Protokoll:
7027

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 7

  • date_rangeSitzungsnummer: 27

  • date_rangeDatum: 5. April 1973

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:03 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 27. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. April 1973 Inhalt: Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 1273 A Aussprache über den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaltsplans für das Haushaltsjahr 1973 (Haushaltsgesetz 1973) (Drucksache 7/250) in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1972 bis 1976 (Drucksache 7/370), mit Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1973 (Drucksache 7/419) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol (Drucksache 7/422) - Erste Beratung —, mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern (Zweites Bundesbesoldungserhöhungsgesetz) (Drucksachen 7/411, 7/442) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes über die Sechzehnte Rentenanpassung und zur Regelung der weiteren Anpassungen der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Drucksache 7/427) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Fünftes Anpassungsgesetz — KOV) (Abg. Geisenhofer, Dr. Althammer, Ziegler, Dr. Schulze-Vorberg, Dr. Riedl [München], Dr. Waigel, Maucher, Burger, Dr. Götz, Müller [Remscheid], Dr. Blüm und Fraktion der CDU/ CSU) (Drucksache 7/315) — Erste Beratung — Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) (zur GO) 1274 A Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . 1274 B Wehner (SPD) . . . . . . . 1283 B Dr. Graf Lambsdorff (FDP) 1285 C, 1341 B Brandt, Bundeskanzler . . . . . 1290 B Seiters (CDU/CSU) . . . . . . . 1297 C Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . 1302 B, 1330 D, 1334 A Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 1310 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 1317 A Schmidt, Bundesminister (BMF) . . 1319 D, 1333 C II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1973 Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 1334 B Dr. Arndt (Berlin) (SPD) . . . . . 1338 C Dr. Häfele (CDU/CSU) 1343 D Dr. Weber (Köln) (SPD) . . . . 1346 D Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 1349 C Damm (CDU/CSU) . . . . . . 1349 D Würtz (SPD) . . . . . . . . 1357 B Leber, Bundesminister (BMVg) . 1359 C Dr. Wörner (CDU/CSU) 1361 C Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) . . 1363 D Liedtke (SPD) 1365 D Groß (FDP) 1368 A Genscher, Bundesminister (BMI) . 1368 B Nächste Sitzung 1369 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 1371* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1973 1273 27. Sitzung Bonn, den 5. April 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 7. 4. Adams * 7. 4. Ahlers 6. 4. Dr. Aigner * 7. 4. Dr. Artzinger * 7. 4. Dr. Bangemann * 7. 4. Dr. Becher (Pullach) 6. 4. Behrendt * 7. 4. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 6. 4. Blumenfeld 7. 4. Buchstaller 6. 4. Dr. Burgbacher 6. 4. Buschfort 6. 4. Dr. Corterier * 7. 4. Frau Däubler-Gmelin 6. 4. Dr. Dregger ** 16. 4. Dr. Evers 6. 4. Fellermaier * 8. 4. Flämig * 7. 4. Frehsee ' 7. 4. Dr. Früh * 7. 4. Gerlach (Emsland) * 7. 4. Gewandt 7. 4. Härzschel * 7. 4. Hofmann 6. 4. Dr. Jaeger 6. 4. Dr. Jahn (Braunschweig) * 7. 4. Kahn-Ackermann** 7. 4. Kater 30. 4. Kirst 6. 4. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Klepsch* 7. 4. Lange * 7. 4. Lautenschlager * 6. 4. Dr. Lenz (Bergstraße) 5. 4. Frau Dr. Lepsius 7. 4. Löffler 6. 4. Lücker * 7. 4. Dr. Martin 7. 4. Frau Meermann 6. 4. Memmel * 7. 4. Mertes 6. 4. Mikat 6. 4. Müller (Mülheim) * 6. 4. Mursch (Soltau-Harburg) * 6. 4. Dr. Oldenstädt 6. 4. Frau Dr. Orth * 7. 4. Picard 7. 4. Richter ** 7. 4. Dr. Riedl (München) 18. 4. Frau Schleicher 6. 4. Schmidt (München) ** 7. 4. Schmidt (Wattenscheid) 7. 4. Frau Schuchardt 8. 4. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 6. 4. Dr. Schulz (Berlin) * 7. 4. Schwabe * 7. 4. Dr. Schwencke ** 7. 4. Dr. Schwörer * 7. 4. Seefeld* 8. 4. Spillecke 6. 4. Spilker 6. 4. Springorum * 7. 4. Dr. Starke (Franken) * 7. 4. Walkhoff * 7. 4. Dr. von Weizsäcker 5. 4. Frau Dr. Wex 6. 4. Wienand 6. 4. Frau Dr. Wolf ** 6. 4. Wrede 7. 4.
Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702700000
Die Sitzung ist eröffnet.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Richtlinien des Rates über die Landwirtschaft in Berggebieten
und in bestimmten anderen benachteiligten Gebieten
Drucksache 7/378 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend), Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung (EWG) des Rates
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte Spinnfasern, der Tarifnummer 56.04 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Republik Zypern
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Oberbekleidung für Männer und Knaben, der Tarifnummer 61.01 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in der Republik Zypern
— Drucksache 7.'382 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 26. Juni 1964 betreffend den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Rindern und Schweinen
— Drucksache 7/438 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung (EWG) des Rates
zur Verlängerung des Milchwirtschaftsjahres 1972/1973 zur Verlängerung des Vermarktungsjahres 1972/1973 für Rindfleisch
— Drucksache 7/437 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Wir fahren in der Beratung der Punkte 1 bis 6 der Tagesordnung fort:
1. a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1973 (Haushaltsgesetz 1973)

— Drucksache 7/250 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
b) Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplans des Bundes 1972 bis 1976
— Drucksache 7/370 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
2. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 1973
— Drucksache 7/419 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß (federführend)

Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol
— Drucksache 7/422 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß (federführend)

Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß
4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern (Zweites Bundesbesoldungserhöhungsgesetz)

— Drucksachen 7/411, 7/422 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
5. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sechzehnte Rentenanpassung und zur Regelung der weiteren Anpassungen der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung
— Drucksache 7/427 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
6. Erste Beratung des von den Abgeordneten Geisenhofer, Dr. Althammer, Ziegler, Dr. Schulze-Vorberg, Dr. Riedl (München), Dr. Waigel, Maucher, Burger, Dr. Götz, Müller



Präsident Frau Renger

(Remscheid), Dr. Blüm und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Fünftes Anpassungsgesetz — KOV — 5. AnpG-KOV)

— Druckache 7/315 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO

(Abg. Dr. Barzel: Ohne den Kanzler können wir kaum anfangen! Wir müssen warten, bis die Regierung da ist! — Abg. Leicht: Wir beantragen Unterbrechung!)

— Bitte, Herr Wagner, zur Geschäftsordnung!

Dr. Leo Wagner (CSU):
Rede ID: ID0702700100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU ist der Auffassung, daß diese Haushaltsdebatte einen so hohen Rang hat, daß die Anwesenheit der Bundesregierung und insbesondere die Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers, dessen Etat heute vorwiegend im Mittelpunkt der Diskussion stehen soll, erforderlich ist. Der Bundeskanzler ist nicht da. Wir beantragen deshalb Unterbrechung der Sitzung bis zu seinem Eintreffen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Oho-Rufe von der FDP.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702700200
Meine Damen und Herren, ich glaube in Ihrem Einverständnis zu handeln, wenn wir die Sitzung unterbrechen. — Wir unterbrechen die Sitzung bis 9.30 Uhr.

(Unterbrechung von 9.02 bis 9.27 Uhr.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702700300
Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Das Wort hat Herr Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0702700400
Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Es mehren sich — wir können das nicht übersehen — besorgte Stimmen im Inland und im Ausland, und dort gerade aus dem Munde von Wohlmeinenden für Deutschland.— und davon gibt es ja wohl keinen Überfluß in der Welt. Es mehren sich besorgte Stimmen, die fragen: Wohin geht die Reise der Bundesrepublik Deutschland?
Es hat keinen Zweck, diese Frage — und dann etwa noch beleidigt — zu übersehen. Es wäre falsch, und es wäre sogar unverantwortlich, wenn die Opposition diese Frage nicht aufgriffe, um Gelegenheit zur Antwort zu geben, und es wäre falsch, wenn der Kanzler selbst die Antwort in dieser Debatte schuldig bliebe. Zu lange nämlich hat der Bundeskanzler in seiner Partei, der SPD, tatenlos und schweigend zugesehen. Der Schaden ist unübersehbar eingetreten. Im Bundestag sollte dieses nachhaltig wirksame Versäumnis nicht wiederholt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dazu also muß gesprochen werden — von uns und von Ihnen. Diese Aufforderung ergeht, weil wir an die befreiende Kraft des rechten Wortes zur rechten Zeit am rechten Ort glauben. Die Zeit ist da. Und der Ort ist hier. Im Deutschen Bundestag, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Freilich müssen Wort und Tat in Einklang stehen. Der durch Schweigen bisher eingetretene Schaden ist schon groß genug. Aber es ist nie zu spät, und vor allen Worten, die wir möglicherweise heute hören werden, ist es notwendig, dann auch Taten zu sehen, die die Konsequenz der Worte sind.
Das, was ich hier einfüge, ist doch nicht etwa eine besorgte Äußerung oder gar eine Erfindung oder ein Popanz der Opposition für diese Debatte. Ich nehme z. B. zur Hand die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Montag dieser Woche, als ein Teil der öffentlichen Kontroverse begann. Da heißt es einmal: „Brandt: Anhänger der Kommunisten sollen gehen". Er sagt wörtlich — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:
Wer es mit dem Programm der Kommunisten hält, soll gehen.
Das heißt doch — wenn man darüber nachdenkt —, daß es in der SPD solche Männer gibt, die da aufgefordert werden zu gehen, weil sie es mit dem Programm der Kommunisten halten. So muß es doch wohl sein.

(Zuruf von der FDP: Und Blüm auch!)

— Nun sagen Sie mir nichts gegen unseren Kolle-
gen Blüm. Sie wären ganz froh, wenn Sie einen so
sachkundigen Progressiven in Ihren Reihen hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU.) Aber Sie kommen gleich dran.

Der Regierungssprecher von Wechmar sagte — alles aus derselben Zeitung, ich zitiere —:
Er sei sicher, daß sich das, was sich jetzt als
Antiamerikanismus manifestiere, uns auch in
einigen Monaten wieder verlassen haben wird.
Also testiert der Sprecher der Bundesregierung, daß hier Antiamerikanismus vorhanden ist.
Auf Ihre Zurufe gibt es eine Menge zu erwidern: Warum sagt der Bundesinnenminister, der Kollege Genscher, auf einem der Parteitage des Wochenendes — ich zitiere —:
Die FDP müsse ein Wächteramt erfüllen, damit ,die Bürger nicht die sozialistische Politik einer Minderheit ertragen müßten.
Das sind seine Worte; er ist Mitglied dieser Regierung.
Oder Herr Riemer sagte — ich zitiere —:
Die Liberalen müssen aufpassen, daß die Bundesrepublik nicht in einer autoritären Klassengesellschaft nach Jungsozialistenmuster lande.
Herr Mischnick warnt — ich zitiere immer aus derselben Zeitung —:
Sozialistische Abenteuer werde die FDP nicht zulassen.

(Beifall bei der FDP.)




Dr. Barzel
— Dann werden Sie bald antreten müssen! Da nützt es nämlich nicht, den Mund zu spitzen, da muß gepfiffen werden, meine Herren!

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Dieselbe Zeitung spricht dann von der Versäumnis und von der Schuld des Frankfurter Oberbürgermeisters an den dortigen Vorgängen. Das ist ein führender Sozialdemokrat. Ferner heißt ein Leitartikel: „Es geht nicht ohne Amerika." Das sind alles Zitate einer Zeitung.
Ich denke, damit ist belegt, daß wir hier von einem wichtigen und nötigen Thema reden. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, heute etwa „La Nation" lesen, werden Sie dies auch international ernst nehmen.
Nun ist die erste Lesung des Bundeshaushalts — das hat der Bundesminister der Finanzen gesagt — traditionell, so sagte er, „ein Ort für eine politische Generaldebatte". Wir stimmen dem zu, und ich füge hinzu: dies ist auch traditionell der Ort für notwendige politische Erklärungen sowohl der
Opposition wie der Regierung, d h. auch des Kanzlers. Sie haben bemerkt, daß wir eine etwas andere Opposition als in der letzten Periode machen: Die Regierung soll erst einmal die Chance haben, zu tun, was sie den Wählern versprach. Davon wird noch die Rede sein. Wenn es etwas gibt, dem wir zustimmen können, sagen wir dies und unterstreichen das auch noch. Deshalb stimme ich dem zu und habe mich gefragt: was gibt es noch in der Rede des Bundesfinanzministers, mit ,der wir uns beschäftigen müssen, weil der Kanzler, obwohl der Kollege Strauß ihm gestern Fragen gestellt hat, nicht oder, wie ich hoffe, noch nicht gesprochen hat?
Herr Kollege Schmidt, ich finde bei Ihnen zwei Ansätze und einen Hinweis, der mir hier beachtenswert erscheint. Freilich bin ich ungewiß, ob ich, indem ich dem einen Ansatz zustimme, Ihnen einen Gefallen tue; denn zu diesen Sätzen ist vor allem die Zustimmung Ihrer eigenen Freunde ungewiß. Das ist dieser Ansatz, ich zitiere:
Die Vereinigten Staaten von Amerika und die westeuropäischen Staaten müssen wissen, daß die Atlantische Allianz, wenn sie Bestand haben soll, sich nicht auf eine außen- und verteidigungspolitische Kooperation beschränken darf, sondern daß sie dringend der ökonomischen Kooperation bedarf, von der Währungspolitik und von der nationalen Kreditpolitik bis zur Handelspolitik, bis zur Entwicklungshilfe. Eine politische Kontinentaldrift zwischen den USA und den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft könnte auf die Dauer für alle Beteiligten verhängnisvolle Folgen haben.
Der Kollege Strauß hat gestern ausdrücklich für uns dieser Passage zugestimmt. Ich schließe daran die Frage: Was hat diese Regierung getan, um die EWG zu veranlassen, den dringend notwendigen runden Tisch zwischen der Gemeinschaft, den USA und Kanada zum ständigen rechtzeitigen Gespräch über diese Fragen herbeizuführen? Was haben Sie in dieser Frage getan?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es genügt nicht, hier solche Sätze zu sagen. Sie haben die Opposition an Ihrer Seite, wenn Sie in dieser Frage initiativ und aktiv werden wollen. Die Frage ist nur, ob Sie die Sozialdemokraten an Ihrer Seite haben, wenn Sie diese Politik in der Tat machen. Das ist doch die Frage, die hier aufgegriffen werden muß.
Ich darf auf den Kongreß der Jungsozialisten — und das ist doch wieder keine Erfindung der Opposition — hinweisen, der in seinem Beschluß vom 11. März 1973 den Abzug der Truppen der USA und das Einstellen der Devisenausgleichszahlungen fordert und mit dem Blick auf die europäische Gemeinschaft, von der noch zu reden sein wird, eben die Forderungen erhebt — ich zitiere; hier muß man Wort für Wort wirklich wägen und beinahe auf der Zunge zergehen lassen — „der Autonomie der Europäischen Gemeinschaft gegenüber den USA", „der Stärkung der Zusammenarbeit mit dem Osten" und der Kritik übt an der „ökonomischen Dominanz der USA". Das ist der Beschluß der Jungsozialisten. Das heißt: Für die USA, unseren Partner, unseren Sicherheitsgaranten, unseren langjährigen und bewährten Freund, hat man die Vokabeln „Autonomie" und „Kritik", während die Vokabel „Zusammenarbeit" allein für die gebraucht wird, wegen deren wir das Bündnis und die Sicherheitsvorkehrungen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Da sind doch die Gewichte falsch gesetzt; das ist doch gefährlich.
Herr Bundeskanzler, wenn wir demnächst — was doch zu erwarten ist — erneut über Nonproliferation hier werden sprechen müssen, dann ist doch klar, daß die Befürworter dieser Sache einrechnen müssen, daß Sicherheit dann nur doppelt von den USA zu haben sein wird, weil es hier einen eigenen atomaren Schutz nicht geben kann. Dann muß hier doch mehr als Zusammenarbeit, dann muß Partnerschaft mit den USA her und nicht „Autonomie" und Kritik der „Dominanz". Ich bin froh, daß wir Verbündete dieser „Dominanz" sind und nicht etwa Abhängige einer kommunistischen Vorherrschaft.
Sie, Herr Bundeskanzler, reagieren in diesen Fragen — das ist verständlich, aber auf diese Fragen kann gleichwohl nicht verzichtet werden — leicht etwas erregt, wenn wir nach Neutralismus und Antiamerikanismus fragen. Sie brauchen doch gar nicht lange zu suchen. In dem Schweigen des Kanzlers, von dem ich hier sprach, in dem Schweigen des Parteivorsitzenden dazu liegt z. B. einer der Gründe für diese Entwicklung. Das wird auch nicht dadurch aufgefangen, daß Sie sich plötzlich zu einer Reise ermuntern lassen. Das wird auch nicht aufgefangen durch die vier Punkte, die Sie in der Sprache eines— ich kann nur sagen — kalten, technokratischen, nackten Opportunismus durch den Regierungssprecher erklären lassen.



Dr. Barzel
Bei dem Gespräch, das hier zu führen ist, geht es nicht nur um die Folgen, die sich aus der Sicherheitspolitik und dem Bündnis ergeben, sondern zunächst ist das Gespräch darüber zu führen, daß die USA die gleiche Grundordnung, die gleichen Wertvorstellungen haben wie wir, daß wir deshalb Freunde sind und uns eben deshalb endgültig für den Westen entschieden haben! Das ist der eine Punkt, der hier dringend zum Ausdruck kommen muß und zu dem der Kanzler sicher etwas sagen wird. Aber Worte allein werden hier nicht genügen.
Der andere Ansatz aus der Rede des Finanzministers, die wir nehmen, weil das andere noch fehlt und uns noch vorenthalten wird, ist auch ein Ansatz, dem ich zustimme. Ich zitiere aus der Rede des Kollegen Schmidt:
Es wäre eine Illusion, von einer noch so erfolgreichen Entspannungspolitik auf diesem Gebiet schnelle oder gar spektakuläre Einsparungen zu erwarten. Eine Politik des Gleichgewichts, die letztlich allein dem Frieden Sicherheit geben kann, wäre falsch verstanden, wenn man sie als eine Politik einseitiger Vorleistungen begreifen wollte. Beiderseitige, gleichgewichtige Fortschritte, das ganze Unternehmen MBFR brauchen noch manches Jahr.
Dem stimmen wir zu.

(Abg. Ollesch: Sehr beruhigend!)

Nur, Herr Kollege Schmidt, das ist doch wohl auch mehr an die Adresse Ihrer eigenen Partei gerichtet. Wenn das so gemeint ist, Herr Kollege Schmidt, dann sollte der frühere Verteidigungsminister seine Kraft zusammennehmen, um in der kommenden Woche beim Parteitag der SPD einer Entwicklung entgegenzuwirken, die auf die Aushöhlung der Wehrpflicht hinausläuft. Das ist doch der praktische Punkt, über den hier zu sprechen ist!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sehen in dieser Frage eine Doppelstrategie der Sozialdemokratischen Partei. Da kommen die Jusos;

(Zurufe von der SPD)

das geht wie bei der Echternacher Springprozession, drei Schritte vor — —

(Lachen bei den Regierungsparteien.)

— Ich wußte, daß Sie sich an dieser Stelle freuen würden, aber ich dachte eigentlich, daß dem einen oder dem anderen von Ihnen dieser Übergang nach Luxemburg und zur Europäischen Gemeinschaft so lieb geworden ist, daß man davon sprechen kann. Und das Wort „Prozession" sollte man doch eigentlich auch in den Mund nehmen dürfen, wenn der Bundeskanzler hier dauernd von Brüderlichkeit und ähnlichen Dingen spricht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Also, da geht das dann drei Schritte vor und zwei zurück. Die Jungsozialisten sagen: raus mit den amerikanischen Truppen. Dann sagt die Opposition: das ist gefährlich; das ist, wie wenn Kinder mit Streichhölzern an offenen Benzinkanistern spielen. Dann merkt die Spitze der SPD, das ist unpopulär, pfeift die Herren zurück, und dann meint man in der Öffentlichkeit: es ist ja gar nicht so schlimm, die jungen Leute waren etwas temperamentvoll und sind wieder zur Ordnung gerufen worden.
In diese Beruhigung hinein platzt dann der Antrag, von dem ich sprach. Und das ist nun nicht, Herr Kollege Wehner, der Antrag irgendeines Ortsvereins, sondern der Antrag der Antragskommission, der Sie vorsitzen,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

ein Antrag, der auf die Aushöhlung der Wehrpflicht hinausläuft.
Herr Bundeskanzler, dazu werden Sie sich schon etwas in Ihren Reisekoffer packen müssen. Denn wenn Sie das Bündnis erhalten wollen, müssen Sie auch die Frage beantworten, wie Sie die Zahl und die Kampfkraft ermöglichen wollen, die wir dem Bündnis zugesagt haben.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Wir alle haben es im Ohr, Ihr Wort, Ihr markiges und starkes Wort aus der vorigen Periode, in diese Richtung gesprochen: Es gibt keinen Ersatz für die Wehrpflicht. Herr Bundeskanzler, wir werden ja einmal sehen, wie Sie mit diesem markigen Wort Ende der nächsten Woche aussehen, wenn Ihr eigener Parteitag zu Ende sein wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Laden Sie doch dabei nicht alles auf die Jusos ab.

(Eben! bei der SPD.)

Es ist doch Ihre Partei, in der dieses Denken um sich greift.

(Weitere Zurufe von der SPD.)

— Herr Kollege Wischnewski, ich glaube, Sie gehören dem Bezirksverband an, der jetzt einen neuen Vorsitzenden hat, Herr Schlatter, wenn ich den Namen richtig behalten habe.

(Zuruf von der SPD: Ein guter Mann!)

— Sie sagen, ein guter Mann. Er erfreut sich Ihres Zuspruchs. Er rühmt sich, 40 000 Mitglieder der SPD zu führen und zu repräsentieren. Und er erklärte an diesem Montag, am 2. April, in der Fernsehsendung „Panorama", er sehe einen wachsenden Antiamerikanismus auch in der SPD, und er hoffe auf die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, weil er dort eine Möglichkeit sehe — ich zitiere —, „das amerikanische Engagement in Europa zu lockern".

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein „guter Mann"!)

Das ist Ihr „guter Mann"! Genau das Gegenteil ist richtig: die USA hier interessieren, sie hier binden, das ist die Partnerschaft über den Atlantik, die uns Freiheit und Sicherheit gibt!

(Beifall bei der CDU/CSU. — Weitere Zurufe aus der Mitte: Ein „guter Mann"!)




Dr. Barzel
Wir meinen, daß zu diesem „guten Mann" Ihr Parteivorsitzender eigentlich auch hier einmal etwas sagen sollte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Auch ein „guter Mann" !)

Denn eine Reise allein genügt doch dazu nicht.
Meine Damen und Herren, es muß doch Zweifel produzieren und auch vorhandene Fragezeichen noch verstärken, wenn z. B. die Jugendorganisation der SPD beschließt — das sind wieder wörtliche Zitate —, „zukünftig verstärkt mit den französischen Sozialisten und Kommunisten und ihren Jugendorganisationen zusammenzuarbeiten"; wenn dieser Bundeskongreß durch Beschluß „das gemeinsame Regierungsprogramm der franzöischen Sozialisten und Kommunisten" ausdrücklich begrüßt; wenn er dazu sagt, dies verbessere wesentlich „die Kampfbedingungen für die westeuropäische Arbeiterbewegung". Herr Bundeskanzler, warum gehen Sie nicht zu einem solchen Kongreß hin und sagen denen einmal, was Sie denken? Warum lassen Sie die da allein diskutieren und solche Beschlüsse fassen?

(Beifall hei der CDU/CSU.)

Aber die Regierung selbst ist in dieser Frage angesprochen, eine Regierung, die dem Parlament, diesem Bundestag, den schuldigen Bericht über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland nach wie vor vorenthält und statt dessen — Herr Kollege Franke, ich kann es nicht anders sagen — einen ganz und gar unehrlichen Bericht über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vorlegt, unehrlich deshalb, weil er die wirkliche Lage verschweigt, die Lage in der DDR ebenso, wie die Erschwernisse, die doch in den letzten Wochen und Monaten hier z. B. zu mancher Aktuellen Stunde haben führen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer das verschweigt, was da im andern Teil Deutschlands wirklich ist, bewirkt eben Neutralismus. Und das kann man dann nicht mit einem Wort oder mit einer Reise bekämpfen. Wenn man die fundamentalen Unterschiede der beiden Ordnungen in Deutschland verwischt und dazu nicht mehr redet, sondern schweigt, dann verschleiert man Wirklichkeiten und verschleiert man Grundunterschiede, auf die Demokraten auf gar keinen Fall verzichten können. Wenn man jedoch diese Unterschiede dartut, wird man nicht erleben, was wir in den Zeitungen lesen müssen: Zunehmender Wehrunwille junger Menschen. Darüber braucht man sich jedoch nicht zu wundern, wenn man ihnen das Bekenntnis zur Wertordnung von seiten der Regierung, auch durch Verzicht auf den Vergleich, zu sehr vorenthält.
Sie können, Herr Bundeskanzler, auch an folgender Tatsache nicht vorbei: Umfragen des Allenbacher Instituts, das, wie Sie sich sicher erinnern — zu Ihrer Freude, wir zu unserem Leidwesen —, bei der Bundestagswahl eine richtige Prognose gestellt hat, haben vor der Bundestagswahl 1969 folgende Ergebnisse gebracht. Auf die Frage: sollten wir uns weiter mit den Amerikanern verbünden? antworteten 50 % der Befragten mit Ja. Auf die Frage: sollten wir lieber ganz neutral sein? antworteten 38% der Befragten mit Ja. Vor der Bundestagswahl 1972 sind folgende Ergebnisse zu verzeichnen. Auf die Frage: sollten wir uns weiter mit den Amerikanern verbünden? antworteten 37 % der Befragten mit Ja. Auf die Frage: sollten wir lieber neutral sein? antworteten 43 % der Befragten mit Ja.
Herr Bundeskanzler, woher kommt diese Umkehrung? Sie muß doch etwas damit zu tun haben, daß Ihre Regierung

(Zuruf von der SPD)

die geistige Führung in diesem Lande in eine andere Richtung lenkt, als wir sie für objektiv richtig halten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Franke hat — dies gehört in diesen Zusammenhang; ich konnte damals nicht hier sein, und wenn ich hier gewesen wäre, hätte ich nicht mehr sprechen können, weil sich der Bundesminister Franke angewöhnt hat, in Aktuellen Stunden — warum wohl?! — immer erst am Schluß herzukommen, um seine Rede zu verlesen — am 15. März in einer vorher schriftlich niedergelegten und verteilten Rede den Oppositionsführer angegriffen. Na ja, warum nicht?! Es kann ja sein, daß der einmal etwas gesagt hat, was ihm vielleicht selbst gar nicht mehr so paßt.

(Zurufe von der SPD: Meistens!)

— Das paßt Ihnen dann gar nicht! — Nun wollen wir einmal sehen, ob Ihnen das paßt, was Herr Franke gesagt hat. Wir haben damals gedacht: Nun muß aber was kommen. Und wissen Sie was dann kam? Es kam der Vorwurf, daß der Oppositionsführer im Zusammenhang mit dem Grundvertrag die Herstellung von Freizügigkeit in Deutschland zu fordern gewagt habe; das war der Vorwurf.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, wo sind wir hier eigentlich?! Ist dies ein demokratisches Parlament, in dem Demokraten für die Freiheitsrechte ringen?! Ist dies denn nicht eine Position, die der Westen insgesamt hat, wenn er als Entspannungsmaßstab für die Konferenz in Helsinki die Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen fordert?! Warum wohl hat Herr Rush, der stellvertretende Außenminister, gestern, wie wir heute morgen dpa entnehmen können, diese Forderung nach Freizügigkeit noch einmal als Entspannungsmaßstab betont?! Und uns macht man es zum Vorwurf, wenn wir uns hier diese Position zu eigen machen!
Herr Bundeskanzler, das alles muß das Bild ebenso verwirren wie das — ich will das nicht im einzelnen ausführen, weil er nicht hier sein kann —, was Ihr Minister im Kanzleramt dazu gesagt hat. In einer früheren Debatte haben wir aufgegriffen, was Kollege Bahr am 4. Juni 1972 gesagt hatte: Vorrang Gesamteuropas vor der Vereinigung des freien Europas, Vorrang des nationalen Staates vor der Supranationalität. Auch die Antwort auf die Frage des Kollegen Strauß nach dem, was er inzwischen — nachzulesen bei Professor Hahn im „Orbis" — weiter produziert hat, sollten Sie dem Haus nicht vorenthalten, Herr Bundeskanzler.
1278 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 27, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1973
Dr. Barzel
Meine Damen und Herren, ein anderer Punkt führt hin auf ökonomische, aber auch politische Punkte. Und an dieser Stelle würde ich gerne besonders den Kollegen Schmidt in die Debatte einbeziehen. Er hat früher, wie ich meine, in unglaublicher Weise, gesagt: Lieber 5% Preissteigerung als 5 % Arbeitslosigkeit. Das war ganz töricht. Das klang von der Logik her wie: Nachts ist es kälter als draußen. Dann hat er den Vietnamkrieg als Entschuldigungsgrund vorgegeben. 13 Entschuldigungen hatte er im Wahlkampf, und jetzt kommt er mit einem Punkt, an dem ein Körnchen Wahrheit ist, und darüber müssen wir diskutieren. Er sagte:
... im Maße des Integrationsfortschrittes, für den wir uns einsetzen, findet zugleich ein Verlust an wirtschafts- und finanzpolitischer Autonomie statt, dafür jedoch eine Zunahme an Interdependenz und an Ahbängigkeit von den Entwicklungen unserer Partner.
Gemeint ist also die europäische Integration, die die nationalen Instrumente etwas wirkungsloser werden läßt.
Herr Kollege Arndt hat in einer der letzten Debatten dazu gesprochen. Wir waren nicht ganz seiner Meinung. Ich habe darauf hingewiesen, daß es auch zu Zeiten unserer Regierung Weltwirtschaft und europäische Integration gab und wir mit mehr Stabilität ausgekommen sind, obwohl um uns herum sehr häufig Inflation war. Ich will dies nicht wiederholen.
Wir haben eingeräumt, daß natürlich mit zunehmendem Fortschritt in Europa die nationalen Mittel etwas weniger werden. Ich halte die Art, wie der Kollege Schmidt dies gesagt hat, für eine Ausflucht. Aber: Nehmen wir einmal an, es wäre so, und unterstellen wir — welch kühner Gedanke! —, die Regierung wäre tatsächlich für Stabilität,

(Abg. Strauß: Man muß alles einkalkulieren!)

dann müßte die Regierung doch etwas tun, um in Europa dann die Instrumente zu bekommen, die wir national nicht haben. Und genau dies tut diese Regierung nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Regierung ist gemahnt, und zwar nicht nur gemahnt durch die Opposition. Der Sachverständigenrat hat in seinem letzten Jahresgutachten — ich verweise auf die Ziffer 24 — darauf hingewiesen, es bestünde eine „empfindliche stabilitätspolitische Lücke". Inzwischen ist die Währungsunion — durch die Ereignisse — jetzt mindestens für sechs Länder sehr viel schneller weiter vorangeschritten als vorgesehen, die Wirtschaftsunion aber fehlt. Die Entwicklung der Wirtschaftsunion hinkt. Diese Lücke klafft, weil, um ein Wort aufzunehmen, das wir früher hier gesagt haben und das immer noch richtig ist: die Staaten — dies räumen wir ein, die Währungskrisen beweisen das — nicht mehr allein alles das tun können, was eigentlich notwendig wäre; daß aber zugleich Europa noch nicht alles das kann, was notwendig wäre. Hier entsteht eben eine Lücke. Aber es hat doch keinen Zweck, die Lücke zu beschreiben und zu beklagen. Eine Regierung ist zum Regieren da, und wenn sie etwas beklagt, soll sie eine Initiative ergreifen, um die Lücke zu schließen. Wir sehen auf diesem Gebiet nichts von einer europäischen Initiative. Wir sehen vielmehr, daß Abreden, die es gab, nicht eingehalten werden.
Sie haben lauthals nach der Gipfelkonferenz gesagt, nun gebe es die Parallelität zwischen Wirtschafts- und Währungsunion. Wo ist sie? Nun werden Sie mir nachher sagen, wir seien nicht allein in der Gemeinschaft. Das wissen wir auch. Aber wo ist Ihre Initiative, um die Lücke zu schließen? Wo ist Ihr Hinweis, daß die Parallelität dieser Entwicklung gewahrt sein soll? Wo haben Sie die Harmonisierung der Steuerpolitik, der Geld- und Kreditpolitik durchgesetzt, die für die erste Phase der Währungsunion beschlossen sein sollte? Wo sind diese Instrumente? Und wo, Herr Bundeskanzler, ist die Richtlinie, die die Gemeinschaft zu Wachstum, Vollbeschäftigung und Stabilität beschließen sollte? Sie ist nicht da, und wenn es sie nicht gibt: Wo ist Ihre eigene Vorlage dazu? Sie können sich doch nicht mit Europa entschuldigen, während Sie gleichzeitig die Schritte, die dort möglich und nötig sind, nicht tun!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dies, meine Damen und Herren, ist ein ernster Punkt, und ich meine, wir sollten alle einmal versuchen, darüber nachzudenken, ob es nicht auch ein Verhältnis der Westpolitik zum Erfolg der Entspannungs- und Ostpolitik gibt. Wir meinen — bei aller Notwendigkeit der Chance auf Entspannung, die doch jeder wahrnehmen möchte —, daß dort in der Westpolitik unsere Zukunft liegt. Ich erinnere mich, Herr Bundeskanzler, eines früheren Gesprächs —damals hatten wir beide andere Funktionen —, als wir gesagt haben, man könne an dem Ausmaß der Unnachgiebigkeit und Intransigenz des Ostens ablesen, wie es im Westen miteinander steht. Vielleicht ist ein Stück der Unnachgiebigkeit, die wir dort spüren — von Polen, von der DDR, von der Sowjetunion —, darauf zurückzuführen, daß eben im Westen manches nicht so stimmt, wie es sein könnte, wie es sein müßte und wie Sie es mit unserer Unterstützung in der Westpolitik, wenn Sie nur wollten, dort herbeiführen könnten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber auch innenpolitisch setzen diese Regierung und die tragenden Regierungslager doch die Akzente anders. Meine Damen und Herren, indem Sie die Inflation treiben lassen, bewirken Sie doch die Frage, ob Sie sie etwa hinnehmen — ich sage: hinnehmen — als ein Mittel zur Veränderung der Gesellschaft auf den Sozialismus hin. Die Frage muß doch hier einmal aufgeworfen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn Sie gestern — und ich bin sicher: auch heute wieder durch Ihre Redner fragen: wo ist eure Alternative?, dann will ich Ihnen zunächst nicht nur sagen, daß Sie doch alle wissen — und Herr Kollege Wehner hat dies doch in der ersten Auslassung hier begrüßt —, daß wir im ersten Jahr überwiegend die Regierung einmal zeigen lassen wollen, was sie



Dr. Barzel
kann und was sie nicht kann. — Nein, ich will ein anderes sagen. Der Beitrag von uns zu diesen Fragen hat zwei Voraussetzungen neben anderen Punkten, einmal daß wir anfangen können zu glauben und überzeugt zu sein, daß diese Regierung Inflation ernst nimmt, sie nicht verniedlicht und wirklich bekämpfen will, meine Damen und Herren; sonst gibt es doch hier keine Voraussetzungen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer sich in den Fragen der Preissteigerungen hier so mit faulen Ausreden entschuldigt, wie das durch den Bundesminister der Finanzen geschehen ist; wer sich mit .dem europäischen Durchschnitt zufriedengibt, obwohl es früher anders war, der erweckt in uns nicht die Überzeugung, als meine er es ernst mit einem Beitrag zur Stabilität. Ins Ungewisse und zum Scherz werden Sie uns nicht veranlassen können, hier mit Rotstiften und anderen Dingen umzugehen.
Das zweite ist unsere Erfahrung. Der Kollege Strauß hat gestern mit Recht davon gesprochen, daß wir zu Beginn Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, am 2. Dezember 1969, als Sie — Kollege Möller erinnert sich — Steuersenkungen vorschlugen,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

gesagt haben: Nehmen wir bitte alle Anträge des Hauses, unsere eigenen eingeschlossen, die die Ausgaben oder die Einnahmen betreffen, zusammen, schließen wir einen Stabilitätspakt, damit auf die Aufwertung, die Sie beschlossen haben, das notwendige binnenwirtschaftliche Stabilisierungsprogramm folgen kann. Sie haben das nicht nur abqualifiziert, wie Kollege Strauß gestern dargetan hat, sondern Sie haben ein Weiteres getan. Als wir dann sagten: verzichten Sie auf die Steuerermäßigungen, nehmen Sie das Geld für soziale Infrastruktur, z. B. zur Bekämpfung des Numerus clausus — das ist doch alles hier vorgetragen worden —,

(Zuruf von der CDU/CSU: Kindergeld!)

da sind Sie durchs Land gegangen und haben den Arbeitnehmern gesagt: Diese böse Opposition will euch den Freibetrag nicht gewähren. Und haben den anderen gesagt: Diese böse Opposition will euch die Erleichterung der Ergänzungsabgabe nicht gewähren. Und dann meinen Sie, Sie brauchten die Inflation nicht ernst zu nehmen, und wir sollen nur so zum Spaßvergnügen, um Ihre Propagandabüchsen zu füllen, hier mit eigenen Anträgen kommen. So haben wir nicht gewettet! Sie sollen einmal versuchen, zu regieren, meine Damen und Herren!

