oft genug bewiesen. Aber sind wir denn schon wieder so weit, in den deutschnationalen Größenwahnvorstellungen zu denken, daß die deutsche Bundeswehr allein ausreiche, dieser Bedrohung Herr zu werden, daß die Feststellung, es bestehe ein Übergewicht, schon als eine Herabsetzung der Bundeswehr bezeichnet wird? Solche Kritik haben wir ja im „Dritten Reich" gehört.
Wenn sich jemand ein kritisches Wort gegenüber der deutschen Wehrmacht erlaubte, waren solche Töne zu hören. Wir sind überzeugte Freunde und Anhänger der Bundeswehr. Wer aber den Kampfgeist und die Kampfkraft der Bundeswehr schwächt, das sind diejenigen, die die Lage falsch darstellen, die die Gefahr verharmlosen, die von einer sinnlosen Dramatisierung der Gefahr reden, und nicht zuletzt diejenigen, die die Bundeswehr parteipolitisch polarisieren.
Ich möchte auf dieses Thema hier nicht näher eingehen,
aber es wird in diesem Hause noch zur Sprache kommen, und zwar sowohl im Verteidigungsausschuß wie auch hier im Plenum dieses Hauses.
Wenn der amerikanische Präsident zusätzliche Beiträge der Amerikaner und der Europäer für notwendig hält, möchte ich fragen: Wie vereinbart sich das mit den merkwürdigen Vorschlägen des Kollegen Brandt zur Lösung der MBFR-Problematik in Wien?
. Man muß dem amerikanischen Präsidenten zustimmen, wenn er eine verstärkte Zusammenarbeit in der Rüstung fordert, vor allen Dingen wenn er — in der deutschen Übersetzung kommt das nicht für alle ganz verständlich zum Ausdruck — vor Doppelarbeit warnt. Dieses Thema gibt es, solange es das Atlantische Bündnis gibt. Die Reden, Beschlüsse, Kommuniqués, die zur Standardisierung der Waffen, zu einer sinnvollen Arbeitsteilung bei der Waffenentwicklung und Waffenerzeugung aufrufen, füllen schon ganze Bibliotheken. Deshalb muß man gerade bei diesem Punkt sagen — und das tue ich in genauer Erinnerung, in fast wehmütiger Erinnerung an die vielen, vielen Jahre nutzloser Entschließungen, tönender Reden, hochtrabender Kommuniqués —, daß wir an den Ergebnissen messen werden. Dazu gehört auch, daß ein einwandfrei besseres Waffensystem, das in Europa entwickelt wird, von unseren amerikanischen Freunden ohne Berücksichtigung lobbyistischer Interessen dann auch für die amerikanischen Streitkräfte vorgesehen wird. Ich meine damit das Waffensystem des Leopard II.
Ich möchte den Vorschlag des amerikanischen Präsidenten, ein Two-Way-System über den Atlantik hinüber und herüber einzuführen, mit allem Nachdruck begrüßen, aber bitten, dann diesen Worten auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen.Herr Bundeskanzler, bei der Gelegenheit — und es handelt sich ja hier um Steuergelder — darf ich darum bitten, daß in einer Frage von großer finanzieller Tragweite, in der dieses Haus immer geschlossen war, nämlich beim Bau eines europäischen Großraumflugzeuges ein transatlantisches Hindernis beseitigt wird. Die Europäer haben Zollfreiheit für amerikanisches Fluggerät eingeführt. Die Amerikaner verlangen für europäisches Fluggerät immer noch einen bei dieser Größenordnung recht schmerzlichen Zoll. Auch der muß abgebaut werden, wenn freier Wettbewerb und vernünftige Lösungen in der Bewältigung des Luftverkehrsbedarfs gefunden werden sollen.
Vielleicht gab es auch Geheimgespräche bei dieser Konferenz. Ich würde das nicht kritisch vermerken, oder etwa negativ bewerten. Da wir aber nichts davon wissen, möchte ich nur einmal die Frage stellen: Wann wird innerhalb der NATO einmal die Frage aufgeworfen, wie der Verteidigungsauftrag definiert werden muß angesichts der Änderung der Bedrohung? Ich bin nicht für überseeische Abenteuer — damit Sie mich nicht falsch verstehen —, weder nach der Ostrichtung noch nach der Südrichtung. Daß aber heute die europäische Sicherheit durch die Vorgänge im Mittelmeerraum und südlich des Mittelmeerraumes von Nordafrika bis zum Kap entscheidend beeinträchtigt wird, kann in dem Zeitalter, in dem es für Nachrichtentechnik, Verkehrs- . technik und Zerstörungstechnik keine Grenzen mehr gibt, doch hoffentlich kein Zweifel bestehen. Entspannung ist im Gegensatz zu Ihrer mehrmals geäußerten Meinung, Herr Bundeskanzler, auch geographisch unteilbar.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1827
StraußIch danke dem Herrn Außenminister dafür, daß er das seinerzeit — im Gegensatz zu einer sehr törichten Äußerung des Bundeskanzlers — jedenfalls für seine Person in aller Form klargestellt hat.Es wäre auch sehr aufschlußreich, zu wissen, warum man eigentlich gegenüber der französischen Hilfe für ein strategisch und wirtschaftlich bedeutsames afrikanisches Land — ich meine damit Zaire — eine so gegensätzliche und kontroverse Haltung innerhalb des Bündnisbereichs eingenommen hat. Ich nehme nicht zur Entscheidung des französischen Staatspräsidenten Stellung. Daß aber hier eine ernsthafte Gefährdung vorlag und daß sie wie üblich durch stellvertretende Truppen auf stellvertretendem Kriegsschauplatz betrieben worden ist, darüber gibt es nach Meinung nicht nur der NATO-Stäbe und aller Nachrichtendienste wohl keinen Zweifel, auch wenn sich die Kubaner nach Eintreffen der marokkanischen Truppen, ursprünglich aus dem Hintergrund instruierend und operierend, dann sehr schnell hinter die Grenze zurückgezogen haben. Die riesigen Beutebestände an Waffen und Munition, an Verpflegung und anderen Ausrüstungsgegenständen, die alle aus Beständen der sowjetrussischen Armee stammen, machen deutlich, woher diese Offensive gesteuert worden ist.
Ich nehme hier nicht zu den Verhältnissen in diesem Lande, das ich zufälligerweise einigermaßen kennengelernt habe, sondern nur zu der strategischen Frage Stellung. Wenn ein europäisches Land wie Frankreich im Verbund mit einem finanzkräftigen Land und einem afrikanischen Land dabei hilft, dieser Bedrohung entgegenzuwirken, dann sollte das nicht Anlaß sein, dieses Land sozusagen bloßzustellen, sondern dann sollten solche Probleme im Bündnisgeiste besprochen und so schnell wie möglich durch gemeinsame Planung gelöst werden.
Erlauben Sie mir, Herr Bundeskanzler, auch ein Wort zu Ihrer Kritik an einem Abgeordneten, dessen Namen Sie nicht nennen wollten — darum tue ich es mit Ihrer Erlaubnis an Ihrer Stelle —, zur Kritik des Grafen Huyn. Auch hier haben Sie mit derselben Methode, wie es bei Ihrem Angriff gegen den Kollegen Jaeger geschehen ist, glatt das Thema verfälscht. Graf Huyn hat mit keiner einzigen Silbe Zwietracht in das Bündnis hineintragen wollen, sondern er hat sich auf Ihr Interview, vor nicht allzu langer Zeit der „Stampa" gegeben, berufen. Die „Stampa" ist ja überhaupt ein Veröffentlichungsorgan für sozialdemokratische Politiker. Ich denke an das Interview mit Herrn Ehmke. Es soll deswegen ja einigen Ärger gegeben haben. In der „Stampa" hieß es: „Die Menschenrechte trennen Bonn und das Weiße Haus." Es hieß dort weiter, der deutsche Bundeskanzler habe sich nicht gescheut, seinen ganzen Zorn — „furore" heißt es hier — über die neue Außenpolitik Carters preiszugeben, deren Schuld es sei, die Deutschen nicht gefragt zu haben, bevor sie mit eingelegter Lanze für die Menschenrechte der sowjetischen Dissidenten ins Feld ritten, usw. HerrBundeskanzler, geben Sie doch lieber zu, daß Sie hier — völlig überflüssig und auch unklug, für uns schädlich und gefährlich — Kritik an der Haltung des amerikanischen Präsidenten in der Bürgerrechtsfrage geäußert haben.
Es ist nicht die Aufgabe einer Konferenz, solche Gegensätze hochzuspielen, sondern Lösungen zu finden. Aber hier ist nur eine verbale Lösung gefunden worden. Man sagt, man setze sich gemeinsam für die Bürgerrechte — stellen Sie sich einmal vor, man sagte das Gegenteil, man setze sich für Unrecht an den Bürgern ein; es gibt doch nur eine einzige idealistische, theoretische Begründung —, darüber bestehe Übereinstimmung. Das bestreitet niemand. Aber Sie haben den amerikanischen Präsidenten in Ihrer schulmeisterlichen Art hart gerüffelt, weil er sich öffentlich für die Bürgerrechtsbewegung in den kommunistisch regierten Ländern eingesetzt hat.Ich habe mich zu dieser Frage, glaube ich, auch schon von dieser Stelle aus geäußert. Ich habe gesagt: Man muß natürlich bei jeder Stellungnahme zu dieser Frage prüfen, wer was sagen soll. Ich bin der Meinung, daß es auch hier innerhalb des Bündnisses eine gute Arbeitsteilung geben kann. Aber man darf dann den amerikanischen Präsidenten nicht allein lassen. Die Problematik ist, daß es, wenn der amerikanische Präsident die Stimme erhebt, nicht nur um die Frage der Menschenrechte herüben und drüben geht, sondern daß bei einer solchen Diskussion dann natürlich auch machtpolitische Größenordnungen automatisch zum Tragen kommen. Gerade deshalb bin ich der Meinung, es wäre besser, wenn sich die militärisch schwachen Europäer für die Bürgerrechtsbewegung eingesetzt hätten und das militärisch starke Amerika dadurch in den Stand gesetzt hätten, sich hier etwas zurückhaltender in der Öffentlichkeit äußern zu können.Trotzdem sagen wir dem amerikanischen Präsidenten Dank, daß er sich, obwohl besonders von Bonn — dem zweitwichtigsten Bundesgenossen, wie es immer heißt — im Stich gelassen, zu dieser Frage so klar und eindeutig geäußert hat.
Wenn der Bundeskanzler auch in seiner Regierungserklärung das Eintreten für die Bürgerrechte in der Öffentlichkeit als „rhetorische Polemik" abgetan hat, dann meint er doch damit in erster Linie den amerikanischen Präsidenten, mit dem er sich in London — „Sag doch Jimmy zu mir." — „Ja, wenn Du zu mir Helmut sagst" — in dieser Frage doch so schön geeinigt hat.
Hier gibt es eine Grenze des auf diesem Gebiet Zumutbaren.
— Ihre Reaktion, genauso wie die Rede des Bundeskanzlers, beweisen doch nur eines: die ungeheure
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1828 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1973
Straußund zunehmende Nervosität in Ihren eigenen Reihen.
Ich möchte hier ausdrücklich, auch im Namen der gesamten Fraktion der CDU/CSU, — —
— Sonst würde ich sagen: es ist meine private Meinung.
Hier sage ich im Namen der Fraktion der CDU/CSU, daß wir in zwei gewichtigen Problembereichen unsere Zustimmung zur Haltung der Bundesregierung bekunden. Ich sage es jeweils nur in einem Satz.Erstens. Die Bundesregierung konnte — wenn sie nicht ihr Ansehen verspielen, vertragsbrüchig werden und deutsche Interessen schädigen wollte — nicht anders handeln, als den Vertrag mit Brasilien einzuhalten und sich durch nichts von diesem Vertrag abbringen zu lassen.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU und genauso ich haben das bei der letzten Kernenergiebesprechung im Hause des Bundeskanzlers im kleinen Kreise gesagt. Ich stehe nicht an, das auch hier in der Öffentlichkeit zu sagen.Zweitens. Wir bekunden unsere Zustimmung dazu, daß ein uns ursprünglich zugemutetes großes inflationär wirkendes Programm zur Wirtschaftsbelebung, praktisch ein Programm der Geldvermehrung, abgelehnt worden ist. Hier bekunden wir ausdrücklich unsere Zustimmung;
denn das Problem ist nicht mehr die Frage der Geldmenge. Geld ist genug da. Es ist nur nicht immer an der richtigen Stelle,
und es besteht kein Vertrauen, es richtig auszugeben. Wir haben gar nichts davon, wenn sich in den Tresoren der Bundesbank große Schätze häufen. Wir haben gar nichts davon, wenn in den Großbanken gewaltige Mengen für Kredite zur Verfügung stehen, die nur zaghaft in Anspruch genommen werden — aus den Gründen, die Sie kennen. Darum sagte ich: Geld ist genug da. Es ist nur nicht an der richtigen Stelle, und es wird nicht richtig ausgegeben.Reden und Kommuniqués — und das gilt auch für London — sagen aus, was geschehen oder erreicht werden müßte. Sie sagen aber leider nicht aus, was wiklich geschieht und erreicht wird. Uns interessieren weniger die Erkenntnisse, sondern uns interessieren die Ergebnisse, die dann dabei herauskommen.Ähnlich wie die Gipfelkonferenzen von Rambouillet und Puerto Rico endete auch der Londoner Weltwirtschaftsgipfel mit einer Harmoniedemonstration, bei der alle, zum Teil auch schwerwiegenden politischen Gegensätze ausgeklammert wurden. Ebenfalls wie früher gab es auf dem Londoner Gipfel heilige Gelübde, die von den einzelnen Teilnehmerstaaten genauso wie frühere Gelübde bei Anlässen ähnlicher Art bestimmt nicht so ernst genommen werden, wie sie verbal beschworen worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was ist aus der Absichtserklärung von Rambouillet geworden, die Wechselkurspolitik enger aufeinander abzustimmen? Das gehört doch auch zu diesen Gelübden, die nie gehalten worden sind.
Was ist aus den Antiinflations-Fanfaren von Puerto Rico geworden? Unmittelbar nach dem letzten Gipfel im Jahre 1976 — um den schönen Ausdruck „Gipfel" beizubehalten; es ist ja die Eigenart von Gipfelkonferenzen, daß sie auf Talsohlen stattfinden und ihre Höhen sich in Nebel hüllen —,
haben Sie am 30. Juni hier erklärt — ich zitiere Sie wörtlich mit einem Satz —: „Ich stelle mit Genugtuung fest, daß nach allgemeiner Überzeugung in Puerto Rico die Rezession der führenden Industrieländer nunmehr überwunden ist."
Sie haben sich ein knappes Jahr später mit genau denselben Problemen, deren Lösung Sie in Puerto Rico als bereits erfolgt angedeutet haben, in London wieder beschäftigen müssen.Doch jetzt, zehn Monate später, stellen wir fest: Wir haben weniger Hoffnungen, und wir haben noch mehr Risiken. Zaghaftes Wachstum wird durch nationale und internationale Verteilungskämpfe bedroht. Die ungelösten Zahlungsbilanzprobleme vieler Industrie- und Entwicklungsländer haben sich leider verstärkt. Ein erneutes Aufflammen der Inflation bei manchen Partnern und nicht zuletzt die Gefahr, daß der Welthandel trotz der schönen Worte von London durch restriktive Maßnahmen eingeschränkt wird, sind schwerwiegende Hypotheken für unsere Zukunft. Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage ist unsicherer geworden, als sie zur Zeit der Gipfeltreffen von Rambouillet im November 1975 und von Puerto Rico im Juni 1976 war. Man konnte damals noch der Öffentlichkeit weismachen, die Rezession 1975 und ihre Folgen könnten durch eine Politik der Nachfrageankurbelung überwunden werden. Es zeigt sich heute, daß viele Regierungen der Inflation und der Arbeitslosigkeit hilflos gegenüberstehen.Der Aberglaube, man könnte durch Inflation die Arbeitslosigkeit vermeiden oder verhindern, mußte endlich aufgegeben werden. Das ist der teuerste Lernprozeß, den es in der Weltgeschichte jemals gegeben hat, bis man diesen Aberglauben abgewickelt hat.
Herr Bundeskanzler, wir kennen Sie, und deshalb sind wir auf manches gefaßt. Aber ich muß sagen: Ich bewundere Sie,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1829
Straußwie Sie hier diese Weisheit vertreten haben, man könne durch Inflation doch nicht die Arbeitslosigkeit abbauen oder aufheben.Wie viele Helmut Schmidts gibt es eigentlich?
Da gab es doch einmal einen Doppelgänger von Ihnen, der gesagt hat: „Wir Deutschen vertragen 5 % Inflation leichter als 5 % Arbeitslosigkeit" und der damit als Praeceptor Germaniae vorgetäuscht hat oder vortäuschen wollte, man könnte die Arbeitslosigkeit durch eine in Kauf genommene Inflation von 5 % verhindern.Dann gab es einen anderen Doppelgänger. Auch der hieß Helmut Schmidt.
— Ja, „Dreifachgänger" muß man schon sagen. Der sagte: Stabilität, das ist so ein Modewort; das kümmert mich viel weniger, als es anscheinend andere kümmert. Waren auch das Sie?
Oder ist bei Ihnen schon eine Seelenwanderung eingetreten?
Haben Sie da Bewußtseinsorgane verpflanzt?
Hat bei Ihnen ein psychologischer Barnard gewirkt,
der Teile Ihrer Verstandesmaschine ausgewechselt hat?
Denn Sie haben mit Nachdruck immer die These vertreten, daß man durch so eine Politik der leichten Hand und des leichten Geldes diese Probleme lösen könne.
Daran, daß es bei uns zu einer Million Arbeitsloser als einer Dauererscheinung gekommen ist, ist nicht das Ausland schuld. Der Schuldige sitzt hier. Er heißt Helmut Schmidt.
Ich möchte keine Selbstverständlichkeiten wiederholen. Aber sämtliche Mitglieder dieses Hauses wissen doch, daß wir, die CDU/CSU — ich darf mich als häufiger Redner zu diesem Thema auf diesem Platze selbstverständlich einschließen —, unzählige Male vor dem Aberglauben gewarnt haben, man könne die Vollbeschäftigung durch Inflation garantieren. Herr Bundeskanzler, Sie haben jetzt offensichtlich Ihren zweiten Bildungsweg abgeschlossen. Aber Sie sind der kostspieligste Student der Bundesrepublik, Sie sind der teuerste Lehrling der deutschen Wirtschaft.
Wenn das Geld, das wegen dieses Aberglaubens, von höchster Stelle vertreten, verschwendet worden ist, für die Schaffung von Ausbildungsplätzen für Jugendliche verwendet worden wäre, dann gäbe es das Problem überhaupt nicht.
Das Kernübel, Herr Bundeskanzler — mangelndes Vertrauen in die wirtschaftspolitische Zukunft —, ist in London zwar angesprochen worden. Doch dieser Vertrauensverlust ist durch ein internationales Politshowgeschäft nicht zu beseitigen. Tatsache ist, daß inzwischen auch die breite Weltöffentlichkeit die Hilf- und Bewegungslosigkeit mancher Regierungen sowie die Verantwortungslosigkeit gewisser Gruppen der Gesellschaft gegenüber den Problemen der Inflation und der Arbeitslosigkeit erkannt hat. Bei uns hat der Bundeskanzler immer wieder den Eindruck zu erwecken versucht, alle unsere wirtschaftlichen Schwierigkeiten — früher die Inflation, heute die Arbeitslosigkeit — hätten ihren Grund in der internationalen Wirtschaftlage. Das ist falsch und aus dem Munde eines Kundigen eine bewußte Unwahrheit.
— Da gibt es nur die Alternative: Entweder nicht kundig, dann ist es falsch; wenn kundig, dann ist es eine bewußte Unwahrheit.Niemand bestreitet die Wechselwirkungen zwischen Inland und Ausland. Aber seit Jahren leben wir immer stärker vom Export. Die Rezession begann bei uns im zweiten Halbjahr 1973, als unser Export und der Welthandel noch Hochkonjunktur hatten. Als bei uns im Jahre 1974 das Wachstum erstmals zum Stillstand kam und die Arbeitslosigkeit langsam, aber sicher anstieg, ging das Wachstum des Welthandels zurück. Aber genau in diesem Jahr 1974 hatten wir den höchsten Außenhandelsüberschuß in der Geschichte der Bundesrepublik, nämlich 51 Milliarden DM. An diesen Tatsachen kann man sich doch nicht durch magische Beschwörungen der Unwahrheit und falscher Kausalitäten einfach vorbeidrücken.Herr Kollege Brandt — —
— Bei dem Nachbarn ist es immer so schwierig, länger auszuhalten.
— Nein, da habe ich gesagt: Jetzt sucht er einen Gesprächspartner. Sie müssen Ihr Gedächtnis aufpolieren. Wenn Sie nicht so giftig wären, Graf Lambsdorff, würde Ihre Erinnerung besser funktionieren.Hat nicht der erste Bundeskanzler dieser Koalition seit 1969 von diesem Platz aus verkündet, daß der hohe Exportüberschuß, wie er in den Jahren 1968/69 eingetreten sei, eine schwerwiegende Belastung unserer Wirtschaft sei, einer Vernachlässigung im Aufbau der Bundesrepublik Deutschland gleichkomme und jetzt Auslandsnachfrage zügig durch Inlandsnachfrage ersetzt werden müsse? Damals hatten wir einen Anteil des Exportes am Brut-
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1830 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Straußtosozialprodukt — immer real gemessen — von etwa 22 %. Heute haben wir einen Anteil von 30 % erreicht. Wären wir nur bei den damals verdammten 22 % geblieben und hätten wir nicht die in den Augen der seit 1969 im Amt befindlichen Regierungen noch verdammenswertere Quote von 30 °/o erreicht, dann hätte es die Million Arbeitsloser schon früher gegeben und wir wären heute beim Aufbau des Sockels einer zweiten Million Arbeitsloser. Der Export hat doch bei uns keine Arbeitsplätze vernichtet. Wir haben Waren exportiert und Arbeitsplätze importiert. Das ist die Wahrheit. Darum bitte ich Sie, endlich mit dieser ständigen Beschwörung, die Sie bei einem ungeeigneten Anlaß wieder vorgenommen haben, aufzuhören, daß der wirtschaftliche Rückschlag eine Folge der internationalen Verflechtung sei. Wir haben durch unseren Export mehr Arbeitsplätze halten können, weil wir die Exportquote haben steigern können. Sagen Sie aber ja nicht, das sei die Leistung der Bundesregierung. Wenn man hier überhaupt die Politik für so etwas verantwortlich machen könnte, dann müßte hier ein Name genannt werden: Ludwig Erhard. Denn ohne die soziale Marktwirtschaft wäre diese ungeheure Mobilität, Flexibilität, Elastizität, Anpassungs- und Verkraftungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft niemals eingetreten.
Hier müssen wir dem Arbeiter, dem Unternehmer, dem Facharbeiter, dem Ingenieur und dem Kaufmann einen Dank sagen. Diese tüchtigen und fleißigen Menschen haben das Schlimmste verhindert, nämlich eine zweite Million Arbeitsloser zu bekommen.Wir haben den Export steigern können, als andere ihren Export einschränken mußten. Das ist die Wahrheit, nichts anderes. Wir wollen aus dem Munde eines Regierungschefs, den wir ja als solchen respektieren wollen, nicht dauernd mit Unwahrheiten gefüttert werden.
In wichtigen europäischen Industriestaaten — Bundesrepublik, Frankreich, Italien und Großbritannien, aber auch Belgien und Dänemark — steht die Wirtschaftspolitik im Spannungsfeld schwacher Regierungsmehrheiten, ungeheurer öffentlicher Defizite, einer munter weiterblühenden Inflation unterschiedlicher Größenordnung und einer munter weiterblühenden Inflation der Ansprüche, dazu in einigen Staaten auch aggressiv gewordener Gewerkschaften, riesiger Zahlungsbilanzlücken und gewaltiger Auslandschulden.Bezeichnend für die Gipfelkonferenz ist die Tatsache, daß sie auf der Talsohle stattgefunden hat und daß sich, wie ich vorher sagte, ihre Höhen allerdings in Nebel hüllen. Die eigentliche Problemstellung der Wirtschaftslage ist in London nicht angeschnitten worden, jedenfalls nicht öffentlich. Die Anspruchsinflation der modernen Industriegesellschaft, die zunehmende Unregierbarkeit einzelner Länder, die offenkundige Schwäche vieler Regierungen und der sie tragenden — Kollege Wehner würde sagen: schaukelnden — Parteien haben zu einer Überforderung des Bruttosozialprodukts geführt. Deshalb ist das Schreien nach Inflationsprogrammen anderer Länder zwecks Verbesserung der eigenen Exportchancen — früher der Ruf nach erleichterten Kreditmöglichkeiten — kein Rezept zur Lösung der Probleme, sondern nur eine Folge der eigentlichen Ursachen, die auch in London weitgehend in dem wohltätigen Dunkel der Konferenzgefälligkeiten verborgen blieben. Wenn die starken Industrieländer zusätzlich Inflationsprogramme machten und zusätzliche Inlandsnachfrage auch auf Importe von Fertigerzeugnissen durchschlagen würde, könnten davon nur jene Länder profitieren, die international wettbewerbsfähig sind. Die Chancen der wirtschaftsschwachen Industrieländer wären auch hier relativ gering.Ein Beispiel: Die Einfuhr der Bundesrepublik aus den starken Ländern — USA, Schweiz und Osterreich — wuchs im Jahre 1976 um 25 %, die aus den wirtschaftsschwachen Industrieländern stieg im gleichen Zeitraum nur um knapp 15 %.Solche Scheinlösungen — wie Belebung der Weltwirtschaft durch Inflationsprogramme — wären keine Heilung der Krankheit, sondern nur eine kurzfristige Morphiumspritze zur Linderung der Schmerzen.
— Das ist uns oft genug als Rezept zur Milderung oder Verhinderung der Arbeitslosigkeit hier angeboten worden, Graf Lambsdorff. Wie gesagt, Sie müssen Ihr Gedächtnis in Ordnung bringen, dann ist auch sonst alles wieder in Ordnung.Gerade die Bundesrepublik mit ihrem hohen Exportanteil würde die Inflation exportieren, das Inflationsniveau der Handelspartner erhöhen und dann mit Sicherheit Inflation reimportieren. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, in London ankündigten, die Bundesrepublik werde an dem Ziel eines Wachstums von 5 % festhalten und notfalls nachsteuern, bleibt die Frage, wie Sie dieses Ziel eigentlich erreichen wollen. Denn die Auftragseingänge sind seit Monaten, wie Ihnen hoffentlich bekannt ist, unbefriedigend, ausgenommen bei der Automobilindustrie. Die zum Wochenanfang veröffentlichten Zahlen vom März sind geradezu bedrückend. Wir sind der Auffassung, daß wir zwar erst Mitte des Jahres in etwa abschätzen können, wie stark das Wachstum in diesem Jahre voraussichtlich ausfallen wird, aber jetzt doch schon so viel sagen können: Wenn die wirtschaftliche Lage — und nichts spricht dafür, daß sie sich ändert — sich so weiterentwickelt, wie sich die Auftragseingänge in den ersten drei Monaten des Jahres entwickelt haben, werden Sie die in London zugesagten 5 % nicht erreichen. Auch alle Ankurbelungsprogramme nützen nichts; denn Sie wissen ganz genau, daß zwischen dem Beschluß solcher Maßnahmen und dem Eintritt ihrer Wirkung ein Zeitraum liegt, der nicht innerhalb eines Jahres zu messen ist, sondern im Jahre 1977 mit Sicherheit nicht endet. Außerdem fehlt es, wie sogar öffentlich erklärt worden ist, an vergabereifen Projekten.Sie können sich, Herr Bundeskanzler, auf die Dauer nicht um die durch nichts zu bestreitendeDeutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, . Donnerstag, den 12. Mai 1977 1831StraußWahrheit herumdrücken, daß nur eine radikale Senkung der Kostenbelastung der Wirtschaft mit Einschluß der Steuern eine Wende herbeiführen kann. Diese Wende können Sie aber nicht vollziehen, weil Sie nicht mehr Macher, sondern Gemachter sind,
weil Sie trotz Ihrer besseren, in der Zwischenzeit erworbenen Einsichten an der ideologischen Verblendung Ihrer sozialistischen Freunde gescheitert sind und deshalb von Grashalm zu Grashalm hüpfen.Wir werden sehen, was aus der überlebensgroßen Figur des Weltwirtschaftskanzlers von London zu Hause im Irrgarten der SPD und ihrer Koalition in den nächsten Monaten übrig bleibt, was übrig bleibt von dem praeceptor mundi, von dem doctor gentium, von dem Lehrer der Völker, von dem weisen Hirten der Welt. Im Ausland ist es leicht, hier Ziele zu setzen; aber daheim wird es immer schwieriger.
Wenn von 1970 bis 1976 die Lohnquote von 66,7 auf 70,1 % angestiegen ist, wenn die Staatseinnahmequote von 33,1 % auf 39,8 % des Bruttosozialprodukts zunahm und wenn in der gleichen Zeit die Investitionsquote von 26,4 % des Bruttosozialproduktes auf 20,8 % abgesunken ist, dann besteht zwischen diesen Zahlen ein unmittelbarer Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Da muß angesetzt werden.
Es gibt nur eine Möglichkeit, die Rezession langfristig zu überwinden, nämlich sich selbst mehr anzustrengen, sich selbst mehr abzuverlangen, im nationalen Bereich die Wirtschaft in Ordnung zu bringen; denn stability and growth begin at home. Aber der Bundeskanzler hat auch heute keine Antwort auf die Frage gegeben, wie er die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik nunmehr überwinden will. Vom Bundesarbeitsminister soll der Plan erwogen worden sein, ein neues Arbeitsbeschaffungsprogramm mit 500 Millionen DM in Gang zu bringen. Schon das letzte mit 450 Millionen DM hat doch total versagt; es sind nur 112 Millionen DM überhaupt abgerufen worden. In Ihrer Fraktion, Herr Bundeskanzler, hört man von neuen Plänen, eine Arbeitsmarktabgabe für Angestellte, Beamte, Freiberufler, Selbständige plus mithelfende Ehefrauen einzuführen. Diese Pläne zeigen, daß diese Ihre Parteifreunde — heute haben wir den 114. Gründungstag der SPD, die 1863 in Hannover gegründet wurde -seit der Zeit nichts dazugelernt haben.
Auch der Vorschlag des Bundesarbeitsministers Ehrenberg, eine Abgabe für Oberstunden einzuführen, ist blühender Blödsinn.
Können denn Sozialisten nicht aufhören, die Menschen in unserem Lande ewig mit neuen Gefahren, mit neuen Drohungen, mit neuen Lasten in Angst und Schrecken zu jagen? Müssen sie denn immer in geradezu politsadistischer Weise an dem Problem herumbasteln, wie man die Bürger am meisten ärgern kann? Dabei kommt nichts heraus außer Ihrem Debakel, das eintreten muß, damit unser Land wieder gesund wird.
In den letzten Minuten meiner Rede möchte ich Sie, Herr Bundeskanzler, an das erinnern — ich hoffe, daß Ihr Gedächtnis Sie sofort in den Stand setzt, sich das in Erinnerung zurückzurufen —, was Sie bei der Konferenz der Sozialistischen Parteien in Oslo am 1. April gesagt haben. Da haben Sie den Mangel an Vertrauen in die Zukunft als einen der Gründe für die Rezession angeführt. Sie haben gesagt, daß die derzeitige Rezession zu weniger als 49 % wirtschaftliche, quantitative Gründe und zu mehr als 51 % psychologische und politische Gründe hat. Wie haben Ihre Freunde uns hier bespottet, verlacht, verhöhnt und polemisch beschimpft, wenn wir genau dasselbe an dieser Stelle gesagt haben!
Aber das Vertrauen, das die Voraussetzung für Investitionen ist, wie Sie in Oslo ja selbst bekundet haben, können Sie nicht durch Appelle zurückgewinnen. Das Schreckliche ist, daß immer gesagt wird, was erreicht werden muß, daß aber niemals gesagt wird, wie es erreicht werden soll, und gar nichts getan wird, damit dieses Ziel erreicht wird.Sie haben, Herr Bundeskanzler, den Unternehmern und ihren Verbänden am 1. Mai wieder pessimistische Nörgelei, Krittelei und Investitionsunlust vorgeworfen. Sie haben gesagt, jetzt müssen die Unternehmer zeigen, daß sie Unternehmer sind, Unternehmer und nicht Unterlasser. Lassen Sie doch dieses halbklassenkämpferische Geschwätz, das nur auf das jeweilige Auditorium abgestellt ist!
Es gibt keinen Unternehmer in der Bundesrepublik, der der Opposition zuliebe eine aussichtsreiche Investition unterlassen würde.
Damit würden sich höchstens Ihre Parteikassen noch mehr mit Spenden mehren als die unseren.
Aber es sind ja nicht nur die privaten Unternehmer, die nicht investieren, auch die öffentlichen Unternehmer investieren weitgehend nicht genug, nicht so viel, wie sie investieren sollten. Zwischen Ihrer Rede in Oslo am 1. April, in der Sie auch den Tarifpartnern, und zwar beiden, die Leviten gelesen haben, und zwar ganz gewaltig - sie dürften durch ihr Verhalten nicht zu der Krise beitragen; das sei verantwortungslos —, und Ihrer Rede einen Monat später, am 1. Mai, muß eine Operation stattgefunden haben.
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1832 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
StraußDenn der Helmut Schmidt von Oslo und der Helmut Schmidt von Düsseldorf sind zwei miteinander nur durch äußere Ähnlichkeit vergleichbare Figuren.
Sie hätten eigentlich das — das sage ich nicht einmal boshaft —, was Sie in Oslo gesagt haben, in Düsseldorf sagen müssen. Dann hätten Sie in Oslo ruhig das sagen können, was Sie in Düsseldorf wirklich gesagt haben.
Aber bezeichnend ist natürlich, was Sie in Oslo noch dazu gesagt haben: „Ich bin überzeugt davon, daß es kein Vertrauen in die Zukunft geben kann, wenn man nicht die Wahrheit sagt. Sagt man dagegen die Wahrheit, sind die Leute überzeugt, daß man aufrichtig ist. Dann kann man Vertrauen schaffen."
Diesen Selbstappell, Herr Bundeskanzler, den Sie an sich gerichtet haben, möchte ich hier im Namen der ganzen Fraktion übernehmen. Sie haben doch in der Rentenfrage und in anderen wirtschaftlichen und sozialen Fragen einfach nicht die Wahrheit gesagt!
Sie haben in Oslo eine interessante Wahrheit gesagt. Sie sagten, eine Wahrheit ist beispielsweise, daß man nicht alle diese Schwierigkeiten überwinden und gleichzeitig alle in der Zeit von 1973 an die Volkswirtschaft gestellten hohen Anforderungen aufrechterhalten kann.
So Helmut Schmidt in Oslo. Erinnern Sie sich, wie der Herr Bundesfinanzminister — wie der Herr, so's Gescherr, sagt man in Bayern —, aber auch der Bundeskanzler selbst mich hier behandelt hat, als ich sagte, daß die Grenzen des Sozial- und Bildungsstaates erreicht, zum Teil überschritten seien und daß deshalb in Zukunft sorgsam überlegt werden müsse, Sachplanung und Finanzplanung deckungsgleich zu machen? In Oslo sagen Sie es, aber hier haben Sie nicht den Mut, es vor Ihren Genossen zu vertreten und mit der Tat durchzusetzen. Sie sind nämlich Kanzler und nicht Abkanzler! Diesen Unterschied scheinen Sie manchmal nicht begriffen zu haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir begrüßen es trotzdem, daß die Londoner Konferenz stattgefunden hat.
Sie hat dem Bundeskanzler die Möglichkeit gegeben, zerschlagenes Porzellan wenigstens wieder zu kitten. Sie hat ihm die Möglichkeit gegeben, Herrn Carter zum Wahlsieg zu gratulieren, nachdem er sich während der amerikanischen Wahlperiode in einem Interview in „Newsweek" sehr heftig für den Wahlsieg von Herrn Ford eingesetzt hatte. Aber solche Leistungen höherer staatsmännischerGeschicklichkeit sind bei Ihnen nicht neu. Deshalb sind Sie in der Hinsicht konservativ.
Sie haben auch die Möglichkeit gehabt, Ihre harten Angriffe im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsfrage in London zu relativieren. All das ist schön und gut. Ich sage aber abschließend eines: Uns interessieren zwar die schönen Absichtserklärungen, aber noch mehr interessieren uns die Erkenntnisse, die jetzt zu Tage getreten sind. Noch mehr aber werden uns die Ergebnisse interessieren, die als Folge der Schwüre von London in absehbarer Zeit auf dem Tisch der öffentlichen Politik liegen müssen. Und dann kann ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, nur sagen: Bei Philippi sehen wir uns wieder, und dann wird es nicht der Geist Caesars, sondern der Geist Jimmy Carters sein, der Ihnen das entgegenhält.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung, die Bundeskanzler Helmut Schmidt heute hier dargelegt hat, verdient sowohl Dank für ihre Freimütigkeit als auch aufmerksame und gründliche politische Verwertung. Das sage ich im Namen der ganzen sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
Die Bundestagsfraktion der SPD dankt dem Bundeskanzler und dankt der Bundesregierung, besonders den unmittelbar beteiligten Herren, dem Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher und dem Bundesminister der Finanzen, Hans Apel,
für das Zusammenwirken, das einen gewichtigen Anteil unserer Bundesrepublik Deutschland an der Londoner Konferenz — ich muß sagen: an den Londoner Konferenzen - möglich gemacht hat. Wenn die Botschaft von Downing Street eine Botschaft des Vertrauens genannt worden ist und wird, dürfen wir unsererseits denen, die den deutschen Beitrag dazu geleistet haben, unser Vertrauen dafür bekunden, daß sie sich in schwierigen Wetterverhältnissen als vertrauenswürdig erwiesen haben.
Als ich gestern, am Tag vor der Regierungserklärung und der ihr folgenden Debatte, einiges darüber nachzudenken hatte, wie dies wohl sein werde, habe ich geschrieben: Dem Bundestag ist zu wünschen, daß sich alle Seiten der Bedeutung bewußt sind, die dieser Regierungserklärung und ihrer Aufnahme in der Debatte zukommt. Und ich fuhr fort: Wenn im Schatten der Trauer um das Hinscheiden Ludwig Erhards, des ältesten Mitglieds des Deutschen Bundestages, Verantwortungsbewußtsein und wechselseitiger Respekt der parlamentarischen Repräsentanten die unvermeidliche Auseinandersetzung prägen, wird das sowohl unserer demokratischen Le-
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Wehnerbensform als auch den Notwendigkeiten der Bonner Politik entsprechen.
Mein Vorredner, der Herr Vorsitzende der CSU, hat heute im Namen der Opposition und ihrer Fraktion von einer Regierungserklärung mit einigen „merkwürdigen- Einlagen" gesprochen, und er hat eigentlich nur einem Teil dessen, was aus London berichtenswert war, wie er sich ausgedrückt hat, die uneingeschränkte Zustimmung gegeben, nämlich der Berlin-Erklärung und, wie er sich ausdrückt, ihren Konsequenzen. Er hat dabei daran erinnert, daß beim Abschluß des Berlin-Abkommens er es gewesen sei, der höhnisch behandelt worden sei, weil er sie für ganz Berlin in Anspruch genommen habe.
Er hat nunmehr wohl die Genugtuung, daß er spät „recht bekommen" hat. Er hat dies aber gleich noch damit geschmückt, daß er sagte, daß diese Stadt heruntergewirtschaftet werde. Das ist wörtlich von ihm so gesagt worden.
Er hat dann als ein Mann, der auch der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion ist — und, wie wir alle wissen, nicht nur Sprecher, sondern auch Denker; er war ja eine ganze Reihe von Jahren der Bundesminister der Finanzen —, plötzlich diesen Vergleich eigentümlicher Art hineingebracht: Wenn schon die Bundesregierung nicht den Mut habe, Berlin als Sitz der Nationalstiftung zu bestimmen, wie sollten denn dann die Unternehmer dort investieren?! — Herr Strauß, ich weiß, daß Sie genau wissen, daß das zwei völlig unvergleichbare Posten sind
und daß es sich dabei um Bezugnahmen handelt, die — ich weiß nicht, warum — auf jeden Fall einem anderen Zweck dienen als dem, zu zeigen, daß die Stadt von denen, die dort parlamentarisch die Verantwortung tragen, „heruntergewirtschaftet" wird.
— Ich verstehe, daß Sie Ihrem Sprecher Unterstützung gewähren wollen und auch müssen. Das ist ganz in Ordnung. Aber Sie werden damit einige meiner Feststellungen nicht völlig entkräften können, meine sehr verehrten Damen und Herren.Ich habe mit einer gewissen Spannung auf den heutigen Auftritt des Herrn Kollegen Dr. h. c. Franz Josef Strauß gewartet, weil ich heute morgen folgendes ihm wörtlich zugeschriebene Zitat gelesen hatte:Der Wirtschaftsgipfel wird und kann nicht viel bringen. Wahrscheinlich war es sogar ein Fehler, ihn einzuberufen.
Ich habe mich gefragt: Ich bin gespannt, wie er das— falls er es noch einmal in den Mund nimmt —,was ihm in der heute morgen erschienenen und nunmehr natürlich auch überall von vielen Leuten gelesen werdenden Wochenzeitschrift zugeschrieben worden ist, nun heute hier darlegen wird. Er hat es auf eine unnachahmliche Weise getan.
Er hat, was den Wirtschaftsgipfel betrifft, von einer „Harmoniedemonstration" geredet und auch davon, was eigentlich aus den Absichtserklärungen von Rambouillet und von Puerto Rico geworden sei, aus aus ihnen gemacht worden sei. Er sprach überhaupt generell von Wirtschaftsgipfeln, die sich „in Nebel hüllen". Herr Strauß, ich habe mir so dabei gedacht: Ein Glück, daß der Bundeskanzler Schmidt dort war und nicht Sie.
Ich muß gestehen — ich betone dies daß ich dieRegierungserklärung nicht nur voll und ganz, sondern auch in ihren Details ohne Einschränkung unterstütze.
Das ist nicht irgendein bloßes Bekenntnis, sondern das ist meine Überzeugung nach dem, was ich in dieser Nacht - es war schon Morgen, unter uns gesagt — schließlich in einem Rohentwurf sehen konnte. Ich will hier nicht den Versuch machen, aus der Regierungserklärung das eine oder andere herauszuheben und hervorzuheben. Das käme mir nicht zu. Ich möchte aber besonders auch, aber nicht nur deshalb, weil der Herr Dr. Strauß
hier gesagt haben wollte, wie das denn eigentlich mit Krisenerscheinungen vor sich gegangen sei und welchen Anteil unsere Regierungen daran hätten, an dieser Stelle meinen Dank an die Ministerpräsidenten der Länder aussprechen, die zusammen mit der Bundesregierung in einer gemeinsamen Erklärung am 6. Mai — sie ist hier erwähnt wordenbekundet haben — ich zitiere —:Bund und Länder werden ein gemeinsames mehrjähriges Investitionsprogramm zur wachstums- und umweltpolitischen Vorsorge, ein Programm für Zukunftsinvestitionen durchführen.Dies wird von der Bundestagsfraktion von der SPD mit Dank an alle Beteiligten — gleichgültig welcher Parteizugehörigkeit — aufgenommen.
In der Verständigung zwischen Bundesregierung und Länderregierungen sehen wir, erkennen wir die Fähigkeit aller beteiligten Seiten, trotz vielfältiger parteipolitischer und auch Interessengegensätze schließlich doch für das Wohl unseres ganzen Volkes zusammenzuwirken.
Das ist nicht nur anerkennenswert; es ist auch bemerkenswert. Der in der Erklärung der Länderregierungen und der Bundesregierung gemeinsam zum Ausdruck gebrachte Wille, mit diesem Programm zur Verbesserung der Wachstumsbedingungen und
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Wehnerdamit zur Wiedergewinnung und Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes beizutragen, wird von uns als die Voraussetzung für gemeinsame Bemühungen, d. h. aufeinander abgestimmte Beiträge von Bund, Ländern und Gemeinden, angesehen. Wir machen uns zu eigen, was in der gemeinsamen Erklärung der Länderregierungschefs und der Bundesregierung hervorgehoben worden ist — ich zitiere sie wörtlich —:Von großer Bedeutung dafür ist, daß es gelingt, durch das Programm die öffentliche Investitionsquote zu verbessern. Bund und Länder haben die feste Absicht, die Zusätzlichkeit der im Investitionsprogramm vorgesehenen Ausgaben zu sichern und Umfinanzierungen zu vermeiden.Ich nehme nicht an, Herr Strauß, daß Sie eine Vollmacht gehabt haben, hier einen Teil davon im Namen etwa von Ländern zu dementieren. Daß sich alle dieser Erklärung hier anschließen, dessen bin ich sicher.Dazu sage ich noch: Wenn Bund und Länder wahrmachen, daß sie — wie sie betont haben — gemeinsam der Auffassung sind, schon im Jahre 1977 sollen deutlich Anstöße für die Wirtschaft gegeben werden, und deshalb ein beträchtlicher Teil dieses Programms bereits in diesem Jahr als Aufträge an die Wirtschaft vergeben wird, wird dies unser nächster wirksamer deutscher Beitrag dazu sein, die Botschaft des Vertrauens nach innen zu tragen, d. h. in die Betriebe, in die Unternehmen, in Handwerk und Handel, in die Familien.
Bund und Länder haben zum Ausdruck gebracht, sie knüpften an das Programm die Erwartungen, daß mit einer verbesserten öffentlichen Infrastruktur und den Nachfrageeffekten, die vom Programm ausgehen, auch die Investitionsbereitschaft der privaten Unternehmen zunehmen werde, was ja eine notwendige Voraussetzung für ein stetiges, stabiles und stabileres Wirtschaftswachstum ist.Dazu sage ich: Wenn viele durch ihren Beitrag dazu helfen, dann helfen wir gemeinsam uns, d. h. unserem Volk, selbst, und die Bundesrepublik Deutschland fördert mit diesem Programm die internationalen Bemühungen um anhaltenden weltweiten Aufschwung, von denen wir gehört und von denen wir in den Erklärungen des Gipfels gelesen haben. Damit dienen wir auch uns selbst, meine Damen und Herren. Das heißt, hier gibt es offenbar auch jenes interessante Motto „Gemeinsam erreichen wir mehr".
Da Sie, Herr Kollege Strauß, sich haben einfallen lassen — sicher ohne tiefergehende Information zu haben; deswegen nehme ich Ihnen das auch nicht übel, daß Sie das gemacht haben —, in diese Debatte über eine Regierungserklärung über höchst wichtige Gipfeltreffen einiges über angebliche Vorgänge in der Bundestagsfraktion der SPD einströmen zu lassen — Herr Strauß, bei Ihnen strömt es ja —, muß ich Ihnen folgendes sagen. In der Bundestagsfraktion der SPD hat sich eine Arbeitsgruppe aus eigenem Antrieb und mit der Aufforderung der Gesamtfraktion daran gemacht, einmal einiges an Gedanken zu diskutieren und es dann in den Arbeitskreisen auch tatsächlich, was die ökonomische Seite, was die Arbeitsvermittlungsseite, was die öffentliche Finanzseite betrifft, nicht nur prüfen, sondern durchkneten zu lassen. Wir haben übrigens am vorgestrigen Tage auch terminlich beschlossen, darüber eine Klausurtagung der Fraktion abzuhalten. Das heißt, wir bedrängen niemanden; wir suchen nur nach Möglichkeiten, soviel wie möglich z. B. von denen einzubeziehen, die unter der Gruppe „ältere Angestellte" geführt werden, ferner von denen,, die in der Gruppe „jugendliche Arbeitslose" geführt werden und zum großen Teil noch gar nie eine Berufsausbildung haben beginnen können, und weitere, die in anderen Gruppen geführt werden, die durch zum Teil auch strukturell bedingte Veränderungen beschäftigungs- und arbeitslos sind. Diese Diskussion ist ja wohl in einem demokratischen Staat und in einer Fraktion des Parlaments dieses Staates erlaubt.Diese Fragen müssen beantwortet werden, wenn es geht, wenn auch nur in einigen Punkten. Jeder von uns weiß: Es gibt keine Patentlösung. So ist eben die Wirtschaftswirklichkeit der Welt, in der wir leben, nicht daß es Patentlösungen für Krisen und Rezessionserscheinungen geben könnte,
wie sie mit hoher Sachkenntnis der Bundeskanzlei hier noch einmal charakterisiert hat, ohne dabei zeitaufwendig zu werden. Er hat auch den berechtigten Hinweis darauf gegeben, daß wir bisher Glück haben und es wohl auch behalten werden. Herr Strauß, Sie haben dieses Zusammenkommen von Repräsentanten der Industriestaaten und ihre Erörterungen auch über das Verhältnis dieser Staaten und ihrer Wirtschaften zu den Ländern, die man mit dem Namen „Entwicklungsländer" oder „unterentwickelte Länder" belegt, so geringschätzig behandelt. Wir haben diesmal eine andere Situation als zu der Zeit, in der der Ihnen heute ein wenig unglücklich in den Mund gekommene vorherige amerikanische Präsident Ford seinem Volk beschwörend gesagt hatte, als er damals sein Amt antreten mußte, daß die verheerende wirtschaftliche Krise der 30er Jahre nicht wieder kommen darf.Wir haben uns nicht anheischig gemacht, an irgend jemanden ultimative Forderungen zu stellen, und wir werden das auch nicht tun. Wenn Sie einen Halt brauchen, dann sage ich Ihnen: Ich werde auch dafür sorgen, daß es keine ultimativen Forderungen etwa an die Bundesregierung oder an unseren Koalitionspartner gibt, der übrigens auch selbst Herr seines Hutes ist, wie man in einem Sprichwort meiner zweiten Heimat — ich übersetze es ins Deutsche — hier sagen würde.
Die Bundesregierung hat z. B. begonnen, parallel zuLondon zu prüfen, was auf dem Gebiete der Arbeitsmarktpolitik weiter geschehen kann und muß. Da
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1835
Wehnergibt es, wie man weiß, kritische Überprüfungen jenes 430-Millionen-Programms, bei dem es um Mobilität und ähnliches geht. Ich will das hier gar nicht ausbreiten. Bei diesem Programm denkt man nun offenbar, nachdem man weiß, wie es einige Zeit gewirkt und was davon noch nicht gewirkt hat, nicht nur an Umbau, sondern man geht auch daran. Die Diskussion um diese Fragen ist es, die uns bewegt. Wir sind der Meinung, nach gründlicher Diskussion werden wir auch in solchen Fragen alle zusammen — und Sie werden sich dem dann auch nicht in den Weg stellen wollen; dazu wird dann hoffentlich nicht der Herr Kollege Strauß sprechen, sondern ein anderer Kollege von Ihnen —, wenn auch graduelle Unterschiede sein werden, zu tragfähigen Entscheidungen kommen. Das ist das, woran wir arbeiten, und ich wäre froh, wenn Sie ähnlich arbeiteten, wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen.
Ich habe Ihnen aber keine Lehren zu geben. da habe ich nicht dieselbe Möglichkeit, wie Herr Strauß dem Bundeskanzler und den Regierungschefs der Industrieländer der ganzen Welt gegenüber zu tun befugt ist, weil jeder draußen weiß, was für ein kompetenter Herr unser liebenswerter Kollege ist.
Nun, auch das sei ihm überlassen.
Meine Damen und Herren, ich habe die Vorsicht bemerkt, mit der der Bundeskanzler in seiner Erklärung das Brasiliengeschäft, das schon vor der Konferenz sehr hohe Wellen geschlagen hat und das in die Nuklearenergiebranche gehört, entwickelt hat. Natürlich muß hier auch mit anderen zusammen etwas geregelt werden. Die Regierungserklärung enthält exakte Angaben über jene Kommission, die im Laufe einer bestimmten Zeit bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich der Gefährlichkeit etwa von Exporten oder dem Gebrauch von Plutonium für andere Zwecke festlegt.Wenn ich heute in einigen Zeitungen über einen Vorgang .innerhalb des Bundestages z. B. lese, da hätten sich irgendwelche durchgesetzt und andere, z. B. Minister Matthöfer, hätten klein beigegeben, dann muß ich sagen: hier geht es um Fragen, in denen niemand das Patentrezept in bezug auf Atomenergie hat. Ich verstehe, wenn ich das auch nicht teile, daß es hier bei manchen Urängste gibt und daß andere das sogar politisch zum Anlaß nehmen, solche virulent werden zu lassen. Es ist eine schwierige Sache. Ich gehöre zu jenen, die dazu auffordern und darum bitten, daraus keine Glaubenskriege zu machen oder werden zu lassen.
Da gibt es noch vieles auf dem Wege von der Kontrolle zur Sicherheit zu tun, wie man das einmal formuliert hat. Das, was da auf dem Gipfel gemacht worden ist, wenn auch im Nebel, Herr Strauß, der sich aber immerhin gelichtet hat, ist in Erklärungen verpflichtend wiedergegeben, und insofern ist das auch angegangen worden.Nun haben Sie, sehr verehrter Herr Kollege Vorredner, sich auf die Teile bezogen, die im NATO-Gipfel besprochen worden sind, und waren der Meinung, Sie müßten hier dem Bundeskanzler widersprechen. Ich fand es peinlich, Herr Strauß. Sie werden sich im nachhinein zwar nicht entschließen, die Stelle aus dem aufgenommenen Stenogrammtext zu streichen, aber diese Sache mit Bundeswehr und „deutsch-national" und dann Schmidt war eine dumme, wenn auch für mich verständliche, aber nicht kluge und schon gar nicht belegbare Passage Ihrer so bedeutungsvollen Ausführungen. Sie müssen ja in irgendeiner Weise opponieren.Ich habe mir heute früh, ehe ich in den Saal kam,
eine Ablichtung von Ausführungen machen lassen, die der damalige Bundesverteidigungsminister Strauß und der Bundestagsabgeordnete Wehner vor 17 Jahren, nämlich am 30. Juni 1960, miteinander ausgetauscht haben. Ich weiß, daß Leute, die, wie man heute sagt, zur jungen Generation gehören, dies nicht gern noch einmal hören wollen. Ich erspare es Ihnen auch. Aber Herrn Strauß gebe ich es dann hinterher, und wenn er schon hinausgegangen sein sollte, ehe ich schließe, was ich verstehen könnte, werde ich es ihm persönlich schicken; denn es war ja nachdenkenswert.
— Ich will Ihnen einmal etwas sagen, der Sie mit dem Finger zeigen. Ich bin noch nicht blind — das kommt wahrscheinlich noch —, aber Herrn Strauß bemerke ich allemal, wenn nicht durch die Augen, dann durch etwas anderes.
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß?
Herr Kollege Wehner, können Sie mir sagen, warum die Äußerung des Kollegen Jaeger zu der Darstellung der militärischen Lage durch den Bundeskanzler, zu dessen Warnung vor einer Dramatisierung der militärischen Macht der Sowjetunion, warum die Bemerkung des Kollegen Jaeger, der Bundeskanzler beschönige oder verharmlose die militärische Lage, ein Angriff auf die Bundeswehr gewesen sein soll? Können Sie mir das erklären?
Erstens, sehr verehrter Herr Kollege Strauß, hat der Bundeskanzler nach meinem Mithören den Herrn Kollegen Jaeger nicht genannt. Aber Sie haben geahnt —
— Immerhin, es gilt das gesprochene Wort, sehr verehrter Herr Kollege, und das weiß ich auch bei Ihnen zu schätzen.
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1836 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
WehnerAuch ich vergleiche das gesprochene und das vorgestanzte Wort. Ich mache daraus niemandem einen Vorwurf. Nur sage ich hier: Der Bundeskanzler hat Herrn Jaeger nicht genannt. Erster Punkt.
— Ich weiß, daß ich umständlich bin; ich wollte Ihnen aber gewissenhaft antworten, falls Sie bei mir überhaupt ein Gewissen vermuten, sehr geehrter Herr Kollege Strauß.
Ich wollte Ihnen zweitens sagen, daß ich des Bundeskanzlers Abwehr gegen diese Art wohl verstehe, weil ich auch erlebt bzw. gelesen habe, wie er z. B. die Behauptungen eines Generals in einem benachbarten Land nachdrücklich zurückgewiesen hat bzw. wie sie auch andere zurückgewiesen haben, jene nicht nur törichten, sondern schädlichen Veröffentlichungen, daß die Russen binnen 48 Stunden am Rhein sein würden, so wie die Verteidigungslage ist. Weil sich das gar nicht auseinanderfieseln läßt, verstehe ich es, daß sich der Bundeskanzler gegen diese Art von Miesmacherei und Schlimmeres in bezug auf unsere Verteidigungsfähigkeit und unseren Verteidigungswillen wendet.
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?
Ja.
Wissen Sie, Herr Kollege Wehner, daß der Name des Kollegen Dr. Jaeger ausdrücklich in den zu Hunderten verteilten Exemplaren steht? Zweitens: Sind Sie bereit, dafür zu wirken, daß der Name Dr. Jaeger gestrichen wird, wenn er nicht gemeint war? Drittens: Wenn er nicht gemeint war, wer war denn gemeint?
Herr
Kollege Strauß, das waren drei Zwischenfragen.
Sehr verehrter Herr Fragesteller, erstens erfahre ich soeben erst, daß es Hunderte von Exemplaren gewesen sein sollen. Zweitens: Wenn ich mich dafür einsetzen soll, daß der Name gestrichen wird, überschätzen Sie meine Möglichkeiten. Es mag in dem Bereich, in dem Sie umgehen, so sein,
daß ein Abgeordneter oder Fraktionsvorsitzender eine Regierung zu etwas drängen kann, was sie, auch wenn dort steht: „Es gilt das gesprochene Wort" — das wissen Sie doch — —
— Nun machen Sie doch keine Clownerei! Sie habenheute morgen — ich sage dies hier mit allem Ernst— im Schatten der gemeinsamen Trauer um Ludwig Erhard schon bewiesen, daß Sie das können.
Meine Damen und Herren, wie gesagt, ich mache auf diese Fragen und Antworten und auch auf die damals zwischen dem seinerzeitigen Verteidigungsminister Strauß und mir ausgetauschten Feststellungen — im Bundestagsprotokoll vom 30. Juni 1960 erhältlich, auch in einem Buch, für das ich hier keine Reklame machen will und darf — das wäre ja noch 'schöner — aufmerksam. Da werden Sie einmal die grundlegend unterschiedlichen Positionen sehen von Sozialdemokraten, wenn sie die Opposition sind, gegenüber der CDU/CSU, wenn sie die Regierung stellen, und umgekehrt.Da ist nicht nur ein Fragezeichen von mir, sondern da muß ich sagen: Ich habe Sorge um einiges.Ich habe übrigens gelesen, das Herr Kollege Dr. Alois Mertes in einem Thesenpapier, das ich mir in der Nacht auch noch einmal durchgesehen habe, das auch in Zeitungen Eingang gefunden hat, immerhin in einem Pünktchen etwas nachdenklich — nicht geworden ist; das muß man nicht feststellen — eine Nuance über das Verhältnis von Opposition und jeweiliger Regierungsseite feststellt. Er hat gesagt — so wird es dargestellt —, an die Adresse der eigenen Partei richte er schließlich die Aufforderung, ihrerseits anzuerkennen, daß nach den Westverträgen nun auch die Ostverträge maßgeblicher Bestandteil der deutschen Außenpolitik seien. Dann kommt er zu der Sonderrolle, die sich die Opposition dabei zuschreibt bzw. der sie gerecht werden will.Meine Damen und Herren, die NATO wird es wert sein, daß man ernsthaft darüber redet. Es wird wohl auch bald Gelegenheit dazu geben.1 Ich sage Ihnen hier: Balance, d. h. Machtgleichgewicht, war von uns immer als Voraussetzung jedweder Art von Entspannung — sofern man sie wirklich so nennen darf und will — angesehen worden. Wir unterstreichen, daß der Bundeskanzler in London klare Worte denen gegenüber gefunden hat, die unsere Bemühungen, das Machtgleichgewicht aufrechtzuerhalten, gering schätzen — das knüpft an das an, Herr Strauß, weswegen Sie mich wegen Herrn Jaeger gefragt haben — und Panik verbreiten. Das sage ich Ihnen auch von mir aus.Auf dem schwierigen Gebiet der Sicherheit nützen uns weder Tatarenmeldungen und Hysterie noch Beschönigungs- oder Beschwichtigungsversuche. Weil von Tatarenmeldungen die Rede ist, Hen Strauß: Da Sie gelegentlich die Weitsicht in bezug auf strategische Perspektiven noch etwas weiter östlich als Moskau richten — z. B. Peking und diese Bereiche —, wird es wohl auch erlaubt sein, über nod etwas weiter östlich liegende Bereiche zu sprechen die Sie offenbar sehr beeindrucken, sei es mit ihren Vorstellungen, sei es mit ihren Ankündigungen, se: es mit ihren Beschuldigungen, daß es die Großmächte in diesem Teil der Welt auf Krieg ansetzten usw.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1837
WehnerWir werden wohl bald einmal wirklich eine Debatte haben müssen, in der wir uns Zeit nehmen müssen, über Sinn und auch Zweck unserer Verteidigungs- und gleichzeitig unserer Entspannungspolitik zu sprechen, auch deswegen, weil es immer um Berlin geht. Berlin ist, wenn es um Entspannung geht, der Teil im getrennten Deutschland, den wir, soweit wir dabei das, was man mit „Zuständigkeit" etwas prosaisch umschreibt, nach menschlichen Kräften zu tun vermögen, hüten sollten wie unsere Augäpfel. Wir sind dankbar für die aus den Worten des, amerikanischen Präsidenten und der in London versammelten Repräsentanten der verbündeten Staaten für Berlin erkennbaren Absichten, ihre unverzichtbaren Beiträge dazu zu leisten. Die Londoner Erklärung hat zugleich den Erfolg einer Berlin-Politik unterstrichen, die über weite Strecken von der Opposition bis in die letzten Stunden hinein leider nur negativ kritisiert worden ist.Was Berlin betrifft, geht es nach unserer Auffassung darum, Festigkeit mit dem Willen der Entspannung zu verbinden. Der Ausbau der Bindung zwischen der Bundesrepublik und Berlin muß mit politischer Umsicht geschehen und mit ökonomischen Realitäten wirklich gemacht werden, nicht aber mit Äußerungen wie der Frage, Herr Strauß, wie die Wirtschaft in Berlin investieren soll, wenn die Nationalstiftung nicht dort ihren Sitz hat.Worum geht es? Wir haben ein Abkommen, das wir zwar nicht erschlossen und erwirkt haben, das aber — was die vier Mächte, die dieses Abkommen geschlossen haben, nicht bestritten haben — ohne unsere vorherigen Vertragsabschlüsse nicht hätte zustande kommen können. Berlin ist kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik. Es wird nicht von Bonn regiert. Jedenfalls soll es nicht von Bonn regiert werden.
Hier ist ein kompliziertes Gleichgewicht erreicht worden, das mit Behutsamkeit, Vorsicht und Umsicht behandelt werden muß.
— Verehrter Herr Zwischenrufer, da ich leider nicht über geheime Möglichkeiten der Übertragung von Ereignissen verfüge, die zur gleichen Zeit an einem fernen Ort stattfinden, weiß ich nicht, wie jetzt in Berlin die Abstimmungen über den neu zu bildenden Senat verlaufen.Bei allen noch so großen parteipolitischen Gegensätzen wäre es angesicht der besonders innigen Verbindung, die Herr Strauß immer zu Berlin gehalten hat, wohl angebracht gewesen, mit etwas mehr Respekt zu sprechen. Das betrifft sowohl den Ausdruck „heruntergewirtschaftet" als auch das, was die dort machen müssen, weil die Folgen eines Lebens in einer Stadt, die getrennt ist und — bildlich gesprochen — wie auf einer Insel existiert, mit Ereignissen an anderen Stellen nicht vergleichbar sind.Ich wünsche denen, die jetzt als neuer Senat in Berlin mit dem Regierenden Bürgermeister Stobbe in die nächsten Etappen gehen, alles Gute und viel Glück.
Ich erkläre hier für die Sozialdemokratische Fraktion: Was Berlin braucht, ist Solidarität.