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)

Ich möchte hier noch einen anderen Punkt hinzufügen. Wenn ich die Anträge aus diesem Bereich für Ihren Parteitag sehe

(Zuruf von der SPD)

— ich dachte, es wird Sie doch freuen, wenn ich von Ihnen rede —

(Zurufe von der SPD) danke schön —, dann kann ich nur sagen — —


(Abg. Wischnewski: Denken Sie an Ihren Parteitag!)

— Ja, natürlich, eins nach dem anderen, Herr Wischnewski, und jeder genießt das Seine auf seine Weise. Da machen Sie sich mal gar keine Sorgen, Herr Wischnewski.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn das angenommen und durchgesetzt würde, was da vorgeschlagen ist, dann wäre dies das Ende der für die breiten Massen erfolgreichsten Ordnung der Welt, nämlich der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Ich nehme einen einzigen Antrag heraus und zitiere ihn:

(Lachen bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Da lachen die!)

So
— heißt das Zitat —
kommt es auch nicht darauf an, die ungerechte Verteilung des Privateigentums an Produktionsmitteln schrittweise abzubauen, sondern das Privateigentum an Produktionsmitteln insgesamt abzuschaffen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Der politisch-ökonomische Orientierungsrahmen gibt insbesondere die Rahmenbedingungen für Strategien und Instrumente zur Durchsetzung sozialdemokratischer Ziele, Möglichkeiten und Instrumente zur weitgehenden gesellschaftlichen Planung und Lenkung privater Investitionen, Möglichkeiten, die Macht des Kapitals aufzugeben, z. B. durch Vergesellschaftung der Wirtschaftsunternehmen.
Wie wir hören, hat die Antragskommission, Herr Kollege Wehner, diese These übernommen und dazu noch einen Satz gesagt:
Dazu müssen
— so die Antragskommission —
den privaten Investitionen steuernde Rahmenbedingungen vorgegeben werden.
Wenn Sie wirklich zu dieser öffentlichen Kontrolle und Manipulation privater Investitionen kommen, ist dies — zum Beispiel — das Ende der sozialen Marktwirtschaft.
Wenn wir dies alles auf uns wirken lassen, muß hier ein grundsätzliches Wort gesagt werden. Ich sage dies mit dem Versuch, es ohne Anklage oder ohne Bitterkeit zu sagen. Es wird immer klarer: die Sozialdemokraten hierzulande haben ein anderes Ordnungsbild als wir.

(Demonstrativer Beifall bei der SPD.)

— Nun hoffe ich auf Beifall auf den nächsten Satz. — Wir sollten nicht länger leugnen, daß wir einen Konflikt haben, der inzwischen nicht mehr Punkt oder Komma hier, eine Million da oder einen Paragraphen dort betrifft, sondern einen Konflikt



Dr. Barzel
über die Ziel- und Wertvorstellungen selbst. Das ist der Tatbestand.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Vereinzeltes Händeklatschen bei Abgeordneten der SPD.)

— Herr Kollege Wehner, ich konnte jetzt sehen, wer an dieser Stelle noch klatscht und wer nicht. Sie werden das merken, Sie werden das auf dem Parteitag merken.
Aber wenn dies so ist, wie Sie das eben für richtig gehalten haben, glauben Sie dann nicht, daß es aufrichtig wäre, der Bevölkerung und hier im Hause dann auch zu sagen, worin die Inhalte der Ordnung bestehen sollen, die Sie wollen?

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702700500
Herr Dr. Barzel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)

— Herr Abgeordneter Wehner, ich glaube, Sie haben jetzt die Möglichkeit zur Zwischenfrage.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0702700600
Herr Dr. Barzel, würden Sie mir bitte erläutern, was in Ihrem Munde „aufrichtig" heißt?

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP. — Lachen bei der CDU/CSU.)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0702700700
Herr Kollege Wehner, ich würde zum Beispiel den Weg zum Sozialismus „links" nennen und nicht „neue Mitte" und würde ihn nicht mit Barmherzigkeit garnieren, sondern mit Kollektivismus, — damit wir uns völlig klar verstehen.

(Anhaltenden lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb wiederhole ich: Dieser Konflikt sollte offen auf den Tisch gelegt werden. Er sollte nicht mehr versteckt, vertuscht, verheimlicht werden, sondern er sollte bekanntwerden, — und das auch wegen dieses Parlaments. Denn wir kommen doch an Punkte, in denen die Alternative zwischen uns nicht mehr in Einzelheiten liegt, sondern sie wird manchmal einfach im Hinweis auf die Andersartigkeit unserer Ordnungsbilder und in gar nichts anderem begründet sein.

(Beifall bei der CDU/CSU. Zurufe von der SPD.)

— Gut, dann will ich zwei Beispiele nennen.
Sehen Sie, es gibt bei uns eine Marke, ein Kennzeichen, wenn Sie so wollen. Wir sagen: sozialverpflichtetes, breiter gestreutes Privateigentum. Das ist die Marke, die wir meinen.

(Abg. Mattick: Davon haben wir zuwenig! — Abg. Frau Dr. Timm: Ja, genau! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Damit sind Kollektivfonds ebensowenig vereinbar wie Sozialisierung oder Kommunalisierung.

(Abg. Schulte [Unna] : Man würde es Ihnen nicht glauben, Herr Barzel!)

oder die Aufteilung des Eigentums, die Sie vorschlagen, weil dies alles nicht zu mehr Freiheit im Alltag — eine Vokabel, die Sie von uns übernommen haben, die aber trotzdem richtig bleibt —, sondern zu mehr Abhängigkeit im Alltag für den einzelnen führt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich möchte das an einem anderen Beispiel noch deutlicher machen. Ein Kernpunkt der Demokratie und ein besonders sensibles Grundrecht und ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden, ist die Meinungsfreiheit. Ich möchte, da wir diese Frage hier zum erstenmal in die Debatte einführen, zunächst zum Grundsätzlichen darauf hinweisen, daß in der Menschenrechtserklärung vom 26. August 1789, die die Basis für diese Dinge in der Demokratie ist, mit Recht gesagt ist, die freie Mitteilung der Gedanken sei eines „der kostbarsten Rechte des Menschen", und dieses Recht bedeute, „frei zu reden, frei zu schreiben, frei zu drucken".

(Abg. Haehser: Was haben Sie dagegen?)

- Sie haben etwas dagegen. Wir werden das gleich sehen, Herr Haehser; seien Sie vorsichtig.
In dieser demokratischen und unmißverständlichen Tradition steht unser Grundgesetz, das in Art. 5 bestimmt:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten . . .
Es heißt im Grundgesetz „s eine Meinung", es heißt nicht: die gängige Meinung, die allgemeine Meinung, die Regierungsmeinung, die allen gerecht werdende Meinung, die überwiegend angenehm empfundene Meinung, die nach Abwägen aller Standpunkte übrigbleibende Meinung.

(Abg. Dr. Marx: Sehr gut!)

Es heißt vielmehr: seine Meinung sagen. Darum weise ich darauf hin.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, bevor ich belege, warum es notwendig ist, dies heute zu sagen, folgendes hinzufügen. Wir in Deutschland haben erfahren müssen die übrige Welt weiß es ohnehin —, daß eine freie Presse, also das Schreiben und Drucken der eigenen Meinung, nur dort gesichert ist, wo sie privatwirtschaftlich organisiert ist, wo es weder eine Vorzensur noch eine Nachzensur gibt,

(Beifall bei der CDU/CSU)

wo es weder Staatsaufsicht noch Manipulation gibt. Eine freie Presse, die natürlich der Wahrheitspflicht und den Gesetzen unterliegt, wird sonst nur durch den Käufer und den Leser kontrolliert.

(Abg. Dr. Marx: Sehr gut!)

Das allein ist hier das Bestimmende.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, bisher war es, wie ich bereits sagte, nie nötig, darüber hier zu sprechen,



Dr. Barzel
weil wir diese Prinzipien und diese Meinung als für uns alle unverändert gültig betrachtet haben.

(Abg. Haehser: Heute war es auch überflüssig!)

— Vielleicht denken Sie einmal darüber nach, wenn ich die folgenden Punkte vorgetragen habe. Ich freue mich ja, wenn Sie das bis hierhin unterstreichen. Nur frage ich mich dann, warum der Parteivorstand der SPD am 27. Januar dieses Jahres beschlossen hat, es müsse ein Presserechtsrahmengesetz verabschiedet werden, und die Fraktion entsprechend beauftragt hat

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Das haben Sie doch auch schon getan!)

— keine Einwendungen bisher -, daß aber dieses Presserechtsrahmengesetz eine „Beschwerdeinstanz" vorsehen müsse.

(Zurufe von der SPD.)

Das ist der Beschluß Ihres Vorstands.

(Zurufe von der SPD.)

Weiter heißt es, diese Instanz müsse das Recht haben, entsprechende Stellungnahmen in dem betreffenden Presseorgan zu veröffentlichen.
Meine Damen und Herren, dazu wird in der „Süddeutschen Zeitung" aus dem Munde des hier besonders sachkundigen Journalisten Müller-Meiningen gesagt: „Dieser Vorschlag bedeutet, eine verfassungswidrige Nachzensur einzuführen."

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Bundeskanzler selbst hat hier in seiner Regierungserklärung ausgeführt — ich zitiere wieder
„Die Verfügungsgewalt einzelner über wichtige Kommunikationsmittel darf nicht dazu führen, daß nur eine Meinung zu Wort kommt." Herr Bundeskanzler, wollen Sie denn wirklich eine Gesetzgebung, die Herrn Augstein zwingt, künftig bei Herrn Springer zu schreiben, die uns zwingt, Ihnen im „Monatsblatt" und im „Bayernkurier" eine Spalte einzuräumen, und uns dann verpflichtet, bei Ihnen im „Vorwärts" zu schreiben? Das kann doch nicht der Fall sein!

(Lachen bei der SPD.)

Das Grundgesetz sagt nicht: „eine Meinung", sondern „seine Meinung" sagen. Es ist das Recht, für eine Meinung eine Zeitung zu haben, zu gründen und zu unterhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das muß so bleiben! Wenn dies kein Ausrutscher war, sondern eine Richtlinie Ihrer Politik ist, Herr Bundeskanzler, so kann ich nur sagen: Nehmen Sie sie zurück, denn hier kommen Sie über die Grenze des verfassungsmäßig Statthaften hinaus.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Haehser, da Sie an der Frage, wie Sie durch zwei Zurufe beweisen, besonders interessiert sind, möchte ich Sie auffordern, doch einmal die nicht so weite Reise nach Kassel zu machen, wo es jetzt ja den Versuch, wie man sagt, einer solchen Beschwerdeinstanz gibt. Was soll ein Verleger schon machen, dem der hessische Ministerpräsident sagt: Wollen Sie das hier nicht einmal ausprobieren? — Sehen Sie sich einmal an, wie dieser „Versuch" aussieht! Lesen Sie einmal durch, was in dem hessischen Entwurf für ein Landespressegesetz alles steht. Dort finden Sie Manipulation. Meine Damen und Herren, wir, die wir uns ja nicht gerade rühmen können, von der Mehrheit der Druckereierzeugnisse besonders angenehm behandelt zu werden

(Lachen bei den Regierungsparteien)

— kennen Sie denn nicht Auflagezahlen und Marktanteile,

(Abg. Dr. Marx: Die SPD-eigene Presse!) phantasieren Sie hier nur? —,


(Zuruf von der SPD: Bildzeitung!)

werden hier für die Freiheit unserer Kritiker und für eine unmanipulierte, freie Presse — ohne Nachzensur und ohne die Auflagen, die der Bundeskanzler ankündigt — kämpfen. Dies ist unsere Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702700800
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Glotz?
Br. Barzel (CDU, CSU) : Herr Bundeskanzler, ich möchte jetzt noch zu drei anderen Punkten kommen. Sie berühmen sich in Ihrer Politik vor allem mit drei Vokabeln; Sie bezeichnen Ihre Politik als eine solche der Entspannung, der Reform und des Sozialen. Nun sind das meistens große Worte, hinter denen die Taten zurückbleiben; oder die Taten sind überhaupt anders als die Worte.
Was die Entspannung betrifft, so will ich der Debatte, die wir im Mai haben werden, nicht vorgreifen. Wir hatten einige Aktuelle Stunden. Ich glaube, wenn man die Versprechungen und die Wirklichkeit, die Leistung und die Gegenleistung sowie den Aufwand und den Erfolg vergleicht, dann kann hier keiner froh und, Herr Bundeskanzler, wohl auch nicht stolz sein; denn stolz sollten wir erst sein, wenn das Schießen in Deutschland aufhört und alle Deutschen die Menschenrechte haben, nicht aber vorher, wie Sie dies verkünden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was ist aus den Reformen geworden? Das ist doch die zweite angebliche Marke Ihrer Politik. Wir haben feststellen müssen, daß das Buch, aus dem man entnehmen kann. wie es wirklich steht, nämlich der Finanzplan und der Haushalt, diesmal durch eine Neuordnung mehr verbirgt als offenlegt, weil alles viel undurchsichtiger gemacht wird und Globalsummen ausgewiesen werden, wo Detailantworten hingehörten.

(Abg. Dr. Jenninger: Und „Sonstiges" !)

— Ja, das gilt auch für „Sonstiges", wofür 3 Milliarden DM angesetzt sind; was sich dahinter verbirgt, wird man erst im Ausschuß erfragen müssen. Es wird deutlich, daß hier Abstriche an wichtigen Reformvorhaben notwendig sind trotz steigender



Dr. Barzel
Steuereinnahmen —, vor allem im Bereich der Bildung und des Umweltschutzes, wie hier gestern ausführlich dargetan wurde. Damit beweist dieser Finanzplan nicht nur, daß Inflation unsozial und Betrug am kleinen Mann ist, sondern daß Inflation mögliche und nötige Reformen unmöglich macht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn Sie sehen, daß Sie in Ihrem Finanzplan und im Haushalt den Anteil der Ausgaben für die Investitionen auf eine Zuwachsrate von etwa 5 °/o senken müssen

(Abg. Müller-Hermann: So ist es!)

und davon ausgehen müssen, daß bei dieser Politik die Inflation mehr als diese Rate verbraucht, dann wird doch für nötige Reformen real, d. h. in der Wirklichkeit, für die Menschen, um die es geht, weniger, immer weniger übrigbleiben, obwohl Sie im Zahlenrausch der Inflation und der Steuereinnahmen leben.
Auch das ist nicht nur unsere Meinung. Ich zitiere wenigstens einen Satz dazu aus dem Sachverständigenbericht. Er sagt:
Dennoch ist der Staat wegen der hohen Preissteigerungen um keinen Schritt auf dem Wege vorangekommen, seine höheren Ansprüche auch tatsächlich durchzusetzen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702700900
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0702701000
Einen Augenblick! Ich möchte eben diesen Gedanken zu Ende führen. Dies, Herr Kollege Schmidt, wäre ein wesentlicher Punkt für eine Haushaltsrede gewesen. Denn jede jetzt oder morgen unterlassene Investition bedeutet, daß dieses Land morgen ein Stück weniger modern ist, als es sein könnte, wenn Sie die Inflation ernsthaft bekämpfen würden. Was heute gemacht wird — Abbau von Investitionen —, ist ein Betrug an den jetzt jungen Menschen.

(Beifall bei der CDU/CSU.) Bitte, Herr Kollege Haehser!


Karl Haehser (SPD):
Rede ID: ID0702701100
Herr Kollege Barzel, Sie haben gerade beklagt, daß ein geringfügiger Rückgang der Investitionsausgaben des Bundes erfolgt.

(Abg. Dr. Marx: Gar nicht!)

Darf ich daraus schließen, daß die Forderung Ihrer Fraktion, die Staatsausgaben zu senken, andere Gebiete betrifft als Investitionsausgaben?

(Abg. Leicht: Wir fordern gar nichts!)


Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0702701200
Herr Kollege Haehser, erstens habe ich nicht beklagt, sondern festgestellt. Zweitens ist es nicht geringfügig, wenn ein Rückgang um über 1 % zu verzeichnen ist bzw. wenn die Ansätze der früheren Planung von 7 % jetzt auf 5 % heruntergehen. Das ist nicht geringfügig. Es ist auch kein Beklagen, sondern eine Feststellung. Wenn Sie endlich den ernsthaften Willen hätten, die
Inflation zu bekämpfen, und die beiden Voraussetzungen erfüllten, wäre hier im Hause doch eine andere Lage, Herr Kollege Haehser. Dies habe ich vorhin vorgetragen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Aber auch mit der dritten Marke, Herr Bundeskanzler, mit dem „sozial", stimmt es doch nicht mehr. Diese trabende Inflation ist ein sozialer Betrug. Ich will nichts von dem wiederholen, was hier gestern gesagt wurde. Wir haben veröffentlicht ich würde Sie einladen, sich dies einmal zur Kenntnis zu bringen —, wie wir die unsozialste Steuerreform vollzogen haben, Herr Kollege Möller, nämlich dadurch, daß durch die Nominallohnsteigerungen Arbeitnehmer, vor allem die kinderreichen, in Steuertarife hinein, die real für sie nicht gedacht waren. Das muß doch vom Tisch! Diese Arbeitnehmer werden doch dreimal angegriffen: erstens mit den Preissteigerungen, zweitens mit den Steuern, die sie mehr zahlen müssen, und drittens ist es doch so, daß nicht einmal mehr der ganze Beitrag zur sozialen Sicherheit voll wird angerechnet werden können.
Es muß Sie doch beunruhigen, wenn aus der Lohnsteuer diese explosionsartigen Mehraufkommen erwachsen, die in Nordrhein-Westfalen zu einer Aufblähung des Haushalts um 21% führen. Das muß Sie doch beunruhigen. Wo ist hier der soziale Schritt, der das für die Kinderreichen und die Arbeitnehmer erst einmal in Ordnung bringt? Das muß hier doch gefragt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Und wo ist der Schritt, meine Damen und Herren, den Ihnen Herr Kollege Philip Rosenthal hier doch öffentlich nahegelegt hat? Er ist der Erfinder der Unter-dem-Strich-Rechnung, mit der Sie bis kurz vor den Wahlen einen ziemlichen Erfolg hatten. Es wird nämlich gesagt: Na, unter dem Strich bleibt doch immer noch mehr übrig, als die Preissteigerungen wegnehmen. Wenn man aber auf die Löhne sieht, dann stimmt das nicht mehr. Herr Kollege Strauß hat dies vorgetragen. Die aktuelle Diskussion über die Lohnerhöhung beweist doch, daß es so ist.
Aber ich will den Kollegen Rosenthal hier zitieren. Vielleicht nimmt er zu der Frage das Wort; ich möchte ihn ausdrücklich dazu ermuntern. Er erklärte am 2. März:
Der Arbeitnehmer kommt doch allmählich dem — ich sage es — Nominallohnbetrug auf die Schliche.

(Abg. Dr. Jenninger: Hört! Hört!) Er fährt fort:

Ich möchte nicht in der Haut der Gewerkschaften stecken,

(Abg. Leicht: Er hat es erkannt!)

wenn sie es weiter versäumen, den zweiten gangbaren Weg, den Weg, über die Vermögensbildung dem Arbeitnehmer soziale Gerechtigkeit zu verschaffen, einzuschlagen. Jetzt verlassen sie sich lediglich auf Nominallohnsteigerungen, die dem Arbeiter in die eine Tasche hinein-



Dr. Barzel
geben, was ihm über höhere Preise dann wieder genommen wird.
Wo bleibt die Konsequenz aus dieser Einsicht? Die Rede des Finanzministers hier hat nicht den Schatten einer Ahnung dieses sozialen Problems überhaupt erkennen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn wir dann kommen und sagen: Die Leidtragenden der Inflation, vor allem die Kriegsopfer und die Familien, wollen und dürfen wir nicht im Stich lassen, weil die Regierung an der Stabilitätsaufgabe gescheitert ist, wenn wir dann als Folge dieser Inflation von den notwendigen sozialen Aufräumungsarbeiten sprechen, dann, meine Damen und Herren, rufen Sie uns wieder alles mögliche zu. Ich will Ihnen darauf antworten. Die Inflation ist nicht entstanden, weil hier die Union fordert, sondern die Union fordert, weil die Inflation, die Sie als Regierung zu verantworten haben, viele Bereiche sozial aus den Fugen geraten läßt. Dies ist Ursache und Wirkung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich kann Ihnen deshalb, Herr Bundeskanzler, zum Schluß den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie durch diese Inflation für die Menschen draußen nicht nur in eine Politik kommen, die Reformen immer mehr unmöglich macht, sondern in eine Politik, die — ich sage das Wort — für den einzelnen zur sozialen Demontage führt.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702701300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0702701400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich nach dieser Einlage fragt, ob dafür das Aufsehen, das heute morgen offensichtlich mit Bedacht erzielt werden sollte, gelohnt hat, so muß man feststellen: Es hat nicht gelohnt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Baron von Wrangel: Sie lieben wohl Parlamentsdebatten nicht mehr! — Abg. Franke [Osnabrück]:: Herr Wehner, Sie wollten früher nicht diskutieren und wollen es auch heute nicht!)

Sie stellen Ihre Ausführungen, Herr Dr. Barzel, unter die Frage, von der Sie sagen, sie werde von besorgten Stimmen immer stärker laut: Wohin geht die Reise der Bundesrepublik Deutschland? Ich muß Ihnen sagen, Herr Dr. Barzel: Sie sind dabei, Ihre Frühjahrskur oder Frühjahrskapriolen vom vorigen Jahr zu wiederholen. Das ist alles.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie machen hier ein Spiel, das ich Ihnen nicht verüble; denn es wird Ihre Bedeutung nicht erhöhen, Herr Dr. Barzel.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Insofern bin ich eher nachdenklich, ob es nicht gut wäre, wenn Sie das ein wenig einschränkten.

(Abg. Rawe: Besser wäre es, Sie gäben sachliche Antworten!)

Sehen Sie, Sie sagen, Sie dürsteten sozusagen nach der befreienden Kraft des rechten Wortes zur rechten Zeit am rechten Ort — ungefähr so haben Sie hier eskaliert —, und das sei hier im Bundestag. Vorher haben Sie draußen und wenn Sie, wie Sie neuerdings sagen, zur Basis gehen und in den Schlagzeilen die dazu passen, gesagt: Es geht nichts daran vorbei, daß der Bundeskanzler reisen muß, und zwar nach Washington, und zwar sofort; warum eigentlich reist er nicht? Wissen Sie, was ich denke? Bei der inneren Situation, die Sie haben, brauchen auch Sie einen Lukas, den Sie hauen können. Das ist die Lösung des Rätsels.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Jenninger: Was heißt hier „auch"?)

Der Herr Strauß wird Ihnen noch besser das Original dazu liefern können.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) — Ja, sicher!

Sie nehmen den Jusokongreß und dann den Parteitag vorweg. Das sei Ihnen gegönnt. Ich habe mir sogar den Teil der Anträge meiner Antragskommission dahingelegt, falls noch mehr Ihrer Kollegen darauf Bezug nehmen wollen. Zu dem, was Sie hier über bestimmte Vorstellungen und Anträge, in denen — um nun bei Ihren Begriffen zu bleiben — die „Autonomie der Europäischen Gemeinschaft gegenüber den USA" hervorgehoben und Kritik an der „Dominanz der USA" geübt wird, ausgeführt haben, nur folgendes: Ich sollte denen, von denen diese Anträge kommen, sagen, diese Begriffe könnten von de Gaulle sein. Ihnen muß ich das nicht sagen, weil Sie das ganz genau wissen. Aber Sie verschmähen es nicht, schon einmal Gegessenes noch einmal aufzunehmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wissen Sie, es ist eben so, daß sie nicht mehr so frisch sind wie vor einem Jahr. Sie sind zwar tüchtig und sogar emsig, aber, Herr Dr. Barzel, Sie wirken bei dem, was Sie zur Zeit machen müssen, nicht genügend wahrhaftig. Das ist das, was beklemmend ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Wenn Sie wissen wollen — wenn es Ihnen darauf angekommen war —, wie wir zu gewissen Anträgen stehen: Ich gebe Ihnen gerne meine Notizen, wenn Sie sie mir noch rechtzeitig wiedergeben vor dem Parteitag; denn ich habe sie mir nicht fotokopiert. Da steht zu jedem Antrag unser Petitum, auch wie die unterschiedlichen Stimmenverhältnisse waren, die es bei uns ja auch gibt.
Aber wir arbeiten — wir arbeiten, sage ich — für ausgewogene Rüstungsbegrenzung und Truppenverminderung. Das zu Ihrem Zeigefinger auf den „Abzug der US-Truppen". Wir treten jeder illusio-



Wehner
nären Vorstellung entgegen, das könnte einseitig vollbracht oder vorweggenommen werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

In diesem Punkt steht die Mehrheit der Sozialdemokratischen Partei — auch ohne Ihren Stab, Herr Dr. Barzel — ganz fest.

(Abg. Dr. Althammer: Wie groß ist denn die Mehrheit?)

Wenn Sie noch einmal zur Reise sagen, der Bundeskanzler schweige dazu: Der kann doch gar nicht so viel reden, und Sie können das Abonnement gar nicht leisten für das, was er Ihnen zu Liebe alles reden müßte, bis er dann — was Ihnen ja selbst nicht schadet — auf dem Parteitag alles das noch einmal sagen sollte.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

Sie wollten wohl erst sagen können: Eigentlich müßte der Bundeskanzler schon gereist sein. Warum eigentlich hat er das nicht getan? Das war doch in den letzten 14 Tagen dieses Crescendo. Jetzt — sagen Sie — reist er, weil das nicht zu umgehen war. Aber die Vorwürfe gelten. Herr Dr. Barzel, unter uns: Haben Sie sich schon einmal im stillen Kämmerlein — falls Sie ein solches gelegentlich auch benutzen --

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien)

Gedanken darüber gemacht, was Sie damit eigentlich tun? Sie schädigen doch auch das Verhältnis zu den Verbündeten, wenn Sie meinen, das ließe sich alles so in ein Spielchen hineinziehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bin überzeugt, daß Sie das ganz genau wissen. Sie brauchen das aber Ihrer innerunionlichen Konkurrenz wegen. Na bitte, tun Sie das weiter so, Sie werden sich damit keine besondere Einladung nach Washington oder in andere Hauptstädte zum Vorzugspreis einkaufen können.

(Beifall hei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU.)

Dann möchten Sie den Parteitag der SPD vorwegnehmen, zugleich aber so wirken, daß das, was Sie hier gesagt gekriegt und uns herausgekitzelt haben, dann vielleicht bei denen — so denken Sie —, die dort als Sozialdemokraten auf ihrem eigenen Parteitag auftreten, wie Juckpulver wirkt.

(Abg. Dr. Marx: Das haben wir schon einmal gehört!)

In dieser Jahreszeit wird Juckpulver feucht, Herr Barzel. Das ist keine gute Sache.
Wenn Sie dazwischen Herrn Schlatter und ähnliches nehmen: Reisen allein genügt nicht — sagen Sie —; aber wenn gereist wird, dann wollen Sie vorher ganz genau wissen, was dort eigentlich gesagt wird. — Das sind Frühjahrsscherze an Stelle der Frühjahrsmüdigkeit.

(Abg. Rawe: Hoffentlich fällt Ihnen heute auch noch ein sachlicher Beitrag ein! — Abg. Dr. Jenninger: Sie sind ein Kabarettist! — Abg. Strauß: Konditionstraining für Hannover!)

Sie sprechen von einer Lücke, weil die Staaten nicht mehr und die Europäische Gemeinschaft noch nicht tun könnten, was eigentlich nach ihrem Konzept nötig sei. Ich sage Ihnen: Ihr Ruf nach unserer Initiative ist unredlich. Würden wir nämlich z. B. unter Bezugnahme auf die 15 Punkte, die ja in der Rede des Bundesministers der Finanzen apostrophiert worden sind, sagen, was dort im vorigen Herbst vorgeschlagen worden ist und warum wir mit gewissen Punkten noch nicht durchgekommen sind, dann würden Sie — wenn nicht selbst, so durch einen Ihrer Mitredner — sofort sagen: Seht ihr, so gehen sie mit den westlichen Gemeinschaftspartnern um. Das heißt, wie wir es auch immer machen, wir würden es Ihnen nicht recht machen können. Um so besser ist es, daß wir meinen, daß wir nicht dazu da sind, Ihnen alles recht zu machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wissen Sie, Sie dürfen die Inflation Ihrer ProfilKür-Übungen nicht für überzeugend halten. Dann kommen Sie immer wieder zu den Parteitagsanträgen. Ich sagte Ihnen schon: meine Notizen stelle ich Ihnen gern zur Verfügung; aber ich muß sie vorher zurück haben, oder ich muß Ihnen vorher Gelegenheit geben, Kopien zu machen. Wissen Sie, Ihre „Bekenntnisse" — ich muß hier Ihr Wort nehmen, das beliebte Wort -- zu „sozialer Marktwirtschaft" und ähnlichem duften

(Heiterkeit bei der SPD — Abg. Dr. Jenninger: Ihre auch!)

wie Ihre Kollektivurteile über das, was Sie gern als Kollektivismus abgestempelt und nach Ihrer Vorstellung auch abgewertet haben möchten. Das sage ich Ihnen zu dieser ungehörigen und eine lange sachliche Diskussion herausfordernden anklägerisch gemeinten Bemerkung, daß die Sozialdemokraten herzulande ein anderes Ordnungsbild hätten als Sie.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Als ob Ihr Ordnungsbild das allein bestimmende in der Bundesrepublik Deutschland wäre!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir haben ein Grundgesetz, wir haben Grundrechte, und wir haben Organe, Verfassungsorgane. Innerhalb dieses Rahmens bewegen wir uns.

(Zurufe von der CDU/CSU: Noch! — Abg. Strauß: Das ist aber jetzt die Methode nach Coué!)

Herr Dr. Barzel, zur Meinungsfreiheit. Für Ihren Nachhilfeunterricht in dieser Beziehung gibt es bei uns kein Bedürfnis. Was Sie dazu sagen, ist allzu ziseliert. Sie wissen, was ich damit in Verbform sage.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir Sozialdemokraten — ich will mich an das halten, was Sie nachlesen können — streiten für die Demokratie,

(Beifall bei den Regierungsparteien — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)




Wehner
und wir wollen, daß sie die allgemeine Staats- und Lebensordnung werden muß. An diesem Punkt trennen sich Ihre Ordnungsvorstellungen von den unseren.

(Beifall bei der SPD.)

Das haben wir von Herrn Heck schon wiederholt, wenn auch viel geistreicher, als eine Kritik an unserem Programm damals dargelegt bekommen. Ich habe die dankend entgegengenommen, weil sich darüber diskutieren und streiten läßt. Das geht aber nicht mit solchen Kollektivurteilen, wie sie Herr Dr. Barzel hier aus zweiter Hand von sich gibt.

(Abg. Strauß: Wo denn?)

Wir streiten dafür, weil diese Demokratie als allgemeine Staats- und Lebensordnung allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist.

(Abg. Strauß: Das ist schließlich die Generalprobe für Hannover!)

— Herr Strauß, Sie haben doch gestern Ihren Generalstoß geführt, und heute mußte der andere seinen Generalstoß führen. Dann sitzt da noch einer, der dann auch seinen Generalstoß führt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Da wird das vorweggenommen, weil Sie das in Hamburg nicht so tun können.

(Abg. Dr. Jenninger: Bei Ihnen macht das die Stamokap!)

Hier vorn der Herr Kohl, dann der Herr Barzel, und Sie machen das Kraut, den Kohl dann fett!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir haben auch Sinn für Ihre Probleme und für das, was daran humorig aufzunehmen ist. Entschuldigen Sie, es scheint, Sie müssen sich einmal um Ihre Basis kümmern, Herr Barzel; die werden ungeduldig.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Im übrigen haben wir ein Programm, und dieses Programm gilt. Wir sind eine lebendige Partei und haben zeitweilig unsere Probleme und Schwierigkeiten. Wir stecken sie im Gegensatz zu Ihnen nicht hinter einen Vorhang. Daß das auch Nachteile hat, wissen wir. Das sieht man aus Ihren Vorstellungen, weil Sie sich daraus Männchen kneten oder sonst etwas machen. Aber es ist in Ordnung; wir werden uns wieder sprechen. Nur hatte das, Herr Dr. Barzel, was Sie gemacht haben, mit dem Haushaltsplan und einer Generaldurchleuchtung der Politik leider wenig zu tun.

(Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: War das alles, was Sie zu sagen haben? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702701500
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff..

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0702701600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Mit einiger Verwunderung, Herr Kollege Barzel, haben wir heute diese vorgezogenen Parteitagsauseinandersetzungen in diesem Hause vernommen.

(Abg. Rawe: Graf Lambsdorff, wir haben keinen!)

— Das meine ich auch. Ich frage mich deswegen, ob wir die Probleme Ihres Parteitages, die ja auch einmal kommen, die personellen Probleme, hier diskutieren sollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Denn wenn wir uns darüber unterhalten müssen, was die Jusos fordern, können wir uns ja auch darüber unterhalten, was die Junge Union fordert; und dann sind wir wieder bei der Echternacher Springprozession: einen Weg!

(Abg. Rawe: Fragen Sie doch, was die Junge Union in Nürnberg gefordert hat!)

— Wir kommen auf Nürnberg noch zu sprechen.

(Zuruf des Abg. Strauß.)

— Herr Strauß, ich will dem gar nicht ausweichen; Sie haben das gestern genüßlich und ausführlich dargestellt.

(Abg. Strauß: Da waren ja Ihre Leute ausnahmsweise bei uns!)

— Wir werden darüber noch zu sprechen haben.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Barzel hat sich hier als ein außerordentlich emsiger Leser der „Frankfurter Allgemeinen" ausgewiesen. Ich verstehe das, denn dahinter hat man immer einen klugen Kopf. Aber, Herr Kollege Barzel, ich hoffe, Sie haben auch die gestrige „Frankfurter Allgemeine" gelesen. Dann verstehe ich Ihr lautstarkes Alibi-Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft sehr gut; denn dann werden Sie die Philippika von Herrn Professor Ludwig Erhard gegen Ihre „humane Leistungsgesellschaft" wohl zur Kenntnis genommen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte nur mit einem Satz auf das immer wiederholte Wort von den Kollektivfonds eingehen. Herr Barzel, reden wir uns doch nicht selber ein, daß jede Fondslösung eine kollektivistische Lösung sei, daß jeder Fonds ein Kollektivfonds sei. Nicht umsonst haben doch Millionen von deutschen Sparern in Fonds investiert, weil das eine praktikable, anwendbare Form ist. Sie immer mit dem Stichwort des Kollektivismus zu belegen, vernebelt und behindert eine wichtige vermögenspolitische Diskussion.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich will mich aber nun dem eigentlichen Zweck dieser Debatte zuwenden und auf das eingehen, was der Herr Bundesfinanzminister gestern hier vorgetragen hat, und auf das, was Herr Strauß dazu kommentiert hat. Ich habe das, was der Herr Bundesfinanzminister vorgetragen hat, ihm selber gegen-



Dr. Graf Lambsdorff
über als eine sehr brauchbare Haushaltsrede bezeichnet.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Das war schon eine Einschränkung!)