Solidarität ist etwas anderes als ein Wettbewerb, wer am häufigsten und am schrillsten über Berlin spricht. Solidarität mit Berlin bedeutet, sich der besonderen Lage, der Lebensnotwendigkeiten und der Umstände der Berliner stets bewußt zu sein und sich zu bemühen, sich ihrer bewußt zu bleiben, und nicht durch Gestikulation, sondern durch die stetige aufmerksame Förderung der Lebens- und Entwicklungsbedingungen der Stadt beizustehen, ohne daß man sie sozusagen an irgendeinem Bändchen hält.Ich erlaube mir nun ein paar Sätze zu ersten Stellungnahmen, die von der Spitze der DDR zu den Londoner Erklärungen, soweit sie Berlin betreffen, öffentlich abgegeben worden sind. Ich halte diese ersten Stellungnahmen für Versuche, die geschichtliche Entwicklung im nachhinein zum eigenen Vorteil rechtlich zu rechtfertigen. Es ist meine Überzeugung, daß das, was Herr Honecker oder, etwas anders, kurz vorher Herr Sindermann gesagt haben, eigentlich der Sinn ihrer Erklärungen ist. Um die eigene Position der DDR sozusagen als rechtmäßig hinzustellen, wird das, was sich in den Jahren seit Kriegsende im damals von Besatzungsmächten regierten und auch verwalteten Deutschland und schließlich auf die besondere Weise in Berlin entwickelt hat, nun insgesamt als etwas dargestellt, das rechtmäßig sei, obwohl die Nachkriegsentwicklungen im besetzten und aufgeteilten Deutschland nicht durch nachträgliche Rechtfertigungen glorifiziert oder auch, sagen wir einmal, humanisiert werden könnten, ohne die Zukunftsaussichten sowohl der getrennten Stadt und der Menschen als auch des getrennten Deutschland und der Menschen in beiden Teilen zu verdüstern.Worauf es für die Zukunft ankommt, ist: Verträge einhalten, Verträge mit Leben erfüllen,
dadurch sowohl den Frieden sichern als auch das Gegeneinander allmählich zum Nebeneinander und zu einem Verhältnis loyaler Nachbarn werden zu lassen. Und weil Sie dazwischenrufen „Richtig auslegen" : Das heißt, Herr Ausleger, unermüdlich zu sein, beharrlich immer wieder auf die Auslegung zurückzukommen. Da allerdings sind Sie schlechter dran als ich; denn ich bin für die Verträge, immer gewesen, weiß, daß sie das Himmelreich nicht erschließen, habe immer nur gedacht: aufpassen, daß damit nicht jemand das Heft von etwas in seine Hände bekommt, um uns die Klinge in den Rücken oder in die Brust stoßen zu können.Wenn Sie, die Sie damals gegen all das waren und die Sie das Abkommen der Vier Mächte über Berlin von vornherein herabgesetzt haben — das ist ein Werturteil; ich habe Ihnen das nicht vorzuwerfen, Sie haben geirrt —, heute dabeisein wollen,
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1838 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Wehnerwenn darauf geachtet wird, daß Verträge und Abkommen richtig ausgelegt werden, müssen Sie auch die Grundeinstellung zu „Verträge sind Verträge" und zu „Abkommen sind Abkommen" einnehmen, von der Sie ja wissen, daß das unvermeidlich ist, wenn Verträge Verträge sind. Das habe ich hier am 30. Juni 1960 nach langem Ringen um die Westverträge gesagt, und das war für uns verpflichtend. Nun, bitte, versuchen Sie doch auch, über Ihren Schatten zu springen, verehrte Herren.
Eine Bemerkung zu Menschenrechten. Herr Strauß hat sich da ziemlich ereifert. Ich weiß, daß der Bundeskanzler in London die Zahlen derer genannt hat — beeindruckend für die, die es gehört haben —, mit denen wir aber nicht etwa zu prahlen versuchen, die in diesen letzten Jahren aus der DDR, aus der UdSSR, aus der Volksrepublik Polen, aus anderen Ländern dieser Sphäre haben reisen können, zu uns kommen können. Sie werden sich die Zahlen auch noch einmal ansehen.Ich will jetzt nicht noch länger reden, ich möchte nur folgendes sagen. Herr Strauß, Sie suchen — leider auch mit dem, was Sie nun so plötzlich mit „Menschenrechten" versucht haben darzustellen —Widersprüche, und Sie konstruieren sogar Gegensätze zwischen unserem Bundeskanzler und den Verbündeten, z. B. mit dem, was Sie die Bürgerrechtsfrage nennen. Ich rate Ihnen, Herr Strauß: Gucken Sie sich einmal die „Deutsche Zeitung" vom 13. Mai 1977 an, die unter der Überschrift „Der Iran und die Menschenrechte, ein Gespräch mit dem stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Alfred Dregger" veröffentlicht hat.
Ich will Sie hier gar nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich habe das bekommen. Es hat mir einer, während Sie Ihre glorreiche Rede gehalten haben, auch noch die Hilfe gewährt, einige Stellen anzustreichen. Sie würden in Streit mit Herrn Dregger kommen oder würden sagen: „Na, was der Wehner sagt, ist sowieso schnurzpiepe." Laßt uns, Dregger und Strauß, doch wenn schon nicht Freunde, so doch Gleichgesinnte sein! — Nein, gucken Sie sich das mal an, mit wieviel Zungen sie — nicht Sie; Sie haben immer eine besondere, sondern diese Unionschwestern — uns gegenüber, dem Bundeskanzlergegenüber „sprechen", wenn man das sagen kann. Heute sagt man ja gern „artikulieren". In diesem Fall will ich auch einmal dieses Wort übernehmen, sowenig gern ich es nehme.Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie, daß ich Ihnen weniger über die Regierungserklärung gesagt habe; die haben Sie alle gehört, und die haben Sie. Herr Strauß hat sie ja gezeigt. Es sind einige hundert Exemplare, wie ich auf diese Weise nun mit Sicherheit weiß, die verteilt wurden. Dann beachten Sie, daß das gesprochene Wort gilt. Im übrigen danke ich Ihnen auch für die Geduld dafür, daß ich mich mit dem Redner der Opposition ein wenig befaßt habe.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff das Wort für die Fraktion der FDP.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für die Fraktion der Freien Demokraten begrüße ich das Ergebnis der Londoner Konferenzen, und zwar sowohl unter außen- wie unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten. Wir beglückwünschen die Bundesregierung zu diesem politischen Erfolg und beglückwünschen den Bundeskanzler zu diesem persönlichen politischen Erfolg.
Meine Damen und Herren, wir behaupten nicht etwa großspurig, London sei ein Erfolg der deutschen Außenpolitik; aber es ist ein Erfolg für die deutsche Außenpolitik, die unter ihrer maßgeblichen Mitwirkung zustande gekommen ist. Die Londoner Erklärungen — insbesondere zur NATO — klingen anders als früher. Sie klingen entschlossener, weniger halbherzig, und sie sind vor allem in der Sache sehr konkret. Wir wollen dies nicht mit dem Hinweis darauf abtun, daß Papier geduldig sei, weil dies nach unserer Überzeugung weder der Entschlossenheit des amerikanischen Präsidenten noch dem guten Willen unserer Partner im Bündnis gerecht werden könnte und würde.Es ist auch, wie wir alle wissen, keinesfalls bei Deklamationen geblieben. Ich sage nur einige Stichworte: Absprachen über Standardisierung der Waffen und über Rüstungskäufe; Zusage des amerikanischen Präsidenten, nicht nur die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der NATO, sondern auch mit der Europäischen Gemeinschaft zu pflegen; Zusage, eine gemeinsame Position für Belgrad zu erarbeiten; ein Hinweis auf die 80er Jahre und veränderte Verteidigungsbedürfnisse; schließlich weiteres gemeinsames Bemühen um Rüstungsabbau, wobei uns insbesondere im Schlußkommuniqué der Hinweis befriedigt, daß die Partner erneut ihr zentrales Ziel bekräftigen, nämlich die Herstellung eines ungefähren Gleichstandes der Landstreitkräfte in der Form einer übereinstimmenden kollektiven Gesamthöchststärke für den Personalbestand der Landstreitkräfte.Dies insgesamt scheint uns eine Stärkung der Position der NATO zu sein, wobei wir selbstverständlich wissen, daß viele ihrer Mitglieder Probleme haben, nicht zuletzt auch wirtschaftliche Probleme, die sich auf ihre Verteidigungsanstrengungen auswirken, und daß wir diese Probleme nicht alleine mit Resolutionen beseitigen können. Aber für die Freien Demokraten wiederhole und bekräftige ich hier, daß es nach unserer Überzeugung erfolgreiche Entspannungspolitik auch für die Bundesrepublik nur im Rahmen der Verankerung in Europa und in der Sicherheit des Atlantischen Bündnisses geben kann. Deshalb sind wir befriedigt darüber, daß unsere Bündnispartner unverändert zur Entspannungspolitik stehen.Vor allem sind wir aber darüber in hohem Maße befriedigt, daß alle NATO-Partner die Berlin-Resolution der drei Mächte und der Bundesrepublik so
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1839
Dr. Graf Lambsdorffvollständig angenommen haben. Diese Berlin-Resolution — die Kollegen Kohl und Marx von der Opposition haben nach unserer Überzeugung recht — ist deutlicher als zu früheren Zeiten ausgefallen, und wir begrüßen das. Mein Fraktionskollege Hoppe hat gestern für die Freien Demokraten festgestellt: Die Konferenz von London führt mit wünschenswerter Klarheit auf das Viermächteabkommen über Berlin zurück. Dem ist nichts hinzuzufügen außer der Feststellung, daß die Bundesregierung auf der Basis dieser Erklärung ihre konsequente Politik zur Sicherung der Freiheit Berlins fortsetzen kann und fortsetzen wird.Wir sind in der. Beurteilung der Londoner Konferenz mit der deutschen Öffentlichkeit einig. Selbstverständlich ist kritische Würdigung das Recht der Opposition, Herr Kollege Strauß, und in einem Punkte sind wir eher sogar noch etwas kritischer als Sie. Zwar begrüßen wir, daß in der Art und Weise, wie die Europäische Gemeinschaft an solchen europäischen Konferenzen beteiligt wird, nun langsam Fortschritte erzielt worden sind. Dennoch würde es uns, Herr Bundeskanzler, noch mehr zufriedenstellen, wenn der Präsident der Kommission in die Aktivitäten solcher Gipfeltreffen noch voller einbezogen würde. Wir wissen uns mit diesem Wunsche mit Ihnen völlig einig. Herr Kollege Strauß, hier besteht für Sie eine Chance, aktiv an einem Ziel mitzuarbeiten, das auch Sie — so sagen Sie jedenfalls — verfolgen, indem Sie Ihren neuen Freund oder Bruder im Geiste, den Bürgermeister von Paris, einmal auffordern, seinen Widerstand gegen eine solche Politik und die Einbeziehung der EG-Kommission in solche Arbeiten aufzugeben.
Ich will mich hier nicht über den anlaufenden französischen Wahlkampf äußern; aber es gibt einige Äußerungen Ihres Freundes, Herr Kollege Strauß, die schon Erstaunen bei uns ausgelöst haben. Ich meine inbesondere Äußerungen über ein künftiges direkt gewähltes Europäisches Parlament.Die Fraktion der FDP hat rechtzeitig, wie ich meine, vor übertriebenen Hoffnungen im Hinblick auf Ergebnisse der Londoner Konferenz gewarnt. Wir wollten solche Hoffnungen nicht züchten, um nicht die Gefahr von Enttäuschungen zu erleben. Wer sich noch einmal die Probleme ins Gedächtnis zurückruft, der weiß, daß dieser Perlenkranz von Problemen die Aussicht auf einen Erfolg von vornherein sehr minderte: die Energie- und besonders die Nuklearfrage, die Behandlung der Menschenrechte, die Ankurbelung der Weltwirtschaft, Nord-SüdProbleme in Hülle und Fülle und sozusagen überwölbende weltweite Beschäftigungsprobleme, Inflation in vielen Ländern und weitverbreitete Neigung zu handelspolitischem Protektionismus. Unter solchen Bedingungen können zwei Tage Konferenz nur erfolgreich verlaufen, wenn sie wirklich exzellent vorbereitet sind. Dies war der Fall, und die Bundesregierung hat einen guten Anteil an dieser erfolgreichen Vorbereitung.
Ich möchte in diesem Zusammenhang — erlauben Sie mir das bitte — zwei Namen nennen. In der Vorbereitung des wirtschafts- und finanzpolitischen Teils hat der Staatssekretär im Finanzministerium, Herr P o h 1, eine sehr erfreuliche und sehr wirksame Rolle gespielt. Der Besuch des Bundesaußenministers — um den zweiten Namen zu nennen — Hans-Dietrich Genscher schon vor einigen Wochen in Washington, die Art und Weise, wie er dort aufgetreten ist, nämlich Festigkeit gepaart mit Verbindlichkeit, hat bei unserem Partner auf der anderen Seite des Atlantiks einen hervorragenden Eindruck hinterlassen und ebenfalls dazu beigetragen, daß wir den Weg zur Londoner Konferenz reibungsloser zurücklegen konnten.
Ich finde gelegentlich in der deutschen Offentlichkeit und in der deutschen Presse Hinweise, man könne wohl das Amt eines Parteivorsitzenden und das Amt eines Bundesaußenministers nicht miteinander verbinden. Mir ist es allerdings schon recht, wenn beide Ämter so vorzüglich ausgefüllt werden, wie das hier der Fall ist. Dann soll es ruhig so bleiben.
Die London-Vorbereitung wurde natürlich auch noch dadurch erschwert, daß sie in die deutschamerikanischen bilateralen Beziehungen verwoben war und ist. Beidem, der weltweiten Zusammenarbeit und der Kooperation zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik, hat der neue amerikanische Präsident dankenswerterweise Auftrieb gegeben. Er hat die Führungsrolle der stärksten Macht des Westens deutlich gemacht. Seine Partner, einschließlich übrigens — dies sollte nicht unerwähnt bleiben — des französischen Staatspräsidenten Giscard, haben den Auftrieb voll aufgenommen, haben diese Impulse beantwortet und darauf reagiert.Dies heißt nicht, daß es etwa keine Meinungsverschiedenheiten und gerade keine bilateralen Meinungsverschiedenheiten mehr gäbe, mehr geben könnte, z. B. auf dem Gebiet der Energiepolitik. Die Vereinigten Staaten sind ein energiereiches Land, Europa ist im wesentlichen energiearm. Aber es ist völlig klargeworden und im Schlußdokument zum Ausdruck gebracht worden: Wir alle stehen zusammen für die Verwirklichung unserer Absichten, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Deswegen, meine Damen und Herren, halte ich dies für wichtig, weil es gefährlich gewesen wäre, wenn wir der Versuchung erlegen wären, uns gegenseitig falsche Motive für Beweggründe und für politische Aktionen zu unterstellen. Dies ist — auch mit Hilfe der Bundesregierung, auch mit Hilfe einer sehr klaren Aussprache zwischen den Partnern — vermieden worden.Das gilt auch für das Thema Menschen- oder Bürgerrechte. Es gibt doch keinen Unterschied in der qualitativen Bewertung von Menschenrechten zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland! Wer wollte dies ernsthaft behaupten! Ich halte es für schlichtweg unsinnig, wenn der
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1840 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Dr. Graf LambsdorffKollege Graf Huyn behauptet, und zwar nicht erst in „La Stampa", sondern unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Treffen von London, der Herr Bundeskanzler habe den amerikanischen Präsidenten in dieser Frage belehren wollen. Meine Frage an den Kollegen: War er denn überhaupt dabei? Allerdings eine kritische Bemerkung, Herr Bundeskanzler, an Sie: Sie schätzen das westliche Bündnis zu schwach ein, wenn Sie glauben, daß solche Bemerkungen des Abgeordneten Graf Huyn es spalten könnten, wie Sie vorhin mitgeteilt haben. Das kann er nicht. Aber es gibt selbstverständlich eine legitime Diskussion über die Frage: Wie und mit welchen Mitteln erreiche ich ein von allen bejahtes Ziel am besten? Oder anders: Wie praktiziere ich Menschenrechte so wirksam, daß nicht Deklamationen herauskommen, sondern daß menschliche Schicksale erleichtert werden? Diese Diskussion ist erlaubt und muß erlaubt sein.Vor einigen Tagen sagte mir ein amerikanischer Politiker: Wir wollen in erster Linie Betätigungsfreiheit für Dissidenten, ihr wollt in erster Linie Ausreisegenehmigungen. Solche simplifizierenden Feststellungen, meine Damen und Herren, verschieben natürlich immer etwas das Gesamtergebnis. Denn auch z. B. das Jackson-Amendment zum Trade Bill — wir wissen das — zielte auf Ausreisegenehmigungen. Leider, wie ich meine, mit einem Mißerfolg. Aber es gilt vor allen Dingen: Die gegenseitigen Positionen werden verstanden, und sie lassen sich auch in Übereinstimmung bringen. Ich bin davon überzeugt: spätestens in Belgrad werden wir dies erleben.Vordringlich war in London — deswegen ja auch die Bezeichnung Weltwirtschaftsgipfel — die Wirtschaftspolitik. Hier an dieser Stelle habe ich für die Fraktion der FDP — ich glaube, es ist schon im März gewesen — ausführen dürfen: Wir glaubten schon damals nicht mehr daran, daß die Aufforderung zur Ankurbelung der Weltwirtschaft mit Hilfe zusätzlicher Programme in London noch eine Rolle spielen würde. Nach der Korrektur, die Präsident Carter in den Vereinigten Staaten in seiner Konjunkturpolitik vor wenigen Wochen vorgenommen hatte, war anzunehmen, daß dieses Thema erledigt war. Richtig ist, daß wir das von uns selber angestrebte und für möglich gehaltene Ziel, Herr Kollege Strauß, von 5 % realem Zuwachs des Bruttosozialprodukts schaffen sollen. Wir werden uns bemühen. Ich bin der Überzeugung, wir werden das schaffen, wobei selbstverständlich jedermann wissen muß, daß eine Feinsteuerung einer Volkswirtschaft auf die Stellen hinter dem Komma absolute Illusion wäre. Dies ist nicht erreichbar. Aber ich denke, die weltwirtschaftliche Entwicklung trägt dazu bei — im übrigen auch die Entwicklung in den Vereinigten Staaten selbst; ich kann nur sagen: erfreulicherweise, amüsanterweise —, unser Ziel zu erreichen.Einige wichtige Voraussetzungen für unsere Entwicklung hier: Wir müssen unserer Wirtschaft die langfristigen Rahmenbedingungen schnell geben. Das heißt, wir müssen unsere steuerpolitischen, unsere energiepolitischen Entscheidungen treffen, und wir müssen das 16-Milliarden-DM-Infrastrukturprogramm — Herr Bundeskanzler, ich stimme Ihnen voll zu — schnell in Bewegung setzen.Dabei bleibt für uns wesentlich, daß das Ganze inflationsfrei betrieben wird. Meine Damen und Herren, in dem Kommuniqué von London findet sich der Satz — der Bundeskanzler hat ihn zitiert —; Inflation ist kein Heilmittel gegen Arbeitslosigkeit, sondern eine ihrer Hauptursachen. — Das steht erstmalig in einem internationalen Dokument dieser Güte, und dies ist ein Erfolg deutscher Politik, der Politik der Bundesregierung.Herr Kollege Strauß, es war schon eindrucksvoll — ich darf Ihnen das berichten —, daß gestern abend zu einem Essen zur Verabschiedung des deutschen Notenbankpräsidenten zwölf Zentralbankpräsidenten aus mit uns befreundeten Ländern kamen und das der Präsident des Federal Reserve Board der Vereinigten Staaten uns eine Stabilitätspolitik bescheinigte, die ein Vorbild und ein Maßstab für viele andere sei. Da hilft Ihre dauernde Entlastungsoffensive mit dem berechtigten Vorwurf, daß durch die Verhinderung der Aufwertung im Jahre 1972/73 struktureller Schaden entstanden ist, überhaupt nicht von den Tatsachen herunter.
Es gibt eine ganze Reihe weiterer höchst erfreulicher Ergebnisse: Handelsprotektionismus ist abgelehnt worden. Auch hier müssen wir unseren Respekt vor den nationalen Entscheidungen des Präsidenten Carter bekunden, der es abgelehnt hat, Importquoten für Farbfernseher und Schuhe einzuführen, und der damit das erste sichtbare Zeichen auch in seinem Lande gegeben hat, daß solche Maßnahmen nicht durchgeführt werden. — Die Gefahren, Herr Strauß — darin bin ich mit Ihnen völlig einig —, sind deswegen in diesem Bereich nicht vom Tisch. Es wird immer wieder Partner geben, die aus Schächeanfällen heraus den Versuch unternehmen, zu solchen Mitteln zu greifen. Aber wir haben erneut eine Bekundung der Entschlossenheit aller miteinander, uns solchen Anfängen entgegenzustellen.Ein weiteres erfreuliches Ergebnis bezüglich des Nord-Süd-Dialogs: Übereinstimmung, die deutlich die Handschrift der Europäischen Gemeinschaft —der Kommission — trägt. Jeder hier im Hause weiß, daß dies nicht zuletzt auf den Einfluß und auf die Mitwirkung der Bundesregierung zurückzuführen ist. Und auch dies muß unterstrichen werden: Erstmals hat ein solches Dokument das Comecon aufgefordert, sich dem realen Ressourcentransfer an die Entwicklungsländer endlich einmal mit mehr Wirkung ananzuschließen.
Ich begrüße es, daß der Bundesgeschäftsführer der SPD gestern oder vorgestern dasselbe in einem Vortrag in Moskau — d. h. an Ort und Stelle, dort, wo die Adresse für solche Bitten ist — noch einmal vorgebracht hat.
Und erstmals ist in einem solchen Dokument die Initiative des Bundesaußenministers, die er in der 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen im Jahre 1975 entwickelt hatte, aufgegriffen worden. Die Länder des Comecon sind aufgefordert
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1841
Dr. Graf Lambsdorffworden, auch ihre Märkte für die Produkte aus den Entwicklungsländern zu öffnen
und nicht uns allein die Last dieser Politik tragen zu lassen.Mit Recht, so meine ich, hat die deutsche Presse London als Erfolg der Bundesregierung und des Bundeskanzlers gewertet; mit Recht begrüßt die deutsche Industrie in einer Stellungnahme einhellig die Ergebnisse von London. Aber ebenso richtig, Herr Bundeskanzler, ist Ihre Bemerkung, daß eine Rezession nicht mit Papier überwunden wird. Zwei Dinge scheinen mir im Verfolg von. London besonders wichtig zu sein.Erstens. Im Rahmen der in London getroffenen Entscheidungen sollten wir und sollte die Bundesregierung Wert darauf legen, daß auch die so lange vernachlässigten — weniger politisch als wirtschaftlich und monetär vernachlässigten — Beziehungen zu Japan genauer in Augenschein genommen und genauer bearbeitet werden. Dies gilt auch — ich möchte das von dieser Stelle aus sagen — als Appell an die deutsche Wirtschaft, den japanischen Markt nicht mehr so sträflich zu vernachlässigen, wie das viele Jahre geschehen ist. — Ich freue mich übrigens darüber, daß die Haushaltsberatungen die Möglichkeit ergeben haben, der deutsch-japanischen Handelskammer in Tokio etwas mehr unter die Arme zu greifen, damit sie ihrerseits dieser Politik Hilfestellung geben kann.Die zweite Aufforderung ist für mich und meine Freunde: die deutschamerikanischen Beziehungen weiter ausbauen. Meine Damen und Herren, es hat sich hier sicherlich einiges geändert, und wir sollten darüber ruhig offen sprechen. Diese Beziehungen sind in den vergangenen Jahren sachlich und persönlich besonders eng gewesen — einschließlich einer zwar risikoreichen, aber für uns immer positiven emotionalen Komponente. Wir konnten nicht erwarten, daß dies immer und ewig so bleiben wird. Wir sind jetzt wieder, so scheint mir, ein geschätzter Partner der Vereinigten Staaten, aber einer unter anderen. Die Vereinigten Staaten von Amerika wissen, so glaube ich, daß die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik für ihre politischen Ziele und deren Erreichung unentbehrlich ist. Wir, so meine ich, wissen, daß die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten das Element unserer Existenz in Freiheit ist. Aus diesen Formulierungen ergibt sich auch die unterschiedliche Gewichtung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Die Rolle eines wichtigen Partners neben anderen zeigt, daß die Bundesregierung in den vergangenen Jahren gut daran getan hat, dem jahrelangen Drängen seitens der Vereinigten Staaten, seitens unserer Freunde in den Vereinigten Staaten, doch eine Führungsposition in Europa einzunehmen, nicht zu folgen. Wir wollen und wir können keine Prädominanz für uns in Europa beanspruchen. Andererseits wissen wir aber auch, daß die Zeiten, in denen die Bundesrepublik einen wirtschaftlichen Riesen und gleichzeitig einen politischen Zwerg darstellte, vorbei sind. Dies ist die Konsequenz einer jahrelangen Entwicklung in der Verbindung von Wirtschafts- und Außenpolitik. DerHerr Bundeskanzler hat dies gestern an dieser Stelle im Staatsakt für unseren verstorbenen Kollegen Professor Dr. Ludwig Erhard dem Sinne nach so formuliert, daß der bedeutendste außenpolitische Erfolg Ludwig Erhards seine erfolgreiche Wirtschaftspolitik gewesen ist. Wir haben es heute mit den Konsequenzen dieser Verbindung und dieser Erfolge, die parallel wie in kommunizierenden Röhren verlaufen, zu tun.Die Wahrnehmung dieser unserer gewachsenen politischen Verantwortung erfordert auch gegenüber den USA enge und bessere persönliche Beziehungen. Meine Damen und Herren, ich möchte hier an uns im Parlament appellieren: Wir brauchen bessere persönliche Beziehungen zum Kongreß der Vereinigten Staaten.
Wir wissen sehr genau, daß in dem dortigen System der Präsidialdemokratie der Kongreß über vieles entscheidet; man könnte auch sagen: Ohne ihn läuft nichts.
Es ist nicht damit getan — um es hier ganz deutlich zu sagen —, daß wir Delegationen austauschen. Es ist vielmehr erforderlich, daß wir intensiv, hartnäckig und systematisch Einzelkontakte erarbeiten. Ich glaube, daß dies eine Aufgabe ist, die den Bundestag — und zwar einschließlich der Oppositionsfraktion; dies ist nicht etwa allein eine Aufgabe der Koalitionsfraktionen — in der nächsten Zeit beschäftigen sollte. Wir müssen diesbezüglich zu Beschlüssen kommen.Ich fasse zusammen. Wir können das Ergebnis dieser drei Konferenzen nicht besser ausdrücken, als es im Schlußsatz des Kommuniqués über den Londoner Wirtschaftsgipfel formuliert wurde — ich bitte um die Erlaubnis des Herrn Präsidenten, dies zitieren zu dürfen —:Die Botschaft der Gipfelkonferenz in DowningStreet ist somit eine Botschaft des Vertrauens— in die unverminderte Kraft unserer Gesellschaften und in die bewährten demokratischen Grundsätze, die sie mit Leben erfüllen,— daß wir die Maßnahmen ergreifen, die zur Lösung der Probleme und zur Sicherung einer gedeihlicheren Zukunft erforderlich sind.Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland — dessen ist die Fraktion der FDP gewiß — wird ihren Teil dazu beitragen, diese Botschaft des Vertrauens Realität werden zu lassen. Die Bundesregierung kann sich dabei der Unterstützung durch die FDP-Fraktion dieses Hauses sicher sein.
MeineDamen und Herren, wir stehen damit am Ende der Aussprache.Ich rufe nunmehr die folgenden Tagesordnungspunkte auf:3. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
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1842 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhauseneines Gesetzes zur Zwanzigsten Rentenanpassung und zur Verbesserung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
— Drucksache 8/165 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/351 —Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/337 —Berichterstatter:Abgeordneter FrankeAbgeordneter GlombigAbgeordneter Schmidt
4. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der .gesetzlichen Krankenversicherung
— Drucksachen 8/166, 8/173 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/352 —Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu Sayn-WittgensteinHohensteinb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/338 —Berichterstatter:Abgeordneter FrankeAbgeordneter GlombigAbgeordneter Schmidt
5. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
— Drucksache 8/167 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 8/353 —Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinb) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 8/339 —Berichterstatter:.Abgeordneter FrankeAbgeordneter GlombigAbgeordneter Schmidt
Der Ältestenrat schlägt vor, die Aussprache über diese Gesetzentwürfe zu verbinden. Wegen der Beisetzung von Herrn Alterspräsidenten Professor Dr. Ludwig Erhard wird weiter vorgeschlagen, heute in zweiter Beratung nur die allgemeine Aussprache sowie die Einzelberatungen einschließlich der Begründung der Änderungsanträge und am Freitag die Abstimmungen sowie die dritten Beratungen vorzunehmen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch.Ich frage zunächst, ob einer der Herren Berichterstatter noch das Wort wünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern für die umfangreiche Arbeit und eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns eben darüber verständigt, daß wegen der vorgerückten Zeit zum Bericht keine Ergänzung gegeben werden soll. Ich habe die Kollegen davon verständigt, daß ich die Bemerkungen, die ich zum Bericht machen wollte, an den Anfang meiner Ausführungen setze. Ich erlaube mir daher mit Ihrer Genehmigung ein paar kurze Bemerkungen hierzu.In der Drucksache 8/338 — Entwurf eines Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes — heißt es auf dem Vorblatt unter Punkt D: Kosten: keine. Meine Damen und Herren, ich halte das für eine Irreführung der Öffentlichkeit. Als Mitberichterstatter habe ich das den Kollegen, die seinerzeit bei der Beratung dabei waren, auch gesagt. Hier wird ein falscher Eindruck erweckt. Sicherlich, dem Bund entstehen hier direkt keine Kosten. Bei einer so gigantischen Kostenverlagerung auf die Beitragszahler, die Länder und die Gemeinden kann man doch wohl aber Wert auf die Feststellung legen, daß zwar dem Bund keine Kosten entstehen, aber durch eben diese gigantische Verlagerung auf die Versicherungs- und sonstigen Kostenträger enorme Milliardensummen beigebracht werden müssen. Ich wollte das an den Anfang meiner Ausführungen stellen, um damit auch zu dokumentieren, daß es im Bericht nicht so ganz gelungen ist, die reine Wahrheit darzustellen.
Eine zweite Vorbemerkung. Die Beratungen standen unter einem unerträglichen Zeitdruck, und das ist ausschließlich Schuld der Koalition. Ich muß es noch einmal wiederholen: Bis zum 3. Oktober gab es für die Koalition und für den Bundeskanzler dieses Problem überhaupt nicht. Die Finanzierung der Rentenversicherung war für den Bundeskanzler nur ein Problemchen. Nach der Wahl war dann dieses
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1843
FrankeProblem das dickste Problem. Es i s t das dickste Problem, meine Damen und Herren!Nur: Die CDU/CSU wußte das schon seit langem. Sie hat seit dem Januar 1975 auf die sich abzeichnende Finanzmisere und das große Defizit in der Rentenversicherung hingewiesen. SPD und FDP haben den Bürger bis zum 3. Oktober an der Nase herumgeführt. Dann kam nach dem 3. Oktober das Hin und Her in der Koalition. Es ist ganz natürlich, daß es bei Sachfragen unterschiedliche Auffassungen gibt, die sowohl in einer Fraktion als auch in einer Koalition auf einen Nenner gebracht werden müssen. Aber da sich die Koalition vom 13. Dezember des letzten Jahres bis zum 17. März des laufenden Jahres nicht ganz einigen konnte und sich immer weitere Schwierigkeiten auftürmten, die aus dem Weg geräumt werden mußten, sind wir im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung unter einen unerträglichen Zeitdruck gekommen. Es hätte auch nichts geholfen, wenn man eine Stunde länger angesetzt hätte; es gab im Grunde genommen nur drei Beratungstage für die Einzelberatung des hier vorgelegten Komplexes. Es ist Schuld der Bundesregierung und Schuld von SPD und FDP, daß hier nicht sorgfältig beraten werden konnte.Die Bundesregierung geht bei ihren Annahmen über die Finanzierung dieses — wie sie es nennt — Rentensanierungspakets davon aus, daß sich z. B. in bezug auf das Entgelt und die Beschäftigtenzahlen ganz bestimmten Zahlengrößen einstellen. So ist es jedenfalls im Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetz und im Zwanzigsten Rentenanpassungsbericht zu lesen. Die Bundesregierung geht z. B. davon aus, daß die Löhne und Gehälter 1977 um 7,5 % steigen, daß die Zahl der Arbeitslosen im Jahre 1977 auf 850 000 zurückgeht. Heute steht fest: Die Arbeitslosenzahl wird jahresdurchschnittlich etwa 950 000 betragen. Leider ist das der Fall.Das bedeutet einerseits Mehrausgaben in der Arbeitslosenversicherung, andererseits Minderausgaben in der Rentenversicherung gegenüber den Regierungsvorstellungen von rund 1 Milliarde DM, wenn sich die Zahl der Arbeitslosen jahresdurchschnittlich um 100 000 gegenüber den Regierungsvorstellungen vergrößert.
Steigt die Arbeitslosenzahl über 950 000 hinaus, wie viele Sachverständige befürchten, auf durchschnittlich 1 Million im Jahre 1977, dann „wächst" die jährliche Mindereinnahme bei den Rentenversicherungsträgern schnell auf 2 Milliarden DM. Diese Zahl von 2 Milliarden DM habe ich mir vor einigen Tagen notiert, bevor Herr Hoffmann, der Präsident der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin, laut „Handelsblatt" vom 4. Mai — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren — hier in Bonn eine Pressekonferenz gab. Herr Hoffmann sagte folgendes. Wollte man die Renteneinnahmen bei den Rentenversicherungsträgern jahresdurchschnittlich um 6,5 % erhöhen, müßte für den Rest des Jahres unter Berücksichtigung der Tatsache, daß in den ersten drei Monaten eine Steigerung von lediglich 0,8 % zu verzeichnengewesen sei, eine Steigerung der Renteneinnahmen um 8,4 % herbeigeführt werden, um die tatsächlichen Verhältnisse in Einnahmen und Ausgaben mit den Annahmen der Bundesregierung in Übereinstimmung zu bringen.Die Zeit geht schnell weiter. Ich glaube, die Aussagen von Herrn Hoffmann sind auch schon wieder überholt. Ich habe hier mit dem Datum vom 11. Mai eine dpa-Meldung über die Kundgebung und Tagung des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger in Hamburg. Danach schreibt Gerd Muhr, der Verbandsvorsitzende, der — nebenbei gesagt, um die Autorität der Aussage hier noch besonders zu unterstreichen — im Hauptberuf stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist, die Zahlen, die Herr Hoffmann auf den Tisch gelegt hat, weiter fort. Herr Muhr sagte — er hatte inzwischen die vom 4. auf den 11. Mai fortgeschriebenen Zahlen der Einnahmen bei den Rentenversicherungsträgern —: Wir müssen in den folgenden Monaten dieses Jahres sogar eine Steigerung von 8,9 % erreichen, um die Annahmen der Bundesregierung Wirklichkeit werden zu lassen.Das heißt, die Annahmen der Bundesregierung sind in der Tat auf Sand gebaut. Sie sind zu den Zeitpunkten, da wir sie in zweiter und dritter Lesung verabschieden — heute und morgen —, längst überholt. Sie treffen überhaupt nicht mehr zu.
Ich habe die Gegenäußerung des Bundesarbeitsministers oder des Ministeriums — ich will mich da nicht festlegen. Ich glaube, er hat in Hamburg auf diese Zahlen Bezug genommen. Ich nehme Sie jetzt nicht unmittelbar beim Wort, Herr Ehrenberg, aber Sie könnten es gesagt haben, und so unterstellen wir einmal, daß Sie es auch gesagt haben.
Zumindest das Bundesarbeitsministerium sagt: Die ersten drei Monate eines Jahres sind nicht repräsentativ für die Einnahmen des ganzen Jahres. Ich will Ihnen da nicht widersprechen. Nur, für Sie ist das doch nur ein Strohhälmchen, um im Bild zu bleiben.
Sie wissen ganz genau, daß diese gewaltigen Steigerungen im Verlaufe des Jahres, die mit einem verstärkten Rückgang der Arbeitslosenzahlen verbunden Wären, auf gar keinen Fall eintreffen. Sie können dies nicht wieder zum Problemchen herunterspielen, Herr Ehrenberg, sondern das ist in der Tat ein riesengroßes Problem. Auch wenn die ersten drei Monate nicht repräsentativ sind, die Gesamttendenz ist so, daß die Fachleute, leider die Fachleute, und nicht Sie recht behalten werden, daß die Einnahmen in diesem Jahre auf gar keinen Fall mit dem übereinstimmen, was Sie in diesem Gesetzentwurf angenommen haben.
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1844 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
FrankeHerr Ehrenberg, Sie haben an der Sachverständigenanhörung, die wir an drei Tagen Mitte April abgehalten haben, nicht teilgenommen. Ich unterstelle, daß Sie alles das, was die Sachverständigen dort gesagt haben, nachgelesen haben. Da wird Ihnen zu- mindest die Passage über viele Seiten hinweg nicht unbekannt geblieben sein, wo alle Sachverständigen, die dort waren, Ihre wirtschaftlichen Grundannahmen als im Grunde genommen überhaupt nicht seriös bzw. als nicht gegeben ansehen. Schon am 20., 21. und 22. April war klar, daß das, worüber wir dort beraten haben, für die Sachverständigen überhaupt keine seriöse und solide Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland ist. Damit werden die Einnahmen der Rentenversicherungsträger ein riesengroßes Loch aufweisen. Es wird sich Ende dieses Jahres bei den Rentenversicherungsträgern ein riesengroßes Loch auftun.Meine Damen und Herren, was heißt das? Für den, der sich mit der Frage beschäftigt, heißt das, daß das, was wir hier unter dem großen Namen Sanierung der Rentenversicherung betreiben, auf Sand gebaut ist, daß wir uns in diesem und im nächsten Jahre schon wieder mit weiteren Sanierungsmaßnahmen — und was heißt hier „Sanierung" ? —, mit Rentenkürzungen und ähnlichen Dingen beschäftigen müssen, denn es ist leider anzunehmen — ich wiederhole es, Herr Ehrenberg —, daß die Sachverständigen recht behalten und nicht Sie.Wenn man untermauern will, warum man glauben muß, daß die Sachverständigen leider recht behalten und nicht Sie, dann darf ich nur einmal an eine Propagandaübersicht, diese berühmte Kiste, erinnern.
— Ja, da ist noch ein anderes Foto drauf.
Da schreibt der inzwischen wegen dieser Schwierigkeiten zurückgetretene oder zurückgetreten wordene Bundesarbeitsminister Walter Arendt:Die Politik der sozialliberalen Koalition ist darauf ausgerichtet, mehr soziale Sicherheit und Gerechtigkeit zu schaffen.Und dann heißt es im letzten Satz:Diese Bilanz macht es deutlich: Unsere Politik kennt keinen Stillstand.Völlig richtig, nur geht es bei Ihnen nach unten,
bei Ihnen geht es abwärts. Die Politik, die Sie im Sozialbereich, im Wirtschaftsbereich betreiben, kennt keinen Stillstand. Das ist völlig richtig, es geht abwärts. Insoweit hat Walter Arendt recht behalten: kein Stillstand, es geht abwärts.Herr Ehrenberg, ich habe mir von einigen Kollegen auch wieder etwas geben lassen, was Sie im Laufe der Zeit, auch in jüngster Zeit gesagt haben. Das liegt im Grunde genommen auf der gleichen Ebene wie das, was hier geschrieben steht. Das war kurz vor der Wahl als Propagandaschrift herausgegeben worden. Was Sie in den vergangenen Wodien und Monaten gesagt haben, entspricht dieser Tendenz, entspricht dieser leider immer von Fehlprognosen strotzenden Annahme der Sozialdemokraten.Die Risiken sind groß, natürlich, das weiß jeder, der sich mit der Materie beschäftigt und haargenau voraussagen soll, wie die wirtschaftliche Entwicklung sein wird. Niemand kann genau sagen, .wie sich in den nächsten Jahren die Konjunktur entwickeln wird. Die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die am 25. April ein Gutachten abgegeben haben, rechnen für das Jahr 1977 eher mit einer Abflachung des Anstiegs des Bruttosozialprodukts: statt 6,1 v. H. im letzten Jahr 5 v. H. für dieses Jahr. Dieser mangelnde Anstieg schlägt dann auf den Arbeitsmarkt durch und bewirkt höhere Arbeitslosigkeit. Das ist die Ursache für jene Zahlen, die ich gerade genannt habe.Um Ihnen zu zeigen, daß erhebliche Zweifel daran bestehen, daß Ihre Annahmen richtig sind, besteht außerdem noch die Möglichkeit, das Gutachten des Sozialbeirates zu erwähnen. Der Sozialbeirat kommt in seiner Stellungnahme, die er im Februar abgegeben hat, im Grunde genommen zu dem gleichen Ergebnis. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang auch die Frage der inneren Konsistenz der Annahmen. Mehrere Beiratsmitglieder bezweifeln, ob die Entgeltsteigerungsannahme von 7,5 v. H. jährlich mit der Annahme über die Beschäftigungsentwicklung in der gleichen Rechnung, d. h. mit dem wirtschaftspolitischen Ziel vereinbar ist,
durch eine Belebung der Investitionen die Beschäftigungslage zu verbessern und zugleich die Preissteigerungen weiter zu reduzieren; angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre spricht nach ihrer Meinung— der Meinung der Sachverständigen im Sozialbeirat —manches dafür, daß höhere Entgeltsteigerungen sowohl kürzer- wie längerfristig mit ungünstigerer Beschäftigungsentwicklung verbunden sein werden. Dies gilt insbesondere für den über 1980 hinausgehenden Zeitraum, in dem die Fortsetzung des wirtschaftlichen Wachstums im bisherigen Umfang unsicherer ist.Das heißt also, die kurzfristige Prognose Ist unsicher, die mittelfristige Prognose ist unsicher, und die langfristige Perspektive ist düster, weil — dies füge ich hinzu; das können die Sachverständigen im Sozialbeirat nicht in ihr Gutachten schreiben — Sozialdemokraten mit Hilfe der Freien Demokraten am Ruder sind. Deshalb ist die Zukunft düster, meine Damen und Herren.
Weitere Unsicherheiten ergeben sich auch nach Auffassung des Sozialbeirates über — ich zitiere — „die Entwicklung der Rentenzugangshäufigkeit und der sich daraus ergebenden Beitragsnachentrichtungen"
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1845
Frankesowie der sich daraus wiederum ergebenden zusätzlichen Rentenausgaben. Das bedeutet für die Rentenversicherung, um die Zahlen noch einmal zu nennen: 200 000 Arbeitslose zahlen 1 Milliarde DM weniger in die Kasse der Rentenversicherung.Zur Bewältigung dieses Problems ist es auch keine große Hilfe, daß die Bundesanstalt für Arbeit Beiträge an die Rentenversicherung für Ausfallzeiten von Arbeitslosen zahlt. Wird die Bundesanstalt infolge höherer Arbeitslosigkeit finanziell mehr belastet, müssen eben dort die Beiträge erhöht werden. Hier kann man also nicht eine ohnehin leere Tasche noch mit zusätzlicher Geldentnahme belasten.Der Beweis für diese skeptischen Annahmen ist — Gott sei es geklagt — schon angetreten. Arbeitslosigkeit und niedrige Lohnentwicklung schlagen auf die Beitragsentwicklung in der Rentenversicherung durch. Ich habe soeben schon gesagt, .daß die BfA in den ersten Monaten für die Rentenversicherungsträger insgesamt festgestellt hat, daß die Zahlen, die die Bundesregierung aufstellt, nicht stimmten. Gerd Muhr — ich wiederhole noch einmal — kommt zu noch düstereren Zahlen, als sie uns der Präsident der Bundesversicherungsanstalt in Berlin in den letzten Tagen in Bonn auf den Tisch gelegt hat.
— Was die Parteizugehörigkeit dieses sachverständigen Mannes, des stellvertretenden Bundesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes und im Augenblick des Vorsitzenden des Verbandes der Rentenversicherungsträger betrifft, ist er, wenn ich midi richtig erinnere — ich will ihm nicht zu nahe treten; vielleicht tue ich das bei der Stimmungslage, in der sich die Sozialdemokraten gegenwärtig befinden — Mitglied der sozialdemokratischen Partei.
Nach dem 20. Rentenanpassungsgesetz und dem 9. Gesetz über die Erhöhung der Kriegsopferrenten
— das stand nicht hier auf meinem Notizzettel; das habe ich auf eine Zwischenfrage geantwortet — werden die Renten aus der Rentenversicherung und in der Kriegsopferversorgung ab 1. Juli 1977 um 9,9 % erhöht.
Die CDU/CSU ist froh, daß es ihr, zusammen mitden Bürgern unseres Landes, gelungen ist, den An-schlag, den die Regierung vorhatte, zu verhindern,
nämlich die versprochene Rentenanpassung zum 1. Juli 1977 nicht vorzunehmen. Das hat zu einer tiefen Vertrauenskrise zwischen den Bürgern unseres Landes und der Bundesregierung geführt. Ich glaube sogar, das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Aussagen der politischen Parteien ist durchIhre Schuld in ganz erheblichem Maße erschüttert worden.
Ich glaube, meine Damen und Herren, wir alle können über dieses Echo, das uns von draußen entgegenschlug, nicht verwundert sein, da Diätenerhöhung und Rentenkürzung - die Termine haben Sie gewählt — zur gleichen Zeit zur Debatte standen. Das ist ein Spiel, das man so nicht spielen kann, wie Sie in der SPD und der FDP es gespielt haben
Ich darf hier mit Genehmigung des Präsidenten ein Wort von Ludwig Erhard — und wir diskutieren an dem Tage, an dem er beigesetzt wird — aus der Rede zitieren, die er am 14. Dezember vergangenen Jahres als Alterspräsident dieses Hauses hier gehalten hat. Es geht um das, was ich vorhin gesagt habe, daß die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Regierenden durch Ihre Handlungsweise erheblich erschüttert worden ist:Wir rangen in diesem Hause um eine reifere politische und freiheitliche Wirtschafts- und Sozialordnung, und unsere Arbeit daran wird gewiß nicht aufhören. Aber wir wissen zugleich, daß die Ordnung, die wir uns, auf dem Grundgesetz aufbauend, gegeben haben, ein festgefegtes Fundament unseres Staatswesens ist.Alle,— so sagt Ludwig Erhard —die Verantwortung tragen, sollten sich allerdings immer bewußt sein, daß nicht so sehr fragwürdige Prognosen, sondern vielmehr die Wahrheit und Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen die Gemütslage und das Tun eines Volkes beeinflussen.Wie recht hat Ludwig Erhard gehabt, insbesondere vor dem Hintergrund dieses makaberen Vorgangs, über den ich gerade gesprochen habe.Zuviel Staat, zuviel Skepsis kann zur Sepsis werden und lähmt uns, auch wenn sie in der Kutte eines grauen Realismus oder eines überzeugungsängstlichen Pragmatismus auftritt.
Daß wir jetzt über Beitragsbelastungen reden müssen, ist ausschließlich Schuld von SPD und FDP.
Sie, SPD und FDP, haben jahrelang geleugnet, daß es im Bereich der Rentenversicherung und Krankenversicherung finanzielle Schwierigkeiten gibt. Sie haben alle Angebote der CDU/CSU-Fraktion, schon frühzeitig Überlegungen anzustellen, als Schwarzmalerei abgetan. Hätten Sie, SPD und FDP, auf uns gehört, wären die Belastungen für unsere Bürger nicht so hoch ausgefallen, wie sie jetzt ausfallen müssen. Der Sanierungszeitraum für die Sanierung
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1846 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Frankeder Renten- und Krankenversicherung hätte um zwei Jahre länger sein können, und die Einzelbelastung wäre wesentlich geringer gewesen.
Ich wiederhole noch einmal: Bis zum 3. Oktober haben Sie die Existenz dieser Probleme geleugnet. Wir haben vielfach darauf hingewiesen und angeboten, an der Lösung dieser Fragen mitzuarbeiten. Sie haben sie geleugnet. Wenn jetzt diese Belastungen auf unsere Bürger zukommen, dann ist das ausschließlich Ihre Schuld, weil Sie den Mut vor dem 3. Oktober nicht gehabt haben.
Wir wollten auch unpopuläre Maßnahmen mittragen, und wir tragen sie auch mit, obwohl die Regierung allein die Verantwortung für die Rentenmisere trägt. Wir werden für das Mittragen oder für das Vorschlagen von Maßnahmen hin und wieder gescholten, auch in unseren eigenen Reihen. Wir bitten die Bürger, die das tun, um Verständnis. Mit den Vorschlägen, die wir auf den Tisch gelegt haben, nachdem die Regierung jahrelang die Existenz dieser Probleme geleugnet hat, wollen wir verhindern, daß SPD und FDP ordnungspolitisch unsaubere und die bruttolohnbezogene dynamische Rente ändernde Vorstellungen verwirklichen. Das erfordert sozial ausgewogene Entwürfe. Wir haben sie im März 1977 diesem Haus auf den Tisch gelegt.Die Bundesregierung geht bei ihren Berechnungen des Defizits bis 1980 von einer Summe von ca. 83 Milliarden DM aus. Das heißt, nach einer Unterstellung der Bundesregierung fehlen von heute bis 1980 in der Renten- und Krankenversicherung fast 83 Milliarden DM.
In der finanziellen Ubersicht belegt sie diese Summe. Bei den gesetzlichen Maßnahmen verweist sie auf eventuell notwendige Initiativen im 21. Rentenanpassungsgesetz.
Auch hier findet wieder eine Täuschung der Bürger statt. Auf der einen Seite sagt die Bundesregierung und weist in ihrem Zahlenspiel aus, daß 83 Milliarden DM fehlen; auf der anderen Seite sagt sie, da werde sie später die gesetzlichen Maßnahmen durchführen. Sogar — das erwähne ich nicht gern; aber es muß einmal gesagt werden — der leitende Beamte des Sozialministeriums, Ministerialdirektor Schewe, leugnet, daß das überhaupt im Entwurf der Regierung steht. Ich halte es für ungeheuerlich, daß der leitende Beamte dieses Ministeriums das entweder nicht weiß oder im Ausschuß nicht ganz die Wahrheit über das sagt, was in dem Entwurf steht.
Das ist nicht ganz aufrichtig. Aber das sind wir bei dieser Regierung gewohnt.Abgesehen davon, daß die Regierung hier Zahlen entweder falsch oder nicht ganz deutlich angibt oder daß sie zwar Zahlen nennt, aber keine Maßnahmen andeutet, geht die Regierung in ihren Maßnahmen einen falschen Weg. Sie finanziert das riesengroße Loch in der Rentenversicherung unter anderem durch eine gigantische Finanzverschiebung. Sie reduziert den Krankenversicherungskostenanteil der Rentenversicherung von 17 auf 11 % der Rentenausgaben.Die bloßen Zahlen sprechen für den Uninformierten vielleicht eine nicht ganz so deutliche Sprache. Diese Absicht der Bundesregierung bedeutet, daß die Träger der Krankenversicherung die Summe, die hier verlagert wird, letztlich durch eine Erhöhung ihrer Beiträge werden beitreiben müssen.
Warum nimmt die Bundesregierung diese Verlagerung vor? Dazu bedarf es keiner gesetzlichen Initiative. Denn die Selbstverwaltungsorgane sind gezwungen, Einnahmen und Ausgaben in Übereinstimmung zu bringen. Das bedeutet: Diese Bundesregierung hat nicht einmal den Mut, einzugestehen, daß die Mittel zur Füllung dieses Lochs beigetrieben werden müssen, sondern sie verlagert das auf die Selbstverwaltungsorgane der Krankenkassen. Das ist unaufrichtig.
— Ich habe Ihren Zwischenruf, verehrter neuer Kollege, nicht verstanden. Ich glaube, zu Ihren Gunsten ist es gut, daß ich ihn nicht verstanden habe.
Die Sachverständigen schätzen die Erhöhung, die durch die Verlagerung auf die Krankenversicherung entsteht, auf 1,2 bis 1,6 Beitragsprozentpunkte. Das bedeutet eine Erhöhung des jetzigen Krankenversicherungsbeitrags um etwa 12 bis 13 °/o, die je zur Hälfte von den Arbeitgebern und von den Arbeitnehmern zu bezahlen ist.Weiter schlägt die Regierung vor, falls notwendig — wie sie sagt — in den Jahren 1979 und 1980 und künftig die Renten an die Nettogehälter oder Ähnliches anzupassen. Dabei geht sie, ohne Unterschiede zu machen, an hohe wie auch kleine Renten ran. Auch die kleinen Renten der Witwen werden hiervon betroffen.Wir von der CDU/CSU gehen einen ganz anderen Weg. Wir schlagen eine ganz andere Lösung vor. Für uns sind die Renteneinkommen nicht gleich Renteneinkommen.
Ein großer Teil unserer Mitbürger hat geringe Alterseinkommen. Andere — nicht wenige — Mitbürger haben höhere Alterseinkommen. Diese unterschiedlichen Auswirkungen sind in der Gesetzgebung zum Rentenrecht gewollt. Ich verweise auf das, was ich zu diesem Punkt in der ersten Lesung gesagt habe. Aber bei der finanziellen Belastung unserer ältereren Bürger muß ich doch Unterschiede machen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1843
FrankeIch kann kleine Renteneinkommen doch nicht genauso belasten wie ein hohes Renteneinkommen. Die Bundesregierung schert alle über einen Kamm, die Witwe, die noch ergänzend Sozialhilfe erhält, wie die Rentenbezieher mit hohem Renteneinkommen.
Herr Abgeordneter Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte.
Herr Kollege Franke, wären Sie so freundlich, uns einmal sachkundig zu machen, wo in dem heute zur Verhandlung stehenden Gesetzentwurf eine solche Anpassung, wie Sie sie darstellen, niedergelegt ist, und wären Sie auch so freundlich zu bestätigen, daß die CDU/CSU nach Ihren Ausführungen wohl nicht mehr für die Rückführung der Zahlungen an die Krankenversicherung von 17% auf 11 % ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Hölscher, Sie haben zwei Fragen gestellt. Die erste Frage ist jene: Wo steht das in dem Gesetzentwurf? Ich mußte Ihnen schon während der Ausschußsitzungen unterstellen, daß Sie wahrscheinlich die finanzielle Übersicht der Regierungsvorlage auch nicht gelesen haben. Ich verweise auf die Drucksache 8/165. In der finanziellen Übersicht ist angegeben, daß durch die Veränderung der Bruttodynamik der Renteneinkommen bei den Rentenversicherungsträgern Minderausgaben von 20,3 Milliarden DM erzielt werden, damit die finanzielle Lage der Rentenversicherung entsprechend verbessert wird. Können Sie mir eigentlich sagen, was das zu bedeuten hat? Wenn dieser Betrag in der finanziellen Übersicht der Regierungsvorlage ausgewiesen ist, muß ich doch von einer soliden und seriösen Bundesregierung — die diese mit Sicherheit nicht ist, die Sie aber mit tragen —
erwarten, daß sie dann auch die erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen ergreift. Die gesetzlichen Maßnahmen in diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung aber noch nicht einmal angekündigt; sie hat nur gesagt, sie mache das im Rahmen des 21. Rentenanpassungsgesetzes.
Verehrter Herr Kollege Hölscher, durch die Nichtanwendung des § 393 a der Reichsversicherungsordnung, durch den Verzicht auf den Erlaß der in dieser Vorschrift vorgesehenen Rechtsverordnung hat die Bundesregierung selbst die Schuld auf sich geladen, daß in den vergangenen Jahren eine Überzahlung der Rentenversicherungsträger an die Krankenversicherung erfolgte. Jetzt bleibt das Geld dort; es ist auch unsere Meinung, daß es dort bleiben soll. Nur, künftig wollen wir einen ganz anderen Weg als den gehen, den die Bundesregierung jetzt plant. Wir verfallen nicht in den Fehler, den Sie gemacht haben, dem gesetzlichen Befehl nicht nachzukommen. Wir begehen allerdings auch nicht den Fehler, durch die Zurücknahme jetzt wieder ein riesengroßes Loch aufzureißen. Mit unseren Vorschlägen weisen wir vielmehr einen anderen Weg in die Zukunft.
— Ich will Ihre Zwischenfrage gerne beantworten. Aber lassen Sie mich das vorher noch einmal darlegen.
Die Bundesregierung schert also alle Rentner über einen Kamm. Sie nimmt der Witwe mit z. B. 350 DM Monatsrente prozentual genausoviel weg wie dem Rentner, der 2 000 DM und mehr Alterseinkommen erhält. Wir stellen Rentner, die z. B. 1979 weniger als 656 DM haben, vom Krankenversicherungsbeitrag frei. Ich wiederhole: Diese Bundesregierung, d. h. auch Sie, SPD und FDP, die die Beschlüsse im Ausschuß gefaßt haben, scheren alle Rentner über einen Kamm. Im Falle der Anwendung der Nettoanpassung muß die Witwe mit 350 DM ebenso mit weniger Renteneinkommen zufrieden sein wie der Rentner mit hohem Renteneinkommen. Das halten wir für unsozial.
Wir schlagen daher vor, einen Freibetrag vorzusehen. Der betrüge 1979 656 DM. Über diesen Zeitraum reden wir; denn die Bundesregierung will die Nettoanpassung und Teilaktualisierung ab 1979 verwirklichen. Für diesen vergleichbaren Zeitraum würden wir die Rentner mit einem Alterseinkommen von bis zu 656 DM freistellen. Erst ab diesem Betrag würde der von uns vorgeschlagene Krankenversicherungsbeitrag der Rentner Platz greifen.
Herr Abgeordneter Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf eben noch dieses Kapitel abhandeln, Herr Kollege Schmidt. Dann bin ich bereit, Ihre und die Frage des Herrn Hölscher zu beantworten.
— Ich benutze das Instrument der Zwischenfrage auch sehr gerne, um die Gesamtdarstellung des Redners zu unterbrechen. Dieses Instrument hat natürlich eine ganz bestimmte Wirkung. Nur, da ich weiß, daß man diese Wirkung mit Zwischenfragen erzielen kann, lasse ich diese Unterbrechung jetzt nicht zu.
Zirka 2 Millionen Rentner werden nach unserer Vorstellung überhaupt nicht belastet, werden von der Zahlung eines Krankenversicherungsbeitrags freigestellt. Bei der Nettoanpassung nach den Absichten der Bundesregierung und nach den Maßnahmen, die SPD und FDP zu beschließen angekündigt haben, würden diese 2 Millionen ebenfalls negativ in ihrem Renteneinkommen getroffen. Ich wiederhole: das ist unsozial. Wir wollen das nicht mitmachen. Die Vorschläge von SPD und FDP richten sich ohne Rücksicht auf Verluste auch gegen Rentenbezieher —
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1848 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Frankeich wiederhole das — mit kleinen Renteneinkommen.Nun, Herr Kollege Schmidt, bitte.
Herr Kollege Franke, würden Sie mir zustimmen, daß die Witwe mit 350 DM, von der Sie soeben gesprochen haben, nur eine Witwenrente aus einem Rentenanspruch hat, dem nicht ein Leben mit 35 bis 45 Versicherungsjahren zugrunde liegt, so daß also nicht die Solidaritätsgrundlage vorhanden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber, verehrter Herr Kollege Schmidt, das begegnet Ihnen doch täglich. Sehen Sie sich einmal die Rentnerstatistik an. Es gibt viele Rentnerinnen bzw. Witwen, die ausschließlich von Beträgen dieser Größenordnung leben müssen, ohne daneben zusätzliche Einkommen zu haben. Das ist doch der entscheidende Punkt.
Nach unserem Beispiel werden diese Witwen oder Rentenbezieher nicht betroffen; denn wir knüpfen die Freigrenze von 656 DM an eine 25jährige Vorversicherungszeit. Man kann also davon ausgehen, daß das ausschließliche Alterseinkommen Renteneinkommen als solches ist.
Herr Abgeordneten Franke, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ? — Bitte.
Herr Kollege, würden Sie zustimmen, daß in diesen Fällen, die Sie angesprochen haben und die zweifellos problematisch sind, der zugrundeliegende Rentenanspruch nicht ein solcher ist, der sich auf Beitragszeiten während eines vollen Arbeitslebens gründet, und daß diese Fälle auf Grund der Entscheidung des Deutschen Bundestages im Rahmen des Anspruchs auf Sozialhilfe abgesichert sind und daß wir bei der Klärung der Rentenversicherungsfragen von demjenigen ausgehen müssen, der in der Solidargemeinschaft der Rentenversicherung echt tätig war?
Herr Kollege Schmidt, die Zwischenfrage war sehr lang.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, Sie liefern mir das nächste Stichwort.
Ich kann es gar nicht verstehen, daß Sie so unklug sind. Wir haben uns in der ersten Lesung und in der Beratung im Ausschuß und auch bei der Sachverständigenanhörung doch wirklich den Kopf darüber zerbrochen, wie die Verlagerung auf die Sozialhilfe zu verhindern ist. Sie haben immer geleugnet, daß das Ihre Absicht sei. Aus Ihrer Zwischen-
frage, die entlarvend war, ergibt sich dies doch eindeutig als Ihre Absicht.
Herr Abgeordneter Franke, wollen Sie weitere Zwischenfragen beantworten? Ich habe noch zwei Fragesteller, den Herrn Abgeordneten Cronenberg und den Herrn Abgeordneten Urbaniak.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte mich zunächst noch weiter mit der Zwischenfrage des Kollegen Schmidt, für die ich dankbar bin, auseinandersetzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein Weiteres sagen. Die Träger der Sozialhilfe — das sind die Kommunen — haben bei der Sachverständigenanhörung auf die Gefahr hingewiesen, die sich ergibt, wenn wir in dieser Art Rentenkürzungen vornehmen; sie haben darauf hingewiesen, daß sich für die Träger der Sozialhilfe zusätzliche Belastungen in Höhe von zwei bis vier Milliarden DM ergeben. Dies sind die nackten Zahlen. Aber, Herr Kollege Schmidt, was verbindet sich denn außerdem noch damit? Wir halten es für unerträglich, nach einem erfüllten Arbeitsleben bei 40 Beitragsjahren oder etwas weniger bei niedriger Rente einer Witwe zuzumuten, den Rest ihres Lebensunterhalts in der Sozialhilfe zu suchen.
Das verträgt sich nicht mit unserer Philosophie und mit den sich aus dieser Philosophie ergebenden Handlungen, wie wir sie 1956 und 1957 bei der Rentengesetzgebung vorgenommen haben. Wir wollten alle am Arbeitsleben Beteiligten, die über langjährige Beitragszahlungen verfügen, in den Stand versetzen, mit dem Erreichten einen würdigen Lebensabend zu verbringen, und wir wollen sie nicht vor den Sozialämtern Schlange stehen lassen, um sich den Rest ihres Lebensunterhalts dort zu holen oder holen zu lassen.
Herr Abgeordneter Franke, wollen Sie noch die Zwischenfragen zulassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin immer noch bei der Beantwortung der Zwischenfrage des Kollegen Schmidt, die er mir dankenswerterweise gestellt hat.
Dann
werden wir möglicherweise mit der Zeit in Schwierigkeit kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich hoffe auf Ihre Großzügigkeit, daß mir ein Teil der Zeit, die ich für die Beantwortung der Zwischenfrage verbraucht habe, bei meiner Gesamtredezeit angerechnet wird.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1849
Herr Kollege Franke, soweit das bisher der Fall gewesen ist, wird das geschehen; aber im Hinblick auf den Gesamtzeitablauf sollten Sie es sich überlegen, ob Sie noch weitere Zwischenfragen zulassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich nehme die Mahnung gerne an. Ich möchte mir nur nicht vorwerfen lassen, wie das einer der Kollegen von der linken Seite soeben getan hat, als ich die Zwischenfrage etwas aufschob, ich hätte Angst vor Zwischenfragen und könnte sie insbesondere nicht beantworten. Ich bin dankbar für Zwischenfragen. Ich wiederhole es noch einmal: Manchmal lebe ich geradezu davon.
— Aber natürlich, das ist doch eine Debatte. Warum haben wir die Zwischenfragen eingeführt? Sie halten wahrscheinlich nichts von einer Debatte. Ich bin für eine lebendige Debatte, und Sie halten davon anscheinend nichts.
Fragen Sie die Kollegen, mit denen wir immer diskutieren! Sie werden Ihnen bestätigen, daß ich immer bereit bin, auch mit meinen eigenen Kollegen, wenn nötig, auch kontrovers, zu diskutieren. Aber ich will jetzt nicht weiter ablenken.
Herr Kollege Schmidt, wir wissen, daß die Zahlen stimmen: Bei einem 40jährigen Arbeitsleben mit durchschnittlichem Einkommen und durchschnittlicher Beitragszahlung betrug die Rente im Jahre 1976 917 DM, und diese Rente wird im Jahre 1979 1069 DM betragen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Witwe nur 60 °/o davon erhält. Das sind Durchschnittszahlen; ein großer Teil der Rentner liegt unter dieser Zahl. Das sind die Fälle, über die wir gerade gesprochen haben. Um zu sehen, daß es viele Rentnerinnen oder Witwen gibt, deren Rente unter diesem Betrag liegt, brauchen Sie nur eine Sprechstunde in Ihrem Wahlkreis zu veranstalten; dann kommen sie zu Hauf zu Ihnen. Wir wollen nicht, daß sie weiterhin sozial schlechtergestellt werden.
Herr Kollege Franke, jetzt muß ich Sie fragen: Nehmen Sie die beiden Zwischenfragen an, die vorher von Herrn Kollegen Cronenberg und Herrn Kollegen Urbaniak gemeldet worden waren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Cronenberg .: Herr Kollege Franke, können Sie mir zustimmen, daß die Differenz zwischen der nettolohn- und der bruttolohnbezogenen Erhöhung, erfolgreiche Stabilitätspolitik vorausgesetzt, geringer als der von Ihnen angestrebte Beitrag von 4 °/o für den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner sein kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Cronenberg, zunächst hat Herr Kollege Hölscher geleugnet, daß überhaupt die Absicht besteht, eine solche Initiative zu ergreifen. Sie sagen: Sie wird eintreffen, und es wird ein geringerer Abschlag sein.