— Auf diese Einschränkung will ich gerade zu sprechen kommen. — Ich bin dann von einem seiner Kollegen darauf hingewiesen worden: das ist ja eigentlich eine etwas eingeschränkte Anerkennung. Sie haben das völlig richtig gehört. Meine Damen und Herren, eine glänzende Haushaltsrede, eine glänzende Finanzsituation erwartet ja auch niemand von uns unter den gegebenen Umständen, die doch in der Tat schwierig sind. Wer wollte das bestreiten? Aber das, was der Herr Bundesfinanzminister hier vorgetragen hat, war nach unserer Überzeugung ausgewogen, unpolemisch und illusionslos. Dies aber scheint uns eine wichtige Voraussetzung für eine Debatte in diesem Hause zu sein.
Leider ist diese unpolemische Note dann schon kurz nach der Abgabe der Erklärung beendet worden, indem Sie, Herr Strauß, mitgeteilt haben, dies sei ein Dokument der Ratlosigkeit. Nun fragt man sich, was eigentlich ratlos im Sinne des Wortes ist: er weiß keine Lösung, er weiß keinen Ausweg.

(Abg. Rawe: Seit wann benützt man eine Regierungserklärung, um den politischen Gegner zu verunglimpfen?)

— Ich wende mich ja gar nicht gegen diese Kritik an sich; ich will sie nur beantworten, und das werden Sie genehmigen.

(Abg. Rawe: Ich habe auf den Minister Bezug genommen, nicht auf Herrn Strauß!)

Also: keinen Ausweg, keine Lösung, ja nicht einmal Rat und Hilfe. Das bedeutet doch im Grunde Ratlosigkeit.
Nun muß ich Ihnen allerdings bestätigen, meine Damen und Herren von der Opposition: Von Ihnen haben wir Rat nicht erwartet. Wir erwarten bei Ihrer Einstellung auch 'in Zukunft von Ihnen keinen Rat. Dies gehört zu der zwar bedauerlichen, aber notwendigen Illusionslosigkeit, an die wir uns gewöhnen müssen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hilflosigkeit ist, finde ich, dann gegeben, wenn polemische Pauschalurteile ohne Verfestigung durch Tatsachen in der Öffentlichkeit vertreten werden. Hier muß ich allerdings sagen, Herr Kollege Barzel, daß ich das, was Sie am Anfang dieser Woche gesagt haben, daß nämlich die Politik des Regierungslagers die Wertordnung dieses freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates in Frage stelle und beeinträchtige, wäre nicht Ihr Auftritt von heute morgen dazwischengekommen, zurückhaltend als persönliche Kränkung jedes einzelnen von uns bezeichnet hätte; die Diktion, die Sie heute morgen gewählt haben, veranlaßt mich, das zu sagen, was ich im ersten Augenblick wirklich empfunden habe, nämlich, daß ich das als eine ganz persönliche Ehrabschneidung betrachte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Und dies, meine Damen und Herren, dies, Herr Kollege Strauß, ist Panikmache, von der Sie gestern behauptet haben, sie würde von Ihnen nicht veranstaltet. Die wird von Ihnen nicht veranstaltet? Wir haben es gestern wieder gehört: Offenbarungseid, Finanzchaos, so weit wie mit der englischen Arbeitslosigkeit sind wir ja noch nicht. Ist das eigentlich nicht Panikmache?
Ich kann nur sagen, mit dieser Panikmache haben Sie den 19. November gestaltet. Und um ein Wortspiel von Ihnen aufzugreifen, Herr Kollege Strauß: Ob das wegen Herrn Strauß, trotz Herrn Strauß oder ohne Zutun des Herrn Strauß so gekommen ist, weiß ich nicht. Aber diese Politik, die Sie hier vertreten, würde ich, um das zu wiederholen, was Sie gestern so genüßlich zitiert haben, als ein selfdefeating instrument bezeichnen.
Meine Damen und Herren, die Etatdebatte wird gemeinhin die Stunde des Parlaments genannt. Wir stehen nicht hier — ich freue mich darüber, daß die Kollegen aus den Koalitionsfraktionen das gestern auch zu einem großen Teil nicht so aufgefaßt haben —, um Regierung und Finanzminister blindlings zu verteidigen, sondern wir werden Fragen stellen. Aber selbstverständlich wird diese Koalition im Endeffekt — daran besteht kein Zweifel — den Finanzminister und diesen Haushalt tragen.
Ich möchte mir erlauben, einige dieser Fragen, die ich für notwendig halte, zu stellen.
Ich darf einen Augenblick dabei verweilen, die ökonomische Gesamtlage so, wie sie sich uns darstellt, kurz zu skizzieren. Ich zitiere sinngemäß mit Genehmigung der Frau Präsidentin aus dem Bericht eines Forschungsinstituts:
1. Die Preise sind rapide gestiegen, viel schneller, als sie es im letzten Jahr getan haben, und viel schneller, als Regierung und Wirtschaft es erwartet haben.
2. Die kurzfristigen Zinssätze sind in den letzten zwei Monaten erstaunlich nach oben gegangen.
3. Die Ausweitung der Kredite durch die Geschäftsbanken ist auf eine astronomische Höhe geschnellt.
4. Eine Reihe von Banken sind nicht mehr in der Lage gewesen, ihre Mindestreserveverpflichtungen zu erfüllen.
Dies, meine Damen und Herren, ist in der Tat eine höchst unerfreuliche wirtschafts- und währungspolitische Lage. Nur, es ist nicht die Lage in diesem Lande, sondern dies ist ein Bericht des „Argus Research Institute" vom 27. März dieses Jahres, der die Lage in den Vereinigten Staaten schildert. Das habe ich nur deswegen zitiert, weil wir endlich einmal darauf hinweisen und unter uns Klarheit darüber schaffen sollten, daß der immerzu wiederholte Vorwurf — hausgemachte, nicht hausgemachte Inflation — die Geschichte von der Henne und dem Ei ist und daß wir damit niemals zu Ende kommen, sondern uns weiter im Kreise drehen werden. Wir haben nicht bestritten — ich habe das in der Aussprache zur Regierungserklärung deutlich gemacht —, daß natürlich



Dr. Graf Lambsdorff
wir alle — nicht nur hier in diesem Hause, sondern auch in den anderen Parlamenten und Regierungen dieses Landes — einen Teil Verantwortung für diese Entwicklung mittragen. Ich habe aber ebenso deutlich gemacht, daß wir der Überzeugung sind, daß der bei weitem größere Anteil nicht aus dieser Eigenproduktion stammt.
In diesem Zusammenhang, Herr Bundesfinanzminister, ist es richtig gewesen, daß Sie so deutlich auf den betrüblichen Einfluß der Importpreise hingewiesen haben. Hier können wir erneut ein Kapitel aus den Lehrbüchern streichen, denn es ist ja bisher davon ausgegangen worden, daß der Import das nationale Preisniveau nach unten korrigieren könne. Es ist eben zu einfach, Herr Müller-Hermann, zu sagen, wie Sie es in Ihrem Zwischenruf getan haben: nun habt ihr kein Alibi mehr, oder wie Herr Strauß zu formulieren: es wird immer nur nach anderen Sündenböcken gesucht. Dies ist keine rein hausgemachte Inflation.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Aber es ist auch nicht eine rein von außen bestimmte Inflation!)

— Habe ich das eben gesagt? Ich habe genau differenziert und habe gesagt, daß nach meiner Überzeugung der größere Teil von außen kommt und ein Teil der Verantwortung selbstverständlich auch von uns getragen werden muß; da gibt es gar keinen Zweifel. Nur, Sie behaupten jeweils immer das Gegenteil.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Nein, nein!)

Sie könnten allerdings den hausgemachten Anteil auf einen erheblich höheren Prozentsatz bringen, wenn Sie sich z. B. so verhalten würden, wie es die Frage des Kollegen Rollmann in der Fragestunde andeutet, wenn Sie nämlich ernsthaft dazu übergehen wollten, die Sparzinsen gegenüber anderen Einkünften steuerlich unterschiedlich zu behandeln. Hat sich eigentlich jemand, der eine solche Frage stellt, einmal überlegt, wie das weitergehen soll? Da geht es ja nicht nur um das Kontensparen; da sind ja auch die Hypothekengläubiger, die Lebensversicherten, die Anleihegläubiger, die Bausparer, die Pfandbriefgläubiger usw. Wenn Sie auf diesen gefährlichen Trugschluß verfallen, dann allerdings nährt die Inflation sich selbst und treibt sich weiter an. Das wäre in der Tat hausgemachte Inflation.
Der Herr Kollege Breidbach — das möchte ich im Zusammenhang mit den internationalen Problemen noch sagen, Herr Müller-Hermann — hat während der Einbringungsrede des Herrn Bundesfinanzministers, als dieser auf die etwas günstigeren Zahlen in Frankreich hingewiesen hat, den, wie ich meine, wenig überzeugenden Zwischenruf gemacht: das sind ja auch keine Sozis. Sehen Sie sich die englischen Verhältnisse, die massiven Haushaltsdefizite in Großbritannien an, die aus der dortigen Situation erklärlich sind!

(Abg. Franke [Osnabrück]: Ich muß den Kollegen Breidbach in Schutz nehmen! Das war ich!)

Dort sind, Herr Franke, natürlich auch keine Sozis. Von der stabilitätspolitischen Seite her — ich sage nicht: von der politischen Seite her; wir hätten diese politische Last auch noch in Kauf genommen; der Herr Bundesfinanzminister hat das betont, und ich glaube, es wäre richtig, wenn wir das getan hätten —, müssen wir froh sein, ,daß das Block-Floating zur Zeit nicht alle die umfaßt, die wir uns politisch gern in diesem Rahmen gewünscht hätten. Mit dem immerzu wiederholten Spruch: „Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch" ist zwar, meine Damen und Herren, Agrarproduktwerbung zu betreiben, aber nicht die Währungsdiskussion zu führen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich etwas zum Verhältnis zwischen Bund und Ländern sagen. Darüber ist hier schon gesprochen worden, so daß ich mich kurz fassen kann.
Ich gestehe ganz offen, daß ich den Föderalismus weder mit der Muttermilch noch mit Starkbier eingesogen habe.

(Abg. Strauß: Einiges andere auch nicht!)

— Natürlich nicht alles, Herr Strauß; das wäre auch schlimm. — Ich will gar keinen Hehl daraus machen, daß mir der schul- und hochschulpolitische Föderalismus in dieser Form ein Greuel ist. Aber ich habe doch in 20, 25 Jahren praktizierter Verfassungswirklichkeit gelernt — das will ich nicht bestreiten —, daß hier ein System von checks and balances besteht, das wir nicht ohne Not in Frage stellen dürfen.
Ich meine auch, daß der Bundesrat in diesem Zusammenhang in der Vergangenheit eine politisch wichtige Rolle sehr effektiv, sehr nützlich und sehr richtig wahrgenommen hat. Um so schlimmer, meine Damen und Herren, finde ich aber, wie Föderalisten in der gegenwärtigen Bundesrats-Diskussion mit dem Föderalismus umgehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn es dabei bleibt, daß dieses Steuerpaket schlichtweg abgelehnt wird, daß dieser Stabilitätsvorschlag schlichtweg vom Tisch gefegt werden soll, dann, Herr Dr. Barzel, ist es nicht mehr möglich, daß Sie uns sagen, wir wollten nur versuchen, unsere Propagandabüchsen zu füllen, wenn wir nach Alternativen rufen.
Der Bundeswirtschaftsminister hat in der Aussprache zum Jahreswirtschaftsbericht erklärt, er erwarte von Ihnen keine Alternativen; er halte Sie für dazu nicht verpflichtet. Ich bin nicht dieser Ansicht und fand, daß das eine sehr großzügige Erklärung war. Wenn Sie aber unter Benutzung Ihrer Mehrheit im Bundesrat alles das, was wir zur Lösung dieses Problems vorlegen, sabotieren, wenn Sie es verhindern, dann, Herr Kollege Barzel, sind Sie zu Alternativen aus der Sache heraus verpflichtet, dann müssen Sie uns sagen, was an die Stelle unserer Vorschläge treten soll.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Rawe: Werden wir dann auch tun! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Einverstanden!)




Dr. Graf Lambsdorff
— Wenn Sie das tun werden, Herr Kollege Barzel, dann wäre das ein Erfolg langfristiger Bemühungen und beharrlichen Zuredens. Es wäre eine großartige Sache, wenn wir das heute endlich auf den Tisch bekämen; wir sind darauf gespannt.

(Abg. Dr. Althammer: Der Bundesrat hat das doch gemacht!)

— Die Bundesratsvorschläge werden Sie doch nicht als ernsthafte Alternative zu dieser Frage betrachten können.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Wenn Sie aus dem Bundesrat in diesem Zusammenhang eine Oppositions-Abstimmungs-Unterstützungs-Kompanie machen,

(Abg. Dr. Jenninger: Das waren doch die eigenen Leute, die dagegengestimmt haben!)

dann, so meine ich, wird das Prinzip des Föderalismus verletzt. Im übrigen kann ich mir nicht helfen — der händlerische Zug, der da darin steckt, ist mir nicht angenehm, und er kann uns allen nicht angenehm sein —: hinter der Fassade eines würdigen, staatspolitischen Gehabes wird nach dem Motto gehandelt: „Mit 5 % sind wir dabei."

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ein Wort zur Ausgabenmentalität insgesamt. Der Herr Bundesfinanzminister hat auf die Anträge der Opposition, die sich ausgabenfördernd auswirken, hingewiesen. Nun, das wird wahrscheinlich immer so sein; nichtsdestoweniger bleibt es beklagenswert. Aber generell müssen wir uns doch fragen, ob die Parlamente — nicht nur dieses Haus, sondern die Parlamente schlechthin, bis hinunter zum letzten Gemeinderat — ihre Aufgabe noch darin sehen, Ausgaben zu kontrollieren, oder ob sie sie darin sehen, Ausgaben der Regierung nach Möglichkeit noch durch Zusatzanträge zu erhöhen. Es stellt sich die Frage, ob das noch mit dem ursprünglichen Parlamentsverständnis im Einklang steht. — Nein, das tut es sicherlich nicht. Gewiß, die Gewaltenverteilung hat sich seither verändert, aber dennoch müssen wir uns fragen, ob es nicht zu unserer Verantwortung gehört, gelegentlich auch einmal in unseren Wahlkreisen, zu sagen: dies und jenes geht nun nicht.

(Abg. Dr. Jenninger: Sehr wahr!)

Aber sehen Sie sich dazu einmal die Liste der Mündlichen Anfragen in diesem Hause an. Wenn Sie das alles ausführten, was dort an Kostenfolgen und kostenwirksamen Anregungen in diesen Fragestunden enthalten ist — —

(Abg. Dr. Jenninger: Von allen Richtungen! — Abg. Dr. Müller-Hermann: Das ist die Inflationsmentalität!)

— In allen Richtungen, genau!
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesfinanzminister hat sich hier auch zur Kreditausweitung, die in den letzten Wochen vor sich gegangen ist, geäußert. Ich glaube, Herr Kollege Schmidt, daß das im Prinzip richtig ist. Es besteht kein Zweifel, daß dort Mißbräuche vorgekommen sind. Sie müssen aber auch sehen, daß mit einer Erhöhung der Mindestreserven, die erst relativ spät so massiv gekommen ist, und auch mit den Bardepotgesetz-Möglichkeiten, die wir relativ spät geschaffen haben — zunächst einmal der Eingriff nicht so früh geschehen konnte, wie er besser geschehen wäre, und daß zum zweiten irgendwo der Ersatz der im Ausland aufgenommenen Kredite erfolgen mußte. Andernfalls treiben Sie die Unternehmen in die Illiquidität. Dies kann natürlich nicht das Ziel der Klasse sein.
Ich will damit aber die Fälle mit keinem Wort der Verteidigung bedenken, in denen — und das ist passiert — Kreditlinien zu, sagen wir, 9 oder 10% ausgenutzt worden sind, um sie für 20 % — heute sind es 25 % — am Tagesgeldmarkt bei der Nachbarbank oder, wer die Chuzpe hatte, sogar bei derselben Bank zur Anlage anzubieten. Dies ist volkswirtschaftlich unvertretbar und mit dem Gesichtspunkt der Gewinnmaximierung unter Würdigung der volkswirtschaftlichen Gesamtumstände nicht mehr vertretbar.
Ich frage mich manchmal, ob eigentlich in dieser Sache Gespräche versucht worden sind. Ich habe den Eindruck, sie sind zu spät versucht worden. Ich glaube, man hätte sich einmal mit den Verantwortlichen in der Wirtschaft zusammensetzen können, eine Anregung, die weniger die Regierung als andere Stellen angeht.
Herr Bundesfinanzminister, ich glaube, Sie haben - Hannover spielt natürlich auch hier etwas hinein — eine gewisse Vorleistung erbracht — die Zustimmung unseres Koalitionspartners, Ihrer Freunde, hat das deutlich gemacht —, als Sie das Universalbankprinzip angesprochen haben. Darüber kann man selbstverständlich diskutieren. Ich möchte nur dringend darum bitten, hier keinen neuen Popanz aufzubauen, von dem man nachher nicht mehr herunter kann, weil man ihn ideologisch aufgeblasen hat und die Dinge nicht mehr pragmatisch sieht. Sie müssen bedenken, daß im Rahmen des deutschen Kreditwesens seit 1967 — Zinsfreigabe, Börsenreformgesetz — einiges geschehen ist, und Sie müssen, wie ich glaube, auch sehen, daß die Reformgesetze, die in den Ausschüssen auf dem Tisch liegen — Hypothekenbankgesetz, Versicherungsaufsichtsgesetz und noch einmal Börsenreformgesetz —, den Weg weisen, das Notwendige in der richtigen und an den Ordnungsprinzipien ausgerichteten vernünftigen Weise zu tun. Sie wären nämlich nicht in der Lage, in diesem Kreditwesen an die Stelle des derzeit geltenden Systems eine Aufspaltung von Geschäftsbanken und Investmentbanken zu setzen, einfach weil das Volumen für die letzteren nicht groß genug ist. Ich habe lange genug darin gearbeitet, ich habe lange genug mit dem Gedanken gespielt, wie man das als Börsianer, wenn man an der Börse arbeitet, immer tut: in der Hausse fährt man Jaguar und in der Baisse auf dem Fahrrad. Wir haben uns damals überlegt, ob man diesen Bereich nicht einfach ausgliedern könnte. 1966/67 fanden wir die Idee faszinierend, 1969 wären wir mit einem solchen Unternehmen



Dr. Graf Lambsdorff
schlichtweg pleite gewesen, weil das Volumen bei uns nicht vorhanden ist.
Sie dürfen auch nicht übersehen — dies halte ich für einen wichtigen Gesichtspunkt —, daß das deutsche Kreditwesen so vielfältig gegliedert ist wie in keinem anderen Lande der Welt. Die Gruppen der Sparkassen, Genossenschaftsbanken, privaten Banken, Gemeinwirtschaftsbanken bieten eine solche Vielfalt und eine solche Garantie für Wettbewerb, daß wir hier eine Basis finden, die für die Durchsetzung unserer ordnungspolitischen und insbesondere unserer Wettbewerbsvorstellungen völlig ausreichend ist. Noch einmal sei gesagt, wie das schon in der Debatte zur Regierungserklärung gesagt worden ist — nicht, weil wir akute Befürchtungen hätten —: Eine Verstaatlichung des privaten Bankwesens wird unsere Zustimmung nicht finden.
Eine andere Frage ist es — auch dies ist ein kritischer Punkt , ob der Erwerb und die Dauer des Haltens industrieller Beteiligungen in dem zur Zeit bestehenden Ausmaß wünschenswert oder notwendig ist. Darüber kann und sollte gesprochen werden. Wir sehen mit Erstaunen, daß sich die öffentlichen Banken jetzt auf denselben Weg begeben.
Darf ich in diesem Zusammenhang eine interessante Anregung aufgreifen, die das Mitglied des Sachverständigenrates, Herr Professor Gutowski, vor wenigen Tagen gemacht hat. Er hat sich gegen die Kreditplafondierung geäußert — das findet unseren Beifall. Er hat aber außerdem vorgeschlagen, die Offenmarktpolitik der Bundesbank, die wir auch unter Nichtbanken exerziert sehen möchten die Bundesbank macht die ersten Anfänge damit —, durch langfristige Offenmarkttitel zu unterstützen; das wäre hilfreich.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ein Wort — ich habe mich dazu in der Öffentlichkeit gelegentlich geäußert, ich weiß nicht, ob mißverständlich, aber es ist zum Teil auf Widerspruch gestoßen — zu dem Problem der Unabhängigkeit unserer Notenbank schlechthin. Wir wollen daran nicht rühren. Wir halten die Unabhängigkeit und Autonomie der Notenbank für einen segensreichen Zustand, der so bleiben sollte, wie er ist. Aber er setzt Ausgewogenheit voraus, und wir meinen — ich befürchte es jedenfalls —, daß ein zunehmender Drang zur weiteren Verstärkung des kreditpolitischen Instrumentariums zwangsläufig die Frage nach dem Status und der Autonomie der Notenbank in sich schließt. Das braucht man gar nicht zu betreiben, das ist so; es kommt einfach mit auf den Tisch. Die vierte Macht im Staate, meine Damen und Herren, steht weder bei Montesquieu noch im Grundgesetz.
Im übrigen haben wir vor wenigen Wochen noch gemeint, daß die Geld- und Kreditpolitik nicht ausreiche, daß die Mittel erschöpft seien. Nun, bei Tagesgeldsätzen von 25 % wird man das nicht mehr gut sagen können. Wenn die Absicherung der außenwirtschaftlichen Flanke funktioniert — und zur Zeit funktioniert sie —, ist dem nicht so.
Noch ein Wort — der Herr Kollege Strauß ist, glaube ich, nicht mehr unter uns, aber er wird es vielleicht freundlicherweise nachlesen — zu der volkswirtschaftlichen Belehrung, die Herr Strauß uns gestern hier erteilt hat. Da ging es um die Frage der Abschreibungen und der Finanzierung aus Abschreibungen von Unternehmenserwerben durch die Stahlindustrie. Ich äußere mich zu diesem Thema zur Sache nicht. Aber Herr Strauß hat übersehen — entweder er hat die Meldung übersehen oder er hat das Kapitel Abschreibung nicht zu Ende gelesen -, daß ja die Klagen lauteten — gerade die Klagen der Stahlindustrie —, man mache Substanzverlust, das heißt, man verdiene die Abschreibungen nicht mehr. Wenn man die Abschreibungen nicht verdient, dann möchte ich wissen, wie man daraus Liquidität gewinnen will, um andere Erwerbe zu finanzieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ein letztes Wort zu dem, was der Herr Bundesfinanzminister zu unseren außen- und sicherheitspolitischen Verpflichtungen hier gesagt hat. Er hat betont, und der Vorsitzende der Opposition hat das heute aufgegriffen, daß wir zu diesen Verpflichtungen stehen und daß wir sie erfüllen werden. Wir begrüßen das. Wir wollen ganz deutlich sagen, daß wir diese Passage, Herr Bundesfinanzminister, deutlich und nachhaltig unterstützen und zu dieser Politik stehen. Wir bitten darum und machen darauf aufmerksam, daß hier die Zusammenhänge gesehen werden zwischen außen- und sicherheitspolitischen Erwägungen auf der einen Seite sowie währungs-, wirtschafts- und handelspolitischen Erwägungen auf der anderen Seite. Dies ist heute untrennbar miteinander verbunden, ob wir das mögen oder ob wir das nicht mögen; es ist im Zweifelsfalle eher unbequem. Sie sind aber untrennbar miteinander verbunden, und dieser Tatsache müssen wir Rechnung tragen. Insofern hatte Herr Leicht gestern recht, als er auf diese Haushaltsposition, die möglicherweise auf uns zukommt, hingewiesen hat. Nur erleichtert es nicht gerade Verhandlungen, wenn man durch Aufnahme in den Haushalt solche Positionen schon vorher festlegt. Dann kann ich meine Verhandlungsargumente in der Garderobe abgeben, bevor ich den Verhandlungssaal betreten habe.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Den Antiamerikanismus teilen wir wahrhaftig nicht, und auch darauf habe ich an dieser Stelle vor wenigen Wochen sehr deutlich hingewiesen. Wir halten das für eine leichtfertige und gefährliche Angelegenheit. Aber ich kann dem Herrn Kollegen Wehner nur zustimmen. Es ist außerordentlich begrüßenswert, daß wir gestern abend erfahren konnten, daß der Herr Bundeskanzler in die Vereinigten Staaten reist, um sich unter anderem natürlich auch mit dem Problem der psychologischen Beziehungen zwischen uns und den Vereinigten Staaten zu beschäftigen.
In diesem Zusammenhang stimmen wir Herrn Strauß zu. Auch meine Freunde hier in diesem Hause, ebenso wie im Stadtrat von Nürnberg, halten solche Beschlüsse für schlichtweg leichtfertig und unverantwortlich und meinen, daß das korrigiert werden könnte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. Graf Lambsdorff
Aber Herr Strauß hat dann hier gestern Vergleiche zwischen Dollar und Rubel gezogen, die verständlicherweise unfreundlich aufgenommen worden sind. Ich würde einen Schritt weitergehen: Was glaubt man eigentlich, wie ein solcher Vergleich mit dem System einer nicht-konvertiblen Währung und staatlich festgesetzten Verrechnungspreisen — Sie wissen alle, was im Comecon sich auf der Rubel-Basis abspielt — bei unseren Partnern auf der anderen Seite des Atlantiks aufgenommen werden wird?

(Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Sehr richtig!)

Ist das im Zusammenhang mit den Klagen über den Antiamerikanismus eigentlich die richtige Sprachweise?

(Vorsitz: Vizepräsident von Hassel.)

Nur aus Freude an equilibristischen Formulierungen sollte man so etwas nicht tun.

(Beifall bei der FDP.)

Herr Bundeskanzler, wir bitten Sie dringend darum, das Problem des Weltwährungssystems und seiner Reform — ich werde nicht müde, das zu wiederholen, auch wenn es den einen oder anderen von Ihnen langweilen mag — mit nach drüben zu nehmen. Die letzten Berichte aus der Sitzung des Zwanziger-Ausschusses klingen hoffnungsvoll. Aber es muß immer wieder deutlich gemacht werden, daß wir unseren Anteil daran leisten wollen. Denn nur dann, wenn das in Ordnung gebracht wird, können wir auch, Herr Dr. Barzel, auf dem Wege weiterschreiten, den Sie mit Recht gewiesen und zu Unrecht kritisiert haben.
Es ist doch einfach nicht richtig, uns vorzuhalten, wir hätten die Instrumente der Stabilitätspolitik in Europa nicht geschaffen. Wir haben hier vorgetragen, daß wir in diese europäische Währungsunion mit dem zehnten Schritt zuerst hineingegangen sind, daß die vorgesehene Reihenfolge überhaupt nicht eingehalten werden konnte, weil uns das über den Hals gekommen ist. Daß das nachvollzogen und nachgeholt werden muß, sei unbestritten.
Ich wehre mich auch dagegen, Herr Kollege Barzel, daß Sie uns vorhalten, wir verniedlichten die Inflation. Wir versuchen sie zu bekämpfen mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Wir erwarten in diesem Punkte mehr als ein bloßes Nein der Opposition.
Nach Auffassung meiner Fraktion ist dieser Haushaltsentwurf, der uns zur Beratung vorgelegt worden ist, realistisch und solide. Er bietet eine gute Grundlage für die politische Arbeit des Jahres 1973.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0702701700
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702701800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im weiteren Verlauf dieser Debatte zu den eigentlichen Haushaltsfragen Stellung nehmen. Ich möchte mich in diesem Augenblick mit einigen der allgemeinpolitischen Fragen beschäftigen. Es ist ja der Wunsch geäußert worden, auch heute früh durch den Oppositionsführer, daß ich dies tun möge.
Gestern ist, wie Sie wissen, bestätigt worden, daß als Ergebnis eines Meinungsaustausches der letzten Wochen der Präsident der Vereinigten Staaten seine Einladung an mich ausgesprochen hat, die dazu führt, daß ich am 1. und 2. Mai in den Vereinigten Staaten sein werde. Der Bundesaußenminister, der vorher in einer Botschafterkonferenz in Djakarta ist, wird von dort aus herüberkommen, so daß wir einen wesentlichen Teil der Gespräche zusammen führen können.
Heute früh war meine Verspätung auch durch ein außenpolitisches Engagement begründet. Mir tut es leid. Ich finde nur: so wie ich selbst oder meine Mitarbeiter hätten mitteilen können, daß der Botschafter eines größeren Landes heute vormittag um einen Termin mit mir gebeten hatte — und ich glaubte, 9 Uhr sei besser als hinterher mitten in der Sitzung -, so hätte auch der Oppositionsführer freundlich genug sein können, mich wissen zu lassen, daß er die Absicht hätte, zu beginnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Barzel: Das war bekannt, war allgemein bekannt!)

Denn ich habe auch nicht weniger zu tun als er; da sind wir uns einig.

(Abg. Rawe: Aber das war bekannt, Herr Bundeskanzler! Sie können sich die Empfindlichkeit sparen!)

Die Sache war also so, daß der Botschafter der UdSSR gestern gebeten hatte, ob er mich heute sehen und mir einen Brief überreichen könnte. Er hat mir heute früh einen Brief des Generalsekretärs des Zentralkomitees der KPdSU, Herrn Breschnew, übergeben. Herr Breschnew bekräftigt in diesem Schreiben seine Bereitschaft, einer Einladung des Bundeskanzlers zu einem Besuch der Bundesrepublik Deutschland Folge zu leisten. Das war der Grund, weswegen ich heute früh etwas verspätet war.
Nun ist also gesagt worden, der Bundeskanzler möge sich zur allgemeinen Politik äußern. Was will die Opposition dazu eigentlich hören? Erwartet sie, daß der Bundeskanzler etwas anderes sagt als das, was er hier in der Regierungserklärung am 18. Januar oder in der Debatte zum Grundvertrag gesagt hat

(Beifall bei den Regierungsparteien)

oder was der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister im Anschluß daran in Paris aus Anlaß der zehnjährigen Wiederkehr des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages gesagt haben oder was gesagt worden ist, als der britische Premierminister hier war? In all diesen Fällen, d. h. praktisch von Woche zu Woche, ist wiederholt ergänzt, erläutert worden, was die erklärte Politik dieser Regierung und der sie tragenden Koalition ist.
Aber ich will noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, auf die Gefahr hin, daß ich mich wiederholen muß — das hilft dann eben nichts —: Die Bundes-



Bundeskanzler Brandt
regierung wird in ihrer Außenpolitik, in ihrer Europapolitik, in ihrer Deutschlandpolitik weiterhin den Kurs verfolgen, den ich in meiner Regierungserklärung vom 18. Januar aufgezeigt habe.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es dient nicht den deutschen Interessen, wenn dies in Zweifel gezogen wird.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Auch eine gewisse Aufregung vom Dienst, wenn ich es so nennen darf, geht an den eigentlichen Interessen unseres Staates und der in ihm verantwortlichen politischen Kräfte vorbei. Unsere Aufmerksamkeit ist auf die Sachfragen konzentriert,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Ihr Problem!)

die im Bündnis zwischen Ost und West, in Europa und zwischen den beiden deutschen Staaten zu prüfen und zu beantworten sind.
Was die beiden Besuche angeht, unseren in den Vereinigten Staaten und den anderen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, so begrüße ich in beiden Fällen die Gelegenheit für einen ruhigen Gedankenaustausch, der unter keinerlei dramatischem Zwang steht. Viele Spekulationen der hinter uns liegenden Wochen haben sich, wie man sich überzeugen kann, als müßig erwiesen, und mancher muß erhebliche Kraftanstrengungen verbaler Art machen, um von diesen Spekulationen wegzukommen. Es mag zwar dem sportiven Ehrgeiz dieses oder jenes Kommentators und auch des einen oder anderen Oppositionspolitikers entsprechen, dem jeweils jüngsten Gerücht nachzujagen. Zur politischen Aufklärung trägt das aber, meine Damen und Herren, so gut wie überhaupt nicht bei.

(Beifall bei der SPD.)

In meinen Schlußbemerkungen zur Aussprache über die Regierungserklärung im Januar — ich sehe immer wieder mit einem gewissen Interesse, daß hier und da meine Schlußbemerkungen noch positiver kommentiert werden als die Regierungserklärung selbst; das hat man manchmal davon, wenn man an einer Sache länger sitzt als an der anderen, nämlich daß diejenige, an der man nicht so lange gesessen hat, manchmal noch mehr Zustimmung findet als die andere — nannte ich als einen ausgesprochenen Schwerpunkt unserer Interessen die Fundamentierung der amerikanisch-europäischen Allianz durch Prüfung und Ausgleich der gemeinsamen Interessen und Bewahrung der Sicherheit. Genau darum, meine Damen und Herren, handelt es sich. Die Ordnung der europäisch-amerikanischen Bindungen ist ein zentrales Problem der kommenden Jahre. Wir drängen seit langem auf den Dialog unter Partnern, auf einen Dialog, der realistischer und entschiedener geführt werden kann, wenn den Vereinigten Staaten von Amerika endlich jene europäische Persönlichkeit begegnet, die sie, die USA, früher immer erhofften,

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

jene Gemeinschaft, die, wie es früher aus guten Gründen immer wieder hieß, mit einer Zunge einen klaren politischen Willen auszudrücken vermag.
Nun sind — zumindest darüber brauchte es keine Meinungsverschiedenheiten in diesem Hause zu geben — die Aufgaben einer atlantischen Kooperation ausgesprochen komplex. Sie schließen Handelsprobleme ebenso ein wie die Arbeit für ein neues Weltwährungssystem. In diesem Zusammenhang ist nicht ohne Grund von einem großen architektonischen Entwurf die Rede gewesen, weil man damit etwas anvisierte, was die Vielzahl, die Vielfalt der Beziehungen zwischen Westeuropa und der anderen Seite des Atlantik zum Inhalt hatte. Es wäre gut, wenn uns — „uns" heißt immer „uns mit anderen" — ein solcher großer architektonischer Entwurf gelänge. Präsident Nixon hat — das begrüße ich sehr — den amerikanischen Willen zu konstruktiven Lösungen deutlich gemacht. An unserer Bereitschaft zu sachlichen und großzügigen Antworten auf die Grundfragen und die Detailfragen kann es keinen Zweifel geben.
Wir betrachten - lassen Sie mich das hier noch einmal sagen; wie schon eingangs, betone 'ich: dies ist Unterstreichung, es ist zwangsläufig auch Wiederholung — die Zuverlässigkeit der europäischamerikanischen Partnerschaft, Herr Kollege Barzel, als Basis unserer Friedenspolitik. Dieser Satz steht, und an ihm gibt es nichts zu deuteln.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Kein Mitglied meiner Regierung hat ihn jemals in Frage gestellt. Daran ändern auch Tatarennachrichten nichts, auf die ich gleich zu sprechen komme. Daran ändern übrigens — Herr Kollege Strauß ist nicht da — auch manche Giftküchen in Washington nichts, die ich auch dann Giftküchen nenne, wenn in ihnen mit Journalistenausweisen ausgestattete Personen sitzen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich meine jene, die noch in den letzten Tagen wissentlich falsche Dinge berichtet und sie als Nachrichten ausgegeben haben. Herr Strauß kennt einen davon ziemlich genau.

(Abg. Katzer: Wer war das denn?)

Meine Damen und Herren, wer hat denn im übrigen Vorschläge

(Abg. Katzer: Wer war das denn? Das muß man doch einmal hören!)

über die europäisch-atlantische Kooperation gemacht?

(Abg. Katzer: Das können wir doch nicht einfach so hinnehmen!)

Wer hat denn dieses Thema auf der westeuropäischen Gipfelkonferenz im Dezember 1969 auf den Tisch gelegt? Wer anders als der, der hier zu Ihnen spricht, hat 1970 und 1971 dieses Thema in Washington — —

(Zuruf der Abg. Frau Berger [Berlin].)




Bundeskanzler Brandt
— Nun bezweifeln Sie das doch nicht auch! Ich muß mir das doch wohl nicht erst von den Amerikanern bestätigen lassen. Es wäre für Sie doch ein Armutszeugnis,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

wenn ich es mir von denen bestätigen lassen müßte, weil Ihre Verbohrtheit dahin geht, daß Sie es nicht einmal mehr zur Kenntnis nehmen wollen, Frau Kollegin, wenn man, ich sage ja gar nicht: etwas Besonderes tut, sondern seine Pflicht tut, nämlich den Partnern in der Welt gegenüber das vertritt, was man dem Bundestag und den Wählern angekündigt hat; und das werde ich weiterhin tun.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Daß Sie nichts Besonderes tun, ist ja allgemein bekannt!)