Wer hat von euch nun die Wahrheit gesagt? Die Wahrheit habe ausschließlich ich hier gesagt,
indem ich euch unterstellt habe: Ihr habt das vor, nur seid ihr nicht so ehrlich, das jetzt auch in den Gesetzentwurf hineinzubringen. Herr Kollege Cronenberg, ich muß Ihnen persönlich gestehen, daß Sie, auch bei der Ausschußberatung, den Mut zur Wahrheit haben, und das ist sehr wohltuend.
Ich komme zur Beantwortung Ihrer Frage. Die Bundesregierung, SPD und FDP haben gar nicht genau gesagt, welche Abschläge sie geplant haben. Wollen Sie Abschläge von den Bruttobeträgen machen, also Steuern und Sozialabgaben abziehen? Aus den bislang vorliegenden Äußerungen muß man unterstellen, daß Steuern und Sozialabgaben vom Bruttoeinkommen abgerechnet werden und damit die Veränderung der Bemessungsgrundlage eine ganz bestimmte Größe erhält. Herr Kollege Cronenberg, es kann nicht in Ihrem und in meinem, es kann nicht in unserem Sinne sein, z. B. Beitragszahler mit hohem Einkommen gegenüber den Beitragszahlern und Arbeitnehmern mit geringerem Einkommen besserzustellen. Es würde sozial viel mehr Negatives auf die Beitragszahler mit geringerem Einkommen und mit tendenziell geringerer Rente zukommen als gegenüber den Beitragszahlern mit hohem Einkommen. Das heißt, genau umgekehrt wird es der Fall sein: Aus Ihrer Veränderung der Rentenformel ergeben sich größere soziale Abschläge insbesondere für die Bezieher von kleinen Renteneinkommen. Das wollen wir nicht. Das halten wir für unsozial. Darum machen wir andere, unpopuläre, aber systemkonformere und mit einer Sozialkomponente versehene Vorschläge, die wir Ihnen hier und auch der Öffentlichkeit auf den Tisch gelegt haben.
Herr Kollege Franke, darf ich noch dem Kollegen Urbanik das Wort erteilen? Sie hatten, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, diese Zwischenfrage noch zugelassen. — Bitte.
Herr Kollege Franke, ist es nicht eigentlich so, daß Sie die Nettoanpassung wollen und dafür den Krankenversicherungsbeitrag für die Rentner einführen, der eine ganz erhebliche Belastung für den Personenkreis sein wird, der nach einem erfüllten Arbeitsleben Rente bezieht?
Können Sie mir darüber hinaus bestätigen, daß wir,nachdem wir im Jahre 1976 ein Rentenniveau von71 % erreicht haben, in diesem Jahr mit der 20. An-
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1850 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Urbaniakpassung auf 74 °/o kommen, daß es also noch nie so hohe absolute Zahlen, noch nie ein vergleichbar hohes Rentenniveau gegeben hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Urbaniak, ich bedanke mich, daß der Herr Präsident diese langen Fragen zugelassen hat. Dadurch sind sie vielleicht etwas verständlicher geworden.
Herr Kollege Franke, ich bin davon ausgegangen, daß das die letzte Zwischenfrage ist, die Sie in dieser Runde noch beantworten wollten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich habe an Ihrer Verhandlungsführung überhaupt nichts zu kritisieren. Ich bedanke mich wirklich dafür, daß Sie diese doch etwas langen Zwischenfragen zugelassen haben. Denn sonst wäre das, was der Herr Kollege Urbaniak gesagt hat, nicht klargeworden. — Aus der ersten Frage ist klargeworden, daß er sich über die Absichten der Bundesregierung selbst auch noch nicht im klaren ist. Oder ich muß ihm unterstellen, daß er nicht zur Kenntnis nimmt, daß die Bundesregierung von jeder Rente — von kleinen wie von größeren Renten — durch die Veränderung der Rentenformel Abschläge in einer ganz bestimmten prozentualen Größenordnung vornimmt und daß die Bezieher von kleinen Einkommen insbesondere durch das Abrechnen von Steuern und Sozialabgaben negativer betroffen werden als jene, die ein hohes Einkommen haben.
— Gut, das mag sein. —Herr Kollege Urbaniak, lassen Sie mich das an einem Beispiel darstellen. Da zahlt ein Bürger unseres Landes von seinem Einkommen Einkommensteuer und Sozialabgaben in einer Größenordnung von 40 %. Und da gibt es die Masse unserer Bevölkerung, die Steuern und Abgaben in Höhe von 20 oder 25 % zahlt. Die Änderung der Bruttodynamik— alle Mathematiker haben festgestellt, daß das eindeutig das Ergebnis sein wird —
— Sie müssen das alles einmal nachlesen, was die Bundesregierung von sich gegeben hat; darin steht das, zwar nicht so wörtlich, aber es ist nicht anders zu verstehen — bedeutet eindeutig, daß Sie die durchschnittliche Abgabenbelastung auf 30 % — ich nehme einmal willkürlich diese Zahl — festlegen müssen und daß derjenige, der nur 20 % Steuern und Abgabenbelastung hat, mit einem Abschlag in Höhe von 30 % belastet wird. Das heißt: Tendenziell bekommt er bei seiner Rente 10 % weniger Zurechnungszeit. Und derjenige, der 40 % Steuern und Abgaben zahlt und mit 30 % pauschal veranlagtwird, bekommt dann einen Zuschlag von 10 %. Bei der Diskussion, in der wir uns im Augenblick befinden, ist das die Veränderung der Bruttoformel. Und wenn in der SPD-Fraktion Entrüstung über die Auswirkung dieser Rentenformel besteht, dann empfehle ich Ihnen dringend — vornehmlich den Kollegen, die den Kopf schütteln, die nicht im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sind —, sich mit der Mechanik der Änderung der Bruttodynamik zu beschäftigen. Sie hat dieses Ergebnis zur Folge. Das ist unsozial. Das machen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht mit.
Ich darf fortfahren. Wir machen einen weiteren Vorschlag. Ich wiederhole mich aus der ersten Lesung. Man kann nicht nur in den Kategorien denken: Hier 10 Millionen Rentner, dort 20 Millionen Beitragszahler. Die Personen, die aus einer Rente in der Rentenversicherung einen Krankenversicherungsanspruch haben — und der ist ja dann kostenlos —, sollen mit ihren anderen Einkommen wie Arbeitnehmer behandelt werden. Sie zahlen nach unseren Vorstellungen zwar keine Steuern über den Ertragsanteil hinaus und natürlich keinen Rentenversicherungsbeitrag, aber sie sollten im Wege des Solidarausgleichs einen Krankenversicherungsbeitrag zahlen, wie die Arbeitnehmer ihn heute auch zahlen müssen. Denn sonst hat die Philosophie „Lohnersatzfunktion" überhaupt keinen Zweck; sonst halten wir den Generationenvertrag von Arbeitnehmern und Nicht-mehr-Arbeitnehmern finanziell nicht mehr durch. Bis zu einer Beitragsbemessungsgrundlage von heute 2 550 DM sollten dann solche Beiträge gezahlt werden.Ich wiederhole: Nur bei denjenigen, die Mehrfachrenten beziehen und kostenlos die Krankenversicherung der Rentner in Anspruch nehmen, wird das andere Einkommen als Alterseinkommen gerechnet. Wir würden hierdurch den Krankenversicherungsträgern etwa 15 Milliarden DM zusätzliche Einnahmen verschaffen; nach einer anderen Lösung, die wir Ihnen als Alternative auf den Tisch gelegt haben, hätten wir ab 1. Januar 1979 als Ersatz für die Nettoanpassung Mehreinnahmen in Höhe von zirka 10 Milliarden DM.Unser Vorschlag ist systemgerecht. Er ändert die Rentenformel nicht. Er ist sozial gerechter und greift nicht so tief in die Taschen der Rentner wie die Lösung der Bundesregierung. Unser Vorschlag hat den Vorteil, auch über 1980 hinaus zu gelten. Er verbaut keine Lösungen, die wir bis 1984 bei der Gleichstellung der Witwenrenten erreichen müssen.Man muß wirklich versuchen, meine Damen und Herren, im Sinne von Subsidiarität und Solidarität, also nach einem antisozialistischen Prinzip,
soziale Gerechtigkeit ohne gleichmacherische Tendenzen herzustellen. Wenn es also wahr ist — und es ist wahr —, daß es viele Bürger mit mehreren Alterseinkommen gibt, die die Krankenversicherung der Rentner in Anspruch nehmen, muß man doch konsequenterweise dieses Mehrfachalterseinkommen als Einkommen im Sinne von Lohnersatz be-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1071 1851
Franketrachten. — Meine Damen und Herren, das waren unsere beiden Vorschläge als Ersatz für Ihre unsoziale Nettoanpassung, die auch weiterhin fortwirken würde.Wir haben uns angeboten, im Rahmen des Rentenversicherungsrechts eine Reihe von unpopulären Maßnahmen mitzutragen: erstens Verschiebung des nächsten Rentenanpassungstermins auf den 1. Januar 1979, zweitens Beitragszahlung der Bundesanstalt für Arbeit zur Rentenversicherung für Arbeitslose ab 1. Januar 1979; auch das mitzutragen sind wir bereit.Nicht bereit sind wir, die Übertragung der beruflichen Rehabilitation von der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Bundesanstalt für Arbeit ab 1. Januar 1979 mitzutragen. Alle Sachverständigen — bis auf die beamteten Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit — haben diese Lösung, die Sie hier vorgeschlagen haben, für unsinnig gehalten. Hier würde es lediglich zu einer Finanzverschiebung mit Nachteilen nach dem Prinzip „Rehabilitation vor Rente" kommen. Hier gibt es die Gewerkschaften, hier gibt es die Sozialversicherungsträger, die diese Überlegung der Bundesregierung für nicht gut halten.Die Abschmelzung der Dreimonatsrücklage auf einen Monat — hiermit wird sich gleich noch der Kollege Schedl beschäftigen — ist eine Angelegenheit, die wir in dieser Größenordnung nicht mitmachen können. Wir haben die Befürchtung, daß die Rentenversicherung in den Sog des Bundeshaushalts kommt und daß damit die Einheitsversicherung durch die Hintertür eingeführt wird. Wir können nur sagen: wehret den Anfängen; wir wollen das nicht mitmachen.
Dann, meine Damen und Herren, war in dem Regierungsentwurf eine Gesetzesinitiative zur Aufstockung von Pflichtbeiträgen für Pflichtversicherte — wie wir ' es 1972 für freiwillig Versicherte auch eingeführt haben — enthalten. Wir haben uns angeboten, über diesen Vorschlag mit zu diskutieren und ihn gegebenenfalls auch mitzutragen, und zwar vor dem Hintergrund der Herstellung der sozialen Symmetrie. Es gibt also eine Bevölkerungsgruppe, nämlich die freiwillig Versicherten, die diese Möglichkeit der Aufstockung hat; die Pflichtversicherten haben sie nicht.Wir haben uns auch angeboten, daran mitzuarbeiten, z. B. die Kontinuität der Beitragszahlung zu gewährleisten. Aber aus den Beschlüssen von SPD und FDP ist die Aufstockung dann nicht mehr herausgekommen; irgendein Partner hat sich hier wohl durchgesetzt, dann allerdings zu Lasten der Symmetrie. Das ist eine Angelegenheit, mit der Sie, verehrte Kollegen von der SPD, fertig werden müssen.
- Ja, wissen Sie, Sie ersetzen politisches Handelndurch Papier, Herr Kollege Urbaniak. Das ist nichtunsere Auffassung. Sie müssen handeln, Sie haben die Mehrheit in diesem Hause!
Wir lehnen das Einfrieren des Kinderzuschusses in der gesetzlichen Rentenversicherung ab. Die CDU/CSU tritt für dynamische statt starrer Grenzen ein, für dynamisierte Kinderzuschüsse, auch für Halbwaisen. Wir haben angeboten, diese Leistungen — wir wissen, daß das bei der derzeitigen Haushaltslage außergewöhnlich schwer ist — aus dem Bundeshaushalt zu bezahlen. Hier ergibt sich doch der kuriose Zustand, daß die Beitragszahler das Kindergeld aus ihren Beiträgen zahlen, während alle anderen Kindergeldleistungen aus allgemeinen Steuermitteln gezahlt werden.Die Regierung nennt den von ihr mit Drucksache 8/166 vorgelegten Entwurf den Entwurf eines Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes. Das ist ein falscher Name. Es muß heißen: Strukturänderungs- und Beitragserhöhungsgesetz.
Was wird dort vorgeschlagen? Dort wird vorgeschlagen, daß Kostenverlagerungen und Beitragserhöhungen vorgenommen werden. Das hat mit Kostendämpfung doch überhaupt nichts zu tun. Hier wird alles auf den Bürger oder auf andere Träger abgeschoben. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, in die notwendigen Feinheiten einzusteigen. Deshalb verdient dieses Gesetz nicht den Namen „Kostendämpfungsgesetz", sondern den Namen „Strukturänderungs- und Beitragserhöhungsgesetz".Es steht außer Zweifel, daß wir den Kostenanstieg im Gesundheitswesen eindämmen müssen. Die CDU/ CSU war es, die den Mut besessen hat, auf diese Entwicklung in den vergangenen Jahren hinzuweisen. Die Regierung sowie die Fraktionen von SPD und FDP blieben untätig. Sie wollten uns den Schwarzen Peter zuschieben oder, besser gesagt — um im Bild von Rainer Barzel zu bleiben —, den Rotstift in die Hand drücken, während sie selber mit Blaulicht und Mercedes durch das Land fahren. Nein, es ist eine Aufgabe der Regierung und der Regierungsparteien, dafür zu sorgen, daß ein Mißstand, der sich zeigt, auch abgestellt wird. Die Regierung hoffte auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, der natürlich — „natürlich" ist im Sinne von mangelnder Leistung dieser Regierung gemeint — nicht eintrat. Es mag sogar einige gegeben haben, die auf eine inflationäre Lohnentwicklung gehofft haben, um damit die vorhandenen Löcher zuzustopfen. Den Mut, vor dem 3. Oktober selbst etwas zu unternehmen, hatten SPD und FDP nicht. Was dann als Regierungsvorlage herauskam, verdiente nicht den Namen, den man dieser Vorlage gegeben hat.Auch die Mitglieder von SPD und FDP im Arbeits- und Sozialausschuß zeigten sich nicht einsichtig, diese strukturverändernden Maßnahmen aus dem Gesetz herauszuboxen. Nun kann man bei einigen Maßnahmen verstehen, daß die SPD bestimmte Dinge betreibt und verficht. Dies entspricht ihrer sozialistischen oder sozialdemokratischen Wert-
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1852 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Frankevorstellung. Die Sozialdemokraten sagen dann: Deswegen setzen wir dieses durch. Das kann man verstehen, wenn auch nicht billigen. Daß aber die FDP solche unliberalen Entscheidungen mit trägt, bleibt uns weithin unerfindlich. Lassen Sie mich einmal an ein paar Beispielen deutlich machen, was hier gemeint ist.Ich komme zunächst auf die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze zu sprechen. Neben der Tatsache, daß durch die Rentnerkrankenkostenverschiebung ohnehin eine Beitragsanhebung von 1,2 bis 1,6 Beitragsprozentpunkten vorprogrammiert ist, werden in der Krankenversicherung durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze insbesondere die Bezieher mittlerer Einkommen erheblich belastet. Im schriftlich vorgelegten Bericht heißt es dazu u. a.:Zur Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze wiesen die Vertreter der SPD darauf hin, daß es sich um eine Maßnahme der Beitragsgerechtigkeit handle. Die höherverdienenden Versicherten müßten verstärkt in die Solidarität aller Versicherten einbezogen werden.
— So steht es im Bericht; darauf habt ihr bestanden. Ich kann auch verstehen, daß das eure Auffassung ist.Der Kollege von der FDP hat darauf gedrungen, daß der Name „FDP" in diesem Zusammenhang gestrichen wird. Das ist wiederum eine Täuschung der Öffentlichkeit. Meine Damen und Herren, die Maßnahme tragen sie von der FDP mit. Sie wollen nur nicht im Schriftlichen Bericht erwähnt werden. Ich kann nur sagen: Liebe FDP, so billig kommst du in der politischen Auseinandersetzung nicht davon! Lieber Hansheinrich Schmidt,. geben Sie doch dem Kollegen, der vor Ihnen sitzt, einmal den Schriftlichen Bericht, damit er das auch nachlesen kann und nicht immer den Kopf schütteln muß. Wenn er allerdings über Sie den Kopf geschüttelt hat, würde ich mich diesem Kopfschütteln anschließen.
Durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze sollen also insbesondere mittlere und höhere Einkommen einbezogen werden. Im Bericht sind nur die Vertreter der SPD genannt. Die SPD will dies auch; sie will Facharbeiter und Angestellte zur Ader lassen. Die CDU/CSU ist geschlossen dagegen. Die SPD konnte sich aber nur behaupten, weil sie die eine Stimme, die im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mehrheit führte, von der FDP bekommen hat. Alle drei Vertreter der FDP haben sich im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung für die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und damit für mehr Beiträge der Bezieher von mittleren und höheren Einkommen eingesetzt. Sie tragen die zusätzliche Belastung der Bürger durch diese verschleierte Beitragsanhebung mit. Die FDP trägt dafür ausschließlich die Verantwortung. Daß mußte hier noch einmal deutlich gesagt werden.
Es gibt erhebliche ordnungspolitische Bedenken gegen die Empfehlungsvereinbarung, wie sie in § 368 f des Regierungsentwurfs vorgelegt worden ist. Sie ist im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung auch nur unwesentlich verändert worden. Wir schlagen an Stelle der §§ 368 f und folgende eine konzertierte Aktion aller am Gesundheitswesen Beteiligten vor. Wir sind davon überzeugt, daß die Vertreter der Selbstverwaltungsorgane größere Erfolge bei der Eindämmung der Kostenexplosion erzielen können, als das durch gesetzliche Maßnahmen möglich ist. Hierfür gibt es auch einen Beweis. Von 1975 auf 1976 ist der Kostenanstieg durch Selbstverwaltungsmaßnahmen, durch Maßnahmen der Selbstverwaltungspartner um 50 % gedämpft worden. Gerade in den letzten Tagen haben wir eine freiwillige Vereinbarung der Ersatzkassen mit den Kassenärzten auf unseren Tisch bekommen. Mit unserem Vorschlag — wir hatten beantragt, eine entsprechende Regelung gesetzlich zu. verankern —, setzen wir die Partner unter Erfolgs- und Beweiszwang, Kosten einzudämmen. Nach unseren ordnungspolitischen Vorstellungen dürfen staatliche Maßnahmen erst dann einsetzen, wenn die Erstverantwortlichen nicht die erwartete Lösung erbringen. Unsere Kollegin Dr. Neumeister und unser Kollege Dr. Becker werden nachher noch auf die Einzelheiten eingehen.Unsere freiheitliche, unsere liberale Lösung wird von der SPD natürlich abgelehnt. Das ist doch völlig klar. Wir haben in der SPD hier niemals einen Partner gesucht. Wir wissen, daß die SPD alles Heil von staatlichen Maßnahmen erwartet. Die FDP lehnt diese liberale, freiheitliche Lösung aber auch ab. Sie hat die Schuld, wenn es hier zu staatlichen, zu sogenannten dirigistischen Maßnahmen kommt.
Ohne die FDP hätte die SPD im Ausschuß und hier im Bundestag auch für diese Fragen keine Mehrheit. Die FDP hat nicht einmal den Versuch gemacht, die SPD von diesem falschen Weg abzubringen.Ich wiederhole noch einmal: Erst wenn die Erstverantwortlichen die Aufgabe, die ihnen gestellt ist, nicht meistern, dürfen staatliche Maßnahmen einsetzen.Ein drittes Beispiel: vorstationäre Diagnostik und nachstationäre Behandlung. Meine Damen und Herren, hier wird von „Kostendämpfung" gesprochen. Es ist erwiesenermaßen klar, daß die Kosten pro Leistungsfall im Krankenhaus höher sind als in der ambulanten Behandlung draußen bei den Ärzten. Nach unserer Auffassung wird unter dem schönen Wort „vorstationäre Diagnostik und nachstationäre Behandlung" staatlicher Gesundheitsdienst durch die Hintertür in das Gesetzgebungsverfahren eingeschleust. Das entspricht dem Selbstverständnis, dem politischen Verständnis der SPD.
Das kann man verstehen, wenn auch nicht billigen.Aber ich frage Sie, verehrte Kollegen von der FDP: Wo sind Sie denn mit diesen Ihren Vorstellungen gelandet? Sie haben sich hier zum Helfers-
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Frankehelfer dafür gemacht, daß die SPD den staatlichen Gesundheitsdienst durch die Hintertür einführt.
Diese Auseinandersetzung kann Ihnen nicht erspart bleiben. Sie warten nicht einmal die Modellversuche ab, die am 27. Februar 1976 durch die 37. Gesundheitsministerkonferenz beschlossen wurden. Sie warten nicht einmal das Ergebnis dieser Versuche ab; Sie sind hier zu einem eifrigen Helfershelfer sozialistischer Vorstellungen geworden. Das, meine Damen und Herren, ist hier zu kritisieren.
Ein viertes und letztes Beispiel. In § 11 a des Krankenhausfinanzierungsgesetzes — unser Kollege Höpfinger wird sich nachher noch damit beschäftigen — war von der Regierung vorgesehen, daß freigemeinnützige und private Krankenhausträger — natürlich auch kommunale Träger von Krankenhäusern —10 % für Erstinvestitionen und 5 % für Reinvestitionsleistungen aufbringen müssen. Was heißt das? Diese Maßnahme, würde sie durchgeführt, hätte die Verdrängung der freien Träger vom Gesundheitsmarkt zur Folge. Die kommunalen Träger bringen ihren Anteil über Steuern auf, die anderen gar nicht, oder sie würden die Kosten über den Pflegesatz abwälzen und damit wiederum zu einer Beitragserhöhung beitragen. Ich habe eingangs meiner Rede davon gesprochen, daß im Bericht steht: „Kosten: keine".Meine Beispiele mögen genügen, um nachzuweisen, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien hier die Öffentlichkeit nicht ganz richtig über das aufklären, was hier beschlossen worden ist. SPD und FDP machen solchen Unsinn hier im Bundestag fröhlich mit. Gottlob gibt es einige Länder, die diesen Unsinn nicht mitmachen wollen. Sie werden mit Sicherheit dafür sorgen, daß sich in diesem Zusammenhang wie auch in anderen Punkten eine Änderung durchsetzen kann.Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Schlußformulierung bringen; ich bin durch die Zwischenfragen hier nicht ganz zu meinem Gesamtkonzept gekommen. Zum Neunten Anpassungsgesetz wird der Kollege Albert Burger sprechen. Er wird unsere Änderungsanträge und unseren Antrag zu § 56 begründen. Es werden also alle Schwerpunktkomplexe dessen, was wir im Ausschuß beraten haben, hier von uns im einzelnen erläutert werden.Wir stimmen nur für freiheitliche und liberale Lösungen. Wir stimmen nur für Lösungen, die ordnungspolitisch sauber sind und z. B. in der Rentenversicherung das Prinzip der bruttolohnbezogenen Rente nicht verändern.
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Meine
Damen und Herren, daß Wort hat der Herr Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Franke, der Beifall war andauernd wie nach einem gelungenen Auftritt. Ein „Auftritt" war es tatsächlich. Er hat mir bewußt gemacht, daß wir mit den Ausschußberatungen tatsächlich am Ende sind und in der Plenardebatte; denn in der verschlossenen Klause unserer nichtöffentlichen Ausschußsitzungen war die Atmosphäre durchaus erheblich sachlicher, als wir es hier im Plenum bei Ihrem Auftritt miterleben mußten.
— Herr Burger, darauf komme ich noch, seien Sie geduldig; Ihr Auftritt zur Kriegsopferversorgung kommt mit Sicherheit.Ich kann die Versuchung für den Kollegen Franke verstehen, angesichts der Fernsehkameras nun zu meinen, daß die Zeit des Argumentierens vorbei ist und daß man sich in der Kunst der Demagogie üben müsse. Da wird für jeden und in jeder Richtung etwas gesagt. Ich halte das für nicht redlich, Herr Kollege Franke.
Ich komme auf die Punkte noch zurück. Es wäre für mich reizvoll — die Versuchung ist angesichts Ihres Beitrags sehr groß —, mich an dem Bemühen zu beteiligen.Sie haben das ernsthaft versucht, das einzige Konzept, das zur Konsolidierung unserer Rentenfinanzen und zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen auf dem Tisch liegt, zu zerreden. Daran will ich mich nicht beteiligen. Ich halte das nicht für einen gelungenen Versuch; aber ich will das nicht vertiefen. Wir werden auf die Argumente, die Sie hinsichtlich des Finanzierungskonzepts der Bundesregierung angesrpochen haben, noch sehr ausführlich unter dem Stichwort „finanzielle Solidität" zurückkommen, wenn es um die Behandlung Ihrer Änderungsanträge geht. Um was geht es da? Was heißt es denn im Klartext, den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag einzuführen? Das heißt im Klartext, daß Sie hingehen und sagen: Wir wollen eine Rentenkürzung auf Dauer. Nichts anderes heißt dies. Dies steht alternativ zum Konzept der Bundesregierung.
— Ich möchte angesichts der Debattenlage meine Ausführungen wirklich im Zusammenhang machen können. Sie haben eh die Zeit über Gebühr strapaziert, so daß ich es auch dem Kollegen von der FDP schuldig bin, daß er Gelegenheit bekommt, auf Ihre Ausführungen einzugehen. Sie werden im Laufe der Debatte heute noch Gelegenheit haben, die Kunst der Zwischenfragen zu üben.Ich will Ihnen jetzt sagen, daß Ihre Alternative, die Sie vorsehen, bei weitem weniger sozial ausgewogen ist als das, was die Bundesregierung hier als eine Absicht für die Zukunft vorsieht. Deswegen steht aus gutem Grund im Gesetz nicht die Festschreibung, daß wir von der Bruttolohnbezogenheit
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Egertabweichen. Dies ist eine Diskussion, die wir auf Grund der Kenntnis neuer Daten im Zusammenhang mit dem Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz führen müssen. Ich weiß nicht, wo da die Unredlichkeit liegt. Es wäre unvernünftig, jetzt über Dinge, die uns in einem Jahr wieder beschäftigen müssen, ein abschließendes Votum zu geben und Entscheidungen zu treffen, mit der Unsicherheit, die in jeder monatlichen Prognose genauso wie in jeder fünfzehnjährigen Prognose liegt. Ich werde auf einen Punkt, wo Sie uns ein Milliardending aufschwätzen wollen, noch zurückkommen, denn die Januarzahlen für das Jahr hochzuschreiben, bringt auch keine redliche Basis für Überlegungen, welche Löcher wir am Ende des Jahres haben. Z. B. macht die Umstellung der freiwilligen Beitragszahlungen einen Teil des Einnahmeausfalls im Januar aus. Da gibt es die Erfahrung, daß die Beiträge im Dezember bezahlt worden sind und daß sich deshalb der negative Trend im Januar fortsetzen muß, weil der Anteil der sonst im Januar zu Buche schlagenden Dezemberzahlungen nicht mehr berücksichtigt wird.
Ich meine, all diese Punkte hätten Sie, wenn Sie redlich mit uns darüber argumentieren wollen, hier anführen können. Sie haben es nicht getan, also muß ich davon ausgehen, daß es Ihre Absicht ist, Unsicherheit zu weben. Ich halte es für unvertretbar in bezug auf die Bürger in diesem Lande, insbesondere in bezug auf die Rentner in diesem Lande, daß Sie hier eine Kampagne des Krisengeredes fortzusetzen versuchen, ohne daß Sie sich konkret auf Zahlen haben festlegen lassen, auf Zahlenannahmen Ihres Konzepts.
Dies wird auch an dem Punkt deutlich, wo wir uns die Frage stellen müssen, warum Sie, wenn Sie alles so gut wissen, wenn Sie alles besser wissen als diese Regierung, sich dann nicht zu einem Gesetzgebungsvorhaben verstanden haben
und warum Sie nicht, statt nur mit Unpopularität zu kokettieren, die Änderungsanträge hier auf den Tisch des Bundestages legen.
Die sind doch nicht' da. Beim Rentnerkrankenversicherungsbeitrag dienen Sie uns unterschiedliche Alternativen an. /Dies sind unfertige Vorstellungen, mit denen wir uns nicht auseinandersetzen können
und die im Ergebnis genau die sozialschädliche Wirkung haben, die ich aufgezeigt habe.
Ich will mich jetzt, weil ich die Zeit nicht vertun will, mit dem nicht weiter auseinandersetzen, was der Kollege Franke mit der vordergründigen Absicht, ein Konzept zu zerreden, vorgetragen hat. Ich will vielmehr ein paar Punkte nennen, die Überlegungshintergrund für die Vorschläge waren, die hier heute in zweiter Lesung zur Beratung anstehen.
— Wissen Sie, Kollege Franke, „eine schöne Debatte" : Sie haben die Einleitung gegeben, und Sie bekommen die Antwort auf diese Einleitung, die Sie verdienen.
Ich will hier etwas über das Ergebnis berichten, weil es wichtig ist, daß bei den Menschen draußen nicht nur Ihre Verdrehungen ankommen, sondern daß .auch das ankommt, was Ergebnis der Beratungen im Ausschuß war.
Dort konnte sachlich unvergleichlich einvernehmlicher beraten werden als hier bisher in der zweiten Lesung. Wir haben erheblich veränderte Fassungen der Gesetzentwürfe vorgesehen.
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — und da bin ich auch bei einem Vorhalt von Ihnen, Herr Kollege Franke — hat bei diesem Gesetzentwurf, unterstützt von den mitberatenden Ausschüssen, sorgfältig gefeilt. Die Fraktion der SPD kann, ohne unbescheiden zu sein, für sich einen erheblichen Anteil an den Ergebnissen der Ausschußarbeit reklamieren. Wir haben in mehreren ganztägigen Klausurtagungen — dies war bei uns möglich — während der Osterpause gründlich beraten und außerdem mit mehr als 20 Verbänden und Organisationen zusätzlich zu der Ausschußanhörung Informationsgespräche geführt. Das Ergebnis unserer Arbeit waren zahlreiche Änderungsanträge, die zum Teil auch mit der dankenswerten Unterstützung der Opposition in den Beschluß des Ausschusses eingegangen sind.Ich betone dies, um noch einmal den Vorwurf zurückzuweisen, die Konsolidierungsgesetze seien hastig und unter Zeitdruck behandelt worden.
— Tatsache ist, Herr Kollege Burger, daß diese drei Gesetzentwürfe zwar innerhalb einer kurzen Frist — dies geht nicht notwendigerweise zu Lasten der Sorgfalt —, aber sorgfältig und intensiv, wie es der Schwierigkeit der Materie angemessen ist, beraten wurden.
— Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, ich habeIhnen den Zeitrahmen für unsere Vorarbeiten dar-Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1855Egertgestellt. Diese Möglichkeit war auch für die anderen Fraktionen gegeben.Lassen Sie mich zur Sache bemerken, wir stehen vor der Aufgabe, unser System der sozialen Sicherung angesichts weltwirtschaftlicher Schwierigkeiten und strukturell bedingter Kostensteigerungen im Gesundheitswesen leistungsfähig zu halten. Dabei hat sich die Bundesregierung in ihrem Konsolidierungsprogramm für die Sozialversicherung an bestimmten Grundsätzen orientiert.Bei allen Konsolidierungsmaßnahmen muß die soziale Ausgewogenheit gewahrt werden. Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Rentner und alle Leistungsanbieter im Gesundheitswesen müssen gleichmäßig gemäß ihrer Leistungskraft daran beteiligt werden.Zwischen der Sicherung der Renten und der Kostendämpfung im Gesundheitswesen besteht ein untrennbarer sachlicher und zeitlicher Zusammenhang — auch dies ist für die finanziellen Erwägungen, die Sie hier angestellt haben, wichtig —, weil wegen der Verklammerung beider Versicherungssysteme durch die Rentnerkrankenversicherung die derzeitigen Finanzprobleme in der Rentenversicherung zu einem nicht unerheblichen Teil als Folgewirkung der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen anzusehen sind. Deshalb ist auch die Konsolidierung an ein Gesetzespaket gebunden, das insgesamt verabschiedet und in Kraft gesetzt werden muß, wenn die finanzielle Überlegung und die soziale Ausgewogenheit der Gesamtüberlegung erhalten bleiben sollen.
Das Konzept für die Konsolidierung muß auch angesichts weniger günstiger Wirtschaftsaussichten finanziell tragfähig sein. Es darf dabei keine Überreaktionen durch allzu rigorose Eingriffe in das Leistungsrecht oder durch später nicht mehr rücknehmbare Beitragserhöhungen geben. Dies gilt vor allem für die Konsolidierung der Rentenversicherung, wo wir zu lernen haben, daß schon einmal, nämlich unter dem Eindruck des Rezessionsjahres 1966/67, drastische Sanierungsmaßnahmen beschlossen worden sind, die sich später als zu weitgehend erwiesen haben.
— Ja. Statt weniger plump wirkender Einschnitte mit großen Milliardeneffekten, aber mit erheblichen sozialen Folgewirkungen, ist deshalb eine Vielzahl differenzierter Maßnahmen vorzuziehen, die gezielt dort einsetzen, wo Eingriffe nicht nur sozialpolitisch vertretbar, sondern sogar im Interesse der sozialen Gerechtigkeit auch geboten sind.
In der Rentenversicherung dürfen keine übereilten und in ihren Auswirkungen noch nicht übersehbaren Weichenstellungen erfolgen, die die für die nächste Legislaturperiode vorgesehene Reform der Hinterbliebenenversorgung behindern. Dies ergibt sich auch aus der Tatsache, daß diese Reform ohne eine umfassende Neukonzeption des Leistungsrechts und ohne Überprüfung der finanziellen Grundlagen der Rentenversicherung nicht möglich ist.Die Kostendämpfung im Gesundheitswesen kann, soweit sie die Leistungsanbieter berührt, nur durch Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen geschehen. Auf freiwillige Selbstbeschränkung allein können wir auch vor dem Hintergrund widersprüchlicher öffentlicher Ankündigungen nicht vertrauen.
Die Kostendämpfung soll nicht durch direkte staatliche Eingriffe in den Prozeß der Erbringung und Vergütung von Gesundheitsleistungen erfolgen, sondern durch Stärkung der vorhandenen Institutionen der Selbstverwaltung und durch Verbesserung ihres Instrumentariums zur Kostensteuerung.Diese Grundsätze sind durch die von den Koalitionsfraktionen im Ausschuß beschlossenen Änderungen nicht -angetastet, sondern im Gegenteil gegenüber der ursprünglichen Vorlage noch verstärkt zur Geltung gebracht worden.
Ein Abschwächen des Regierungsentwurfs, ein Nachgeben gegenüber mächtigen Interessengruppen hat es nicht gegeben. Die Änderungen der Koalitionsfraktionen im Ausschuß dienen der Verbesserung und Verdeutlichung der genannten Grundsätze. Wer auf die Erpreßbarkeit des Staates gesetzt hatte, hat sich verrechnet.
Auch diejenigen sind eines Besseren belehrt worden, die erwartet hatten, daß bei der Beratung dieser Gesetzentwürfe koalitionspolitischer Zündstoff hochgehen könnte. Herr Kollege Franke, Sie können noch so sehr versuchen, Salz in vermeintliche Wunden zu reiben; Sie werden die solidarische, die gute und faire Zusammenarbeit der Fraktionen von FDP und SPD nicht stören können. Wir haben im Gegenteil einmal mehr auf einem schwierigen gesellschaftspolitischen Feld die Leistungsfähigkeit der sozialliberalen Koalition unter Beweis gestellt.
In dem Gesetzentwurf zur Zwanzigsten Rentenanpassung und zur Verbesserung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung bleiben die Vorschläge der Bundesregierung in den wesentlichen Eckwerten unverändert. Der Verlauf der Ausschußberatungen, die Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung und die öffentliche Diskussion haben uns in der Auffassung bestärkt, daß wir mit dem Regierungsentwurf auf dem richtigen Wege sind.
— Die Anhörung im Ausschuß, Herr Kollege Müller, hat von der überwiegenden Mehrzahl der Sach-
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Egertverständigen in den folgenden drei zentralen Punkten eine volle Bestätigung gebracht.
— Doch! Wir haben die ganzen dicken Protokolle auch gelesen.Erstens. Es wurde nahezu übereinstimmend festgestellt, daß unser Konzept zur Konsolidierung der Rentenversicherung in Verbindung mit dem Kostendämpfungsgesetz als sozial ausgewogen angesehen wird, und zwar der innere Zusammenhang der gesetzlichen Absicherung der Kostendämpfung —nicht der konzertierten Aktion — mit dem Rentengesetz. Zweitens. Es wurde nicht ernsthaft bestritten — und auch Sie haben es in dieser Debatte bisher nicht tun können —, daß die geplanten Maßnahmen geeignet sind, die Finanzierung der Renten mittelfristig sicherzustellen.
Insbesondere wurde auch die Liquidität der Rentenversicherungsträger als gesichert angesehen.
Kein Sachverständiger — und das müssen Sie ebenauch nachlesen, meine Herren von der Opposition— fand sich bereit, die von der Bundesregierung den Vorausberechnungen zugrunde gelegten wirtschaftlichen Annahmen als unrealistisch und damit als nicht berechtigt zurückzuweisen und an deren Stelle
— lassen Sie mich doch aussprechen — andere Annahmen zu setzen. Diese Beurteilung ist auch auf dem Hintergrund öffentlicher Mitteilungen der letzten Tage nach wie vor gültig.
— Ja, gerade wegen des Milliardenlochs. Darauf komme ich noch einmal zurück.Wir wissen, daß mindestens 3/4 der Lücke, wahrscheinlich sogar mehr, auf Mindereinnahmen bei der Freiwilligenversicherung zurückgehen. Dies hat mit den Umstellungsschwierigkeiten bei der zum 1. Januar vorgenommenen Umstellung vom Verkauf von Beitragsmarken durch die Post zur bargeldlosen Überweisung zu tun. Das ist ein Punkt, den man der Redlichkeit wegen in dieser Debatte mit berücksichtigen muß.Der zweite Punkt ist — und ich hatte schon darauf hingewiesen —, daß der andere Teil der Beitragsmindereinnahmen das Gegenstück zu den Beitragsmehreinnahmen im Dezember 1976 ist, wo im letzten Jahr ein außergewöhnlich großer Anteil der im Dezember zu zahlenden Beiträge tatsächlich auch im Dezember gezahlt worden ist und zu dieser Mehreinnahme geführt hat. Notwendigerweise folgt daraus, daß im Januar, wo sonst die Vorleistungen aus dem Dezember verrechnet worden wären, eine Mindereinnahme zu erwarten steht. Man wird also sehr sorgfältig beobachten müssen, wie sich die Beitragseinnahmen entwickeln. Erst dann wird man Schlußfolgerungen ziehen können. Man sollte hier tatsächlich Kurzschlüsse vermeiden.Drittens. In der Sachverständigenanhörung sind die Auffassungen der Bundesregierung und der Koalition bestätigt worden, da nahezu alle Sachverständigen dazu geraten haben, angesichts der für die 80er Jahre bevorstehenden Reform der Witwen- und Hinterbliebenenversorgung die Verbesserung der Finanzgrundlagen der Rentenversicherung vorrangig mit solchen Maßnahmen zu versuchen, die im Rahmen des geltenden Rechts liegen, und dabei die bereits bestehende Flexibilität des Rentenversicherungssystems auszunutzen. Das heißt: es ist richtig, auf einen dauerhaften Einschritt im Rentenniveau und auf das Anziehen der Beitragsschraube zu verzichten und statt dessen vorübergehend z. B. Rücklagen abzubauen und eventuell die rechtliche vorhandene Möglichkeit wahrzunehmen, den Rentenanpassungssatz nach Maßgabe des finanziellen Spielraums frei zu wählen.
Diese grundsätzlichen Ergebnisse der Sachverständigenanhörung wiegen schwerer als — zugegeben — zahlreiche kritische Stellungnahmen zu Einzelpunkten des Gesetzes,
die es natürlich auch gegeben hat, Herr Kollege Blüm,
und die, bei einem Gesetz unvermeidbar sind, das allen Beteiligten zumutet, einen Teil der Konsolidierungslasten zu tragen. Wer will denn auf uneingeschränkten Beifall hoffen, wenn er auf dem finanziellen Hintergrund, auf dem diese Gesamtoperation stattfindet, Lasten neu verteilen muß und da— zugegeben — auch Vorteile abbauen muß? Wer Vorteile abbaut, kann nicht den Beifall von allen Seiten haben. Die Ausgewogenheit des Programms ist an dem unterschiedlichen Beifall sehr sinnfällig geworden. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen keinerlei Anlaß gehabt, vom Regierungsentwurf abzuweichen.
— Wissen Sie, wir machen jetzt nicht Vergangenheitsbewältigung, sondern wir versuchen Konsolidierung für die Zukunft.
Das gilt zunächst und vor allem für die Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus der Kriegsopferversorgung zum 1. Juli 1977.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1857
EgertDer Herr Kollege Franke hat hier gesagt, das verdankten wir dem vereinten Druck der Unionshilfstruppen. Ich sage Ihnen: Druck war ja schon; doch so einseitig würde ich den Erfolg nicht verteilen wollen.Wir bekennen uns dazu, daß wir das Versprechen einhalten, zum 1. Juli 1977 in allen Bereichen der Rentenversicherung und zum 1. Januar 1978 bei der Altershilfe der Landwirte die Renten um jeweils 9,9 % zu erhöhen und ebenso die Anpassung der Unfallrenten zum 1. Januar 1978 vorzunehmen, wobei sich der Anpassungssatz auf Grund der jüngsten statistischen Ergebnisse von 7,3 auf 7,4 % erhöht hat.In diesem Zusammenhang — das ist schon so ein bißchen in Vergessenheit geraten — will ich darauf hinweisen, daß es sich auch heute und nicht zuletzt um ein Rentenerhöhungsgesetz handelt, das den Rentnern eine deutliche Kaufkraftsteigerung und zum drittenmal hintereinander eine Rentenerhöhung bringt, die ganz erheblich über den Einkommenszuwächsen der Arbeitnehmer liegt.
Das Rentenniveau wird damit einen neuen Höchststand erreichen. Wir sollten diese Tatsache angesichts der Schwierigkeiten der gesamten Operation nicht unterbewerten, sondern als ein wichtiges soziales Datum in unserer Situation ansehen.Erhalten bleiben auch die anderen Eckwerte des Regierungsentwurfs. Es bleibt bei der auch von der CDU/CSU akzeptierten Verschiebung des Rentenanpassungstermins auf den 1. Januar — vom 1. Juli 1978 erstmals auf den 1. Januar 1979. Wir halten auch an der im Rentenanpassungsbericht vorgese henen Möglichkeit fest, erforderlichenfalls die Rentenanpassung der Jahre 1979 und 1980 mit einem niedrigeren Prozentsatz als dem vorzunehmen, der dem Anstieg der allgemeinen Bemessungsgrundlage entspricht. Darum wird nicht herumgeredet. Wir verstehen das allerdings — das möchte ich ausdrücklich unterstreichen — nur als eine vorübergehende Maßnahme. Wir halten an dem Ziel fest, in den 80er Jahren in jedem Fall zur Bruttoanpassung zurückzukehren.
Die Beratungen haben keinen Anlaß gegeben, die von der Bundesregierung vorgeschlagene Verringerung des Zeitabstands zwischen der Entwicklung der Rentenbemessungsgrundlage und den Lohnsteigerungen zu verändern. Wir halten dies für eine sinnvolle Weiterentwicklung der Rentenformel, die geeignet ist, die Konjunkturabhängigkeit der Rentenversicherung zu verringern.
Ebenso halten wir an der Einführung des Rentenversicherungsbeitrags der Bundesanstalt für Arbeit zugunsten Arbeitsloser fest.Die SPD-Fraktion hat aus finanziellen Erwägungen keine Möglichkeit gesehen, auf das Einfrieren der Kinderzuschüsse zu verzichten, zumal da die Kinderzuschüsse der Rentenversicherung im Vergleich zu dem nicht dynamischen Kindergeld eine beachtliche Höhe erreicht haben. Allerdings haben wir sichergestellt, daß das Einfrieren des Kinderzuschusses sich nicht auf die Vollwaisenrenten auswirken wird.Zum Problem der Übertragung der beruflichen Rehabilitation wird der Kollege Glombig bei den Änderungsanträgen der Opposition Stellung nehmen. Ich will das hier auch angesichts der Debattenlage aussparen.Die Ausschußberatungen haben nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion gezeigt, daß das Konzept der sozialliberalen Koalition
zur Konsolidierung der Rentenversicherung nach wie vor ohne Alternative ist. Die sogenannte Alternative der CDU/CSU hat zwar ihre konkrete Form in Änderungsanträgen gefunden — das gestehe ich gern zu —, ist aber in der Sache dadurch nicht überzeugender geworden.
Die Änderungsvorschläge der CDU/CSU sind finanziell für die Konsolidierung nicht ausreichend. Sie sind nach unserem Verständnis in sich sozial unausgewogen. Sie sind verwaltungsmäßig undurchführbar. Deshalb werden sie von uns abgelehnt. Mein Kollege Glombig wird sich mit diesen Änderungsanträgen und mit dem gesamten Finanzwerk, das der Kollege Franke hier als Horrorgemälde entwickelt hat, in der zweiten Lesung bei den entsprechenden Änderungsanträgen der Opposition nochmals auseinandersetzen.Während die Koalitionsfraktionen in allen für die Konsolidierung wichtigen Punkten die Regierungsvorlage unverändert gelassen haben, haben sie in der Ausschußarbeit das Schwergewicht ihrer Bemühungen darauf gelegt, dem Gedanken der Beitragsgerechtigkeit verstärkt Geltung zu verschaffen. In dieser Hinsicht haben wir gegenüber dem Regierungsentwurf neue Akzente gesetzt.
Die SPD-Fraktion sieht in diesen Änderungen echte sozialpolitische Verbesserungen.
Sie haben dazu beigetragen, daß mit diesem Gesetz die Renten nicht nur sicherer, sondern auch in sich sozial gerechter gestaltet werden.
Wir werden Gelegenheit haben, in der zweiten Lesung bei den entsprechenden Änderungsanträgen auf das zurückzukommen, was da geschehen ist und was wir voll unterstützen.In diesen Zusammenhang gehört auch das Thema „Aufstockung". Die Koalitionsfraktionen haben sich darauf verständigt, die Behandlung dieser Frage auszusetzen. Damit ist sie für die SPD-Fraktion nicht vom Tisch. Sie wird beim 21. Rentenanpassungsgesetz wieder aufgerufen. Ein entsprechender Entschließungsantrag macht deutlich, in welche Richtung wir denken. Bei der Prüfung dieser Frage wol-
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Egertlen wir dem besonderen Problem der diskontinuierlichen Erwerbstätigkeit der Frauen in unserer Gesellschaft Rechnung tragen. Wir sehen allerdings einen unmittelbaren politischen Zusammenhang zwischen der Aufstockungsmöglichkeit für freiwillig Versicherte und der für Pflichtversicherte. Wenn wir beim 21. Rentenanpassungsgesetz auf Grund des Zahlenwerks überzeugt werden, auf die Behandlung dieser Frage weiter verzichten zu müssen, kann dies nicht ohne Konsequenz für die freiwillige Versicherung bleiben. Ich will das hier schon ankündigen, weil es im Zusammenhang mit dem, was hier an sozialer Gerechtigkeit geschaffen werden soll, wichtig ist.Zu den Fragen im Zusammenhang mit Ihren Änderungsanträgen zum Neunten Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes wird der Kollege Gansel, anknüpfend an die Ausführungen in der ersten Lesung, nachher in bewährter Weise Stellung nehmen. Er wird dabei auf die Absichten hinweisen, die uns geleitet haben, und besonders auf die Fragen der strukturellen Maßnahmen für die Kriegsopferversorgung und die entsprechenden Aufwendungen aus dem Haushalt eingehen.Lassen Sie mich angesichts der fortgeschrittenen Zeit nur noch ein paar Bemerkungen zu dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz machen. Auch hier spielte ja die Frage Freiheit, Liberalität oder Sozialismus eine Rolle. Ich habe mit Erstaunen gehört, das sei ein erster Schritt in den Sozialismus. Wissen Sie, wenn Sie diese Ergebnisse so kommentieren, müssen Sie sich doch fragen lassen: Wie ernst nehmen Sie sich selbst? Wer meint, daß die Regelungen, die, auch unter strukturellen Gesichtspunkten, im Kostendämpfungsgesetz getroffen worden sind, ein Schritt in den Sozialismus seien, will entweder nicht verstehen — dann muß man ihm Böswilligkeit unterstellen — oder kann nicht verstehen. Ich überlasse es dem Scharfsinn eines jeden, das zu bewerten. Ich würde es, wenn es meine Kollegen beträfe, mit Dummheit qualifizieren. Ich bin nicht so vermessen, das in die Richtung der Opposition zu sagen.Bei den Beratungen über das KVKG waren wir ja einer Meinung, daß im Gesundheitswesen eine Kostendämpfung erfolgen muß. Von dieser Position ist niemand abgerückt. Strittig war und bleibt offensichtlich die Frage, wie wir das Ziel der Kostendämpfung erreichen. Wir bewerten die gemeinsame Einsicht in die Notwendigkeit der- Kostendämpfung zwar nicht gering, wir vermissen allerdings die Bereitschaft, aus dieser gemeinsamen Erkenntnis auch die konsequenten Schlußfolgerungen zu ziehen. Wir Sozialdemokraten haben uns, gemeinsam mit der FDP, diesen Konsequenzen nicht verschlossen. Dabei ging es uns darum, systemgerechte Lösungen zu finden, die unser bewährtes — weil die Verdächtigungen allerorten in Richtung England und was weiß ich wo sonst noch hin zielen, betone ich das besonders — deutsches System der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen stärken und erhalten.Zweitens wollten wir den Zusammenhang zwischen struktureller und Kostenentwicklung herstellen und bei den gesetzlichen Maßnahmen berücksichtigen; denn es wäre tatsächlich — um ein böses Wort aufzunehmen — Flickschusterei, wenn wir nur über Kosten nachdächten, obwohl wir parallel auch über Strukturen nachdenken müssen.
Drittens war es unsere Absicht, die Lasten sozial gleichgewichtig zwischen den Anbietern von Gesundheitsleistungen und den Versicherten und ihren Sachwaltern, den Krankenkassen, zu verteilen.Die vierte Absicht, die uns geleitet hat, Herr Kollege Müller , war, die bestehende Fehlentwicklung im Gesundheitswesen zu korrigieren.Das Ergebnis der Ausschußberatungen messen wir an diesen vier Absichten, die für uns bei der Suche nach Regelungen maßgebend waren und sind. Wir glauben, daß das zur Beratung vorliegende Ergebnis diesen Absichten Rechnung trägt. Wir sehen es insbesondere als einen Erfolg unserer Bemühungen an, daß Anbietermacht und Versicherteninteresse in ein gleichgewichtiges Verhältnis gebracht, bestehende Wettbewerbsvorteile ausgeglichen worden sind und ein flexibles Instrumentarium zur Begrenzung der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen entwickelt worden ist.Die Opposition hat dem Konzept der Bundesregierung, eine gesetzlich abgesicherte Anstrengung zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen zu unternehmen, das die Koalitionsfraktionen uneingeschränkt bejahen, entgegengestellt: eine konzertierte Aktion der am Gesundheitswesen Beteiligten auf freiwilliger Grundlage. Wenn wir ja sagen zur Aktion auf gesetzlicher Basis und nein zum „Konzert", dann deshalb, weil die Widersprüchlichkeit der Aussagen aus dem Lager der Anbieter von Gesundheitsleistungen bei uns Zweifel hinsichtlich der Bereitschaft geweckt haben, sich auch tatsächlich an einer konzertierten Aktion zu beteiligen. Das wechselnde Ja und Nein zur freiwilligen Anstrengung hat bei uns den Verdacht genährt, daß das Teil einer Strategie ist, die gesetzliche Absicherung zu unterlaufen.
Zweitens. Wir sehen nicht, wo die gesetzliche Absicherung der notwendigen kostendämpfenden Maßnahmen im Gesundheitswesen das freiwillige Vorverständnis der Beteiligten am Gesundheitswesen behindert. Das Gesetz ist die Ultima ratio, die sicherstellen soll, daß da, wo sich die Beteiligten nicht verständigen können — es soll im menschlichen Leben Situationen geben, in denen der Streit dauert —, die Zeche nicht ausschließlich von den Beitragszahlern und von den Krankenkassen als ihren Interessensachwaltern gezahlt wird. Unsere Erfahrungen in den letzten zwei Jahrzehnten — ich klammere die letzten zwei Jahre einmal aus —
mit dem Verhalten der Anbieter von Gesundheitsleistungen unterstreicht die Notwendigkeit der gesetzlichen Absicherung. Insbesondere das Jahr 1975
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Egertmit seiner sehr merkwürdigen finanziellen Entwicklung rechtfertigt diese gesetzliche Absicherung. Wir widerstehen deshalb der Flucht in die unverbindliche konzertierte Aktion, und wir bekennen uns zu der Absicht, verantwortliches Verhalten auch dadurch verbindlich abzusichern, daß wir den Anbietern von Gesundheitsleistungen Orientierungsdaten und Handlungsspielräume vorgeben.
Dies behindert die Selbstverwaltung in keiner Weise.Mit der bundeseinheitlichen Empfehlungsvereinbarung für die Gesamtvergütung der Ärzte bzw. Zahnärzte sichern wir auf hohem Niveau ab, daß sich künftig auch die Einkommensentwicklung der Ärzte und Zahnärzte in gesamtwirtschaftliche Daten einpassen muß. Wir halten es für sozial durchaus vertretbar, daß sie sich unter anderem an den Lohn- und Einkommenszuwächsen der Beitragszahler in der gesetzlichen Krankenversicherung messen lassen muß. Die jetzt im Gesetz gefundene Regelung gewährleistet, daß regionalen Besonderheiten ausreichend Rechnung getragen werden kann. Wir haben kein Verständnis, wenn aus dem Kreis der ärztlichen Standesfunktionäre gegen diese Regelung mit dem Hinweis polemisiert wird, daß das Bremsen der Einkommenszuwächse bei den Ärzten notwendigerweise eine Leistungsminderung für den Patienten einschließt. Im Klartext heißt das doch, die Ärzteschaft ist bereit, ihren Beitrag zur Kostendämplung als Leistungsminderung an den Patienten weiterzureichen. Wie verträgt sich das mit dem oft beschworenen Standesethos?Die bundeseinheitliche Empfehlungsvereinbarung über diese Gesamtvergütung der Ärzte wird flankiert durch den im Gesetz vorgesehenen einheitlichen Bewertungsmaßstab. Ausgangspunkt soll dabei die Gebührenordnung der Ersatzkassen sein. Mit dieser Regelung wird endlich der Unsinn abgeschafft, daß gleiche ärztliche Leistungen unterschiedlich bewertet werden. Der von Ersatzkassen und Ärzteschaft unisono erhobene Vorwurf, hierdurch würde ein Einheitshonorar geschaffen werden, ist schon deshalb unzutreffend, weil eine unterschiedliche Honorierung der Leistung auch künftig möglich bleibt.
Mit dem einheitlichen Bewertungsmaßstab wird die Chance eröffnet, auch zur inneren Einkommensgerechtigkeit bei den erheblichen unterschiedlichen Einkommen innerhalb der Ärzteschaft einen Beitrag zu leisten. Daneben eröffnet die gesetzliche Regelung die Möglichkeit, ärztliche Leistungen neu zu bewerten, die apparative Medizin zugunsten des therapeutischen Gesprächs zwischen Patient und Arzt zurückzudrängen und den Blick des Arztes für wirtschaftliche Überlegungen bei den Anschaffungen in seiner Praxis zu schärfen.Mit der Einführung des Arzneimittelhöchstbetrages in der jetzt im Gesetz gefundenen Fassung wird der Versuch unternommen, die Arzneimittelausgaben in den Griff zu bekommen. Schon die im Regierungsentwurf vorgesehene Regelung hätte, sinnvoll umgesetzt, ein taugliches Instrument sein können, die ärztliche Verordnungsweise hinsichtlich der Arzneimittel zu beeinflussen. Wenn wir die vorgesehene Regelung weiter verbessert haben, dann unter anderem deshalb, weil vor dem Hintergrund öffentlicher Ankündigungen nicht auszuschließen war, daß diese Maßnahme zu Lasten der Patienten umgesetzt werden würde. Wir haben uns während der Ausschußberatung entschieden, vorzusehen, daß ein unbegründetes Überschreiten des vereinbarten Höchstbetrages auf Grund unwirtschaftlicher Verordnungsweise die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, den Überschreitungsbetrag auf die Verursacher zurückzurechnen. Der Einzelregreß bei unwirtschaftlicher Verordnungsweise des Arztes muß obligatorisch durchgeführt werden. Wir gehen davon aus, daß die Stärkung der Position der Krankenkassen in den Prüfungsausschüssen zusätzlich sicherstellen wird, daß neben dem Gesichtspunkt der zweckmäßigen Arzneimittelversorgung, der für uns Vorrang hat, weil wir — entgegen aller Legendenbildung — keine Billig-Medizin wollen, auch verstärkt wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden.
Nun wird gegen die Regelung eingewandt, wir trügen den Konflikt zwischen Arzt und Patient in die Praxis, die Anspruchsmentalität des Patienten werde den Dauerkonflikt mit dem Arzt programmieren. Wir können dem nicht folgen, weil wir den Arzt mit seiner Autorität gegenüber dem Patienten in seiner gesundheitserzieherischen Funktion hier reklamieren müssen. In unserem Gesundheitswesen fällt keine kostenwirksame Entscheidung, die nicht wesentlich von einem Arzt mitbestimmt ist. Wir müssen deshalb als Gesetzgeber die besondere Verantwortlichkeit der Ärzte bei diesen Entscheidungen in Anspruch nehmen. Dabei verkennen wir nicht, daß auch der Patient aufgefordert ist, dabei selbstverantwortlich mitzuwirken. Gesundheitserziehung, die ihn auf diese Aufgabe vorbereitet und ihn einbezieht, hat unabhängig von diesem Gesetz hohe Priorität.Flankierend zum Arzneimittelhöchstbetrag sieht das Gesetz eine Reihe weiterer Maßnahmen vor, mit denen dem Anspruch, eine zweckmäßige und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung sicherzustellen, Rechnung getragen werden soll. So soll als Überbrückungsmaßnahme, bis die Ergebnisse der Transparenzkommission beim Bundesgesundheitsamt vorliegen, der Ärzteschaft und den Krankenkassen die Möglichkeit gegeben werden, Preisübersichten zu erarbeiten, die die wirtschaftliche Verordnungsweise des Arztes fördern.Daneben wird dem Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen die Möglichkeit gegeben, bestimmte Arzneimittelgruppen, die zur Krankheitsbehandlung nicht unbedingt erforderlich sind, aus der Verschreibungsfähigkeit zu Lasten der Krankenkassen herausnehmen. Selbstverständlich kann der Arzt im begründeten Einzelfall diese Mittel nach wie vor verordnen.
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1860 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1937
EgertDie Herstellung von Preistransparenz sowie die erwähnte Negativliste sind unserer Meinung nach wirksame Mittel, der Preis- und Mengenentwicklung auf dem Arzneimittelmarkt entgegenzuwirken.Vor dem Hintergrund weiterer beträchtlicher Gewinnsteigerungen in der pharmazeutischen Industrie auch im Jahre 1976 erweisen sich die Vorbehalte dieses Industriezweiges gegen die gesetzlichen Regelungen als unbegründet. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Arzneimittel sind auch auf dem Hintergrund der besonderen Preisdisziplin aus dem Jahre 1976 weiter angestiegen. Das behauptete Eindämmen der Rezeptflut durch die Ärzteschaft hat nach jüngsten Aussagen der Betriebskrankenkassen Rhein-Ruhr noch nicht stattgefunden. Im Monat März verzeichnen die genannten Betriebskrankenkassen die bislang höchste Verschreibungswelle.
Hinzu kommt ein weiterer erheblicher Preisanstieg bei den Arzneimitteln. Das weitere Wachsen der Industrieumsätze und der Anstieg der Arzneimittelausgaben bei den Krankenkassen fördert die Erkenntnis, daß das Beeinflussen der Preise durch selbstbeschränkende Maßnahmen der Industrie allein offenbar nicht ausreichend ist. Sie reichen vor allem dann nicht aus, wenn man sieht, daß der Erfindungsreichtum der pharmazeutischen Industrie dazu führt, über eine Steigerung der abgesetzten Arzneimittelmenge den Gewinn zu mehren. Wir begrüßen deshalb nicht nur aus gesundheitspolitischen Gründen die Maßnahmen, die auf die Mengenkomponente der Arzneimittel einwirken sollen.Während der Ausschußberatungen ist die vorgesehene Regelung zur Ausgestaltung der Verordnungsblattgebühr verändert worden. Uns erschien die zunächst eingeräumte Befreiungsmöglichkeit bei lang andauernden Krankheiten als unpraktisch. Wir haben jetzt eine generelle Pflicht für die Versicherten festgeschrieben — Ausnahmen sind die Kinder —, Verordnungsblattgebühr zu zahlen. Die Krankenkassen können in Härtefällen Versicherte von der Verordnungsblattgebühr befreien. Dies erlaubt unserer Meinung nach eine bewegliche, den sozialen und den gesundheitlichen Gegebenheiten Rechnung tragende Anwendung. Eine generelle gruppengebundene Befreiung, wie sie von der Opposition vorgeschlagen worden ist, lehnen wir ab. Die Bezugsgröße für die Gebühr ist nicht mehr das Verordnungsblatt, sondern das verordnete Arzneimittel. Pro verordnetem Mittel ist eine Gebühr von einer Mark zu zahlen. Diese Regelung bedeutet für den Versicherten gegenüber der vorgesehenen 20%igen Beteiligung bei einer Höchstgrenze von 3,50 DM keine Mehrbelastung. Wir gehen davon aus, daß die gefundene Regelung praktikabler ist, daß sie sich auf die Zahl der verordneten Arzneimittel auswirkt und daß sie die therapiegerechte Verordnungsweise durch den Arzt fördern wird.Den Regelungen im KVKG wird der Vorwurf gemacht, sie zwängen die Ersatzkassen ins Kassenarztrecht. Lassen Sie mich dazu eines klarstellen. Nach dem System unseres Krankenversicherungsrechts sind Ersatzkassen — entschuldigen Sie die Banalität — eben Ersatzkassen. Die Mitgliedschaft bei ihnen ist Ersatz für die Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse, in einer Pflichtkasse. Sie ist die Ausnahme, nicht die Regel. Die vorwurfsvolle Bemerkung, die Ersatzkassen würden mit diesem Gesetz ins Kassenarztrecht gezwungen, ignoriert diesen Sachverhalt. Wir haben für diese Argumentation kein Verständnis.
Der Sinn des gegliederten Systems der Krankenkassen liegt in der Möglichkeit, miteinander in Wettbewerb zu treten. Dies kann nur unter gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen möglich sein.
Oder soll das gegliederte System etwa bedeuten: Die einen haben die schlechten und die anderen die guten Risiken? Dies allerdings wäre die Institutionalisierung eines Wettbewerbsvorteils, und dies wollen wir nicht. Wir wollen gleiche Wettbewerbschancen. Dies hat zur Voraussetzung, daß die nach der Kassenart unterschiedliche Verteilung der guten und der schlechten Risiken ausgeglichen wird.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Anhebung der Beitragbemessungsgrenze in der Form, in der sie jetzt als flankierende Maßnahme im Gesetz vorgesehen ist, wobei gleichzeitig die Schlupflöcher geschlossen worden sind, die es ermöglichten, daß jemand den Weg zu den privaten Krankenversicherungen in den Zeiten geht, in denen es ein gutes Risiko ist, und zu Zeiten eines schlechten Risikos bei der Alterssicherung in die Krankenversicherung der Rentner zurückkehrt. Ich meine, daß es legitim ist, zu verlangen, daß jemand, der seinen Anteil von der Solidargemeinschaft haben will, dazu auch seinen Beitrag kontinuierlich zu allen Zeiten geleistet haben muß und nicht wie ein Glücksritter wechselt, indem er sich in jungen Jahren in der privaten Krankenversicherung tummelt und in alten Jahren mit schlechtem Risiko in die gesetzliche Krankenversicherung zurückkehrt. Wir halten dies für eine vernünftige Lösung. In diesem Zusammenhang meinen wir, Beitragsbemessungsgrenze und die Schließung der Rentnerkrankenversicherung in Beziehung auf diesen Sachverhalt sind eine zusätzliche Verbesserung am Gesetzentwurf.Um die sinnvolle Zusammenarbeit im Rahmen der medizinischen Versorgung sicherzustellen, sieht das Gesetz vor — dies ist nun der Sozialismus in Reinkultur —, den ambulanten und den stationären Bereich stärker miteinander zu verzahnen.
Was passiert, ist bestenfalls das Öffnen von vernünftigen Bahnen aus dem einen in den anderen Bereich und zurück. Wir wollen da keine Einbahnstraßen. Dies ist wirklich ideologiefrei. Dies hat mit optimaler medizinischer Versorgung zu tun. Dies hat mit einem Abgrenzen der Instrumente zu tun. Man muß die kostenaufwendigen Instrumente mit den billigeren Instrumenten verzahnen. Man muß die medizinische Versorgung in dem jeweiligen Stan-
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Egertdard vorhalten können. Wer darin ideologische Absichten wittert, ist nun wirklich sachfremd.