Ich erinnere an 1970, 1971 in Washington, 1972 im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes, der uns nicht abgehalten hat, der Wiederkehr der denkwürdigen Rede George Marshalls zu gedenken, aber mit politischer Begründung. Kollege Birrenbach fuhr für die Opposition mit. Es war keineswegs nur eine einseitige Veranstaltung, sondern mit Recht eine solche, die die Gesamtheit der politischen Kräfte dieses Hauses ausdrückte.
Ich denke an die sogenannte Gipfelkonferenz in Paris im Monat vor der Bundestagswahl 1972. Schauen Sie doch bitte nach, was veröffentlich ist. Wenn es noch nicht geschehen ist, dann fragen Sie doch bitte im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages nach, wer welche Vorschläge zu welchem Teilkomplex der europäisch-amerikanischen Allianz in Paris auf den Tisch gelegt hat!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn Sie mögen, dann fragen Sie bitte dort und im Finanz- oder im Wirtschaftsausschuß, wie der Kollege Helmut Schmidt die europäische Währungsfrage im einzelnen angegangen ist und immer wieder versucht hat, in ständigem Benehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister und dem Bundeskanzler die nahtlose Abstimmung mit den Amerikanern zustande zu bringen, allerdings ohne den Amerikanern nach dem Mund zu reden, meine Damen und Herren;

(Beifall bei den Regierungsparteien)

denn damit ist in einer solchen Frage auch nichts gewonnen. Wenn um Interessen gerungen wird, dann muß man auch den Amerikanern sagen, was aus europäischer Sicht möglich und was nicht möglich ist. Wenn wir vor einer neuen GATT-Runde stehen, dann nützt es eben nichts und man dient nicht den Interessen des eigenen Landes, wenn man dabei nur sagt: Ihr müßt die amerikanischen Forderungen erfüllen. Dann muß man den Amerikanern vielmehr sagen: Liebe Freunde, ihr habt das vorige Mal das ASP, das American Selling-Price System, für das sich z. B. eure Delegation stark gemacht hatte, hinterher durch euren Kongreß nicht bestätigt bekommen; das kreiden wir eurer Administration in Washington zwar nicht an, aber wir müssen miteinander ein System aushandeln — d. h. dann wohl durch rechtzeitige Einbeziehung des dortigen Kongresses und anderer Stellen in den europäischen
Ländern bei ratifizierungsbedürftigen Vorgängen —, bei dem alle Beteiligten wissen, daß das, was wir am Schluß einer neuen GATT-Runde vereinbaren, auch durchgeführt werden kann und durchgeführt wird. — Ich habe das nur als Beispiel genannt.
Hier ist doch überhaupt kein Zweifel, meine Damen und Herren: Wenn es nach unserer Regierung gegangen wäre — hier sage ich ganz bewußt: auch nach dem Bundeskanzler, dem Außenminister und nicht zuletzt dem Bundesfinanzminister —, dann hätten wir im Laufe einiger Wochen zu Beginn dieses Jahres, was die Bildung der Währungs- und Wirtschaftsunion in Westeuropa angeht, einen Sprung nach vorn gemacht; wir waren ziemlich nahe daran, auch was die Hauptpartner angeht. Dann haben objektive Gründe in einem wichtigen Land der erweiterten Gemeinschaft diesen Sprung nicht möglich gemacht. Trotzdem sind wir ein Stück vorangekommen.
Wenn man sich jetzt einmal mehr im Detail, als wir es hier im Plenum tun könnten, vorstellt, wie man den Zwanziger-Klub und den Zehner-Klub auf solche Handels- und Währungspartner herunterdividiert, die, jetzt sagen wir es frei nach Orwell, gleich sind wie alle anderen, aber doch gleicher als alle anderen, und wie man dies alles zusammenzufügen versucht hat, dann kann man hier nicht mit derartigen Vorwürfen kommen, wie sie erhoben worden sind.
Ich kann im übrigen meinem Vorredner, dem Kollegen Graf Lambsdorff, sagen, daß wir seine Aufforderung und die seiner politischen Freunde sehr wohl verstanden haben und dankbar sind, daß uns dies als Anregung und als Wunsch mit auf den Weg gegeben wird, was den Dialog mit den Vereinigten Staaten angeht.
Im übrigen, wenn Sie die Zwischenbemerkung erlauben, meine Damen und Herren: Herr Strauß gestern, Herr Kollege Barzel heute haben, wie es auch zuvor in einigen Zeitungen der Fall war, für viele von uns schwer verständliche Andeutungen gemacht, die sich auf den Kollegen Egon Bahr beziehen; schwer verständlich deshalb, weil keiner der beiden, weder Herr Strauß noch Herr Barzel, nehme ich an, bisher den vollen Wortlaut dessen gelesen haben oder doch? —, worauf sich ihre Äußerungen beziehen; ich noch nicht, weil es mir trotz aller Bemühungen mit Hilfe unserer Botschaft noch nicht gelungen ist, das Vorweg-Exemplar mit dem vollen Text zu bekommen.

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

Ich habe erst Auszüge. Aber ich könnte mich schon gestützt auf diese Auszüge äußern und will dann einmal folgendes sagen.
Erstens zur Methodik. Auf die hat Herr Kollege Wehner gestern in einem Zwischenruf hingewiesen, und ich möchte das von dieser Stelle aus gern aufgreifen, auch aus Kollegialität gegenüber einem Mitarbeiter, einem Kabinettskollegen, der im Krankenhaus ist. Wenn ein Professor vier Jahre Zeit braucht, um die Aufzeichnungen über ein damals geführtes Gespräch zu veröffentlichen — nebenbei gesagt, ohne sie dem noch mal zu zeigen,

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)




Bundeskanzler Brandt
mit dem das Gespräch geführt worden ist —, wenn einer vier Jahre später Notizen über ein Gespräch veröffentlicht, dann hätten Sie auch vier Wochen Zeit gehabt, bis Egon Bahr wieder gesund ist und sich selber dazu äußern kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was sind im übrigen in jenen Jahren alles für Stufenpläne entwickelt worden, nicht nur in Gesprächen wie mit dem Professor Hahn, den ich nicht kenne; ich glaube, der Herr Carstens kennt ihn näher, auch aus seinem Aufenthalt hier in Bonn in den letzten Wochen, und auch die Adenauer-Stiftung kennt ihn, glaube ich, besser als ich aus seinem Aufenthalt in den letzten Wochen in Bonn.

(Lachen bei den Regierungsparteien.)

Aber anders als in dem Fall des Gesprächs im Januar 1969 mit dem damaligen Leiter des Planungsstabes des Auswärtigen Amts könnte doch nun auch jemand auf den Gedanken kommen, veröffentlichte Pläne zu nehmen, z. B. einen solchen, den Herr Barzel nicht zur überschäumenden Freude seiner Parteifreunde in New York an einem 17 Juni vorgetragen hat oder hat vortragen wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Wehner: Hier hat er es verteilen lassen!)

Jedenfalls stand der Text uns allen zur Verfügung, und wir hielten dies für das Ergebnis der Sorge eines Mannes darum, wie wir uns, wenn es irgend geht, zu einer Lösung der nationalen Frage im Sinne der staatlichen Einheit voranarbeiten könnten.

(Abg. Katzer: Genau das war es!)

- Genau das war es, und das war es bei manchen
anderen im Laufe dieser Jahre.
Nur, wenn Herr Strauß in einem solchen oder ähnlichen Zusammenhang von der Gemeinsamkeit der demokratischen Kräfte spricht, —

(Abg. Frau Berger [Berlin] : Warum darf er das denn nicht?)

meine Damen und Herren, ist denn plötzlich das mit dem „roten Faschismus" nicht mehr wahr? War das alles nur so für den Wähler gesagt? Ich habe das mit dem „roten Faschismus" noch im Ohr

(Abg. Wehner: In Regensburg!)

und daß wir nationale Interessen verkauften. Herr Strauß kann doch nicht Gemeinsamkeit mit Leuten wollen, die nationale Interessen verkaufen.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Sie haben doch selber gesagt, die Kommunisten sollen gehen! Also müssen sie doch heute vorhanden sein!)

Hier gibt es eine Verfassung. Auf deren Boden stehen wir; hoffentlich alle miteinander.

(Zurufe von der CDU/CSU: Hoffentlich!)

Wir sind darauf vereidigt. Ich hoffe, auch Sie nehmen sie ernst genug. Eine darüber hinausgehende
Gemeinsamkeit wäre — auf den Redner des gestrigen Tages bezogen — unehrlich, weil ihr die Grundlage fehlte.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Frau Berger [Berlin]: Das ist finsterer Wahlkampf!)

Herr Kollege Barzel fragt jetzt, ob andere Ordnungs- und andere Wertvorstellungen uns trennten.

(Abg. Rawe: Da haben Ihre Freunde Beifall geklatscht! Das müssen Sie genau registrieren!)

— Aber das ist doch anders, Herr Kollege.

(Abg. Rawe: Nein, das war nicht anders! Das können Sie im Protokoll nachlesen!)

— Herr Kollege, wer die Frage stellt, tut doch so, als ob es kein Godesberger Programm der SPD gäbe. Jetzt spreche ich nur für diese Seite des Hauses, nicht für die Kollegen von der FDP mit. Die haben ihr eigenes Freiburger — und sonstiges — Programm.

(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Unser gemeinsames Programm ist die Regierungserklärung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Zu diesem gemeinsamen Programm der Regierungserklärung stehen wir als zwei unabhängige Parteien. Weder versucht die eine, die andere nachzuahmen, noch die andere die eine. Sie werden noch sehen, daß das die Kraft unseres Bündnisses in dieser unserer Bundesrepublik ausmacht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber das Godesberger Programm vom Herbst 1959 enthält doch natürlich auf wesentlichen Gebieten, Herr Kollege Barzel, andere Wert- und Ordnungsvorstellungen, als Ihre Partei und Sie sie vertreten.

(Beifall bei der SPD.)

Das ist doch nichts Geheimes. Dazu haben wir doch ein Grundsatzprogramm. Aber auch wenn wir das nicht hätten: Wir wären ja schon zufrieden, wenn Sie mit uns stärker, als das in den letzten Jahren der Fall war, wetteifern wollten, das Grundgesetz, für das wir gemeinsam einstehen, nun auch wirklich mit Leben zu erfüllen, es z. B. dort, wo es um die Sozialpflichtigkeit geht, und dort, wo es um die Pflicht geht, den demokratischen und sozialen Bundesstaat zu verwirklichen, nicht auf dem Papier stehen zu lassen, sondern lebendige Wirklichkeit daraus zu machen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Was bisher von der CDU/CSU als Polarisierung angeprangert wurde, ist — nach der Rede von Herrn Barzel heute früh zu beurteilen — ausdrücklich gewollt. Aber es handelte sich — wenn ich das heute früh nun richtig verstanden habe — nicht um eine Polarisierung im Sinne des früher häufig zitierten und von Kommentatoren häufig in Anspruch genommenen Freund-Feind-Denkens — das wollte man uns wohl nur früher manchmal vormachen —, sondern jetzt geht es ganz einfach — ob Sie das gern hören oder nicht — um eine Verschärfung des politischen Bewußtseins in unserer Bevölkerung, bei den



Bundeskanzler Brandt
Frauen und Männern in dieser unserer Bundesrepublik Deutschland. Die Menschen sind wach geworden, viele hellwach.

(Abg. Rawe: Da könnten Sie recht haben! Die werten Ihre Inflationsmentalität sicher richtig!)

Es ist aufschlußreich, daß die CDU/CSU auf Grund dessen plötzlich ein Denken in anderen Ordnungen entdecken will. Es geht um etwas anderes: Breitere Schichten als zuvor entwickeln dieses wachere Bewußtsein, und die Union entdeckt dieses politische Bewußtsein und sieht sich schon in eine andere Ordnungswelt versetzt. Nein, die Ordnungswelt, die Ihnen unbehaglich ist, Herr Kollege Barzel, ist für meine Freunde und mich die Welt des sozialen und demokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Diesen Staat will das Grundgesetz, den läßt es nicht nur zu. Deshalb geben Sie bitte Signal, wenn Sie auf Ihrer Entdeckungsreise dort angekommen sind, wo die Mehrheit unserer Bürger längst steht, Herr Kollege Barzel!

(Heiterkeit bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Er tut so, als wenn er 80 % hätte! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Nun hat Herr Barzel mit fast üblicher staatsmännischer Besorgnis gemeint, der Bundeskanzler tue nichts, jedenfalls nichts Entscheidendes, gegen — wie es auch schon außerhalb des Hauses hieß — die folgenschwere Entwicklung eines Antiamerikanismus. In diesem Zusammenhang ist auch Herr von Wechmar, der Leiter des Presse- und Informationsamtes, zitiert worden. Ich zitiere ihn. Man könnte noch ein paar andere Dinge zurechtrücken; das wird vielleicht noch geschehen. Bei mir würde das jetzt zu weit führen. Wo es um Herrn von Wechmar und um dieses Thema geht, da heißt es in seinem Gespräch mit dem Süddeutschen Rundfunk vom 31. März — also von vor wenigen Tagen —, als von einer doppelten Sorge die Rede war, wörtlich:
Wenn ich sage, in doppeltem Sinne: dem Bundeskanzler liegt selbstverständlich ein freundschaftliches, enges und solides Verhältnis zwischen den beiden Staaten USA und Bundesrepublik am Herzen, zum anderen aber beobachtet er wie ich mit zunehmender Sorge — dies hat einen anderen Grund —, daß sich die Öffentlichkeit in diesem Lande

(Abg. Rawe: Nicht die Öffentlichkeit, Ihre Parteifreunde!)

wie in den Vereinigten Staaten offenbar ohne einen sehr konkreten Anlaß hineinredet in eine Psychose des Antiamerikanismus. Ich bin sicher, daß das, was sich jetzt als Antiamerikanismus manifestiert,
— ich bitte, sich den Ausdruck zu merken; er ist in diesem Zusammenhang zutreffend —
uns in einigen Monaten auch wieder verlassen haben wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wandern die Jusos aus? — Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

— Ach, wissen Sie, was ich hier schon an Antiamerikanismus erlebt habe in einer Zeit, zumal vor zehn Jahren, als die CSU und CDU eine amerikanische Regierung — es war die Regierung Kennedy — bekämpft haben, als glaubten sie, sie wüßten besser, was den Interessen Amerikas dient als die dort gewählte Regierung!?

(Abg. Rawe: Schon wieder ein neuer Popanz! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

— Das ist kein Popanz. Sie können das nachlesen. Da ist ein Ihnen allen bekannter amerikanischer General vom Petersberg zu mir heruntergekommen und hat gesagt:

(Abg. Rawe: Bringen Sie erst einmal die Sache mit Ihren Jusos in Ordnung! — Abg. Dr. Jenninger: Der „Kanzler der Alliierten" ! — Fortgesetzte weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Jetzt werde ich hier von Ihrer Regierung betrachtet und behandelt, als würde ich die deutschen Interessen mit anderen zusammen, mit den Russen, beiseite kehren. — Seien Sie einmal ein bißchen vorsichtig, gerade auch Herr Strauß und andere!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Strauß: Was haben Sie nach dem Mauerbau erklärt? Ausgerechnet Sie!)

Aber es sind in der Tat auch in diesen Monaten und in diesen Wochen Meinungen geäußert worden, die ich unverzüglich kommentiert und korrigiert habe. Solche Meinungen haben auf die Bundesregierung so wenig Einfluß wie das Gespenst des Antiamerikanismus, das die Opposition produzieren möchte;

(Abg. Dr. Jenniger: Das produzieren andere!)

nicht zu Ihrem Nutzen, meine Damen und Herren, sondern vielmehr zum Schaden der Allianz! Ich notiere hier kühl einen Mangel an Verantwortungsbewußtsein.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Meinen Sie den Oberbürgermeister von Frankfurt und die Jusos? Dann liegen Sie richtig! — Abg. Strauß: Bei den Linksradikalen Ihrer Partei, ja! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Lokale Spannungen, die wir hier und da beobachtet haben, erklären sich zum Teil aus den üblichen Konflikten zwischen militärischen Notwendigkeiten und weithin berechtigten Wünschen der Bevölkerung. Das ist kein amerikanisch-deutsches Problem.

(Beifall bei der SPD.)

Solche Probleme gibt es in Ländern, in denen überhaupt nur einheimische Truppen sind. Solche Probleme gibt es zu Hause bei den Amerikanern, gibt es in einem neutralen Land wie Schweden. Sie er-



Bundeskanzler Brandt
geben sich zumal in einer umweltbewußteren Umgebung zwischen der Bevölkerung und denen, die sich für Übungsplätze, für Flugplätze und so etwas zu interessieren haben. Deshalb sollte man hier die Dinge nicht schlimmer machen, als sie sind.
Ich höre hier Zurufe, die sich auf den bevorstehenden Parteitag der SPD beziehen. Da will ich Ihnen einmal etwas sagen: Der wird Sie sehr enttäuschen.

(Abg. Strauß: Sie auch!)

Es wird Ihnen nämlich eine SPD zeigen, die nach harter innerer Diskussion um weiteres Vertrauen der Menschen in diesem Land zu ringen versteht. Das wird der Parteitag Ihnen zeigen.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun sagen Sie etwas über Anträge, und das wird dann mit unter das Rubrum Antiamerikanismus gebracht. Sie sagen, es gebe dort sogar Anträge, die sich auf Stationierungskosten beziehen, was ja an sich schon ein Quatsch-Ausdruck ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Jenninger)

Damit meinen die Betreffenden die Offset-Regelungen, die ja viele der Mitbürger nicht recht verstehen; da haben wir uns alle miteinander nicht mit Ruhm bekleckert, die früheren Regierungen nicht, auch die jetzige nicht, was das Verständlichmachen dieses Vorgangs, den man Offset-Regelungen nennt, angeht; er ist auch nicht so leicht zu erklären. Nur will ich Ihnen einmal sagen: Die Ortsvereine, die in dem Antragsheft, auf das sich Herr Wehner vorhin bezog, zum Thema Stationierungskosten gleich Offset etwas geändert haben wollen, vertreten 0,2 Promille der Ortsvereine der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Damit können wir noch allemal bestehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

— Das hatte jetzt keinen Doppelbezug, sondern die „Promille" waren einfach ein statistischer Bezug, wie er mir in diesem Zusammenhang richtig eingeführt schien.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

Im übrigen belehrt Sie ein Blick auf die objektiven Ziffern des Haushalts

(Abg. Dr. Wörner meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— ich möchte jetzt fortfahren —, daß diese Bundesregierung die Fragen der Sicherheit ernst nimmt. Der deutsche Beitrag ist nach internationalen Vergleichen trotz eines Engpasses wegen der Veränderung der Dienstzeit höher als der unserer europäischen Partner im Bündnis.

(Abg. Rawe: Aber um 6,4% geringer geworden!)

Der amerikanische Präsident, Nixon, hat in seiner jüngsten Fernseherklärung die Fragen der Anwesenheit amerikanischer Truppen auf wohlabgewogene und nüchterne Weise in einen klaren
Zusammenhang gestellt mit den vorbereitenden Gesprächen über eine gegenseitige und ausgewogene Reduzierung von Trupppen. Dort gehören diese Fragen in der Tat hin. Sie, meine verehrten Damen und Herren, mögen vielleicht, wenn Sie Nixons Äußerungen nachlesen konnten, notiert haben, daß er, der Präsident der USA, sich dabei jeder Emotionalität enthalten hat. So sollten wir es, zumindest was dieses Thema angeht, auch hier halten.
Für einseitige Vorleistungen gibt es — hier greife ich das Wort des Bundesfinanzministers von vorgestern auf — nicht den geringsten Anlaß. An der Notwendigkeit amerikanischer Präsenz auf diesem Kontinent und in diesem Land gibt es keinen Zweifel. Es braucht wohl keine Bestätigung, meine Damen und Herren, daß über europäische Sicherheit und Zusammenarbeit sinnvoll nur verhandelt werden kann, wenn die Vereinigten Staaten am Konferenztisch so anwesend sind, wie es ihnen zukommt und wie wir es wünschen müssen. In Helsinki ist dies täglich sichtbar.
Die Vorbereitung für die Gespräche zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unter den neun Mitgliedsnationen der Europäischen Gemeinschaft war von eindrucksvoller Qualität. Auch hier ist die Gemeinschaft gegenwärtig in völlig natürlicher und harmonisierter Zusammenarbeit mit den Institutionen der NATO. Das Wort von der Solidarität in der Gemeinschaft und im Atlantischen Bündnis übertreibt nicht.
Ich unterstreiche mit betonter Zuspitzung auch dies noch einmal: Normalisierung und gute Nachbarschaft, die das Ziel unserer West-Ost-Politik sind, haben wir immer verstanden als sich aufbauend auf dem, was wir mit unseren Partnern im Westen gemeinsam schaffen, und in dies eingebettet. Und die Praktiker der auswärtigen Politik sehen, wie die bilateralen Aspekte unserer Ost-West-Beziehungen immer mehr durch die multilateralen Aspekte dieser Politik überschattet werden.
Dem Besuch aus Moskau, den ich einleitend erwähnte, sehen wir mit aufmerksamer und, was mich selbst angeht, guter Erwartung entgegen, denn wir werten ihn als einen Beweis der erstrebten Normalisierung unserer Beziehungen zur Sowjetunion.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Diese Normalisierung, auf die Sowjetunion, Polen und die anderen Partner des Warschauer Paktes bezogen, bedingte die Solidarität des Bündnisses. Man sollte sich daran erinnern, daß die Politik der Entspannung aus der Atlantischen Allianz selbst herausgewachsen ist, nämlich durch den Beschluß von Reykjavik vom Juni 1968.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Unsere Friedenspolitik, deren erste wichtige Stationen die Verträge von Moskau und Warschau waren, fügte sich nahtlos in die Friedensdiplomatie des amerikanischen Präsidenten ein, die der Welt beim Gipfelgespräch in Moskau, nämlich bei dem Gespräch Nixon-Breschnew oder Breschnew-Nixon



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— in welcher Reihenfolge immer man die Namen setzen will , sichtbar wurde.
Gleichzeitig intensivierten wir unsere Anstrengungen, die europäische Union zu bauen, nicht nur, Herr Kollege Barzel, von ihr zu sprechen. Aber der Weg ist mühsam. Wir mußten doch anfangen — und das ist nicht ein Vorwurf an Ihre Adresse, sondern ein Vorwurf an voraufgegangene sehr magere Jahre der europäischen Zusammenarbeit und Einigung an einem recht ungünstigen Ausgangspunkt. Der Weg ist also mühsam — darüber gab es wohl niemals eine Illusion —, aber wir wissen, daß sich die Mühe lohnt. Die Zielsetzungen sind konkret. Wir streben zur Wirtschafts- und Währungsunion, zur politischen Union und, meine Damen und Herren, zur europäischen Sozialunion.

(Beifall bei der SPD.)

Das letzte große Programm, das ich mit dem Namen „europäische Sozialunion" umreiße, ist nun nach Plänen, die von dieser Bundesregierung ausgearbeitet worden sind, auf den Weg gebracht worden. Ich unterstreiche, daß sich auch bei den Währungsverhandlungen der hinter uns liegenden Monate und Wochen unsere Gemeinschaft nicht spalten., nicht auseinanderdividieren ließ, obwohl unsere Maßnahmen nicht völlig harmonisiert werden konnten. Dabei ist entscheidend, daß die deutsch-französische Solidarität eine neue Bewährungsprobe zu bestehen vermochte und daß wir mit dem britischen Partner schon in der ersten Zeit der britischen Mitgliedschaft auch sehr eng haben zusammenrücken können, obwohl für den Kenner war verständlich, welches großes Land ich vorhin meinte, als ich von Hindernissen sprach — bestimmte objektive Schwierigkeiten einen noch rascheren Fortschritt jetzt nicht möglich machten.
Der Übergang von der ersten zur zweiten Stufe der WWU, der Wirtschafts- und Währungsunion, wird zu Beginn des kommenden Jahres vollzogen. Dazu werden die Vorschläge der Kommission bald vorliegen. Für den Fortgang dieses Prozesses ist es wichtig, daß die Unterschiede in der Währungspolitik innerhalb der Gemeinschaft möglichst rasch überwunden werden.
Der Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit konnte, wie Sie wissen, erst mit einwöchiger Verspätung in Gang gebracht werden; das ist wohl eine erträgliche Säumnis.
Ich möchte von dieser Stelle aus, wo ich zu diesem Thema spreche, gern. die Gelegenheit nutzen, dem neuen Präsidenten der Europäischen Kommission, Herrn Ortoli, der uns in der vergangenen Woche besucht hat, die guten Wünsche der Bundesregierung für seine und der Europäischen Kommission Arbeit auszusprechen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Auch die europäischen Fortschritte und die Entspannung bedingten einander. Wenn man sich mit großer Anstrengung blind stellt, dann mag man daran vorbeisehen, daß sich die Erfolge beim Aufbau der Europäischen Gemeinschaft und die Konsolidierung unserer Entspannungspolitik nach Osten entsprechen. So ist es gedacht, und so begreifen es unsere Nachbarn, die eben nicht blind sind.
Der Weg der Entspannung ist mühselig, und zwischen den beiden deutschen Staaten hat das eine besondere Mühsal. Ich erinnere hier in dieser Intervention ein letztes Mal an die Debatte über die Regierungserklärung im Januar dieses Jahres. Ich nannte es eines unserer entscheidenden Ziele, die Ratifizierung und Erfüllung des Grundvertrages zustande zu bringen, unter der konsequenten Forderung — wie ich hinzufügte: egal, wie lange es braucht, bis diese Forderung erfüllt ist —, daß auch an der Grenze zur DDR täglicher Frieden einkehren wird und ein Höchstmaß an Freizügigkeit herüber und hinüber erreicht werden kann.
Wir haben nun, Herr Kollege Barzel — um auch auf diesen Teil Ihrer Bemerkungen noch zu sprechen zu kommen —, noch vor Ratifizierung des Grundvertrages, was man dabei immer bedenken muß, einiges erreicht. Gewiß, es ist kein Höchstmaß an Normalisierung, gewiß, es ist nicht schon das für die jetzige Phase erwünschte Maß an Normalisierung. Doch wir, die Regierung, neigen auch in diesem Bereich unserer Politik ganz gewiß nicht zu Illusionen. Wir machen uns, was die Komplikation der Probleme zwischen den beiden deutschen Staaten angeht, nichts vor; aber wir lassen uns auch nichts vormachen.
Ich muß es zurückweisen, daß die sachliche Materialzusammenstellung, die Herr Kollege Franke von seinem Ministerium hat vornehmen lassen und Ihnen dann nach Abstimmung mit den anderen Ressorts unterbreitet hat — auch wenn sie dem einen oder anderen wegen ihrer nüchternen Sachlichkeit nicht passen mag --, als unehrlicher Bericht abqualifiziert wird; das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Diese Bemerkung ändert nichts daran, daß es so ist!)

Wir haben seit 1970 in jedem Jahr Materialien unterbreitet und diesmal ganz bewußt solche, die uns helfen können, im Zusammenhang mit der zweiten Lesung des sogenannten Grundvertrags einmal, wie Sie es sonst nennen — und wir manchmal auch —, eine Bestandsaufnahme zu machen: Wie steht es eigentlich? Wie weit sind wir noch auseinander oder erst recht auseinander, auf welchen Gebieten beginnt aber doch etwas, sich zum Besseren, zum Leichteren zu wenden? Da kann man so leicht sagen, das sei alles nichts. Wenn im Dezember 1972 341 000 Menschen von hier drüben waren, ist das mehr als nichts, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

In den ersten Monaten des Jahres nach den Feiertagen gehen die Zahlen immer zurück, aber im Januar waren es dann doch 135 000, im Februar 146 000; die Zahlen für März habe ich noch nicht. Bei den Einreisen aus der DDR in die Bundesrepublik — ich lasse die Berliner Zahlen aus, die ja besonders eindrucksvoll sind — waren es zwischen Mitte



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Oktober und Ende Februar als Teil dieser Politik ohne Ratifizierung des zitierten Vertrages 141 000 Besucher, davon 30 000 in dringenden Familienangelegenheiten,

(Beifall bei der SPD)

d. h. auf Grund eines Tatbestandes, auf den man sich zuvor nicht berufen durfte. Das ist alles viel zuwenig, aber für jeden dieser 30 000, die zu einer schwerkranken Mutter reisen konnten

(Oh-Rufe von der CDU/CSU. — Beifall bei den Regierungsparteien)

oder die zu einer Beerdigung reisen konnten oder die auf der sympathischeren, fröhlicheren Lebensskala zu einer Kindstaufe, zu einer Hochzeit kommen konnten, für alle die ist dies wertvoll, und wir freuen uns mit ihnen darüber.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Rawe.)

In jedem einzelnen Fall hat sich der Wunsch erfüllt, wenn auch noch lange nicht in genügend Fällen, Menschen zueinanderzubringen, Bindungen zwischen Familien und Freunden zu festigen, Kontakte zu finden. Insofern bestätigt jeder solche zusätzliche konkrete Fall eine konkrete Politik für Menschen und für die Menschlichkeit als Inhalt unserer Politik.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich glaubte eigentlich nicht, daß ein Mitglied dieses Hauses kaltschnäuzig genug sein könnte, zu meinen, dies alles bedeute nichts.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU.)

Ansprüche anzumelden ist leicht, aber die Wege zu finden, sie Wirklichkeit werden zu lassen, das verlangt mehr als den teutonischen Nihilismus einer Alles-oder-nichts-Gesinnung,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

das verlangt eine nationale Tugend, in der wir uns vielleicht miteinander noch mehr üben müssen. Ich meine die Tugend der Geduld, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Die sollten Sie beim Verhandeln geübt haben, das hätte Ihnen gut angestanden!)

Die Opposition wird von zwei Parteien gestellt, die sich in besonderer Weise in der Tradition der christlichen Kirchen wähnen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

In dieser Tradition sind geschichtliche Prozesse zu Recht immer in der Analogie zu Erziehungsprozessen gesehen worden. Da war zu Recht immer die Rede vom langen Atem, von der Festigkeit im Grundsatz und der Geduld und Flexibilität, was das Verfahren angeht. Von diesem Geist und dem zugrundeliegenden Menschenbild zeugt zu meiner Freude, was der Informationsdienst des Katholischen Arbeitskreises für zeitgeschichtliche Fragen in diesen Tagen zum Grundvertrag ausgeführt hat.
Ich kann es nur dem Studium der verehrten Kollegen der CDU CSU-Fraktion anempfehlen.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Darin gibt es verschiedene Meinungen! — Gegenruf des Abg. Wehner.)

Auch ein wenig bescheidener Mut gehört freilich zu dem, worum wir uns bemühen, nämlich Mut, Enttäuschungen über zu hoch geschraubte Erwartungen durchzustehen, Mut, den Mangel an Souveränität auf der anderen Seite mit Beharrlichkeit und Festigkeit zu überwinden, Mut, einer Aufgabe der Menschlichkeit ohne Demagogie zu genügen.
Unser Auftrag ist es, meine Damen und Herren, die nationale Substanz zu bewahren, und die Bundesregierung wird diesem Auftrag mit unbeirrter Geduld und mit der nötigen Härte dienen.

(Anhaltender starker Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0702701900
Das Wort hat der Abgeordnete Seiters. Für ihn hat seine Fraktion eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.

(Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Reicht denn das? — Abg. Wehner: Das ist die Geschäftsordnung eines Präsidenten, der sie auslegt wie Gummi!)


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0702702000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat sich soeben mit großer Schärfe gegen die Vorwürfe aus den Reihen der Opposition gewandt. Ich meine, Herr Bundeskanzler, für unser Land wäre es besser, wenn Sie diese Schärfe und diese Energie nicht in erster Linie anwenden würden gegen die demokratische Opposition, sondern gegen die Pressionen aus der DDR und gegen die Verfassungsgegner in diesem Lande.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie fühlen sich, Herr Bundeskanzler, wieder einmal von der Kritik aus den Reihen der Opposition beschwert und ungerecht behandelt. Sie sprechen hinsichtlich des durch den Oppositionsführer erhobenen Vorwurfs des Antiamerikanismus von „Aufregung vom Dienst". Sie haben in den letzten Tagen die deutsche Öffentlichkeit dafür verantwortlich gemacht, und heute haben Sie wieder nebelhafte Verdächtigungen ausgesprochen, als Sie von der Giftküche der Journalisten in Washington sprachen, Herr Bundeskanzler. Diese Töne kennen wir aus dem Wahlkampf zur Genüge.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Jenninger: Schreibtischtäter!)

Herr Bundeskanzler, Sie sollten zur Kenntnis nehmen, wo die wirklichen Ursachen liegen. Die „Neue Rhein- und Ruhr-Zeitung", der man nun wirklich nicht den Vorwurf der Regierungsfeindlichkeit machen kann, schreibt in diesen Tagen:
Ein Bundeskanzler, der in jüngster Zeit mehr als einmal wichtige außenpolitische Pflöcke setzen mußte, um Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Politik auszuräumen, hat sich selbst die Frage nach Ursache und Wirkung zu stellen.



Seiters
Dann spricht der „NRZ" von den Zuständen in Ihrer eigenen Partei. Im übrigen hat sich ja gerade dazu auch der Kollege Wehner in den letzten Tagen geäußert, als er seine Vorstellungen über die Führung einer Partei verkündete. Der Herr Wehner hat wörtlich gesagt:
Meine Vorstellung von Parteiführung ist: Dies ist weder ein Titel noch eine Würde, sondern eine Aufgabe. Parteiführung heißt sich wirklich in der Partei bewegen und nicht anderen den unbesetzt gebliebenen Raum zum Tummelplatz überlassen.
Warum werfen Sie uns vor, daß wir dies kritisieren, wenn der Herr Wehner unverhüllte Kritik an Ihrer Parteiführungsarbeit ausspricht, Herr Bundeskanzler?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was wir Ihnen vorwerfen, Herr Bundeskanzelr, ist das Schweigen und ist die Führungslosigkeit hinsichtlich der Auseinandersetzung, die in Ihrer eigenen Partei geführt wird über die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Ordnung in diesem Lande und über die Zukunft des. freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates. Sagen Sie bitte nicht, das sei ein innerparteiliches Problem. Solange die Sozialdemokratische Partei die größte Regierungsfraktion in diesem Hause stellt, solange ist das ein gesamtpolitisches Problem, ein Gesamtproblem für die Bundesrepublik. Und wenn Sie kritisieren, daß wir uns damit auseinandersetzen, dann wenden Sie sich zunächst einmal an die Adresse Ihres Koalitionspartners; denn zum Zustand der SPD haben sich ja führende Vertreter der FDP in den letzten Tagen geäußert. Insbesondere der Bundesaußenminister hat gesagt, er nehme die Forderungen der Jusos sehr ernst, weil die Jungsozialisten nicht nur die Nachwuchsorganisation der SPD seien, sondern erheblichen Einfluß auf die Partei hätten. Uund die Jusos fordern eben nicht nur, Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von der SPD, die Einstellung der Devisenausgleichszahlungen, sie fordern nicht nur den Abzug der amerikanischen Truppen aus Europa und den Austritt aus der NATO. Sie wollen ein gemeinsames Vorgehen von Sozialdemokraten und Kommunisten in den Europäischen Gemeinschaften. Sie bekennen sich zum Klassenkampf. Sie fordern die Überführung der Produktionsmittel in Gemeineigentum. Sie bezeichnen die Verhinderung von Extremisten im öffentlichen Dienst als Unterdrückung demokratischer und sozialistischer Kräfte. Gerade in diesen Tagen hat sich im Verband Deutscher Studentenschaften eine Koalition sozialdemokratischer und kommunistischer Studenten zum Zwecke — wörtlich— „intensiver Zusammenarbeit" gebildet. Das sind alarmierende Vorgänge,

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rawe: Und das nennen die dann alles harmlos!)

nicht aus der Sicht einer Partei, sondern aus der Sicht dieses demokratischen Staates, in dem wir leben. Wenn ich hinzufüge: „Die Größe der Herausforderung der Jungsozialisten macht eine Reaktion der SPD-Parteiführung notwendig", dann ist das
nicht meine Formulierung, sondern dann ist das die Formulierung Ihrer beiden sozialdemokratischen Kollegen in diesem Hause, Würtz und Corterier.

(Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)

Herr Bundeskanzler, Sie haben zu den radikalen Thesen Ihrer eigenen Parteifreunde nur ein einziges Mal klar Stellung bezogen, nämlich als Sie im März vor dem Parteirat mit Ihrem Rücktritt als Parteivorsitzender für den Fall gedroht haben, daß der kommende Bundesparteitag gegen das Wahlprogramm der SPD gerichtete Beschlüsse fassen würde. Aber, Herr Bundeskanzler, diese Meldung war doch kaum über den Ticker der Agenturen gelaufen, als Herr Wehner und Herr Steffen Ihre eigene Aussage bereits wieder dementierten, und der Bundesvorsitzende der Jungsozialisten erklärte, er habe an einem „Feldgottesdienst" teilgenommen, eine Rücktrittsdrohung aber überhaupt nicht vernommen. Mich erinnert dieser Vorgang in verblüffender Weise an Ihre Rede vor dem Parteirat am 10. Dezember, als auch zunächst verlautete, Sie hätten die Linken zur Raison gerufen, und die Linken unmittelbar darauf dementierten. Das sind zwei Vorgänge, die über Ihre Autorität und Ihre Führungskraft in der eigenen Partei eine eindeutige Sprache sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU. Abg. Rawe: Und die halten das für harmloses Gerede!)

Im übrigen habe ich, Herr Bundeskanzler, beim Studium Ihrer damaligen Rede keineswegs den Eindruck gehabt, daß Sie die Linken etwa gebeutelt hätten. Im Gegenteil, manche Passagen enthielten sogar Formulierungen, die als ausdrückliche Ermunterung der Linken aufgefaßt werden können. Denn wie z. B. sollen wir diese Erklärung von Ihnen verstehen:
Andererseits
— so haben Sie wörtlich gesagt —
dürfen wir nicht glauben, der Klassenkampf habe schon deswegen aufgehört, weil wir ihn überwiegend anders nennen.

(Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)

Noch werden wir gar auf diejenigen hereinfallen, die das Grundgesetz mit dem Festschreiben gegenwärtig bestehender Machtverhältnisse gleichsetzen möchten, die sie soziale Marktwirtschaft nennen.
Herr Bundeskanzler, ich halte einen solchen Satz für eine gefährliche Anpassung an die Thesen der Systemveränderer in Ihrer eigenen Partei, die vom Klassenkampf reden und die soziale Marktwirtschaft von Grund auf verändern und zerstören wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir werfen Ihnen nicht vor, daß Sie die Ziele der Radikalen teilen oder unterstützen wollen. Aber unser Vorwurf betrifft den Umstand, daß Sie auch hier wieder beschönigen, verharmlosen, beschwichtigen und jedes klare Wort an die Adresse der Systemveränderer vermeiden.
Nun, Herr Bundeskanzler, haben Sie gerade wieder einmal einen Satz geprägt, der typisch ist für



Seiters
eine plakative Formulierung, der aber zum Inhalt überhaupt nichts aussagt. Sie haben nämlich gesagt, am Godesberger Programm werde nicht gerüttelt. Was diese Aussage wert ist, hat doch gerade die Bundestagspräsidentin, Frau Renger, vor zehn Tagen im „Vorwärts" geschrieben, als sie sagte, es genüge nicht, wenn der Parteivorsitzende die Feststellung treffe, daß das Godesberger Programm in seinen Grundsätzen nicht zur Disposition steht,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

weil es über Inhalt und Ziel dieses Programms offensichtlich gar keine Übereinstimmung innerhalb der Sozialdemokratischen Partei gebe.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) So Frau Renger wörtlich im „Vorwärts".


(Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)

Wenn heute eine Studie aus dem Bundesverteidigungsministerium — Herr Dr. Barzel hat darauf angesprochen — von einem zunehmenden Wehrunwillen spricht und davon, daß der Bestand der Bundeswehr gefährdet werde, wenn sich die Umfragen heim Allensbacher Institut über Klassenkampf und Neutralismus so verdichten, wie das hier gesagt worden ist, dann ist das die Folge einer Politik, bei der die bestehende Wertordnung mehr und mehr in Frage gestellt, bei der Unrechtstatbestände nicht mehr beim Namen genannt und die grundsätzlichen Unterschiede zwischen einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und einer totalitären Gesellschaftsordnung langsam aber sicher aus dem Bewußtsein der Bevölkerung verdrängt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das liegt daran, daß Sie, Herr Bundeskanzler, zulassen, daß in Ihrer eigenen Partei Abneigung gegen den Westen propagiert, gleichzeitig aber die Verhältnisse und die Handlungsweisen des Ostens beschönigt und verharmlost werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir haben die Sorge, daß die Führungsschwäche des Bundeskanzlers gepaart mit den offenen und verdeckten Angriffen radikaler Kräfte zu einer gefährlichen Erosion der freiheitlichen Ordnung führen könnte. Daher sagen wir: Herr Bundeskanzler, Sie sollten endlich die Rolle des Zuschauers aufgeben und der Verantwortung gerecht werden, die Sie in diesem Lande und für dieses Land übernommen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein Zweites in diesem Zusammenhang, Herr Bundeskanzler; Sie haben auch davon gesprochen. In den letzten Wochen ist für viele in diesem Hause in erschreckender Weise das Schweigen des Bundeskanzlers auch zu den grundsätzlichen Fragen unseres Verhältnisses zur DDR deutlich geworden. Ich kann jedenfalls sagen, daß ich nur mit Beklemmung an den letzten Aktuellen Stunden teilgenommen habe, in denen Sie leider nicht hier waren, Herr Bundeskanzler. Wir haben dabei erneut eine Politik der Beschönigung, des Wohlverhaltens und des Zwielichts gegenüber der rücksichtslosen und gegen die Interessen der Bundesrepublik gerichteten Politik der DDR erlebt.

(Abg. Rawe: Genauso war's!)

Ich kann mich noch sehr gut an die letzten Wochen vor der Bundestagswahl erinnern, als der Grundvertrag gegen alle Erfahrungen und Warnungen noch rechtzeitig und eilfertig unter Dach und Fach gebracht werden sollte. Damals hat die Bundesregierung diesen Grundvertrag und den Vertragsabschluß als großen Erfolg der Bonner Verhandlungskunst, als Durchbruch zu menschlichen Erleichterungen und zu mehr Freizügigkeit gefeiert. Die Einwände der Opposition, daß hier die Bundesregierung wieder einmal leichtfertig und sorglos verhandelt habe, menschliche Erleichterungen vertraglich nicht abgesichert seien, sondern lediglich die Forderungen der DDR erfüllt worden seien, wurden von Ihrer Seite und auch vom Bundeskanzler als Kritik derer diffamiert, die noch immer nicht die Schützengräben des kalten Krieges verlassen hätten. So war es im Wahlkampf.
Ich habe noch das Wort des Bundeskanzlers im Ohr:
Mit diesem Vertrag brechen wir das Eis auf, in dem das Verhältnis zwischen uns und der DDR für viele Jahre eingefroren war.
Sie, Herr Bundeskanzler, mögen dies geglaubt hahaben. Aber ich meine, es wäre zutreffender gewesen, wenn Sie erklärt hätten: Mit diesem Vertrag erfüllen wir sämtliche Forderungen Ost-Berlins, stoßen wir die Tür zur internationalen Anerkennung der DDR auf und hoffen, daß sie uns dies in der Zukunft honoriert.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Denn genau das ist das Ergebnis der Verhandlungen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dieses Wort gibt sehr gut die Vertrauensseligkeit wieder, mit der diese Bundesregierung in die Verhandlungen hineingegangen ist. Niemand bestreitet, daß es im Reiseverkehr Verbesserungen gibt. Aber auch Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß dies der eigentliche Punkt der Verhandlungen und der entscheidende Punkt bei den angestrebten menschlichen Erleichterungen gewesen sei. Es herrscht doch gerade auch in der Öffentlichkeit eine ganz klare Ernüchterung darüber, daß die DDR das Entgegenkommen der Bundesregierung eben nicht honoriert, daß sie ständig gegen den Geist des Vertrages handelt und daß sie von Woche zu Woche erneut zu testen versucht, was man dieser Bundesregierung an Pressionen alles noch zumuten kann. Die Reaktion in den Aktuellen Stunden war: die Minister beschönigen, der Kanzler schweigt. Wir hätten es begrüßt, Herr Bundeskanzler, wenn Sie von dieser Stelle aus in den vergangenen Wochen — Sie haben es heute wieder nicht getan — ein klares und unmißverständliches Wort zu den Pressionen der anderen Seite gesagt hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)




Seiters

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702702100
Mit der windelweichen Haltung, die z. B. Staatssekretär Herold und Minister Franke in diesen Aktuellen Stunden an den Tag gelegt haben, ermutigen Sie geradezu die Ostberliner Regierung zu weiteren Pressionen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie haben sich vorhin verteidigend vor den Bericht gestellt, den Minister Franke vorgelegt hat. Ich kann dazu nur sagen: Es handelt sich hierbei um einen manipulierten und an der Wirklichkeit völlig vorbeigehenden Bericht,

(Beifall bei der CDU/CSU)

dem die „Frankfurter Allgemeine" die Ehrlichkeit abspricht.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Wehner.)

— Die „Frankfurter Allgemeine", Herr Wehner, schreibt:
Statt dessen wird die Führung der DDR nun dem Bericht der Bundesregierung entnehmen, daß trotz aller Restriktionen und Schikanen die Bonner Zufriedenheit — besser: Selbstzufriedenheit — noch nicht im geringsten erschüttert ist.
Herr Bundeskanzler, wie wollen Sie wirklich etwas für die Menschen in diesem Lande und dort drüben erreichen, wenn Sie weiter eine Politik der Nachgiebigkeit und der Beschönigung betreiben?
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen zum innenpolitischen Bereich machen, weil wir diese Generalaussprache auch dazu benutzen sollten, deutlich zu machen, wie tief in den ersten 100 Tagen des Kabinetts Brandt die Kluft zwischen Wort und Tat, zwischen Versprechungen und Wirklichkeit bereits wieder geworden ist. So etwas haben wir ja schon in der letzten Legislaturperiode erlebt. Zu diesem Thema und zur Regierungserklärung hat der Bundesvorsitzende der Jungsozialisten auf dem jüngsten Bundeskongreß seiner Organisation erklärt, die Regierungserklärung habe etwas Irreales an sich. Dies ist einer der seltenen Fälle, in denen die Opposition mit dem Bundesvorsitzenden der Jusos in der Beurteilung der politischen Vorgänge vollständig übereinstimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundeskanzler, wie sollen wir Ihnen eigentlich die neue Verkündigung glauben? Nach den Erfahrungen der letzten Jahre und insbesondere der letzten Wochen kann es sich hier doch nur um Glauben und Gläubigkeit handeln, denn das, was Sie in der praktischen Politik in diesen letzten 100 Tagen bewirkt und veranlaßt haben, ist doch das genaue Gegenteil dessen, was Sie in der Regierungserklärung angekündigt und zum Maßstab Ihrer Politik erklärt haben. Gerade Sie sagen doch immer, Herr Bundeskanzler, daß Ihre Politik von moralischen Grundlagen getragen werde. Zwei kurze Beispiele hierzu. Wir werden auch morgen noch darüber sprechen.
Am 21. September 1972 hat der Bundestag das Gesetz über die Weiterführung der Rentenreform beschlossen, und zwar einstimmig, ohne Gegenstimmen bei nur einer Enthaltung. Die Koalition hat diese von der CDU/CSU, wie Sie sicher nicht bestreiten werden, weitgehend initiierte Reform gegenüber den Rentnern als große soziale Tat dieser Bundesregierung verkauft. Ich erinnere hier nur an den enormen Propagandaaufwand. Jeder einzelne Rentner wurde von der Bundesregierung angeschrieben und auf die Leistungen von Willy Brandt und Walter Arendt aufmerksam gemacht, die so die wörtliche Formulierung der SPD — das größte Rentenprogramm der Nachkriegszeit durchgesetzt hätten.

(Abg. Dr. Barzel: Nach den Wahlen dann zahlen!)

Kaum ist die Wahl vorüber, wird die Rentenreform demontiert, werden beschlossene Leistungen in einer Art und Weise zurückgenommen, über die die „Süddeutsche Zeitung" geschrieben hat, mit der eilfertigen Änderung des Rentenreformgesetzes bewege sich die sozialliberale Koalition an der Grenze dessen, was für den Staatsbürger zumutbar sei.
Herr Bundeskanzler, Sie mögen die Entscheidung der Regierung — das haben wir heute morgen schon erlebt, und das werden wir auch in den nächsten Tagen wieder erleben —,

(Zurufe von der SPD)

vor der Wahl gemachte Versprechungen unmittelbar nach der Wahl zurückzunehmen, als Ausdruck glaubwürdiger Politik empfinden. Wir nennen ein solches Verhalten gegenüber den sozial Schwächeren unsozial, Täuschung des Wählers, schlechten politischen Stil und dem Ansehen des Deutschen Bundestages abträglich.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0702702200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulte?

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0702702300
Ich möchte diese Ausführungen zum Etat des Bundeskanzlers gern im Gesamtzusammenhang vortragen.

(Abg. Wehner: Er muß bei seinem Konzept bleiben! — Abg. Schulte [Unna] : Das ist doch ein tolles Ding! An dieser Rentenreform ist nur das von der CDU/CSU, was unsolide ist!)

— Wenden Sie sich mit solchen Äußerungen bitte an die Adresse der Regierungs- und Koalitionspolitiker, die von dieser Praxis ebenfalls in großer Fülle bereits in der Vergangenheit Gebrauch gemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Politik, so hat der Bundeskanzler selbst in seiner Regierungserklärung gesagt, sei im Kern immer das Produkt geistiger und moralischer Entscheidungen. Ich finde, die Bundesregierung hätte alle Veranlassung, dieses Wort in die Tat umzusetzen, statt dem



Seiters
Wähler in einer geradezu peinlichen Weise ein Musterbeispiel an Unglaubwürdigkeit zu liefern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein Zweites. Meine Damen und Herren, ich will es kurz machen.

(Abg. Wehner: Aber Sie können es nicht!)

— Herr Kollege Wehner, Sie haben heute morgen in einer Form gesprochen, die zwar Ihren früheren Einlassungen in diesem Hause entspricht, nicht aber der Form, mit der von unserer Seite hier zur Sache gesprochen worden ist.
1969 war die Bundesregierung — wir erinnern uns alle daran — mit dem Versprechen angetreten, die Steuern zu senken. Unmittelbar danach kam es dann Schlag auf Schlag: Konjunkturzuschlag als die besondere Form gesetzlichen Zwangssparens ohne Zinsen, Steuererhöhungen für die breiten Schichten der Bevölkerung bei Tabak, Branntwein und Benzin, Kraftfahrzeugsteuererhöhung und Gebührenerhöhungen bei Post und Bahn. Kaum sind die Wahlen vorbei, da kommen die nächsten Belastungen schon wieder auf uns zu.
Wenn der Bundeskanzler am 15. März speziell zur Mineralölsteuererhöhung den Abgeordneten dieses Hauses erklärt hat, diese Erhöhung sei ja nur eine Angleichung an den europäischen Standard, dann ist das schlicht und einfach unwahr; denn wir befinden uns mit dieser Steuererhöhung im internationalen Vergleich der Benzinpreise mit Italien an der Spitze der europäischen Länder. Ich meine, auch ein Bundeskanzler müßte gerade bei Angelegenheiten, die den Bürger draußen unmittelbar berühren, wissen, was er im Parlament und vor dem Fernsehen sagt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im übrigen ist es unzutreffend Herr Kollege
Häfele wird im einzelnen darauf eingehen , wenn der regierungsamtliche Propagandaapparat die Sprachregelung ausgibt, von den Beschlüssen der Bundesregierung würden in erster Linie ja nur die Reichen, die Vermögenden und die Großverdiener betroffen. Das ist das eigentlich Schlimme an dieser Sache, daß eine Regierung, die mehr Demokratie und mehr Wahrhaftigkeit verspricht, bei den Steuerbeschlüssen in einem geplanten Ablenkungsmanöver immer nur von der Stabilitätsabgabe redet, damit auf das Neidgefühl spekuliert und auf diese Weise den Arbeitnehmer über den einfachen Tatbestand hinwegtäuscht und es handelt sich um eine Täuschung , daß er dabei der eigentlich Geschröpfte ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich darf Sie einmal bitten, in die strukturschwachen ländlichen Gebiete zu gehen, wo der Arbeitnehmer auf sein Auto angewiesen ist, wo er nicht vom öffentlichen Nahverkehr Gebrauch machen kann, wo er teilweise 35 und 40 km zu fahren hat, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Angesichts solcher Umstände finde ich es sehr bemerkenswert und eigenartig, wenn sich die Bundesregierung in einer derartigen Weise einläßt, wie sie es getan hat.

(Beifall bei der CDU/CSU. Abg. Strauß: Lebensqualität!)

Der Bundeskanzler spricht auch in diesem Punkt von mehr Lebensqualität und Chancengleichheit und läßt in seinem Kabinett Beschlüsse fassen, die dem Arbeitnehmer speziell im ländlichen Raum nicht mehr, sondern weniger Lebensqualität bieten. Ich kann mich nur wundern, woher die Bundesregierung den Mut nimmt, diese Politik unter dem Stichwort der Arbeitnehmerfreundlichkeit und größerer sozialer Gerechtigkeit zu verkaufen.

(Abg. von Bockelberg: Und Chancengerechtigkeit!)

— Sie nennen das Stichwort „Chancengerechtigkeit". Dieses Wort wie auch die Begriffe von „Chancengleichheit" und „Zukunftschancen" berühren einen Punkt, der zur Politik der Bundesregierung überhaupt nicht paßt. So führt z. B. das strukturpolitische Konzept dieser Bundesregierung nicht zu einer größeren Chancengleichheit für alle Bürger
unseres Landes, sondern zu größerer Ungerechtigkeit zwischen den Menschen in den Ballungszentren und denen in den ländlichen Gebieten.
Wenn wir diese Fragen ansprechen, dann nicht deshalb, weil wir etwa die Probleme in den großen Städten und Ballungszentren nicht sähen. Nur, meine Damen und Herren, was wir brauchen ist räumliches Gleichgewicht in der Bundesrepublik und Partnerschaft zwischen den Städten und dem Land. Was Sie praktizieren, ist eine einseitige Vernachlässigung der ländlichen Gebiete und damit wiederum das genaue Gegenteil von dem, was Sie in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben, wonach alle Bürger in diesem Land gleichwertige Lebenschancen haben und gesichert bekommen müssen. Ich kann in diesem Zusammenhang nur von einer Politik geballter Einseitigkeit, ja, Rücksichtslosigkeit sprechen gegenüber den strukturschwachen Räumen und den Menschen, die in diesen Räumen leben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich habe mit großer Aufmerksamkeit gehört, was gestern abend Herr Offergeld gesagt hat. Wir hatten nämlich die 25 °/oige Kürzung der Investitionszulage, d. h. eine Einbuße von 350 Millionen DM, kritisiert. Darauf hat Herr Offergeld das habe ich von Ihrer Seite noch nie in dieser Form gehört — erklärt: Wir wollen ja gerade, daß die Investitionen unterbleiben. Wenn Sie aber wissen, daß es hier um die strukturschwachen Gebiete, um die Fördergebiete geht, dann bedeutet diese Aussage: Sie, Herr Bundeskanzler, und Sie von der Regierung wollen gerade, daß Investitionen in strukturschwachen Fördergebieten unterbleiben. Und das verkaufen Sie unter dem Stichwort „Chancengleichheit"!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nehmen Sie doch die anderen Punkte hinzu: Einschränkung des Wohnungsbaus durch Verschlechterung der Abschreibungsmöglichkeiten, Verlagerung von Strukturförderungsmitteln aus den kleinen Städten in die großen, Kürzung der Straßenbaumit-



Seiters
tel um 700 Millionen DM jährlich oder — wenn Sie dieses Jahr nehmen — um 400 Millionen DM jährlich zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs und der Bundesbahn, Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes — sprich: Gemeindepfennig —, wonach 90 % der Mittel, die über die Benzinsteuer für den kommunalen Verkehrsausbau aufgebracht werden, in die Ballungsräume, also in ein Gebiet fließen, in dem nur 45 % der Gesamtbevölkerung wohnen. Und dann schauen Sie noch in den Finanzplan von 1972 bis 1976, der festlegt, daß die Mittel für die regionale Wirtschaftsförderung von Jahr zu Jahr absinken, von 28 % auf 20 % des auf das Wirtschaftsministerium entfallenden Haushaltes! Das alles, meine Damen und Herren, sind Beschlüsse der Bundesregierung aus den letzten Wochen, die durch ihre Einseitigkeit schlagartig deutlich machen, wie tief die Kluft zwischen Wort und Tat bereits geworden ist und wie wenig die Regierungserklärung, die der Bundeskanzler unter südlicher Sonne und fernab von deutschen Grenzen erstellt hat, mit der harten Wirklichkeit seiner eigenen Regierungspolitik in Einklang zu bringen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Im übrigen scheint die Bundesregierung alles tun zu wollen, um in der praktischen Politik das Wort von Jochen Steffen vom 4. März im Süddeutschen Rundfunk zu bestätigen, wonach die Sozialdemokratische Partei die Schwierigkeiten der ländlichen Räume zwar sehe, sich aber nicht sehr um diese Gebiete kümmere, weil die Masse der Wähler in den Städten wohne. Ich finde, Herr Bundeskanzler, daß Sie Gelegenheit nehmen sollten, sich von solchen Interpretationen sozialdemokratischer Politik eindeutig zu distanzieren, aber nicht durch Worte, sondern durch Taten und durch Korrekturen an Ihrem eigenen Regierungsprogramm. Denn auch die Menschen in den kleinen Städten und auf dem flachen Lande haben ein Anrecht auf eine Verbesserung dessen, was Sie die Lebensqualität in diesem Lande nennen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist struktureller Klassenkampf!)

Meine Damen und Herren, ich will es mir versagen, auf das Problem der Reformen und auf das Problem der Preisentwicklung noch einzugehen. Aber einen Satz möchte ich zu der Rede von Herrn Schmidt am vorgestrigen Tage zu der Preisentwicklung doch noch sagen. Wer mit solch unverhülltem Stolz und mit soviel Selbstzufriedenheit von einer Preissteigerungsrate von 6,8 % in diesem Lande spricht, der wird es nicht schaffen, den inflationären Höhenflug zu stoppen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0702702400
Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, Herr Dr. Stoltenberg.
Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister der Finanzen hat in seiner Haushaltsrede mehrfach die Beschlösse und Debatten des Bundesrates zur Steuerpolitik und darüber hinaus allgemeine Fragen der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern behandelt. Dabei sind nicht nur Auffassungsunterschiede in konkreten Sachfragen deutlich geworden, was ganz natürlich ist, sondern auch manche Entscheidungen des Bundesrats in ihrem tatsächlichen Gehalt wie ihren Motiven erheblich verzeichnet worden. Es erscheint mir deshalb sinnvoll, Stellungnahmen und Abstimmungen, an denen wir mitgewirkt haben, auch hier vor dem Deutschen Bundestag zu erläutern.
Es geht ich sage das im Anschluß an eine
Bemerkung von Herrn Wehner zur Bundesratsbank — um die Verdeutlichung von Entscheidungen. Es geht auch um die Stellungnahme zu etwas ungewöhnlichen persönlichen Attacken des Herrn Bundesfinanzministers gegen mich. Wenn Herr Wehner hier zum Bundesrat gewandt sagt: Da sitzt auch noch einer, der seinen Generalstoß führen will, dann ist das Ausdruck eines sehr eigentümlichen politischen Verständnisses und auch Verfassungsverständnisses,

(lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)

das vor allem jene beachten sollten, die in einer früheren Phase der deutschen Politik, als es um die Regierungsbeteiligung der eigenen Partei ging, das Wort „Gemeinsamkeit" so oft im Munde geführt haben.
Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 23. März zwei wesentliche Beschlüsse zu den Finanzvorlagen der Bundesregierung gefaßt. Zehn von elf Ländern billigten eine einstimmig formulierte Empfehlung des Finanzausschusses — dessen Vorsitzender, wie Sie wissen, Minister Wertz aus Düsseldorf ist —, die eine grundsätzliche und entschiedene Kritik am Vorgehen der Bundesregierung und bestimmten Folgen für die Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Gemeinden beinhaltet. Ich zitiere nur einen Satz aus dieser fast einstimmig verabschiedeten Stellungnahme des Bundesrates:
Der Bundesrat muß sich daher für den zweiten Durchgang unbeschadet anderer Vorbehalte eine Ablehnung der beiden Gesetz vorbehalten, wenn bis dahin eine ausreichende Verbesserung der Finanzlage der Länder für das Jahr 1974 nicht gesichert ist.
Zehn von elf Bundesländern, darunter fünf mit sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, haben so klar zum Ausdruck gebracht, daß sie in den Steuererhöhungsvorlagen der Bundesregierung in der vorliegenden Form keine geeignete Grundlage für die Lösung anstehender großer gemeinsamer Aufgaben im Gesamtstaat erblicken

(Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)

und Änderungen wie Klarstellungen für notwendig halten.

(Abg. Rawe: Und Herr Schmidt wollte uns doch etwas ganz anderes weismachen!)




Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
Es ist mir bei diesem Sachverhalt unverständlich, wie der Bundesfinanzminister im Deutschen Bundestag in seiner Etatrede den Eindruck erwecken will, es handele sich da um einige Landesregierungen, die Sonderinteressen verfolgten, daß er in diesem Zusammenhang von einer hauchdünnen Mehrheit des Bundesrates redet oder in einer wiederholten, etwas eigentümlichen Fixierung auf einzelne Personen sagt: Herr Filbinger und Herr Stoltenberg wollen mehr Geld vom Bund. So kann man, glaube ich, eine mit einer solchen Mehrheit zustande gekommene Entscheidung eines Verfassungsorgans nicht behandeln.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Katzer: Wider besseres Wissen!)

Alle elf Regierungschefs der Bundesländer — auch das ist natürlich Herrn Schmidt bekannt haben am 21. Dezember 1972 festgestellt, daß bei der gesetzlich vorgeschriebenen Neufestsetzung der Steueranteile ab 1. Januar 1974 eine Erhöhung der Anteile der Länder und Gemeinden erforderlich ist, wenn sie — die Hauptgeschädigten der Inflation im öffentlichen Bereich — ihre Aufgaben weiter wahrnehmen und vor allem auch die vielen neuen Versprechungen von Mitgliedern der Bundesregierung
im Kompetenz- und Finanzierungssektor der Länder und Gemeinden auch nur teilweise verwirklicht werden sollen. Ich werde auf diesen Punkt noch zurückkommen.

(Abg. Haehser: Ich denke, Sie sind Ministerpräsident, Herr Stoltenberg! Parteipolitik ist das jetzt!)

Der zweite Beschluß des Bundesrates vom 23. März 1973 zu Einzelfragen der Steuervorlagen ist mit der Mehrheit der CDU/CSU-regierten Länder gefaßt worden, aber in einer ganzen Reihe wichtiger Punkte mit ausdrücklicher Zustimmung auch von sozialdemokratischen Kabinetten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

Diese umfangreiche differenzierte Stellungnahme kann in der Tat nicht als eine pauschale Ablehnung aller Vorschläge der Bundesregierung gekennzeichnet werden, wie das der Bundesfinanzminister hier getan hat. Sie bringt allerdings eine Reihe von nachdrücklichen und — wie ich glaube — fundierten Einwänden gegen wesentliche Elemente der Steuererhöhungsvorlagen.
Ich habe übrigens mit Interesse gelesen, daß auch einige namhafte Bundestagsabgeordnete der Koalitionsfraktionen dieses Hauses diese Einwände in bestimmten Fragen teilen. Diese von Herrn Schmidt abqualifizierte Stellungnahme hat in einer weiten sachverständigen Öffentlichkeit ein wesentlich positiveres Echo gefunden als die Steuerbeschlüsse der Bundesregierung und — wie man den gestrigen Zeitungskommentaren entnehmen kann — auch die Etatrede des Herrn Finanzministers.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich nenne beispielhaft nur drei besonders gewichtige Äußerungen, mit denen wir uns ganz oder weitgehend in Übereinstimmung befinden. Das Wirtschaftswissenschaftliche Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat in einer ausführlichen schriftlichen Stellungnahme vom 28. Februar 1972 erklärt, daß die sogenannte Stabilitätsabgabe und die Heraufsetzung der Mineralölsteuer insgesamt eher preiserhöhend wirkten.

(Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)

Ich zitiere:
Erstens wird mit Sicherheit die Mineralölsteuererhöhung über höhere Preise voll auf die Verbraucher weitergewälzt. Zweitens werden auch bei der zehnprozentigen Stabilitätsabgabe auf die Körperschaft- und Einkommensteuerschuld Überwälzungsversuche nicht auszuschließen sein, wenn die betroffenen Steuerpflichtigen dieser Mehrbelastung nicht schon durch die zahlreichen Ausweichmöglichkeiten des Steuerrechts entgehen können.
Der Vorsitzende des Bundes der Steuerbeamten, Hermann Fredersdorf, erklärte in der März-Ausgabe seiner Verbandszeitschrift,

(Zuruf von der SPD: Ja! Ja!)

die beiden Beschlüsse der Bundesregierung verdienten schärfsten Widerspruch. Die Erhöhung der Mineralölsteuer bezeichnet er als schlechthin skandalös. Sie treffe nicht nur besonders den kleinen Mann, sondern gefährde auch ernsthaft die überfällige Reform der Kraftfahrzeugsteuer. Auch die Stabilitätsabgabe beurteilt er in den konjunkturpolitischen Wirkungen skeptisch und noch kritischer als wir, die wir uns eine endgültige Meinung hierzu offengehalten haben. Der namhafte Sozialdemokrat Fredersdorf wirft der Bundesregierung vor, daß sie ihre eigenen Wahlversprechungen gebrochen habe.
Als Drittes möchte ich kurz den Vorsitzenden des Sachverständigenrats der Bundesregierung, Professor Kloten, zitieren. Er sagte zu den Regierungsvorlagen am 2. März in der Zeitschrift ,, Wirtschaftswoche" :
Sozialpolitischen und stabilierungspolitischen Gesichtspunkten wurde derart in einer völlig undurchsichtigen Gemengelage Rechnung getragen. Die genau definierten Instrumente des Stabilitätsgesetzes werden nicht angewendet, obwohl vieles dafür sprach, dieses Gesetz nach dem Debakel mit dem Konjunkturzuschlag wieder als einen Pfeiler der Konjunkturpolitik glaubwürdig zu machen. Eine Novellierung dieses Gesetzes, die unter vielen Aspekten ansteht, wurde so weiter vorbelastet.
Ich frage mich wirklich, weshalb der Bundesfinanzminister sich zu diesen nachhaltigen und fundierten Einwendungen und den ihnen entsprechenden Stellungnahmen des Bundesrates in seiner Etatrede und in seinen öffentlichen Stellungnahmen uns gegenüber nicht ernsthafter geäußert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Statt dessen will er den Eindruck erwecken, es handle sich hier um die abwegigen Argumente, den abwegigen Widerstand einiger Länder, wobei im Hintergrund nur der Wunsch einzelner Ministerpräsidenten stehe, mehr Geld zu erhalten.



Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
Meine Damen und Herren, die bedrohliche Beschleunigung des Inflationstempos mit seinen wachsenden sozialen Ungerechtigkeiten und Spannungen erfordert, wie ich glaube, eine gründlichere Form der Sachauseinandersetzung, als sie bisher in diesen kontroversen Fragen von der Bundesregierung gewählt wurde.
Der entscheidende Einwand des Bundesrates kommt am deutlichsten von den zitierten Äußerungen in der Stellungnahme von Professor Kloten zum Ausdruck: Die stabilitätspolitische Begründung einerseits und die offen ausgesprochenen fiskalpolitischen Ziele andererseits, nämlich die Einnahmen des Bundes kurzfristig erheblich zu erhöhen, ergänzen sich nicht, sondern stehen in einem fundamentalen Widerspruch.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es wird das Ziel der Preisdämpfung verkündet, zugleich jedoch von einem „Vorgriff auf Einnahmeverbesserungen" gesprochen, in erster Linie bei der Mineralölsteuer, die unmittelbar auf die Lebenshaltungskosten und Preise durchschlägt. Es ist für uns unverständlich, daß in der jetzt äußerst kritischen Situation im Tarifbereich die Bundesregierung unter der Überschrift „Stabilität" eine Steuererhöhung kurzfristig verwirklichen will, die vielen Hunderttausenden von Arbeitnehmern als Pendlern eine Belastung von über 1 °/o ihres Nettoeinkommens zusätzlich bringt.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Im übrigen unterstreiche ich noch einmal den schon betonten Zusammenhang der Höhe der Mineralölsteuer und der Reform der Kraftfahrzeugsteuer. Die vom Bundesrat auf Antrag zweier Länder beschlossene Neuregelung beruht auf einem einstimmigen Vorschlag aller elf Länderfinanzminister.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Sie wird nachdrücklich von den Sachverständigen der Finanzverwaltungen der Länder und auch von dem Vorsitzenden des Bundes der Steuerbeamten unterstützt, weil das jetzige System in seinen immer komplexeren Auswirkungen nicht mehr zu einer steuergerechten und befriedigenden Veranlagung führt. Deshalb sollte diese Initiative des Bundesrates, wie ich glaube, aufgeschlossen diskutiert und behandelt werden. Daß sich dabei im weiteren Gesetzgebungsverfahren einige Probleme stellen und bestimmte Modifikationen etwa in der Bemessung der einzelnen Stufen möglich sind, ist unstrittig.
Wir sind bereit, das Für und Wider der sogenannten Stabilitätsabgabe im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu diskutieren. Neben den umstrittenen konjunkturpolitischen Aspekten geht es vor allem um zwei Voraussetzungen.
Erstens. Gilt die Aussage der Bundesregierung, daß es sich um eine befristete Maßnahme handelt, nicht um einen Vorgriff auf die Steuerreform, oder trifft etwa die entgegengesetzte Darstellung des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD,
Herrn Arndt, zu - in einem Interview mit dem
„Handelsblatt" , daß diese Entscheidung selbstverständlich Folgewirkungen für die Bemessung der
künftigen Sätze der Einkommen- und Körperschaftsteuer habe? Hier müssen wir vor der Schlußabstimmung volle Klarheit haben, daß die Erklärung der Bundesregierung vorbehaltlos und eindeutig gegeben ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zweitens. Alle Bundesländer halten — wie in dem Bericht des Finanzausschusses klar zum Ausdruck kommt — eine solche Abgabe aus zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen nur als befristeten Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer für möglich, dessen Ertrag nach den Grundsätzen des Stabilitätsgesetzes festgelegt wird. Ich kann jedem, der hier eine andere Meinung vertritt — bis jetzt tut es die Bundesregierung — empfehlen, das letzte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Problem, der Ermächtigung zu Zuschlägen und ihrer Voraussetzung, vom Februar 1973 noch einmal sorgfältig zu studieren.
Ich habe mit Interesse gelesen, Herr Kollege Hermsdorf, daß der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindetages, der sozialdemokratische Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen, sich vor einigen Tagen in einem Interview ausdrücklich dieser Auffassung des Bundesrats angeschlossen hat. Hier haben wir zu meiner Befriedigung nicht nur eine einvernehmliche Meinung der elf Länder, sondern auch die ersten Bundesgenossen im Bereich der Koalitionsfraktionen dieses Hauses. Ich kann nur hoffen, daß die kommunale Front in der SPD und FDP hier den berechtigten Interessen der Gemeinden zum Durchbruch verhilft und daß sich auch der Herr Bundeskanzler gelegentlich an seine frühere Tätigkeit als Berliner Bürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetages in diesem Zusammenhang erinnert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Auch der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP- Fraktion, der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff, hat seine anderslautende Auffassung deutlich gemacht — vor dem Kabinettsbeschluß im Namen der FDP, danach für sich selbst. „Daß er die Steuererhöhung zähneknirschend hat hinnehmen müssen, verheimlicht er nicht", können wir in einem sonst recht freundlichen Porträt der Frankfurter Allgemeinen vom 30. März lesen. Nun, das steht unter der Überschrift eines „aufrechten Liberalen". Ich will über das Problem der Koalitionsdisziplin in einer liberalen Partei nicht sprechen; das steht mir nicht zu. Aber, verehrter Graf Lambsdorff, daß Sie von den im Verfassungsorgan Bundesrat vertretenen Ländern nicht verlangen können, daß sie zähneknirschend gegen bessere Einsichten Disziplin üben, wird, wie ich glaube, jedermann in diesem Hause verstehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0702702500
Gestatten Sie, Herr Ministerpräsident, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0702702600
Herr Ministerpräsident, ist die Information richtig, daß Sie bedauerlicherweise nach Ende dieser Rede das Plenum ver-



Dr. Graf Lambsdorff
lassen werden, so daß die Diskussion heute nachmittag nicht mit Ihnen fortgesetzt werden kann?
Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Nein, diese Information ist nicht richtig. Ich habe die Absicht, den Nachmittag hier zu bleiben.
Ich darf nur sagen: Das ist eine nicht dementierte Meldung einer angesehenen Zeitung, und es ist parlamentarisch legitim, sie zu zitieren. Mir ist ein Dementi bis heute nicht bekannt.
Besonders harte Kritik hat die Absicht der Bundesregierung gefunden, einen Teil der Mehreinnahmen bereits im Jahre 1973 für Mehrausgaben zu verwenden. Wir können mit vielen anderen Punkt 13 des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung nur so verstehen, daß das Kabinett versucht, sich hier völlig freie Hand zu halten. Dies halten wir nicht für annehmbar. Aus stabilitätspolitischen Gründen motivierte Steuererhöhungen müssen in ihren Mehreinnahmen stillgelegt werden, wenn das Etikett „Stabilität" nicht völlig entwertet werden soll.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Dieses widerspruchsvolle Vorgehen nimmt den Plänen der Regierung einen wesentlichen Teil an Überzeugungskraft, die in dieser außerordentlich kritischen Lage an der Preisfront geboten ist, wenn überhaupt noch eine Tendenzwende erreicht werden soll.
Über diese drei Kernfragen sowie die einzelnen Probleme der anderen Vorschläge, zur Investitionszulage, zur Beseitigung der Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen, der degressiven Abschreibung bei Wohngebäuden, wird im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu sprechen sein. Mir kommt es hier auf eines an: Es ist aus den schriftlichen Vorlagen des Bundesrats wie auch aus dieser Darstellung wohl ganz deutlich, daß die überwältigende Mehrheit des Bundesrates begründete Änderungs- und Klarstellungswünsche hat, im einzelnen in unterschiedlichem Umfang. Sie können von der Bundesregierung nicht pauschal ignoriert werden, wenn sie ernsthaft eine Verabschiedung eindeutig stabilitätspolitischer Vorlagen anstrebt.
Der Bundesfinanzminister, meine Damen und Herren, hat in seiner Rede ferner kurz die wichtige
Frage berührt, welche Rolle die Finanzpolitik in Zukunft überhaupt in der Stabilitätspolitik spielen
kann und welche anderen Möglichkeiten es darüber
noch gibt. Sicher muß auch die Ausgabenseite der Haushalte in diese Betrachtung einbezogen
werden. Darüber wird es keine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit geben. Hier zeichnet sich aber
die Gefahr ab, daß 1973 das tatsächliche Wachstum
der öffentlichen Haushalte bei Bund, Ländern und
Gemeinden erheblich über der Marke liegt, die nach
den Feststellungen der Sachverständigen stabilitätsgerecht ist. Wir erleben es weithin in allen Bereichen der Bundesrepublik, bei den meisten Gebietskörperschaften, daß in diesen Wochen der zunächst angekündigte Ausgabenzuwachs erheblich
heraufgesetzt wird. Wir wissen, daß auch in dem
vorliegenden Bundeshaushalt wichtige, unabweisbare Mehrausgaben in Milliardenhöhe noch nicht berücksichtigt sind, zum Teil in den Schattenhaushalt verlagert werden — wie bei den Rentenversicherungen —, zum Teil in Leertiteln, zum Teil noch nicht aufgenommen sind. Das macht die Zahlenvergleiche zwischen den verschiedenen Bereichen recht problematisch, mit denen sich, Herr Minister Schmidt, die Streitenden vor der Bundestagswahl heftig attackiert und die Wähler, wie ich glaube, zum Teil etwas verwirrt haben. Wenn es in einem Landtag, wie ich heute in den Zeitungen lese, nämlich in Düsseldorf, nicht möglich ist, zwischen den parlamentarischen Kräften ein Einverständnis darüber zu erzielen, ob der Haushalt dieses größten Bundeslandes um über 20 % oder um über 13 % wächst, wie soll dann noch der informierte Bürger in dieser Diskussion, wenn sie kontrovers und polemisch geführt wird, zu einer objektiven Beurteilung kommen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube also, wir sollten dies, nachdem wir die Phase der Wahl hinter uns gebracht haben, als ein gemeinsames Problem anerkennen, als eine gemeinsame Aufgabe. Und ich sage das — da Sie eben einen Zwischenruf von der Regierungsbank machten — aus der Sicht eines Landes, das sich in seinem Etatwachstum 1973 ziemlich genau in der Mitte aller Länder hält und das in seiner Steigerung der Nettokreditaufnahme gegenüber 1972 im Jahre 1973 mit Hamburg an der untersten Grenze aller Bundesländer liegt.
Die Haushalte expandieren aus zwei Gründen unter dem Vorzeichen der Inflation jetzt besonders stark: einmal steigen mit den Geldentwertungsraten die Ausgaben für gesetzliche Pflichtaufgaben, z. B. die Mittel für Sozialhilfe, Wohngeld und Wohnungsbauprämien, in den Haushalten vor allem der Länder, aber auch des Bundes sprunghaft an — bei einigen dieser Faktoren ganz besonders stark auch bei den Gemeinden —, ohne daß von entsprechenden Leistungsverbesserungen für die Bürger gesprochen werden könnte. Es ist für uns alle — dies ist nicht eine Frage der Parteipolitik —, für die Finanzminister von CDU und CSU, SPD und FDP und für die Stadtkämmerer, bedrückend, wenn von Vierteljahr zu Vierteljahr hier neue Berechnungen vorgelegt werden, daß wir etwa bei Sozialhilfe, Wohngeld und Wohnungsbauprämien unter dem Zwang von Steigerungsraten von 20, 30 und 40% in unseren Etats stehen — unabweisbar, aus einer durch das Inflationstempo beschleunigten Entwicklung. Wir spüren hier eben die Wirkungen eines verstärkten und sich selbst nährenden inflatorischen Prozesses mit voller Wucht in unseren öffentlichen Haushalten — ein Tatbestand, meine Damen und Herren, den niemand verniedlichen sollte und den man auch nicht kaschieren sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zum zweiten bringt die Bundesregierung auch in dieser Wahlperiode ständig neue kostspielige Vorlagen ein, die ganz überwiegend von den Ländern und Gemeinden bezahlt werden müssen. Der nordrhein-westfälische Finanzminister Wertz hat hier-



Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
über vor kurzem als Berichterstatter im Bundesrat eingehend gesprochen und hat die Zusammenhänge dargelegt. Allein in der vorletzten Sitzung des Bundesrates haben uns Regierungsvorlagen mit einem zusätzlichen Finanzvolumen für die Länder von — wenn alle Bestimmungen in Kraft gesetzt sind - 400 Millionen DM beschäftigt, und weitere Initiativen einer Reihe von Bundesministern stehen bevor.
Dieser Widerspruch muß, wie ich glaube, aufgelöst werden. Wenn uns die Bundesregierung in gelegentlichen stabilitätspolitischen Bekundungen auffordert, unser Ausgabenwachstum zu begrenzen und zu senken, muß sie auch den Mut haben, Vorschläge zu machen, die, jedenfalls vorübergehend, zu einer Verminderung der gesetzlichen Mitleistungsverpflichtung der Länder führen, anstatt uns ständig mit neuen Vorlagen zu Mehrausgaben zu zwingen.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU.)

Der Finanzplanungsrat — ich erkenne dies ausdrücklich an hat vor wenigen Tagen mit seinem Vorschlag einer gewissen Streckung der Leistungsverpflichtung für Gemeinschaftsaufgaben einen ersten begrenzten Schritt in dieser Richtung getan.
Wir sind auch bereit - alle Länder haben dies
zum Ausdruck gebracht, wie im Finanzplanungsrat deutlich wurde —, Lösungen für eine Begrenzung der Kreditaufnahme zu fördern. Allerdings muß man klar sagen, daß die von den Parlamenten beschlossenen Landeshaushalte 1973 insgesamt von einer Ausweitung des Kreditvolumens von 3,7 Milliarden DM gegenüber 1972 ausgehen; beim Bund sind es, wie Sie wissen, rund 800 Millionen mehr. Allerdings müßte man in die Rechnung des Bundes auch die erheblich steigenden Kreditaufnahmen bei Bahn und Post hineinnehmen, um eine Gesamtbilanz zu erreichen.
Zwei Länder — Hamburg und Schleswig-Holstein — haben 1973 praktisch keine Steigerung gegenüber 1972 bei ihrem schon recht erheblichen Umfang der Neuverschuldung vorgesehen. Bei den anderen Ländern handelt es sich um Steigerungsbeträge von durchschnittlich 400 Millionen DM. Der schwierigere Teil der Beratungen über die Festlegung und die Aufteilung einer Kreditbegrenzung auf die Gebietskörperschaften liegt also noch vor den Finanzministern und Regierungen, und natürlich wird er mit dem weiteren Fortschreiten eines Haushaltsjahres eigentlich von Woche zu Woche schwieriger.
Dies alles, meine Damen und Herren, erfordert ein großes Maß an sachorientierter Zusammenarbeit. Es ist nun dieser Kooperation nicht förderlich, wenn der Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsrede irreführende Behauptungen über interne Verhandlungen aufstellt, so etwa mit dem Satz über mich:
Er hat immer das Pech, daß sein Finanzminister im Finanzplanungsrat immer etwas anderes sagt, als der Ministerpräsident öffentlich.

(Abg. Franke [Osnabrück]: Entweder weiß er es nicht besser, oder er sagt es bewußt falsch!)

Diese Behauptung, meine Damen und Herren, ist unzutreffend. Minister Qualen und ich stimmen in der Beurteilung der hier zu behandelnden Fragen völlig überein. Herr Schmidt irrt sich, wenn er unser Verhältnis etwa an den Beziehungen mißt, die sein Amtsvorgänger als Finanzminister mit ihm als Bundesverteidigungsminister im vergangenen Bundeskabinett unterhielt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich muß ihn wegen dieses ungewöhnlichen Vorgangs einer solchen Äußerung mit allem Ernst auch auf die Geschäftsordnung des Finanzplanungsrats verweisen. Hier heißt es in § 7: „Die Beratungen des Finanzplanungsrats sind vertraulich." Es ist mehr als eine Stilwidrigkeit, wenn sich der zuständige Bundesminister

(Zuruf des Bundesministers Schmidt)

und Vorsitzende des Finanzplanungsrats bedenkenlos und ohne erkennbaren Anlaß in einer Haushaltsrede über diese verbindlichen Regelungen eines gemeinsamen Bund-Länder-Organs hinwegsetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Rawe: Das ist der Stil von Schmidt! — Abg. Franke [Osnabrück]:: Der Schmidt darf das alles! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Über die Frage 'der Beachtung der Geschäftsordnung gemeinsamer Bund-Länder-Organe werden wir noch in einem anderen Zusammenhang zu sprechen haben.
Ich stimme, meine Damen und Herren, im übrigen mit vielen unabhängigen Sachverständigen darin überein, daß über die Geld- und Kreditpolitik, deren Möglichkeit die Bundesbank zweifellos ausschöpft, und über die begrenzten, aber unverzichtbaren Maßnahmen einer stabilitätsorientierten Fiskalpolitik hinaus weitere Schritte notwendig sind, um die Inflation zu bremsen. Der Bundeswirtschaftsminister hat in letzter Zeit — wie ich glaube, völlig zu Recht — seine großen, aktuellen Sorgen über eine Eskalation der Preis-Lohn-Spirale ausgesprochen. Jedermann weiß, was mit diesem Problem jetzt gemeint ist.
Dieser Prozeß ist nach meiner Überzeugung nur durch die sofortige Einleitung einer verstärkten, wirksamen Vermögensbildungspolitik wesentlich zu beeinflussen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie ist neben einer weiteren Verstärkung der außenwirtschaftlichen Maßnahmen allein geeignet, den konsumwirksamen Lohnanstieg zu begrenzen und zugleich den Arbeitnehmern eine Steigerung ihrer Einkommen zu gewährleisten, die deutlich über der Inflationsrate und ihren wachsenden negativen Folgen für höhere Steuern und Sozialabgaben liegt.
Ich verweise hier auf die bemerkenswerten Ausführungen des Sachverständigenrats in seinem letzten Gutachten. Die Bundesregierung sollte in diesem Punkt unverzüglich tätig werden. Nicht nur die



Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
hier schon zitierten öffentlichen Ausführungen etwa des Abgeordneten Rosenthal, sondern auch persönliche Äußerungen namhafter Mitglieder der Koalition zeigen, daß dies Problem von vielen so gesehen wird. Aber es ist natürlich eine im Augenblick offene Frage, ob die politische Situation es erlaubt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Eben!)

die entsprechenden Initiativen schnell zu ergreifen. In jedem Falle gehört dieses Thema jetzt auf den Tisch der gesetzgebenden Körperschaften, sei es durch Initiativen der Bundesregierung, sei es, wenn sie nicht handelt, durch Initiativen anderer in Bundesrat oder Bundestag.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Bundesfinanzminister hat nun auch erklärt, die Forderung der Länder und Gemeinden könne aus der heute gegebenen Finanzmasse des Bundes nicht erfüllt werden und hinzugefügt, er sage das deutlich, weil derjenige, der das wolle, dann auch selber für die Steuererhöhung eintreten müsse, die er herausfordere.
In diesen Sätzen, die zu Recht eine starke Beachtung in der Presse gefunden haben, wird meines Erachtens nicht zutreffend dargestellt, was notwendig und was möglich ist. Die Neufestsetzung der Steueranteile ab 1. Januar 1974 ist keine willkürliche Forderung der Länder und Gemeinden, sondern notwendig, weil gesetzlich vorgeschrieben. Ob es in diesem Zusammenhang zu Steuererhöhungen kommen muß, ist demgegenüber eine politische Ermessensfrage.
Daß zu Beginn solcher Verhandlungen unterschiedliche Interessen vertreten, entgegengesetzte Berechnungen vorgelegt und Ausführungen gemacht werden, gehört gleichsam zu den ungeschriebenen Gesetzen einer bundesstaatlichen Finanzpolitik. Es stimmt aber sehr bedenklich, wenn der Bundesfinanzminister das Thema weiterer Steuererhöhungen mit kategorischen Aussagen an den Anfang einer Debatte über die Steuerverteilung stellen will.
Für uns ergibt sich gegenwärtig folgendes Bild:
Das Bundeskabinett hat Steuererhöhungen — entgegen vorheriger Aussagen des Koalitionspartners FDP — vor der Zuleitung der Finanzplanung und vor Gesprächen mit den Ländern über die gemeinsamen Aufgaben und die künftigen Steueranteile beschlossen. Der Bundesfinanzminister will jetzt offenbar die berechtigten Forderungen der Länder und Gemeinden als Hebel benutzen, um weitere beträchtliche Steuererhöhungen einzuleiten. Darüber hinaus gibt es in amtlichen Mitteilungen oder politischen Vorankündigungen eine Reihe von Hinweisen auf zusätzliche Planungen für erhebliche Steigerungen der Steuertarife in anderen Bereichen, so bei der Neuordnung der Grundsteuer — das ist eingeleitet —, dem Vorentwurf für die neue Einkommen- und Körperschaftsteuer, im Zusammenhang mit den energiepolitischen Beratungen der Bundesregierung und den schon lange geführten Gesprächen in der Europäischen Gemeinschaft zur Harmonisierung der Umsatzsteuer. Aus dieser Fülle unterschiedlich deutlicher und unterschiedlich strukturierter Ankündigungen und Aussagen muß sich nun endlich ein klares, für jedermann einsehbares steuerpolitisches Gesamtprogramm der Bundesregierung in dieser Wahlperiode ergeben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die frühere Aussage der Bundesregierung, eine Steuerreform solle einkommensneutral sein, ist offensichtlich aufgegeben worden. Die Zweifel wachsen, ob es in dieser Wahlperiode überhaupt noch zu einer umfassenden Steuerreform kommen wird. Wir wünschen hier auch aus der Sicht der Länder von der Bundesregierung eine klare Gesamtaussage, ein geschlossen in sich ausgewogenes Programm der Be- und Entlastungen, um einzelne Entwürfe, die uns zugeleitet werden, und einzelne Vorschläge besser bewerten zu können.
Viele Bürger teilen unsere Sorge, daß der Vorsitzende der Langzeitkommission der SPD, Bundesminister Schmidt, jedenfalls einen wichtigen Punkt seines sonst ja, wie wir hören, kontroversen Programms verwirklichen möchte, die ganz massive Erhöhung des Staatsanteils durch mehr Steuer- und Sozialabgaben, nicht in einer geschlossenen Vorlage, sondern durch Einzelentwürfe mit wechselnden Überschriften, vielleicht auch mit wechselnden politischen Konstellationen. In diesem für alle Staatsbürger, aber gerade für die Bund- und Länderbeziehungen entscheidenden Bereich ist deshalb eine Klarstellung der Politik der gesamten Bundesregierung dringend geboten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir würden z. B. auch gern die Auffassung von Bundesminister Genscher kennenlernen, der Pressemeldungen zufolge vor der Bundestagswahl sagte, das Gerede von den Steuererhöhungen müsse aufhören.
Vor wenigen Tagen haben die Länder den Entwurf der Finanzplanung des Bundes erhalten. Er muß selbstverständlich in den kommenden Monaten in den gemeinsamen Gremien in Verbindung mit den Finanzplänen der Länder und der Aufgabenplanung im Gesamtstaat intensiv beraten werden. Nach einer solchen Erörterung und Abstimmung können wir entscheiden, ob und in welchem Umfang begrenzte Steuererhöhungen zur Verbesserung der Staatseinnahmen notwendig sind. Wir haben dies auch vor der Bundestagswahl niemals prinzipiell ausgeschlossen, aber einen Freibrief ohne ein Gesamtkonzept der Bundesregierung, ohne angemessene Prüfung und Erörterung der erforderlichen Unterlagen kann der Bundesfinanzminister nicht im Ernst jetzt von uns verlangen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, die jüngste Stellungnahme der beiden Vorsitzenden des Städte- und Gemeindetages, der Bundestagsabgeordneten SchmittVockenhausen und Waffenschmidt, hat in eindringlichen Zahlen noch einmal auf die wachsenden Finanzsorgen der Gemeinden hingewiesen.

(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

Seit Ende 1971 ist ihre Verschuldung von 840 DM je Einwohner auf über 1 000 DM angewachsen. Sie



Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
tragen die Hauptlast der Investitionen für wichtige Reformaufgaben. Ihre Finanzausstattung muß deshalb bei der erforderlichen Neuverteilung qualitativ verbessert werden, wenn reale statt verbale Reformpolitik weiterhin möglich sein soll.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch einen grundsätzlichen Punkt berühren. In der öffentlichen Kontroverse der letzten Wochen ist auch die verfassungsrechtliche Stellung und die Aufgabe des Bundesrates erneut, zum Teil emotional, im Zusammenhang mit diesen Meinungsverschiedenheiten und Sachauseinandersetzungen erörtert worden. Natürlich kann man sich andere demokratische Verfassungen vorstellen. Es gibt sie in der Vielfalt der westlichen Welt, ein Einkammersystem, ein Senatssystem und anderes mehr. Unser Grundgesetz hat aber nun einmal den Bundesländern, ihren demokratisch gewählten Regierungen, eine entscheidende genau bestimmte Mitverantwortung für die Bundesgesetzgebung übertragen. Der Bundesrat ist nach dem klaren Willen des Verfassunggebers ein Bundesorgan und kein Länderorgan, nicht ein Organ zur einseitigen Vertretung partikularer Interessen der einzelnen Länder.

(Zuruf von der SPD: Benehmen Sie sich auch entsprechend!)

Das ist unter den ernstzunehmenden Kennern der Verfassung ja unbestritten. Dieses Prinzip der demokratischen Machtverteilung in einer föderativen Ordnung bedeutet: Es können sich aus freien Wahlen in Bund und Ländern unterschiedliche Mehrheiten ergeben, auch in der Zusammensetzung der Landesregierungen; es können sich unter den beiden großen politischen Kräften, den großen Parteien, Mehrheiten mit wechselnden Konsequenzen herausstellen. Dies ist gewollt: die Möglichkeit unterschiedlicher Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat. Wer damit nicht einverstanden ist, der muß eine andere Verfassungsregelung propagieren. Er sollte aber nicht gegen jene polemisieren, die in dieser Verfassung ihre Pflichten wahrnehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist nicht Obstruktion, wie der Abgeordnete Wehner meinte, wenn wir die hier vorgelegten und vorgetragenen politischen Sachauffassungen vertreten, in einem weiten Feld übereinstimmend mit sozialdemokratischen Landesregierungen, in anderen Punkten abweichend von ihnen. Es ist nicht die Aufgabe des Verfassungsorgans Bundesrat, das kritiklos zu übernehmen oder zähneknirschend hinzunehmen, was in Koalitionsausschüssen festgelegt oder vom Bundeskabinett für die Gesetzgebung vorgesehen ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Kommentare zum Grundgesetz sind hier ganz klar. So heißt es etwa bei Maunz-Dürig, um nur einen Kommentar zu zitieren:
Lehnt der Bundesrat eine Vorlage ab, so zeigen sich nicht die Länder widerspenstig, sondern das eine Bundesorgan hat eine andere Auffassung als ein anderes Bundesorgan.

(Abg. Dr. Barzel: So ist es!)

Man kann auch nicht sagen — ich beziehe mich auf eine Äußerung von Herrn Minister Genscher aus den letzten Tagen —, daß es bedenklich und nicht zu billigen sei, wenn die von der Union regierten Länder die Auffassungen der Union in Grundfragen zum Ausdruck bringen — er sprach hier vom „verlängerten Arm" —, während man es als selbstverständlich ansieht, daß in Grundsatzfragen die SPD/FDP-regierten Länder mit der Mehrheit des Bundestages zusammen stimmen. Das ist auch kein überzeugender Beitrag zu dieser Diskussion.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber dieses System unserer Verfassung und die gegenwärtigen Mehrheiten schaffen zweifellos in einem weiten Bereich zustimmungspflichtiger Gesetze den Sachzwang zur Verständigung und insoweit auch zur Mäßigung, zur Orientierung an gemeinsamen Verantwortungen und — nach den Differenzen, die in dieser Frage heute morgen sichtbar wurden sogleich dies — auch an gemeinsamen Grundwerten unserer Verfassung.
Niemand, meine Damen und Herren — ich sage das zu gewissen Unterstellungen gegen uns —, wird das Recht der Bundesregierung in Frage stellen — jedenfalls ist das ganz klar aus der Sicht der Länder zu sagen —, ihre verfassungsmäßigen Aufgaben voll wahrzunehmen und die Politik maßgeblich zu bestimmen. Das ist im Bund-Länder-Verhältnis nicht bestritten. Aber da unsere Verfassung einen weiten Bereich zustimmungspflichtiger Gesetze festgelegt hat, müssen auch die Bundesregierung und die Mehrheit dieses Hauses in jenem Bereich sich stärker um Verständigung und Kooperation bemühen, als das in den letzten Wochen sichtbar geworden ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist — wenn ich dies sagen darf, Herr Kollege Schmidt, um das zu verdeutlichen — nicht nur für uns, sondern, wie Sie ja in den Stellungnahmen des Bundesrates sehen, auch für Ihnen politisch näherstehende Länder ein ungewöhnlicher Vorgang, daß etwa im Bereich der Gemeinschaftsaufgaben der regionalen Wirtschaftsförderung ein viele Jahre gemeinsam entwickeltes und behandeltes Instrumentarium wie die Investitionszulagen über Nacht ohne ein klärendes Vorgespräch zwischen Bund und Ländern verändert und reduziert werden soll.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Franke [Osnabrück]: Wenn sie die Macht haben, wehe, wehe! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Elitäre Arroganz, Herr Schmidt! — Abg. Dr. Barzel: Finanzkommandeur!)

Die Sachdebatte darüber kann natürlich geführt werden, ob die Erfahrungen, die Sie und wir in diesem Punkte gemacht haben — in bezug auf ein wichtiges Element der Gemeinschaftsaufgabe Wirtschaftsförderung —, für eine solche Änderung sprechen oder nicht. Aber sie kann nicht so geführt werden, daß Sie das ohne Vorankündigung an einem Sonntag



Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
beschließen und sagen, das muß sofort in Kraft gesetzt werden, weil die Stabilität es notwendig macht; vor allem die Erhöhung der Mineralölsteuer ist wegen der Stabilität so wichtig, und deswegen ist nicht mehr Zeit, das im ruhigen, geordneten Gang vorheriger Erörterung zu behandeln. Das ist der Punkt, in dem wir auch sehr deutlich an die Bundesregierung appellieren müssen, sich trotz aller Polarisierung innerhalb und außerhalb dieses Hauses auf eine andere Form der Diskussion im Bereich gemeinsamer Verantwortung mit den Ländern einzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich muß hier auch im Gegensatz zu dem Urteil des Abgeordneten Graf Lambsdorff feststellen, daß der Bundesrat seit 1969, das heißt unter dem erstmals gegebenen Vorzeichen unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse, mit Augenmaß gehandelt hat. Die Verwaltung des Bundesrats hat eine sehr interessante Zusammenstellung über die verschiedenen Wahlperioden gemacht. Ich möchte hier ein paar Zahlen vortragen, weil sie bisher nicht veröffentlicht wurden. Von Gesetzesvorlagen der Bundesregierung wurden in der ersten Wahlperiode durch den Bundesrat mit dem Ziel der Anrufung des Vermittlungsausschusses angefochten 70, in der zweiten Wahlperiode 59, in der dritten 46, in der vierten 34, in der fünften 34 und in der letzten 31. Das heißt, wir haben einen Rückgang der Zahl der Anrufungen des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat gegenüber einer Zeit, in der die Mehrheitsverhältnisse politisch konform waren.
Die Versagung der Zustimmung durch den Bundesrat ist erfolgt in der ersten Wahlperiode bei elf Gesetzen, in der zweiten bei neun, in der dritten bei sechs, in der vierten bei sieben, in der fünften bei zehn Gesetzen und in der letzten unter kontroversen Mehrheiten bei drei Gesetzen in der Schlußberatung.

(Zurufe von der FDP.)

Selbst wenn wir einmal davon ausgehen, daß es sich um drei statt vier Jahre handelt — dieser Hinweis ist berechtigt —, bleibt das eine deutliche Aussage dafür, daß von einer fundamentalen Obstruktionsrolle bei diesem Zahlenbild überhaupt nicht die Rede sein kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Allerdings — dies möchte ich gern noch vor Ihrer Zwischenfrage sagen dürfen — haben wir uns, auch in der Tradition unserer Vorgänger aller Parteien der Länderregierungen, im Bundesrat in den letzten Jahren bemüht, Gesetzentwürfe der Bundesregierung wesentlich zu verändern und, wie ich glaube, zu verbessern und auch eigene Gesetzentwürfe, die richtige Forderungen und Vorstellungen enthielten, zum Erfolg zu bringen. Wir sind stolz darauf, daß wir das Städtebauförderungsgesetz dieser Koalition durch das Vermittlungsverfahren in entscheidenden Punkten verbessern konnten, damit es der privaten Eigentumsbildung dient und nicht der Machtzusammenballung in den Händen anonymer Gesellschaften.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber hier war es ja möglich, sich zu verständigen, auch ausgehend von Vorstellungen der Bundesregierung in anderen Punkten, denen wir zustimmten. Ich kann mit Befriedigung sagen, daß es die Länder Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz waren, die im vergangenen Bundesrat den Gesetzentwurf zur wirksameren Gestaltung des Haftrechts bei Wiederholungsgefahr eingebracht haben, der trotz vieler Bedenken schließlich auch in diesem Hause eine Mehrheit gefunden hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.) So sollten wir weiter zusammenarbeiten.


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0702702700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0702702800
Herr Ministerpräsident, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich meine Kritik ausdrücklich unter Anerkennung der bisher geleisteten Arbeit des Bundesrates in der Vergangenheit auf diesen jetzigen Beschluß in dieser Frage, das allerdings um so nachdrücklicher, beschränkt habe?
Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Ich nehme das gern zur Kenntnis. Im letzten Punkt ist die Meinungsverschiedenheit deutlich geworden.
Lassen Sie mich folgendes zum Abschluß sagen. Auch sonst sind trotz der Polarisierung viele Lösungen in den vergangenen Jahren und Monaten einmütig gefunden worden, im Bundesrat über die Parteigrenzen hinweg, im Gespräch der Ministerpräsidenten untereinander und mit dem Bundeskanzler. Ich möchte gerade in einer Zeit der Leidenschaft auf diese Bereiche und diese Notwendigkeiten übergreifender staatspolitischer Verantwortung hinweisen. In den Fragen der inneren Sicherheit sind wir zu einer guten Zusammenarbeit gekommen, unter den besonderen Belastungen des vergangenen Jahres, im Bereich des Umweltschutzes, in den schwierigen Themen des Zugangs zu den Hochschulen und anderen mehr. Ich hebe zum Schluß noch einmal besonders den bedeutsamen einstimmigen Beschluß der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers zur Fernhaltung von Verfassungsfeinden aus dem öffentlichen Dienst hervor.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Bundesstaatliche Organisation erfordert Auseinandersetzung, harte Auseinandersetzung,

(Zuruf des Abg. Dr. Strauß)

aber auch zugleich die Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Dies scheint mir das Grundgesetz einer föderativen Demokratie zu sein.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0702702900
Wir sind am Ende der Beratungen dieses Vormittags angelangt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.06 bis 14.59 Uhr.)





Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702703000
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren in der Beratung über den Haushalt fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Möller.
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Stoltenberg hat heute mittag als Mitglied des Bundesrates die Beziehungen zwischen Bund und Ländern und den ablehnenden Beschluß des Bundesrates vom 23. März zu den steuer- und anleihepolitischen Vorhaben der Bundesregierung behandelt. Wer die sich aus der Sicht des Herrn Stoltenberg ergebenden finanzwirtschaftlichen Konsequenzen richtig bewerten will, muß zunächst einmal an die Beantwortung der Frage gehen, was der Bund tatsächlich für die Länder tut. Erlauben Sie mir, hierzu einige Zahlen für das Jahr 1972 zu nennen.
Im Jahre 1972 hat der Bund Leistungen an die Länder im Gesamtumfang von 15,5 Milliarden DM erbracht, davon 5,6 Milliarden DM Zuweisungen für Investitionen der Länder und der Gemeinden. Das bedeutet, daß von den Länderausgaben jede sechste Mark aus Bundesmitteln finanziert worden ist. Die Schlußfolgerung ist zwingend: Die Mitwirkung des Bundes bei der Erfüllung von Länderaufgaben trägt erheblich zur Entlastung der Länderhaushalte bei, was eben auch bei Verhandlungen über einen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern gebührend beachtet werden muß.

(Abg. Schulte [Unna]: Sehr richtig!)

Lassen Sie mich beispielhaft einige wichtige Gesetze und Maßnahmen nennen, bei denen der Bund die Länder in ihrer Aufgabenerfüllung unterstützt. Der Bund leistete an die Länder im Jahre 1972 u. a. aus dem Wohngeldgesetz 600 Millionen DM, aus dem Wohnungsbauprämiengesetz 1 250 000 DM, aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz 1 360 000 DM. Ferner unterstützt der Bund Länder und Gemeinden im Rahmen des Städtebauförderungsgesetzes und des Krankenhausfinanzierungsgesetzes.
Bei diesen Gesetzen auf der verfassungsrechtlichen Grundlage des Art. 104 a des Grundgesetzes ist zu beachten, daß die Gesetze auch die Zustimmung des Bundesrates erhalten und die Länder also ihr Einverständnis zur Mitfinanzierung durch den Bund gegeben haben.
Außerdem hat der Bund für die drei Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a des Grundgesetzes im Jahre 1972 erhebliche Leistungen an die Länder erbracht, u. a. für Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes 1 200 000 DM, für den Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken 1 569 000 DM. Die Mitwirkung des Bundes in diesen Aufgabenbereichen, die auch schon vor der Finanzreform 1969 praktiziert worden ist, geschieht nicht allein wegen der hohen Kosten dieser Aufgaben. Vielmehr ist sie durch den Verfassungsgesetzgeber gewollt, damit die gesamtstaatlichen Belange zur Geltung gebracht werden können.
Neben diesen Gesetzen und Maßnahmen ist festzuhalten, daß der Bund aus zwingenden nationalen Gründen erhebliche Leistungen für Berlin erbringt. In diesem Fall darf ich auf die Nennung der Zahl verzichten.
Schließlich erhalten die finanzschwachen Länder vom Bund noch allgemeine Finanzzuweisungen, die sogenannten Ergänzungszuweisungen. Diese belaufen sich im Jahre 1972 und im Jahre 1973 auf jeweils 550 Millionen DM.
Ich möchte diesen Zahlen über die Leistungen des Bundes an die Länder im Hinblick auf die Ausführungen von Herrn Ministerpräsident Stoltenberg einige grundsätzliche Anmerkungen zum Bund-Länder-Verhältnis anschließen und dabei auch auf die Gemeinschaftsaufgaben und den Finanzausgleich eingehen. Beide verfassungsrechtlichen Institute sind seit einigen Monaten im Zusammenhang mit dem Kampf um die Steueranteile in die politische Diskussion geraten.
Beim Thema Gemeinschaftsaufgaben muß vorweg ausdrücklich klargestellt werden, daß es sich dabei um Aufgaben der Länder handelt, bei denen der Bund planerisch mitwirkt und, was hier nach meiner Meinung die entscheidende Rolle spielt, in erheblichem Ausmaß die Länder bei ihren Aufgaben finanziell unterstützt. Das gilt für die Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a und 91 b des Grundgesetzes und auch für die Finanzhilfen nach Art. 104 a des Grundgesetzes und letztlich für die Geldleistungsgesetze, auf die sich ja auch Herr Stoltenberg bezogen hat. Es muß festgehalten werden, daß diese finanzielle Unterstützung seit der Finanzreform ganz erheblich zugenommen hat. Hier möchte ich besonders den Hochschulbereich hervorheben. Bei den Geldleistungsgesetzen muß man sich klarmachen, daß sie ohne die Finanzreform allein von den Ländern zu finanzieren gewesen wären. Als Beispiel nenne ich das Bundesausbildungsförderungsgesetz, weil es gerade in dem von den Ländern oft zitierten Bildungsbereich ebenso wie die Mitfinanzierung beim Hochschulbau eine beachtliche Entlastung der Länder bringt.
Die sich neuerdings ständig wiederholende Kritik an den auf der Finanzreform beruhenden finanziellen Hilfen des Bundes an die Länder erscheint mir persönlich rätselhaft. Das gilt besonders für die Behauptung, der Bund übe einen Angebotsdruck aus und enge die Entscheidungsfreiheit der Länder ein. Man kann nicht auf der einen Seite eine gesamtstaatliche, gemeinsame Planung befürworten und dann auf der anderen Seite ein faires Abstimmungsverfahren bei den Gemeinschaftsaufgaben, bei dem nur mit der Mehrheit der Länder ein Beschluß herbeigeführt werden kann, kritisieren.
Die Behauptung einiger Länder, durch die Mitfinanzierung des Bundes würden sie in ihrem finanziellen Spielraum eingeengt, ist am allerwenigsten überzeugend. Die Bindung der Ländermittel ist keine Folge der Mitfinanzierung durch den Bund, sondern sie ergibt sich aus der von Bund und Ländern gemeinsam erkannten Dringlichkeit und Bedeutung der jeweils vom Bund mitfinanzierten Aufgaben.



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Oder, meine Damen und Herren, soll etwa bestritten werden, daß die im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben gesetzten Prioritäten richtig sind? Ich frage mich, ob die Kritiker etwa meinen, es sollten weniger Studienplätze geschaffen oder weniger Leistungen für die Verbesserung der Agrarstruktur erbracht werden. Hinsichtlich der Agrarstruktur mache ich darauf aufmerksam, daß die Länder bei der Aufstellung des Rahmenplanes 1973 wesentlich höhere Gesamtausgaben gefordert haben, als der Bund mitzufinanzieren in der Lage war. Bei dieser Sachlage kann man nun wirklich nicht mehr von einem Angebotsdruck des Bundes auf die Länder reden.

(Abg. Matthöfer: Sehr wahr!)