Mit der vorstationären Diagnostik wird dem Krankenhaus die Möglichkeit gegeben — ich wiederhole das für die Kollegin Dr. Neumeister —, bei den ihm durch die niedergelassenen Ärzte zugewiesenen Patienten — also kein originäres Recht, kein Ambulatorium — die Diagnostik ambulant durchzuführen und differenziert darüber zu entscheiden, ob sie ins Krankenhaus müssen oder ob sie weiterhin ambulant behandelt werden können. Darin steckt ein kostensparender Effekt, wenn er wirksam genutzt wird.
Solange allerdings die Vorbehalte und Vorurteile wechselseitig hochgespielt werden, wird sich da tatsächlich wenig verändern. Wir gehen davon aus, daß diese Regelung nichts an der Aufgabenverteilung zwischen Krankenhaus und niedergelassenem Arzt ändert. Sie macht allerdings die Grenze zwischen den beiden Sektoren durchlässiger. Ideologische Tänze müssen deshalb wirklich nicht aufgeführt werden.Neben der vorstationären Diagnostik sollen, soweit es die Versorgung der Bevölkerung erfordert, Krankenhausfachärzte verstärkt beteiligt werden. Dies setzt sowohl die Zustimmung des Krankenhauses als auch die der Kassenärztlichen Vereinigungen voraus. Diese sehr eingeschränkte Regelung hilft in begründeten Notfällen — etwa dort, wo es um eine Unterversorgung hinsichtlich einer speziellen Facharztdisziplin geht, oder in Regionen, in denen die Facharztdichte im Bereich der Versorgung nicht vorhanden ist —, Lücken zu schließen, nicht mehr und nicht weniger.Das Gesetz sieht weiter die Möglichkeit der qualifizierten und kostengünstigen belegärztlichen Tätigkeit vor. Dabei gehen wir davon aus, daß im Interesse einer optimalen medizinischen Versorgung der Patienten im Krankenhaus Qualität und Wirtschaftlichkeit beim Einsetzen dieses Instruments Hand in Hand gehen müssen. Ich habe persönliche Erfahrungen mit belegärztlicher Tätigkeit, die mich schaudern machen. Andererseits kenne ich auch Beispiele, die mich zu der Auffassung bringen, daß im Rahmen der sinnvollen Verzahnung der vorhandenen Einrichtungen im Gesundheitswesen auch für dieses Instrument verstärkt der Weg geebnet werden muß.Einzelne Bestimmungen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes sollen durch das KVKG verändert werden. Lassen Sie mich dazu im Grundsatz sagen, daß ein Kostendämpfungsprogramm, das ohne Maßnahmen bliebe, die auch im Krankenhausbereich wirken, nur Stückwerk wäre. Auf eine gesetzliche Absicherung dieser Maßnahmen können wir nicht verzichten. Wir sehen z. B. als unverzichtbar an, daß die gesetzliche Krankenversicherung auch im Krankenhausbereich die Möglichkeit der Mitsprache erhält. Dies ist nicht nur ihr gutes Recht, sondern muß zur Pflicht werden, weil die Krankenkassen über die Pflegesätze die Folgekosten der Entscheidungen, die andere fällen, tragen. Wir können und werden deshalb auf eine Stärkung der Mitwirkungsrechte der Krankenversicherung im Krankenhausbereich nicht verzichten. Dem Argument der Krankenhausträger, die Krankenkassen gelangten damit in eine vorherrschende Position, können wir nicht zustimmen. Das Gegenteil ist richtig: Diejenigen, die rund 18 Milliarden DM im Jahr an Pflegekosten aufbringen, bekommen erstmals das Recht, wirksam und gleichgewichtig mitzuwirken.Als wesentliche Stärkung der Selbstverwaltung sehen wir die Bestimmung an, die festlegt, daß Pflegesätze künftig zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen ausgehandelt werden. Diese Regelung ist so ausgestaltet, daß ortsnahe Ergebnisse ermöglicht werden.Ein wichtiger Punkt in der öffentlichen Diskussion war die Frage der Eigenbeteiligung der Krankenhausträger an den Investitionskosten. Dieser Punkt war heftig umstritten. Er hat bei den Beratungen im Auschuß eine wichtige Rolle gespielt.
— So neu allerdings, wie Sie meinen, ist der Gedanke nicht. Das Krankenhausfinanzierungsgesetz enthält ihn bereits. Schon jetzt zahlen Krankenhausträger einen Investitionskostenanteil, wenn er auch nicht so heißt. Bei Neu- und Erweiterungsbauten übernehmen sie die Grundstücks- und Erschließungskosten. Da ist ein Stück Eigenbeteiligung der Krankenhausträger vorgesehen.Umstritten war, ob dieser Eigenanteil über die Pflegesätze refinanzierbar gestaltet werden soll. Wir haben uns mit gutem Grund für die Refinanzierbarkeit entschieden. Ein Zurück zum System der fortlaufenden Betriebskostenzuschüsse wollen wir nicht.
Wir können mehr Kostenbewußtsein, mehr Wirtschaftlichkeit bei Krankenhäusern nicht mit Regelungen erreichen wollen, die es ihnen unmöglich machen, die Kosten auch voll zu erarbeiten. Im übrigen rechtfertigte eine Eigenbeteiligung, die nicht erwirtschaftet werden kann, tatsächlich den Vorwurf der freigemeinnützigen Träger, sie würden benachteiligt werden. Hinsichtlich der Refinanzierung würde ich die Dramatisierung, die der Kollege Franke an diesem Punkt hat erkennen lassen, nicht teilen wollen.Meine Damen, meine Herren, ich habe in einer Art tour d'horizon versucht, über die wesentlichen Ergebnisse der Ausschußarbeit Bericht zu geben, sie aus der politischen Sicht der SPD-Bundestagsfraktion vorzustellen und zu bewerten. Wir werden bei der Aussprache über die Anträge der Opposition in der zweiten Lesung unsere Position zu Teilgebieten der politischen Gesamtoperation, insbesondere zu den Änderungsanträgen der Opposition, weiter verdeutlichen.
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1862 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
EgertDie sozialdemokratische Bundestagsfraktion kann jedoch schon jetzt feststellen, daß zum Konzept der Bundesregierung während der Beratungen in den Ausschüssen eine Alternative, die solide in der Sache wäre und auf einem realistischen finanziellen Boden stünde, nicht erkennbar geworden ist.
Wir bekennen uns zu dem Ergebnis unserer Ausschußarbeit. Wir halten es für ein weiter verbessertes Ergebnis, das die schwierigen Probleme unseres sozialen Sicherungssystems angemessen, sachgerecht, solide und sozial ausgewogen behandelt.Wir sehen das Ergebnis auch als einen Ausweis der Handlungsfähigkeit der sozialliberalen Koalition auf einem zentralen Feld der Gesellschaftspolitik an. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion versteht das Ergebnis auch als ein ermutigendes Zeichen, unbeirrt von öffentlichen Mißtönen konsequent in der Zusammenarbeit innerhalb der Koalitionsfraktionen fortzufahren.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorweg ein Wort des Dankes an den Kollegen Schmidt , der mir die Gelegenheit eingeräumt hat, hier kurz vor der Mittagspause noch zu dem Stellung zu nehmen, was der Kollege Franke zu den aus seiner Sicht so unsicheren Rechnungen in bezug auf die Finanzgrundlagen der Rentenversicherung gesagt hat.Herr Kollege Franke, Sie haben als erstes die Zielprojektion der Bundesregierung, die den Rechnungen der Sozialversicherung aller Zweige zugrunde liegt, angezweifelt und haben betont, das sei auch schon bei den Beratungen von sehr vielen Sachverständigen und anderen angezweifelt worden. — Es scheint Ihnen nicht bewußt zu sein, daß diese Zielprojektion der Bundesregierung die Grundlage nicht nur für die ersten fünf Jahre in den Rechnungen der Sozialversicherungsträger ist, sondern auch für die mittelfristige Finanzplanung in Bund, Ländern und Gemeinden. Wenn sie so wankend und so schlecht wäre, wie Sie, Herr Kollege Franke, sie hier dargestellt haben, müßten alle Ministerpräsidenten der von Ihrer Partei regierten Länder diese mittelfristige Zielprojektion im Gegenteil in höchstem Maße für zuverlässig, vielleicht sogar für zu optimistisch halten; denn sonst wäre nicht zu erklären, wie sie die Mehrwertsteuererhöhung bis heute ablehnen können.
— Aber ich bitte Sie! Wenn Sie meinen, daß dieser Zusammenhang nicht gegeben ist, würde ichSie doch einmal bitten, über Zusammenhänge zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik nachzudenken.Wenn der Herr Franke hier bezweifelt, daß die mittelfristige Zielprojektion realistisch ist, ist sie ja wohl nicht nur als Grundlage für die Rentenrechnungen unrealistisch, sondern sie ist dann ja wohl genauso unrealistisch als Grundlage für die mittelfristige Finanzplanung in — ich wiederhole es — Bund und Ländern. Und wenn sie so problematisch wäre, hätten ja wohl die Ministerpräsidenten der CDU-regierten Länder längst zu der Mehrwertsteuererhöhung ja sagen müssen; oder sie handeln in dieser Frage noch unverantwortlicher, als ich es mir jemals hätte träumen lassen.
Aber auch die zweite Vermutung ist natürlich möglich.
— Diesen Stil hat der Herr Franke eröffnet, verehrter Kollege Müller, und nicht ich.
Lassen Sie mich damit bitte zum zweiten Punkt übergehen. Es ist gar nicht zu bezweifeln, daß sich die Arbeitsmarktdaten ungünstiger entwickelt haben, als es noch im Herbst nicht nur von uns, sondern auch von der Bundesbank und von allen Konjunkturforschungsinstituten angenommen worden ist.
— Als Folge der vom Weltmarkt her veränderten wirtschaftlichen Entwicklung, mit Sicherheit nicht der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung; denn 5,6 % reales Wachstum im Jahre 1976 waren ein stolzes Ergebnis. Auch Sie, Herr Franke, haben von der Ausstrahlung des Londoner Gipfels her sehen können, wie gut die Position der Bundesrepublik unter diesen sieben Nationen ist. Wenn man ernsthafte Politik treiben will, kann man doch weder darüber lachen noch sich darüber hinwegsetzen.
Wir werden der Arbeitslosigkeit sehr ernsthaft zu Leibe rücken. Mit den Mitteln der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik werden wir dies tun.
— Herr Franke, ich möchte die zehn Minuten, die ich noch habe, benutzen, um Ihnen zu antworten. Sie
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Bundesminister Dr. Ehrenberghaben eine volle Stunde reden können; ich möchte zehn Minuten auf Sie antworten.
Wir werden der Arbeitslosigkeit mit vereinten Anstrengungen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zu Leibe rücken. Niemand sollte aber die Illusion. haben, daß das mit einem Wunderrezept über Nacht zu schaffen ist. Die Wachstumsimpulse, die notwendig sind und die u. a. auch von dem 16-Milliarden-Programm für Zukunftsinvestitionen ausstrahlen werden, wären wiederum schon ein Stückchen weiter, wenn es im Verkehr mit den Bundesländern nicht so lange gedauert hätte, dieses Programm endlich in Gang zu bringen.
Aber nun zu dem Punkt, den Herr Franke angesprochen hat, zu der Meldung der Sozialversicherungsträger, daß sie 1 Milliarde DM weniger als erwartet — nicht weniger als im Jahr zuvor, weniger als erwartet — eingenommen haben. Diese Meldung über die 1 Milliarde DM ist richtig. Sie hat aber auch ihre erklärbaren Ursachen, die nur zu einem sehr geringen Teil — ich will Ihnen gleich sagen, zu einem wie großen Teil — im langsameren Wirtschaftsverlauf liegen. In erster Linie geht sie nämlich darauf zurück, daß die Versicherungsträger den Verkauf von Beitragsmarken an freiwillig Versicherte eingestellt und die Umstellung auf ein Überweisungsverfahren, ein Abbuchungsverfahren vorgenommen haben. Sie haben den Versicherten selber Mitteilungen des Inhalts zugestellt, daß sie damit rechnen, daß sich die Eingänge auf Grund der Umstellung um insgesamt drei bis vier Monate verzögerten. Von dieser 1 Milliarde DM, die weniger eingegangen ist als erwartet, entfallen 750 Millionen DM auf freiwillige Beiträge, die nicht weggefallen sind, sondern deren Eingang sich verzögert hat.
Der Rest geht auf die verlangsamte Konjunkturentwicklung zurück. Meine Damen und Herren, das können Sie auch daran sehen, daß die Pflichtbeiträge in diesen vier Monaten um mehr als 5 % gestiegen sind.
— Verehrter Herr Kollege George, die Lohnerhöhungen schlagen mit den Nachzahlungen sicher erst im Mai in den Kassen der Bundesversicherungsanstalt zu Buche, nicht schon jetzt. Im Januar und Februar gab es keine Lohnerhöhungen; die Abschlüsse waren später.
Auch das sollte eigentlich gerade Ihnen bekannt sein.
Eines kommt noch hinzu — dies ist genau das, Herr Kollege Franke, was ich in Hamburg gesagt habe —: Wir haben im Dezember des vergangenen Jahres einen ungewöhnlich hohen Eingang gehabt, der die Dezember-Zahl um mehr als 1 Milliarde DM ansteigen ließ. Allein 400 Millionen DM davon sind freiwillige Beiträge, die erst im Januar eingegangen sind, aber wegen der Markenumstellung noch im Dezember verbucht worden sind, da man die auf Grund des Markenverfahrens eingegangenen Beiträge nicht mehr in einem Jahr buchen wollte, in dem es das Markenverfahren nicht mehr gibt.Alles das sind Fakten, die man wissen sollte, bevor man hier eine solche Schwarzmalerei an die Wand stellt, wie Sie, Herr Franke, das getan haben.
— Im Haushaltsausschuß kann diese Frage in dieser Form noch gar keine Rolle gespielt haben, denn die Zahlen, die die BfA auf ihrer Mitgliederversammlung verkündet hat, haben erst gestern in Hamburg das Licht der Öffentlichkeit erblickt.
Der Haushaltsausschuß kann doch aber nicht die Zahlen von gestern vorausgenommen haben. Dann müßten Sie ja nach anderem gefragt haben.
— VDR, ja. Aber die BfA-Zahlen sind dort bei der VDR-Mitgliederversammlung bekanntgegeben worden, Herr Franke.Nachdem, wie ich hoffe, dieser Fall inzwischen auch bei Ihnen, Herr Franke, geklärt ist, ist es notwendig, etwas zu Ihren Ausführungen über die Nettoanpassung zu sagen. Im Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetz steht darüber nichts, und dort kann auch nichts darüber stehen.
— Das hat mit „Trick" nichts zu tun, sondern das Zwanzigste Rentenanpassungsgesetz bringt eine Anpassung um 9,9 °/o. Wollten Sie die als „netto" bezeichnen? — Doch wohl nicht.Es gibt auch sonst keine feste Absicht eines Übergangs zur Nettoanpassung. In der Koalitionsvereinbarung gibt es lediglich eine Vorsichtsmaßnahme, weil wir nämlich vorsichtiger sind, als es uns der Herr Franke unterstellt. Wir rechnen vorsichtig, und wir rechnen solide. Da keiner von uns mit letzter Konsequenz ein Prophet für die wirtschaftliche Entwicklung sein kann — das wird niemand behaupten wollen —, andererseits aber Sie wie wir von Annahmen ausgehen müssen, weil man überhaupt nicht in die Zukunft rechnen kann, wenn man keine Annahmen macht, sind wir zum einen von der mittelfristigen Zielprojektion ausgegangen, ebenso wie Länder und Gemeinden auch. Auch dem Haushalt
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1864 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Bundesminister Dr. Ehrenbergvon Herrn Stoltenberg liegt dieselbe mittelfristige Finanzplanung zugrunde. Zum anderen haben wir vorsichtshalber für den Fall, daß die wirtschaftliche Entwicklung langsamer verlaufen sollte, als im Herbst 1976 anzunehmen war, in die Koalitionsvereinbarung die Möglichkeit eingebaut, von der Bruttoanpassung in zwei Jahren abzuweichen, wenn die Finanzen es erfordern. Aber um die Rentner vor der Furcht zu bewahren, daß ihnen etwas geschehen könnte, wie Ihre Partei es ihnen 1958 zugemutet hat, nämlich daß eine Anpassung ganz wegfällt — das geltende Recht läßt es zu, Anpassungen zu unterlassen —, um die Rentner nicht in diese Furcht zu stürzen, daß wir so handeln könnten, wie Sie es einmal getan haben — obgleich diese Furcht unbegründet wäre Sozialdemokraten gegenüber —, haben wir diese Vereinbarung vorsichtshalber vorgesehen, nämlich daß, wenn aus wirtschaftlichen Gründen von der Bruttoformel abgewichen werden muß, dies höchstens bis zur Auffanggrenze des Anstiegs der Nettolöhne und -gehälter geschieht. Das ist eine sehr klare Regelung, Herr Franke, die es nicht zuläßt, mit Abschlägen zu jonglieren, wie Sie es hier getan haben. Es handelt sich hier ganz schlicht um den Anstieg des Nettovolumens der Löhne und Gehälter von einem Jahr zum anderen und nicht um einen irgendwie von Ihnen hier vorfabrizierten Abschlag.
Um die Koalition davor zu bewahren, Ihre Fehler von 1958 zu wiederholen, ist diese Anpassungsregelung als Möglichkeit eingebaut worden, nur für den Fall, daß die wirtschaftliche Entwicklung ein solches Vorgehen erfordert.Ich hoffe sehr, es wird unseren vereinten Anstrengungen und auch den positiven Ausstrahlungen des Londoner Weltwirtschaftsgipfels gelingen, die Wirtschaft in Schwung zu bekommen. Wenn Sie die Unternehmer nicht ständig verunsicherten, wären wir schon ein Stückchen weiter in dem Bemühen,
die Wirtschaft so weit zu bekommen, daß Unternehmer wieder Unternehmer und nicht mehr Unterlasser sind und daß die Arbeitnehmer wieder fröhlich konsumieren. Dann brauchen wir um die Anpassung keine Bange zu haben.
— „Fröhlich konsumieren" ist ein Ausdruck von Herrn Erhard; Sie sollten ihn nicht schmähen.
— Nein, ich nicht. Sie können uns nicht feste Absichten unterstellen, die wir nicht haben.
— Sie unterliegen einem großen Irrtum. Auch das hat Herr Franke falsch dargestellt; Sie scheinen es auch nicht richtig gelesen zu haben. Die Fünfzehnjahresrechnungen gehen davon aus, daß diese Abweichung von der Bruttoformel auf die Nettoanpassung dann notwendig ist, wenn der Anstieg der Löhne und Gehälter im Schnitt 7 % oder weniger beträgt. Bei 8 % ist dieser Schritt nicht mehr nötig. Das weisen unsere Rechnungen aus. Wenn allerdings der Fall eintritt, daß der Anstieg der Löhne und Gehälter 7 % nicht überschreitet, dann werden wir es tun müssen. Bisher hoffe ich, die wirtschaftliche Entwicklung und die gewerkschaftliche Tarifpolitik werden es nicht dahin kommen lassen, daß wir nicht mehr als 7 °/o Lohnerhöhung bekommen.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung an die Adresse von Herrn Franke machen. Schon bei der ersten Lesung ist es mir sehr aufgefallen, Herr Franke, wie oft Sie der Bundesregierung vorwerfen, unsozial zu handeln,
dabei gleichzeitig selber viel unsozialere Vorschläge unterbreiten
und zum anderen — wider besseres Wissen, verehrter Herr Kollege Franke! — immer wieder vor der deutschen Öffentlichkeit von Rentenkürzungen reden. Rentenkürzungen finden nicht statt, und ich betrachte es als höchst unmoralisch, dem deutschen Volk vorzumachen, es gebe Rentenkürzungen.
Herr Kollege Franke, Sie haben noch drei Minuten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Drucksache 8/165 heißt es auf Seite 6 — ich darf zitieren —:In den Jahren 1978 bis 1980 betragen die Minderausgaben in der Rentenversicherung 20,3 Milliarden DM, wovon 0,4 Milliarden DM auf die knappschaftliche Rentenversicherung entfallen.Auf Seite 54 derselben Drucksache heißt es:In den Jahren 1978 bis 1980 betragen die Minderausgaben in der Rentenversicherung 20,3
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1865
FrankeMilliarden DM, ... Bei diesen Beträgen ist eine eventuelle Anpassung der Bestandsrenten in den Jahren 1979 und 1980 an die Entwicklung der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer berücksichtigt.Das ist nichts anderes als die in der Regierungsvorlage angekündigte und von der Regierung und demMinister hier eben noch geleugnete Nettoanpassung.
Sie können hier nicht von „unmoralisch" sprechen, während ich Sie selbst mit Ihren eigenen Unterlagen widerlege. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Ich unterbreche die Beratungen bis 17 Uhr. Die Sitzung ist unterbrochen.
Wir fahren in den Beratungen fort.
Meine Damen und Herren, nachdem das Haus heute morgen beschlossen hatte, die Fragestunde ausfallen zu lassen, gebe ich bekannt, daß die Fragen 11, 20 bis 24, 27, 28, 32, 43, 47, 48, 68, 69, 80 und 81 von den Fragestellern zurückgezogen worden sind.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in der allgemeinen Aussprache zu den Punkten 3 bis 5. Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine unterbrochene Sitzung als erster Debattenredner neu zu beginnen hat Vor- und Nachteile.
Vorteile, dann, Herr Dr. Blüm, wenn man einen neuen Sachbereich im Rahmen der Debatte anschneidet, Nachteile dann, wenn man als dritter Vertreter der drei Fraktionen dieses Hauses auf Dinge antworten muß, die vor vier Stunden vorgetragen wurden. Nachteile gibt es vielleicht auch insofern — das darf ich wohl sagen; entschuldigen Sie, Frau Präsident —, wenn im Endeffekt nur eine erweiterte Ausschußsitzung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung hier stattfindet. Dies, meine Damen und Herren, ist eigentlich sehr bedauerlich. Ich habe Verständnis für die Dinge, die die Tagesordnung dieser Woche erschwert haben. Das war selbstverständlich. Daß aber ein so wichtiges Thema wie die Sanierung unserer Rentenversicherung, die Konsolidierung der Finanzen, die Kostendämpfung im Gesundheitswesen in der zweiten und vielleicht doch mit entscheidenden Lesung so wenig Aufmerksamkeit findet, wird sicher auch mancher draußen im Lande nicht ganz verstehen.Meine Damen und Herren, ich hatte an sich vor — es war ja ursprünglich vorgesehen, daß ich noch vor der Mittagspause spreche —, diesen ersten Beitrag zur zweiten Lesung seitens der Freien Demokraten mit einem Dank insbesondere an die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung und ganz besonders auch an die Opposition im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu beginnen, nämlich mit einem Dank dafür, daß der von mir in der ersten Lesung hier ausgesprochene Wunsch, daß die Beratungen zügig, sachgerecht und termingerecht durchgeführt werden sollten, in Erfüllung gegangen ist. Ich möchte wirklich, auch als Berichterstatter zu diesem Gesetz, sagen, daß die Beratungen im Ausschuß von Sachlichkeit und von der Sache entsprechender Nüchternheit getragen waren.Ich muß nun allerdings feststellen, Herr Kollege Franke, daß ich Sie in diesen Dank eigentlich nicht einbeziehen kann,
denn das, Herr Kollege Franke, was Sie im Gegensatz zur Ausschußarbeit der Opposition hier heute früh geboten haben,
würde ich unter die Schlagzeile setzen: Außer Polemik nichts gewesen.
Ich glaube nicht, Herr Kollege Franke, daß Sie der Opposition einen guten Dienst erwiesen haben. Auf alle Fälle haben Sie den Menschen in unserem Lande, die nach langen Diskussionen und bei manchen Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit auf klare Aussagen dieses Hohen Hauses warten,
auf alle Fälle mit dem, was Sie hier geboten haben — ich meine nicht das, was im Ausschuß von der Opposition gesagt wurde —, einen sehr, sehr schlechten Dienst erwiesen.
Denn, Herr Kollege Franke, man kann sich nicht hier hinstellen und sagen, hier sei unter unerträglichem Zeitdruck gearbeitet worden,
obwohl zwischen allen drei Fraktionen vereinbart worden ist — der Kollege Zink ist leider nicht anwesend, sonst würde er es Ihnen sagen —, daß wegen der zum 1. Juli vorgesehenen Anpassung der Renten diese Diskussion heute und morgen als zweite und dritte Lesung geführt werden muß.
— Es ist interfraktionell vereinbart worden — bitte, fragen Sie den Kollegen Zink, Ihren Obmann im Ausschuß —, daß alle drei Gesetze heute und morgen hier in zweiter und dritter Lesung beraten wer-
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1866 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Schmidt
den. Deshalb kann man sich nicht hier hinstellen und von Zeitdruck reden.
— Aber, entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, das kann man nicht. Dann hätten Sie sagen müssen: Wir machen nicht mit, dann hätten Sie sagen müssen: Wir sind auch nicht bereit, vor dem 1. Juli rechtzeitig darüber zu beraten. Das hätten Sie tun können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön! Wir können gleich damit anfangen. Ich bitte aber darum, das nicht auf meine Redezeit anzurechnen.
Herr Kollege Schmidt, würden Sie zugeben, daß es möglich gewesen wäre, die Rentenanpassung abzukoppeln und alle anderen Dinge Bach- und zeitgerecht zu diskutieren?
Herr Kollege Höpfinger, wenn ich diese Frage jetzt nicht im Detail beantworte, so deshalb, weil ich auf den Zusammenhang dieser Gesetze in meinen Ausführungen sowieso noch kommen werde. Ich wollte hier nur einmal klarstellen, daß es eine Vereinbarung der Fraktionen war, heute hier alle drei Gesetze in zweiter und dritter Lesung zu beraten. Das ist im Ausschuß sachgerecht geschehen. Hier stellt man andere Dinge fest. Diese weise ich für die Koalitionsfraktionen und auch für mich persönlich zurück.
Herr Kollege gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, ist Ihnen nicht mehr in Erinnerung, daß wir zu Beginn der Einzelberatung im Ausschuß durch unseren Sprecher, Herrn Zink, den gleichen Protest eingelegt haben, wie ich ihn heute morgen hier artikuliert habe, daß wir unter unerträglichem Zeitdruck stehen und mit Sicherheit manche Fragen nicht ausdiskutieren können?
Herr Kollege Franke, dann muß ich feststellen — ich bedaure noch einmal, daß der Kollege Zink nicht anwesend ist —, daß es ein Protokoll über die Obleutebesprechung beim Ausschußvorsitzenden gibt, dem der Kollege Zink zugestimmt hat und in dem das so steht. Dann erkundigen Sie sich bitte vorher, was hier vereinbart worden ist.
Aber, lassen wir das, gehen wir weiter! Die Tatsache der Absprache besteht.Zweite Bemerkung zu dem, was Sie heute früh gesagt haben, Herr Kollege Franke: Die CDU/CSU weiß seit Jahren, wie die Dinge stehen; die Koalition hatte keinen Mut vor dem 3. Oktober. — Herr Kollege Franke, ich wäre dankbar, wenn Sie mir zuhörten, denn ich muß mich am Anfang mit einigen Dingen auseinandersetzen, die Sie heute früh hier gesagt haben.Wenn jemand in diesem Hohen Hause bereits vor zwei Jahren die drängenden Fragen der Konsolidierung der Rentenfinanzen und der Kostendämpfung angesprochen hat, dann waren es die Freien Demokraten. Das möchte ich hier einmal klar sagen. Sie haben zwar immer erklärt: Wir sind zu Angeboten bereit; aber Sie haben nicht ein einziges Mal von diesem Podium herab gesagt: Dieses oder jenes schlagen wir vor.
Ich habe vor Jahren für die Freien Demokraten — damals haben Sie dagegen gesprochen — die Notwendigkeit der Verschiebung des Anpassungstermins der Renten hier angesprochen, ich habe Aktualisierungsprobleme angesprochen. Ich habe, als Ihr Generalsekretär sein Konzept zur, Eindämmung der Kostenexplosion vorlegte, hier von notwendigen kostendämpfenden Mßnahmen gesprochen.
Ich habe voriges Jahr für die Freien Demokraten einen Leistungskatalog vorgelegt. Sie können nicht behaupten, daß Sie in diesem Hohen Hause die einzigen gewesen seien, die überhaupt über die Dinge gesprochen hätten, und Sie können auch kaum behaupten, daß Sie vor dem 3. Oktober,
wie Sie so schön sagen, die Wahrheit gesagt odersich für die CDU/CSU hierzu klar geäußert hätten.
Ich kann mich nur daran erinnern, daß Ihr jetziger Fraktions- und Bundesvorsitzender vor dem Wahltag gleichzeitig eine Renten- und eine Beitragsgarantie gegeben hat und daß Sie, was Sie schon, vor dem Wahltag getan haben, auch jetzt noch kostendämpfende Maßnahmen in der Krankenversicherung ablehnen, indem Sie das Gesetz abkoppeln wollen.Ich möchte mich auch nicht lange — weil ich zur Sache kommen will; dennoch müssen einige Dinge
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1867
Schmidt
zurecht gerückt werden — mit Ursachenforschung befassen;
denn ich habe schon sehr oft, Herr Kollege Blüm, von dieser Stelle auf gewisse Dinge der Vergangenheit hingewiesen. Sie, Herr Kollege Franke, sprechen davon, daß dies, wenn das alles so sei— und das haben Sie wörtlich gesagt—, ausschließlich Schuld von SPD und FDP sei.
Meine Damen und Herren, wer hat denn die Beitragsbelastung der Arbeitnehmer durch die Anhebung von 14 auf 18 % in die Höhe getrieben? War das nicht der Vorschlag des Arbeitsministers, den die CDU/CSU stellte, weil es damals kostenmäßig nicht mehr ging? Deshalb sind wir doch heute in dieser Belastungssituation und müssen über all das nachdenken. Wer hat denn 1972 den Antrag auf Vorziehung der Rentenanpassung gestellt? Ich habe damals für die Freien Demokraten von dieser Stelle dagegen gesprochen. Wer hat denn den Antrag gestellt? Wir wären in manchem leichter dran, wenn dieser Fehler, ich gebe zu: den dann das ganze Hohe Haus gemacht hat — aber auf Ihren Antrag hin —, damals nicht gemacht worden wäre.
— Herr Kollege Dr. Becker, Sie haben damals diesem Hohen Hause noch nicht angehört. Aber Sie können nachlesen, daß ich damals davor gewarnt habe.Ich gebe zu: Das ganze Haus hat dann zugestimmt. Ich bin so ehrlich, das zu sagen. Ich habe allerdings auch vor wenigen Wochen hier in der Debatte gesagt: Wenn ich damals das gewußt hätte, was ich heute weiß, hätte ich nicht zugestimmt. Das habe ich hier auch schon einmal gesagt. Aber ich möchte hier nicht immer hören müssen: „Die da allein sind schuld", wenn solche Anträge, die uns mit in diese Situation gebracht haben, damals von Ihnen, von Ihren Ministern gekommen sind. Das wollen wir doch hier einmal feststellen.
Deshalb, meine Damen und Herren, sitzen wir doch — und das will ich jetzt hier nach all dem einmal versöhnlich sagen — in einem Boot. Es gibt im sozialpolitischen Bereich manche Dinge, die man in der Vergangenheit aus der Sicht „Es geht alles bei Schönwetter so weiter" geglaubt hat machen zu können.Es ist notwendig, manches zu ändern. Ich muß allerdings sagen — die sachgerechte Beratung im Ausschuß hat das auch deutlich gemacht —: das, was uns jetzt als Ergebnis der Ausschußberatungen vorliegt, ist — so sehen es jedenfalls wir Freien Demokraten — ein Schritt in die richtige Richtung, noch nicht etwa der Schritt, um alles regeln zu können,
aber ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist ein Schritt in die Richtung auf Erhaltung des gegliederten Systems unserer Altersversorgung und des gegliederten Systems unserer Krankenversicherung unter Berücksichtigung der Aspekte des Abbaus von Mißbräuchen und der Erzielung von mehr Wirtschaftlichkeit. Das verhindert — und dafür stehen wir Freien Demokraten gerade —
— darauf komme ich nachher noch —, daß durch Überlastung — —
— Herr Kollege Franke, jetzt will ich Ihnen gleich einmal eines sagen: Für das, was hier geschieht, hafte ich auch mit, weil es kein sozialistisches Experiment ist. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung.
— Meine Damen und Herren, Sie können Zwischenrufe machen, soviel Sie wollen. Manche der noch nicht so lange dem Hause angehörenden Kollegen wissen noch nicht, daß ich das sehr lange aushalte.Das ist ein Schritt in die richtige Richtung und nicht in die Richtung, in die unsere soziale Sicherheit geraten würde, wenn eine Überbelastung der Beitragszahler und eine Überbelastung unserer Wirtschaft staatliche Eingriffe, staatlichen Dirigismus, einen staatlichen Gesundheitsdienst und die Einheitsaltersversorgung notwendig machten. Dorthin wollen wir nicht. Deshalb müssen jetzt wirtschaftliche Kontrollen und mehr Wirtschaftlichkeit eingeführt und muß mancher Mißbrauch abgeschafft werden. In diese Richtung gehen unsere Gesetzentwürfe.Denn, meine Damen und Herren, was will denn das 20. Rentenanpassungsgesetz? Was tut es denn in seinen Schwerpunkten — die wir bejahen —? Es grenzt wirklich systemgerecht die drei Säulen unserer Altersversorgung ab : Rentenversicherung, Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung. Ein mal die Festlegung, daß die Bundesanstalt für Arbeit ab 1979 die Altersversorgungsbeiträge für die Arbeitslosen übernimmt und dadurch auch die konjunkturellen Einflüsse abmildert. Zum anderen begrüßen wir sehr — und auch Sie sind hier dankenswerterweise mitgegangen, selbst wenn Sie es jetzt nicht mehr ganz wahrhaben wollen —, daß die Rentenversicherung in Zukunft nur noch den Durchschnittsbeitrag entsprechend dem Durchschnittsrisiko für die Rentner in der Krankenversicherung zu bezahlen hat. Es war schon seit 1970 eigentlich der gesetzliche Auftrag, über 11 % nicht hinauszugehen. Aus verschiedenen Gründen sind die entsprechenden Verordnungen unterblieben.
— Weil man damals glaubte, Beitragsbelastungen und Mehrkosten in der Krankenversicherung ver-
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meiden zu können, wenn man hier etwas wartet, zumal die gesamte Regelung der Krankenversicherung der Rentner zweifellos sehr problematisch ist. Aber jetzt packen wir sie hier an. Freilich wußte das dieses Hohe Haus, auch die Opposition — da sollte man sich doch nicht davonschleichen —, seit 1974. Erst jetzt wird das gesetzlich geregelt. Wahlen machen es eben manchmal schwieriger, manches rechtzeitig zu tun. Aber da haben auch Sie Ihre Erfahrungen. Das gilt nicht nur für den, der gerade regiert, sondern mindestens genauso für den, der in der Opposition ist.Deshalb — das muß hier noch einmal gesagt werden — ist es ein völliges Verkennen der Tatsachen, ja schon beinahe die Unwahrheit, wenn draußen immer wieder behauptet wird, die Rentenversicherung werde zu Lasten der Krankenversicherung saniert. Das ist doch schlicht und glatt die Unwahrheit. Denn es wurden 17 Milliarden DM an die Krankenversicherung überbezahlt, die eigentlich seit 1970 nicht mehr hätten bezahlt werden müssen. Jetzt wird der eigentliche gesetzliche Zustand hergestellt und damit die nach meiner Ansicht richtige Regelung, nämlich Durchschnittsbeiträge für Durchschnittsrisiko, getroffen. Damit erfolgt eine saubere Trennung der drei Säulen unserer sozialen Sicherheit und zugleich eine Stärkung des geliederten Systems.
Ich muß mich nun wieder an die Opposition wenden. Im Ausschuß wurde die ursprünglich vorgesehene Aufstockung für Pflichtversicherte herausgenommen und auf die Beratung eines späteren 21. Rentenanpassungsgesetzes verschoben.. Ich habe mit Interesse bemerkt, daß die Opposition diese Frage wieder aufgegriffen hat und durch einen Änderungsantrag diese Aufstockung in das Gesetz wieder hineinbringen möchte.Da ergeben sich für mich mehrere Fragen, Herr Kollege Franke. Sie haben heute früh über die Finanzprobleme der Rentenversicherung viel geredet. Gleichzeitig unterschreiben Sie einen Antrag oder lassen ihn durch Ihren Fraktionsvorsitzenden unterschreiben, durch den in dieses Konzept zur Konsolidierung der Rentenversicherung ein neuer finanzieller Unsicherheitsfaktor hineinkommt. Wie können Sie das eigentlich mit Ihren Vorstellungen in Einklang bringen? Auf der einen Seite machen Sie der Bundesregierung Vorwürfe, das reiche alles nicht. Auf der anderen Seite stellen Sie Anträge, die dazu führen könnten, — —
— Ja, könnten! Denn es gibt keine Berechnungen darüber. Oder können Sie, Herr Kollege Franke, mir sagen, ob, wenn das Gesetz würde, der Aufstocker von 1978, der seine Beiträge freiwillig aufstockt und dadurch einen höheren Rentenanspruch erwirbt, 1985 diesen Rentenanspruch von einem dann Aufstockenden realisiert bekommt? Ansonsten muß nämlich dieser höhere Rentenanspruch von den Beitragszahlern mitgetragen werden. Das muß doch einmal sehr klar gesagt werden; denn hier handelt es sich um ein ganz unsicheres Experiment, daserst sehr sorgfältig überdacht werden muß, wenn man es überhaupt in das Rentenversicherungsgesetz einbringen will.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit zuzugeben, daß wir die Frage der Pflichtversicherung u. a. auch damit verbunden haben, daß wir gleichzeitig die Kontinuität der Beitragszahlung sicherstellen müssen, und geben Sie nicht zu, daß damit auch Ihr letztes Argument entfällt?
Ihr Argument stimmt trotzdem nicht, Herr Kollege Franke; denn die Kontinuität der Beitragszahlung garantiert doch noch nicht, daß 1985 ein Beitragszahler vorhanden ist, der freiwillig aufstockt. Das ist doch das Problem bei unserem Umlagesystem. Es müssen dann doch Beitragszahler da sein, die aufstocken.
Nur am Rande der Erörterung dieser Problematik möchte ich die Frage stellen, ob die Aufstockung zu diesem Zeitpunkt und in dieser Form überhaupt sozial wäre; denn derjenige, der sie gern vornehmen möchte, weil er einen niedrigen Rentenanspruch hat, wird es nicht können: Sein Einkommen wird es ihm nicht ermöglichen. Derjenige, der ein hohes Einkommen hat, kann die Aufstockung aber gegebenenfalls für eine andere Person, beispielsweise für seine teilzeitarbeitende Frau, vornehmen. Ist das sehr sozial oder bringt das nicht Probleme mit sich, noch dazu wo das mit finanziellen Belastungen und Unwägbarkeiten verbunden ist?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ?
Bitte schön.
Herr Kollege Schmidt , wissen Sie sich noch zu erinnern bzw. geben Sie mir zu, daß Sie selber im Jahre 1974 Aufstockungen der Pflichtbeiträge angeregt haben und sich das Arbeitsministerium mit dieser Frage schon seinerzeit befaßt hat?
Herr Kollege Müller, Sie haben bei Ihrer Frage bloß eines unterschlagen oder vergessen. Damals ging es um die Aufstockung der Beiträge der Pflichtversicherten für die zurückliegenden Jahre.
— Jawohl, für die zurückliegenden Jahre. Sie können den Antrag gern nachlesen. Die CDU/CSU hatteja einen ähnlichen Antrag eingebracht. Unser da-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1869
Schmidt
maliger Antrag hatte zum Ziel, im Hinblick auf die Nachentrichtungsmöglichkeit im Rahmen der Öffnung eine Gleichstellung zu ermöglichen. Es ging nicht darum, eine Aufstockung für die Zukunft zu ermöglichen. Wir haben diesen Antrag damals zurückgezogen
— ich darf das vielleicht noch ausführen; dann können Sie fragen, aber vielleicht brauchen Sie dann gar nicht mehr zu fragen —, weil wir nach Durchrechnung dieses Vorhabens zu der Auffassung gelangt waren, daß die zusätzlichen finanziellen Belastungen für die Rentenversicherung nicht zu verantworten waren. Auf Grund dieser Überlegungen haben wir diese Frage seitdem zurückstellen müssen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte schön.
Welchen Unterschied grundsätzlicher Art machen Sie denn zwischen der freiwilligen Aufstockung mit rückwirkender Kraft und der für die Zukunft?
An sich habe ich darauf ja schon eben geantwortet.
Wir haben diesen Antrag zurückstellen müssen, weil es die finanziellen Möglichkeiten generell nicht gestatteten, über eine Aufstockung zu reden. Das ist eine grundsätzliche Frage. Aus diesem Grunde haben wir den Antrag damals zurückgezogen, und heute wiederholen wir eben, daß das nicht möglich ist. Wir werden über die Aufstockung im Rahmen des 21. Rentenanpassungsgesetzes — es liegt ja ein Entschließungsantrag vor — erneut diskutieren.
— Moment. Es ist immer gut, wenn man zunächst einmal abwartet, was gesagt wird.
— Herr Kollege Franke, keine Sorge! — Wir werden vorher allerdings prüfen, ob es nicht richtiger ist, gewisse Privilegien abzubauen, die nicht an kontinuierliche, einkommensgerechte Beitragsleistungen in der Rentenversicherung gebunden sind und damit nicht dem Solidaritätsprinzip entsprechen, die aber auf Grund bestimmter Entscheidungen der Großen Koalition aus dem Jahre 1969 existieren, um auf diese Weise das Bedürfnis nach einer notwendigen Aufstockung zu beseitigen; denn diese Privilegien sind doch Anlaß . zu der mit Recht erhobenen Forderung nach einer Aufstockung: daß es im freiwilligen Bereich Möglichkeiten gibt, die es im Pflichtbereich nicht gibt. Bauen wir den freiwilligen Bereich auch kontinuierlicher, systemgerechter mit einkommensgerechten Beiträgen aus, so stellt sich die Frage nach einer Aufstockung — ob überhaupt —völlig neu. Dies will der Entschließungsantrag. Dann werden wir diesen Dingen nachgehen. Wir halten es jedenfalls heute für unverantwortlich, die Rentenversicherung in eine solch unsichere Finanzsituation hineinzubringen.Nun ein Wort zu der kurzen Debatte heute früh zwischen dem Kollegen Franke und mir. Herr Kollege Franke, ich hatte die Zwischenfrage gestellt, ob bezüglich der Bewertung der Dinge — ich will das einmal etwas zusammenfassen — nicht ein Unterschied zu machen wäre zwischen demjenigen, der ein volles Arbeitsleben mit 35 bis 45 Beitragsjahren hinter sich hat, und einem anderen Rentenbezieher, der keine so langen Beitragszeiten in seinem Arbeitsleben aufzuweisen hat. Sie haben selbst von erfülltem Arbeitsleben und vom würdigen Lebensabend gesprochen, Herr Kollege Franke, und haben das Beispiel einer Witwe mit einer Rente von 350 DM angeführt. Zweifellos müssen wir Beziehern solcher kleinen Renten, wenn sie kein anderes Alterseinkommen haben, helfen. Aber das kann nicht zu Lasten der Beitragszahler in der Rentenversicherung gehen, wenn die Betreffenden nicht lange genug in dieser Solidargemeinschaft waren. Deshalb hat der Deutsche Bundestag — das habe ich heute früh gesagt und möchte es jetzt noch einmal feststellen — den Rechtsanspruch in der Sozialhilfe für alle diejenigen Bürger in unserem Lande geschaffen, die ohne eigenes Verschulden beispielsweise in diese Situation eines niedrigen Alterseinkommens kommen. Wer seinen Rentenanspruch mit Beitragszahlungen von 35 bis 45 Jahren nachgewiesen hat, der kommt — das haben Sie selbst gesagt — heute im Durchschnitt auf 1 079 DM. Die Witwe kommt, wenn Sie 60 % zugrunde legen, auf 600 DM.Wir müssen wirklich deutlich sagen, daß alle Entscheidungen in der Rentenversicherung an demjenigen zu messen sind, der ein volles, echtes Arbeitsleben von 35 bis 45 Jahren in der Solidargemeinschaft war.
Wir müssen deutlich machen, daß ein anderer nicht genau dieselben Ansprüche anmelden kann, der vielleicht nur die Hälfte seines Arbeitslebens in der Solidargemeinschaft war oder der sich erst nachträglich in irgendeiner Form gewisse Ansprüche erworben hat, womit er aber sicherlich nicht Privilegien erkaufen kann.
Lassen Sie mich — die Zeit schreitet fort — zum Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetz eine Bemerkung machen. Wir werden ja bei den Anträgen noch etwas zu den anderen Details sagen können. Zunächst ein Wort zu dem auch von Ihnen wieder angeschnittenen Problem, das im Einundzwanzigsten Rentenanpassungsgesetz zu lösen ist, nämlich zu dem Thema Nettoanpassung, nettoähnliche Anpassung, Anpassung an die Einkommensentwicklung, oder wie man es nennen will, das ja ein Teil des Finanzkonzepts für die Jahre 1979/1980 darstellt.
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1870 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
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Wir werden — das möchte ich für die Freien Demokraten klar und deutlich sagen — im Rahmen der sicherlich bald nach der Sommerpause angehenden Beratungen des Rentenanpassungsgesetzes 1979 sehr sorgsam prüfen müssen, welcher Weg der richtige zu einer nettoähnlichen Anpassung ist. Etwa der, einfach — vergleichsweise — die Renten an das durchschnittliche Nettoeinkommen anzupassen
— ich sage, wir werden prüfen müssen —, oder beispielsweise der von uns aufgezeigte und immer noch zur Diskussion stehende Weg eines echten, individuellen Krankenversicherungsbeitrags der Rentner, nicht das, was Sie hier angeboten haben, so mit 2,6 und 4 % aller Renten, aber nicht unter 600 DM und dergleichen mehr, sondern ein echter Krankenversicherungsbeitrag, ein Weg, der vielleicht — so unser Modell; ich will es jetzt nicht im einzelnen darstellen; dazu werden wir noch Gelegenheit haben — eine nettoähnliche Anpassung der Renten dadurch ermöglicht, daß ein Beitrag abgezogen wird. Vielleicht ist dies der stabilere Weg. Darüber werden wir gemeinsam nachdenken müssen.Auf alle Fälle werden wir etwas tun müssen — darüber sind wir uns einig —, um mit den vorhanden Problemen fertig zu werden; denn das — lassen Sie mich das für die Freien Demokraten ganz deutlich sagen — sind nicht nur Probleme, die sich aus gewissen wirtschaftspolitischen Entwicklungen, Konjunkturschwankungen ergeben haben, sondern es sind auch Probleme, die mit dem Generationenvertrag und dem Verhältnis der Generationen auch in Zukunft zusammenhängen. Daß dieser Generationenvertrag heute durch Abzüge hoch belastet ist und nicht ohne weiteres überall mehr belastet werden kann, wissen wir alle. Daß das Verhältnis zwischen der arbeitenden Generation und der ausgeschiedenen Generation sich laufend verschiebt, daß wir glücklicherweise mehr ältere Mitbürger haben, aber auch weniger, die das aufbringen, wissen wir auch. Daß diese Probleme vor uns stehen, wissen wir. Daß es notwendig ist, tragfähige Lösungen zu überlegen und daß nettoähnliches Anpassen oder echter Krankenversicherungsbeitrag der Rentner Dinge sind, mit denen wir uns beschäftigen müssen, um dann den besten Weg zu gehen, ist die Meinung der Freien Demokraten.Nun einige Sätze zum Neunten Kriegsopferanpassungsgesetz. Wir werden im Detail noch etwas dazu sagen können. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß die Kriegsopfer, die seit 1970 dank einer Entscheidung der sozialliberalen Koalition — —
— Herr Kollege Burger, vor 1969 scheiterten alle Versuche, die dynamische Regelung der Rentenversicherung auf die Kriegsopferversorgung auszudehnen, zwar nicht an Ihnen persönlich, aber an Ihrer Fraktion.
— Von den Freien Demokraten hat es bereits in den Debatten des Jahres 1968 Vorstöße in dieser Richtung gegeben.
— Herr Kollege Burger, ich will mich jetzt nicht nicht auf eine Detaildebatte einlassen; das können wir nachher noch machen. Es hat noch andere Auseinandersetzungen im Rahmen der Großen Koalition in dieser Frage gegeben.Dank der sozialliberalen Koalition — das ist eine Feststellung — sind die Kriegsopfer in die Entwicklungen der Rentenversicherung eingebunden.
— Sie sind voll eingebunden, Herr Kollege Lutz, und sie sind darüber hinaus auch mit — wenn auch etwas verspätet nach 1972 — in die Vorziehung des Rentenanpassungstermins eingebunden worden. Wenn es jetzt notwendig ist — darin sind sich die Mitglieder dieses Hauses einig —, die Renten im nächsten Jahr ein halbes Jahr später anzupassen, muß allerdings auch von den Kriegsopfern Verständnis dafür erwartet werden, daß sie dann nicht, wie es gewünscht wurde, ausgeklammert und gesondert behandelt werden. Wer die Vorteile und Vorzüge dieses Rentensystems seit 1970 mit genossen hat, muß sich dann auch bescheiden, wenn es einmal nicht ganz so geht, wie man es gewöhnt ist.Es ist eine andere Frage — darauf wird nachher noch zu kommen sein —, wie weit es möglich ist, die sich daraus 1978 ergebende einmalige Einsparung gewisser Mittel für Strukturverbesserungen, Härteregelungen, insbesondere für Witwen, und in der Kriegsopferfürsorge zu verwenden. Das ist eine Frage, über die wir nachdenken und zu der wir Vorschläge machen werden. Jedenfalls wird es der Sache nicht gerecht, wenn man glaubt — wie es manche Verbände draußen tun —, man könne .zwar die Vorzüge des dynamischen Systems mitmachen, aber dann, wenn es Probleme gibt, aussteigen und gesondert behandelt werden.Ich komme zum nächsten Teil des Gesamtpaketes, zum Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz. Herr Kollege Höpfinger hat mir vorhin ein Stichwort für den Einstieg gegeben, nämlich in Gestalt der Frage, ob man dieses Gesetz nicht abkoppeln und nur das Zwanzigste Rentenanpassungsgesetz verabschieden sollte. Bereits in der ersten Lesung habe ich für die Freien Demokraten deutlich erklärt, daß das Zwanzigste Rentenanpassungsgesetz und das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz engstens miteinander verbunden sind. Einmal ist das deshalb der Fall, weil durch die Herabsetzung des Zuschusses der Rentenversicherung an die Krankenversicherung natürlich Mehrkosten für die Krankenversicherung entstehen, die durch Kostendämpfung zum Teil aufgefangen werden sollen, zum anderen aber auch, weil wir der Meinung sind, es ist höchste Zeit, daß die Diskussion, die vor drei Jahren in diesem Hause begonnen hat — damals hat Herr Geißler als erster seine beinahe als Hor-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1871
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rorzahlen empfundenen Entwicklungszahlen vorgelegt —,
in diesem Hohen Hause nun auch zu Maßnahmen führt. Da kann man eben die Dinge nicht allein mit einer so schönen „konzertierten Aktion" regeln, wie Sie sich das vorstellen, zumal wenn man dann noch sagt, die konzertierte Aktion sei ein ganz freiwilliger Zusammenschluß, und sich einmal die Zusammensetzung der von Ihnen vorgeschlagenen konzertierten Aktion ansieht. Ich glaube, diejenigen, die immer darüber reden, daß das Kostendämpfungsgesetz dirigistisch sei, haben nie in dieses Gesetz hineingeschaut und wissen nicht, wer in dieser konzertierten Aktion sitzt. Daß der konzertierten Aktion — das ist jetzt keine Kritik, sondern nur eine Feststellung — der Bundesarbeitsminister und die zuständigen Länderminister angehören und an dieser konzertierten Aktion sehr wesentlich mitwirken,
bedeutet mit Sicherheit mehr staatlicher, mehr dirigistischer Eingriff, als wenn wir der Selbstverwaltung in diesem Gesetz ein Instrumentarium an die Hand geben, das sie alleinverantwortlich zur Kostendämpfung einsetzt.
— Meine Damen und Herren, dann sagen Sie mir einmal, was der Staat mit Ministern und entsprechenden Beratern in dieser konzertierten Aktion, die ja aus lauter Freiwilligen zusammengesetzt sein soll,
soll. Wenn das nicht staatlicher Einfluß, Dirigismus. ist, den Sie uns vorwerfen, obwohl wir ihn im Rahmen der Selbstverwaltung gar nicht eingebaut haben, dann weiß ich nicht mehr, was Dirigismus ist. Ich meine, daß es eigentlich nur Hoffnung,
und zwar sehr vage Hoffnung, sein kann, anzunehmen, daß ein solches Gremium, in dem von den Ärzten über die Pharmaindustrie, die Zahnärzte, die Apotheker und Krankenhausträger bis hin zu den Gewerkschaften und Arbeitgebern, dem zuständigen Bundesminister und den zuständigen Länderministern alle mit ihren jeweiligen spezifischen Interessen sitzen — —
— In dem Antrag, den Sie im Ausschuß vorgelegt hatten, waren Vertreter der Länder mit vorgesehen. Das war der ursprüngliche Antrag bezüglich konzertierter Aktion. Stimmt's nicht, Herr Zink? Ich habe ihn ja da, ich kann ihn nachher holen. — Ich sagte: es besteht nur eine vage Hoffnung, daß ein solches Gremium überhaupt zu einer vernünftigen Entscheidung, zu einer gemeinsamen Empfehlung kommt.
— Nun, hier gibt es Sachzwänge, Gott sei Dank. Hier gibt es eine Geschäftsordnung, hier muß abgestimmt werden, hier müssen Entscheidungen fallen. Ein solches Gremium kann drei Jahre tagen, und zum Schluß ist nichts dabei herausgekommen. Dies, meine Damen und Herren, kann nicht der Weg zu einer vernünftigen Kostendämpfung sein. Es kann auch nicht — bei aller Hochachtung vor den dieser Tage zwischen den Ersatzkassen und Ärzten getroffenen Vereinbarungen — davon ausgegangen werden, daß solches nun an der Tagesordnung sei. Dies glauben wir nicht. Auch der Ärztetag mit seinen Äußerungen hat in dieser Richtung sicher keine neuen Erkenntnisse gebracht. Es ist erwägenswert, ob man zusätzlich zu dem Instrumentarium, zusätzlich zu dem, was das Kostendämpfungsgesetz an Möglichkeiten für die Selbstverwaltung und an Aufgabe bietet, über einen solchen Gesprächskreis nachdenkt — zusätzlich; dagegen ist nichts zu sagen. Dies darf aber nicht alternativ zu notwendigen gesetzlichen Regelungen geschehen. Das halten wir Freien Demokraten, wenn man von Kostendämpfung redet, für Schaumschlägerei.
Lassen Sie mich noch ein weiteres, in der Öffentlichkeit und auch von Ihnen immer wieder vorgebrachtes Argument — es kam auch vorhin wieder einmal — kurz aufgreifen: Einheits-ADGO, Einheitsversicherung, Einheitshonorar und dergleichen mehr. — Nun, meine Damen und Herren, wenn die wohl höchsten Vertreter der Selbstverwaltungsgremien im Krankenversicherungsbereich und im Rentenversicherungsbereich, wenn die Gewerkschaften, vertreten durch den DGB, und die Arbeitgeber, vertreten durch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, in den Sachverständigenanhörungen auf die an sie gestellte Frage, ob sie hier Einschränkungen der Selbstverwaltung in Richtung auf Vereinheitlichung sehen würden — und diese Gremien sind ja, wie gesagt, die Träger der Selbstverwaltung —, ein klares Nein gesagt haben — genauso, wie sie ein klares Ja zu einem Kostendämpfungsgesetz gesagt haben —, dann muß man doch wohl eigentlich annehmen, daß sie es am besten wüßten, ob ihre Selbstverwaltung hier eingeschränkt wird. Und dann sind doch wohl die Argumente, wie sie seitens der Ersatzkassen immer wieder vorgebracht werden, etwas vordergründig und als Interessenstandpunkte, nicht etwa als sachgerechte Meinung zu betrachten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich für die Freien Demokraten in der Grundsatzaussprache noch einen für uns im Rahmen der Kostendämpfung besonders wichtigen Punkt ansprechen, weil wir nicht der Meinung sind, daß nur Ärzte und Krankenkassen und Pharma-Industrie und alles, was dazu gehört, mehr Wirtschaftlichkeit, mehr Kostendämpfung in ihre Überlegungen einbeziehen müssen, sondern die Auffassung vertreten — und auch das habe ich hier vor langer Zeit schon einmal gesagt —, daß zu den am Gesundheitswesen Beteiligten auch die Versicherten gehören. Deshalb
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1872 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Schmidt
begrüßen wir, daß im Rahmen des Kostendämpfungsgesetzes eine Reihe von Anregungen der Freien Demokraten bezüglich einer Beteiligung der Versicherten an den Leistungen der Krankenversicherung Eingang gefunden haben. Wir begrüßen, daß es gelungen ist, den 20%igen Zuschuß beim Zahnersatz im ,Gesetz festzulegen. Wir begrüßen, daß durch die zweifellos praktikablere 1-DM-Regelung für jede Arzneimittelverordnung ein Weg gefunden wurde, den Arzneimittelüberverbrauch und das vielleicht manchmal vorkommende Zuvielverschreiben von Arzneimitteln einzuschränken.Wir begrüßen darüber hinaus auch sehr — dies hat mit dem Dämpfungsgesetz selbst nichts zu tun, aber mit dem Bereich der Selbstbeteiligung —, daß inzwischen im Bundesarbeitsministerium Vorarbeiten für die von uns angeregten Modellversuche über Wahltarife zur Selbstbeteiligung der Versicherten angelaufen sind
und daß hierfür — ich darf das hier noch einmal ausdrücklich feststellen — Haushaltsmittel zur Verfügung stehen.
— Mein lieber Kollege Müller, Sie können ruhig auch mich anschauen; ich stehe für diese Wahltarife, ich stehe für diese Absprache in der Koalition, und ich weiß, daß auch der Bundesarbeitsminister dazu steht.
— Keine Sorge, keine Sorge!
— Ob immer alles, was Sie sagen, begeisternd ist, Herr Kollege Müller, ist eine andere Frage.Schließlich einige grundsätzliche Feststellungen zu dem größten Sorgenkind, das wir alle, glaube ich, haben, wo es möglicherweise am schwierigsten ist, die Kostendämpfung zu erreichen, zum Komplex Krankenhaus: Schon die erste Lesung im Bundesrat hat bedauerlicherweise gezeigt — das möchte ich von dieser Stelle aus einmal sehr deutlich sagen —, daß die Länder, die zwar auch immer sehr viel über Kostenentwicklungen auch in diesem Bereich reden, doch sehr wenig bereit zu sein scheinen, sich an diesen Maßnahmen wirklich echt zu beteiligen, sich wirklich einmal echt um Bedarfsplanung zu kümmern und das zu korrigieren, was durch falsche Vorausplanung am Bedarf vorbei — oftmals von kommunalem und anderem Ehrgeiz getrieben — auf diesem Gebiet zuviel investiert worden ist und zum Bettenüberhang geführt hat.Wir, meine Damen und Herren, begrüßen es, daß der Teil, der den Krankenhausbereich betrifft, die Stärkung der Partnerschaft ermöglicht, die Möglichkeit eröffnet, daß die Kostenträger — das sind nun einmal die Krankenkassen — ähnlich wie gegenüber den kassenärztlichen Vereinigungen auch den Krankenhäusern gegenüber echte Verhandlungspartner werden und auch in die Bedarfsplanung und Wirtschaftlichkeitsüberlegungen bei den Krankenhäusern stärker mit eingeschaltet werden.Ob es nun um die Empfehlungsvereinbarungen für die Entwicklung der Arzthonorare geht, oder ob es um die Kostenentwicklung im Krankenhaus geht — in allen diesen Bereichen muß sich der Bürger in diesem Land und müssen sich vor allem die Betroffenen darüber klar sein, daß die Entwicklungsmöglichkeiten in diesen Bereichen abhängig sind von unseren wirtschaftlichen Entwicklungen, daß diese wirtschaftlichen Entwicklungen erst die Beitragsentwicklungen und damit die Einnahmeentwicklungen ermöglichen, die notwendig sind, damit die Kostenträger die Ausgaben in diesem Bereich leisten können. Da wir an Belastungsgrenzen angelangt sind, ist es wohl notwendig — das sieht dieses Gesetz vor —, überall diesen Wirtschaftlichkeitsgedanken stärker zu verankern. Ich kann nur hoffen und von dieser Stelle aus an die Länder und an den Bundesrat die Bitte richten, einmal von zuviel Egoismus und von zuviel Herr-im-Hause-Standpunkt abzugeben und die Notwendigkeit zu sehen, gerade im Bereich des Krankenhauses durch Bedarfsplanung, durch Wirtschaftlichkeit wirklich kostendämpfend mitzuwirken.Sollte ein Teil dieses Bereichs im Kostendämpfungsgesetz am Bundesrat scheitern, würde mir das persönlich sehr leid tun, weil dann der wesentlichste Kostenfaktor weiter die Blüten der Vergangenheit treiben würde und wir dann eines Tages vielleicht nicht nur vor 60 000, 70 000, sondern vor 100 000 oder 150 000 Betten zuviel, am falschen Platz, falsch belegt und dergleichen stehen. Aber jedes Bett muß weiterhin über die Versicherten bezahlt werden.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Es gäbe noch sehr vieles zu sagen; aber wir haben ja im Rahmen der Beratung der Anträge Gelegenheit, zu einigen Dingen noch etwas zu sagen. Ich möchte noch einmal den Kollegen Franke kurz zitieren. Herr Kollege Franke, Sie haben auf einen Zwischenruf hin gesagt: „Die Regierung muß handeln, Sie müssen handeln". Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, wir Freien Demokraten werden handeln, die sozialliberale Koalition wird handeln.
Die vorliegenden Entwürfe sind bereits Aktion und nicht Konzert. Wir werden uns auch von der Opposition an diesem Handeln nicht hindern lassen, zumal dann nicht, wenn diese — wie heute früh leider wieder einmal gezeigt — nichts als Kritik und Polemik bietet.
Meine Damen und Herren, zur allgemeinen Aussprache liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1873
Vizepräsident Frau RengerWir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe die Art. 1, 2 und 3 und die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU auf den Drucksachen 8/384, 8/375, 8/376 bis 8/390 auf. Die Anträge werden global behandelt. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Blüm.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir im einzelnen heute diskutieren, sind Teile eines Konzepts. Deswegen werden mein Kollege Schedl und ich in unseren Begründungen zu den entsprechenden Anträgen immer wieder den Zusammenhang zum Gesamtkonzept deutlich zu machen versuchen; denn die Unterschiede zwischen Regierung und Opposition sind nicht Unterschiede allein im Detail,
sondern sind Unterschiede im Rentenkonzept. Es dreht sich nicht allein um die Rentensanierung, es dreht sich um die Richtung der Weiterentwicklung unseres Rentensystems.
Den Maßstab, den wir an unsere Anträge anlegen, heißt: Sie sollen gerecht, sozial und solide sein. Unsere Wege trennen sich bereits an der Stelle, an der Sie „Teilaktualisierung" und „Nettorente" sagen. Wir sagen als Alternative: Krankenversicherungsbeitrag der Rentner, soweit dies sozial zumutbar ist.
Doch zunächst zur Teilaktualisierung, deren Streichung wir beantragen. „Teilaktualisierung der allgemeinen Bemessungsgrundlage", das hört sich kompliziert an, ist aber ganz einfach. Im Klartext, in sozialpolitisches Deutsch übersetzt, heißt das — daran führt kein Weg vorbei —: Rentenkürzung.
Herr Bundesarbeitsminister, Sie mögen alle Schriftgelehrten bemühen: Wenn die Renten nicht so hoch werden, wie sie ohne diese Regelung würden, dann handelt es sich um eine Rentenkürzung.
Ich gebe zu, daß Sie das viel besser in Ihr Fachchinesisch verpacken. Überhaupt ist die Verpakkungsabteilung bei Ihnen hervorragend.
Gestatten Sie schon eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, ich habe wenig Zeit; gestatten Sie, daß ich meine Antragsbegründung im Zusammenhang vortrage.
Wir dagegen sehen den Krankenversicherungsbeitrag als eine zwar unpopuläre, aber gerechte, weil an der Belastbarkeit des Rentners bemessene Maßnahme zur Sanierung vor.
— Würden Sie vielleicht die Güte haben, einen Augenblick zuzuhören, statt Ihre aufgeschriebenen Zwischenrufe hier abzulassen!
Zweitens das Nettoprinzip. Es ist in allen Ihren Rechnungsgrundlagen enthalten. Auch „Nettoprinzip" heißt im Klartext Rentenkürzung, und zwar nicht nur allgemeine Rentenkürzung — das wäre schon schlimm genug —, sondern zusätzlich überdurchschnittliche Kürzung der Kleinrenten. Denn Durchschnittslösungen haben es so an sich, eine Seite zu benachteiligen, in diesem Falle die Kleinen.