Der Hinweis der Länder, der Bund löse mit geringen Mitteln — Beteiligung nur an den Investitionskosten, z. B. beim Hochschulbau — große Lasten bei den Ländern aus, nämlich die dauernden Folgelasten, wäre allenfalls dann diskutabel, wenn der Bund den Ländern solche Investitionen aufzwänge. Davon kann aber bei einer Einigkeit über die Prioritäten überhaupt keine Rede sein. Die Beschlüsse in den Planungsausschüssen sind nach den mir gegebenen Informationen regelmäßig einstimmig erfolgt.
Es muß auch einmal auf einen günstigen Nebeneffekt der Mitfinanzierung des Bundes hingewiesen werden. Man redet häufig von einem Finanzausgleich, der sich am Bedarf zu orientieren habe. Die Mitfinanzierung bestimmter Aufgaben durch den Bund führt zu einer Aufteilung der Mittel unter den Ländern, und zwar exakt nach dem Bedarf. Eine Verteilung der entsprechenden Mittel unter den Ländern nach dem Umsatzsteuerverteilungsmodus würde sich so auswirken, daß finanzschwache Länder erheblich verlieren und finanzstarke entsprechend gewinnen würden. Das waren sehr wichtige Gesprächsthemen bei der Erörterung der Finanzreform und bei den gefundenen Kompromissen im Vermittlungsausschuß.
Herr Ministerpräsident Stoltenberg hat recht, wenn er darauf hingewiesen hat, daß der Beschluß der Ministerpräsidenten der Länder vom 20. Dezember 1972 nach wie vor besteht. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß dabei in Aussicht genommen wurde, neben einer linearen Erhöhung des Länderanteils an der Umsatzsteuer auch wieder die Frage der verbesserten Finanzausstattung der finanzschwachen Länder in die Beratungen über die Steuerverteilung ab 1. Januar 1974 einzubeziehen. Ausgangspunkt für diese Beratungen ist das Ergebnis des Kompromisses über die Umsatzsteuerverteilung vom 28. Januar 1972, der den Ländern für die Jahre 1972 und 1973 eine Erhöhung ihres Anteils an der Umsatzsteuer von 30 auf 35 v. H. und zusätzlich den leistungsschwachen Ländern Ergänzungszuweisungen des Bundes in Höhe von 550 Millionen DM brachte.
Es ist bekannt, daß der Bund in der Schlußphase der Verhandlungen die Alternative hatte, entweder an die Ländergesamtheit 6 Punkte Umsatzsteuer oder aber nur 5 Punkte an die Ländergesamtheit und 1 Punkt in Form von Ergänzungszuweisungen gezielt an leistungsschwache Länder abzugeben. Zu den leistungsschwachen Ländern gehört auch der Freistaat Bayern.
Natürlich hätte die Verteilung von Finanzmitteln in Höhe eines Umsatzsteuerpunktes an die leistungsschwachen Länder auch horizontal, also unter den Ländern selbst, erfolgen können. Den Ländern erschien der Weg über die Ergänzungszuweisungen aber offensichtlich als eine für sie bessere Lösung. Der Bund ist dann auf diese Lösung eingegangen.
Offensichtlich, meine Damen und Herren, verleitet dieses Ergebnis nun einige Länderchefs zu Trugschlüssen, sowohl was den Adressaten als auch was das Maß für eine zusätzliche Verstärkung der Finanzkraft leistungsschwacher Länder angeht. Beispielsweise hat Ministerpräsident Dr. Stoltenberg, wenn Pressemitteilungen stimmen, für die Regelung ab 1. Januar 1974 einen Länderanteil von 40 v. H. an der Umsatzsteuer und eine Verdoppelung der Ergänzungszuweisungen auf 1,1 Milliarde DM verlangt. Ich möchte zu einer Verdoppelung der Ergänzungszuweisungen und dem dabei eintretenden Ausgleichseffekt unabhängig von der finanzwirtschaftlichen Frage folgendes bemerken.
Nach dem Verfassungsgebot des Art. 107 Abs. 2 GG ist der angemessene Finanzausgleich primär Aufgabe der Länder untereinander, d. h. wenn man unter den Ländern wie bei den Umsatzsteuerverhandlungen 1971/72 so einheitlich der Meinung ist, daß für die leistungsschwachen Länder finanziell Zusätzliches getan werden müsse, um einen besseren Anschluß an die finanzstarken Länder zu erreichen, dann sollte das nach der verfassungsrechtlichen Reihenfolge horizontal geschehen. Die vertikale Hilfe des Bundes zur Ergänzung des horizontalen Ausgleichs unter den Ländern beruht lediglich auf einer Kann-Vorschrift des Grundgesetzes, was man bei den Erörterungen leider oft übersieht.
Aus dem Grundgesetz ergeben sich auch Grenzen für den Finanzausgleich. Ich mache auf Probleme aufmerksam, die im Zusammenhang mit den Gesprächen und Beschlüssen über eine Neuregelung der Steuerverteilung ab 1. Januar 1974 auf uns zukommen. Die Fragen betreffen sowohl den horizontalen als auch den vertikalen Finanzausgleich. Von seiten der finanzstarken Länder wird schon seit Jahren mit Verfassungsklage für den Fall gedroht, daß die Steuereinkünfte der Länder noch weiter nivelliert werden, als es gegenwärtig der Fall ist. Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen hat anläßlich der Einbringung des Landeshaushalts für 1973 im Dezember vorigen Jahres erklärt, daß eine solche Nivellierung einen Eingriff in den Kernbereich der Staatlichkeit der Bundesländer darstellt.
Meine Damen und Herren, diese grundsätzlichen Ausführungen über die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern bzw. über die hohen finanziellen Leistungen des Bundes an die Länder wollte ich im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten Dr. Stoltenberg doch gemacht haben, weil unabhängig davon nun ja noch die Belastung durch den Steuerverbund hinzutritt. Wenn man z. B. über einen höheren Anteil der Länder an der Mehrwertsteuer spricht, etwa von einer Erhöhung von



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
35 auf 40 vom Hundert zum 1. Januar 1974 — wobei man wissen muß, daß ein Prozentpunkt etwa 500 Millionen DM ausmacht, also diese 5 % 2 1/2 Milliarden DM darstellen —, dann sind diese zusätzlich geforderten 2 1/2 Milliarden DM auch unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, den ich soeben erörtert habe, nämlich was der Bund zusätzlich an Finanzleistungen für die Länder erbringt.
Nun, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat es sehr begrüßt, daß heute ein Ministerpräsident eines Landes als Mitglied des Bundesrates die Meinung des Bundesrates zu den vom Bund vorgelegten Stabilitätsgesetzentwürfen vertreten hat, daß wir sozusagen aus erster Hand erfahren haben, welche Überlegungen die Mehrheit des Bundesrates — oder manchmal eine starke Mehrheit des Bundesrates — veranlaßt haben, Bedenken gegen einige von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe zu erheben. Wir würden es begrüßen, wenn sich bei diesen und anderen Gelegenheiten die Länderchefs oder die Finanzminister, je nachdem, was für ein Thema gerade zur Behandlung ansteht, insoweit an den Beratungen des Bundestages beteiligten, als wir die gegenteiligen Auffassungen der Länder dann aus erster Hand hier vorgetragen bekämen. Das ist jedenfalls eindrucksvoller, vielleicht sogar wirkungsvoller, als wenn man sich das Protokoll des Bundesrates ansieht.
Ich habe Ihre beachtliche Rede — ich meine nicht die heute, sondern Ihre beachtliche Rede, die Sie im Bundesrat zu diesem Thema gehalten haben — sehr aufmerksam gelesen und festgestellt, daß da der Ministerpräsident eines Landes gesprochen hat — und wenn man nicht wüßte, daß Sie es waren, hätte man nicht sagen können, daß Sie der CDU angehören —, während Sie heute hier bei Ihren Ausführungen doch Wert darauf gelegt haben, die Harmonie zwischen Ihrer parteipolitischen Auffassung und der der Opposition deutlich erkennbar zu machen.
Sie haben sich mit der Mineralölsteuer beschäftigt. Darauf wird noch ein Kollege meiner Fraktion eingehen. Aber ich meine, man sollte das, was hier von der Bundesregierung vorgeschlagen worden ist, nun wirklich nicht mit dem Kraftfahrzeugsteuergesetz in Verbindung bringen. Die Reform des Kraftfahrzeugsteuergesetzes bejaht selbstverständlich auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, schon wegen der notwendigen Vereinfachung, die eine solche Reform für die Finanzverwaltung bringt, aber auch für die Steuerzahler. Nur besteht hier kein unmittelbarer Zusammenhang.
Sie sprachen dann von der Breitenwirkung, die bei einer Mineralölsteuererhöhung eintritt. Da bin ich etwas vorbelastet. Ich könnte nur für meine Person sagen, daß ich nicht gerade ein begeisterter Anhänger der Kilometerpauschale bin und nach meinen Steuervorstellungen die Kilometerpauschale durch eine Entfernungspauschale hätte abgelöst werden sollen. Insoweit bin ich in diesem Punkte also etwas vorbelastet, was ich zugebe. Aber im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen hat nach meiner Meinung, Herr Ministerpräsident Stoltenberg, diese Mineralölsteuer nun wirklich nichts zu tun.
Sie haben auch die Stabilitätsabgabe behandelt. Ich darf zwei von Ihnen in diesem Zusammenhang gestellte Fragen beantworten. Erste Antwort: Die Stabilitätsabgabe stellt eine befristete Maßnahme dar, so wie das im Gesetz genau fixiert ist.
Zweite Antwort: Sie bedeutet nach unserer Auffassung keinen Vorgriff auf die Steuerreform. Im übrigen verweise ich auf die Seite 1209 der 25. Sitzung des Deutschen Bundestags, wo sich der Bundesfinanzminister zu diesem Thema sehr eindeutig geäußert hat.
Nun, ich habe Ihre Ausführungen auf Seite 79 des Protokolls des Bundesrats vom 23. März 1973 in der Mittagspause noch einmal sehr aufmerksam durchgesehen. Mir fiel in dieser Ihrer Rede der einleitende Satz auf, den Sie heute nicht wiederholt haben, nämlich der Satz mit der beachtlichen Feststellung:
Die konjunkturpolitischen Wirkungen der sogenannten Stabilitätsabgabe sind schwer abschätzbar.
Das ist eine Abschwächung dessen, was Sie dann unter Bezugnahme auf Äußerungen verschiedener Institute und Persönlichkeiten zur Stabilitätsabgabe gesagt haben.
Aber das Wesentliche — Herr Kollege Stoltenberg, das können Sie sicherlich nicht bestreiten — besteht doch darin, daß Sie keine Hemmungen haben, bei einer solchen Einkommensbegrenzung 2,4 Milliarden DM zu kassieren, wenn Sie an der Kasse beteiligt sind. Das ist doch der Dreh- und Angelpunkt, um den es sich handelt,

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie sagen ausdrücklich — es ist eine Entschließung des Bundesrats , daß Sie eine Umgestaltung der Abgabe in einen Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer erwarten und außerdem die Stilllegung des Ertrages — das erfolgt ja —, und zwar nach den Grundsätzen des Stabilitätsgesetzes, verlangen.
Diese Grundsätze des Stabilitätsgesetzes sind in der Vorlage der Bundesregierung mit Absicht nicht enthalten. Man muß sich darüber einmal ruhig und objektiv unterhalten. Es ist bekannt, daß diese Regierung und die sie tragenden Parteien unter gar keinen Umständen Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes dadurch beseitigen wollen, daß sie ein Loch schließen, um ein anderes aufzureißen, oder anders gesagt: Wir wollen zu einer vernünftigen Preisstabilität nicht wieder über den Weg einer Rezession zurückkehren. Der Weg einer Rezession, der Versuch, Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes über Arbeitslosigkeit zu verhindern, ist für uns nicht diskutabel.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn das so ist — und wenn Sie das bitte als unsere objektive Meinung entgegennehmen wollen -, dann müssen Sie zugeben, daß überhaupt keine Möglichkeit besteht, die Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank abzurufen. Denn die Voraussetzung, nämlich der Beginn einer Rezession



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
und die Mobilisierung der Ausgleichsrücklage, um die dann abflauende Wirtschaft mit neuen Impulsen zu versehen, tritt nicht ein, Herr Stoltenberg. Daß Ihre Freunde eine andere Meinung vertreten, respektiere ich. Das haben wir ja einmal durchexerzieren müssen. Das ist nicht gutgegangen.
Nach meiner Meinung ist ,das Problem der Sicherheit der wirtschaftlichen Stabilität eine Frage, die entscheidend die politische und gesellschaftliche Stabilität beeinflußt. Nach meiner Meinung ist es einfach unerläßlich, die Stabilität — von der wirtschaftlichen bis zur politischen — in vollem Umfang und ohne Abstriche aufrechtzuerhalten, wenn wir die Position in den Auseinandersetzungen der Weltmächte weiter einnehmen wollen, die wir jetzt Gott sei Dank haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Deswegen — das sage ich einmal als meine persönliche Meinung; Wir haben darüber in der Fraktion noch nicht gesprochen — müßte man sich bei einer geeigneten Gelegenheit einmal überlegen: Was ist mit den 2 1/2 Milliarden DM, die der Bund dort liegen hat, Vernünftiges anzufangen, ohne den Konjunkturablauf negativ zu beeinflussen? Wenn man das so sieht, müssen Sie uns das Recht der Logik auch bei politischer Vernunft zubilligen, nämlich daß wir das Unglück nicht noch erweitern und vergrößern, indem Wir diese Stabilitätsabgabe in Höhe von 2,4 Milliarden DM nun auch bei der Bundesbank nach den Grundsätzen des Stabilitätsgesetzes anlegen, wie es der Beschluß des Bundesrates verlangt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702703100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jenninger

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID0702703200
Herr Kollege Dr. Möller, würden Sie nicht einmal Ihrer Fraktion oder der Bundesregierung empfehlen, die von Ihnen in Ihrer Zeit als Bundesfinanzminister angeregte Novellierung des Stabilitätsgesetzes in die Richtung, die Sie gerade angedeutet haben, vorzunehmen, um dieses, wie auch Wir einsehen, schwierige Problem zu lösen?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0702703300
Ja, ich bin der Meinung, daß wir an einer umfassenden Novellierung des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes nicht vorbeikommen. Wir müssen sowohl aus den Erfahrungen der Rezession wie aus den Erfahrungen des Booms gesetzgeberische Konsequenzen ziehen. Wir müssen auf Grund der gemachten Erfahrungen beweglicher werden, wir müssen das Instrumentarium erweitern. Darüber sind wir uns ganz sicher einig. Darauf brauche ich meine Fraktion nicht hinzuweisen; sie ist derselben Auffassung.

(Abg. Dr. Jenninger: Es wird seit drei Jahren darüber geredet, aber nichts getan!)

Lassen Sie mich nun noch eine Bemerkung zu der Alternative machen, die auch von Herrn Strauß vor einigen Wochen in der öffentlichen Diskussion zur Sprache kam und die auch hier heute eine Rolle spielte: Warum hat die Bundesregierung nicht von der Maßnahme des Stabilitätsgesetzes Gebrauch
gemacht und einen Konjunkturzuschlag empfohlen?
Sie wissen, daß wir den Konjunkturzuschlag schon einmal erhoben haben, rückzahlbar und nicht zu verzinsen. Aber wir meinen, daß ein von der Bundesregierung vorgeschlagener Konjunkturzuschlag jetzt ganz sicherlich nicht in die Landschaft paßte. Er würde erstens von den Tarifpartnern, die bereits stabilitätsorientierte Tarifabschlüsse getätigt haben, nachträglich als eine unzumutbare Belastung und als ein Mißbrauch ihres Vertrauens empfunden. Zweitens würde ein solcher Konjunkturzuschlag bei den kommenden Tarifverhandlungen selbstverständlich eine erhebliche Rolle spielen; denn die Gewerkschaften müßten mit Recht darauf hinweisen, diese Erhöhung mit X Prozent bedeutet: X Prozent minus Erhöhung der Steuern durch Konjunkturzuschlag.

(Abg. Leicht: Das würde auch bei der Mineralölsteuersteuer gelten!)

Das ist der entscheidende Gesichtspunkt, über den man sich klar werden muß, wenn man sich um eine Alternative bemüht.
Nun hat Herr Stoltenberg ein umfassendes Konzept der Vermögensbildung gefordert bzw. angemahnt, und zwar insbesondere für die Arbeitnehmer. Er hat nach meiner Meinung zu Recht gesagt, das sei gesellschaftspolitisch wünschenswert und stabilitätspolitisch auch geeignet, den konsumwirksamen Lohnanstieg zu begrenzen und zugleich den Arbeitnehmern eine Steigerung ihrer Einkommen zu gewährleisten, die deutlich über der Inflationsrate sowie deren Folgen in Gestalt höherer Steuern und Sonderabgaben liege.
Sie wissen, daß sich die Koalitionspartner — das ist in der Regierungserklärung vom 18. Januar dieses Jahres klar zum Ausdruck gekommen — entschlossen haben, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, der den Zuwachs am Produktivvermögen für die Arbeitnehmer in einem bestimmten Umfang in Anspruch nimmt.

(Abg. Breidbach: Endlich nach fünf Jahren!)

— Was lange währt, wird endlich gut.

(Abg. Breidbach: Das wollen wir abwarten!)

Das werden wir dann von unserer Vorlage sagen können, was man bisher von Ihren Vorschlägen nicht sagen konnte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber immerhin sei mir der Hinweis auf die erfreuliche Entwicklung beim 624-DM-Gesetz gestattet; denn wir haben ja nicht zuletzt dieses 312- DM-Gesetz in der ersten Periode der Arbeit dieser sozialliberalen Koalition so gestaltet, daß es für die Tarifpartner interessant wurde. Ich brauche den ganzen Katalog der Punkte nicht noch einmal vorzutragen, die mit dieser Änderung verbunden waren. Es war nicht nur eine Erhöhung des Betrages, sondern die Änderung machte das Gesetz nunmehr für die Arbeitnehmer interessant, ganz abgesehen



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
von der Tatsache, daß wir bis zu bestimmten Einkommensgrenzen auch eine Sparprämie damit verbinden konnten.
Im Jahre 1969, vor Antritt dieser Regierung der sozialliberalen Koalition, sparten 5,7 Millionen Bürger nach dem Vermögensbildungsgesetz, und zwar im Durchschnitt 280 DM. 1972 waren es etwa 16 Millionen Bürger, und der durchschnittliche Sparbetrag belief sich bereits auf 530 DM. Wir sehen also, daß hier eine beachtliche Weiterentwicklung erfolgt ist. Wenn Sie sich an die zurückliegenden Jahre erinnern wollen, werden Sie zugeben müssen, daß dieses so veränderte Vermögensbildungsgesetz eine erhebliche Rolle bei den Tarifabschlüssen gespielt hat, und zwar einschließlich öffentlicher Dienst. Wir haben also nach dieser Richtung die erforderlichen Versuche gemacht. Das wollte ich im Hinblick auf die von Ihnen getroffene Feststellung doch gesagt haben.
Sie haben dann erklärt, man müsse sich in dem Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag — so darf ich hinzufügen — auf der einen Seite und Bundesrat auf der anderen Seite um Kooperation bemühen, und Verständigung sowie Mäßigung seien angebracht. Von mir ohne Vorbehalt anerkannt! Sie haben aber dem Bundesfinanzminister gesagt, er habe Ministerpräsidenten und Finanzminister gegeneinander ausgespielt, und das verstoße gegen die Satzung des Finanzplanungsrates.

(Abg. Dr. Althammer: Nein, gegen die Geheimhaltungspflicht!)

Ich meine, das ist so nicht ganz richtig. Der Finanzplanungsrat beendet seine Beratungen mit einem Kommuniqué. Dem Kommuniqué kann man entnehmen, welche Positionen in einigen wichtigen Fragen der Finanzplanungsrat bezogen hat. Und dann hört und liest man Interviews und Artikel von Ministerpräsidenten und stellt Abweichungen fest. Es gehört keine Geistesakrobatik dazu, aus diesen Abweichungen nun doch gewisse Unterschiede zwischen dem Ablauf der Verhandlungen im Finanzplanungsrat, soweit sie sich im Kommuniqué widerspiegeln, und der Auffassung der Ministerpräsidenten zu ermitteln.
Sie haben hier erklärt, daß eine bessere Verständigung, ein möglichst frühzeitig begonnenes Gespräch, gut und richtig sei. Ich würde das auch wünschen. Aber die Länder müssen da mit gutem Beispiel vorangehen. Ich habe es nicht als ein gutes Beispiel empfunden, daß eine Anzahl von Ländern die Verhandlungen über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern ab 1. Januar 1972 bis 31. Dezember 1973 dadurch vorweggenommen hat, daß sie bereits im Jahre 1971 einen Anteil nicht von 30 %, wie es das Gesetz befahl, sondern von 35 %, wie es die Länderregierungen wünschten, einsetzte, bevor überhaupt Verhandlungen über diese Frage begonnen haben.

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

Das war nicht nur in den Länderhaushalten so, sondern auch in den Finanzplanungen.
Nun gebe ich zu: die Länder befinden sich auf dem Wege der Besserung. Ich darf auf die Lösung in Baden-Württemberg verweisen. Dort hat man die Finanzplanung alternativ einmal auf den bisherigen Anteil von 35 % und zum anderen auf den gewünschten Anteil von 40 % abgestellt.
Nun, meine Damen und Herren, wir werden abwarten müssen, was bei diesen Verhandlungen herauskommt. Aber ich wiederhole: Sie müssen die Leistungen des Bundes in der Summe von 15,5 Milliarden für das Jahr 1972 gebührend würdigen, und wenn gesagt wird: wir wollen statt 35% 40 % Anteil an der Mehrwertsteuer haben — das sind 2,5 Milliarden — und wollen eine Verdoppelung der Ergänzungszuweisungen an die finanzschwachen Länder — wobei ich wünschen möchte, daß der Freistaat Bayern endlich einmal so viel Ehrgeiz entwickelt, zu sagen, wir sind kein finanzschwaches Land —,

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

so müssen Sie das zusammenzählen. Sie kommen dann auf 3,6 Milliarden. Wer 3,6 Milliarden zusätzlich haben will, muß auch sagen, woher wir sie nehmen. Denn wenn wir diese 3,6 Milliarden aus den bisherigen Einnahmen des Bundes nehmen, können wir auf der anderen Seite einen Ausgabenbedarf der Länder von 3,6 Milliarden nicht befriedigen. Daß wir im Bundeshaushalt alles Mögliche getan haben, um einen möglichst engen Rahmen zu finden, hat sich eben doch aus der konjunkturpolitischen Situation ergeben.
Das bedeutet, daß man die Gesamtheit der Aufgaben der öffentlichen Hand zu sehen hat, daß man in den Prioritäten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden abzuwägen hat und daß dann auch der Mut dazugehört, ganz klar zu sagen: wenn ich in einem solchen Umfange wichtige öffentliche Aufgaben finanzieren will, ist das möglich auf Grund der folgenden finanzwirtschaftlichen Vorschläge, die genau durchdacht sind. Aber Sie wollen keine Steuererhöhungen, Sie wollen keine Erhöhung der Anleihen, Sie wollen nichts, was die Einnahmeseite irgendwie verbessern könnte. Damit ist dann die Hürde, höhere Ansprüche der Länder zu befriedigen, nicht zu nehmen.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine Bemerkung zu Herrn Kollegen Strauß machen, der gestern in seiner wie immer vom bayerischen Temperament getragenen Rede — man kann das eine oder andere gar nicht vermissen, weil dieses bayerische Temperament zu stark und überwältigend ist — auf seine Erklärung hingewiesen hat, die er zur Haushaltsrede des Bundesfinanzministers herausgegeben hat. Er hat, was mich beinahe erschrecken mußte, diese Erklärung in vollem Umfange aufrechterhalten.

(Abg. Strauß: Aber Sie haben es überstanden!)

Wir haben uns nicht nur über den Inhalt, der nicht
den Tatsachen entspricht, entrüstet, sondern auch



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
über den Stil. Denn von dieser beachtlichen Rede des Bundesfinanzministers

(Oh-Rufe und Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

zu sagen: Inhaltslosigkeit, Unverbindlichkeit, Vorschieben von Sündenböcken, Dokument der Unfähigkeit, der Konzeptionslosigkeit und der Ratlosigkeit

(ironischer Beifall bei der CDU/CSU) der Regierung,


(sehr gut! bei der CDU/CSU)

das ist doch eine Aneinanderreihung von Diffamierungen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Von Wahrheiten! — Weitere Zurufe aus der Mitte.)

Meine Damen und Herren, auch wenn man im Bundestag in einer Rede eine solche verunglückte Verlautbarung verteidigt, ändert die Lautstärke nichts daran, daß die Substanz immer noch nicht vorhanden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Strauß: Wir werden sie Ihnen zur Zensur vorlegen! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Herr Strauß hat vier klare Aussagen vermißt. An erster Stelle nennt er das Fehlen einer klaren Aussage in der Haushaltsrede bezüglich der Wiederherstellung des stabilen Geldwerts. Da kann ich nun wirklich nur sagen: Wer das im Ernst behauptet, der kann entweder nicht lesen oder nicht hören.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Ich habe das Protokoll der 25. Sitzung und verweise auf die Seiten 1206 — oben — bis 1208 — Mitte der ersten Spalte —. In diesem ganzen Text hat der Bundesfinanzminister sehr eingehend zu der Frage der Wiederherstellung des stabilen Geldwerts Stellung genommen. Diese Passagen machen immerhin einen großen Teil der Rede aus.

(Abg. Breidbach: Das würde ich noch einmal vorlesen!)

— Lesen Sie es einmal durch; Sie können daraus nur etwas lernen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Sie müsen sich dafür allerdings Zeit nehmen und die von mir angegebenen Seiten Satz für Satz lesen und dabei überlegen, was da alles drinsteckt; dann kommen Sie sicher dahinter.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Im Stenographischen Bericht sind einige Stichworte fett gedruckt. Durch Fettdruck sind hervorgehoben: die zunehmende Verflechtung der westlichen Industriestaaten; die Abhängigkeit von den Entwicklungen unserer Partner;

(Abg. Strauß: Sündenbock-Theorie!)

der internationale Zusammenhang in der Kreditpolitik, auch unter Berücksichtigung der kreditpolitischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland, die — ich werde dazu noch in einem anderen
Zusammenhang eine Bemerkung machen — nicht uninteressant sind; die Dollarschwäche; die Notwendigkeit, eine Gemeinschaftslösung anzustreben; das Zustandekommen der verschiedenen Währungsvereinbarungen; die Notwendigkeit der Reform des Weltwährungssystems; die dringend notwendige Kooperation in der Atlantischen Allianz, insbesondere hinsichtlich der ökonomischen Kooperation; das Problem der steigenden Preise; die internationalen Preissteigerungsraten bei den Lebenshaltungskosten; die Entwicklung hinsichtlich der Produkte aus dem Rohstoffbereich;

(Abg. Leicht: Das hat doch alles nichts mit Stabilität zu tun!)

der Haushaltsentwurf 1973 und das stabilitätspolitische Konzept.
Wer sich also, meine Damen und Herren, nur diese Stichworte ansieht, wird zugeben müssen, daß die Behauptung des Herrn Strauß,

(Abg. Breidbach: Stimmt!)

in der Haushaltsrede des Bundesfinanzministers fehle eine klare Aussage über die Wiederherstellung des stabilen Geldwerts, in keiner Weise den Tatsachen entspricht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun ist von den Rednern der Opposition immer wieder zum Ausdruck gebracht worden, man brauche keine alternativen Vorschläge zu machen; das sei nicht Sache der Opposition; Sache der Opposition sei, auf die Fehler und Sünden der Regierung zu verweisen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Wir haben zu der Zeit, als wir die Opposition bildeten — Sie stehen in dieser Hinsicht ja erst am Anfang Ihrer Entwicklung;

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU)

deswegen gebe ich Ihnen zu, daß das noch nicht bis zu diesem Stadium gekommen sein kann —, in wichtigen Fragen alternative Vorschläge gemacht.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU.)

Ich erinnere an unseren Vorschlag hinsichtlich der Finanzplanung.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702703400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0702703500
Ich möchte das gern zu Ende führen.
Ich erinnere daran, daß wir im November 1966, als Sie anfingen, SOS-Rufe zu senden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das werden Sie bald wieder tun!)

in der damaligen Haushaltsdebatte mit einem konstruktiven Vorschlag darauf hingewiesen haben, in
welchem Umfang man über den Weg eines Kern-



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
und eine Stabilitätshaushalts die vorhandenen konjunkturpolitischen Schwierigkeiten lösen könne. Daß sich diese Entwicklung inzwischen vollzogen hat, nehmen wir heute gern zur Kenntnis.

(Abg. Leicht: Wo denn?!)

Daß aber die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diesen konstruktiven Vorschlag in einer schier ausweglosen finanzwirtschaftlichen Situation gemacht hat, sollte man, meine Damen und Herren, ebenso wie unsere Vorschläge im Februar 1965 zur Kenntnis nehmen, als wir wegen der damaligen finanzwirtschaftlichen Lage alle Anträge und Gesetzentwürfe unserer Fraktion mit finanzwirtschaftlichen Auswirkungen zurückgenommen haben und Ihnen dasselbe empfehlen konnten,

(Beifall bei der SPD)

ohne daß Sie dieser Empfehlung Folge geleistet hätten. — Entschuldigen Sie bitte.

Ferdinand Breidbach (CDU):
Rede ID: ID0702703600
Herr Kollege Möller, darf ich fragen, ob zu diesen Vorschlägen, die Sie zu Ihrer Oppositionszeit gemacht haben, auch der berühmte Plan Ihres ehemaligen Kollegen Schiller gehörte, nämlich von 3 auf 2 auf 1 °/o, und Ihre Aussage in der 71. Sitzung vom 10. November 1966, die ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren darf:
Politisch bleibt entscheidend, daß keine Opposition aus ihrer Position heraus Alternativen entwickeln kann, die die letzte Aussagekraft besitzen, da ja nicht sie Regierungspolitik betreibt. ... Sowohl die Einnahme- als auch die Ausgabeseite werden immer maßgebend von Gesetzen und deren Zielsetzungen beeinflußt, für die in vollem Umfang die Regierungskoalition und nur höchstens partiell die Opposition Verantwortung trägt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0702703700
Dabei haben Sie als Eiferer übersehen, daß auf die letzte Aussagekraft in dieser Erklärung der Wert gelegt wurde, und diese letzte Gültigkeit ist abhängig von dem Umfang an Informationen und von den Dingen, die zusätzlich in dieser Aussage enthalten sind.

(Abg. Leicht: Die war damals viel besser als heute!)

Was nun den anderen Herrn betrifft, den Sie zitiert haben, so müssen Sie nicht mich fragen. Vielleicht fragen Sie den Kollegen Professor Erhard, der in der jüngsten Vergangenheit bessere Verbindungen mit dem Herrn unterhält und sicherlich sachverständiger darüber Auskunft geben kann, als mir das möglich ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — OhRufe bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Herr Kollege Barzel hat davon gesprochen, daß am Anfang der Arbeit dieser Regierung unter dem Bundeskanzler Brandt ein Stabilitätsangebot von der Opposition gemacht worden sei, und wir hätten dieses Stabilitätsangebot nicht akzeptiert. Ich habe mir die Akten angesehen und komme zu dem Ergebnis, daß es sich nur um den Vorgang handeln kann, der sich am 26. November 1969 im Bundestag abgespielt hat, als wir uns mit den Gesetzentwürfen zur Verbesserung der Kriegsopferleistungen in erster Lesung beschäftigten. Wir mußten der CDU/CSU- Fraktion vorwerfen, daß sie Gesetzentwürfe über Wohngeld, Kindergeld, Verbesserungen im Wehrbereich usw. eingereicht hatte, die mit einem Betrag von 1,2 Milliarden DM über die Gesetzentwürfe der Bundesregierung hinausgingen, und daß eben nicht gesagt werden konnte, wie die Deckung hergestellt werden sollte. Da hat Herr Kollege Barzel den Vorschlag gemacht, man möge alle Anträge, die finanzwirtschaftlich von Bedeutung seien, bis zur zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushalts 1970 zurückstellen.

(Abg. Damm: Mit Ausnahme der Kriegsopfer!)

— Ja, zunächst mit Ausnahme der Kriegsopfer. Wir haben uns dann sehr schnell darauf verständigt, daß dazu noch der öffentliche Dienst und die Landwirtschaft gehören müßten, und zwar die Landwirtschaft wegen des Währungsausgleichs.

(Abg. Leicht: Genauso war es!)

Diese drei Gebiete sind dann ausgeklammert worden.
Ich habe mich, als Herr Kollege Barzel den Vorschlag gemacht hatte, sofort mit dem Herrn Bundeskanzler in Verbindung gesetzt, und der Herr Bundeskanzler hat mir die Vollmacht gegeben, dieses Angebot des Herrn Kollegen Barzel anzunehmen, was sofort in derselben Sitzung des Bundestages geschehen ist. Soweit dieser Tatbestand.
Ich kann Ihnen versichern, wenn Sie in nächster Zeit auf den klugen und weitsichtigen Gedanken kommen sollten, uns ähnliche Vorschläge zu machen, können Sie zu jeder Zeit mit uns darüber reden, weil uns allen in diesem Hause an der Solidität der öffentlichen Finanzwirtschaft gelegen sein muß.
Zum Schluß: Einer der Herren der CDU/CSU-Fraktion hat, um seine Rede, die ich nicht qualifizieren möchte, etwas aufzufrischen, den Mut gehabt, sich selbst in dieser Debatte auf die Jusos zu beziehen. Ich muß schon sagen, welche Glanzstücke Sie da zuwege bringen, wenn Sie, um in irgendeiner Situation sich irgendwie aus einer Sackgasse zu retten, diese bösen Jusos vorzeigen, das ist schon bewunderungswürdig. Aber diesem Herrn und seinen Fraktionskollegen empfehle ich, einmal den Leitartikel der „Welt am Sonntag" vom 18. März 1973 zu lesen, verfaßt von Paul C. Martin, dem maßgebenden Wirtschaftsredakteur der „Welt am Sonntag",

(Abg. Damm: So etwas lesen Sie?)

unter der Überschrift „Banken verstaatlichen?". Da heißt es in den beiden Schlußabsätzen:
Die Jungsozialisten,
— so schreibt Herr Martin, der Redakteuer der
„Welt am Sonntag", einer Zeitung, die Sie ja



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
weder als eine Zeitung der Jusos noch der Koalition oder der SPD bezeichnen können —
so heißt es allenthalben, seien Systemveränderer. Sie wollen nämlich den Sozialismus einführen und als erstes die Banken verstaatlichen. In der vergangenen Woche
- so schreibt Herr Martin —
hat sich herausgestellt, daß die eigentlichen Systemveränderer nicht die Jusos sind, sondern die Banken selbst.
Und dazu werden in diesem Artikel einige beachtenswerte Beispiele aufgeführt. Sehen Sie also bitte nicht den Splitter im Auge des Nächsten, sondern beachten Sie endlich einmal den politischen Balken, den Sie vor Ihren eigenen Augen haben.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702703800
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0702703900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zu dem, was Herr Ministerpräsident Stoltenberg gesagt hat, einiges ausführe, noch wenige kurze Bemerkungen zu ein paar Beiträgen von gestern und heute.
Herr Kollege Strauß, Sie haben gestern sehr plastisch ausgemalt, was demjenigen übrigbleibt, der die Stabilitätsanleihe zeichnet. Sie haben Zahlenbeispiele genannt, und wer das so hörte, mußte natürlich auf die Idee kommen, daß das die Mehrheit unserer Arbeitnehmer betrifft. Wenn Sie einmal genau nachgerechnet und die Steuerfreibeträge der Zinsen — 150 DM für den Ledigen, 300 DM für den Verheirateten, 800 DM als Nebenverdienst — mit eingerechnet hätten, dann hätten Sie festgestellt, daß wir eine Anleihe von 52 Milliarden DM hätten auflegen müssen. Das aber haben Sie natürlich nicht getan; denn es hätte ja nicht in Ihr Kolossalgemälde gepaßt, wie das ja meistens bei Ihnen ist. Sie bringen zwar sehr nette Beispiele, aber wenn man sie bis zum letzten durchleuchtet und die Zahlen genau ansieht, dann merkt man, daß Sie mit Zahlen doch etwas auf Kriegsfuß stehen.
Herr Kollege Barzel, Sie haben von dem Kasseler Beispiel über die Möglichkeit eines Ausschusses oder eines Ombudsmans gesprochen und gesagt, dem Kasseler Verleger sei nichts anderes übriggeblieben, weil das nun einmal eine Zeitung in Hessen sei, dis daß er das mitmache, wenn der Ministerpräsident so etwas wünsche. Es war genau umgekehrt. Anläßlich der Jubiläumsfeier der „Hessischen Allgemeinen", an der der Herr Bundeskanzler, aus Ihren Reihen Herr Kollege Haase anwesend war, außerdem eine ganze Reihe anderer Kollegen — ich war auch dabei —, hat der Verleger gesagt, daß er diese beiden Alternativen einmal in seinem Betrieb ausprobieren möchte, um dann festzustellen, ob das Möglichkeiten sind, die später einmal in eine presserechtliche Regelung Eingang finden können. Daraufhin hat sich die hessische Landesregierung bereit erklärt, hierbei Hilfestellung zu leisten. Es war also nicht so, wie Sie es dargestellt haben.
Und noch ein Beispiel, Herr Kollege Barzel. Sie sprachen davon, wir hätten der CDU vorgeworfen, daß sie für Freizügigkeit eingetreten sei.