Eine solche Benachteiligung ist mit allen Durchschnittsrechnungen verbunden. Sie kennen das Beispiel: Wenn ein Mann zwei Koteletts ißt und der andere null, so hat im Durchschnitt jeder eines gegessen; nur, der eine ist hungrig und der andere satt. Ähnlich ist es mit Ihrem Nettoprinzip: Sie benachteiligen mit der Durchschnittsrechnung die kleinen Rentner. Deshalb, Herr Bundesarbeitsminister, sollten Sie sich nicht, wie Sie es heute getan haben, auf das hohe Roß begeben und uns unmoralische Handlungen unterstellen, wenn wir das attackieren. Ich finde, Sie sollten eine kleinere Ausgabe wählen.Auch in dem Bericht des Bundestagsausschusses steht schwarz auf weiß, daß die Bundesregierung bei der Berechnung der Finanzlage der Rentenversicherung für die Jahre 1979 und 1980 die Nettoanpassung ins Kalkül gezogen hat.
— Wir werden doch wohl noch an das glauben dürfen, was schwarz auf weiß hier steht.
— Ich weiß, daß wir gebrannte Kinder sind. Auch Herr Ehrenberg hat zu denen gehört, die vor dem 3. Oktober behauptet haben, nach dem 4. Oktober gäbe es keine Rentenversicherungsprobleme mehr.Nun zur Alternative selbst: Wir verlangen als Alternative — wir haben uns nicht darum gedrängt; denn wer mutet den Rentnern gern ein Opfer zu — einen Krankenversicherungsbeitrag.
— Herr Kollege Franke, da ich dem Kollegen von der FDP keine Frage gestattet habe, würde ich es unfair finden, Ihnen gegenüber anders zu verfahren.
— Ja, und zwar deshalb, weil man das, was man hier sagen will, besser aufschreibt, damit man es später nicht abgestritten bekommt.Zurück zum Krankenversicherungsbeitrag! Er soll nur von jenen Rentnern erhoben werden, denen er zugemutet werden kann. Wir wollen diejenigen Rentner davon befreien, die eine Rente beziehen, welche nicht mehr als 60 % der Eckrente beträgt
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1874 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Dr. Blümund auf einer mindestens 25jährigen Beitragsleistung beruht. Das würde eine Freigrenze von im nächsten Jahr 656 DM bedeuten. Sie dagegen — um den Unterschied deutlich zu machen — scheren alle über einen Kamm, weil Ihnen offensichtlich die Phantasie für differenzierte Lösungen fehlt. Ohne Differenzierung aber gibt es keine Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit lebt von der Differenzierung.
804 000. Rentnerhaushalte leben von einem Renteneinkommen, das dreimal so hoch ist wie das Sozialhilfeniveau. Für ein Ehepaar wären das 2 400 DM. Es gibt aber nicht nur jene „reichen" Rentner. Die Rückseite der Medaille: 1,1 Millionen Rentnerhaushalte mit 2,3 Millionen Personen haben eine Rente, die unter dem Sozialhilfesatz liegt. Die von Ihnen vorgesehene allgemeine Kürzung und Durchschnittslösung sieht von diesen unterschiedlichen Verhältnissen ab. Deshalb ist sie ungerecht und unsozial. Sie scheren Reich und Arm über denselben Kamm.
Das ist eben Ihr sozialpolitisches Instrumentarium: Ist Geld in der Kasse, benutzen Sie die Gießkanne; haben Sie kein Geld in der Kasse, benutzen Sie die Heckenschere. Gießkanne oder Heckenschere, mehr Gartengeräte haben Sie in der Sozialpolitik offensichtlich nicht.
Solidarität kann nicht nur Verbundenheit der Jungen mit den Alten bedeuten, sondern Solidarität bedeutet auch Verbundenheit der Alten mit den Jungen. Warum sollen einem Familienvater mit 1 800 DM Einkommen Opfer in Form von zusätzlichen Beiträgen in dieser Krise zugemutet werden, einem Opa mit 1 800 DM Einkommen aber nicht? Das können Sie weder unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit noch unter sozialen Gesichtspunkten vertreten. Wir möchten alle, denen die Belastung zugemutet werden kann, an der solidarischen Anstrengung beteiligen.Ausgewogenheit zwischen Jung und Alt kann freilich nicht nur die Rente im Blick haben. Denn der Lebensstandard — und damit auch die Belastbarkeit — ist in manchen Fällen nicht nur von der Rente abhängig, sondern auch von einem zweiten oder einem dritten Einkommen. So kann es sein, daß auch ein Kleinrentner auf Grund von Mehrfacheinkommen einen so ausreichenden Lebensstandard hat, daß wir ihm solidarische Anstrengungen zumuten .können. Das wollen wir tun, indem wir an den Lasten der Rentnerkrankenversicherung diejenigen beteiligen, die davon profitieren, und dazu wollen wir nicht nur die Rente heranziehen, sondern alle Alterseinkommen, die Lohnersatzfunktion haben. Das geschähe im übrigen in Parallele zum Aktiven. Auch der aktive Arbeitnehmer zahlt, wenn er mehrere Lohneinkommen hat, seinen Krankenversicherungsbeitrag von allen diesen Lohneinkommen.Das Alterseinkommen, die Möglichkeit, nicht nur auf die Rente fixiert zu sein, also die Möglichkeit von Mehrfacheinkommen, wirft Fragen auf, auf die wir eine Antwort gesucht haben. Sie dagegen haben noch nicht einmal die Frage gestellt. Ihnen hat offensichtlich der Mut gefehlt, diese heißen Eisen anzupacken.Eine Rentensanierung, die sich mit einem Konzept verbindet, muß gerecht sein. Deshalb muß sie differenzieren nach der Belastbarkeit. Sie muß sozial sein. Deshalb kann sie nicht neue Anstrengungen von denen verlangen, die dann zur Sozialhilfe abgeschoben werden. Die Sanierung muß auch solide sein. Solide aber ist ein Rentenkonzept nicht, das saniert auf Kosten der Kommune, auf Kosten der Sozialhilfe. Das wäre die dritte Folge Ihres Konzeptes, auf das wir verzichten.
Bei der Frage der Verteilung der Lasten der Krankenversicherung der Rentner — ein weiterer Antrag, ein weiterer Unterschied — nehmen Sie die Grenzlinie bei 11 %. Ich kann nur fragen: Wie kommen Sie dazu, 11 % als Beitrag der Rentenversicherung an die Krankenversicherung festzusetzen? Die Antwort ist relativ leicht: Der Rechenstift hat Ihnen die Hand geführt. Das ist nichts anderes als das Ergebnis eines Rechenexempels. Es gibt kein begründbares Prinzip dafür, daß Sie ausgerechnet 11 % sagen. Deshalb ist diese Grenze willkürlich gewählt.Wir wollen einen Beitrag der Rentenversicherung an die Krankenversicherung, der dem entspricht, was auch die Aktiven bezahlen. Wenn Ihre Rechnung nicht mehr stimmt, so fürchte ich, werden Sie den Grenzposten 11 % aus dem Boden reißen, unter die Arme nehmen und an einer anderen Stelle wieder einschlagen, nämlich dort, wo Ihre sozialpolitischen Rechenkünstler es empfehlen. Das wird im Zweifel immer zu Lasten der Krankenversicherung sein, denn die Beiträge in der Krankenversicherung erhöhen die fast 2 000 Selbstverwaltungen — man kann das dahin schieben —, während das in der Rentenversicherung hier der Bundestag und damit auch seine Mehrheit macht.
Was ist daran gerecht? Was ist daran vor allen Dingen sozial solide? Wir möchten nicht diese willkürliche Grenzziehung, sondern eine verläßliche, weil alle willkürlichen Grenzziehungen eine Einladung zu Grenzstreitigkeiten sind.
Ihr schlechtes Gewissen schlägt ja bereits. Sie haben eine Entschließung vorgelegt, haben wie immer das Problem auf Papier abgelegt, mit dem Sie diese Frage in drei Jahren wieder überprüfen wollen.Wir glauben, daß an der Grenze zwischen Renten- und Krankenversicherung, was die Altenlast anbelangt, Ruhe und Verläßlichkeit einkehren muß, denn je öfter über diese Grenze gestritten wird, um so mehr Ungewißheit und damit auch soziale Unsicherheit zieht in unser Rentensystem ein. In unsere Grenzziehung ist eine Automatik eingebaut, die ver-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1875
Dr. Blümhindert, daß in die Sozialversicherung jene Hektik einzieht, von der die Politik ja offenbar befallen ist. Wir schaffen mit unserer Automatik so etwas wie eine Rückkopplung: Steigen die Beiträge der Krankenversicherung, müssen auch die Abgaben der Rentenversicherung an die Krankenversicherung steigen. Dieser Rückkopplungsprozeß wirkt stabilisierend. Ichmeine, meine Damen und Herren, wir brauchen in unserer Sozialpolitik mehr stabilisierende, mehr verläßliche Kriterien, damit die Hektik aus dieser Sozialpolitik verschwindet.
Lassen Sie mich in der gebotenen Kurzfassung noch zu den Problemen der Aufstockung Stellung nehmen. Die Pflichtversicherten sollen also weiterhin nicht wie die freiwillig Versicherten behandelt werden. Ihre Altersversorgung kann nicht durch zusätzliche Leistungen so verbessert werden, daß dies auch in die Dynamisierung einmündet. Das gibt zweierlei Recht in der Rentenversicherung. Ich stelle in Kurzfassung fest: Die Sozialdemokraten als diejenigen, die Privilegien zementieren! Das müssen Sie den Arbeitnehmern einmal klarmachen!
— Wenn Sie es noch einmal hören wollen: Die Sozialdemokraten als Privilegienzementierer!Ein weiteres Problem, ein weiterer Antrag: Der Kinderzuschuß soll festgeschrieben werden. Davon werden gerade jene Familien betroffen, deren Einkommen auch in der Mehrzahl der Fälle auf einer kleinen Rente beruht. Es handelt sich nämlich in der Mehrzahl der Fälle um Frührentner. In der Mehrzahl der Fälle von Rentnern, die Kinder haben, werden es Frühinvaliden sein, jedenfalls solche, deren Rente nicht die normale Höhe erreicht hat. Ich verstehe nicht Ihren Ehrgeiz, warum Sie hier diese Dynamisierung abbauen und warum Sie hier festschreiben. Die Preissteigerungen haben Sie auch nicht festgeschrieben! Wenn Sie die Preissteigerungen entdynamisieren würden, wären wir auch damit einverstanden, daß wir den Kinderzuschuß entdynamisieren.
Ja, meine Damen und Herren, die Familie hat in diesem Staate leider keine Lobby, und die Rentner haben kein Streikrecht. Die Gruppe, bei der diese beiden Nachteile, keine Lobby und kein Streikrecht zu haben, zusammentreffen, ist in Gefahr, von Ihnen an den Rand gedrängt, zu einer Randgruppe degradiert zu werden.
Sie degradieren mit dieser Festschreibung die Frührentner mit Kindern zu einer Randgruppe.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließen. Jede Partei, jeder Sachverständige hat sicherlich Schwierigkeiten mit lang- und mittelfristigen Voraussagen, die auch der Rentenversicherung zugrunde liegen. Aber unsere Erwartungen sind ja gar nicht so hoch gespannt. Die Opposition ist schon zufrieden, wenn Sie wenigstens die kurzen Strecken, die kurzen Entfernungen richtig einschätzen. Die Treffsicherheit Ihrer Voraussage für das Jahr 1977 war allerdings die Treffsicherheit einer Schrotflinte;_Sie haben nämlich kaum den Punkt getroffen, der Ausgangslage einer soliden Berechnung gewesen wäre. Sie, die sich einst als Spezialisten für Langzeitprogramme darstellten, Herr Kollege Ehrenberg, als Experten für das Jahr 2000, Sie waren nicht in der Lage, seriöse Grundlagen für das Jahr 1977 zu schaffen.
Sie rechnen in diesem Jahr mit 850 000 Arbeitslosen. Wir schreiben jetzt Mai und haben immer noch über 1 Million Arbeitslose. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind 1 Milliarde DM weniger in die Kasse geflossen, als geschätzt wurde. Wann, meine Damen und Herren, so frage ich Sie — vielleicht kommt heute noch eine Antwort —, wann kommt denn eigentlich der Aufschwung, auf den wir uns auch in der Rentenversicherung verlassen können?
— Der sozialdemokratische Aufschwung, Herr Kollege Lutz, steht immer noch dort, wo er auch vor den Wahlen gestanden hat, nämlich auf dem Papier und in Ihren Propagandazeitschriften. Sonst steht er nirgendwo.
Lassen Sie mich schließen, meine Damen und Herren, nicht ohne auch noch etwas Positives zu sagen. Gut ist es, daß die Renten in diesem Jahr so angehoben wurden, wie es alle Parteien vor der Wahl versprochen haben. Gut ist, daß damit der geplante Wortbruch am Widerstand der Öffentlichkeit und der Opposition gescheitert ist.
Gut ist, daß damit jene widerlegt sind, die behauptet haben, in unserem Staat könnten „die da oben" machen, was sie wollten, und man könnte sich nicht wehren. Das Rentenbeispiel hat gezeigt, daß die Macht der Manipulation dieser Regierung beschränkt ist und daß wir uns auch in Zukunft dagegen wehren werden. Die Grenzen der Macht sind die Grenzen der Wahrheit. Daß der Herr Bundeskanzler, wie er in seiner Regierungserklärung zugegeben hat, über die Reaktion der Öffentlichkeit auf den geplanten Wortbruch überrascht war, zeigt nur, daß sich dieser Bundeskanzler der Grenzen seiner Macht nicht bewußt war.
In der Sozialpolitik wird es nicht mehr ausreichen, nur Geld auszuteilen. Wir werden gar nicht so viel Geld haben, wie wir Probleme und Wünsche haben. Zur Sozialpolitik gehört ein Konzept. Zu einer Sozialpolitik, die zustimmungsfähig ist — Sie werden das in gehobenem Deutsch vielleicht „Legitimation" nennen —, gehören Gründe, die einsehbar sind, gehören Argumente und Prinzipien. Ihr Kon-
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1876 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Dr. Blümzept verdient nicht den Anspruch, ein Rentenkonzept zu sein, das gerecht, sozial und solide genannt werden darf.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blüm hat hier wiederholt von Unterschieden in Rentenkonzeptionen gesprochen. Ich muß schon sagen: Das ist ein erstaunlicher Anspruch, den Herr Kollege Blüm an das gestellt hat, was er als Konzept von sich gegeben hat. Das, was wir vorgelegt haben, ist in der Tat ein Rentenkonzept.
Das, was Sie vorgelegt haben, ist ein Torso. Es ist zum Teil auch unsinnig und widersinnig. Das schlimme ist eigentlich,
— ich werde Ihnen das gleich mal beweisen; ich werde es ja nicht nur behaupten —, daß, Herr Kollege Blüm hier zweimal behauptet hat, sein sogenanntes Konzept wäre gerecht, sozial und solide. Das muß man einmal auf der Zunge zergehen lassen, um das richtig zu begreifen.
— Überlegen Sie doch einmal, Herr Kollege Blüm, was Sie hier von sich gegeben haben. Sie haben unseren Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion und der freidemokratischen Fraktion den Vorwurf gemacht, sie wären Spezialisten im Verpackungschinesisch. Noch nicht einmal dazu hat es bei Ihnen gereicht.
Sie konnten das Unzulängliche, von dem Sie glaubten, es dem Volke anbieten zu können, noch nicht einmal so formulieren, daß der Anschein eines Konzepts aufrechterhalten werden konnte.Ich will Ihnen sagen — ich bedauere es eigentlich; es ist schade —, mir ist in letzter Zeit besonders aufgefallen, daß die Leichtfüßigkeit Ihrer Reden in einem krassen Widerspruch zu Ihrem hohen Ansehen als großer Sozialpolitiker in diesem Lande steht.
Sie haben z. B. gesagt, 3 Millionen Rentner würden mit ihrer Rente nicht den Regelsatz der Sozialhilfe erreichen.
— Was hat er denn sonst gesagt?
— Also gut, 2,3 Millionen. Entschuldigung, ich nehme das zurück. Ich habe das dann wohl falsch verstanden. Aber wollen wir uns doch darüber gar nicht streiten.
Sie wollten doch, Herr Kollege Blüm, im Grunde genommen damit zum Ausdruck bringen, daß es hier 2,3 Millionen arme Rentner gäbe, die einen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe hätten, obwohl Sie doch wissen müßten, daß über 2 Millionen Rentner zwar mit ihrer Rente unter dem Sozialhilferegelsatz liegen, aber trotzdem nicht als arme Rentner gelten können, weil wir doch überhaupt nicht wissen, welches sonstige Einkommen Ihnen noch zur Verfügung steht.
Wir bemühen uns seit der ersten Lesung, Ihnen die Aufdeckung der Kumulationen von Sozialleistungen klarzumachen. Nur wenn Sie das wüßten, Herr Kollege Blüm, könnten Sie, wenn Sie dazu noch in der Lage wären, hier große Reden über ein Konzept halten, das Sie bis jetzt aber noch nicht haben.
Ich finde, die Tatsache, daß die Regelsätze in der Sozialhilfe in den vergangenen Jahren überproportional gestiegen sind — das haben wir letzten Endes auch gewollt —, ist eben der Ausdruck des Wohlstandes in unserem Volk, aber doch nicht ein Ausdruck von Armut. Auch das muß man einmal sagen.
Meine Damen und Herren, ich komme zur 11-Prozent-Grenzziehung bei dem Beitragssatz der Krankenversicherung der Rentner. Wann endlich geht es Ihnen ein, Herr Kollege Blüm und Herr Kollege Franke, daß wir in der gesetzlichen Krankenversicherung kein besonderes Risiko und keine besondere Risikoabdeckung z. B. für Sozialrentner wollen? Wann endlich begreifen Sie, daß es sich zu 85 % um Leute handeln, die ein Leben lang ihre Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt haben, und die nicht höher belastet werden dürfen als andere Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung? Sie wollen die höhere Belastung dadurch, daß Sie von diesen Rentnern noch zusätzlich einen Krankenversicherungsbeitrag fordern, übrigens nicht nur von der Rente, sondern auch von den Zusatzleistungen, z. B. von den Betriebsrenten. Ich komme darauf noch zurück.
Von einem solchen Konzept, Herr Kollege Blüm, sagen Sie — man muß das noch einmal hören —, es bedeute Ruhe und Verläßlichkeit und keine Hektik. Ich hätte Ihnen da wirklich eine ruhigere Hand in der Beantwortung dieser Frage gegönnt. Sie nehmen hier eine Sache zu Lasten der Rentner vorweg. Wie sich das auswirkt, werde ich Ihnen gleich noch darzustellen versuchen.Lassen Sie mich aber erst drei Bemerkungen machen, denn wir sind ja hier in der Einzelberatung.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1877
Glombig— Ja, zur Sache! Das ist alles zur Sache, wenn Sie es noch nicht wissen sollten. Die CDU/CSU-Fraktion hat uns wir haben es ja gehört und gesehen — heute mit einem ganzen Bündel von Anträgen beglückt. Lassen Sie mich doch dazu drei grundsätzliche Bemerkungen machen, also zur gemeinsamen Einstimmung.Erstens. Unter den Anträgen befindet sich einer, der sich mit der Verwendung von Mitteln der Rentenversicherungsträger für den Wohnungsbau befaßt. Das ist eine kuriose Angelegenheit. Es geht um die Drucksache 8/384. Sehen Sie sich das einmal an. Es handelt sich um eine Regelung, die im Ausschuß nicht nur einstimmig beschlossen, sondern dort von der CDU/CSU selber beantragt worden ist — derselben CDU/CSU, die sie nun durch ihren Antrag rückgängig machen will.
Ich kann mir angesichts dieses Antrages die Verwirrung vorstellen, die in der CDU/CSU-Fraktion bei der Beratung dieser Gesetzentwürfe geherrscht haben muß. Das sollten Sie auch nicht damit entschuldigen, daß zu wenig Zeit geblieben sei. Denn wir haben Ihnen in der letzten Beratungswoche einen zusätzlichen Beratungstag angeboten; aber Sie haben davon keinen Gebrauch gemacht.
Die zweite Vorwegfeststellung. Auf der Drucksache 8/387 befindet sich ein Antrag, der mit wenigen Worten besagt, der Bund solle in dem Zeitraum vom 1. 7. 1977 bis 1980 sage und schreibe 3,5 Milliarden DM an die Rentenversicherung erstatten,
und zwar auch für die Dynamisierung des Kinderzuschusses, deren Einstellung Herr Kollege Blüm hier so bedauert hat. Das bedeutet, daß diese Dynamisierung auf Kosten des Bundeshaushalts über die Leistungen des Bundeskindergeldgesetzes für andere Kinder hinaus durchgeführt werden soll.
Das ist ein beachtlicher Vorschlag. Wenn man so auf Kosten anderer die Aufrechterhaltung der Dynamisierung begründet und untermauert, wirkt das natürlich weiter.Bezüglich der Festschreibung des Kinderzuschusses von zur Zeit 152,90 DM — bei denen, die ab 1. Januar Kinderzuschuß bekommen, ist dieser Betrag noch höher, nämlich über 160 DM —
wird morgen die Kollegin Lepsius in der dritten Lesung unseren Antrag begründen und dazu einige grundsätzliche Ausführungen machen.Die dritte Bemerkung:
— Das tut überhaupt nicht weh; nein, nein. Seien Sie doch nicht so aufgeregt. Was soll das denn?
Wenn es mir weh täte, wäre ich aufgeregt; aber ich bin es ja gar nicht.Also die dritte Vorbemerkung: Eine besondere Bedeutung hat natürlich der Antrag der Opposition zur Beteiligung der Rentner an der Krankenversicherung mit 2,6 % und später 4 % der Renten. Man muß diesen Antrag zusammen mit dem vergeblichen Versuch des Abgeordneten Franke und auch des Abgeordneten Blüm, den ich ja so hoch schätze, sehen, die Nettoanpassung der Renten — koste es, was es wolle — als feststehende Tatsache darzustellen, weil Sie sich hier zu weit aus dem Fenster gewagt haben und weil das, was nach Ihrer Einschätzung unbedingt hätte kommen müssen, nicht kam.
Dafür schlagen Sie die Beteiligung der Rentner als Alternative vor.
Na, wir werden ja morgen in der Abstimmung bei der zweiten Beratung sehen, wie Sie dazu stehen. Ich hoffe, daß Sie dann dabei bleiben.Ich werde gleich auf den sachlichen Inhalt des Antrags eingehen. Jetzt möchte ich nur folgendes anregen, Herr Kollege Franke. Ihre Voraussetzungen entfallen ja, nachdem meine Kollegen Minister Ehrenberg und Jürgen Egert deutlich erklärt haben, daß die Nettoanpassung bei dieser Abstimmung nicht zur Debatte steht.
Ich will Ihnen das heute abend wiederholen, sooft Sie es hören wollen. Es wäre konsequent, wenn die CDU/CSU — denn damit begründet sie ja den Antrag auf Einführung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrags — den Antrag auf Drucksache 8/376 zurückziehen würde. Überlegen Sie sich das mal bis morgen! Sonst stimmen wir darüber ab. Wir wollen das nämlich jetzt wissen.Und nun zum Inhalt des Antrages der CDU/CSU auf Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags der Rentner. Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt diesen Antrag ab. Ich will das kurz begründen, damit es nochmals ganz deutlich wird — unter Umständen auch zum Mitschreiben.
— Vielleicht brauchen Sie das schon zum Wochenende.Die Einführung eines Rentnerkrankenversicherungsbeitrags nach dem Muster der CDU/CSU ist zur Konsolidierung der Rentenversicherung nicht ausreichend. Herr Kollege Franke, Sie sollten aufpassen; jetzt geht es um Sie! Nach eigener Feststellung des Abgeordneten Franke in der Pressekonferenz
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1878 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Glombigvom 16. März 1977 klafft im sogenannten Konzept der CDU/CSU-Fraktion bis 1980 eine Finanzierungslücke von sage und schreibe 5,5 Milliarden DM. Hätten wir ein solches Konzept vorgelegt, ich hätte das Geschrei in diesem Hause und anderswo nicht erleben mögen.
Sie haben doch gar keine Veranlassung, aus der Meldung vom gestrigen Tage, daß angeblich 1 Milliarde DM fehlen, politisches Kapital zu schlagen. Dieser Betrag fehlt doch nur deshalb, weil den freiwillig Versicherten bisher nicht gesagt worden ist, wohin sie ihre Beiträge überweisen sollen, weil ihnen bisher noch keine Antragsvordrucke geschickt wurden. Bekanntlich haben wir das Markenverfahren auf das Einzugsverfahren umgestellt. Ohne Zweifel sind da gewisse verwaltungstechnische Unzulänglichkeiten im Spiel, und nun wird versucht, auch mit Hilfe von Rentenversicherungsträgern — das gebe ich zu —, das politisch zu verwerten. Ich finde das unerhört.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Glombig, wenn Sie schon Milliarden miteinander vergleichen: Ist es nicht ein großer Unterschied, ob 5,5 Milliarden DM für den Sanierungszeitraum bis 1980 fehlen, für die wir als Ultimo ratio Beitragserhöhungen vorschlagen, oder ob 1 Milliarde für einen Zeitraum von drei Monaten, wie es bei Ihnen jetzt der Fall ist, fehlen?
Herr Kollege Franke, Sie haben wiederum nicht zugehört. Diejenigen, die ihre Beiträge zur Rentenversicherung zahlen wollen, sind zu 75 % daran bis heute auf Grund der Umstellung vom Beitragsmarkenverfahren auf das Überweisungsverfahren gehindert worden. Wollen Sie das nicht endlich zur Kenntnis nehmen? Rufen Sie doch einmal bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte an, damit Ihnen das bestätigt wird. Das ist die Sachlage.
Verwechseln Sie mal nicht Äpfel mit Birnen. Damit kann man auch Politik machen.
— Ach, lassen Sie doch.Nun aber zu dem Vorschlag der CDU/CSU. Es ist ganz offensichtlich, daß der CDU/CSU-Vorschlag das Bruchstück eines Gesamtkonzepts ist — Herr Kollege Franke hat das ja eben selbst bestätigt —, das zusätzlich noch die Anhebung des Rentenversicherungsbeitrages vorsah, aber nun nicht mehr vorsieht. Wo ist denn der Antrag? Haben Sie den irgendwo gesehen? Ich habe ihn nicht gelesen. Ich sage: Ihr Vorschlag ist auf Grund der inneren Zerrissenheit der CDU/CSU in Ihrer eigenen Fraktion gescheitert. Übrig geblieben ist, wie gesagt, ein nicht lebensfähiger. Torso.Wie wenig die CDU/CSU ihr in der eigenen Fraktion verstümmeltes Konzept ernst nimmt, kann man daran erkennen, daß sie dem Plenum des Bundestages ebenso wie schon dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zum Rentnerkrankenversicherungsbeitrag zwei Vorschläge vorlegt — Sie müssen sich das einmal ansehen; das ist einmalig, so etwas habe ich überhaupt noch nicht erlebt —, ohne sich für eine Möglichkeit zu entscheiden. Das alles nach dem Motto: Hilf uns bitte, die richtige Entscheidung zu fällen.
Das CDU/CSU-Konzept ist politisch unseriös.
Es kann nicht ohne Erhöhung des Rentenversicherungsbeitrages funktionieren. Das sollten wir allen, die es wissen müßten, sagen, und Sie, Herr Kollege Franke, sollten es deutlicher sagen, als Sie das im Augenblick tun. Aber gerade das soll durch ein Täuschungsmanöver verschleiert werden.Die CDU/CSU will die Rentner zur Abdeckung der Kostensteigerungen im Gesundheitswesen heranziehen, lehnt aber gleichzeitig ein gesetzliches Kostendämpfungsprogramm in der Krankenversicherung ab, jedenfalls soweit es nicht — ich mache diese Einschränkung — im Leistungsrecht, sondern bei den Anbietern von Gesundheitsleistungen ansetzt. Die Rentner sollen belastet werden, während Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, die pharmazeutische Industrie und Krankenhausträger zu unverbindlichen Gesprächsrunden, wie gehabt, eingeladen werden sollen. Wir sehen darin einen unerträglichen Verstoß gegen das Prinzip der sozialen Ausgewogenheit, von der Herr Blüm hier so großsprecherisch geredet hat.
Ich glaube, daran müssen wir Herrn Blüm persönlich messen.Die CDU/CSU plant eine Kappung des Rentenniveaus auf Dauer. Hinzu käme die beträchtliche Belastung der Zusatzrenten wie z. B. der Betriebsrenten. Es ist keineswegs gesagt — auch das sollten wir uns merken —, daß davon nur gut situierte Rentner betroffen würden. Nehmen wir z. B. einen Rentner, Herr Kollege Blüm, der eine Gesamtversorgung von 1 000 DM monatlich hat — das ist ja heute nicht mehr selten —, davon 500 DM aus der gesetzlichen Rentenversicherung und 500 DM Betriebsrente. Nach der Alternative 1 — ich muß mich ja für eine entscheiden, wenn Sie es schon nicht tun — des CDU/CSU-Konzepts hätte dieser Rentner aus der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung 20 DM und aus der Betriebsrente rund 60 DM, zusammen also 80 DM, als Krankenversicherungs-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1879
Glombigbeitrag zu zahlen. Das wäre eine Rentenkürzung von sage und schreibe 8 %.
— Jawohl, das ist wahr. Rechnen Sie das mal nach Ihrem Antrag nach. Oder Sie kennen ihn nicht. Ich habe festgestellt, daß viele der Kollegen aus Ihren Reihen diesen Antrag überhaupt nicht kennen; er ist ja auch nicht im einzelnen beraten worden. Vielleicht hat man sich dessen geschämt. Nun, einen solchen Kahlschlag zu Lasten der Rentner kann und wird die SPD-Fraktion nicht hinnehmen.
— Ich meine, Sie sollten sich damit auch beschäftigen, denn Sie sind doch im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit; das muß Sie interessieren.Die CDU/CSU nimmt die gegenwärtigen, konjunkturbedingten Finanzierungsschwierigkeiten der Rentenversicherung zum Anlaß, und zwar ganz stiekum, wie der Hamburger sagt, für eine grundsätzliche Weichenstellung zu Lasten der Rentner.
Das ist nach Auffassung der SPD nicht vertretbar.Wir werden den Rentnern jeden Tag einhämmern,
worin die Alternative zu dem Konzept der sozialliberalen Koalition gerade in diesem Punkte besteht.
— Herr Blüm, meine Zeit ist beschränkt.
— Wenn ich noch Zeit hinzukriege, bin ich bereit, das zu machen; aber ich möchte das hier gern vortragen, damit da endlich Klarheit besteht.
Die CDU/CSU nimmt — ich will es noch einmal sagen — die gegenwärtigen, konjunkturbedingten Finanzierungsschwierigkeiten der Rentenversicherung zum Anlaß für eine grundsätzliche Weichenstellung zu Lasten der Rentner. In der nächsten Legislaturperiode steht mit der völligen Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung — auch das wiederhole ich aus der ersten Lesung, damit Sie sehen, daß wir etwas weiter denken, als Sie glauben — die einschneidendste Veränderung in der Geschichte der gesetzlichen Rentenversicherung bevor. Wir sehen es so, und Sie sollten es auch so sehen und sollten nicht darüber hinwegreden. Wir werden jeden Tag darauf hinweisen, wenn es notwendig ist.
— Hören Sie doch mal zu, damit Sie endlich begreifen, was unsere Konzeption ist. — Deshalb wäre es verfrüht und unverantwortlich, jetzt einen solchen einschneidenden und dauerhaften Eingriff in das Leistungsrecht der Rentenversicherung vorzunehmen, wie es etwa die Einführung eines Rentnerkrankenversicherungsbeitrages darstellt. Das ist nicht unser Konzept. Statt dessen sind mittelfristige und reversible Maßnahmen vorzuziehen, und wir ziehen sie vor. Da sind wir sehr konsequent. Wir können nicht erwarten, daß Sie mitziehen.
Sie lehnen ja immer nur ab. In unserer Auffassung, Herr Kollege Müller — Sie verweisen ja gern auf die Sachverständigen — haben uns nahezu alle Sachverständigen in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung bestärkt.Der CDU/CSU-Vorschlag sieht vor, daß die sogenannten Zusatzeinkommen mit Lohnersatzfunktion mit Krankenversicherungsbeiträgen belastet werden, wobei zumindest ein Teil der Beiträge von der die Leistung gewährenden Stelle zu zahlen ist. Aber nun wird es bunt! Im Klartext heißt das, daß auf die Haushalte des Bundes, der Länder — das kommt noch zu den 2,3 Milliarden hinzu — und der Gemeinden Mehrausgaben zukommen, die die CDU/ CSU vorsichtshalber nicht einmal annähernd zu beziffern versucht. Die Lasten der Konsolidierung der Sozialversicherung sollen also durch einen Trick unbemerkt auf die öffentlichen Haushalte verschoben werden. Das ist das, was man uns immer vorwirft. Dort soll es geschehen. Aber gleichzeitig lehnt die Opposition die dringend benötigte Mehrwertsteuererhöhung ab.
— Ich muß das noch einmal sagen. Gleichzeitig fordert sie sogar weitere Steuersenkungen. Daran möchte ich erinnern. Auch wenn Ihnen das unangenehm ist, werde ich das wiederholen, weil es wichtig" ist.
— Herr Kollege Müller, wie die Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte durch die Rentnerkrankenversicherungsbeiträge finanziert werden soll, ist völlig unklar. Das ist auch Ihnen unklar, wie ich glaube, aber darauf kommt es Ihnen gar nicht an.Darüber hinaus würde der CDU/CSU-Antrag durch den geplanten Rentnerkrankenversicherungsbeitrag auch aus Zusatzrenten die Institution der betrieblichen Altersversorgung aufs äußerste gefährden; das ist doch klar. Das muß diese Institution bei einer solchen Konzeption gefährden.Abgesehen von diesen grundsätzlichen Einwendungen weist der Antrag der CDU/CSU eine Reihe von Ungereimtheiten auf, die eine Zustimmung unmöglich machen. Das betrifft auf der einen Seite die ungleiche Belastung verschiedener Arten von Leistungen der Altersversorgung mit Krankenversicherungsbeiträgen unterschiedlicher Höhe, auf der anderen Seite sind die Probleme der verwaltungstechnischen Durchführung völlig ungeklärt. Auch dieses Modell ist nicht durchgespielt, obwohl es wie all diese „schönen" Dinge aus Rheinland-Pfalz kommt. Darüber hätte man eigentlich nachdenken müssen. Z. B. soll der Rentner vom Krankenversicherungsbeitrag befreit bleiben, wenn seine Gesamtversorgung
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1880 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Glombig60 % der Rente eines Durchschnittsverdieners nach 40 Versicherungsjahren nicht übersteigt. Wenn der Rentner Einkommen aus unterschiedlichen Quellen bezieht, wird es wegen der fehlenden Verbindung zwischen den einzelnen Versorgungseinrichtungen in vielen Fällen unmöglich sein, festzustellen, ob der Rentner überhaupt in den Genuß der Freigrenze kommen darf. Das beabsichtigte Quellenabzugsverfahren ist also kaum zu praktizieren, es wird uns aber als praktikabel angeboten. Wegen der Freigrenze und der Beitragsbemessungsgrenze würde es beim Quellenabzug des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages zu Überzahlungen kommen. Daraus ergäbe sich dann die Notwendigkeit von Rückerstattungen und Verrechnungen zwischen den einzelnen Versorgungseinrichtungen. Wie diese Verrechnungen abgewickelt werden sollen, bleibt ebenfalls völlig ungeklärt. Glauben Sie nicht, das sei alles unwichtig oder eine Frage von zweitrangiger Bedeutung! Wir haben immer wieder gesagt: Über diese Frage können wir mit Ihnen sprechen, wenn all diese Dinge geklärt werden und geklärt sind, damit es nicht zu unsozialen Auswirkungen kommt.
Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt auch den Antrag der CDU/CSU-Fraktion ab, der darauf abzielt, die Vorschrift über die Neudefinition der allgemeinen Bemessungsgrundlage zu streichen. Wir halten es für sinnvoll, die Berechnung der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage etwas näher an die aktuelle Lohnentwicklung heranzuführen.
— Herr Kollege Blüm, Herr Minister Ehrenberg hat heute mittag versucht, Ihnen klarzumachen, daß das Bremsen eines Zuwachses keine Kürzung von Leistungen ist.
Sie mögen das, was kommt, nettolohn- oder bruttolohnbezogene Anpassung nennen, ganz wie Sie es wollen, jedenfalls ist es eine politische Entscheidung, ob diese Anpassung 6,1% oder 7,3 % beträgt. Alles andere ist doch weiße Salbe.
Herr Kollege Blüm, damit können Sie wirklich niemanden hinter dem Ofen hervorlocken.
Dabei ist für uns nicht der Gesichtspunkt der Einsparung vorrangig.
— Hören Sie sich das doch einmal an; es ist gut für Sie, wenn Sie das einmal hören!
Sonst reden wir aneinander vorbei.
Die Verkürzung der zeitlichen Verzögerung der Rentensteigerung gegenüber der Lohnentwicklung führt gar nicht in allen Fällen zu einer Verringerung des Rentenniveaus und zu einem geringeren Anstieg der allgemeinen Bemessungsgrundlage. Es ist auch der entgegengesetzte Fall möglich. Ich habe den Eindruck, daß das für Sie interessant ist; denn Sie machen ein interessiertes Gesicht. Z. B. wird, soweit das heute voraussehbar ist, bereits in den Jahren 1979 und 1980 nach der modifizierten Formel der Anstieg der allgemeinen Bemessungsgrundlage höher als nach geltendem Recht sein. Was das Rentenniveau angeht, so ist errechnet worden, daß es sich auf Grund der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen bei einem über 8,4 % liegenden Lohnzuwachs gegenüber dem geltenden Rechtszustand geringfügig erhöht, bei einem darunter liegenden Zuwachs etwas absinkt. Ich meine, aus den dargelegten Gründen könnten Sie unserem Antrag auf Teilaktualisierung zustimmen, weil diese Operation, insgesamt gesehen, nicht zu Lasten der Rentner geht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Bis heute morgen war ich der Meinung, daß wir im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung lediglich einmal zwei Abgeordnete gleichen Namens, nämlich des Namens Müller, haben. Seit der Rede des Kollegen Franke weiß ich, daß wir auch zweimal den Abgeordneten Franke in diesem Ausschuß vertreten haben.
Wir haben einerseits den „Franke(Ausschuß)", einen sachkundigen, kooperativen Kollegen, der mit viel Geschick zu diskutieren weiß. Wir haben andererseits den „Franke(Plenum)", der widersprüchlich, polemisch und zeitweilig sogar, meine ich, demagogisch agitiert.
Ich werde mich hier heute leider mit dem „Franke " auseinandersetzen müssen und bedaure dies.
Wenn es, lieber Herr Kollege Franke, einen Preis für wechselhaftes Verhalten gäbe, bei Gott, Sie hätten sich diesen Preis heute hier verdient!
Da erklären Sie mit dem Brustton der Überzeugung: Wir haben nicht genügend Beratungszeit gehabt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1881
CronenbergWer hat denn, verehrter Herr Kollege Franke, verehrter Herr Kollege Müller, so hartnäckig auf dem Rentenanpassungstermin 1. Juli bestanden? Sie oder ich?
Wer diesen Anpassungstermin als politisches Glaubensbekenntnis verkauft, hat die Beratungszeit auf den Zeitraum beschränkt, der vor dem 12. Mai liegt. Genau diesen Beratungszeitraum haben wir ausgenutzt. Diese Argumentation wird noch um vieles unglaubwürdiger, verehrte Kollegen, wenn man weiß, daß die Beratungszeit, die diesem Ausschuß in der sitzungsfreien Woche zur Verfügung stand, nämlich exakt 3,7 Tage, von Ihnen nicht genutzt worden ist. 2,3 Tage waren für Sie ausreichend, die Dinge zu besprechen. Meine Frau, kann ich erklären, hat sich ausgesprochen gefreut, daß ich schon am Donnerstag nachmittag nach Hause kommen konnte, und dies dank Ihrer sachlichen Beiträge von der Opposition. Wenn Sie sich im Ausschuß so verhalten hätten wie heute morgen hier, dann hätten wir sicher bis Samstag abend tagen müssen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ?
Aber selbstverständlich!
Herr Kollege, war es der Wunsch oder der Wille der Koalition und der Regierung, die Anpassung streng an das ganze Paket zu koppeln, oder war es der Wunsch der Opposition?
Das war selbstverständlich der Wunsch der Koalition. Das ist auch vernünftig, und das wissen Sie auch. Sie können doch nicht einerseits die Maßnahmen des 20. Rentenanpassungsgesetzes durchführen, aber andererseits die Dinge im Gesundheitswesen laufen lassen.
Es ist doch höchst klar und einsichtig, daß wir nur dann, wenn es uns gelingt, einen Teil derjenigen Ausgaben, die verlagert worden sind, durch Kostendämpfung einzusparen, zu vernünftigen Regelungen kommen. Herr Kollege Müller, ich bin sogar überzeugt, daß Sie im Grunde genommen genau dieser Meinung sind. Die kooperative Arbeit im Ausschuß, das Bemühen um Kostendämpfung haben es doch bewiesen. Nun nehmen Sie sich nicht diese Feder, die wir Ihnen mit Recht anstecken dürfen, durch solche Fragen selbst weg!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich!
Herr Kollege, ist die Anpassung des Art. 1 zwingend an alle anderen Maßnahmen gekoppelt?
Meines Erachtens ist es zwingend, damit die Kosten im Gesundheitswesen nicht weiter davonlaufen. Genau aus diesem Grunde ist das Ganze für uns ein Paket. Ihre Anträge beweisen letztendlich, daß Sie die Dinge in Wirklichkeit ebenfalls als ein Paket betrachten.
Sie werfen uns vor — hier heute morgen wieder — wir machten falsche Zahlen und falsche Prognosen zur Grundlage unserer Berechnungen. Meine Damen und Herren, was sollen wir denn anders tun, als die Zahlen der mittelfristigen Finanzplanung zur Grundlage unserer Entscheidungen machen? 1m Grunde genommen legen auch Sie justament diese Zahlen zugrunde. Und bei dieser Gelegenheit darf doch einmal in Erinnerung gerufen werden, daß die mittelfristige Finanzplanung z. B. für das Jahr 1976 in einem erstaunlich großen und angenehmen Umfang eingetroffen ist. Ich bin ganz sicher, daß wir eine solche Entwicklung auch für die hochgerechneten 15 Jahre redlicherweise zugrunde legen dürfen.
Nun zu der berühmten, hier mehrmals angesprochenen einen Milliarde, die uns angeblich in den ersten Monaten fehlt: Herr Kollege Franke, wenn ich mich hier hinstellen würde und auf Grund der Eingänge bei der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenrentenversicherung im Dezember 1976 die Dinge hochrechnen würde und dies zur Grundlage der Entscheidungen machen würde, bräuchten wir vielleicht sogar einige Einsparungen nicht vorzunehmen, denn im Dezember sind, verglichen mit dem Jahresdurchschnitt von 7 %, hei der Arbeiterrentenversicherung 10,5 % Beitragssteigerung und bei der Angestelltenversicherung — Jahresdurchschnitt 10 % — 18,1 % Mehreinnahmen zu verzeichnen gewesen. Wenn ich diese Mehreinnahmen zur Grundlage der Entscheidungen machen würde, würde ich falsch handeln. Ich halte es im Grunde genommen einfach für nicht seriös, auf Grund der speziellen Situation des Januar 1977 uns hier vorrechnen zu wollen, daß das ganze Konzept nicht stimmt,
insbesondere, Herr Kollege Franke, vor dem Hintergrund, daß sich die Beitragseinnahmen bei diesen Institutionen für die Pflichtversicherten genau im Rahmen dessen bewegten, was prognostiziert wurde. — Und nun zu Ihrer Zwischenfrage.
Eine Zwischenfrage, Herr Franke, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Cronenberg, ist Ihnen entgangen, daß ich mich heute bei der Stützung meiner Argumente der Argumente bedient habe, die auf dem Verbandstag der Rentenversicherungsträger u. a. vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes und vom Präsidenten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin vorgetragen wurden?
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1882 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Es ist mir durchaus nicht ententgangen, daß Sie sich dieser Nachhilfe bedient haben. Nur beweist mir das wiederum nicht, daß die Äußerungen von Herrn Muhr der Weisheit letzter Schluß in dieser Frage sind. Im übrigen ist Ihre Stellungnahme zu den Genannten, insbesondere zu Herrn Muhr, in anderen Fragen gelegentlich ja ebenso kritisch wie die meine in dieser Frage.
Sie werfen uns vor, Herr Kollege Franke, wir hätten deswegen das Vertrauen verspielt, weil dieses Kabinett einmal einen anderen Anpassungstermin diskutiert hat. Nun, hierzu einige Feststellungen: Erfreulicherweise stimmen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, der notwendigen Verschiebung zu einem späteren Zeitpunkt ja zu. Wir sind uns also im Prinzip — im Grundsatz, daß verschoben werden muß — einig. Sie werden sich doch daran erinnern, daß im Hearing die Sozialpartner und die Versicherungsträger sich völlig darüber einig waren, daß eine Verschiebung des Anpassungstermins der Sanierung der Rentenversicherung außerordentlich dienlich wäre. Nun frage ich mich allen Ernstes und immer wieder: Ist es denn wirklich so unredlich, wenn ich eine als notwendig und richtig erkannte Maßnahme so schnell wie möglich durchführe — diese durchführe auf dem Hintergrund, daß die Maßnahme, nämlich die Verschiebung, ohnehin durchgeführt wird, und auf dem weiteren Hintergrund, daß Sie dieser Koalition stereotyp vorwerfen, zu spät, zu wenig und halbherzig zu handeln.Diese ganze Diskussion, Herr Kollege Franke, fände nicht statt, wenn nicht dieses Parlament 1972, Ihren Wünschen entsprechend, den Anpassungstermin vorgezogen hätte. Ich habe dies seinerzeit für falsch gehalten, weil ich es für abenteuerlich gehalten habe, auf Grund des damaligen Beitragsbooms und der niedrigen Anpassungen, die sich aus der Rezession 1966/68 ergeben haben,
diese Dinge zur Voraussetzung einer solch schwerwiegenden Entscheidung zu nehmen.Sie, Herr Kollege Franke, haben am 20. März 1975 von dieser Stelle aus dem damaligen Bundesarbeitsminister Arendt vorgeworfen — und mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitiere ich wörtlich —:Wir haben 1972 die richtige Konzeption von 1957 fortgesetzt, z. B. das Voranziehen der Rentenanpassung um ein halbes Jahr gegen Ihr namentliches Votum .. .
Gemeint war damals der Arbeitsminister.
Hustekuchen, Herr Kollege Franke! Ihr Konzept war schlicht und ergreifend falsch. Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten einen Juliusturm von 200 Milliarden DM zur Verfügung, wie ihn zu jener Zeit Herr Kollege Katzer vorgerechnet hat. Das wäre mir dreimal lieber und für uns alle sehr viel besser. Damit haben Sie, meine Damen und Herren von derOpposition, gleichzeitig die perfekte Begründung, warum Ihre Anträge zur Teilaktualisierung abzulehnen sind. Die Teilaktualisierung, wie von der Regierung vorgesehen, ist richtig, und zwar erstens, weil der Abstand von vier Jahren zu lang ist; siehe Beispiel 1972.
Sie ist wünschenswert und hilfreich — daraus mache ich gar kein Hehl — bei der Sanierung. Die Sanierung ist natürlich das Ziel. Zugegebenermaßen wäre das Jahr 1974 für die Rentenversicherung besonders ausgabenträchtig, Herr Kollege Müller. Dieses Nebeneffekt nehme ich im Interesse der Solidität der Rentenversicherung sehr gern in Kauf.
Sie hat den Vorteil, daß wir eine parallele Entwicklung der Beitragseinnahmen und der Ausgaben für die Rentner bekommen. Ganz besonderen Wert lege ich darauf, daß damit der Anreiz für begehrliche Politiker — wie dies z. B. die Kollegen Franke, Katzer und Blüm im Jahre 1972 bei der Vorziehung dieses Anpassungstermins praktizierten —,
ein solches verführerisches Polster zu verfrühstükken, genommen wird. Aus diesem Grunde und somit in Ihrem eigenen Interesse muß diese Teilaktualisierung durchgeführt werden.
Nun zum Problem des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner. Auch hier muß ich leider zu der Feststellung kommen, daß den Änderungsanträgen der CDU/CSU nicht zugestimmt werden kann. Sie erklären von hier aus eindeutig, daß dieser Krankenversicherungsbeitrag, der ja im Grunde genommen — machen wir uns nichts vor — eine Rentenkürzung ist, das Äquivalent für die Erhaltung à tout prix der bruttolohnbezogenen Rente ist. Ich glaube, ich habe Sie so richtig verstanden. — Ihr Nicken bestätigt mir das.
— Es war Herr Kollege Müller, Entschuldigung.Nun wissen Sie, daß ich persönlich der Meinung bin, daß eine nettoähnliche Anpassung unerläßlich ist. Bitte führen Sie sich noch einmal vor Augen, daß sich die Relation des Nettoeinkommens eines Rentners zum Einkommen eines aktiv Tätigen — Basis: 40 Jahre — wie folgt verändert hat. 1970 betrug das Rentner-Nettoeinkommen 51,7 % des Aktiven-Einkommens, heute beträgt es 63,3 %. Wenn diese Entwicklung ungehemmt weitergeht, bekommen wir die Verhältnisse wie im nichtbeamteten öffentlichen Dienst, wo die Leute teilweise in die Rente gehen und dann 100 % oder sogar noch mehr Einkommen haben als zu der Zeit, da sie noch arbeiteten. Das ist ein Zustand, den ich schlechterdings für nicht sozial und für nicht gerechtfertigt halte.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1883
CronenbergIch weiß mich mit dieser Meinung in guter Gesellschaft, nämlich in der Gesellschaft Ihres Kollegen von Bismarck, der in einem Interview mit der „Welt am Sonntag" am 24. April zu dieser Frage folgendes erklärt hat — ich darf mit Ihrer freundlichen Genehmigung, Frau Präsidentin, zitieren —:Die Rentner müssen an der Wohlstandsentwicklung teilhaben. Es muß dafür weiterhin feste Regeln geben. Aber sie dürfen nicht dazu führen, daß die realen Einkünfte der Arbeitnehmer durch die realen Einkünfte der Rentner überholt werden.Genau dies ist es, was wir meinen, wenn wir von „nettoähnlicher Anpassung" sprechen. Ich bin höchst erfreut darüber, daß sich diese Einsicht in Ihren Reihen auch durchzusetzen beginnt.Ich darf noch einmal folgendes in Erinnerung rufen. Der „Deutsche Rentenversicherungsträger" vergleicht in seiner Ausgabe vom April 1977 die Erhöhungen der Einkommen der aktiv Tätigen mit den Steigerungsraten der Rentnereinkommen. 1972 betrug die Steigerung — alle Zahlen verstehen sich netto .und preisbereinigt — bei den Aktiven 3,9 %, bei den Rentnern 5,4 %; 1975 betrug die Steigerung der aktiven Einkommen 1 %, die der Renten 4,2 %. 1976 gab es für die Aktiven-Einkommen praktisch keine Steigerung genau gesagt: einen Rückgang von 0,2 % —; für die Rentnereinkommen gab es jedoch eine Steigerung von 5,4 %.Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie eine solche Entwicklung langfristig für gut und richtig halten. Dies ist der Beweis dafür, daß Ihre Vorstellungen, wenn sie in dieser Art langfristig fortgesetzt werden, soziale Ungerechtigkeiten schaffen.Zweitens lehnen wir diese Dinge ab, weil diese Form des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner einen zukünftigen richtigen Weg verbaut. Die vernünftige zukünftige Lösung wird von uns bei den Privatversicherten aufgezeigt. Diese erhalten einen Zuschuß für ihre Krankenversicherung bis zu 11 % in Höhe ihrer individuellen Rente. Das heißt im Klartext: Jede Rente wird zusätzlich um einen Prozentsatz erhöht, der dem Durchschnitt des Krankenversicherungsbeitrags entspricht. Beispiel: 1 000 DM Rente plus 11,5 % ergibt einen Betrag von 1 115 DM; hiervon sind 11,5 % Krankenversicherungsbeitrag zu erheben. Das ist eine, wie ich meine, sinnvolle und in die Zukunft weisende Lösung, wenn wir uns hierauf zu einem späteren Zeitpunkt verständigen können.
Dies, meine Damen und Herren, wird durch Ihre Vorschläge leider verbaut. Auch aus diesem Grund ist hier und heute zu diesen Ihren Änderungsanträgen im Interesse der Sache nein zu sagen.
Solche Lösungen sind halt gerechter und sozialer und machen im übrigen jedem Rentner klar, daß er seinen individuellen Beitrag zur Krankenversicherung leistet. Wir kommen dann weg von jenenkollektivistischen Globalbeiträgen der Rentenversicherung für die Krankenversicherung. Es ist mir eigentlich unverständlich, daß Sie einer solchen Lösung nicht großen Beifall zollen.
— Nein, bei Ihnen; denn Sie müßten doch für solche individuellen Lösungen ganz besonders ansprechbar sein, wenn Sie konsequent in Ihrer Haltung sind.
Noch ein kurzes Wort zu der von Ihnen gewünschten Indexierung bezüglich dieser Angelegenheit. Wir lehnen eine Indexierung in dieser Form ab, diese starre Indexierung, weil jede Indexierung ordnungspolitisch bedenklich ist und im Grunde genommen inflationsfreundlich und -fördernd. Zweitens lehnen wir eine Indexierung ab, weil die Erwartungen für die Krankenversicherung, möglicherweise doch mehr zu bekommen, verführerisch machen könnten. Hierzu gestatten Sie mir zwei Hinweise, die ich in diesem Zusammenhang für wichtig halte.Erstens. Die 11,7 %, die überwiesen werden, sind in Wirklichkeit 13 bis 14 %, da ja nur 80 bis 85 % der Rentner pflichtversichert sind — ein bekanntes Argument.Zweitens weise ich auf den Entschließungsantrag der Koalition hin, der den Grundsatz, daß dieser Beitrag im Grunde genommen durchschnittlich zu betrachten ist, verdeutlicht.Wichtig für die Rentenversicherung ist in diesem Zusammenhang, daß sie von einer gesicherten Berechnungsbasis ausgehen können. Das ist systemgerecht, vernünftig und richtig.Nun, meine Damen und Herren, möchte ich noch einmal kurz auf die Frage der Aufstockung eingehen. In dieser Frage verstehe ich beim allerbesten Willen und bei gutmütigster Einstellung die Haltung eines Teiles der Fraktion der CDU/CSU nicht. Während ich in anderen Fragen bei Ihren Änderungsanträgen meinen hohen Respekt vor dem Fleiß und meinen gelegentlichen Respekt vor dem Bemühen zum Ausdruck bringen möchte, kann ich diesen Antrag nun wirklich nur noch mit einem gewissen Kopfschütteln bewerten.
— Herr Kollege Lutz, man sollte nicht zur Verschärfung der Debatte beitragen. Ich möchte mir da Herrn Franke nicht als Vorbild nehmen. Deswegen diese etwas milde Formulierung.
Ich bitte also hier um Ihre Nachsicht.
— Danke schön, Herr Kollege Blüm.Wir sind in einer Situation, in der Fehler, von Ihnen, wie soeben nachgewiesen, mitverursacht,
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1884 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1973
Cronenbergkorrigiert werden müssen. Wir unterhalten uns über Anpassungstermine. Wir streiten redlich über netto- oder bruttobezogene Erhöhungen. Wir führen — das sei in aller Ehrlichkeit bekannt — gewisse Leistungseinschränkungen durch, damit hier keine Beitragserhöhungen erforderlich sind.
Wir geben auch in aller Offenheit zu, daß die Bedingungen, unter denen die Selbständigen im Jahre 1972 in die Rentenversicherung eintreten konnten, gewisse Privilegien geschaffen haben, von denen wir meinen, daß sie um der Gerechtigkeit willen abgebaut werden müssen. Genau in dieser Situation kommen Sie her — frisch, fromm, fröhlich, frei; ich möchte fast sagen: blauäugig oder, besser, schwarzäugig — und wollen neue Privilegien schaffen.
Sie erklären mehr oder weniger schlicht und einfach: Jedem soll die Möglichkeit gegeben werden, die gleichen Privilegien zu bekommen, die den Selbständigen im Jahre 1972 angeblich verschafft worden sind
— lassen Sie mich den Gedanken eben zu Ende führen —, und zwar für jene Begüterten, die in der Lage sind, die Aufstockungsbeiträge zu zahlen. Nun möge man mir doch bitte gelegentlich klarmachen, wie Sie auch dies noch unter dem Motto „Soziale Gerechtigkeit" verkaufen können. — Nun bitte zu Ihrer Zwischenfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Cronenberg, ist Ihnen entgangen, daß die Regierung, die von SPD und FDP getragen wird, in ihrem Entwurf als einen Punkt die Aufstockung für Pflichtversicherte vorgesehen hatte?
Hochverehrter Herr Kollege Franke, das unterscheidet uns eben. Natürlich ist mir das nicht entgangen. Natürlich aber wissen Sie auch, daß ich mich gerade in dieser Frage ganz besonders bemüht habe. Der Unterschied zwischen Koalition und Opposition ist schlicht und ergreifend der, daß die Lernfähigkeit der Opposition weniger groß ist als die der Koalition.
Der Kollege Tillmann ist noch da. Darf ich diesen Teil meiner Ausführungen über die Aufstockung schlicht und einfach mit einem guten, alten Sauerländer-Sprichwort beenden? Wenn das in dieser Form durchgeführt würde, würde man, lieber Ferdi Tillmann, in Sundern sagen: „Das bedeutet, fetten Gänsen den Oarsch schmieren". Genau das aber wollen wir nicht.
Daß Sie nun obendrein den Gesetzentwurf, den ich, wie ich soeben ausgeführt habe, nicht für glücklich halte, noch dadurch ergänzen, daß Sie das Ganze auch noch für beitragslose Zeiten einführen, spricht für sich.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich auf die lobenswerten Ausführungen von Herrn Prof. Heubeck hinweisen, die nachzulesen ich jedem, der sich mit dieser Frage beschäftigt, empfehle. Hier wird noch einmal bewiesen, daß mit sachlichen Beiträgen auch in diesem Parlament durchaus für Vernunft geworben werden kann.
Alles in allem aber betrachte ich Ihre Einstellung als nicht ganz so gefährlich, weil ich natürlich genau weiß, daß Ihre Fraktion in dieser Frage sehr gespalten ist, und weil ich den Eindruck habe, als sollte hier vordergründig pseudosoziales Verhalten demonstriert werden.
— Das ist meine Unterstellung — zugegebenermaßen —, aber, Herr Kollege Müller, Sie wissen sehr genau, daß ich mich damit nicht allzu weit von der Realität entferne.
Lassen Sie mich zum Schluß noch zu einem Problem kommen, das verschiedentlich angesprochen worden ist, für das ich aber leider noch keine perfekten Lösungsmöglichkeiten sehe. Ich meine den Beitrag für die von der Rentenversicherung befreiten Angestellten, die in Versorgungswerken und in privaten Lebensversicherungen untergebracht sind. Ich sehe dieses Problem durchaus. Ich weiß auch, daß wir hier etwas tun müssen. Nur die vielen technischen Probleme halten mich davon ab, dem Änderungsantrag der Opposition in diesem Punkt zuzustimmen. Das ist aber nicht schlimm; denn die Beratung des 21. Rentenanpassungsgesetzes läßt uns Zeit genug, hier in aller Ruhe eine systemgerechte Lösung zu finden.
Alles in allem möchte ich zum Schluß nur noch einmal kurz zum Ausdruck bringen, daß wir den Gesetzentwürfen der Koalition beruhigt zustimmen und Ihre Änderungsanträge ebenso beruhigt ablehnen können.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schedl.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Cronenberg hat hier einen doppelten Kollegen Franke bemerkt. Dazu möchte ich, Herr Kollege Egert, sagen: Wir haben uns im Ausschuß manchmal sehr zurückhaltend auseinandergesetzt, immer einig in der Erwartung und vom Herrn Vorsitzenden auch immer wieder darauf hingewiesen, daß die etwas markantere Auseinandersetzung hier im Plenum stattfinden muß. Genausogut könnte man natürlich sagen: Es gibt offensichtlich auch einen doppelten Kollegen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1885
SchedlGlombig — einen Kollegen Glombig im Ausschuß, vor dem ich hohe Achtung als hochkarätigen Sachkenner empfinde, von dem ich weiß, daß ich lange brauchen werde, um mich mit ihm in den Details der Feinstruktur auch nur in etwa messen zu können, aber auch einen Kollegen Glombig, der vorhin hier vom „Kahlschlag der Opposition gegen die Rentner" sprach und erklärte: Das werden wir den Rentnern einhämmern, bis es alle begriffen haben. Herr Kollege Glombig, Sie werden es doch hoffentlich nicht genauso einhämmern, wie Sie es in den Monaten vor dem Oktober eingehämmert haben: Alte Leute, habt keine Sorge, auf Sozialdemokraten ist Verlaß; da braucht ihr keine Angst zu haben!
Herr Kollege Glombig, bei dem „Kahlschlag", den Sie hier festzustellen glauben, weiß ich, daß Sie viel zu sachverständig sind, als daß Sie das so ernst meinen, wie Sie es hier vorgetragen haben. Wir sind der Überzeugung, daß Fach- und Sachkundige durchaus wissen, daß unser Konzept zur Aktualisierung eines Rentnerkrankenversicherungsbeitrages sehr wohl diskutabel, durchführbar, sozialer und gerechter ist als das, was Sie tun. Hier sollte wieder einmal gesagt werden: CDU/CSU und SPD haben einen solchen Krankenversicherungsbeitrag schon einmal gemeinsam eingeführt; es ist die Aktualisierung einer Konzeption, für die wir hier Vorlagen auf den Tisch legen.
Eines noch zu den Vorwürfen, wir hätten zwei Alternativen vorgelegt und die Technik funktioniere nicht bis ins Detail. Herr Kollege Egert, das mag ja in einigen Bereichen durchaus richtig sein. Wenn ich mir aber vorstelle, was Ihre Regierung mit ihrem Riesenapparat, der natürlich mehr für Propaganda als für Technik arbeitet, in vielen Dingen vorlegt, muß ich schon sagen: dann gestehen Sie uns bitte zu, daß wir in den Alternativkonzepten nur die groben Weichenstellungen vorsehen können. Wir sind bereit, mit Ihnen über die Verfeinerung des gesamten anderen Konzepts zu reden.
Ich komme zu einer weiteren Vorbemerkung, bevor ich mich bemühen werde, mit wenigen Worten noch einige Anträge zu begründen. Herr Minister Ehrenberg hat heute morgen ganz heftig die Alternative „unser Konzept oder Nettoanpassung" zurückgewiesen. Ich habe das Protokoll seiner Rede nachgelesen. Er hat in der Schlußformel noch einmal dargetan, daß die Abweichung von der Bruttoformel und der Übergang auf die Nettoanpassung dann notwendig ist, wenn der Anstieg der Löhne und Gehälter im Schnitt weniger als 7 % beträgt. Bei 8 % sei dieser Schritt nicht mehr notwendig.Meine verehrten Damen und Herren, wir haben schon begriffen, was damit gemacht werden soll. Wenn Kollege Blüm heute nachmittag von geschickter Verpackung sprach, dann war das in keiner Weise beleidigend.
Ich meine, es war fast ein Kompliment für Ihre geschickte taktische Haltung in dieser Frage. Eines bekommen Sie aber nicht vom Tisch, Kollege Glombig: Wenn Sie unter der Marge bleiben, die Ehrenberg nannte, müssen Sie die Nettoanpassung durchführen, und dann strafen Sie alle Rentner so unsozial, wie es Blüm in allen Details ausgeführt hat. Das ist genau der Punkt, den wir mit unserem Konzept vermeiden können.
Wenn wir schon bei der finanziellen Entwicklung sind, will ich auch ein paar Anmerkungen zu den Zahlen machen, um die es bei einer solchen Frage gehen muß, um die es auch heute morgen gegangen ist. Ich habe die Frage: Haben wir bereits 1,5 Milliarden weniger in der Kasse, haben wir nur 1 Milliarden weniger in der Kasse? Wer ist schuld daran? Warum sind die Zuflüsse nicht ganz so, wie sie sein sollen? Für mich war es sehr interessant, daß der Herr Minister hier ausführte, daß die geringeren Einnahmen nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß etwa 400 Millionen DM an Beiträgen aus freiwilligen Leistungen noch im Dezember vorigen Jahres verbucht wurden, auch wegen der Umstellung auf eine andere Beitragstechnik. Herr Minister, ich ließ mich heute früh an der Stelle, an der Sie das gesagt haben, überzeugen, weil es mir irgendwie einleuchtend erschien. Nur eines wundert mich jetzt natürlich: Wir haben die Nachmittagspause unter anderem genutzt, um mit den zuständigen Leuten auch in der BfA darüber zu reden. Dort werden — ich möchte gar nicht mehr sagen — ganz andere Zahlen genannt, nämlich 50 bis 70, bis 80 Millionen für diesen Bereich durch Umstellung des Einzugs in diesem Jahr.
Herr Minister, ich glaube, es wäre in unser aller Interesse gut, wenn Sie diese Frage umgehend klärten. Denn es nützt nichts, wenn wir uns gegenseitig etwas vormachen, wieviel weniger uns fehlen würde. Morgen müssen wir gemeinsam überlegen, wie wir die Löcher zumachen können. Das ist das Entscheidende dabei.
Deswegen hilft der ganze Schleiertanz mit den Milliarden, dieses Hin und Her, meiner Auffassung nach überhaupt nichts. Muhr sprach gestern von der fehlenden 1 Milliarde DM. Wenn Sie nachfragen, werden Sie feststellen: er hat rechnerisch von 1,3 Milliarden auf 1 Milliarde DM reduziert, weil er Ihnen 0,3 Milliarden, sprich: 300 Millionen DM, für buchtechnische Dinge zugute gehalten hat, die mit dem Jahressprung usw. zusammenhängen.Eine letzte Anmerkung. All diese Zahlen — das müssen wir alle wissen und immer wieder sagen: Sie haben recht, niemand hat andere Zahlen — basieren z. B. auf einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 850 000. Nur, Herr Minister Ehren-
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1886 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Schedlberg, wer heute immer noch nicht ehrlich genug ist, hier in diesem Hause, das dafür mitverantwortlich ist, zu sagen, daß es leider kaum mehr eine Chance gibt, nur in etwa auf diese Zahl zu kommen, der würde sich genauso täuschen wie der damalige wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dr. Herbert Ehrenberg, MdB, der am 27. März 1976 erklärte: „Im Sommer 1977 wird nicht mehr ernsthaft von dem Problem der Arbeitslosigkeit gesprochen werden."
Meine verehrten Damen und Herren, das alles sind keine bitteren, beleidigenden persönlichen Vorwürfe, sondern das sind Feststellungen für uns alle, gerichtet an uns alle, in erster Linie an Sie als die verantwortliche Regierung, damit Sie mehr tun als das, was Sie auf den Tisch gelegt haben, um uns wirklich durchläufig stimmige und vernünftige Zahlen in Zukunft vorlegen zu können.Herr Kollege Glombig, Sie haben zu dem Antrag betreffend Mittel für den Wohnungsbau auf Drucksache 8/384 erklärt, daß die CDU/CSU hier ihre Haltung geändert habe. Ich möchte Ihnen dazu — wir haben überhaupt keinen Anlaß, daraus einen Hehl zu machen — ganz offen sagen, daß wir uns diese Frage eingehend überlegt haben. Wir sind schließlich zu dieser grundsätzlichen Haltung und diesem Antrag gekommen, weil wir von folgender Überlegung ausgehen: Wenn entgegen dem Ausschußbeschluß die Streichung unterbleibt, wird der alte § 1306 der Reichsversicherungsordnung wiederhergestellt. Das heißt, die Geschäftsleitung des Versicherungsträgers ist in Zukunft jederzeit in der Lage, Mittel für den Wohnungsbau auszugeben. Ob dies in die jeweilige Kapitalmarktsituation paßt oder nicht, ist eine zweite Frage. Ob es von der Liquidität her möglich ist, wird immer nur die Geschäftsleitung zu entscheiden haben. Deswegen lautet unsere Frage: Warum sollen wir eigentlich gehalten sein, das aus diesem Gesetz ein für allemal her-auszuradieren? Lassen Sie es doch stehen! Sie werden doch mindestens genausoviel Vertrauen zur Geschäftsleitung der Rentenversicherer haben wie wir. Ich meine, wenn diese in der Vergangenheit die Wechselbäder so mitgemacht hätten, wie sie von der Regierung in Bonn Signale bekommen haben, sähe es heute wahrscheinlich noch viel schlechter aus, als es bei den vorhandenen Schwierigkeiten im Moment schon aussieht.Ich freue mich, daß der Kollege Cronenberg in der Frage der Gruppen, die im Rahmen der befreienden Versicherung durch die Maschen dieser Gesetzgebung fallen, zumindest angedeutet hat, daß die FDP hier einen Punkt sieht, an dem angesetzt werden sollte. Herr Kollege Cronenberg, wir fürchten nur: Wir haben alle so viel Papier und so viel zu reden, daß leicht etwas in Vergessenheit gerät. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle sagen, was Sie uns gesagt haben: Denken Sie bis morgen noch einmal darüber nach. Wenn Sie diesem Änderungsantrag zustimmen könnten, hätten wir dieses Problem sofort erledigt. Es wäre fachgerecht, es wäre eine gerechte Sache, und wir brauchten nicht noch einmal Monate darüber nachzudenken. Die Frage ist nämlich, ob wir dann im Zuge der Zeit überhaupt noch dazu kommen.Ich darf für meine Fraktion auch ein paar kurze Anmerkungen zur Frage der Rehabilitation und ihrer neuen Zuordnung zur Bundesanstalt für Arbeit machen. Wir sollten in dieser Frage vor allen Dingen auch berücksichtigen, daß die im Hearing 'gehörten Sachverständigen — mit Ausnahme der beamteten Vertreter der Bundesanstalt; dies ist, glaube ich, irgendwie verständlich — erklärt haben, daß sie eine Regelung wie die hier vorgesehene nicht für angemessen, insbesondere nicht für sachgerecht und im Sinne derer, die der Rehabilitation bedürfen, für die Zukunft für ungünstig hielten.Wir haben darüber hinaus mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit in den letzten Tagen nach nochmaliger eingehender Behandlung zu der Auffassung gekommen ist — aus welchem Grund auch immer, Herr Kollege Egert —, jetzt und in dem Paket sollte diese Umorientierung nicht durchgeführt werden.Meine verehrten Damen und Herren, wenn wir dies alles sehen, müssen wir doch einfach sagen: Wenn Ihr von der Koalition es unter allen Umständen dort haben wollt, dann doch nur deswegen, weil Ihr von den Versicherungsträgern meint, einige Negativposten wegbringen zu können, dort hinzubekommen und übermorgen über die Arbeitslosenversicherung, über einen anderen Weg, höher finanzieren lassen zu können. Es ist doch keine Frage der besseren Sachorientierung. Das macht uns doch kein Mensch vor. Deswegen werden wir unseren wiederholt gestellten Antrag hier auch weiterhin aufrechterhalten, nämlich die Zuständigkeit für die Rehabilitation dort zu belassen, wo sie bisher war.Ein ganz wesentlicher Punkt im Verfahren, auch mit dem Blick auf die mittelfristige Entwicklung, scheint uns die Abschmelzung der Drei-MonatsRücklage zu sein. Ich könnte den heute wiederholt zitierten Gerd Muhr noch einmal sehr eingehend zitieren, vor allen Dingen seine gestrigen Einlassungen in Hamburg — Herr Bundesminister, Sie kennen sie sicher im Wortlaut —, wo er davon spricht: „Politiker müssen wissen, daß sie mit diesem Schritt eine Entscheidung treffen, bei der sie vielleicht schon in kurzer Zeit in große Schwierigkeiten kommen." So etwa lautet das wörtlich. Sie kennen es. Man kann es nachlesen. Ich will ihm hier im freien Zitat nicht irgend etwas in den Mund legen. Es war deutlich genug, und es war schön genug, daß Gerd Muhr gesagt hat, was er zu dieser Frage meint.
Was heißt eigentlich „Rücklage" von ihrem Sinn her? Rücklage kann doch nur bedeuten, daß ein Puffer da ist, der in schwierigen Margen des Geschäftsjahres, bei großen konjunkturellen Schwankungen Ausfälle abpuffert, was andernfalls nur ganz schwierig erreichbar ist. Deshalb beinhaltet „Rücklage", daß sie natürlich phasenweise angegriffen werden muß,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1887
SchedlDa gibt es aber einen kleinen Haken, über den Sie wenig reden. Der Haken wird aus folgender Formulierung deutlich: Wenn die vorgeschriebene Monatsrücklage über gewisse Zeiträume unterschritten wird, dann ist die Bundesregierung verpflichtet, darüber nachzudenken und Vorschläge zu unterbreiten, wie es in der Zukunft mit der Liquidität weitergehen soll. Das könnten natürlich auch Vorschläge zur Beitragserhöhung sein. Das wollten Sie auf keinen Fall. Deswegen haben Sie als Notbremse für immer — wenn der Aufschwung weiterhin so „galoppiert", wie er nach Ihren Ausführungen im Moment „galoppiert", wird das notwendig sein, haben Sie gedacht — den Zeitraum, den die Rücklage abdecken muß, von drei Monaten auf einen Monat heruntergeschraubt; denn anders, meine verehrten Kollegen, kann ich mir die Antwort eines Regierungsvertreters auf eine Frage — ich meine sogar von mir — im Ausschuß überhaupt nicht erklären. Lesen Sie im Ausschußprotokoll nach. Dieser Vertreter der Bundesregierung sagte mir dort, so eine große Sorge müsse man gar nicht haben; denn nach den Berechnungen würde man höchstenfalls bis auf 2,1 Monate abschmelzen müssen.An dieser Stelle noch einmal die Frage: Warum gehen Sie, wenn dies stimmt, nicht den Weg des Sozialbeirats, warum gehen Sie nicht den Weg der Bundesbank, warum gehen Sie dann nicht den Weg aller Sachverständigen, die Ihnen gesagt haben: Die unterste Grenze sind zwei Monate? Warum gehen Sie denn auf einen Monat herunter?
Glauben Sie denn schon selber nicht mehr, daß es morgen — hoffentlich, in unser aller Interesse — wieder besser werden könnte und wieder besser werden müßte. Wir wissen, daß wir sonst morgen oder übermorgen weder nach der einen noch nach der anderen Lösung Deckungsmöglichkeiten haben werden.Wir haben dazu einen konkreten Antrag auf den Tisch gelegt. Wir sind bereit, auf zwei Monate herunterzugehen. Wir wollen sogar einen Zusatz einbauen, um damit auch den Charakter einer Rücklage als der Finanzierungschance für schwierige Zeiten deutlich kenntlich zu machen: Wir wollen neben der Möglichkeit des Absenkens auf zwei Monate auch den Auftrag für eine baldmögliche Aufstockung einbauen.Jetzt komme ich zurück auf die Kritik Glombigs, zu den Wohnungsbaudarlehen der Rentenversicherung. Dort wären dann auch wieder einmal — vielleicht erst in zwei bis drei Jahren; wir hoffen, daß wir Beiträge dazu leisten können, daß diese Entwicklungen schneller positiv verlaufen — die Margen, die in den Hypothekenbereich hinausgehen könnten. Denken Sie zurück an die Frage des Dochnicht-Streichens unseres Änderungsantrages von vorhin.Dann muß ich noch ein Wort an die Sozialdemokraten sagen. Schauen Sie sich doch den Personenkreis an! Wer waren denn die Hypothekennehmer mit allerhöchsten Prozentsätzen von den Rentenversicherungsträgern? Sie wissen es doch ganz genau!Das waren doch die, die glücklich waren, daß. sie einige Punkte unter den Kapitalmarktmargen liegen konnten. Das waren zum großen Teil die kleinen Leute draußen auf dem flachen Lande,
die ihre kleinen Häuschen gebaut haben. Die haben dort den größten Teil des Kapitals aufnehmen können. Das ist der entscheidende Punkt, warum wir uns so sehr an diese Frage gehängt haben und warum wir so sehr daran hängen.Meine verehrten Damen und Herren, ich konnte hier nicht jede Antragsnummer vortragen, jeden Antrag detailliert begründen. Ich meine, das wäre auch nicht die Sache, die man im Plenum zu betreiben hat. Ich habe versucht, Ihnen klarzumachen, daß wir in dieser Frage — beginnend bei der ersten Hälfte der Anträge durch unseren Kollegen und Freund Norbert Blüm bis zur zweiten Hälfte der Anträge, den Änderungen zum Rentenanpassungsgesetz — alles tun wollen, um in dieser ganz schwierigen Situation, die niemals „Problemchencharakter" hatte, die ein Problem weit über 1980 hinaus sein wird, wenn ich an die Verfassungsgerichtsaufträge denke,
einen echten und ehrlichen Beitrag zu leisten. Dann sagen Sie bitte nicht „Flickwerk". Bitte sagen Sie dann nicht, wir hätten hier Stimmung gemacht, wir hätten hier schlechte technische Vorschläge gemacht. Nehmen Sie uns doch ab, daß wir dieses Problem lösen wollen, daß wir es so lösen wollen, wie es Wolfgang Mischnick, der Vorsitzende der FDP-Fraktion, im Pressedienst angekündigt hat, aber offensichtlich heute nicht mehr ganz will. Er hat am 9. Februar in seinem Fraktionspressedienst erklärt:Wer heute nur an die nächsten zwei, drei Jahre denkt, handelt unverantwortlich gegenüber den jetzigen Beitragszahlern,
die mit ihrer Beitragsleistung selbstverständlich als berechtigte Erwartung verbinden, als Rentner genauso gut versorgt zu werden, wie es für die heutige Rentnergeneration der Fall ist. Deshalb ist eine langfristige Rentensicherung notwendig.Das, genau das, meinen wir: Für diejenigen, die ein Leben lang gearbeitet haben, die Erhaltung der sicheren Rente, und für diejenigen, die sie heute für morgen finanzieren wollen, den Glauben daran, daß es gut ist, dies zu tun!
Das Wort hat der Abgeordnete Urbanik.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das war auch bitter notwendig, Kollege Blüm, denn es war sehr mäßig
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1888 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Urbaniakund kein guter Start für Sie in Hannover. Ich stelle das einmal für mich hier fest.Kollege Schedl, ich darf Ihnen hier sagen, daß sich Ihre Rede, was die sachlichen Passagen angeht, wohltuend von denen des Kollegen Franke unterscheidet. Ich glaube, Sie haben auch im Ausschuß zu einem sachlichen Klima beigetragen. Das kann ja auch einmal bei einem CSU-Abgeordneten passieren.
Bei einigen Punkten, das möchte ich Ihnen aber sagen, muß man der Opposition vorhalten, daß sie, wenn man sich die Anträge näher ansieht, eigentlich nicht weiß, was sie will, oder das Verpakkungsmaterial von Norbert Blüm einfach nicht ausreicht; es ist ja heute schiefgegangen.
Der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner — Ihre 2,6- und 4%-Aktion — bringt auf Dauer gesehen eine erhebliche Einschränkung der Nettoverfügbarkeit der Rentner, die Sie höchstwahrscheinlich überhaupt nicht bedacht haben. Zweitens, Kollege Schedl: Die Arbeit der Bundesregierung, die Sie mit Propaganda abgetan haben, hat doch ein Konzept zur Konsolidierung erarbeitet, das — genauso wie die gründliche und schnelle Arbeit des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — nicht nur die Anerkennung herausfordert, sondern Respekt von uns allen. Hier hat Ehrenberg mit seinen Mannen wirklich schnell etwas sehr Gutes zustande gebracht. Das sollte man trotz unterschiedlicher parteipolitischer Positionen nicht gering einschätzen, meine Damen und Herren.Ein Weiteres, Herr Kollege Schedl. Die absoluten Arbeitslosenzahlen sind draußen im Lande Gott sei Dank rückläufig und sie werden weiter rückläufig bleiben. Darüber sind wir alle sehr froh. Die Aktivitäten der Bundesregierung sind ja auch darauf ausgerichtet, die Zahl der Arbeitslosen so schnell wie möglich zu senken.Die Koalitionsfraktionen haben in allen Fragen zur Konsolidierung der Rentenfinanzen wichtige Punkte der Regierungsvorlage unverändert gelassen. Wir haben uns in der Ausschußarbeit mit Schwergewicht darum bemüht, vor allen Dingen dem Gedanken der Beitragsgerechtigkeit verstärkt Geltung zu verschaffen. In diesem Punkt haben wir den Regierungsentwurf um neue Akzente bereichert. Die SPD-Fraktion sieht in diesen Änderungen echte sozialpolitische Verbesserungen. Wir haben dazu beigetragen, daß die Renten durch dieses Gesetz nicht nur sicherer, sondern auch sozial gerechter gestaltet werden. Das ist sehr wichtig.Ich habe mich mit ihren Anträgen auf den Drucksachen 8/374, 8/375 und 8/379 auseinanderzusetzen, die Änderungen auf diesem Felde herbeiführen sollen. Wir haben die ungerechtfertigte Doppelversorgung für Beamte bei den Leistungen der medizinischen Rehabilitation und bei der Anerkennung von Ersatz- und Ausfallzeiten abgebaut. Wir haben die sozialpolitisch nicht vertretbare Versicherungsberechtigung der Beamtenpensionäre eingeschränkt. Wir haben die durch nichts gerechtfertigte bessere Bewertung der Freiwilligenbeiträge gegenüber den Pflichtbeiträgen durch Streichung der zweijährigen Nachentrichtungsfrist beseitigt. Wir betrachten es auch als eine Verbesserung, daß die Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung künftig nur noch höchstens mit dem Durchschnittseinkommen aller Versicherten bewertet werden. Nach Auffassung der SPD-Fraktion ist die bis heute gültige Bewertung in höchstem Maße ungerecht und auch verfassungsrechtlich bedenklich, denn sie führt im Ergebnis dazu, daß Lehrlinge Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichten müssen und dennoch während der Zeit ihrer Berufsausbildung geringere Rentenansprüche erwerben, als beispielsweise Akademiker, die während ihrer Ausbildung keinen Pfennig Beitrag an die Rentenversicherung entrichten. Die SPD-Fraktion anerkennt in dieser Frage ausdrücklich, daß die Unionsfraktion dieser Veränderung — das will ich zugeben — bezüglich der Bewertung von Ausbildungszeiten im Ausschuß zugestimmt hat. Im übrigen ist uns bewußt, daß die Schaffung von mehr Beitragsgerechtigkeit und der Entzug von Privilegien bei den Betroffenen als Benachteiligung empfunden werden kann. Dennoch vertrauen wir letztlich darauf, daß man einsieht, daß diese Maßnahmen im Rahmen der Konsolidierung notwendig sind.Zum Themenkomplex Beitragsgerechtigkeit gehört auch die Möglichkeit der freiwilligen Aufstokkung von Pflichtbeiträgen. Wie Sie wissen — die Herren Kollegen Franke und Blüm haben es ja einige Male erwähnt —, haben wir das, was die Bundesregierung beabsichtigte, dann nach einer, wie ich meine, gründlichen Beratung gestrichen. Das bedeutet aber für die SPD-Fraktion keinen Verzicht auf die Aufstockung. Die Entscheidung soll lediglich bis zum 21. Anpassungsgesetz vertagt werden. Bis dahin muß nochmals geprüft werden, ob langfristig mit der Aufstockung Gefahren für die finanziellen Grundlagen der Rentenversicherung verbunden sind. Damit schauen wir schon auf die Beratungszeit in der nächsten Legislaturperiode, wo es dann um die Fragen geht, die sich aus dem Verfassungsurteil bezüglich der gleich hohen Versorgung von Witwen und Witwern in der Rentenversicherung ergeben. Wir haben hier also bereits ein Element berücksichtigt, das uns eine sehr sachliche und gründliche Prüfung sowohl der Einnahmen wie der Ausgaben im Bereich der Aufstockung bringt.Für die SPD-Fraktion besteht damit ein sachlicher und politischer Zusammenhang zwischen der Aufstockung und der freiwilligen Versicherung. Wir sind der Auffassung, daß gerechterweise den Pflichtversicherten die Aufstockung nicht verweigert werden kann, solange die freiwillig Versicherten völlig nach Belieben über die Höhe ihrer Beiträge entscheiden können und selbst dann Ansprüche auf dynamische Renten und beitragsunabhängige Leistungen erwerben können, wenn sie weder kontinuierliche noch einkommensgerechte Beiträge abführen. Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, sind genau dieselben längerfristigen Gefahren für die finanziellen Grundlagen der Rentenversicherung, die möglicherweise gegen die Aufstockung
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1889
Urbaniaksprechen, auch mit der freiwilligen Versicherung verbunden. Die SPD-Fraktion könnte sich jedenfalls nicht damit abfinden, daß die Aufstockung mit dem Hinweis auf Finanzierungsprobleme unterbleibt, ohne daß diese Bedenken gleichzeitig auch Konsequenzen für die freiwillige Versicherung haben.
Deswegen hält die SPD-Fraktion an ihrer Absicht fest, künftig die Leistungen aus freiwilligen Beiträgen, insbesondere die Rentendynamik, an strengere Voraussetzungen hinsichtlich der Kontinuität und der Einkommensgerechtigkeit zu binden. Diese Absicht hat sich auch in dem vorliegenden Entschließungsantrag des Ausschusses niedergeschlagen. Ich halte sehr viel von diesem Entschließungsantrag, und zwar im Gegensatz zu dem, was Sie, Herr Kollege Franke, gesagt haben: das wäre ja nur ein Papier. Wer Entschließungen des Ausschusses und dieses Hauses so behandelt, weiß nicht, wovon er redet.
Ein weiterer Antrag der CDU/CSU-Fraktion beschäftigt sich wohl mit § 113 AVG. Es ist der Antrag auf Drucksache 8/390. Er umfaßt' nur wenige Zeilen, aber eine sehr umfassende, auf vier DIN-A4- Seiten dargelegte Begründung. Wir haben den Verdacht, daß hier einfach von einer Verbandsstellungnahme abgeschrieben worden ist. Wir müssen erkennen, daß Sie bei Ihren Anträgen keine große Sorgfalt auf die logische Folge einer gesetzlichen Konsequenz verwendet haben. Das ist für die Opposition eine schlimme Sache. Ich stelle das hier nur fest.Der Änderungsantrag auf Drucksache 8/380, wonach auch im Falle einer Befreiung von der Versicherungspflicht der Beitragsanteil des Arbeitgebers, der ohne Vorliegen der Befreiung zu tragen wäre, an die öffentlich-rechtliche Versicherungs- und Versorgungseinrichtung abzuführen wäre, ist abzulehnen. Der Kollege Cronenberg hat da eine etwas andere Auffassung. Wir haben das sehr gründlich geprüft, Kollege Cronenberg — aus diesem Grunde sage ich es hier in dieser Weise —: Die öffentlich-rechtlichen Versicherungs- und Versorgungswerke unterstehen nicht der Kompetenz des Bundes, sondern derjenigen der Länder. Es ist deshalb schon problematisch, ob eine solche Regelung, wie sie der Änderungsantrag der Opposition verfolgt, hier vorgenommen werden kann. Darüber hinaus ist das Angestelltenversicherungsgesetz wohl nicht der richtige Ort, um eine solche Regelung zu realisieren. Sozialpolitisch kommt schließlich hinzu, daß kaum ein Fall denkbar ist, der von der beabsichtigten Neuregelung betroffen sein könnte. Die öffentlich-rechtlichen Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen stehen den Freiberuflern wie die freiwillige Versicherung der Rentenversicherung seit 1972 zur Verfügung, so daß ein abhängig Beschäftigter nur ausnahmsweise Mitglied bei ihnen sein kann. Deshalb dürfte es einen Seltenheitswert haben, daß ein Arbeitsloser, der noch dazu Leistungsempfänger der Bundesanstalt ist, gleichzeitig Mitglied eines Versorgungswerkes sein kann. Für die Regelung besteht absolut kein Bedürfnis.Zum Problem der sogenannten Nettoanpassung erklärt die SPD-Fraktion zum wiederholten Male, daß sie nicht daran denkt, eine Weichenstellung für ein Abgehen von der bruttolohnbezogenen Rente vorzunehmen. Vielmehr faßt sie nur eine vorübergehende Maßnahme für zwei Jahre für den Eventualfall vorsorglich ins Auge. Hier handelt es sich keineswegs um eine bereits beschlossene Sache. Ich sage das immer wieder und mache darauf aufmerksam.Was die Frage der Rücklage angeht, läßt sich feststellen, Kollege Schedl, daß wir in der Praxis der Rücklagenpolitik, als es notwendig wurde, die Liquidität der Rücklage unter Beweis zu stellen, unsere Erfahrungen gemacht haben. Rücklage bedeutet, daß sie im Falle von finanziellen Schwierigkeiten eingesetzt werden muß; denn dafür legen wir sie ja an. Wir haben unsere Erfahrungen gemacht, wie schwierig das auf diesem Felde war. Wir schmelzen das im Rahmen unserer Rentenpolitik auf eine Monatsgröße ab, gehen aber davon aus, daß wir selbstverständlich auch mit diesen Überlegungen vor allen Dingen für die bruttolohnbezogene Anpassung der Renten streiten, gehen aber auch von einem funktionierenden Generationenvertrag aus, der uns so viel Einnahmen aus der beitragzahlenden Generation, den Aktiven, wie wir so schön sagen, für die Rentner gewährleistet. Wir haben bei der langfristigen Vorausberechnung der 15 Jahre dennoch eine Deckungsgröße, die bei 1,9 Monaten liegt. Das ist eine gute Ausgangslage.Ich darf mich noch ganz kurz mit der Rehabilitation beschäftigen, die auch der Kollege Schedl hier angeführt hat. Die Zuordnung der beruflichen Rehabilitation zur Arbeitsverwaltung ist einer der meistumstrittenen Punkte des Programms zur Verbesserung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung. Wir wissen das. Das ist eigentlich höchst verwunderlich, wenn man sich näher mit der Materie beschäftigt; denn der hierzu von interessierter Seite entfachte Streit steht in keinem rechten Verhältnis zu den finanziellen Dimensionen, um die es bei der Aufgabenverlagerung von der Rentenversicherung zur Arbeitsverwaltung geht. Die Ursachen für den Widerstreit der Meinungen liegen also tiefer, jenseits der Finanzierungsfragen, um die es hier eigentlich geht. Sie liegen in dem ganz natürlichen Widerstand eines Verwaltungszweigs, zugunsten eines anderen Verwaltungszweigs auf Zuständigkeiten und Einfluß zu verzichten. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die ganz einfache Erklärung.Für mich — das möchte ich hier ausdrücklich klarstellen und betonen — ist die Verbesserung für den Behinderten der allein entscheidende Gesichtspunkt der beabsichtigten Zuständigkeitsänderung. Darum stimmen wir zu. Sie sollten uns glauben, daß wir als Sozialdemokraten einer Rechtsverschlechterung oder auch nur einer Situationsverschlechterung der Behinderten nicht zustimmen würden. Ich gehe hinsichtlich der Neuregelung davon aus, daß wir die mit dem Rehabilitationsangleichungsgesetz eingeleitete Entwicklung konsequent fortführen, nämlich das gegliederte System der deutschen Rehabilitation
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1890 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Urbaniakdem Behinderten zugänglicher zu machen, ihn in dem Gestrüpp der Behörden und Zuständigkeiten nicht allein zu lassen. Deshalb, meine Damen und Herren, müßte jeder, der es mit diesen Zielvorstellungen ernst meint, der es vor allen Dingen mit der Rehabilitation, mit dem Rehabilitationsangleichungsgesetz ernst meint, der Neuregelung zustimmen. Das sind unsere Absichten. Die von Ihnen hier vorgelegten und begründeten Anträge zu diesem Komplex können unsere Zustimmung nicht erfahren.
Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, die angemeldete Zeit nicht auszuschöpfen. Ich habe mich nur noch einmal gemeldet, weil es darum geht, einige meines Erachtens offengebliebenen Fragen anzusprechen bzw. einige Dinge noch einmal zu unterstreichen, die mir besonders am Herzen liegen.Herr Kollege Schedl ist zur Zeit nicht im Raum. Ich wäre sehr gern ausführlich auf seinen — das muß man sagen — sachlichen Beitrag eingegangen. Ich möchte zwei Punkte herausgreifen:Er forderte im Prinzip mit Recht die Überprüfung der Höhe der Mindestrücklagen. Auch wir würden uns glücklich schätzen, wenn die Finanzsituation es erlaubte, über eine Monatsrücklage hinaus, über die gesetzliche Festschreibung hinaus, eine weitere Monatsrücklage niederzulegen. Wir hoffen alle, daß es praktisch auch bei zwei Monatsrücklagen bleibt. Aber ich möchte den Kollegen Schedl doch auf einen Widerspruch in den Anträgen seiner eigenen Fraktion aufmerksam machen. Die CDU/CSU-Opposition ist dagegen, daß die Teilaktualisierung, also die Herausnahme des Jahres 1974, erfolgt. Würden wir diesem Antrag zustimmen, würde das Ziel, das Herr Kollege Schedl vom Prinzip her als richtig erkannt hier noch einmal dargestellt hat, von vornherein nicht realisiert werden können. Vielleicht kann die Opposition diesen Widerspruch, der sich ergibt, bis morgen noch auflösen.Lassen Sie mich auch ein Wort zur Frage des Übergangs der Rehabilitation von den Rentenversicherungsträgern auf die Bundesanstalt für Arbeit sagen. Ich muß freimütig gestehen: Die Anhörung hat für mich hier jedenfalls keine neuen Erkenntnisse gebracht. Ich hatte eher den Eindruck, daß in dieser Frage die Kompetenzstreitigkeiten der Selbstverwaltung sehr stark in den Vordergrund gespielt wurden. Neue Erkenntnisse jedenfalls gab es nicht. Deshalb sehen wir auch keine Veranlassung, von unserer im Regierungsentwurf niedergelegten Absicht abzugehen.Dies als zwei •Feststellungen zu dem Beitrag des Kollegen Schedl.Aber, meine Damen und Herren, ich möchte noch einiges zu Kernpunkten der heutigen Debatte sagen. Ich finde es sehr bedauerlich, daß der Kollege Blüm und auch der Kollege Franke hier wieder einmal das unverantwortliche Wort von der Rentenkürzung gebraucht haben.
Wir alle wissen, daß der Gesetzgeber keine Rentenkürzung verursacht, und es hilft auch den Menschen draußen überhaupt nicht, wenn darauf hingewiesen wird, daß möglicherweise in der Relation Rentenkürzungen eintreten könnten; ob das der Fall ist, weiß ja niemand. Es mag intellektuell verbrämt noch eine Rechtfertigung sein, wenn man sich so verteidigt, aber ich würde das nicht mehr als intellektuelle Klimmzüge bezeichnen; ich halte dies schlicht für eine unverantwortliche Demagogie.
Denn die Rentner draußen rechnen mit absoluten Zahlen. Ein Rentner, der in diesem Jahr nach Verabschiedung dieses Gesetzes bei einer Rente von 800 DM im Schnitt 80 DM mehr bekommt, wird eben, wenn hier behauptet wird, wir beabsichtigten Rentenkürzungen, glauben, er werde nicht nur bei den 880 DM hängenbleiben, sondern 1979 sogar noch weniger bekommen. Ich muß hier also nur noch einmal die lapidare Wahrheit festhalten, daß der ganze Streit darum geht, ob eine solche Rente 1979 um 100 DM, um 80 DM, um 60 DM oder um 50 DM erhöht wird, daß es sich aber keinesfalls um Rentenkürzungen handelt.
Lassen Sie mich auch ein Wort zu der uns von der Opposition unterstellten Form der Nettoanpassung sagen. Weder der Kollege Franke noch der Kollege Blüm sind noch da, nachdem sie wohl ihre Anwesenheitspflicht damit erfüllt glaubten, daß sie ihre Showbeiträge abgeliefert haben. Aber ich muß das sagen — auch fürs Protokoll — und die Kollegen bitten, uns doch nachzuweisen, wo wir jemals schriftlich eine Nettoanpassung in dieser rechnerischen Form vorgelegt haben, wie sie uns hier den ganzen Tag laufend unterstellt wird.
Wir sind uns doch der Problematik der Kleinrenten bewußt. Wir wissen doch wie Sie, daß ein statistischer Schnitt der Abgaben — wie von Ihnen herausgegriffen — bei 30 % unter zu für meine Begriffe sozial nicht vertretbaren Härten führt. Dann lassen Sie uns doch beim nächsten Rentenanpassungsgesetz bitte einmal gemeinsam überlegen, in welcher Form eine solche reduzierte Anpassung realisiert wird; jedenfalls wehre ich mich dagegen, daß Sie uns Konzepte unterstellen, die von uns noch gar nicht niedergelegt worden sind und, wie ich hoffe, auch nicht vorgelegt werden.Lassen Sie mich auch zu Ihrem eigenen Konzept der Wahrheit zuliebe noch einmal folgendes feststellen. Es klingt draußen sehr gut, wenn es heißt: Die Opposition ist für die Beibehaltung der bruttolohnbezogenen Anpassung. Sie wollen doch in den Versammlungen draußen den Rentnern weismachen, daß, wenn Sie an der Regierung wären, die Bruttoanpassungen Jahr für Jahr weiter praktiziert würden. Aber es stimmt doch nicht! Durch die Einfüh-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1891
Hölscherrung des von Ihnen gewollten Krankenversicherungsbeitrags der Rentner führen Sie doch gleichzeitig eine Kürzung bei der Rentenerhöhung ein.
Wenn Sie 1979 brutto um 10 % anpassen wollen, aber gleichzeitig einen Krankenversicherungsbeitrag von 4 % erheben, sind dies doch, wenn ich rechnen kann, nur 6 %. Also hören Sie doch bitte damit auf, von einer bruttolohnbezogenen Anpassung zu sprechen,
die sich jedenfalls bei der Geldüberweisung an den Rentner nicht brutto niederschlägt, sondern eben netto, weil Sie ja vorher von ihm den Beitrag haben wollen.
Dies ist im wesentlichen das, was ich dazu abschließend noch einmal feststellen wollte.Nun vielleicht noch eine Zwischenbemerkung: Ich bitte den Kollegen Blüm auch herzlich darum, die Statistik, was die, wenn man es statistisch nimmt, zweifellos niedrigen Renten angeht, doch der Wahrheit zuliebe wenigstens dahin gehend zu ergänzen, daß Rente nicht gleich Gesamteinkommen ist. Man kann hier nicht so mit Millionen Menschen jonglieren und sie in die Gruppe der Armut hineinbringen, wenn man genau weiß — ich darf den Namen einmal nennen —, daß ein Vertreter dieser Gruppe der „Armut" auch Herr Klasen wäre, der eine kleine Sozialversicherungsrente bezieht, aber dessen alleiniges Einkommen diese Rente doch nicht ist. Man sollte nicht Schindluder mit der Statistik betreiben.
Meine Damen und Herren, ich möchte über diesen Gesetzentwurf, über dieses Rentenpaket hinausgehend noch etwas sagen, und zwar mit dem Blick über das Jahr 1980 hinaus. Ich denke, wir sollten uns nicht damit begnügen, etwa in den nächsten vier Jahren oder auch im nächsten Jahr mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz mit dem Nachdenken über unser Rentensystem selbst Schluß zu machen. Dieses Rentensystem — das muß ich für meine Person kritisch feststellen — ist ein Umlagesystem, bei welchem die Aktiven unmittelbar die jetzt fälligen Renten zahlen. Ich weiß nicht, ob wir dieses Rentensystem, eben weil es so konjunkturabhängig ist, in dieser Form auf Dauer noch finanzieren können. Vergegenwärtigen wir uns einmal ein Zahl: Die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber zahlen heute einen Beitrag von insgesamt 18% für die Finanzierung von Renten, deren Bezieher zur Zeit ihrer Aktivität als Arbeitnehmer — den Arbeitgeberanteil eingerechnet — nur 5 bis 10 % gezahlt haben. Dies zeigt deutlich die Entwicklung eines solchen Systems, wenn Wachstumsraten ausbleiben, zeigt deutlich die Gefahren für ein solches System, wenn die demographische Entwicklung ins Ungleichgewicht gerät.Wir sollten daher die Zeit bis 1980 nutzen, um diese möglicherweise nicht mehr zeitgemäßen Strukturen zu untersuchen und zu langfristigen Lösungen zu kommen. Bis 1980 haben wir Zeit, weil das Konzept, das wir morgen verabschieden, zunächst, wie ich hoffe, Ruhe schafft. Die Diskussion über langfristige Lösungen muß aber sehr unvoreingenommen geführt werden. Sie darf vielleicht nicht so sehr parteipolitisch fixiert geführt werden, wie das bei Rentendebatten in der Vergangenheit der Fall war. Rentendiskussionen eignen sich weder dazu, im politischen Courths-Mahler-Stil geführt zu werden, noch eignen sie sich dazu, im Hitchcock-Stil — wie heute leider von seiten der Opposition geschehen — geführt zu werden. Dies verunsichert die Rentner nur und bringt uns in der Sache keinen Schritt weiter. Ich denke, wir sollten die nächsten vier Jahre sowohl in den Fraktionen als auch in den Parteien nutzen, um das System der sozialen Alterssicherung auf eine dauerhafte und sichere Grundlage zu stellen.
Meine Damen und Herren, wird das Wort zum Rentenanpassungsgesetz noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratungen in zweiter Lesung. Die Abstimmungen erfolgen morgen.
Wir treten nunmehr in die Aussprache über das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz in zweiter Beratung ein. Kann ich davon ausgehen, daß wir über alle Artikel zusammen beraten? — Dann rufe ich die hierzu vorliegenden Änderungsanträge auf den Drucksachen 8/391 bis 8/419 auf. Das Wort hat Frau Abgeordnete Neumeister.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem außerordentlich versöhnlichen und konstruktiven Ausklang der Diskussion über die Rentenversicherung durch den Beitrag des Kollegen Hölscher können wir uns nun der Krankenversicherung zuwenden. Meine Kollegen Dr. Becker, Höpfinger und ich werden nun die Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion auf den Drucksachen 8/391 bis 8/419 — jeweils gebündelt nach Sachgebieten — begründen.Herr Minister Ehrenberg behauptet allein durch den Namen, den er dem Gesetz gegeben hat, das eine Änderung der Strukturen unseres Gesundheitswesens vorsieht, daß er damit bei der gesetzlichen Krankenversicherung kostendämpfend wirken will. Er ist uns bisher nur den Beweis schuldig geblieben, wo diese Kostendämpfung erreicht wird und wieso z. B. § 180 Abs. 1, der die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze von bisher 75 % auf 85 % der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung verfügt, auch in dieses Konzept paßt. Dies ist nämlich keineswegs eine Maßnahme der Kostendämpfung, sondern eine Maßnahme, um den Krankenkassen automatisch ein höheres Beitragsaufkommen zu bescheren.
Alle Versicherten, deren Lohn oder Gehalt über 2 550 DM liegt, werden zusätzlich zu den 1,2 bis 1,6 Prozentpunkten, die sie ja jetzt schon an durchschnittlicher Beitragserhöhung auf Grund der Ver-
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1892 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Frau Dr. Neumeisterlagerung des Rentendefizits auf die Krankenversicherung auf sich nehmen müssen,
noch einmal zur Kasse gebeten, so daß im Schnitt dabei Beiträge von nahezu 400 DM herauskommen. Und dies, meine Damen und Herren, trägt die FDP, die sich so gern zum Anwalt der Interessen der Angestellten und des Mittelstands macht, kommentarlos mit!
Vielleicht kriegen wir allerdings noch einen Kommentar.Mit solchen Beiträgen aber ist die gesetzliche Krankenversicherung bei sogenannten guten Risiken nicht mehr konkurrenzfähig.
Man rechnet daher mit einer Abwanderung von etwa 20 °/o der freiwillig Versicherten, wodurch der geplante finanzielle Effekt wieder völlig aufgehoben wird.
Entsprechende Abwanderungen, Herr Lutz, kann man jetzt schon feststellen, sie sind schon zu beobachten. Man sieht, daß allein durch die Beratung dieses Gesetzes der Konflikt in vielen Bereichen gefördert wird. Wir haben es ganz eindeutig mit einem Konfliktprogrammierungskonzept zu tun.
Die Folge dieser Änderung wird also eine Entsolidarisierung sein. Entsolidarisieren können sich aber nur Angestellte, jedoch keine Arbeiter, für die unbeschränkt die Versicherungspflicht besteht. Das Solidarisierungsprinzip, auf dem die gesamte gesetzliche Krankenversicherung nun einmal beruht, wird hiermit in Frage gestellt.Je mehr diese Entsolidarisierung erfolgt, desto stärker wird sich der Gesetzgeber einfach gezwungen sehen, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Mit Ihrem neuen § 176 gehen Sie ja bereits diesen Weg. Herr Kollege Egert sagt, Sie hätten die Schlupflöcher geschlossen,
indem Sie eine Versicherung dieser Personengruppe, die aus der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze entsprechende Konsequenzen gezogen hat, in der Rentnerkrankenversicherung nicht mehr ermöglichen.Dann aber ist es schließlich kein weiter Weg mehr zur allgemeinen Versicherungspflicht, zunächst aller Angestellten, später der gesamten Bevölkerung. Dann, meine Damen und Herren, haben wir doch die Volksversicherung, die sogar der Bundeskanzler Schmidt schon im Jahre 1974 in einer Festschrift für seinen damals noch in Amt und Würden befindlichen Arbeitsminister Walter Arendt als die „traditionelle sozialistische Konzeption der Sozialdemokratie" feierte.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt daher die in § 180 RVO vorgesehene Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze ab.Auch über das Leistungsrecht führt der Gesetzentwurf zur absoluten Vereinheitlichung der Kassen. Es wird eine Einheitsgebührenordnung geschaffen, die ein völlig einheitliches Leistungsangebot bewirkt. Die E-Adgo wird hoch gelobt, aber es wird den Ersatzkassen zugleich die Möglichkeit genommen, das eigenverantwortlich fortzuführen, was überhaupt die Modernität und Fortschrittlichkeit der E-Adgo ausmacht,
der Gebührenordnung, die im Gegensatz zu der durch Bürokratie an notwendiger Anpassung gehinderten allgemeinen Gebührenordnung in Selbstverwaltung zwischen Ersatzkassen und Ärzten fortentwickelt wurde.Die geplante Einheitsgebührenordnung für alle Kassen würde aber einen weiteren Schritt zur bürokratischen Einheitsversicherung bedeuten,
in der der Versicherte keinen Service, kein Bemühen um seine Anliegen mehr erwarten könnte, sondern vielmehr zu einem Verwaltungsobjekt degradiert würde. Vor allen Dingen — wir sind hier ja bei der Kostendämpfung — würde eine Einheitsversicherung auf keinen Fall kostengünstiger arbeiten, als jetzt das gegliederte Versicherungssystem zu arbeiten in der Lage ist.
Ebensowenig stehen einheitliche Bewertungsmaßstäbe, die durch rechtlich verselbständigte Bewertungsausschüsse für sämtliche Kassenarten innerhalb der sozialen Krankenversicherung einheitlich festgelegt werden sollen, mit den Grundsätzen der gegliederten Krankenversicherung, der Vertragsfreiheit, der Selbstverwaltung und der Wirtschaftlichkeit in Einklang.
Die Vereinheitlichung von bestehenden Bewertungsmaßstäben, die harten Eingriffe in das Satzungsrecht wie auch der vorgesehene Finanzausgleich würden die gegliederte Krankenversicherung beseitigen und somit zu einer Systemänderung des Strukturprinzips der sozialen Krankenversicherungen führen. Wir sehen uns daher außerstande, dem § 368 i Abs. 8 bis 10 zuzustimmen. Wir beantragen die Streichung.Unverständlich ist mir, daß diese zentralistischdirigistischen Maßnahmen von einer Partei mitgetragen werden, die das Wort „liberal" in ihrem Namen trägt,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1893
Frau Dr. Neumeistervon einer Partei, die in ihrem Gesundheitsprogramm 1976 davon spricht, die freiheitlichen Strukturen des gegliederten Krankenversicherungssystems und seiner Selbstverwaltung auszubauen, einer Partei, deren sozialpolitischer Sprecher, Schmidt , den wir heute nachmittag hier schon erlebt haben, ebenfalls im Wahljahr 1976 die Worte sagte, die man voller Wehmut und als nostalgische Auflockerung der heutigen sozialpolitischen Szene lesen kann — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin wörtlich —:Eingriffe in die Gliederung, auch durch Einheitshonorare, Einheitsbeiträge und Finanzausgleich zwischen den Kassenarten, lehnt die FDP ab.
Jeder Eingriff in das gegliderte System schränkt die Freiheit des einzelnen und seine Mitverantwortung ein.Vielleicht fühlen sich die Herren und Damen von der FDP verpflichtet, alles dies, was hier konzipiert ist, mitzumachen, um die von Herrn Egert so hoch gelobte Zusammenarbeit mit Ihnen nicht zu gefährden.
Aber stimmt es nicht nachdenklich, Herr Egert — ich glaube, das sollte uns alle nachdenklich stimmen —, und zeugt es nicht doch von gewissen Dissonanzen, wenn der SPD-Gesundheitssenator Brückner ausgerechnet den Grafen Lambsdorff mit mit Worten „Abfalleimer einer reaktionären Gesundheitspolitik" abqualifiziert hat?
Das, meine Damen und Herren, ist der Stil zwischen guten Koalitionspartnern, daß man sagt, Graf Lambsdorff solle nun langsam „mit dem Abfalleimer einer reaktionären Gesundheitspolitik" in die Wüste gehen.
Ich weiß, daß Sie, meine Damen und Herren der SPD und, wie wir ja vorhin gehört haben, Herr Schmidt von der FDP, es gar nicht so gern hören, wenn wir von der „Einheitsversicherung" sprechen. Aber wundert Sie das eigentlich angesichts dieses Gesetzes noch? Wundert Sie das, wenn Sie feststellen müssen, daß auch wir die Aussagen Ihres Gesundheitsexperten Friedel Laepple lesen — das Buch kam ja gerade noch rechtzeitig heraus, und wir haben es natürlich wißbegierig, wie wir in der Opposition sind, gelesen. Dieser Herr Laepple sagt, daß er zunächst durch Plafondierung der Beitragssätze den nötigen Reformdruck erzeugen, auf diese Weise das integrierte System medizinischer Versorgung einführen will und die Bürger durch eine einheitliche Pflichtversicherung unter Beseitigung der Exklusivität der Ersatzkassen beglükken will.
Meinen Sie, wir könnten die unaufhörlich wiederkehrenden Forderungen Ihrer Jusos nach einer Einheitsversicherung und auch die Bleichlautenden programmatischen Aussagen Ihrer verschiedenen Programme überhören?Wir sehen deswegen in der Einbeziehung der Ersatzkassen in das RVO-Recht einen ganz entscheidenden Punkt, der unser bestehendes Gesundheitssystem, die Individualität der Bürger und die Effektivität der Selbstverwaltung erheblich gefährdet. Wir können daher auch Ihrem neuen § 525 c RVO nicht zustimmen, da wir die Gefahr sehen, daß in einer solchen veränderten Konzeption die Selbstverwaltung so geschwächt wird, daß sie ihrer kritischen Funktion gegenüber der unmittelbaren Staatsverwaltung nicht mehr gerecht werden kann. Die Folge würde unweigerlich sein, daß die gesetzliche Krankenversicherung über kurz oder lang in die unmittelbare Staatsverwaltung integriert wird.
Bei der Anhörung gab es gewiß Proteste. Es waren gar nicht alle für diesen Entwurf. Da haben einige der Herren, die heute gesprochen haben, nicht richtig, zugehört. Wenn aber dann Herr Schmidt sagt, daß die Ersatzkassen dort reine Interessenvertretung betrieben hätten, kann man nur sagen, daß er nicht recht erkannt hat, daß es ums Überleben geht, nicht nur der Kassen, sondern auch der Vertretung der Bürger, die noch die Möglichkeit haben müssen, frei zu wählen, in welcher Kasse sie ihr Zuhause finden.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion wird dafür sorgen, daß es Ihnen nicht gelingt, in dem aufgerührten trüben Wasser der Diskussion um die Finanzmisere der Rentenversicherung so ganz unmerklich den Bürgern ein neues Gesundheitssystem zu präsentieren, die rechtlichen Beziehungen der Träger der Krankenversicherung zu ihren Vertragspartnern zu zentralisieren, zu nivellieren mit einer durchaus möglichen erstrebten und auch resultierenden langsam verlaufenden De-facto-Herstellung einer Einheitsversicherung mit einer ständig steigenden Vergrößerung des Einflusses des Staates.
— War nicht zu verstehen? Das kann ich Ihnen noch einmal sagen. Ich wollte Ihnen damit nur sagen, daß wir durch eine Einheitsversicherung immer mehr Einfluß des Staates bekommen und daß das ganz sicherlich keine liberale Aktion sein wird. Wir werden auf diese Weise eine Bürokratisierung unserer gesamten Krankenversicherung haben. Dadurch werden wir ganz sicher nicht kostendämpfend und besser arbeiten können.
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1894 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Frau Dr. Neumeister— Wir müssen ja immer ein bißchen wechseln, damit das nicht immer nur in eine Richtung geht.
Völlig unverständlich ist, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, nun auch noch am Kassenarztrecht, das wir gerade am Ende der letzten Legislaturperiode novelliert haben und das am 1. Januar 1977 in Kraft getreten ist, schon wieder herumbasteln müssen. Eigentlich müßte man ja annehmen, daß ein solches Gesetz, das gerade erst über die Bühne gegangen ist, so gut ist, daß man nicht schon wieder daran arbeiten muß.Herr Egert, es tut mir leid, aber ich spreche schon wieder darüber: Sie haben es vorhin schon angedeutet, daß ich Ihnen jetzt vorwerfen würde, Sie gingen erneut den Schritt zur Institutionalisierung der Medizin, indem sie die vorstationäre Diagnostik und die nachstationäre Therapie in verstärktem Maße den Krankenhäusern übertragen, obgleich einem jeden, der die Kostenentwicklung im Krankenhaus kennt, klar ersichtlich ist, daß diese Maßnahme niemals zur Kostendämpfung, sondern im Gegenteil zu einer Ausweitung der Kosten im stationären Bereich führen muß, ganz davon abgesehen, daß Sie auch hier die bewährte Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient stören. Aber Sie müssen hier anscheinend die Forderung Ihrer Jusos und Ihres Gesundheitsexperten Läpple erfüllen und den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung in Frage stellen.
Ein weiterer Schritt in dieser Richtung ist die Ausweitung dieser Beteiligung der Krankenhausfachärzte an der ambulanten Versorgung, die die im Weiterentwicklungsgesetz gerade beschlossene Bedarfsplanung unweigerlich in Frage stellen wird und letztlich zu einer schlechteren ambulanten Versorgung der Bevölkerung führen muß.Die angebliche Förderung der von uns allen gewünschten Ausweitung des Belegarztsystems muß als politisches Feigenblatt angesehen werden, da Sie durch die Art der Honorierung praktisch jegliches Interesse an belegärztlicher Tätigkeit im Keime ersticken werden. Wir haben daher einen eigenen Vorschlag für die belegärztliche Tätigkeit eingebracht.Meine Damen und Herren aus der SPD, vielleicht stimmt Sie — und damit komme ich zum Schluß — ein Wort der Ihrer Partei angehörenden ehemaligen Gesundheitsministerin Käte Strobel nachdenklich, die 1972 in einem offenen Brief sagte:Gerade im Gesundheitswesen, in dem sich weite Bereiche für eine gesetzliche Regelung nicht eignen, ist das gegenseitige Vertrauen unerläßliche Voraussetzung für den Erfolg der gemeinsamen Bemühungen
um das Vertrauen zwischen Arzt und Patient,aber auch das Vertrauen zwischen freien Kräftenund Staat. Nur wenn dieses Vertrauen zerstört oder auch nur ernsthaft gestört wird, ist unser Gesundheitswesen — und mehr als das — wirklich in Gefahr.
Das Wort hat der Abgeordnete Kratz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Neumeister, es scheint unser beider Schicksal zu sein, daß wir immer zur späten Abendstunde gegeneinander sprechen müssen.
Ich werde auf die „Schlupflöcher", die Sie in bezug auf meinen Kollegen Egert erwähnt haben, eingehen und im wesentlichen zwei dieser von Ihnen erwähnten „Schlupflöcher" behandeln.Ich habe schon während der gesamten Debatte darauf gewartet, wann denn nun endlich die Jusos drankommen. Davon habe ich heute noch gar nichts gehört. Daß dies ausgerechnet Ihnen vorbehalten blieb, Frau Kollegin, ist eigentlich schade. Das wäre auf unseren Kollegen Franke besser zugeschnitten gewesen als auf Sie. Aber nun haben Sie davon gesprochen.
Wenn ich mit meinen Ausführungen fertig bin, werden Sie unschwer erkennen, meine Damen und Herren, daß wir für das, was wir hier machen, die Jusos eigentlich gar nicht brauchen.
Wir sind ja hier ein selbständiges und souveränes Parlament, und wir tun in diesem Parlament unsere Arbeit.Nun aber zum ersten „Schlupfloch", Frau Kollegin. Der Entwurf des Kostendämpfungsgesetzes sieht vor
— ja, sie hat davon im Zusammenhang mit den Ausführungen meines Kollegen Egert gesprochen —, daß der Kreis der Personen, die wegen Bezugs einer Rente in der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei versichert sind, eingeschränkt wird. Dies ist eine notwendige Konsequenz des auch von Ihnen in Ihrem Beitrag soeben einige Male erwähnten Solidaritätsgrundsatzes. Nur derjenige soll in der Krankenversicherung der Rentner ohne eigene Beitragsleistung versichert sein, der ihr mindestens das halbe Erwerbsleben lang angehört und damit angemessen zu ihrer Finanzierung beigetragen hat. Künftige Rentner, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, sind aber nach unserer Auffassung und auch nach dem Entwurf nicht schutzlos. Sie können freiwillig später der gesetzlichen Krankenversicherung
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1895
Kratzbeitreten. Den Vorwurf des Vertrauensbruchs, der vor allem von denen erhoben wird, die sich auf Grund der Regelung des Rentenreformgesetzes von 1972 sehr preiswert in die gesetzliche Rentenversicherung haben einkaufen können, u. a. in der Erwartung, dadurch auch einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz zu erwerben, weise ich deshalb entschieden zurück.Allerdings wird der Schutz im allgemeinen nicht so billig sein, wie sich das jener Personenkreis ursprünglich vorgestellt hat. Die Betreffenden müssen nämlich einkommensgerechte Beiträge zahlen. Dazu erhalten sie aber wie grundsätzlich alle nicht versicherungspflichtigen Rentner einen Beitragszuschuß aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 11 % des Rentenzahlbetrages. Wir haben bei den Beratungen sichergestellt, daß dieser Beitrag nur solchen Rentnern offensteht, die ihre Chancen einer Sicherung im Krankheitsfall im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wahrnehmen und sich damit am Solidarausgleich beteiligen.Schon der Regierungsentwurf hatte vorgesehen, daß der Beitritt dem Rentner versagt werden sollte, der sich durch Befreiung von der Versicherungspflicht ganz bewußt von der gesetzlichen Krankenversicherung abgewandt hatte. Wir haben diesen Gedanken in den Beratungen konsequent weitergeführt und ihn auf die Personen ausgedehnt, die trotz Beitrittsmöglichkeit nicht Mitglied der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten werden. Diese Ausdehnung ist sachgerecht und entspricht auch den Interessen der Versichertengemeinschaft. Wer während seines Erwerbslebens der gesetzlichen Krankenversicherung beitreten kann, es aber nicht tut, oder wer ihr angehört, aber aus eigener Willensentscheidung aus ihr austritt, gibt damit zu erkennen, daß er seine Sicherung im Krankheitsfall nicht im System der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern in einer anderen Versicherungsform verwirklicht haben möchte. Diese von ihm selbst zu treffende Entscheidung respektiert der Gesetzgeber, knüpft daran aber entsprechende Rechtsfolgen.Nun ein Wort zur privaten Krankenversicherung. Der Gesetzgeber anerkennt — ich komme damit auch zu einer Formulierung, Frau Kollegin, die Sie hier gebraucht haben — in dem von ihm gesetzten Rahmen die private Krankenversicherung als Alternative zum System der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist keine Gleichmacherei oder eine allgemeine Volksversicherung, wie Sie es angedeutet haben. Diese Alternative muß sich aber auch über das ganze Erwerbsleben und auf den Lebensabend erstrecken. Es geht nicht an und entspricht wohl nicht dem Selbstverständnis der privaten Krankenversicherung, nur eine Versicherung während des Erwerbslebens zu sein. Auch die private Krankenversicherung ist keine Versicherung für Schönwetter.
Wer seine Sicherung während des Erwerbslebens in der privaten Krankenversicherung sucht, sollte sie auch im Ruhestand dort finden.
Wir wehren uns mit aller Entschiedenheit gegen die Haltung, sich bei der Sicherung im Krankheitsfall nur die Rosinen herauszupicken
und sich darauf zu verlassen, daß am Ende des Arbeitsleben die Zuflucht zur Krankenversicherung der Rentner offensteht.
In der Krankenversicherung der Rentner sind Trittbrettfahrer unerwünscht.
Dies entspricht dem Solidaritätsprinzip. Das entspricht auch dem Motto „Einer trage des anderen Last", wie es schon im Ursprung der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehen ist.Die Beitrittsberechtigung für Rentner ist so ausgestaltet worden, daß die Auswirkungen nur für die Zukunft eintreten werden. Das heißt, wenn der Rentner seinen Rentenantrag nach dem 30. Juni 1978 stellt und ab 1. Juli 1977 die Möglichkeit des Beitritts zur gesetzlichen Krankenversicherung gehabt, sie aber nicht wahrgenommen hat, oder Mitglied gewesen ist und ab 1. Juli 1977 ausgetreten ist, ist ein Eintritt bzw. Wiedereintritt nicht möglich. Kein späterer Rentner wird sich deshalb darauf berufen können, er sei von der Neuregelung, wie wir sie jetzt beschließen wollen, überfahren worden. Er kann sich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes auf diese für ihn veränderte Rechtslage einrichten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Burger?
Das machen wir später, Herr Kollege. Es ist schon so spät. Verlängern wir das ganze Thema doch nicht noch mit Zwischenfragen! Im übrigen kommen Sie, wie ich eben gehört habe, noch dran. Sie können es dann in Ihren Ausführungen bringen,
Aber noch einige Worte, verehrte Frau Kollegin Neumeister, zur Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung von 75 auf 85 v. H. Diese Maßnahme wird — entgegen Ihrer Annahme — zu Beitragsmehreinnahmen führen. Diese Mehreinnahmen sind notwendig, gewollt und richtig. Seitens der Ersatzkassen wird immer wieder eingewandt — und Sie haben das eben in Ihrem Beitrag auch getan —, daß in erheblichem Umfang sogenannte gute Risiken, insbesondere junge Versicherte mit einem Einkommen oberhalb der jetzigen Beitragsbemessungsgrenze, zur privaten Krankenversicherung abwandern und damit der Einnahmenzuwachs der Krankenkasse aufgezehrt werde oder sogar Mindereinnahmen möglich seien. Folgt man der von den Ersatzkassen und auch von Ihnen eben aufgemachten Rechnung, so soll der Beitragsüberschuß für ein sogenanntes gutes Risiko im Durchschnitt mindestens 2000 DM im Jahr betragen. Im Falle eine Abwanderung zur pri-
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1896 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Kratzwaten Krankenversicherung würde ein solcher Beitragzahler mit seinem positiven Finanzsaldo fehlen.Bei den vorliegenden Zahlen kann es sich nur um Modellwerte handeln, die zudem noch sehr stark verbandspolitisch eingefärbt sind.
Die Berücksichtigung eines Einnahmenausfalls auf Grund des Weggangs sogenannter guter Risiken ist nämlich schon deshalb nicht korrekt, weil von vornherein gar nicht abzuschätzen ist, welcher Personenkreis als „gutes Risiko" und welcher als „nicht gutes Risiko" anzusehen ist. Zudem liegen exakte Angaben aus den Rechnungsergebnissen der gesetzlichen Krankenversicherung zu dieser Frage überhaupt nicht vor.Die Bundesregierung hat gute Gründe für die Annahme, daß die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze nicht zu nennenswerten Abwanderungen höherverdienender Versicherter führen wird.Erstens. Ledige Versicherte werden, bevor sie eine Entscheidung treffen, überlegen, ob sie mit Rücksicht auch auf eine spätere Familiengründung in der privaten Krankenversicherung höhere Beiträge werden zahlen müssen und ihnen ein erneutes Eintreten in die gesetzliche Krankenversicherung dann nicht möglich ist.Zweitens. Eine beitragsfreie Krankenversicherung der Rentner einschließlich kostenloser Familienhilfe wird — ich habe das in meinem ersten Beitrag in anderem Zusammenhang schon dargestellt — nur noch nach langjähriger Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung möglich sein.Eine Abwanderung in die private Krankenversicherung würde also dem längerfristigen Interesse des freiwilligen Mitglieds schaden. Wir sind sicher, daß auch die freiwilligen Mitglieder rechnen können und sich sehr wohl überlegen werden, ob sie aus der gesetzlichen Krankenversicherung austreten und in eine private Krankenversicherung gehen.Drittens. Rentner, die nicht bereits in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert sind, können der gesetzlichen Krankenversicherung dann nicht mehr freiwillig beitreten, wenn sie während ihres Erwerbslebens trotz Beitrittsmöglichkeit nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung geworden oder wenn sie aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgetreten sind. Ich habe das in den Eingangserwägungen in anderem Zuammenhang schon darzustellen versucht.Es ist daher allenfalls mit einer viel geringeren Abwanderungsquote zu rechnen als mit der, die Sie, verehrte Frau Kollegin, schätzen. Sie sprachen — wenn ich die Zahl richtig aufgeschrieben habe — von 20 %. Mit einem so hohen Prozentsatz rechnen wir nicht. Ich bin sicher, daß sich unsere Schätzungen als realistischer erweisen werden als Ihre 20 %. Es kann somit keine Rede davon sein, daß es zu einer sehr hohen Abwanderung kommen wird und dadurch die Beitragseinnahmen der Krankenkassen auf Grund der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze aufgezehrt werden. Ich verspreche Ihnen, verehrte Frau Kollegin, daß ich den Brief oder Artikel, von dem Sie im Zusammenhang mit der früheren Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit einen kleinen Abschnittt zitiert haben, sehr aufmerksam lesen werde; denn mich interessiert der gesamte Inhalt, nicht nur das von Ihnen erwähnte Zitat. Sie sind stark und fähig genug, zu den Passagen gegenüber unserem Koalitionspartner selber etwas zu sagen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hölscher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blüm, wir haben nicht so viele Sozialpolitiker. Wir sind aber ein besonders wirksames mittelständisches Unternehmen und müssen mit unseren Kräften haushalten.
Ich will mich auf die vorliegenden Anträge konzentrieren. Im Rahmen unserer wirksamen Aufgabenteilung wird einen Teil der überzeugenden Antworten des kleinen Koalitionspartners der Kollege Cronenberg vertreten.Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. So ganz kann ich das mit dem sozialistisch-dirigistischen staatlichen Gesundheitsdienst und das, was es da so alles an Schreckensetiketten gibt, nicht mehr ernst nehmen. Ich kann nur feststellen: In dieser Darstellung steht die Opposition mal wieder allein da, ähnlich wie sie in der Frage des Beitritts zur Schlußakte von Helsinki isoliert war. Damals hatten Sie wenigstens Albanien auf Ihrer Seite. Jetzt haben Sie nur noch die niedergelassenen Ärzte auf Ihrer Seite. Ich will damit nicht die niedergelassenen Ärzte verunglimpfen. Aber in beiden .Fällen ging es um sehr vordergründige Interessen. Bei Albanien ging es darum, als Vorposten Chinas
— das hat ein anderer mal gesagt — gegen den Ausgleich in Europa zu sein. Bei den Ärzten ist es sicher legitim, dagegen zu kämpfen, daß möglicherweise rasende Zuwachsraten wie in der Vergangenheit nicht mehr eintreten werden.Aber wenn das alles sozialistisch und dirigistisch ist, dann ist ja wohl die Bundesvereinigung' der deutschen Arbeitgeberverbände inzwischen eine sozialistische Kaderschmiede; denn Sie wissen, daß sich die Vertreter der deutschen Arbeitgeber sehr überzeugend für die Bundesempfehlungen auf der Grundlage des Regierungsentwurfs ausgesprochen haben.
Nun ja, das mögen Sie selbst beurteilen. Ich persönlich bin der Meinung: Das ist wirklich die letzte Möglichkeit, dieses bis zur Stunde und auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes freiheitliche Gesundheitssystem zu erhalten. Geschieht jetzt nichts — von verbalen Übungen auf Parteitagen haben
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1897
Hölscherwir, glaube ich, alle genug — auf gesetzlicher Grundlage, dann allerdings kommt die Stunde sehr schnell, wo staatliche Eingriffe einfach unabwendbar sind, weil manches im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang nicht mehr zu vertreten und vor allen Dingen zu finanzieren ist.Ich muß noch einmal sagen: Unsere Bundesempfehlungen sind schon deshalb nicht dirigistisch, weil sie nicht durch die Parlamente oder durch die Regierungen verabschiedet werden, sondern durch die Selbstverwaltung, d. h. durch diejenigen, die sowohl über Leistungen entscheiden als auch Leistungen empfangen, sowie schließlich durch diejenigen, die für die wirtschaftliche Verwendung von Beiträgen verantwortlich sind. Was da dirigistisch ist, verstehe ich bis zur Stunde nicht.Auch der Arzneimitteldeckel ist ein Selbstverwaltungsinstrument, wenn wir den Umfang der Arzneimittelverordnungen im Rahmen einer Empfehlung durch die Selbstverwaltung erarbeiten lassen. Wir können dann nur noch hoffen, daß das Eingang in die Verträge findet. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir gerade diese Regelung während der Ausschußberatungen dadurch noch flexibler gemacht haben, daß wir bindend vorschreiben, daß eine Überschreitung des Arzneimittelvolumens durch die Kassenärztlichen Vereinigungen im Wege des Einzelregresses auszugleichen ist. Das ist übrigens doch nichts Neues; diese Möglichkeit hatten und haben die Kassenärztlichen Vereinigungen. Nur, nach Inkrafttreten dieses Gesetzes werden sie von diesem Instrumentarium im Interesse ihres Ansehens, vor allen Dingen aber auch im Interesse der wirtschaftlichen Verwendung von Beiträgen wohl in stärkerem Maße Gebrauch machen.Bei dieser Gelegenheit darf ich auch einmal feststellen, daß es nicht richtig war, auf Grund des ersten Referentenentwurfs wie auch des Kabinettsentwurfs in der Öffentlichkeit etwa zu behaupten, der Gesetzgeber schreibe den kollektiven Ausgleich vor. Auch im Kabinettsentwurf war das offengelassen. Wir wollten der Selbstverwaltung die Art der Regelung überlassen. Aber bitte, wir mußten erfahren, das das bewußt oder unbewußt, böswillig oder fahrlässig nicht zur Kenntnis genommen wurde. Wir haben also den Einzelregreß festgelegt. Und jetzt warte ich auf die Ärzte, die sagen, auch das sei kollektivistisch, obwohl wir eigentlich im Gesetz nur aufnehmen — vielleicht unter Anwendung von etwas mehr Druck als bisher —, was seit Bestehen der Selbstverwaltung im Rahmen der Selbstverwaltung so ausgeübt wird.Gegen die konzertierte Aktion ist nichts einzuwenden. So etwas haben wir, so etwas kann man machen, auch im Gesundheitswesen. Dagegen spricht nichts. Aber, Herr Kolege Blüm, Frau Dr. Neumeister, wenn Sie gerade uns als Liberale angreifen und sagen, das, was wir beabsichtigten, sei dirigistisch, und wenn ich dann lese, wer die von Ihnen vorgeschlagene konzertierte Aktion bestreiten soll, muß ich mich doch wundern. Beteiligt ist der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Kollege Dr. Ehrenberg — ich meine das natürlich nicht persönlich, sondern als Institution —, dann nehmen der Herr Bundeswirtschaftsminister teil — das meine ich noch weniger persönlich —, der Bundesgesundheitsminister, der Sozialbeirat, dann die Ärzte, die Apotheker, die Ersatzkassen, die Gewerkschaften, die deutschen Arbeitgeberverbände und die Länder. Herr Dr. George, die Teilnahme der Länder wollten Sie heute morgen bestreiten. Sie haben also den Staatskommissar mit am Tisch. Sie haben den großen Wirtschafts- und Sozialbeirat, ,angereichert durch den Staat. Und das ist dann liberal, glauben Sie, weil der Vorschlag von Ihnen kommt. Ich glaube dagegen, daß das deutlich gemacht hat, daß Sie sich das Etikett liberal nicht anhängen können. Wenn Sie es sich gleichwohl anhängen, wird es zu schwer und fällt herunter. Heraus kommt dann diese konzertierte Aktion. Ich selbst hätte nichts gegen die konzertierte Aktion, wenn sie nicht so unwirksam wäre, wenn sie nicht so unverbindlich wäre.Frau Dr. Neumeister und meine Damen und Herren von der Opposition, ich darf mal etwas zitieren; denn ich gehe davon aus, daß doch auch diese konzertierte Aktion vor allen Dingen von dem guten Willen derjenigen leben soll, die die Leistungen bestimmen, nämlich der Ärzte. Was sagt — nicht in einem Zeitungsartikel, auch nicht in einer indirekten Wiedergabe, wo man ja dementieren könnte, sondern vor dem Deutschen Bundestag — Herr Dr. Sewering, Präsident der Bundesärztekammer,
dessen Auslegung des Hippokrates-Eides ganz besondere kommerzielle Neigungen zeigt — aber nun gut, das ist seine Sache —, bei der Sachverständigenanhörung vor einem Gremium des Deutschen Bundestages? Ich zitiere, Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung, nachzulesen im Ausschußprotokoll Seite 6/98.
— Ich nehme an, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung auch ein Gremium dieses Hauses ist.
— Nein, ich habe gesagt, vor dem Deutschen Bundestag in Vertretung durch den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Herr Dr. Sewering sagt zu Ihrer konzertierten Aktion — ich zitiere —:Wir wissen doch alle, daß wir manchmal genötigt sind, auf der Autobahn langsam und vorsichtig zu fahren, und das ist ganz natürlich. Aber wir sollten doch hoffen,
daß es uns allen in allen Bereichen der Volkswirtschaft doch auch einmal wieder möglich sein wird, etwas schneller zu fahren. Ich meine also, wir sollten unser Tempo immer den gegebenen Verhältnissen anpassen.
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1898 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Hölscher— Und jetzt kommt etwas besonders Interessantes von Dr. Sewering:Jedenfalls: Solange schlechte Fahrverhältnisse sind, sind wir bereit, langsam zu fahren, mit den anderen zusammen ...Das andere brauchte er nicht zu sagen, das ist klar: Wenn die Fahrverhältnisse besser sind, überholt man wieder.
Das sagt der höchste Repräsentant der deutschen Ärzteschaft.
Dies ist eine Meinung, die Herr Dr. Sewering sehr wohl vertreten kann; nur müssen wir Politiker zur Kenntnis nehmen — zumal auch im letzten Geschäftsbericht des Hartmannbundes die Ablehnung von Empfehlungsvereinbarungen verankert ist; da werden sie als einmalig und nicht wiederholbar bezeichnet —, daß die Bereitschaft offensichtlich nicht so groß ist.
Herr Dr. Blüm, ich will Sie nicht zitieren, aber ich darf — wir beide waren uns kürzlich mal einig — hier einmal offen sagen, daß, egal, ob Sie sich durchsetzen oder wir uns durchsetzen, die ganze Sache natürlich durch die Diskussion eine positive Wirkung hat. Wir sehen ja bereits, daß es bei den Arzneimittelverordnungen etwas zurückgeht; also könnten wir ja eigentlich zufrieden sein. Wir brauchten das Gesetz nicht zu verabschieden. Sie brauchten Ihre konzertierte Aktion nicht. Wir brauchten unsere Bundesempfehlungen nicht. Denn es tut sich ja draußen etwas. Und es ist sehr zu begrüßen, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Ersatzkassen den Honorarstopp bis zum Ende des nächsten Jahres beschlossen haben. Nur, Herr Dr. Blüm — ich glaube, das haben Sie nicht gesagt, ich will Sie nicht falsch zitieren, aber es ist so, ohne daß es ausgesprochen wurde —, wir beide sind uns jedenfalls darin einig, daß die Autobahn eben möglicherweise, wenn die Fahrverhältnisse besser sind, wenn sich das alles wieder beruhigt, das Überholen erlaubt.Wir machen die Bundesempfehlungen doch nur, um das permanent sicherzustellen, was in den letzten zwei Jahren zwischen Kassen und Ärzten Gott sei Dank freiwillig geschehen ist, nämlich die Anbindung an die gesamtwirtschaftlich vernünftige Entwicklung. Wir wollen nur sichergestellt sehen, daß sich die Herren jedes Jahr an den Tisch setzen und Empfehlungen ausarbeiten, nach denen sich dann die regionalen Verbände unter Beibehaltung regionaler Unterschiede — das haben wir, wie Sie wissen, ja auch verankert — im Interesse des Ganzen möglichst zu richten haben.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem zweiten Antrag der Opposition kommen. Ich meine den Antrag auf Drucksache 8/396, die Ablehnung der Einbeziehung von Krankenhausärzten in die kassenärztliche Versorgung. Ich bedaure sehr, daß in der Öffentlichkeit immer wieder der Eindruck erweckt wird, als würden jetzt die Krankenhäuser für die allgemeine ambulante Versorgung geöffnet. Das stimmt nicht. Ich weiß, wie schwierig es ist, in dieser Frage überhaupt noch sachliche Informationen an den Mann zu bringen. Dennoch möchte ich es noch einmal sagen. Ich möchte diese Forderung eigentlich sogar, wenn Sie es erlauben, Frau Präsidentin, in ein Zitat binden:Im Interesse der Koordination von ambulanter und stationärer Behandlung sollen Fachärzte am Krankenhaus sowie Krankenhausärzte mit entsprechender Qualifikation außerhalb ihrer Dienstaufgaben im Krankenhaus mehr als bisher die Möglichkeit haben, als Person ambulant zu untersuchen und zu behandeln.Dies ist nicht eine Forderung der Regierungskoalition, sondern eine Forderung der deutschen Ärzte — man höre und staune! —, beschlossen auf dem Ärztetreffen 1974. Wenn wir Lobbyisten wären, hätten wir genau das getan, was hier ein starker Verband von uns verlangt hat, nämlich eine stärkere Verzahnung zwischen stationärem und ambulantem Bereich herzustellen.Aber, meine Damen und Herren, wir sind ja in Kenntnis unserer Verantwortung gar nicht so weit gegangen, wie der Ärztetag hier beschlossen hat, sondern wir haben zwei ganz wichtige Einschränkungen hineingebracht; die bitte ich zur Kenntnis zu nehmen. Wir haben gesagt: Ein angestellter Krankenhausarzt — für die Leitenden gab es das ja immer schon — darf nur dann in die kassenärztliche Versorgung einbezogen werden, wenn erstens die ärztliche Versorgung draußen nicht sichergestellt ist. Deshalb greift Ihr berufsständisches Argument überhaupt nicht, daß damit die Tätigkeit in freier Praxis niedergelassener Ärzte gefährdet wäre. Denn da, wo die ambulante Versorgung nicht sichergestellt ist, kann ja auch die Tätigkeit von freien Ärzten nicht gefährdet werden. Das ist doch ein Widerspruch in sich. Das heißt also, wir haben eine ganz wesentliche Einschränkung vorgesehen. Wir haben sie aus dem geltenden Recht übernommen, in dem es heißt: Nur soweit ein Bedürfnis zur kassenärztlichen Versorgung durch Krankenhausärzte besteht, ist dies möglich.Die zweite Einschränkung ist genauso deutlich. Der Krankenhausträger, also das Krankenhaus, bei dem der Krankenhausarzt angestellt ist, muß seine Genehmigung erteilen. Deshalb stimmen die Argumente nicht, denen man immer wieder begegnet, die stationäre Versorgung würde in Mitleidenschaft gezogen. Denn den Krankenhausträger möchte ich sehen, der die Genehmigung zur Kassenzulassung erteilt, obwohl er weiß, daß in einer Abteilung eine ärztliche Unterversorgung entsteht. Was wir hier machen, ist eigentlich nicht so sehr unter dem Kostendämpfungsaspekt zu sehen, sondern viel mehr unter dem Aspekt, die medizinische Versorgung allgemein zu verbessern.Das darf auch nicht — damit komme ich zum dritten Teil meiner Ausführungen — mit der vor- und der nachstationären Leistung, also der vorstationä-
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Hölscherren Diagnostik und der nachstationären Behandlung, verwechselt werden. Sie verweisen auf die Modellversuche. Gut, dies könnte man machen, Frau Dr. Neumeister. Man könnte warten, wenn wir nur Zeit hätten. Aber wir wissen doch, daß die gerade im internationalen Maßstab viel zu lange Verweildauer in deutschen Krankenhäusern ein ganz entscheidender Grund für die Kostenentwicklung in diesem Bereich ist.
Wir versprechen uns gerade von der Verzahnungzwischen ambulanter und stationärer Versorgung indiesem beschränkten Bereich eine Kostendämpfung.Auf eines möchte ich Sie noch hinweisen, weil Sie auch hier den Dirigismus sahen. Eine vor- oder nachstationäre Leistung ist nur möglich, wenn vorher ein niedergelassener Arzt die Einweisung vorgenommen hat. Die niedergelassenen Ärzte, die sich hier angegriffen fühlen, haben es doch selbst in der Hand, ob ein Patient vorstationärer Diagnostik unterzogen und nachstationär behandelt wird. Ich hoffe, sie machen Gebrauch davon. Schon der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung auf das Problem der Doppeldiagnosen hingewiesen, die sehr kostenträchtig sind, und viele andere Doppelgleisigkeiten, die wir uns nicht mehr erlauben können. Sehen Sie dies bitte auch im Zusammenhang mit der von der FDP besonders befürworteten Verstärkung des Belegarztsystems. Wir wollen ja keine Einbahnstraße, wir wollen ja beide Wege.Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist abgelaufen. Lassen Sie midi abschließend folgendes sagen. Wenn wir die Diskussion einmal von der ideologischen Polemik entkleiden, dann wird deutlich, daß das, was wir verabschieden, eigentlich etwas Selbstverständliches ist. Wir ziehen Konsequenzen aus 20 Jahren Erfahrungen in unserem Gesundheitssystem, die nicht nur positiv waren. Wir ziehen sie im Interesse der Versicherten, denen wir nicht zumuten können, durch eine weiter galoppierende Kostenentwicklung verursachte Beitragserhöhungen in unvertretbarem Maße hinzunehmen. Wir ziehen sie aber auch im Interesse der Verbesserung unseres Gesundheitssystems. Deshalb: Wenn wir das Rentenkonzept mit der zeitlichen Perspektive 1980 sehen müssen, ist dies eine echte Reform. Ich bitte Sie, sich wirklich noch einmal Ihrer Verantwortung als Opposition bewußt zu werden. Wir brauchen ja Ihre Zustimmung im Bundesrat. Ich hoffe, Sie stimmen diesem Gesetz zu, denn sonst tragen Sie die Verantwortung, wenn wir zu wirk- lichen staatlichen Eingriffen kommen müssen, die wir Liberalen nicht wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ehe ich zu meinen Ausführungen komme, möchte ich Ihnen, Herr Kratz, noch ein Wort zu den guten und schlechten Risiken sagen. Die Betroffenen wissen sehr genau, wer zu dem guten und wer zu dem schlechten Risiko gehört. Die Anfragen bei der privaten Krankenversicherung beweisen es. Wenn Sie glauben, der Abwanderung junger Menschen einen Riegel vorgeschoben zu haben, dann müssen Sie immer damit rechnen, daß die Leute nicht in jungen Jahren daran denken, sondern erst, wenn sie schon älter geworden sind. Zum anderen hoffen sie, daß Änderungen dieser Gesetze stattfinden. Wir müssen davon ausgehen, daß wir selbst oft diese Änderungen schaffen. Wenn ich nur daran denke, wie die Ausfallzeiten und Ersatzzeiten während der letzten acht Jahre viermal geändert worden sind, dann muß ich fast glauben, daß diese Menschen recht haben.An Ihre Adresse, Herr Hölscher, einige Worte zu dem Instrumentarium des Einzelregresses. Wenn Sie das so praktizieren wollen, Herr Hölscher, dann müssen Sie damit rechnen, daß etwa 3 000 bis 4 000 Einzelprüfungen vorgenommen werden, die auch Gerichtsentscheidungen nach sich ziehen können. Dieses Verfahren wird kaum praktikabel sein.
Eine Bemerkung zu dem „Autobahn-Effekt". Herr Muhr und auch Herr Sewering haben in der Anhörung nie vom Überholen gesprochen, sondern nur vom Schnellerfahren. Das Überholen machen Sie dazu, und das stimmt mit der Wahrheit nicht überein.Die Einbeziehung der Krankenhausfachärzte in die ambulante Versorgung der Bevölkerung bedingt nachher eine Abwanderung der Fachärzte aus dem unmittelbaren Bereich um das Krankenhaus. Im übrigen möchte ich Sie fragen, wer dann die Besuche bei den betreffenden Patienten macht, die vom Krankenhausfacharzt betreut werden. Hier wird die Schwierigkeit für den Patienten offenbar. All diese Dinge sind unpraktikabel. Deshalb haben wir andere Vorstellungen.Über die Notwendigkeit der Kostendämpfung im Gesundheitswesen sind sich alle Beteiligten einig. Strittig ist nur — wie Herr Egert heute morgen ebenfalls sagte — der Weg, wie man das Ziel erreichen kann. Wer aber eine echte Kostendämpfung will, der muß sich über die Ursachen der Kostensteigerungen im klaren sein. Bis in die neueste Zeit — das klang auch heute morgen noch an — wurde die Diskussion vorwiegend so geführt, als seien hauptsächlich Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und die Pharmaindustrie an dieser Kostenausweitung schuld. Dazu benutzte man obendrein einen uralten politischen Trick, die Erzeugung des Neidkomplexes, um die Erbringer von Gesundheitsleistungen in eine Ecke zu drängen. Dabei lief noch das eine oder das andere schwarze Schaf über den Weg. Aber wo gibt es die nicht? Ich komme aus Hessen und weiß ein Lied davon zu singen.
Diese schwarzen Schafe und die andere Situationgaben dann die Gelegenheit ab, den Boden für eine
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fein subtil und vorsichtig scheibchenweise vorbereitete Strukturveränderung des ganzen Systems zu bereiten.Die wirklichen Ursachen der Kostensteigerung, meine Damen und Herren, sind aber andere. Da wäre erstens der ständige Ausbau von Leistungen und des Leistungsangebotes in der gesetzlichen Krankenversicherung zu nennen, der durch den Gesetzgeber herbeigeführt worden ist. In dieser Frage hat der Gesetzgeber — angefangen von den Vorsorgeuntersuchungen bis zu den flankierenden Maßnahmen zum § 218 — den Krankenkassen einen ganzen Katalog von Leistungen aufgebürdet, ohne sich viele Gewissensbisse darüber zu machen, wer das zu bezahlen hat.
Aber auch die Rechtsprechung hat durch die Ausweitung des Krankheitsbegriffes das Ihre zur Kostensteigerung beigetragen.So wurden z. B. die Folgen des Alkoholismus den Krankenkassen aufgebürdet. Dabei kassiert der Staat in diesem Jahr über 5 Milliarden DM aus den Alkoholsteuern und über 10 Milliarden DM aus der Tabaksteuer. Die Folgen des übermäßigen Konsums muß dann die Krankenkasse tragen. Hier muß man in Zukunft einmal den Zusammenhang dieser Dinge durchdenken. Es ist die Frage, ob es so weitergehen kann, daß der Staat kassiert und die anderen bezahlen.Auch die Verpflichtung zur Übernahme des Zahnersatzes durch die Krankenkassen sei hier genannt. Als Folge des Bundessozialgerichtsurteils stiegen die Ausgaben für Zahnersatz von 2 Milliarden DM im Jahr 1974 auf fast 7 Milliarden DM im Jahr 1976. Das entspricht den Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen des Jahres 1976 aller Ortskrankenkassen der Länder Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.Auch die schnell wachsenden Fortschritte der Medizin haben über die damit zusammenhängende Zunahme der Behandlungsfälle und der Leistungen ebenso zu der Kostensteigerung beigetragen wie die Gewährung von freiwilligen Leistungen durch die Krankenkassen selbst.Die Zunahme des Personals wie auch die Arbeitszeitverkürzungen in den Krankenhäusern sind hier zu nennen. So machte die Arbeitszeitverkürzung 1974 von 42 auf 40 Stunden im Bereich des Krankenhauses eine Zunahme der Kosten um über 7 % aus.Auch die Zunahme der Krankheiten durch ungesunde Lebensführung - ich nenne hier nur Drogen-, Alkohol- und Tabakmißbrauch, Übergewicht, mangelnde Bewegung — gehört zu diesem Katalog der Ursachen der Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, wie noch vieles andere mehr, das zu nennen mir die Zeit nicht erlaubt.Hier liegen die wirklichen Ursachen für das Anwachsen der Kosten, an dem alle teilhaben: Ärzte, Politiker, Industrie, Gewerkschaften und der Bürger selbst. Nur ist man nicht aufrichtig genug, dem Bürger diese Gründe auch deutlich zu nennen. Man ist nicht aufrichtig genug, ihm als Zweites zu sagen: daß das, was in der Medizin machbar ist, in Zukunft auf die Dauer nicht finanziert werden kann, daß deshalb alle, ob Anbieter oder Anforderer von Gesundheitsleistungen, ob Ärzte, Krankenhäuser oder der Bürger selbst, ihre Ansprüche in den Grenzen halten müssen, die durch den Finanzierungsrahmen gesteckt werden. Man kann nicht allen alles versprechen und dann so tun, als ob ein anderer dafür bezahlt. Dies ist die vornehmliche Aufgabe des Gesetzgebers: hier hat er allen deutlich zu sagen, was geht und was nicht geht. Hier liegt seine besondere Verantwortung.Wie hält es aber nun die Regierung mit ihrer Verantwortung? Man hat bei weiten Teilen dieses Gesetzentwurfs den Eindruck, als entzöge sie sich dieser Verantwortung. Das geht so weit, daß sie sogar die Bundesgarantie für die Ortskrankenkassen aus dem gesamten Reichsversicherungsordnungswerk streicht. Hier hat sie zunächst einmal geschickt verstanden, die Diskussion über weite Strecken von dem viel schwerwiegenderen Problem der Beseitigung der lange verharmlosten Rentenschwierigkeiten abzulenken. Mit einem schlauen Trick verlagerte sie die Probleme in die Krankenversicherung und schob dann die Verantwortung anderen zu. Indem sie Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser jetzt unter Druck setzt, gibt sie diesen den Schwarzen Peter oder, wie Herr Franke heute morgen sagte, den Rotstift weiter. Es wird den Ärzten überlassen, sich mit den Patienten über die Frage auseinanderzusetzen, was diese für ihre Gesundheit anfordern können. Sie projiziert damit den Konflikt auf eine Ebene, die nicht primär dazu da ist, die Finanzprobleme der Krankenkassen und darüber hinaus die dorthin verlagerten Probleme der Rentenversicherung zu lösen, sondern die dazu da ist, zu helfen und zu heilen. Damit zerstört sie das für den Heilvorgang überaus notwendige Vertrauen zwischen Arzt und Patient.Dabei fiel mir ein Brief ein, den der Herr Bundeskanzler am 15. September. des vergangenen Jahres mir wie allen Ärzten geschickt hatte. In diesem Brief steht ein Satz, den ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren möchte:Die Lösungen, die von uns im Herbst verlangt werden, finden wir nur gemeinsam und nicht gegen die legitimen Interessen der Ärzte.Was wir von solchen Reden und Schreiben halten können, wissen wir nicht erst seit dem 3. Oktober.
Man spricht von der Stärkung der Selbstverwaltung und engt die Grenzen ihres Handelns vorher aber so ein, daß der Spielraum nur noch gering ist und alles nur in eine Richtung, auf eine Struktur- und Systemänderung mit vielen, vielen Gleichmachereitendenzen hinsteuert — bis hin zu einem gravierenden Einbruch in die Freiberuflichkeit der Ärzte. Frau Dr. Neumeister hat dies schon dargelegt, und der Kollege Höpfinger wird dies, wie ich glaube, im Blick auf den Krankenhausbereich ebenfalls noch deutlich zeigen.Meine Damen und Herren, in diesen Tagen gedenken wir des Professors Ludwig Erhard, des Schöp-
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fers der Sozialen Marktwirtschaft. Die Soziale Marktwirtschaft ist in dem Vertrauen zu dem Menschen, zu seiner Leistungsbereitschaft und zu seiner Verantwortung begründet. Leistungswille und Schöpfungskraft entfalten sich aber nur dann voll, wenn sie von staatlicher Bevormundung, von Reglementierung und Zwang befreit sind. Daher sind wir der Auffassung, daß der Gesetzgeber seiner Verantwortung für das gegliederte System der sozialen Krankenversicherung dann am ehesten gerecht wird, wenn er die Lösung. in einem freiheitlichen Rahmen sucht, weil er dabei die günstigsten Wirkungen erzielt. Mit Investitionslenkung und -planung im Gesundheitswesen ist viel weniger zu erreichen, wie die Beispiele in den sozialistischen Staaten ja zu zeigen vermögen. Wer am schlechtesten dabei wegkommt, ist der Patient.Die CDU/CSU-Fraktion ist aus ordnungspolitischen Gründen davon überzeugt, daß die bessere Lösung im Hinblick auf die Dämpfung der Kosten nicht durch dirigistische Maßnahmen, sondern durch ein Zusammenwirken aller Beteiligten erreicht wird.
Hier sollen unter Berücksichtigung der bedarfsgerechten und dem Stand der medizinischen Entwicklung entsprechenden Versorgung der Bevölkerung bei ausgewogener Verteilung der Lasten die Orientierungsdaten und die Rahmendaten für die Leistungsbewertungen und die Leistungsentgelte gefunden werden. Hier sollen auch Vorschläge über die bessere und wirtschaftlichere Anwendung der begrenzten Mittel und die Erhöhung der Wirksamkeit im Gesundheitswesen entwickelt und miteinander abgestimmt werden. Wenn Sie, Herr Hölscher, nun davon ausgehen, daß dann, wenn die Länder mit beteiligt sind, der Staatskommissar bereits mit im Spiele sei, so sehen Sie nicht, daß es sich um eine freiheitliche Vereinbarung handeln soll. Es soll nicht etwa so sein, daß der Deckel gewissermaßen mit dem Hammer aufgesetzt und nur soviel Spielraum gegeben wird, wie der Deckel übrigläßt.
Meine Damen und Herren, diese Aktion steht unseres Erachtens auch unter einem Erfolgszwang, denn die Bundesregierung soll nach zwei Jahren berichten, ob und wie es geklappt hat. Gelingt es aber — entgegen unserer Annahme — nicht, die Kosten im Gesundheitswesen in eine vernünftige Relation zu den vorhandenen Mitteln zu bringen, dann erst hält die CDU/CSU die Zeit für gesetzliche Maßnahmen in einem entsprechenden Rahmen für gekommen. Wir sind für die konzertierte Aktion, weil wir die freiheitliche Lösung als die stärkere ansehen und von ihr eine stärkere Wirkung erwarten. Wir fühlen uns um so mehr in unseren Erwartungen bestärkt, als die Ergebnisse der freiwilligen Vereinbarungen zwischen Ärzten und Krankenkassen aus dem Jahre 1975 bereits im Jahre 1976 eine erhebliche Reduzierung des Kostenzuwachses nicht nur im ärztlichen Bereich, wo die Vereinbarungen getroffen wurden, sondern darüber hinaus auch in allen anderen Sparten des Gesundheitswesens zur Folge hatten. Diese Senkung setzt sich in diesem Jahr fort, so daß mit weiteren Erfolgen zu rechnen ist. Wenn Sie, Herr Egert, heute vormittag davon sprachen, daß das in den Betriebskrankenkassen Rhein-Ruhr anscheinend nicht so läuft, kann ich Ihnen umgekehrt aus dem Bereich der AOK Frankfurt sagen, daß diese im ersten Vierteljahr im Bereich der Arzneimittel deutliche Senkungen zu verzeichnen hat. Dort ist der Kostenanstieg im Arzneimittelsektor im Vergleich 1977 zu 1976 von 11,2 % auf 3,76 % heruntergegangen. Deutlichere Senkungen kann man wirklich nicht vorführen.Hier hat die Ärzteschaft auch ihre Bereitschaft mitgeteilt, über den 1. Januar 1978 hinaus die Kostendämpfung zu vereinbaren. In diesen Tagen wurde die Honorarerklärung zwischen dem Verband der Ersatzkrankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bekannt, nach der die Partner auch im Jahre 1978, also erst im nächsten Jahr, ebenso wie im Jahre 1976 keine Erhöhung der Honorare vornehmen wollen, was praktisch ein Nullwachstum bedeutet.
Dies wäre weder 1976 noch 1978 mit den Vorstellungen und Vorlagen der Regierung zu bewirken gewesen bzw. zu bewirken.Man hat von Koalitionsseite immer wieder eingewendet, daß die freiwilligen Vereinbarungen unsicher seien.
Herr Egert sprach heute morgen davon, es seien sich widersprechende Aussagen vorhanden. Weiter wird davon gesprochen, die alte Regelung sei bisher noch nicht von allen Landesverbänden unterzeichnet worden. Meine Damen und Herren, ich bin dem nachgegangen. Die Ursache, warum das noch nicht unterzeichnet ist, hat nichts mit der Vereinbarung zu tun, aber auch gar nichts. Vielmehr hängt dies mit einer Abklärung zusammen, ob die Abmachung — Steigerungsrate höchstens bis zu 8 % — für die Gesamtheit der Mitglieder und Rentner oder nur für Mitglieder oder für Rentner gilt. Darüber hinaus ist nichts anderes im Spiel. Jede andere Deutung wäre böswillig.Die CDU/CSU-Fraktion erwartet von der konzertierten Aktion aber auch, daß sie bei der Erarbeitung ihrer Lösungen die vielfältige Verzahnung des Gesundheitswesens viel eher berücksichtigen kann, so daß die höchstwahrscheinlichen negativen Folgen der dirigistischen Maßnahmen nicht eintreten werden. Bei der Verkettung des gesamten Gesundheitssystems untereinander drohen Nachteile bis .hin zu Arbeitsplatzverlusten in vielen Sparten, wie wir ebenfalls im Hearing von den Sachverständigen hören konnten.
Wenn ich die freiwilligen Vereinbarungen mit ihren positiven Ergebnissen mit den dirigistischen Vorschriften dieses Strukturveränderungs- und Beitragserhöhungsgesetzes — wie es Herr Franke heute vormittag bezeichnete — und seinen zu befürchtenden Folgen vergleiche, fällt mir die Präambel des Gesundheitsprogramms der FDP ein, die mit den Worten beginnt: „Die Gesundheitspolitik der FDP
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Dr. Becker
wird durch den Grundwert der Freiheit bestimmt". Frau Neumeister hat schon die These 12 in Ihrem Programm angeschnitten, die besagt: „Die freiheitlichen Strukturen des gegliederten Systems und seiner Selbstverwaltung sind auszubauen".
Sie, Herr Kollege Schmidt, haben dieses gesundheitspolitische Programm vor noch nicht einmal einem halben Jahr, am 20. November 1976, in Frankfurt auf Ihrem 27. Bundesparteitag vorgestellt und dabei folgende Worte gebraucht — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Die Selbstverwaltung der Pflichtkassen, der Ersatzkassen und der Kassenärzte hat mit ihren 1975 und 1976 geschlossenen Abkommen zur Begrenzung des Honorarzuwachses bestätigt, daß sie aus eigener Verantwortung die notwendigen Konsequenzen aus der Kostenentwicklung zieht. Wir treten dafür ein, diese Politik der Kostendämpfung im staatsfreien Raum fortzusetzen.
Einheitliche Honorarforderungen und einheitliche Gebührenordnungen sind mit dem gegliederten System, wie wir es verstehen, nicht vereinbar.Wenn man diese Worte hört und das Gesetz liest, an dem Sie mitgewirkt haben, versteht man ein halbes Jahr danach die FDP nicht mehr. Da kann man nur sagen: Wohin bist du gegangen!
Es ist Ihr Problem, meine Damen und Herren der FDP, wie Sie Ihren Wählern das klarmachen können.Die CDU/CSU-Fraktion lehnt aus den genannten prinzipiellen und auch durch die Erfolge bereits vorbestätigten Gründen die Änderungen der §§ 368 f und 368 i RVO ab und fordert die konzertierte Aktion aller Beteiligten zur Lösung der Probleme zum Nutzen der Kranken und der Betroffenen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst mit einigen Ausführungen des Kollegen Dr. Becker auseinandersetzen. Mir fiel auf, daß er die im Ausschuß gefundene Regelung kritisiert hat, nunmehr den Einzelregreß zu verstärken. Ich habe mich darüber gewundert, weil ich in den Diskussionen der letzten Monate erfahren habe, daß gerade der Verdacht, Ärzte könnten kollektiv für ihre Arzneimittelverschreibung zur Rechenschaft gezogen werden, eines der Hauptargumente Ihrer Kollegen, Herr Dr. Bekker, draußen gewesen ist. Nun machen wir einenEinzelregreß, um die schwarzen Schafe, von denen Sie sicherlich auch wissen und deren Vorhandensein mir von vielen Ihrer Kollegen draußen bestätigt worden ist, an den Kanthaken zu kriegen, und nun ist Ihnen das auch wieder nicht recht.
— Sicher, Sie müssen immer ein praktikables Verfahren finden. Da sind wir uns einig. Aber Sie können doch nicht sagen, Kostendämpfung sei nötig, aber die eine Lösung sei kollektiv, die andere sei nicht praktikabel, selber aber keine Gegenvorschläge machen.
Zu der Frage der Ursachen der Kostensteigerung haben wir von Herrn Dr. Becker einiges gehört, was sicherlich diskutierenswert ist. Bloß sollte man nicht die Frage nach der ständig notwendigen Erhöhung des Haushaltsgeldes damit beantworten, daß die Streichhölzer teurer geworden seien. — Was ich damit sagen will, ist, daß Sie sich damit geschickt um die Tatsache herumgemogelt haben, daß die entscheidenden Ausgabenpositionen der gesetzlichen Krankenversicherung natürlich die Arzneimittelkosten sind und daß bei den niedergelassenen Ärzten die zunehmende Anwendung von Apparatemedizin zu einer erheblichen Ausweitung der Kosten geführt hat. Das wollen wir doch nicht bestreiten; denn sonst würden wir den Blick darauf vernebeln, worum es wirklich geht. Die anderen Punkte, die Sie angeführt haben, diskutieren wir gerne mit. Aber auch Sie kennen die Statistiken der Krankenkassen, nach denen diese Punkte nur einen minimalen Bruchteil des Gesamtzuwachses der Kosten ausmachen.Lassen Sie mich einen dritten Punkt ansprechen, den Sie hier vorgebracht haben. Ich fand es eigentlich ziemlich leichtfertig, daß Sie hier das Wort in den Raum gestellt haben, mit Planung sei im Gesundheitswesen nichts zu lösen. Nun frage ich Sie: Warum haben Ihre befreundeten Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg im vorletzten Jahr im Bundesrat Anträge eingebracht, Bedarfspläne für die Kassenarztsitze zu entwickeln? Warum gibt es auch in von Ihren Freunden regierten Ländern Krankenhausbedarfspläne und gelegentlich sogar Bedarfspläne für flankierende Maßnahmen? Wenn das nicht Planung ist! Es mag ja sein, daß sie sich nicht nach Kriterien vernünftiger Planung verhalten; sie erwecken aber auf jeden Fall nach außen hin den Eindruck. Man sollte es sich also nicht so einfach machen, die Planung im Gesundheitswesen, wo es bei der gesetzlichen Krankenversicherung immerhin um Beträge von mehr als 60 Milliarden DM geht, so von der Hand zu weisen und zu sagen, da könne man im freien Spiel der Kräfte so weiterwurschteln wie bisher.Ein Wort zum Kollegen Hölscher. Er ist, glaube ich, nicht mehr im Saal. Er hat einen Vergleich zwischen Albanien und den niedergelassenen Ärzten gezogen. Dieser Vergleich trifft natürlich nicht ganz, denn in Albanien pflegen die Präsidenten sicher zu sitzen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1903
KuhlweinMeine Damen und Herren, die Debatte, wie sie bisher von der CDU geführt worden ist, ist einem ideologischen Rundumschlag sehr nahe gekommen. In diesem Zusammenhang tauchte dann immer, mehr oder weniger versteckt, der Vorwurf auf, Sozialdemokraten wollten einen staatlichen Gesundheitsdienst einführen. Und dann kommen die Schreckensbilder aus dem Fernsehen mit Schweden und Großbritannien. Oder es wird von Teilen der Sozialdemokraten gesprochen, wie Sie, Frau Kollegin Neumeister, das unter Bezuganhme auf Juso-Beschlüsse getan haben. Bevor Sie hier argumentieren und Grundsatzfragen stellen, sollten Sie sich über die Beschlußlage in unserer Partei informieren. Wir stehen vor einem Bundesparteitag, der sich mit einem gesundheitspolitischen Konzept, dargestellt in den „Leitsätzen", beschäftigen wird. Zentraler Punkt in diesen Leitsätzen ist ein integriertes System der medizinischen Versorgung, das in Selbstverwaltung organisiert werden soll, und davon halten wir eine ganze Menge, wobei allerdings Selbstverwaltung nach unserem Verständnis nicht heißt, eine Gruppe der Gesellschaft verwaltet sich selbst und die anderen gleich mit, sondern wir meinen, daß alle betroffenen Gruppen die Möglichkeit bekommen müssen, in einer solchen Selbstverwaltung ihre Interessen zur Geltung zu bringen. Insoweit unterscheidet sich das System, das wir anstreben, von dem heute vorhandenen. Wenn Sie das dann Systemveränderung nennen, ist Ihnen das natürlich unbenommen.Meine Damen und Herren, die Frau Kollegin Neumeister sieht einen Einstieg in die Einheitsversicherung in der Frage der bundeseinheitlichen Empfehlungen und in der Frage des zu entwickelnden gemeinsamen Bewertungsmaßstabes. Ich habe diese Fragen in den letzten Wochen gerade auch mit Vertretern der Ersatzkassen weidlich diskutiert und darf Ihnen in diesem Zusammenhang von einem Gespräch berichten, bei dem niedergelassene Ärzte und Ersatzkassenvertreter an einem Tisch saßen und die Vertreter der Ersatzkassen in schöner Deutlichkeit die Vorzüge der Ersatzkassen predigten und versuchten, mir unter anderem deutlich zu machen, daß es doch ein erheblicher Vorzug sei, in einer solchen Kasse versichert zu sein. Dann habe ich gefragt, wieso, ob das damit zusammenhänge, daß sie den Ärzten mehr bezahlten. Darauf habe ich keine befriedigende Antwort bekommen. Ich habe dann die anwesenden Ärzte gefragt, ob sie denn Ersatzkassenpatienten besser behandelten, weil ja die Ersatzkassen für die Patienten mehr zahlten. Sie haben den Kopf geschüttelt und das natürlich im Brustton der Überzeugung von sich gewiesen. Nun stand ich als relativer Laie etwas dazwischen: Wem soll ich nun glauben? Ist es nun nur etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben und in der Ersatzkasse zu sein mit den besseren Bedingungen dort? Oder aber gibt es bei den niedergelassenen Ärzten doch noch ein Klassensystem? Sie Frau Kollegin Dr. Neumeister, werden doch sicher sagen, das gibt es nicht mehr. Dann stellt sich natürlich die Frage: Welche Vorzüge hat das eigentlich mit diesem insoweit gegliederten System, hier eine Gebührenordnung, dort eine Gebührenordnung, bei der einen kommt mehr heraus für die Ärzte, bei der anderen kommt weniger heraus für die Ärzte? Welche Vorteile hat das eigentlich für den Patienten, für den Versicherten?Ein Problem, das den Gegnern von „Einheitsversicherung" auch entgegengehalten werden muß, ist das, daß die meisten Ersatzkassen längst Einheitsversicherungen sind, wo die Versicherten im Bayerischen Wald denselben Beitragssatz zu zahlen haben, obwohl dort die Angebote in der Gesundheitsversorgung sehr viel schlechter sind als die in Frankfurt oder München. Von regionaler Gerechtigkeit in dieser Einheitsversicherung Ersatzkasse — DAK, BEK usw. — kann wohl nicht die Rede sein.Ich verstehe aber auch nicht, warum Sie, Frau Kollegin Dr. Neumeister, da Sie die E-Adgo für so besonders gut halten, die Vorzüge dieser Gebührenordnung nicht den übrigen RVO-Patienten auch zugute kommen lassen wollen; denn wenn das für den einen Patienten gut ist, muß es doch für den anderen auch gut sein. Wir alle sollten uns bemühen, daß wir in die zu erstellende Vertragsgebührenordnung die wesentlichen Elemente der E-Adgo hineinbekommen, die dazu beitragen, daß RVO- Patienten in Zukunft auch alle die Vorzüge genießen können.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, noch einige Bemerkungen zur konzertierten Aktion. Wir haben ja nichts gegen Konzerte. Auch bei uns gibt es musikalische Leute.
— Ich kann wunderbar singen. Wir können nachher mal rausgehen und singen dann im Duett. Vielleicht vergehen Ihnen dann die Mißtöne, die Sie jetzt in diese Debatte bringen.
Wenn man sicher wäre, daß sich dieses Konzert gelegentlich auch als Streichquartett konstituieren würde, wäre gegen ein solches Konzert gar nichts zu sagen. Solange wir aber davon ausgehen müssen, daß die Kassenärztliche Bundesvereinigung wie bisher die Sologeige spielt und sich nicht an die Noten hält, solange ist eine Symphonie im Wortsinne des Zusammenklangs der Instrumente nicht zu erwarten.
Deshalb, meine Damen und Herren, wollen wir Sozialdemokraten ein Orchester haben, das nach Noten spielt.
Diese Noten hat dieses Hohe Haus als Gesetzgeber dafür zu liefern. Wir halten es für den sozialen Frieden nicht für zuträglich, wenn der Anbieterseite in ihrer konzertierten Aktion in freiwilliger Selbstbeschränkung die Kostendämpfung überlassen bleibt,
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Kuhlweinwährend die Nachfrageseite, also die Patienten, ihren Beitrag zur Kostendämpfung in Leistungsbeschränkungen gesetzlich vorgeschrieben erhalten sollen. Es ist nach unserer Aufassung erforderlich, daß den Selbstverwaltungen verbindliche Grundlinien und verbindliche Orientierungsspielräume für die kostendämpfenden Maßnahmen gesetzt werden. Eine konzertierte Aktion, wie Sie sie in Ihrer Formulierung von § 405 a und 405 b der Reichsversicherungsordnung vorschlagen, muß von vornherein unverbindlich sein, wenn sie überhaupt funktionsfähig bleiben soll.
— Herr Kollege Franke, wir sollten doch einmal fragen, wer eigentlich die Betroffenen im Gesundheitswesen in den letzten 20 Jahren davon abgehalten hat, in einer konzertierten Aktion kostendämpfende Maßnahmen zu erarbeiten, zu empfehlen und zu verwirklichen.
— Herr Kollege Blüm, wenn wir ein Kostendämpfungsgesetz früher vorgelegt hätten, hätten Sie uns noch viel früher gesagt, daß jetzt vielleicht eine konzertierte Aktion in Gang komme, die Entwicklungen, die auch Sie für verhängnisvoll halten, eindämmen könnte. Wir haben ja doch lange genug gewartet.
Es gab doch freiwillige Empfehlungsvereinbarungen, die dazu hätten führen können, daß erhebliche Kostensenkungen eintreten. Es gab doch genügend Freiraum, den die Selbstverwaltung in den vergangenen Jahren hätte ausgestalten können. Das Ergebnis war, wenn Sie an die erste Empfehlungsvereinbarung von 1975 und an die Arzthonorarsteigerungen sowie die Gesamtvergütungssteigerungen denken, die sich daraus ergeben haben — —
— Wer hat denn, Herr Kollege Franke,
in Fragen der gesetzlichen Krankenversicherung etwas geleugnet? Die Bundesgesundheitsministerin Focke hat sich dafür eingesetzt, daß es zur ersten bundeseinheitlichen Empfehlungsvereinbarung überhaupt gekommen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jaunich?
Ja, gern.
Kollege Kuhlwein, wären Sie bereit, mir zu bestätigen, daß der frühere Sozialminister von Rheinland-Pfalz und heutige Generalsekretär der CDU, Herr Geißler, keine konzertierte Aktion gefordert hat, sondern daß er der Bundesregierung den Vorwurf gemacht hat, sie tue gesetzgeberisch nichts, um die Kosten einzudämmen?
Diese Frage, die eine Feststellung enthielt, kann ich nur bestätigen.
Deswegen wundert es mich, daß Sie heute aus der Frage konzertierte Aktion oder Gesetz einen ideologischen Kriegsschauplatz gemacht haben.Meine Damen und Herren, wir können uns nur wundern, daß es auf der letzten Bundeshauptversammlung des Hartmannbundes hieß, über die Jahre 1976/77 hinaus werde es ein zweites Mal eine solche Empfehlungsvereinbarung nicht geben. Der erste Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Herr Dr. Muschallik, hat am 11. Dezember 1976 das gleiche noch einmal geäußert. Der stellvertretende Vorsitzende des NAV, Herr Dr. Maiwald, hat im Zusammenhang mit der Empfehlungsvereinbarung von einer „Garotte" gesprochen. Wir müssen das hier heute leider noch einmal so vortragen, weil das sicherlich nicht dazu beiträgt, Vertrauen in die von Ihnen in § 405 vorgeschlagene konzertierte Aktion zu setzen. Wir können bei der Kostendämpfung nicht darauf warten, daß bis 1979 noch einmal alles denen überlassen bleibt, die schon in der Vergangenheit Kostendämpfung nicht ernsthaft genug betrieben haben.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß eine wirklich unabhängige liberale Zeitung zitieren, die zu ähnlichen Schlüssen kommt wie wir. In der „Süddeutschen Zeitung" von heute heißt es im Kommentar auf Seite 4 — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Ob ein gemeinsam von allen Beteiligten demonstrierter Wille zur Sparsamkeit nicht letzten Endes eine gesetzliche Regelung zur Begrenzung der Ausgabenflut überflüssig macht, ist indessen nur scheinbar die Frage. Eine grundlegende Veränderung der Struktur des gesamten Kassenarzt- und Krankenkassenwesens ist nach den gewaltigen Kostensprüngen der vergangenen Jahre nicht länger aufzuschieben.Etwas weiter unten heißt es:Eine gesetzliche Regelung ist unerläßlich. Wenn sie jetzt unterbleibt, haben die Beitragszahler, Arbeitnehmer und Betriebe, das Risiko einzugehen, daß es mittelfristig, wenn die Anstandsfrist für die jetzt praktizierte vornehme Zurückhaltung verstrichen ist, wieder zu außergewöhnlichen Ausgabensteigerungen kommt.Weil wir derselben Meinung sind wie der Kommentator in der „Süddeutschen Zeitung", lehnen wir Ihre Anträge zu diesem Bereich ab.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1905
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blüm, Sie sagen: „schon wieder" . Herr Kollege Hölscher hat schon auf das mittelständische Unternehmen FDP mit seiner Effektivität hingewiesen. Die Konzentration in der Argumentation dient vielleicht auch der Kürze der Debatte.
Herr Dr. Becker hat — und in diesem Punkt möchte ich ihm beipflichten — sehr richtige Ausführungen zu sozialistischen und dirigistischen Maßnahmen gemacht. In diesem Punkt stimmte ich mit ihm voll überein. Ich glaube, Herr Dr. Becker, wenn Sie das Gesetz etwas gewissenhafter gelesen hätten und die Dinge ein wenig gewissenhafter geprüft hätten,
— ich werde auf die Dinge eingehen, Herr Dr. George —, dann wären Sie nicht zu diesem Schluß gekommen. Auch für uns sind Schweden und England Beispiele, allerdings schlechte. Wenn Sie uns Dirigismus und Sozialismus vorwerfen,
dann frage ich mich allen Ernstes: wieso das im Zusammenhang mit diesem Gesetz? Wenn das, was hier realisiert wird, Sozialismus ist, dann könnte man sich fast mit dem Sozialismus versöhnen. Da ich diese Absicht nicht habe, aber diesem Gesetz ruhigen Gewissens zustimme, können Sie versichert sein, daß hier sozialistische Elemente nicht zu finden sind.Einer der entscheidenden Maßstäbe, ob hier mehr Dirigismus oder weniger Dirigismus eingeführt werden, ist doch die Antwort auf die Frage: Sind in diesem Gesetz mehr Rechte und Verpflichtungen für den Staat eingebaut als bisher oder weniger, wird die Selbstverwaltung gestärkt oder nicht? Hier kommt man doch eindeutig zu dem Ergebnis,
daß die Selbstverwaltung hieraus gestärkt hervorgeht.
Wenn Sie in diesem Zusammenhang den Dirigismus bekämpfen wollten, dann müßten Sie mit der Zwangsversicherung anfangen. Die wollen wohl Sie genausowenig wie wir abschaffen.Wir haben uns mit der Tatsache abzufinden, daß die Steigerungsraten der Kosten im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren unerträglich hoch gewesen sind. In den letzten sieben Jahren — das ist eindeutig, klar und bewiesen — ist ihr Anteil am Volkseinkommen von 9 % auf 14 % gestiegen.Die Steigerungsrate der Kosten im Gesundheitswesen betrug 1974 18,9 %, 1975 18,3 % und in dem hochgelobten Jahr 1976 9,2 %,
— stimmt nicht; die Gesamtkostensteigerung beträgt 9,2 %, das ist unbestritten — was Beweis dafür ist — Frau Dr. Neumeister, bitte seien Sie so nett und klären den Kollegen Dr. Becker auf, daß diese Zahl stimmt —, daß das schlicht und ergreifend unerträglich zuviel ist. Dies muß man auf dem Hintergrund dessen sehen, was mein Herr Vorredner hier richtigerweise ausgeführt hat, nämlich daß hier Selbstverpflichtungen vorgenommen worden sind, von denen ausdrücklich — zugegebenermaßen; zu einem anderen Zeitpunkt des Standes der Diskussion — erklärt worden ist, sie würden nicht wiederholt, es handle sich um einmalige Aktionen.Im übrigen, verehrter Herr Kollege Dr. Becker, bitte ich Sie - soviel verstehen auch Sie vom kleinen Einmaleins —, zu berücksichtigen, daß diese 9,2 % auf der Grundlage der unerträglich hohen Steigerungsraten 1974 und 1975 zustande gekommen sind. Wenn sich dies so fortsetzt, dann können wir uns ausrechnen, meine Damen und Herren, wann wir. 20 % oder noch mehr für den Sektor Gesundheit ausgeben müssen. Das ist unerträglich.
Der Bürger beschwert sich mit Recht, daß die Abgaben und Steuern in diesem Lande zu hoch seien. Ihr Vorsitzender, Herr Kohl, spricht in diesem Zusammenhang von der „Taschengeldgesellschaft". Wie ist denn die Situation tatsächlich? Die Steuerlastquote ist gleich geblieben, seit 1969 sogar gesunken. Das muß man in diesem Zusammenhang einmal mit aller Deutlichkeit sagen. Die Steuerlast-quote in diesem Lande ist weitaus geringer als Mitte der 50er und 60er Jahre. Das ist der eine Teil dessen, was dem Bürger an frei verfügbarem Einkommen genommen wird. Der zweite — —
— Nein, Herr Dr. George, der ist sogar noch höher, wenn Sie die von mir nicht sehr geliebte Regelung der Kindergeldzahlung noch miteinbeziehen. Hier wurde vorher abgezogen. Jetzt wird zugeschlagen. Objektiverweise müssen Sie also sagen, daß dieser Teil, wenn Sie echt vergleichen, noch nicht einmal zur Steuerlastquote zu zählen ist. So gesehen, ist der Unterschied erheblich höher. Dies ad 1.Ad 2. Der Bürger trägt die Ausgaben für seine Rentenversicherung und für die Vorsorge im Alter. Wir bemühen uns hier, die Beiträge stabil zu halten und nicht zu steigern, also bei 18 % zu bleiben. Wir sind keiner der Versuchungen erlegen, die teilweise auch von Ihnen ernsthaft diskutiert worden sind. Ich freue midi, daß sich in diesem Zusammenhang bei Ihnen die bessere Erkenntnis durchgesetzt hat, nämlich die Lösung nicht in der Steigerung dieses Beitrags zu sehen.
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1906 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
CronenbergDas letzte ist der Anteil für die Kosten des Sektors Gesundheit. Darauf bin ich eben schon eingegangen. Das sind die drei wesentlichen Faktoren.Wie wollen wir die Verhältnisse im Gesundheitswesen regeln? Erstens. Wir versuchen, die Kosten für ärztliche Leistungen festzuschreiben, und zwar auf einem sehr hohen Niveau mit Steigerungsmöglichkeiten. Die Kehrseite der Medaille — das soll auch hier in aller Offenheit gesagt werden — ist schlicht und ergreifend, daß den Ärzten als einzigem Berufsstand unter den Selbständigen quasi eine Einkommenssteigerungsgarantie gegeben wird. Wer bekommt das denn sonst? Keinem Unternehmer wird garantiert, daß die Preise sozusagen per Staat garantiert gesteigert werden können. Dies ist der Inhalt der Zusage.Außerdem bleibt es der Selbstverwaltung durchaus überlassen, die Ungerechtigkeit innerhalb der ärztlichen Entgelte zwischen den einzelnen Gruppen zu klären. Für mich ist es immer uneinsichtig gewesen, warum der hart arbeitende praktische Arzt x-mal weniger verdient als der Zahnarzt, der Gynäkologe, der Chirurg. Es bleibt hier durchaus ganz der Selbstverwaltung überlassen, in den eigenen Reihen hier für ein Stückchen mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Damit ist garantiert, daß den Ärzten auf einem hohen Niveau Steigerungsraten, die erforderlich sind, zustehen.Zweitens. Wir versuchen, die Ausgaben für die Medikamente zu beschränken. In aller Offenheit gesagt: Ich bin schon lange der Meinung, daß dieser Selbstbedienungsladen ohne Kasse und ohne Kontrolle in dieser Form geschlossen werden muß. Hier haben wir einen sehr positiven Ansatz gebracht, nämlich daß die, die mitgestalten können, also die verordnenden Ärzte, die Verpflichtung haben, ihre Verordnung sinnvoll auch unter dem Kostengesichtspunkt vorzunehmen. Man kann es nur dankbar begrüßen, daß wir — wir sind ja lernfähig — uns hier von der Globalkürzung zum Einzelregreß bewegt haben.Auf den dritten großen Kostenfaktor im Gesundheitswesen, nämlich das Krankenhaus, möchte ich nicht im Detail eingehen. Das sind Fragen, auf die Hansheinrich Schmidt gleich zu sprechen kommen wird. Nur eines lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen. Ich bin zutiefst von der Notwendigkeit überzeugt, den Bau der Bürgermeistergedächtnis-Krankenhäuser zu stoppen und keinen Überhang an Betten zu produzieren. Auch müssen wir — unsere Bemühungen in diesem Zusammenhang sind ja durchaus redlich und vernünftig — für eine Gleichstellung der kommunalen Krankenhäuser und der freigemeinnützigen Krankenhäuser Sorge tragen. Ich glaube, hier werden wir zu einem guten Ergebnis kommen.Zur Lösung all dieser Probleme dieser drei Kostenfaktoren empfehlen Sie uns nun eine konzertierte Aktion. In diesem Zusammenhang möchte ich — mit freundlicher Genehmigung des Herrn Präsidenten — eine nicht gerade liberale Zeitung zitieren, nämlich „Die Welt", wo Herr Albert Müller sehr sinnvolle Ausführungen zu diesem Thema gemacht hat — was zumindest beweist, daß auch nichtliberale Zeitungen vernünftige Mitarbeiter haben können. Herr Müller schreibt:Wir brauchen Aktion statt Konzert. Die Aktion muß nicht so brutal sein wie bei der Bremsung des Rentenwachstums. Den Beteiligten soll ja nur auferlegt werden, in Selbstverwaltung gute Lösungen zu finden. Die Selbstverwaltung der Ärzte hat ohnehin ihre Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft,.
die etwa aus der Überrundung der praktischen Ärzte durch Spezialisten hervorgehen, die den Kranken langsam, aber sicher um seinen Hausarzt zu bringen droht.Die konzertierte Aktion des Wirtschaftsministeriums, die hier offensichtlich als Vorbild gedient hat, ist natürlich etwas ganz anderes. Das ist eine unverbindliche Empfehlungsrunde. Was Sie vorschlagen, ist ein Mixtum aus einer konzertierten Aktion, bestehend aus Selbstverwaltung und Staat, und einer Art Zwangsauflage, die Dinge in Ordnung zu bringen. Ich glaube, daß wir hier nicht weiterkommen. Deswegen lehnen wir das in dieser Form ab.Diese konzertierte Aktion würde das sehr schwierige Geschäft der Selbstverwaltung, die Dinge selber in Ordnung zu bringen, in meinen Augen nur erschweren. Man muß sich doch fragen, ob diejenigen, die mit der konzertierten Aktion spielen, nicht in Wirklichkeit darauf spekulieren, doch noch zu überdurchschnittlichen Steigerungsraten zu kommen. Das ist genau das, was wir nicht wollen.Ich gehe davon aus, daß wir die Dinge mit vernünftigen Maßnahmen hoffentlich früh genug in Ordnung bringen; denn das wissen die Mediziner ja am besten: Wer zu lange wartet, wer zu lange zögert, um solche Wucherungen und Fehlentwicklungen zu beschneiden, hilft dem Patienten sicherlich nicht, sondern schadet ihm. Und dieser Patient Sektor Gesundheit ist durchaus heilungsbedürftig.Nun lassen Sie mich zum Schluß noch einige Worte zu Ihren Bemerkungen sagen, verehrter Herr Kollege Dr. Becker, die Sie zu unserem gesundheitspolitischen Programm, was offensichtlich Ihr lebhaftes Interesse gefunden hat, von hier aus gemacht haben. Zunächst einmal eine grundsätzliche Feststellung. Ihre Ausführungen enthielten sehr viel Richtiges und sehr viel Neues. Bedauerlicherweise war das Neue nicht richtig und das Richtige nicht neu.Wenn das gesundheitspolitische Programm der Liberalen Ihre Zustimmung findet, verehrte Frau Kollegin Dr. Neumeister, müßten Sie diesem Gesetz zustimmen;
denn dies Gesetz beinhaltet ungeheuer viele Elemente unseres Programms. Es ist mir deswegen unverständlich, wie diese Gesetzesvorlage eine solch harte Kritik durch Sie erfahren hat. Genau der Freiheitsanspruch, den wir in unserem Programm postuliert haben, ist im Gesetz realisiert worden.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1907
CronenbergLassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern. Sie behaupten, wir würden eine einheitliche Gebührenordnung installieren. Wo steht denn das in dem Gesetz? Dort steht lediglich und richtigerweise, daß wir einheitliche Bewertungsmaßstäbe für bestimmte Leistungen als Voraussetzung für die bessere Beurteilung, als ein Stückchen mehr Transparenz für richtig halten. Dahinter stehe ich. Die vertragliche Absicherung der Honorare durch Einzelverträge ist nirgendwo beschränkt. Im Gegenteil: Die Dinge sind völllig offengelassen. Das wissen Sie, verehrter Herr Kollege Dr. Becker, doch genauso wie ich.Die Zulassung der Krankenhausärzte zur ambulanten Versorgung ist Bestandteil unseres Programms. Das ist realisiert. Die Frage der Belegärzte ist in diesem gesundheitspolitischen Programm angesprochen und in concreto durchgeführt. Wenn es Ihnen gelänge, Ihre programmatischen Vorstellungen so schnell und so gründlich durchzusetzen, wären Sie sicher sehr glücklich.Wenn ich Ihre Bemerkungen zu unserem gesundheitspolitischen Programm der Beurteilung des Gesamtsachverhalts durch Sie zugrunde lege, müßte ich ja fast der Hoffnung sein, daß Sie den Gesetzen morgen doch noch zustimmen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höpfinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als CDU/CSU- Opposition schulden dem Herrn Bundesarbeitsminister noch eine Antwort auf seine Rede von heute mittag. Der Herr Bundesarbeitsminister versucht doch glatt, uns die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, daß wir aus dem Tief der Wirtschaft noch nicht heraus sind. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich folgenden Satz aus der Rede des Herrn Bundesarbeitsminister zitieren:Wenn Sie— uns hat er gemeint —die Unternehmer nicht ständig verunsicherten, hätten wir sie schon ein Stückchen weiter in Schwung gebracht.
Diesen Vorwurf weise ich zurück. Erstens gibt es zwei Gruppen von Verunsicherten: Das sind einmal die Unternehmer und zum anderen die Verbraucher. Und zweitens ist diese Verunsicherung das Ergebnis der Politik der SPD und der FDP.
Wir verkennen die weltweiten wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht, aber wir sind nicht bereit, diese Bundesregierung aus der Verantwortung zu entlassen.
Wer hat denn die Investitionssteuer zu einem Zeitpunkt eingeführt, als die Aufträge schon zurückgingen? Wer hat denn die 7 b-Abschreibung im Wohnungsbau ausgesetzt, als der Boom im Wohnungsbau schon vorbei war? Wer wollte die Belastbarkeit der Wirtschaft prüfen? Wer hat den Gewinn verteufelt? Das waren die Dinge, die die Verunsicherung gebracht haben. Wenn Sie jetzt damit nicht fertig werden, können wir nur sagen: Stellen Sie Ihre Politik um und schaffen Sie eine Vertrauensbasis. Dann könnte es im eigenen Land auch wieder aufwärts gehen.
Nun komme ich zu dem Teil des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes, den ich behandeln darf. Das sind die Bestimmungen, die das Krankenhausfinanzierungsgesetz betreffen. Hierbei, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht es nicht um Kostendämpfung, sondern um einen Eingriff in das Krankenhaus- und das Gesundheitswesen. Ich trete den Beweis an: Wer sich den SPD-Orientierungsrahmen 1975/85 im Abschnitt „Gesundheitswesen" einmal ansieht, wird feststellen, daß einige Vorstellungen dieses Orientierungsrahmens Eingang in die Gesetzesvorlage gefunden haben, die wir heute in der zweiten und morgen in der dritten Lesung behandeln.
Ich nenne diese Punkte. Erstens, es soll nach bundeseinheitlichen Kriterien geplant werden. Zweitens, der Bund muß die Rahmenkompetenz erhalten. So heißt es in diesem Orientierungsrahmen. Man kann nichts dagegen haben, wenn sich die SPD ein solches Ziel setzt. Fragen muß man sich nur, welcher Wandel bei der FDP vor sich gegangen ist, daß die FDP diesen Weg mitgeht.
Von allen Änderungen der Bestimmungen, die das Krankenhausfinanzierungsgesetz betreffen, wiegt die beabsichtigte Änderung des § 11 a wohl am allerschwersten.
Gemeint ist die vorgesehene Eigenbeteiligung der Krankenhausträger mit 10 % der Kosten bei Neubauten und mit 5% der Kosten bei der Wiederbeschaffung. Dies muß meines Erachtens auch in der Zusammenschau mit der Kürzung der Finanzhilfen des Bundes im Krankenhausbereich gesehen werden. Die ursprünglich vorgesehenen Ausgaben des Bundes von 290 Millionen DM im Jahre 1978 sollen um 27 Millionen DM gekürzt werden. Der Ansatz von 1979, der 213 Millionen betragen sollte, soll um 20 Millionen DM gekürzt werden, dies alles zu Lasten der Länder, der kommunalen Krankenhausträger und vor allem zu Lasten der freien gemeinnützigen Krankenhausträger.Zu Lasten der Länder deshalb, weil ihr finanzieller Anteil am Krankenhausneubau um so größer wird, je geringer die Bundesmittel sind. Und hier frage ich: Woher nimmt der Herr Kollege Schmidt, der immer wieder auf die Krankenhausplanung hinweist, das Recht, den Ländern den Vorwurf zu machen, sie wür-
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1908 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Höpfingerden eine unsachgerechte Krankenhausplanung durchführen? Das steht dem Kollegen Schmidt nicht zu.
Die Länder haben Fachleute genug und sind auch bereit, ihre Krankenhausplanung den gegebenen Verhältnissen anzupassen.Als zweites sagte ich: zu Lasten der Kommunen und der kommunalen Krankenhausträger. Dies ist deshalb so, weil die Krankenhausumlage infolge der Kürzung der Bundesmittel steigt und durch die nun geplante Erhöhung der Eigenbeteiligung der kommunalen Krankenhausträger neue, kaum zu verkraftende Belastungen auf die Haushalte der Gemeinden zukommen.
Wer bei der Bundespolitik die Politik der Gemeinden und der Länder zuwenig berücksichtigt oder gar belastet, verletzt den Föderalismus.Drittens sagte ich: zu Lasten der freien gemeinnützigen Träger. Das sind vor allem die kirchlichen Krankenhausträger. Das ist Caritas, Diakonisches Werk, das ist das Rote Kreuz und ist zu einem ganz geringen Teil auch die Arbeiterwohlfahrt.
Meine Damen und Herren, 35 % der planmäßigen Krankenhausbetten in der Bundesrepublik Deutschland werden von kirchlichen Krankenhausträgern gestellt. In Nordrhein-Westfalen sind es 60 %, in Rheinland-Pfalz sind es mehr als 50 %. Der Neuwert der Anlagen wird auf 25 Milliarden DM angesetzt. Ein Drittel dieser Investitionskosten haben die kirchlichen Krankenhausträger selbst geleistet. Wenn SPD und FDP meinen, sie müßten mit der Eigenbeteiligungsquote diesen frei-gemeinnützigen Krankenhausträgern das Sparen beibringen, sind sie hier sicher auf dem Holzweg und kennen die Wirtschafts-, die Verhaltensweise und die Sparfähigkeit dieser Einrichtungen nicht.Die Bundesregierung, die SPD und die FDP verkennen diese enormen Leistungen und auch die Tatsache, daß diese Krankenhausträger nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, sondern immer wieder alles in die Krankenhäuser investiert haben. Sie vergessen, daß von diesen Krankenhausträgern zusätzliche Eigenleistungen erbracht werden, wie z. B. Schwesternwohnheimbau, Bau von Kindertagesstätten, Ausbildungskosten, und einer Ihrer Sprecher hat heute nachmittag selbst auf die Grundstückskosten hingewiesen, die von vornherein im Krankenhausfinanzierungsgesetz keinen Niederschlag gefunden haben.Der Bund will hier meines Erachtens ganz offensichtlich darauf abzielen, die finanziellen Leistungen, die durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz zunächst zuerkannt und versprochen wurden, wieder einzufangen und wieder einzudämmen. Sie, meine Damen und Herren von der SPD/FDP und die von Ihnen getragene Regierung, haben in diesem Gesetz mehr versprochen, als Sie zu halten bereit und auch in der Lage sind.
Wie weit sind wir von der Aussage der früheren Bundesministerin, Frau Käthe Strobel, entfernt, die einmal hoch und heilig in einer Rede im Nürnberger Raum versichert hat: Von nun an wird jedes Krankenhausbett mit einem Drittel der Kosten vom Bund finanziert! Das ist Vergangenheit, d. h., die Finanzierung in dieser Höhe ist nie eingetreten, und sie wird jetzt auf keinen Fall mehr kommen;
denn längst zahlen die Länder wesentlich mehr, weil der Bund allein durch das Haushaltsstrukturgesetz seine Mittel gekürzt hat.Sie wollen mit den Änderungen dieser Bestimmungen im Krankenhausfinanzierungsgesetz das Krankenhauswesen in den Griff nehmen und damit Ihren dirigistischen Vorstellungen im Gesundheitswesen einen Schritt näher kommen.
Wo wollen Sie vorrangig eingreifen? Natürlich bei den frei-gemeinnützigen Krankenhausträgern.Es gibt einen schlimmen Verdacht. Ich verdächtige nicht gerne; aber wenn es sich um einen begründeten Verdacht handelt, muß man das in einer solchen Aussprache sagen. Es ist ein Verdacht, der sich aufdrängt und hier angesprochen werden muß; denn schließlich war es ein Mitglied der vorhergehenden Bundesregierung, das bei der Diskussion um § 218 des Strafgesetzbuches im November 1973 sinngemäß geäußert hat — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich aus dem „Brief aus Bonn" vom 18. Januar 1974, Seite 6, zitieren —:Krankenhäuser und Krankenhausträger, die ein wie auch immer ausfallendes Gesetz über die Freigabe der Abtreibungen nicht voll ausschöpfen, müssen in Zukunft nach dem Willen der SPD-FDP-Bundesregierung erhebliche finanzielle Nachteile befürchten.In diesem Sinne äußerte sich Bundesgesundheitsminister Frau Focke vor Journalisten bereits am 14. November.
Im Klartext heißt das: Krankenhäuser, die sich gegen die Abtreibung entscheiden, werden über die finanzielle Bezuschussung in Zwang genommen. Davon sind vor allem die kirchlichen und die RotKreuz-Krankenhäuser betroffen.
— Daß Ihnen meine Ausführungen nicht gefallen, kann ich mir vorstellen; aber was wir für richtig halten, werden wir in diesem Hohen Hause solange sagen, wie wir die Freiheit haben, unsere Meinung vorzutragen.
Hier klafft eine Lücke zwischen Wort und Tat. Vor einigen Wochen hat der Herr Bundeskanzler bei der Verabschiedung von zwei Vertretern der Kirchen — hier in Bonn — den Freiheitsraum der Verkündigung angesprochen, der noch nie so groß gewesen sei wie heute. Meine Damen und Herren,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1909
Höpfingerzum Wort der Verkündigung gehört die praktische Tat. Ehe der Staat sich der Kranken, Alten und Siechen angenommen hat, haben die Kirchen es getan.
Der Staat und Sie, meine Damen und Herren von der SPD und FDP, haben kein Recht, den kirchlichen, frei-gemeinnützigen Krankenhausträgern das Wasser abzugraben.
Die Kirchen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft haben Ihnen die Folge dieser finanziellen Belastung klar und unmißverständlich genannt. Sie lautet: Finanzielle Belastungen, die nicht auf den Pflegesatz übergehen dürfen, hungern uns aus.Nun werden Sie auf den letzten Satz des § 11 a hinweisen, in dem es heißt, daß dann, wenn die Pflegesätze Überschüsse erbringen, diese zunächst zur Finanzierung der Eigenbeteiligung an den Investitionskosten zu verwenden sind.
Alle, die wir hier sind und von diesem Bereich ein Stückchen — der eine mehr, der andere weniger — verstehen, wissen doch, daß es heute keine Pflegesätze gibt, die die wirklichen Kosten decken. Im Gegenteil, die kommunalen und die kirchlichen Träger zahlen jetzt schon drauf. Wenn das jetzt so ist, so wird sich das in Zukunft nicht ändern. Darum ist das nur ein Feigenblatt, mit dem man die eigene Blöße verdecken will. Man zeigt zwar theoretische Möglichkeiten auf, weiß aber genau, daß sie in der Praxis nicht zum Tragen kommen.
Hier nun ein Wort an Herrn Staatssekretär Buschfort. In einer Bemerkung wies der Herr Staatssekretär Buschfort einmal darauf hin, daß sich nur die kirchlichen Krankenhausträger gegen diese Eigenbeteiligung wehren. Andere frei-gemeinnützige Träger täten das nicht. Herr Staatssekretär, da ist das Ausmaß der Belastung entscheidend. Es gibt kleine frei-gemeinnützige Krankenhausträger, die in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt zirka 1 000 Krankenhausbetten haben. Caritas und Diakonisches Werk hingegen haben in der Bundesrepublik zusammen 200 000 Krankenhausbetten. Hieraus, Herr Staatssekretär, ersehen Sie die Größe der Belastung.
Das ist auch der Grund für die größere Sorge.Darum, meine Damen und Herren, an Sie alle — auch an die Damen und Herren der Regierungsparteien SPD und FDP —: Überdenken Sie das noch einmal! Besonnene Stimmen, gerade in dieser Frage, gibt es ja in Ihren Fraktionen. Sie sind vorhanden. Der Änderungsantrag, den Sie auf Drucksache 124 im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung eingereicht haben, weist es ja aus. Dort haben Sie zunächst selber eine Änderung vorgeschlagen. AlsBayer wird man da geradezu an Karl Valentin erinnert, wo er sagt: Möchten hätten wir schon wollen, aber trauen haben wir uns net dürfen.
Sie haben dann gegen Ihre eigene Überzeugung den Antrag am anderen. Tag wieder zurückgezogen. Ich weiß nicht, ob Sie das aus freien Stücken oder auf Weisung getan haben.
Dennoch, ich möchte an Sie die Bitte richten: Stimmen Sie unserem Änderungsantrag auf Streichung der Eigenbeteiligungsquote zu. Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zu, die auf Streichung aller Änderungen bezogen sind, die durch die Eigenbeteiligung vollzogen werden müssen. Wir können und wir werden der von Ihnen gewollten Eigenbeteiligungsquote nicht zustimmen. Sie belastet die Kommunen, sie gefährdet die Existenz der frei-gemeinnützigen Krankenhausträger, sie steht im Widerspruch zum Krankenhausfinanzierungsgesetz. Wir werden diese Frage in namentlicher Abstimmung entscheiden wollen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Höpfinger, ich kann Sie beruhigen, damit Sie heute nacht ruhig schlafen können: Wir werden Ihre Änderungsanträge ablehnen.Bevor ich aber auf diesen Bereich eingehe, zunächst zu einem anderen Bereich noch eine Vorbemerkung: Ich möchte mich ausdrücklich bei all jenen Unionssprechern bedanken, die die hier im KVKG gefundenen Regelungen als sozialistische Regelungen zu diffamieren versucht haben.
— Von Ihnen war das doch als Diffamierung gemeint, Herr Kollege Vogel! Sie kommen hier sehr spät hinein und haben von der ganzen Debatte nichts mitbekommen; halten Sie sich vielleicht an diesem Punkt einmal ein bißchen zurück.
Es war von Ihnen als Diffamierung gemeint, aber wir wissen doch, daß diese Regelungen in der Bevölkerung sehr positiv aufgenommen werden, weil sie vernünftig sind.
Wir haben schon vor Jahren auf einem Plakat gesagt „Sozialismus, weil's vernünftig ist", und dabei bleiben wir auch.
CSU] : Zum Thema!)
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1910 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Jaunich— Herr Blüm, Sie sind gleich dran; nun warten Sie einmal.
— Na sehen Sie!Herr Blüm, wenn Sie hier heute nachmittag erwähnten, in unserem Werkzeugkasten zur Bearbeitung eines Gartens gebe es nur Gießkanne und Heckenschere, kann ich Sie beruhigen: Da haben wir noch andere Instrumente, da haben wir nämlich auch Unkrautjäter, und das wird sich hier zeigen. Es hat sich bei den Beratungen dieses Gesetzentwurfs gezeigt, daß wir darangehen, dort Unkraut zu jäten, wo Unkraut vorhanden ist; das zupfen wir raus.
— Nun lassen Sie einmal! — Dagegen kann ich mir den Eindruck nicht verkneifen, daß zu Ihrem Handwerkszeug bei der Gartenbearbeitung vorrangig der Miststreuer zählt.
— Nun, wenn das, was Sie hier heute nachmittag ausgestreut haben, Düngung, sein sollte, werden wir sehen, welche Pflanzen daraus wachsen.
Nun zu dem Bereich, der einer besseren Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung dienen soll. Diese Regelungen lehnen Sie ab. Da bauen Sie wiederum einen Popanz auf; demnach ist es also eine Beeinträchtigung der freien niedergelassenen Ärzte, wenn wir im Bereich der vorstationären Diagnostik und der nachstationären Behandlung eine Öffnung versuchen. Dabei wissen alle diejenigen, die dazu gesprochen haben, doch wohl, daß dies eben nicht so ist, wie Sie es verstehen wollen oder wie Sie es nach draußen hin immer wieder als „Ambulatorium" zu verdächtigen versuchen; sie wissen vielmehr sehr wohl, daß dies nur dann funktioniert und klappt, wenn der niedergelassene Arzt einen Patienten zu diesem Zwecke dem Krankenhaus überweist. Dies ist doch in der Tat eine vernünftige Geschichte, weil nicht einzusehen ist, daß dort, wo der niedergelassene Arzt mit seinen diagnostischen Möglichkeiten am Ende ist, im Krankenhaus eine gezieltere Diagnose nur dann vorgenommen werden kann, wenn der Mann auch zugleich ins Bett gesteckt wird. Das ist doch widersinnig! Deswegen muß dies geändert werden, muß es in dem Sinne, wie wir es hier im Gesetzentwurf haben, künftig Praxis werden.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Prinz Botho zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Jaunich, wenn Sie das schon so genau wissen, darf ich Sie fragen, warum der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit für 189 000 DM einen Auftrag an das Krankenhausinstitut in Köln gegeben hat, um genau diese Frage zu untersuchen, für die Sie schon die Antwort bereit haben, obwohl die Ergebnisse noch nicht vorliegen?
Erstens, Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, eröffnen wir hier dafür nur die Möglichkeit.
Wir haben überhaupt nichts gegen eine wissenschaftliche Absicherung. Aber auch Ihnen ist ja bekannt, daß es solche Versuche bereits gegeben hat, die zu dem Ergebnis gekommen sind, daß dies kostensparend ist, zwar nicht in dem Ausmaß, wie wir uns das vorstellen, aber dabei muß man auch die Versuchsbedingungen berücksichtigen einschließlich der Tatsache, daß die niedergelassenen Ärzte nicht gerade willig in einen solchen Versuch hineingehen. Das ist mir persönlich klar, und dafür gibt es ja auch Motive.
— Ja, darüber können wir uns noch unterhalten. Aber Sie sind ja so ein bißchen außerhalb meiner Reichweite geraten; Sie sind zu Höherem in den Haushaltsausschuß berufen.
Ich meine das nur in bezug auf den Ausschuß.Nun, ich will fortfahren; der Zeiger hier läuft unerbittlich weiter.
Sie haben auch gegen jene Bestimmungen in der Reichsversicherungsordnung Einwände, die darauf abzielen, bei der belegärztlichen Tätigkeit eine Regelung zu finden, die ein angemessenes Verhältnis dieser Leistungen zum Artzanteil im Pflegesatz vorsieht. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, was Sie hier wieder hineingeheimnissen. Ein angemessenes Verhältnis! Wenn Belegarzttätigkeit in unserem Gesundheitswesen sinnvoll sein kann, dann doch nicht immer und in jedem Falle und insbesondere auch noch dort, wo sie kostenaufwendiger ist, sondern es muß doch daraus ein kostensparender Effekt erwachsen.
Sonst ist das doch keine sinnvolle Regelung.Dann wenden Sie sich gegen die Gemeinschaftseinrichtungen, deren Ziel die wirtschaftliche Erbringung von medizinisch-technischen Leistungen ist. Mein Kollege Eckart Kuhlwein hat vorhin schon einen der Faktoren, die Kostensituation betreffend, genannt. Er hat darauf hingewiesen. Wenn wir nunmehr sagen, daß die niedergelassenen Ärzte in gemein-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1911
Jaunichschaftlichen Eigeneinrichtungen, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen, diese Leistungen vorhalten sollen, weil dies dann doch vernünftigerweise billiger sein muß, als wenn sich jeder hochoperativ in seiner Praxis ausstattet, dann haben Sie gegen eine solche vernünftige Regelung wiederum Bedenken.Sie haben in einem weiteren Änderungsantrag auf Drucksache 8/405 zu § 372 RVO Änderungen vorgeschlagen. Da wollen Sie eine Gleichberechtigung in der Verhandlungsebene zwischen den Krankenhäusern und den Krankenkassen, obwohl diese nach der Ausschußvorlage vorliegt. Aber: was wollen Sie dort herauslassen? Da wollen Sie herauslassen die Vereinbarung von Bedingungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern über die Mitwirkung des Vertrauensarztes und über Mitteilungen und Berichte, obwohl niedergelassene Ärzte in Diskussionen immer wieder sagen, daß es eben mit dem Überstellen von Berichten zum Krankenhaus und umgekehrt nicht so klappt und daß darin ein kostenverteuernder Faktor liegt. Dies wollen Sie also aus unseren Vorstellungen eliminiert haben. Überall dort, wo das System vernünftig verändert werden soll, haben Sie Vorhaltungen.Die vorstationäre Diagnostik und die nachstationäre Behandlung sind Ihnen ja ein ganz besonderer Dorn im Auge. Aber auch dies ist eine vernünftige Regelung.Nun zu dem Krankenhausteil! Wir haben uns die Finanzierungsregelung nicht einfach gemacht. Wir haben da wirklich lange miteinander um eine vernünftige Lösung gerungen. Wir haben in unserer Lösung eine Bestimmung aufgenommen, nach der die freien gemeinnützigen Krankenhausträger 10 % der Investitionskosten als Eigenanteil zu übernehmen haben. Das ist in der Öffentlichkeit hier und da mißdeutet worden. Ich kann nur sagen: Damit soll die Eigenverantwortlichkeit und Eigenständigkeit dieser Krankenhausträger nachdrücklich unterstrichen werden.
— Ja, Herr Kollege Glombig, hier enttäuscht mich allerdings die Union. An dieser Stelle hätte ich Beifall von ihr erwartet, denn ich habe mir erlaubt, hier Hans Katzer zu zitieren aus der Debatte vom 12. März 1971, als damals in erster Lesung über das Krankenhausfinanzierungsgesetz und den damaligen Antrag der Union beraten wurde.
— Aber Herr Katzer war ja nicht alleine! Er stand ja mit dieser Meinung nicht allein. Das war die Meinung der Gesamtfraktion.Auch der bayerische Staatsminister Herr Dr. Merck hat bei den Beratungen im Bundesrat die Bundesregierung angeklagt, sie habe die Ermächtigung, die ihr durch die Grundgesetzänderung gegeben wurde, nicht genutzt, nicht richtig genutzt:Die neue, umfassendere Zuständigkeit des Bundes gibt die Chance, ein Finanzierungssystemzu entwickeln, das über eine angemessene Eigenleistung des Krankenhausträgers, eine angemessene Beteiligung der öffentlichen Hand an den Investitionskosten und die Abdeckung der übrigen Kosten durch den Pflegesatz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser führt.Eine „angemessene" — da kann man vermuten, daß das noch über die 10 %, die die Union hier im Bundestag forderte, hinausgehen sollte.Auch im weiteren Verlauf der Beratungen in den Bundestagsausschüssen hat doch die Union einmal, nämlich im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, ihre Meinung konkretisiert und gesagt: Die Träger freier gemeinnütziger Krankenhäuser sollen 10 % der Ersteinrichtungskosten als Pauschaleigenanteil übernehmen; dabei darf der Eigenanteil der freien gemeinnützigen Träger nicht in die Berechnung der Pflegesätze eingehen. Komisch, nicht? Das wollen Sie heute alles nicht wahrhaben.
Das war damals Ihre Haltung. Herr Kollege Höpfinger, wenden Sie doch einmal all die Argumente, die Sie auf das anwenden, was wir jetzt in diesem Zusammenhang vorschlagen, auf das an, was Sie seinerzeit den freien gemeinnützigen Träger zumuten wollten!
Wir wollen, weil das dem Sinn des Krankenhausfinanzierungsgesetz widersprechen würde, eben nicht, daß die Eigenbeteiligung, die wir für ein Mittel zur Steuerung der Investitionen halten, allein von ihnen verkraftet wird. Deswegen räumen wir ihnen die Möglichkeit ein, dies über die Pflegesätze zu erwirtschaften.
— Herr Kollege Burger, ich komme darauf zurück. Natürlich ist das nicht heute und nicht morgen eine Kostendämpfung, das ist eine etwas längerfristig wirkende Kostendämpfung. Gerade Ihnen, den Vertretern der Union, ist ja das Steuerungsinstrument Geldbeutel doch nicht so unbekannt. Auch im Rahmen einer gesundheitspolitischen Diskussion neigen Sie ja oft dazu, zu sagen, der Patient müsse am eigenen Geldbeutel spüren, was für ihn aufgebracht wird — also Selbstbeteiligung. Welche gesundheitspolitischen Gefahren dem entgegenstehen, wissen Sie ganz genau.. Deswegen lehnen wir das ab. Im Bereich der Investitionen aber, im Krankenhausbereich — das ist nun einmal der kostenaufwendigste Bereich im ganzen Gesundheitswesen — wollen wir diesen Steuerungsmechanismus mit der Möglichkeit, die Eigenbeteiligung über den Pflegesatz zu erwirtschaften.Damit haben wir natürlich erreicht, daß es — abgesehen von denen, die bereit sind, hierfür die Verantwortung zu übernehmen — niemanden gibt, der diese Regelung mit Beifall bedenkt. Hätten wir keine Überwälzung auf den Pflegesatz vorgesehen, dann hätten wir sicherlich die Krankenkassen mit ihren Verbänden hinter uns, dann hätten wir die
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1912 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
JaunichSozialpartner hinter uns und sicherlich noch eine Reihe anderer. Indem wir sagen: Dies können wir den Krankenhausträgern nicht zumuten, müssen wir eben riskieren, daß wir rundum in der Kritik stehen.Ich darf aber auch .die Deutsche Krankenhausgesellschaft an ihre Stellungnahme erinnern, die sie im Jahre 1971 abgegeben hat. Am 17. Februar 1971 hat sie in einem Telegramm an den damaligen Bundeskanzler Brandt noch einmal gefordert, daß nur die Ersterrichtungskosten durch die öffentliche Hand finanziert werden und die übrigen Kosten von den Benutzern bzw. deren Versicherungsträgern aufgebracht werden. Das heißt also, daß die Deutsche Krankenhausgesellschaft seinerzeit überhaupt nichts. gegen eine Übernahme dieser Reinvestitionskosten in voller Höhe in den Pflegesatz einzuwenden hatte, während doch viele Institutionen und Verbände aus diesem Bereich und insbesondere die Vertreter der freien gemeinnützigen Krankenhäuser aus dem kirchlichen Bereich gegen die staatliche Investitionsförderung der Krankenhäuser waren. Die hätten seinerzeit am liebsten alles über die Pflegesätze geregelt. Das wäre ja nun wirklich keine Maßnahme gewesen, die überhaupt einmal zu sozial tragbaren Pflegesätzen geführt hätte.
— Herr Kollege zu Sayn-Wittgenstein, diese Frage kann man nicht mit Ja oder Nein beanworten. Sie wissen ganz genau, daß es ein sehr differenziertes Angebot an Pflegesätzen gibt, daß es sehr hohe gibt und daß es geringe gibt. All unser Bemühen muß darauf gerichtet sein, einen Pflegesatz zu erreichen, der sozial tragbar ist für diejenigen, die das Ganze bezahlen müssen. Machen wir uns doch nichts vor. Dieses Ziel können wir nur erreichen, wenn wir die vorhandene Bettenkapazität ein wenig reduzieren.
— Lassen Sie uns hier nicht nach Aachen ausweichen. Ich merke, daß Sie versuchen, einen Nebenkriegsschauplatz zu eröffnen. — Ich sehe, daß die Lampe leuchtet. Ich kann also nicht mehr darauf eingehen.Wir sind uns wohl darüber im klaren, daß wir zu einer Stabilisierung in diesem Bereich nur dann kommen können, wenn wir die Anzahl der vorhandenen Betten reduzieren bzw. in ihrer Zweckbestimmung umwidmen. Deswegen ist für uns die Arbeit an diesem Thema mit der Verabschiedung dieses Gesetzes morgen in dritter Lesung nicht abgeschlossen, sondern dann gehen wir erneut an das Thema heran. Ich darf in diesem Zusammenhang an unseren Entschließungsantrag erinnern, der die Bundesregierung auffordert, ein umfassendes Konzept krankenhausentlastender Einrichtungen von Sozialstationen bis zur Umwidmung von Krankenhäusern in Pflegeheime vorzulegen, weil wir wissen, daß dieses Thema mit der morgigen Beschlußfassung nicht abgeschlossen ist, sondern weiterer Bearbeitung durch uns alle bedarf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ehe ich mich dem speziellen Teil „Krankenhaus" zuwende, möchte ich einige Vorbemerkungen machen, da mich sowohl Frau Kollegin Dr. Neumeister als auch Herr Kollege Dr. Becker persönlich angesprochen haben.Vorweg eine allgemeine Bemerkung. Ich habe vorhin schon einmal — das darf ich kurz wiederholen — festgestellt, wie sachlich die Diskussion im Ausschuß war. Da die Anträge, die hier heute begründet worden sind, auch vorhin zum Rentenversicherungsteil, ja dieselben Anträge sind, die im Ausschuß schon vorlagen, bin ich sehr überrascht, wie anders plötzlich, wie aggressiv plötzlich, wie von Verbandszeitschriften beeinflußt plötzlich diese Begründungen hier im Plenum vorgetragen worden sind, wie oft das Wort „Dirigismus", wie oft das Wort „staatlicher Eingriff", wie oft das Wort „gegen die Selbstverwaltung" heute hier verwendet worden sind, obwohl wir eigentlich im Ausschuß in vielen Fragen gerade in diesem Bereich gar nicht so weit voneinander entfernt waren und bloß feststellten, daß Sie eben — das ist das gute Recht der Opposition — da und dort nicht mitgehen können. Viele Dinge aus dem Bundesrat habe n wir gemeinsam gemacht. Es war auch klar, daß Sie das hier noch einmal beantragen würden. Nur die Art der Beantragung! Wenn ich das Telegramm lese, das ich vor wenigen Minuten vom Deutschen Ärztetag bekommen habe und in dem steht, was wir alles tun sollten, oder wenn ich das Flugblatt mit so und so vielen Unterschriften lese, das ich vor wenigen Tagen von den Ersatzkassen bekommen habe,
so handelt es sich um Schriftstücke, die leider Gottes im Tenor dem ähnlich sind, was ich hier bedauerlicherweise gehört habe.Frau Dr. Neumeister, ich habe hier vorhin — das sage ich noch einmal — im Zusammenhang mit dem Vorwurf „Einheitsversicherung", mit dem Vorwurf „Einschränkung der Selbstverwaltung" — beide Vorwürfe weise ich nochmals ganz klar zurück — gesagt: Das, was die Ersatzkassen in Rundschreiben usw. veranstalten, scheint mir doch sehr interessenbetont. Dies betone ich hier noch einmal gerade deshalb, weil ich vorhin die Vertreter der Selbstverwaltung, Arbeitgeber und Gewerkschaften, als gute Zeugen für die Stärkung der Selbstverwaltung durch dieses Gesetz herangezogen habe, und gerade auch deshalb, weil ich in den letzten Jahren in manchen Diskussionen in diesem Hause, bei denen es auch um die Erhaltung der Gliederung der Kran-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1913
Schmidt
kenversicherung ging, sehr gekämpft habe. Ich gedenke, weiter so zu kämpfen. Aber in diesen Fragen sehe ich keinen Eingriff. Wir Freien Demokraten sehen hier die Stärkung der Selbstverwaltung.Eine Bemerkung zum gesundheitspolitischen Programm, weil der Kollege Dr. Becker aus meiner Rede in Frankfurt und auch aus der Präambel zitiert hat. Einzelheiten, wieviel aus diesem Programm in diesem Gesetzentwurf steht, hat Herr Kollege Cronenberg hier vorgetragen. Ich möchte empfehlen, einmal eine Synopse von Kostendämpfungsgesetz und Gesundheitsprogramm der FDP zu erstellen; vielleicht können wir das tun. Dann würden Sie sehr schnell feststellen, daß die Grundsätze, die wir damals festgelegt haben und die vom Grundwert der Freiheit des Menschen in unserem Gesundheitswesen ausgehen, durchgängig in das Kostendämpfungsgesetz übergegangen sind, und daß ich meine Einbringungsrede, die ich damals gehalten habe, genauso wieder morgen oder übermorgen halten und sagen könnte: Hier haben wir im Kostendämpfungsgesetz diese und jene liberale Maßnahme auf der einen Seite zur Stärkung des gesamten gegliederten Systems und auf der anderen Seite zur Kostendämpfung in diesem System niedergelegt.Nun aber zum Krankenhausbereich, mit dem ich mich an sich allein beschäftigen wollte. Herr Kollege Höpfinger, was Sie sagten, klang natürlich nach einem der Briefe, die man von Interessenten aus diesem Bereich bekommt. Wenn Sie das, was hier an Vorstellungen zur Kostendämpfung niedergelegt ist, mit Parteivorstellungen in einem Orientierungsrahmen vergleichen, dann sind wohl die Vorstellungen in diesem Orientierungsrahmen richtig gewesen; denn auch Sie wollten bei der konzertierten Aktion einen Orientierungsrahmen, Orientierungsdaten, wenn ich das richtig sehe. So steht es nämlich in Ihrem Antrag dazu. Aber wenn andere von Orientierungsdaten reden, ist das natürlich etwas anderes. Es ist doch auch merkwürdig, Herr Kollege Höpfinger, daß bei aller differenzierten Beurteilung des Kostendämpfungsgesetzes durch die Ärzteschaft der Marburger Bund noch auf dem Ärztetag dem Krankenhausteil, nachdem der Ausschuß auch noch den Beirat zur Stärkung des wirtschaftlichen Überblicks wieder eingeführt hat, sein volles Plazet gegeben hat. Dies sind ja immerhin die Ärzte, die an den Krankenhäusern tätig sind. Wenn das alles so wäre, wie Sie hier behaupten, hätten doch wohl kaum diese Ärzte, die an allen Krankenhäusern tätig sind, zugestimmt.
— Lesen Sie bitte, was am vorigen Sonntag oder Montag vom Marburger Bund verabschiedet worden ist. Ich habe mich gerade noch einmal bei jemandem erkundigt, der dabei war und der auch hier ist.
— Nein, ich habe mich nur noch einmal erkundigt, weil ich es erfahren hatte, und wollte es genau wissen. Es stimmt.Herr Kollege Höpfinger, ich habe Verständnis dafür, daß Sie aus Ihrer früheren Tätigkeit als Vorsitzender des sozialpolitischen Ausschusses im Bayerischen Landtag natürlich die Landeskompetenz im Krankenhausbereich mit allen Mitteln verteidigten. Ich habe aber kein Verständnis dafür, wenn Sie das, was hier vorgelegt wird und was zur besseren Planung in diesem Bereich, zur Kostendämpfung dient, nun so beurteilen, daß es ein dirigistischer Eingriff in das Krankenhaus sei. Was muß denn in diesem Bereich geschehen, meine Damen und Herren? Ich habe heute früh schon kurz darauf hingewiesen. Wie haben denn die Länder das Krankenhausfinanzierungsgesetz bisher ausgeführt? Sie haben gesagt: versprochen und nicht gehalten. Die Länder haben dieses Krankenhausfinanzierungsgesetz bisher einseitig ausgenutzt, aber die gleichzeitig notwendige Bedarfsplanung nicht auf den notwendigen Bedarf abgestellt. Herr Kollege Höpfinger, jetzt will ich es einmal ein bißchen deutlicher sagen. Ich habe es Ihnen auch schon im Ausschuß gesagt. Wenn nach dem Krankenhausgesetz jedes Krankenhaus unter 300 Betten als nicht förderungswürdig gilt und damit der größte Teil der Krankenhäuser in der Fläche mit dem kw-Vermerk versehen wird, sobald in der Kreisstadt die Bettenburg gebaut ist, dann ist doch die Planung nicht in Ordnung. Wenn wir gleichzeitig von jedem Landesminister hören, wir haben zu viele Betten, wenn wenn wir selbst von den Krankenhausträgern hören, wir haben zu viele Betten, dann hat man doch hier am Bedarf vorbeigebaut. Im Haushaltsstrukturgesetz haben wir in Bonn eben die Konsequenz gezogen und haben gesagt: Soviel darf nicht mehr neu gebaut werden, solange nicht eine echte Planung vorhanden ist, die vom echten Bedarf ausgeht. Was haben einige Länder — leider auch Bayern und Baden-Württemberg, bei anderen weiß ich es nicht so genau — gemacht? Die haben sofort gesagt: Vom Bund kommt weniger Geld, dann stocken wir aus eigenen Mitteln auf, damit wir unsere falschen Pläne weiterverfolgen können. So ist es zumindest in Bayern und Baden-Württemberg geschehen.
Herr Kollege Höpfinger, Sie waren selbst noch im Landtag und haben das wahrscheinlich mitgemacht. Soll ich Ihnen noch das Beispiel Augsburg im einzelnen erzählen? Wir werden uns noch über das Großklinikum Augsburg mit seinen 1 400 Betten unterhalten. Darauf können Sie sich verlassen. Wir werden das nämlich dann tun, wenn vier kleine Krankenhäuser, von denen drei modern ausgestattet sind, deshalb in wenigen Jahren geschlossen werden, weil Sie vorher nicht in der Lage waren, die Bedarfsplanung zu bremsen.Deshalb ist es notwendig, daß in diesem Bereich durch die Kostenträger die Kostenbremse angezogen wird, nicht durch den Staat, sondern durch diejenigen, die mit den Krankenhäusern verhandeln müssen. Deshalb ist in diesem Gesetz auch die Eigenbeteiligung bei den Investitionen angesprochen, nicht damit nun fleißig weitergebaut wird, sondern als Bremse, damit die Dinge überprüft werden.
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1914 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Schmidt
Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Mein eigener Oberbürgermeister hat mir gesagt, sie wollten auch schon wieder für 45 Millionen DM anbauen. Ich habe ihm daraufhin gesagt: Überlege dir einmal, wo du dann die 4,5 Millionen DM hernimmst, die du jetzt nämlich nicht mehr so ohne weiteres als Zuschuß bekommst. Darauf hat er gesagt: Verflixt noch mal, dann muß ich mir doch überlegen, ob wir das nicht kleiner oder ob wir nicht vielleicht etwas anderes machen können.Dort muß man ansetzen, vor der Planung muß man sich überlegen, ob überhaupt gebaut werden soll. Man muß erst einmal den Bettenbedarf prüfen, die Krankenhäuser gewissermaßen nach Schwerpunkten abtasten, erst einmal die Konkurrenz zwischen zwei Häusern nebeneinander abbauen und kooperieren und sollte erst dann wieder, wenn notwendig, investieren. Das sind doch Dinge, die nur über eine Beschränkung der Kosten möglich sind.
— Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, es ist hier mehrmals gesagt worden, aber ich sage es gern noch einmal: Die Eigenbeteiligung ist im Gesetz so konstruiert, daß sie nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung für andere Häuser führen kann. Ich habe die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition im Ausschuß darum gebeten, mir einen Beweis dafür zu liefern, daß die Regelung, wie wir sie noch in letzter Minute formuliert haben, weil uns die anderen Regelungen nicht ganz so sicher erschienen, geändert werden müßte. Denn eines ist klar — das sage ich hier für die Freien Demokraten —: Die Eigenbeteiligung darf nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Die Refinanzierung muß voll und ganz über den Pflegesatz erfolgen. Dies wird aber durch das Gesetz abgedeckt. Das ist völlig klar.
— Ich habe die Damen und Herren von der Opposition ein paarmal gebeten: Sagt mir einmal eine andere Formulierung, die das besser absichert. Es ist keine einzige andere Formulierung gekommen.
— Sie können morgen früh gern noch einen Antrag stellen, dieses oder jenes Wort anders zu formulieren, um die Sache noch sicherer zu machen. Ich wäre sofort bereit, ja dazu zu sagen. Aber bisher haben Sie nichts dazu gesagt. Sie haben nur nein gesagt. Dies muß hier noch einmal gesagt werden.Wenn sie dann mit einem Ihrer Änderungsanträge den Gewinn- und Verlustausgleich wiederherstellen wollen, dann ist doch der letzte Anreiz für ein Haus, wirtschaftlicher zu arbeiten, dahin. Selbst die Krankenhausträger, die Vertreter der Krankenhausgesellschaft, haben mir in meinem Zimmer, wo immer wir uns unterhalten haben, gesagt: Das müßte allerdings weg; zumindest der Anreiz, daß man das immer „ausmauscheln" kann — es lohnt sich offenbar nicht, wirtschaftlicher zu arbeiten —, den das Krankenhausfinanzierungsgesetz in diesem Punkt bietet, muß weg. Das wollen Sie aber auch nicht. Also heißt dies: es geht einfach so weiter sie bisher.Ich habe die Sorge, daß es trotz der zweijährigen Diskussion draußen — all diese Dinge bezüglich des Krankenhauses habe ich hier schon vor anderthalb Jahren einmal gesagt — und trotz der Erkenntnis, wir müßten eigentlich ein bißchen besser planen, angesichts des kommunalen und sonstigen Ehrgeizes: Unser Krankenhaus muß das größte sein, des Ehrgeizes der Chefärzte: Ich muß alles haben, obwohl ich es gar nicht das ganze Jahr über brauche, so weitergeht wie bisher. Das hat uns doch diese Kostenentwicklung gebracht, das hat doch dazu geführt, daß, wie wir in diesem Bereich sehen, am Bedarf vorbei investiert, gebaut worden ist. Das müssen wir in den Griff bekommen. Ich bin der Meinung, hier ist ein Ansatzpunkt dazu gegeben natürlich im Zusammenspiel mit den Ländern, natürlich im Zusammenspiel mit den Krankenhausträgern —, vom Kostenträger her durch Partnerschaft stärker auf diese Dinge hinwirken zu können.Nur dann, meine Damen und Herren, werden wir meines Erachtens dem Anspruch gerecht werden, dem wir alle gerecht werden wollen, dieses Gesundheitswesen in seiner Struktur und seiner Gliederung zu erhalten, es aber kostenmäßig entwicklungsmäßig so zu gestalten, daß wir es auch weiter finanzieren können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur zweiten Beratung des Krankenversicherungs-Kostensenkungsgesetzes liegen mir nicht vor. Es ist vereinbart worden, daß die Abstimmung morgen stattfindet.
Wir kommen dann zur zweiten Beratung des Neunten Anpassungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung. Hier ist vorgeschlagen worden, daß die vier Artikel des Gesetzentwurfs, Art. 1, 1 a, 2 und 3, und sämtliche vorliegenden Änderungsanträge in den Drucksachen 420, 421, 422, 423 und 424 gemeinsam beraten werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann stelle ich fest, daß das Haus damit einverstanden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
— Herr Abgeordneter Wehner, ob ich wie ein Mühlrad rede — —
— Entschuldigung, ich habe Sie mißverstanden.
— Ja, das ist richtig.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1915
BurgerIch wollte sagen: Zu später Stunde behandeln wir nun auch das Kriegsopfergesetz. Das ist ein weiterer Beweis dafür, mit welcher Hektik wir diese wichtigen Gesetze, die für 85 %, 90 % unserer Bevölkerung von großer Bedeutung sind, eben doch durchpeitschen. Auch im Kriegsopfergesetz geht es doch immerhin um weit über 2 Millionen Betroffene mit Angehörigen mehrere Millionen Menschen.Ich meine, es ist beinahe unwürdig, diese Probleme in dieser Hektik heute abend zu besprechen. Aber, wie gesagt, die Planung läuft so. Wir müssen versuchen, dies in der gebotenen Kürze zu tun.Meine Damen und Herren, ich möchte die fünf Anträge gemeinsam behandeln. Da es sich um Probleme handelt, die mit dem Bereich der Rentenversicherung sehr verzahnt sind, muß ich natürlich auch auf die allgemeinen, grundsätzlichen Entscheidungen, die heute und morgen gefällt werden, eingehen.Die Rentensanierung macht auch vor den Kriegsopferrenten nicht halt. Die Koalition aus SPD und FDP will mit einem redaktionellen Kunstgriff im Kriegsopferrecht und damit im gesamten sozialen Entschädigungsrecht eine entscheidende Weichenstellung vornehmen. Dies geschieht gleichsam auf leisen Sohlen, unbemerkt von vielen Versorgungsberechtigten und kaum registriert von der Öffentlichkeit.Die Koalition will mit der Neufassung des § 56 des Bundesversorgungsgesetzes nicht nur die vorgezogene Rentenanpassung rückgängig machen, sondern gleichzeitig auch die Bezugswerte für künftige Anpassungen zementieren. Damit geht sie noch wesentlich über das hinaus, was mit den Stimmen der Koalition bezüglich der künftigen Rentenerhöhungen in der Sozialversicherung morgen beschlossen werden wird.Ohne irgendwelche weiteren Diskussionen wird damit der Weg für die wahlweise Nettoanpassung im Kriegsopferrecht geöffnet. Diese ungenügend durchdachte Weichenstellung ist aus rechtssystematischen Gründen absolut falsch und sollte unter allen Umständen verhindert werden.Im festen Vertrauen auf Regierung und Parlament begrüßten die Kriegsbeschädigten, die Wehrdienstopfer und die Witwen die vom Bundestag seinerzeit einmütig beschlossene zeitgleiche und wertgleiche Anpassung der Versorgungsrenten mit den Versicherungsrenten. Grundlage — und dies ist entscheidend, meine Damen und Herren — dieser jährlichen Anpassung — so war es verstanden für alle Zeiten, so war es gesagt, so war es auch im Kriegsopferrecht klar und eindeutig versprochen — sollte das bewährte System der bruttolohnbezogenen Rentenversicherung sein. Nun soll das alles mit einem neuen § 56 des Bundesversorgungsgesetzes auf eine unsichere Basis gestellt werden.Für die betroffenen Kriegsopfer, für die Frauen, die in jungen Jahren ihren Mann verloren haben, für die Beschädigten, die schwerwiegende Gesundheitsschäden davongetragen haben, bringt diese Verschlechterung — das muß eindeutig festgehalten werden — eine weitere Unsicherheit für die Lebensplanung.
Kommt der Aufschwung wirklich? Wird die Arbeitslosigkeit beseitigt? Vermindert die Steuerlast die Nettoeinkommen? Wie hoch werden die Preise steigen? Meine Damen und Herren, das werden die bangen Fragen der Betroffenen in der Zukunft, an die Zukunft, hinsichtlich der Entwicklung sein.Da helfen — in Gottes Namen — auch die beruhigenden Worte des Herrn Sozialministers Ehrenberg nicht weiter. Wer vor der Bundestagswahl versicherte, die Rentner könnten beruhigt schlafen, dessen Vertrauen ist eben heute dahin.
Meine Damen und Herren, ich bleibe dabei: Die Koalition ist für die Hektik veranwortlich, mit der diese Verschlechterungen im Sozial- und Versorgungsrecht durchgepeitscht werden. Ich bleibe dabei: Diese hundert entscheidenden Veränderungen werden, wie ich meine, ein wenig einsam nur vom Bundestag diskutiert. Es war ja gar nicht möglich, den Sachverstand der Basis draußen und der Gruppen in der Partei einzusetzen. Sie fühlen sich überrannt und überrollt. Sie haben einmal gesagt: Wir wollen mehr Demokratie wagen. Aber es war ja technisch gar nicht möglich, diesen Sachverstand und dieses Mehr an Demokratie in den Parteibasen durchzusetzen.
Und wenn Sie mir heute abend ins Gesicht sagen können, daß die Abgeordneten im Ausschuß alle wichtigen und wesentlichen Eingaben sorgfältig studiert, gelesen und auch berücksichtigt haben, dann habe ich Respekt vor ihnen. Aber ich glaube kaum, daß viele Abgeordneten die Zeit hatten, diese Eingaben sorgfältig zu lesen.
-- Ich kann nicht etwas behaupten, was ich nicht beweisen kann. Aber ich halte das für fast unmöglich.Wenn die Auswirkungen dieser Beschlüsse in ihrem ganzen Ausmaß in den kommenden Jahren von den Betroffenen erkannt und verspürt werden, dann wird sich vielleicht Herr Ehrenberg wie einst Herr Apel vom Pferd getreten fühlen. Doch dann wird es leider zu spät sein.
Die Kriegsopfer werden durch die Auswirkungen der nun gefaßten Beschlüsse mehrfach betroffen. Das ist vielleicht noch gar nicht erkannt worden. Einmal geht es um die Rentenversicherung. Die Sozialversicherungsrenten werden ja mit den Leistungen aus dem Bundesversorgungsgesetz verrechnet. Zum zweitenmal werden die Kriegsopfer in der Kriegsopferversorgung betroffen. Und sie werden auch durch die Auswirkungen des Kostendämpfungsgesetzes betroffen.
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1916 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
BurgerDie als Aktualisierung getarnte Manipulation an der Rentenformel und die erklärte Absicht der Bundesregierung, die Bestandsrenten zunächst 1979 und 1980 an die Entwicklung der Nettoentgelte anzupassen, werden von uns nachdrücklich abgelehnt.
Durch die Neufassung des § 56 bekämen diese Rechtsverschlechterungen auch für die Kriegsopferversorgung Geltung. Dadurch würden sich auf die Dauer beträchtliche Leistungsverminderungen ergeben, und das Rentenniveau müßte absinken. Wir lehnen deshalb die Neufassung des § 56 ab, weil diese automatisch alle künftigen Korrekturen an der Rentenformel der Sozialrenten auch auf die Versorgungsrenten übertragen würde.Die CDU/CSU will die Beibehaltung der Bruttolohnbezogenheit der Renten und deshalb auch die Sicherung künftiger entsprechender Rentenanpassungen im Kriegsopferrecht. Jede Verschlechterung oder Verbesserung dieses Prinzips würde die Schere zwischen den Renten der Kriegsopfer und dem Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer weiter öffnen.Die Kriegsopferrenten sind in den letzten Jahren eben nicht stärker gestiegen als die Einkommen der Erwerbstätigen.
— Herr Kollege, das Zahlenspiel der Propagandamaschine der Bundesregierung hat die Öffentlichkeit getäuscht.
Eine wissenschaftliche Untersuchung ergab, daß der Abstand zwischen der Vollrente eines zu 100 % Kriegsbeschädigten und dem durchschnittlichen Einkommen aller Erwerbstätigen sich zwischen 1960 und 1975 von 22 % auf 50,5 % vergrößert hat.
Da kann man doch nicht sagen, daß die Kriegsopferrenten sich hinsichtlich der Steigerung mehr verbessert hätten als die Einkommen der Erwerbstätigen.
Der Rausch der Prozentzahlen hält der Realität nicht stand.
Wenn dies trotz Dynamisierung so geschehen ist, wie wird es in einigen Jahren aussehen, wenn wir diese Dynamisierung bremsen?
Die Bundesregierung redet bei jeder Gelegenheit darüber, was sie alles für die Kriegsopfer und Wehrdienstopfer getan hat. Von den Belastungen und Aufwendungen aber, die den Betroffenen immer wieder abverlangt werden, von ihren Beschwernissen und Schmerzen und den tagtäglich zu bringenden Opfern spricht sie nicht. Noch kürzlich wurde in der öffentlichen Diskussion die Zahl der Versorgungsberechtigten mit 2,4 Millionen angegeben. Im Januar 1977 waren noch 2,184 Millionen Kriegsopfer rentenberechtigt. Die Zahl ist also in drei Jahren um rund 200 000 zurückgegangen.Mit diesem Rückgang mindert sich natürlich auch die Summe der Staatsausgaben. Trotzdem wurden seinerzeit bereits im Haushaltsstrukturgesetz Leistungskürzungen beschlossen. Heute und morgen werden die Kriegsopfer erneut geschröpft.Als Ausgleich für diese künftigen Kürzungen im Kriegsopferhaushalt beantragt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erstens die Gewährung eines Kinderzuschlags nach § 33 b BVG bei Arbeitslosigkeit von Jugendlichen über 18 Jahren. Diese Regelung entspricht der gleichen Bestimmung wie beim Kindergeldgesetz. Kostenpunkt 100 000 DM per anno.Zweitens beantragen wir die Gewährung von Waisenrenten durch eine Änderung des § 45 BVG für Waisen, die keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz finden. Kostenpunkt etwa 1 Million pro Jahr.Drittens beantragen wir eine Verbesserung der Witwenbeihilfe gemäß § 48 Abs. 1 BVG, ein altes Anliegen von uns, das heftig umstritten ist.
Kollege Gansel, Sie werden mit alten Argumenten wieder Ihre Position verteidigen. Aber ich möchte ganz klar sagen: Es geht uns nicht darum, die Einkommensgrenze zu ändern. Die Einkommensgrenze soll bleiben. Es geht einzig darum, den 70-, 80- und 90 %igen wieder die Rechtsposition zu geben, wie sie vor dem Haushaltsstrukturgesetz gegeben war. Darum geht es einzig und allein.
Wir wollen viertens eine Änderung des § 56 Abs. 1 BVG, die sicherstellen soll, daß die Rentenanpassungen wie bisher nach den gestiegenen Bruttolöhnen erfolgen können. Wir nehmen natürlich die Hinausschiebung des Anpassungstermins um ein halbes Jahr hin. Das wird akzeptiert.Fünftens und letztens beantragen wir eine Änderung des § 89 Abs. 3 BVG. Damit soll sichergestellt werden, daß im Falle des Härteausgleichs laufende Leistungen vom Antragsmonat an gewährt werden, wie das auch früher immer der Fall war. Da geht es auch um eine Härte, die im Haushaltsstrukturgesetz beschlossen worden war.Im Gegensatz zur Koalition, die lediglich mit einem Entschließungsantrag strukturelle Verbesserungen in Aussicht stellen will, beantragt die CDU/ CSU hier und heute konkrete Maßnahmen. Eine bloß platonische Liebeserklärung genügt uns eben nicht.
Regierung und Koalition handeln im übrigen unglaubwürdig; denn der Finanzminister hat die eingesparten bzw. in den kommenden Jahren pro Jahr einzusparenden 420 Millionen DM bereits heute in der mittelfristigen Finanzplanung gekürzt. Das ist schlicht gesagt ein sozialpolitischer Vertrauensbruch.
Die Position der CDU/CSU im Bereich der Kriegsopferversorgung ist eindeutig. Sie trägt die Verschiebung der Anpassung mit, aber hält an der bewährten Rentenformel fest. Sie beantragt struktu-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1917
Burgerrelie Verbesserungen und Abbau von Härten zum Ausgleich der erheblichen Einsparungen im Kriegsopferetat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?
Bitte, Herr Cronenberg. Cronenberg : Herr Kollege, geben Sie mir zu,
daß es sich nicht um eine Einsparung von 420 Millionen DM handelt, die sich auf Grund der einmaligen Verschiebung des Anpassungstermins jährlich wiederholen wird, sondern daß es sich um eine einmalige Einsparung handelt, daß also nicht jährlich 420 Millionen DM für strukturelle Maßnahmen ausgegeben werden können?
Herr Kollege, das ist eine fortwirkende Korrektur.
Jedes Jahr wird ein halbes Jahr später angepaßt. Das ist mit Adam Riese ganz gut auszurechnen. Jedes Jahr werden Einsparungen gemacht, die haushaltsmäßig allerdings nur einmal eingesetzt werden. Das ist ein Spiel mit Worten, Herr Cronenberg. Aber das ist eine Kürzung, die auf Dauer wirkt.
Meine Damen und Herren Sozialdemokraten und Freie Demokraten, Sie sind 1969 mit dem Versprechen angetreten, mehr soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen.
1957 wurde unter Konrad Adenauer die Rentenreform beschlossen. Wir waren stolz auf dieses Werk, das unseren älteren Mitbürgern soziale Sicherheit brachte. 1977, 20 Jahre danach, wird dieser soziale Besitzstand gefährdet. Sie haben nicht Wort halten können.
Beinahe alle politischen Probleme sind ökonomisch. Sie haben, meine Damen und Herren von der Koalition, in den letzten Jahren nicht gut rechnen können. Sie haben nicht gut gewirtschaftet. Hätten Sie nicht so dick aufgetragen, dann hätte die Farbe gereicht. Dieses Wort Ihres Alt-Bundeskanzlers, seinerzeit gesprochen zu dem früheren Finanzminister Möller, ist heute Wahrheit geworden, ist sichtbar geworden. Jetzt ist die Stunde des Parlaments, meine Damen und Herren; sie sollte nicht ungenutzt verstreichen.
— Herr Wehner, dies ist die Wahrheit.
— Es ist gleich 11 Uhr; wir werden auch gleich zum Schluß kommen.
Auch in der Vergangenheit haben die Abgeordneten des Parlaments Vorschläge der Regierung korrigiert. Immer hat der Deutsche Bundestag versucht, einen gemeinsamen Weg zu finden, um Härten zu beseitigen und diejenigen Hilfen anzubieten, die, wie wir meinen, notwendig sind. Halten Sie doch an dieser guten Tradition fest und stimmen unseren Anträgen zu. Sie sind heute nicht müde geworden zu versichern, daß Sie an der bruttolohnbezogenen Rente festhalten wollen. Seien sie nun konsequent und stimmen Sie unserem Antrag auf Erhaltung des alten § 56 zu. Dann haben Sie nämlich den Beweis erbracht, daß Sie es mit dem ernst meinen, was Sie heute wiederholt versprochen haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn es jetzt schon 22.30 Uhr ist, so besteht doch, meine ich, kein Anlaß, die Arbeit des Parlaments zu später Abendstunde schlechter zu bewerten als die am frühen Morgen.
Wenn dies die Stunde des Parlaments ist, dann ist das eine Stunde wie jede andere auch, und der Vorwurf der Hektik paßt nicht, wie überhaupt mancher Vorwurf nicht paßt. Denn, Herr Burger, auch wenn man sich für die Beratung der Änderungen im Rentenrecht und in der Krankenversicherung sicherlich noch etwas mehr Zeit hätte wünschen können, so ist doch jedenfalls für die Beratung des Anpassungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung ausreichend Zeit gewesen. Hier von Zeitdruck zu sprechen, ist in keiner Weise angebracht.Herr Burger, Sie sind noch einmal auf das Thema von heute morgen eingegangen und haben die Entdeckung der Kleinrentner durch Herrn Franke wiederholt. Wenn ich noch einmal darauf antworte, dann nur deshalb, weil in dieser Entdeckung des Kleinrentners auch etwas Positives steckt: die Opposition lernt. Denn als Sie, meine Damen und Herrn, im Jahre 1969 das letzte Mal Regierungsverantwortung hatten, legte Ihre Fraktion ein Arbeitsprogramm vor, ein sogenanntes Sozialpolitisches Schwerpunktprogramm, aus dem ich zitieren darf, Herr Präsident; denn es verdient in Erinnerung behalten zu werden. Dort hieß es:Die Bereinigung des Problems der sogenannten Kleinrenten im Rahmen des Rentenversicherungsrechts ist nicht möglich. Soweit eine Kleinrente einzige Einkommensquelle ist, kann zusätzlich Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz in Anspruch genommen werden.Sie haben inzwischen gelernt.Sie haben in demselben Jahr in Ihrem Argumentationskatalog für den Bundestagswahlkampf geschrieben — ich darf daraus zitieren: Fragen und
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1918 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
GanselAntworten, herausgegeben von der CDU, August 1969 —:Wenn es noch niedrige Renten gibt, so liegt das daran, daß nicht genügend Beiträge geleistet worden sind. Würde man diese niedrigen Renten aus dem allgemeinen Beitragsaufkommen erhöhen, so müßte dies zu Lasten der übrigen Renten gehen.Wenn Sie heute Ihre Position revidieren, wenn Sie ein neues Problembewußtsein entwickeln, so finde ich das bemerkenswert. Sie haben gelernt, und wir müssen uns darüber freuen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geisenhofer?
Bitte sehr.
Herr Kollege Gansel, würden Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß der Gesetzentwurf zur Einführung der Mindestrente gerade für 1,4 Millionen Kleinrentner von der CDU/ CSU eingereicht und 1972 auch durchgesetzt worden ist? Das widerspricht dem, was Sie gesagt haben.
Dies kann ich nicht bestätigen; denn jedermann in diesem Hause weiß, daß Sie es 1972 nicht durchsetzen konnten, da Sie in diesem Haus nicht über die Mehrheit verfügten. Das war die sozialliberale Koalition.
Auf das Thema der Kleinrentner bin ich noch einmal eingegangen, weil sich nicht nur hier, sondern auch in der Kriegsopferversorgung und anderswo zeigt, daß die Opposition durchaus lernfähig ist, und das ist ein optimistischer Ausklang am späten Abend, den man hinreichend würdigen muß.
Sie haben eine Reihe von Anträgen gestellt, von denen drei nur bloße Wiederholungen von Bundesratsanträgen sind. Wir haben sie im Ausschuß beraten, wir haben darüber abgestimmt. Wir werden sie hier mit der gleichen Begründung wie im Ausschuß ablehnen; sie hat sich nicht geändert. Ich darf wegen der Einzelheiten auf den Ausschußbericht verweisen.Folgendes scheint mir jetzt bemerkenswert zu sein. Erstens: Wenn Sie heute verlangen, daß die Regelung aus dem Bundeskindergeldgesetz, nämlich die Verlängerung der Bezugsmöglichkeiten über das 18. Lebensjahr hinaus bis zum 23. Lebensjahr, wenn kein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, auf das Kriegsopferrecht übertragen werden soll, so akzeptieren Sie damit, daß dieser unser Vorschlag richtig ist. Damals haben Sie ihn heftig kritisiert, Sie forderten Arbeitslosenhilfe, und Sie forderten einen Bezug bis zum 27. Lebensjahr. Wenn Sie sich heute auf diese unsere Grundposition stellen, so ist das ein Fortschritt. Sie haben gelernt, und das ist in Ordnung. Sie übersehen dabei allerdings, daß Ihr Vorschlag zum § 33 b im wesentlichen nur die Bezieher von Versorgungsleistungen betrifft, die im Ausland wohnen, und gerade dort gilt das Argument der Jugendarbeitslosigkeit, auf Grund derer wir sie innerhalb der Bundesrepublik zu lösen und zu lindern versuchen, nicht mit der Begründung.
Wenn Sie schließlich im § 45 b eine besondere Regelung für die Waisen fordern, so ist das ein Vorschlag, dem wir grundsätzlich offen gegenüberstehen. Wir haben ihn aber seinerzeit im Rahmen der Reform des Bundeskindergeldgesetzes nicht aufnehmen können, und zwar im wesentlichen — das wissen Sie wie wir — aus Gründen der Kosten. Wenn wir jetzt eine Sonderregelung im Kriegsopferrecht einführen, so hat dies unbedingt Konsequenzen auf die Rentenversicherung und auf die Unfallversicherung. Dies ist zur Zeit nicht machbar; aber das Anliegen ist im Grunde berechtigt.Es bestätigt noch einmal unsere Lösung aus dem Sommer letzten Jahres.Zweitens: Der andere Punkt, in dem Sie dazugelernt haben, ist § 48. Dabei geht es um die Frage, unter welchen Umständen eine Witwen- oder Waisenbeihilfe gewährt werden soll, wenn der Versorgungsberechtigte nicht an den Folgen seiner Kriegsbeschätligung gestorben ist. Wir haben diesen Paragraphen im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes geändert. Damals haben Sie vor allen Dingen angegriffen, daß wir die sogenannte Bedürftigkeitsgrenze herabgesetzt haben. Diese Bedürftigkeitsgrenze betrug damals — das war im Januar 1976 — bei Witwen 2 760 DM monatlich. Wir haben dann durchgesetzt, daß es damals auf 1 530 DM herabgesetzt wurde. Heute liegt diese Grenze bei 2 125 DM. Sie haben diese Grenze, die Sie damals so heftig attackiert haben, heute akzeptiert. Sie haben gelernt. Das ist in Ordnung, und wir sollten das anerkennen.Wenn Sie jetzt die Erleichterung des Bezuges dieser Leistung fordern, so übersehen Sie dabei, daß die gesetzliche Fiktion des § 48, die Sie hier erweitern wollten, auch Auswirkungen auf andere, ähnliche Versorgungsleistungen haben müßte. Es ist aber akzeptabel, daß dann, wenn eine Versorgungsleistung erbracht wird, wenn der Versorgungsberechtigte nicht an den Folgen seiner Beschädigung verstorben ist, wenn er also auch andere Versorgungsansprüche hat, eine Einzelfallprüfung möglich sein muß. Im übrigen haben wir damals eine Reihe von Ausnahmen geschaffen. Sie gelten weiter fort. Im Grunde genommen habe ich den Eindruck — ich will nicht gehässig sein —, daß ein Stückchen Rechthaberei darinsteckt, dieses Thema noch einmal zu aktualisieren. Vielleicht ist es auch nur eine Pflichtleistung gegenüber Ihrem und unserem alten Kollegen Eugen Maucher, der sich bei diesem Paragraphen immer besonders engagiert hat.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977 1919
GanselDrittens: Ein anderer Punkt, bei dem Sie gelernt haben, ist § 56. Mit Ihrem Änderungsantrag bezwecken Sie zweierlei: Zum einen wollen Sie die Höhe der regelmäßigen Anpassung der Kriegsopferrenten anders regeln als im Regierungsentwurf.
Darüber kann man ja diskutieren. Nun, wir haben seinerzeit die Dynamisierung mit dem ausdrücklichen Argument durchgesetzt, eine Gleichbehandlung mit den Rentnern in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erreichen. Wenn genau diese Gleichbehandlung mit einem wortwörtlichen Verweis auf die Anpassungssätze der gesetzlichen Rentenversicherung jetzt erstmalig im Gesetz festgeschrieben wird, dann ist dies jetzt endgültig und voll festgeschrieben, so wie wir es seinerzeit alle verlangt haben. Ich verstehe also nicht, warum Sie hier einen anderen Anpassungssatz festschreiben wollten, als er für die Rentner in der gesetzlichen Rentenversicherung möglich ist.Zum anderen wollen Sie den Anpassungstermin auf den 1. Januar festschreiben. Damit kommen Sie der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen voll entgegen. Denn genau dies — nicht nur wertgleiche, sondern auch zeitgleiche Anpassung an die gesetzliche Rentenversicherung — war unser Vorschlag. Wir haben damals die hochtönenden Worte, die von Ihren Kollegen vor Verbänden und anderswo gesprochen worden sind, verfolgt
— ich habe Ihre Äußerungen, Herr Kollege Burger, weniger in Erinnerung als die des Kollegen Geisenhofer —, und wir stellen jetzt ein Stückchen Einsicht fest. Auch das empfinde ich als ein Beispiel Ihrer Lernfähigkeit: daß nach der sehr demagogischen Debatte über die Kriegsopferversorgung im März jetzt ein sachlicher Beitrag gekommen ist. Sie haben, wie gesagt, gelernt, und das sollte man anerkennen.Im übrigen, Herr Burger, bleiben Sie sich jetzt wenigsten teilweise treu, da Sie schon in vergangenen Jahren hier im Bundestag — ich darf zitieren, Herr Präsident — gefordert haben:Es wäre mit den Grundsätzen eines sozialen Rechtsstaats nicht vereinbar, wenn nicht auch für die Kriegsopfer die Leistungsverbesserungen zum gleichen Zeitpunkt einträten. Die Übernahme der Rentendynamisierung aus der gesetzlichen Rentenversicherung in die Kriegsopferversorgung ab Januar 1970 beinhaltet ja nicht nur ein mathematisches System, sondern meint vor allen Dingen Zweck und Ziel einer fortschrittlichen Regelung. Wir fordern deshalb eine nicht nur wertgleiche, sondern auch zeitgleiche Anpassung der Versorgungsrenten.So der Abgeordnete Burger vor wenigen Jahren im Deutschen Bundestag, so exakt die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen heute.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen. Auf Vorschlag der Koalitionsfraktionen hat der Ausschuß dem Plenum eine Entschließung vorgelegt, die wir sicherlich einstimmig verabschieden werden. Auch da erweist sich die Opposition als lernfähig, die darauf verzichtet hat, einen eigenen, unrealistischen Antrag vorzulegen. Wir haben gefordert, daß im Hinblick auf die Entlastung des Bundeshaushalts durch die Verschiebung des Rentenanpassungstermins in der Kriegsopferversorgung so bald wie möglich ein Gesetzentwurf vorgelegt werden soll,
der notwendige strukturelle Leistungsverbesserungen im Bereich des Bundesversorgungsgesetzes zum Gegenstand hat, und wir haben gefordert, die für diese Verbesserung erforderlichen Mittel in die Haushalts- und Finanzplanung des Bundes aufzunehmen. „So bald wie möglich" heißt: spätestens mit dem nächsten Anpassungsgesetz. Darüber ist im Ausschuß sachlich diskutiert worden. Wir haben uns im Ausschuß auch ganz sachlich darüber unterhalten können, daß die Bundesregierung bei der mittelfristigen Finanzplanung an ihre eigenen Gesetzesvorlagen gebunden ist. Deshalb war es für den Finanzminister nicht möglich, jetzt Mittel in die Planung hineinzustellen, die von uns ausgabenmäßig in den nächsten Jahren ja erst beansprucht werden müssen.Wir werden uns dafür einsetzen, daß die Kriegsopfer wie in der Vergangenheit auch in Zukunft das Ihre bekommen. Wir werden dabei die Verbände — „die Basis", wie Sie gesagt haberl — gebührend berücksichtigen. Wir werden mit ihnen die Einzelheiten diskutieren. Deshalb ist es auch sinnvoll, diese Strukturmaßnahmen in aller Ruhe und Gründlichkeit zu beraten. Mit einem kurzfristigen Profilprogramm, das die Opposition jetzt auf den Tisch gelegt hat, ist nicht geholfen. Den Kriegsopfern helfen wir durch eine solide, kontinuierliche Sozialpolitik.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem der Kollege Gansel sehr ausführlich die Gründe dargestellt und doch sehr deutlich klargestellt hat, wie sich gerade in dieser Frage die Opposition lernfähig zeigt, und ich auch schon bei meinem ersten Auftreten heute früh einiges gesagt habe, möchte ich nur drei Bemerkungen machen.Erstens. Herr Kollege Burger, ich halte es nicht für gut, in diesem Zusammenhang von einem Kunstgriff zu reden. Es ist in diesem Bereich, in dem wir immer versucht haben, das Bestmögliche zu tun, kein schöner Begriff. Darüber, daß es hier darum ging und geht, die Verzahnung mit der Rentenversiche-
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1920 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 26. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Mai 1977
Schmidt
rung, auch wenn es einmal etwas schlechter geht, voll beizubehalten, ist genügend gesagt worden.Man sollte zweitens auch nicht vom „Schröpfen" der Kriegsopfer reden. Dann käme ich nämlich in Versuchung, an das Haushaltsjahr zu denken, als der Kollege Katzer seinem Finanzminister Strauß nach vielen Mühen die Mittel für die Kriegsopferversorgung wieder aus den Klauen nehmen mußte, die in der Finanzplanung schon gar nicht mehr enthalten waren.
Das war 1968/69; die Kollegen erinnern sich noch an das, was damals geplant war. Ich möchte solche Ausdrücke nicht gebrauchen, und ich möchte auch die gute Debatte, die sich hier ergeben hat, nicht zum Schluß noch verschärfen.Die dritte Bemerkung: Ich habe für die Freien Demokraten bereits im Ausschuß klar zum Ausdruck gebracht, daß auch wir der Auffassung sind, daß es von dem Augenblick an, wo durch die Verschiebung des Termins in einem Haushaltsjahr — und das ist dann praktisch mit dem nächsten Anpassungsgesetz möglich — Mittel frei werden — denn es werden Haushaltsmittel frei —, notwendig ist, darüber nachzudenken, wo bezüglich bestimmter Strukturverbesserungen Härteregelungen angesetzt werden können, wobei ich persönlich heute früh schon einmal den Bereich der Witwenversorgung angesprochen habe; da gibt es einiges, was man tun müßte. Ich möchte aber gleichzeitig hinzufügen — und der Kollege Cronenberg hat das ja durch eine Zwischenfrage schon etwas klargestellt —: Es kann natürlich nicht so sein, daß 425 Millionen DM über Verbesserungen — ich darf es einmal so hart sagen — in einem Gesetz verfrühstückt werden und dann schön in den Bundeshaushalt für die nächsten 10 oder 20 Jahre eingehen. Ich glaube aber, Sie meinen das auch nicht so. Wir müssen hier vielmehr klar dosiert sehen, was für die fortlaufende Zeit aus diesen freiwerdenden Mitteln möglich ist, und ich bin sicher, da werden wir uns auch einigen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur zweiten Beratung liegen nicht vor. Die Abstimmung in zweiter Beratung und die dritte Beratung finden morgen früh statt.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 13. Mai 1977, 9 Uhr ein und schließe die Sitzung.