(Abg. Dr. Barzel: Franke!)

Das ist niemals vorgeworfen worden, es ist etwas anderes gesagt worden. Sie haben immer die Bedingung gestellt, daß erst die Freizügigkeit durchgesetzt sein soll, bevor man zu vertraglichen Regelungen kommt. Das ist aber etwas ganz anderes als das, was Sie hier behauptet haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin so etwas süffisant gelächelt, als der Bundeskanzler davon sprach, daß bei den Freien Demokraten das Freiburger Programm und andere Programme Grundlagen sind. Damit Sie nicht zuviel suchen müssen: nehmen Sie sich bitte die Stuttgarter Leitlinien zur Bildungspolitik! Das ist z. B. ein Teil unserer Programme, über die wir hier eben in allen Debatten mit entscheiden.
Herr Kollege Seiters, als Sie davon sprachen, der Bundeskanzler sei aus der südlichen Sonne gekommen und habe dann hier die Ausführungen zur Regierungserklärung gemacht, da mußte ich natürlich daran denken, daß es Ihr Parteivorsitzender war, der aus südlicher Sonne kam und — ausgerechnet aus Portugal kommend — hier sagte, dieses Land, die Bundesrepublik, sei nicht in Ordnung. Das schien mir allerdings eine sehr große Fehlwirkung südlicher Sonne gewesen zu sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich jetzt zu dem Stellung nehmen, was der Herr Ministerpräsident Stoltenberg hier gesagt hat. Zunächst aber ein paar Bemerkungen zu dem, was Sie zu der Frage Steuerentwicklung/ Steuerreform usf. gesagt haben. Natürlich ist es gut, wenn in diesem Hause von seiten des Bundesrates klargestellt wird, was er will, welche Meinung er hat. Ich muß Ihnen allerdings ganz offen sagen: wenn der Bundesrat in dieser Weise seine Mitwirkung an den politischen Entscheidungen des Bundes im Sinne des Grundgesetzes versteht, wäre es gut, wenn häufiger einmal bei Fragen, wo dann im Bundesrat die Sperrminorität, so muß ich es doch bezeichnen, zur Majorität benutzt wird, hier schon vorher, wie es heute geschehen ist, Stellung genommen wird, damit man sich hier an Ort und Stelle damit auseinandersetzen kann. Das geschieht leider meistens erst zu einem Zeitpunkt, wo wir nur noch ,in der Lage sind, zu Vermittlungsausschußergebnissen ja oder nein zu sagen, und uns nicht in der Sache im einzelnen mit dem Bundesrat auseinandersetzen können.
Sie haben davon gesprochen, daß Sie in Zweifel setzen, daß die Mehreinnahmen wirklich stillgelegt werden. Sie können davon ausgehen, daß wir selbstverständlich sehr sorgfältig darauf achten werden, daß das, was an Steuermehreinnahmen aufkommt, im Rahmen der Erklärung ,des Bundesfinanzministers



Mischnick
auch stillgelegt wird. Dazu liegt auch die verbindliche Erklärung des Bundeskabinetts vor.
Ein Problem macht mir allerdings mehr Sorge. Wir wissen, daß im Bundeshaushalt 3,8 Milliarden für die Aufnahme von Krediten vorgesehen sind. Wir haben eine Vereinbarung des Finanzplanungsrates über die Ausschöpfung des Kreditrahmens. Wenn wir an die Vergangenheit denken, erinnern wir uns: es war immer der Bund, ,der sich an seine Verpflichtungen gehalten hat, ja erheblich unter seiner Grenze geblieben ist; aber leider haben die Länder und auch die Gemeinden freiwerdenden Kreditraum sofort ausgefüllt und damit natürlich das konjunkturpolitisch angestrebte Ziel des Bundes unterlaufen, durch weniger Kreditaufnahme konjunkturberuhigend zu wirken. Es wäre gut, wenn die Länder bei der Durchführung ,dieser Vereinbarung auch einmal daran dächten, über die Innenminister notfalls die Kommunalaufsicht in Anspruch zu nehmen, wenn die Gemeinden bei der Kreditaufnahme konjunkturpolitisch falsch handeln. Hier ist eine Möglichkeit der Unterstützung einer konjunkturgerechten Politik durch die Länder, ,die aber bis zur Stunde nur in ,den seltensten Fällen wahrgenommen worden ist.
Der Herr Ministerpräsident Stoltenberg sprach davon Kollege Möller ist ,darauf bereits eingegangen —, daß wir eine stärkere Vermögensbildung gerade zu diesem Zeitpunkt für richtig halten. Wir sind darin völlig einer Meinung. Es ist ja das Ziel, die Stabilitätsabgabe in Höhe von 2,4 Milliarden als Einstieg in eine Vermögensbildung zu verwenden. Das soll nicht die Hauptgrundlage sein, aber es soll eine Einstiegsmöglichkeit sein — mit weiteren Überlegungen, die von uns zur Diskussion gestellt worden sind. Wer sie noch nicht gelesen hat, dem kann ich nur empfehlen, unsere Freiburger Thesen zu diesem Punkt einmal wirklich im einzelnen nachzulesen.

(Zuruf des Abg. Dr. Narjes: Der Bundesfinanzminister hat das offensichtlich nicht gewußt!)

— Der Bundesfinanzminister hat der Auffassung, daß wir eine Vermögensbildung vornehmen sollten, keineswegs widersprochen. Diese 2 1/2 Milliarden DM werden nämlich stillgelegt; sie sind nicht als Einnahmen zum Ausgleich des Haushalts gedacht. Das wissen Sie doch ganz genau. Wir werden das bei den Entscheidungen, die wir im nächsten Jahr zu treffen haben, entsprechend berücksichtigen.

(Abg. Leicht: Soweit sie nicht gebraucht werden!)

— Entschuldigen Sie, das ist soeben von Ihnen wieder durcheinandergebracht worden. Der Bundesfinanzminister hat von Steuermehreinnahmen gesprochen, soweit sie nicht für andere Zwecke gebraucht würden, aber nicht davon, daß diese 2,4 Milliarden DM für solche Zwecke verwendet würden. Ich muß Sie bitten, das noch einmal nachzulesen.

(Abg. Leicht: Das müssen Sie tun!)

Es ist bedauerlich, daß sie als Haushaltsexperte die Dinge nicht so genau lesen und gehört haben, wie es erforderlich wäre.

(Abg. Leicht: Besser als Sie!)

Herr Ministerpräsident Stoltenberg, Sie zweifeln an, daß wir die Steuerreform über die Bühne bringen, und sagten, daß durch diese Maßnahmen die Eckwerte vielleicht in Frage gestellt werden könnten. Auch hier kann ich Sie beruhigen. Es gibt voll verbindliche Vereinbarungen darüber, daß die zusätzliche Stabilitätsabgabe keinerlei Bezug auf die Eckwerte hat, sondern daß die Eckwerte so, wie wir sie gemeinsam vereinbart haben, in die Steuerreformgesetze eingebracht werden.

(Abg. Leicht: Wie ist es denn mit der sozialen Symmetrie?)

Sie sprachen davon, Herr Ministerpräsident, daß man vielleicht mit wechselnden politischen Konstellationen rechnen könne. Wenn Sie dabei auf wechselnde Mehrheiten spekulieren, ist das ein grundlegender Irrtum. Das möchte ich Ihnen in aller Deutlichkeit schon jetzt gesagt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, kein Mensch verlangt vom Bundesrat einen Freibrief für Steuererhöhungen. Selbstverständlich muß hier der Bundesrat mitwirken, muß er seine Auffassungen zum Ausdruck bringen, und wir wollen uns auch damit auseinandersetzen. Aber das Problem ist doch, daß wir immer mehr den Eindruck gewinnen müssen — daher kommt schließlich diese Diskussion —, daß eben nicht, wie Sie sagen, die allgemeinpolitischen Gesichtspunkte die entscheidende Rolle bei manchen Entscheidungen des Bundesrates spielen, sondern daß partikulare Interessen jetzt nicht speziell im Sinne der Länder, sondern auf Grund spezieller politischer Auffassungen im Vordergrund stehen.
Nun bestreite ich nicht, daß das eine legitime Überlegung ist. Wer aber dies als legitime politische Überlegung zugesteht, dem kann man doch nicht verwehren, daß er sich dann einmal die Gesamtstruktur und -konstruktion des Bundesrates ansieht. Als das Grundgesetz geschaffen wurde und die Stimmenverhältnisse im Bundesrat festgelegt wurden, war der Bevölkerungsunterschied zwischen den einzelnen Ländern nicht so gravierend, wie es heute der Fall ist. Was die Dinge politisch so problematisch macht, ist doch folgender rein sachlicher Tatbestand. Der Bundesrat besteht aus elf Ländern; sechs Länder sind SPD- oder SPD/FDP-regiert, fünf Länder sind CDU/CSU-regiert. Das heißt, bei bestimmten Entscheidungen sind im Vermittlungsausschuß sechs Länder für Auffassungen des Bundestages eingetreten, und fünf Länder haben sich dagegen gewandt. Wenn es dann aber um die Plenarabstimmung geht, ist das Stimmenverhältnis genau umgekehrt.
Wenn Sie dann noch berücksichtigen, daß die SPD/FDP-regierten Länder über 32 Millionen Einwohner, die CDU/CSU-regierten Länder aber nur 27 Millionen umfassen, dann ist es doch legitim zu fragen, ob hier nicht die Gefahr besteht, daß eine



Mischnick
klare politische Mehrheit im Bundestag, die ihr Votum von der Bevölkerung bekommen hat, durch die Vertretung einer Minderheit der Bevölkerung politisch blockiert wird.
Ich will das alles einmal ohne Polemik feststellen. Daraus entsteht dann die Überlegung: muß man nicht vielleicht prüfen, ob das Stimmenverhältnis im Bundesrat der heutigen Situation noch angemessen ist, wie es Ministerpräsident Osswald getan hat? Man könnte auch sagen: die Gleichgewichtigkeit, die Ausgewogenheit der Länder muß über eine Neugliederung überprüft werden. Mir geht es jetzt nicht darum, eine polemische Auseinandersetzung hierüber zu entfachen. Ich bitte Sie lediglich, dann, wenn man sich mit Recht auf die verfassungsmäßige Stellung des Bundesrates beruft, dabei die politischen Wirkungen nicht aus dem Auge zu verlieren und sich dann nicht zu wundern, wenn entsprechende Reaktionen kommen, wie es bei verschiedenen Gesetzen geschehen ist. So einfach, wie es Ministerpräsident Goppel getan hat, der sagte: Wir müssen Art. 29 — Neugliederung einfach streichen, dann ist das Problem erledigt!, kann man es sich eben nicht machen.
Meine Damen und Herren, sehen wir uns die Zahlenbeispiele die vorhin von Ihnen genannt worden sind, einmal genau an. Herr Ministerpräsident, Sie hätten nicht nur hinzufügen müssen, daß die Legislaturperiode tatsächlich nur drei Jahre gedauert hat, sondern auch, daß nach aller Erfahrung im letzten Jahr einer Legislaturperiode die meisten Gesetze verabschiedet werden und daß dann der Konfliktstoff immer auch entsprechend stärker war. Ich bitte also darum, auch diesen Gesichtspunkt bei der Nennung solcher Zahlen in Zukunft mit zu berücksichtigen.
Was die nüchterne Beurteilung für uns aber so schwermacht, ist doch die Tatsache, daß wir im Bundesrat gerade bei solchen Gesetzen den Widerspruch der CDU/CSU-Mehrheit erleben mußten, bei denen man bei noch so großzügiger Auslegung nicht unbedingt zu der Auffassung kommen konnte, hier sei ein grundlegendes Interesse der Länder — auch vom Politischen her — in Frage gestellt. Ich denke etwa daran, wie die Rentengesetzgebung unter einem bestimmten Gesichtspunkt gesehen wurde und daraufhin eine Blockade über die Bundesratsmehrheit erfolgte. Uns kann kein Mensch weismachen, daß das ausschließlich in Wahrnehmung der berechtigen Interessen des Bundesrates geschehen ist; es war ausschließlich die verfassungsrechtlich verankerte Wahrnehmung rein parteipolitisch begründeter Interessen, sonst gar nichts!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Daß wir uns mit diesen Tatbeständen auseinandersetzen, kann uns doch kein Mensch übelnehmen.
Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Bildungspolitik. Ich erinnere an die Auseinandersetzungen über das Hochschulrahmengesetz in der vergangenen Legislaturperiode. Bei der Hochschulrahmengesetzgebung wollte das langsamste Schiff im Geleitzug, in diesem Fall Bayern, der Mehrheit praktisch immer wieder den Willen aufzwingen.
Weil wir nicht bereit waren, dem nachzugeben, scheiterte alles.
Oder denken Sie daran, daß wir zum Staatsvertrag über den Numerus clausus letztendlich nur deshalb gekommen sind, weil wir wußten, daß ein Bundesgesetz im Bundesrat scheiterte, es sei denn, wir wären bedingungslos auf alle Vorstellungen der CDU/CSU-Länder eingegangen. Genau das kann nicht unsere Absicht sein. Hier muß die Bereitschaft, eine breitere Basis zu finden, bei den Ländern — auch bei den CDU/CSU-regierten Ländern — stärker werden, als das bisher der Fall war.
Meine Damen und Herren, die Nagelprobe in diesen Fragen wird im nächsten Jahr kommen, wenn hier ein Gesetzentwurf zur Ablösung des Staatsvertrages auf dem Tisch liegt oder wenn im Rahmen des Hochschulrahmengesetzes diese Fragen geklärt werden. Dann wird sich auch zeigen, ob man gemäß unserer verfassungsrechtlichen Struktur berechtigte Länderinteressen wahrt, oder ob das Ganze wieder in eine rein parteipolitische Betrachtungsweise abgleitet. Letzteres würde ich bedauern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir auf Grund einer rein parteipolitischen Entscheidungspraxis im Bundesrat zu der Schlußfolgerung kommen, daß dann eben die Mehrheiten im Bundesrat geändert werden müßten, so ist dies ein legitimes Verlangen derjenigen, die vom Volk die Mehrheit in diesem Bundestag bekommen haben und ihre Politik nun auch verwirklichen wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702704000

Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702704100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meinen Diskussionsbeitrag in dieser Debatte mit einer Bemerkung zu einigen Ausführungen beginnen, die die Herren Strauß und Barzel außerhalb des Rahmens der Finanzpolitik, aber doch legitimerweise in einer Haushaltsdebatte gemacht haben. Ich erinnere mich an den Winter 1971/32, wo die Opposition vielleicht sich, jedenfalls auch einen Teil der Öffentlichkeit damit erschreckte, daß eine Rezession mit Arbeitslosigkeit unmittelbar bevorstehe. Sie ist nicht eingetreten. Dann hat sie es im Mai und Juni vorigen Jahres mit dem „Ausverkauf der Nation" an den Osten versucht. Auch er ist nicht eingetreten; die Parole hatte keinen Erfolg. Dann war im September und im Oktober die innere Sicherheit unseres Staates angeblich in Gefahr.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war sie auch!)

Davon ist auch nichts eingetreten. Jetzt ist es der Antiamerikanismus, der angeblich unsere Basis unterhöhlt. Es wird auch nur zwei Monate dauern, Herr Barzel, bis Sie etwas Neues haben.

(Beifall bei der SPD.)

Es gibt in unserem Volk ganz gewiß antiamerikanistische Strömungen wie auch in anderen euro-



Bundesminister Schmidt
päischen Ländern und auch außereuropäischen Ländern. Ganz gewiß gibt es die auch bei uns.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und in welcher Partei?)

— Die gibt es sicherlich auch innerhalb des weiteren Bereichs der Sozialdemokratischen Partei. Die gibt es aber nicht nur links, sondern auch rechts.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht in der Mitte!)

Mir kommt es darauf an, Sie zu fragen, ob Sie mir zustimmen können, daß es eigentlich im Interesse dieses Staates und seiner Staatsbürger läge, wenn es dergleichen gibt, es nicht unnötig aufzupusten und zu verzehnfachen, sondern sich so damit auseinanderzusetzen, daß es verringert wird.
Schauen Sie, dies ist ein Zusammenspiel des Herrn Strauß, des „Bayernkurier" und jenes Druckerzeugnisses, das von außen wie eine Tageszeitung aussieht, des Pamphlets, das mit der Regelmäßigkeit von Tageszeitungen erscheint, das leider aus meiner Vaterstadt kommt. Alle wirken sie zusammen, um für bestimmte Kräfte, die es ja auch in Amerika gibt, nämlich für antieuropäische Kräfte, weiß Gott die Stichworte zu liefern.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie übersehen doch genausowenig wie ich, daß es in weiten Bereichen beider amerikanischer Parteien und leider auch der amerikanischen Gewerkschaften so etwas gibt wie eine ganz neue Form von Isolationismus, die antieuropäisch ist, und ,so etwas gibt wie eine sehr gewichtige Strömung von Protektionismus, die auch antieuropäisch ist. Es wäre ja auch komisch, wenn in einer Gesellschaft in bezug auf ein solches Problem nur eine einheitliche Meinung vorhanden wäre. Es wäre auch komisch, wenn es bei uns anders wäre, als es ist. Nun versucht man, sich hier gegenseitig die Stichworte zu geben.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ein paar Zeitungen, die mehr versuchen, Ihrer Politik in diesem Land zu helfen, sie zu stützen und zu interpretieren, haben in den letzten Tagen angefangen, von einem sich aufbauenden großen Streit zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und unserer Bundesregierung über die schwerwiegende Frage der Devisenausgleichsverhandlungen zu schreiben. Tatsache ist, daß darüber weder jene noch diese Regierung bisher auch nur ein einziges Wort mit der anderen gesprochen hat. Nur, der eine erfindet es, der andere malt es aus, der dritte bringt es dann in seine Parteizeitung, und der vierte würde es morgen in den Bundestag bringen, wenn ich es heute nicht abgeschnitten hätte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn die Frage der Devisenausgleichszahlungen aufgebracht?)

Die „Rheinische Post" und „Die Welt" ; wer denn sonst?

(Abg. Dr. Barzel: Und der Juso-Kongreß?)

Nehmen Sie ein anderes Beispiel! Der Oppositionsführer redet seit Wochen öffentlich, der Bundeskanzler müsse nun endlich — der Bundeskanzler hat schon darauf Bezug genommen - nach Washington fahren; das sei dringend nötig. Ich war neulich aus einem anderen Anlaß dort und wurde von einem deutschen Journalisten gefragt, wann nun endlich die Reise des Bundeskanzlers nach Washington zustande komme. Darauf habe ich wahrheitsgemäß geantwortet, ich wisse nichts von einer solchen Reise. Aber wenn es im Laufe des Jahres 1973 einmal eine solche gäbe, dann nicht aus irgendeinem brennenden Anlaß — der liege bei uns und bei den Amerikanern nicht vor —, sondern weil es zur regelmäßigen notwendigen Übung zwischen den Regierungschefs beider Staaten gehöre, miteinander in Kontakt zu sein.

(Abg. Dr. Barzel: Alles sind die Zeitungen schuld! Der arme Herr Schmidt wird mißverstanden!)

—Lieber Freund, daraus hat dann eine Nachrichtentenagentur — ich glaube, noch nicht einmal mit bösem Willen — gemacht: Schmidt kündigt eine Reise des Bundeskanzlers an. Dann habe ich das dementieren lassen. Daraufhin hat eine Ihnen zuzurechnende Person das so gedruckt: Schmidt nötigt die amerikanische Administration, Brandt einzuladen. Und jetzt werde ich mich wundern, was Sie morgen sagen und schreiben werden, nachdem er tatsächlich nach Amerika fährt. Ich meine, das ist doch keine Art, den Versuch zu machen — ohne Erfolg —, die Regierungen gegenseitig in Mißverständnisse oder Spannungen hineinzumanövrieren. In Wirklichkeit ist es doch so: Sie, Herr Barzel, möchten gern nach Washington. Aber Sie haben gesagt, Sie wollen nicht eher fahren, als bis Sie die unbedingte Zusage haben, daß Herr Nixon Sie auch persönlich empfängt. So ist die Wahrheit.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Widerspruch von der CDU/ CSU.)

— Das pfeifen die Spatzen in Washington von den Dächern.

(Abg. Damm: Das hat Nixon Ihnen selber erzählt?!)

— Das pfeifen die Spatzen von den Dächern.

(Zurufe von der CDU/CSU: Welche Spatzen? — Rotkehlchen vielleicht!)

— Ich will vorsichtig sein und die notwendige Diskretion, Herr Damm, nicht verletzen. Es hat immer solche Strömungen — —

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich weiß ja, wovon ich rede. Herr Dr. Barzel weiß auch, wovon ich rede.

(Widerspruch des Abg. Dr. Barzel.)

Dann habe ich hierzu die Rede von Herrn Strauß in diesem Zusammenhang in Erinnerung, ich hätte seinerzeit in Amerika .den amerikanischen Bündnispartnern in aufdringlicher Form eine moralische Belehrung zuteil werden lassen. Das wäre nicht das erste, sondern das zwölfte Mal, daß jemand von Ihrer Seite versucht, aus dieser einen Rede in Amerika Feindschaft gegen die Bundesregierung



Bundesminister Schmidt
herauszukitzeln. Wenn Sie diese Rede bitte lesen wollen — sie ist im Bulletin der Bundesregierung abgedruckt, Herr Strauß —, dann werden Sie erkennen, daß sie sich nach sorgfältiger Vorarbeit, die da hineingesteckt war, mit einem Thema beschäftigt, das ich vorgestern im Plenum erwähnt habe — einem der ganz wenigen Punkte übrigens, wo Sie ausdrücklich zugestimmt hatten —, mit der dringenden Notwendigkeit, nicht nur im NATO-Rat über gemeinsame außenpolitische Taktiken oder Strategien oder gemeinsame Verteidigungsanstrengungen miteinander zu reden, sondern darüber hinaus innerhalb der westlichen Gemeinschaft in einen sehr viel engeren Kontakt über diese drängenden Fragen zu kommen. Damals war es noch nicht so brandheiß mit den währungspolitischen, genauer gesagt: mit den Dollar-Fragen und den handelspolitischen Fragen.
Schauen Sie, die Sache ist doch so. Für die Vereinigten Staaten von Amerika, für die öffentliche Meinung dort, aber auch sogar für die Administration ist es manchmal sehr schwierig zu durchschauen, von welchen Interessen oder Vorstellungen sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in ihrem Tun oder Lassen etwa auf dem handelspolitischen Felde oder auf dem währungspolitischen Felde gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika eigentlich leiten läßt. Die durchschauen das nicht und haben an vielen Stellen vielerlei Argwohn. Der Argwohn wird dann genährt durch die starken protektionistischen Strömungen im amerikanischen Senat und Abgeordnetenhaus, im Gewerkschaftsbereich und im Unternehmensbereich. Ich nehme denen das gar nicht so übel, daß die das nicht ganz durchschauen. Ich muß Ihnen sagen: Der Entscheidungsprozeß innerhalb der EWG ist ungewöhnlich kompliziert. Ich mache mich nicht anheischig, zu behaupten, ich würde ihn in jedem Zeitpunkt durchschauen. Wahrscheinlich kann das keiner von uns hier für sich behaupten. Es ist eine große Komplikation für die amerikanische Seite, zu begreifen, was eigentlich in Europa vorgeht, zumal die nationalen Regierungen einstweilen noch mit einer gewissen Souveränität auftreten und auch öffentlich über Handels-, Währungs- und dergleichen Politik reden. Außerdem gibt es da eine Kommission, und dann gibt es einen Ministerrat. Man muß versuchen, dies für die Amerikaner durchsichtiger zu machen. Ich habe in jener Rede versucht, ein Instrument dafür anzubieten.
Auf der anderen Seite ist es für uns Europäer auch immer wieder ganz schwierig, den politischen Prozeß in Washington zu verstehen und die bevorstehenden Ergebnisse im voraus richtig zu erkennen und die Ergebnisse selber richtig zu deuten. Die Amerikaner haben eine für europäische Vorstellungen, die an parlamentarische Demokratie gewöhnt sind, ungewöhnliche Form, schwierige Probleme zu lösen. Das sieht von außen manchmal chaotisch aus. Die sich widersprechendsten Stellungnahmen erscheinen in der öffentlichen Meinung von Personen, deren geistige oder deren institutionelle Kompetenz wir von hier aus nicht ohne weiteres zu durchschauen vermögen. Irgendwann, für uns Europäer ganz überraschend, ist dann plötzlich eine Entscheidung da. Dann sind die Amerikaner meistens sehr froh, daß sie diese nun endlich haben, und erwarten, daß in 48 Stunden alle ihre Partner dazu ja, und manche erwarten auch, daß wir dazu amen sagen. Das kann dann aber auch nicht ohne weiteres sein. Im Verständnis der politischen Prozesse besteht gegenseitig ein großes Manko.
Jene Rede, die Herr Strauß beanstandet, die er bisher nicht gelesen hat, beschäftigte sich mit der Frage: Wie kann man das gegenseitig überwinden? Dann kam darin auch vor, Herr Kollege Strauß, ein kleiner Absatz im Zusammenhang mit einer langen Passage über den Frieden auf der Welt; wie er bewahrt werden könne, wie er bewahrt werden müsse und wie die Zusammenarbeit, die dafür notwendig ist, auf die Dauer in der westlichen Gemeinschaft herstellt bliebe. Dann kamen darin auch acht Zeiten — oder vielleicht waren es nur sechs; ich glaube, es waren weniger als sechs — über Vietnam vor. Daraus macht Herr Strauß eine moralische Belehrung. So hat man auch die Stichworte geliefert, damit in Amerika daraus solche Zeilen geprägt werden. In Wirklichkeit war es eine nackte Feststellung ohne Werturteil und ohne wertendes Adjektivum, daß der Krieg in Vietnam zu Ende gehen müsse, wenn anders die Gefahr einer beiderseitigen Entfremdung der öffentlichen Meinungen in Amerika und Europa gebannt werden gestellt bliebe. Dann kamen darin auch acht Zeiten — solle.
Ich habe in jener Rede, Herr Strauß, etwas vorgeschlagen, was dann ein paar Wochen später Ihr Kollege Hallstein und andere hervorragende Europäer — jedenfalls auf einer mehr privaten Ebene —andeutungsweise versucht haben wahrzumachen, nämlich eine Kommission von hervorragenden Leuten aus Amerika und Europa, die sich, über die letzten zehn Jahre im Vordergrund gestandenen Fragen — MLF, Nonproliferation, Europäische Sicherheitskonferenz, Berlin — hinaus, mit den anstehenden ökonomischen Fragen beschäftigen sollten, die darunter litten, daß man gegenseitig seine Interessen nicht verstehe, in vielen Fällen sogar seine eigenen Interessen nicht eindeutig und übereinstimmend interpretiere und daß man sich gegenseitig über die Zielsetzungen und möglichen Felder des Kompromisses jedenfalls bisher nicht ausreichend zu verständigen bemüht habe.
Ich habe sonst keinen übertriebenen Autorenstolz, aber ich habe auf diese Rede von amerikanischen Kabinettsmitgliedern nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich positive Stellungnahmen erhalten. Herr Kollege Strauß, sie stehen Ihnen zur Verfügung, wenn es Sie interessieren sollte.
Ich will Ihnen auf der anderen Seite nicht verargen, daß Sie sich — einem Zug der Zeit in Ihrem politischen Lager der Gesellschaft folgend — hier beteiligt haben an einer — ich will nicht sagen: Kampagne — politischen Tendenz, über deren Wert, über deren mögliche Konsequenz nachzudenken ich Sie bitten möchte. Deswegen habe ich diese ersten fünf Minuten darauf verwendet.
Als ich gestern dargetan hatte, wie die Preise auf den Weltmärkten steigen, als ich dargetan hatte, daß die Importpreise für die Bundesrepublik gegenwär-



Bundesminister Schmidt
tig 12,1 % höher liegen als vor zwölf Monaten, während die Lebenshaltungskostensteigerung bei 6,9
oder 7 % — demnächst vielleicht bei 7,1 % — liegt
— das ist ja wohl ein wichtiger Unterschied: Importpreise wesentlich höher als Lebenshaltungskosten und noch wesentlich höher als unsere Exportpreise!
—, hat Herr Strauß einfach bloß gesagt, wir würden die Inflation exportieren. Ich bitte Sie, Herr Strauß: Das war der Universität Innsbruck nicht angemessen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist doch so — das wollen wir ja auch nicht ändern —, daß wir in einer ungewöhnlichen Weise mit der Weltwirtschaft verflochten sind, drei-, vier-, fünfmal so stark verflochten sind mit der Weltwirtschaft wie die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten von Amerika, nur daß die insgesamt ein sehr viel größeres Volumen darstellen. Aber bei dieser hohen Verflechtung in die ganze globale Arbeitsteilung der Welt, von der wir in unserem Lebensstandard ja zum erheblichen Teil. zehren, ist es eben auf der anderen Seite so, daß wir uns, wenn die Preise auf der Welt stärker als bei uns steigen, diesem Einfluß nicht entziehen können.
Ich will Graf Lambsdorff nicht widersprechen, der gemeint hat, ein Teil der Inflation — aber nicht der größere! — gehe auch auf Einflüsse zurück, die im eigenen Lande entstanden seien. Sicherlich. Nur, Herr Strauß, wenn Sie an das Wort von der hausgemachten Inflation erinnert haben: Verehrter Kollege, wann ist denn das Wort geprägt worden? Doch zu dem Zeitpunkt, wo Sie sich gegen die Aufwertung gewehrt haben: 1969.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Da stellen Sie sich gestern hin und verlangen nationale Stabilitätspolitik, und wenn Sie durch Zwischenruf gefragt werden, was Sie meinen, dann antworten Sie: Es ist nicht unsere Sache als Opposition, die Alternativen anzubieten. Was soll denn das ganze anderes sein als bloße Polemik?!

(Abg. Strauß meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Sie haben das Wort. (Heiterkeit.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702704200
Herr Minister, Sie gestatten offensichtlich dem Herrn Kollegen Strauß eine Zwischenfrage.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0702704300
Ist Ihnen unbekannt oder sagen Sie bewußt die Unwahrheit, Herr Kollege Schmidt, wenn Sie die Äußerungen des damaligen Bundeswirtschaftsministers von der hausgemachten Inflation, wiederholt vom Bundesbankpräsidenten Klasen — der eine sagte home-made, der andere sagte home-spun —, anführen, die auf die Verhältnisse des Jahres 1970 und 1971 und auf nichts anderes bezogen waren? Darf ich Sie ernsthaft bitten, solche Fälschungen hier zu unterlassen?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Oho-Rufe von der SPD.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702704400
Um Ihnen auf diese drei Fragen drei Antworten zu geben: bitten dürfen Sie, Herr Strauß.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Rolle der Opposition!)

— Zur zweiten Frage. Ich sage nicht die Unwahrheit.

(Abg. Strauß: Wen hat denn Herr Klasen damit gemeint?)

— Hören Sie mal, ich bin doch nicht dazu da, Seelenerforschung zu betreiben. Ich will eine klare Antwort geben. Sie haben gesagt — ich habe mir das aufgeschrieben —: Wenn wir Deutschen nationale Stabilitätspolitik bewiesen hätten, wäre der Preisanstieg nicht so hoch gewesen. So haben Sie gesagt. Daraufhin sage ich: wenn Sie damals rechtzeitig und mehr aufgewertet hätten, wäre der Preisanstieg allerdings nicht so hoch gewesen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Strauß: Wenn Sie uns nicht das Konzept verdorben hätten, hätten wir gemeinsam aufgewertet! — Abg. Dr. Barzel: Der war doch damals selbst dagegen! — Weitere Zurufe.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702704500
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Kühlmann-Stumm?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702704600
Ich will gern Zwischenfragen gestatten. Zunächst möchte ich Herrn Strauß zu einer Zwischenfrage auffordern. Ich habe nämlich den Zwischenruf trotz der Lautstärke nicht verstehen können, weil andere Ihrer Kollegen genauso laut waren, Herr Strauß.

(Abg. Strauß: Sie, d. h. Ihre Parteifreunde, haben uns damals das Konzept verdorben, eine gemeinsame Aufwertung, ein gemeinsames Realignment zu erreichen! Das war nur gegen den nationalen Alleingang!)

— Wenn ich es richtig sehe, sind zweimal international gemeinsame Währungsveränderungen zustande gebracht worden. Das erste Mal war daran Karl Schiller beteiligt, das zweite Mal ich; Sie niemals, Herr Strauß!

(Abg: Strauß: Da waren wir auch nicht an der Regierung; aber 1969 war ja der Alleingang! Wieder eine Fälschung, Herr Minister! — Abg. Baron von Wrangel: Die Antwort an Herrn Strauß fehlt noch!)

— Die hat er bekommen; sie gefällt ihm nur nicht.

(Abg. Rawe: Sie haben keine gegeben!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702704700
Herr Minister, würden Sie jetzt die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Kühlmann-Stumm ermöglichen? — Bitte, Herr Abgeordneter!

Freiherr Knut von Kühlmann-Stumm (FDP):
Rede ID: ID0702704800
Herr Minister, würden Sie in diesem Zusammenhang so liebenswürdig sein, eine Erklärung zu kommentieren, die der Sprecher der größten deutschen



Freiherr von Kühlmann-Stumm
Bank, der Westdeutschen Landesbank, Herr Ludwig Poullain, vor einigen Tagen abgegeben hat? Man muß dazu sagen, daß Sie im Wahlkampf gesagt haben, 5 % Preissteigerung seien Ihnen lieber als 5 % Arbeitslosigkeit. Ich möchte nur die Erklärung zitieren, die in diesem Zusammenhang abgegeben worden ist. Poullain sagt: Wir schliddern in Zeitläufe hinein, in denen wir erkennen müssen, daß das Akzeptieren von 5 % Inflation, 10 % Inflation und als Folge davon 4 % Arbeitslose bedeuten wird, und dann wird die Inflation ihre Väter beißen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702704900
Ich will darauf zwei Antworten geben. Vorweg will ich sagen, daß mich das an einiges erinnert, was Herr Stoltenberg auch schon gesagt hat, aber nicht heute, sondern vor zwei Jahren. Ich komme darauf zu sprechen. Mal ist es die Rezession, die die Arbeitslosigkeit hervorruft, die man gegenüber dieser angeblich schlechten Regierung an die Wand malen muß, mal ist es die Inflation; die Arbeitslosigkeit kommt nach dem Motto von Herrn Stoltenberg bestimmt. Was Herrn Poullain angeht — ich will ihm nicht zu nahetreten : er äußert sich relativ häufig zur Wirtschafts- und Kreditpolitik.

(Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Freiherr von Kühlmann-Stumm: Er versteht auch etwa davon!)

— Er versteht ganz gewiß etwas vom Bankgewerbe, Herr Kollege.

(Abg. Rawe: Sicherlich mehr als Sie!)

Im übrigen gibt es in Europa Länder mit einem höheren Preisanstieg als in Deutschland, die eine bedrohliche Arbeitslosigkeit aufweisen; z. B. gibt es etwas westlich übers Wasser solch ein Land. Es gibt andere mit demselben oder einem höheren Preisanstieg als bei uns mit Vollbeschäftigung. Es ist eine etwas kurzschlüssige Vorstellung, zu meinen, daß Preisanstieg ohne weiteres zu Arbeitslosigkeit führen müsse.
Was nun die 5 % angeht: es macht mir Vergnügen, ein drittes oder viertes Mal zu sagen: Ich stehe zu diesem Wort. Ich bin ein Gegner jedweder Politik, die um der Preisstabilität willen Arbeitslosigkeit nicht nur in Kauf nimmt, sondern geradezu schaffen will.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Rawe: Er lenkt schon wieder ab!)

Aber ich muß ja auf die Rede von Herrn Strauß zurückkommen dürfen. Er hat uns empfohlen, das Stabilitätsgesetz anzuwenden. Ähnlich Herr Stoltenberg. Er hat sogar gesagt: es muß erweitert werden. Mein Freund Alex -Möller hat gesagt, er habe sich sowieso schon in dieser Richtung Gedanken gemacht. Herr Stoltenberg hat nicht gesagt, in welcher Richtung. Herr Strauß hat nicht gesagt, welches der im Gesetz heute vorhandenen Instrumente angewandt werden soll. Sagen Sie doch klar und deutlich, ob Sie einen Konjunkturzuschlag für alle Arbeitnehmer einführen wollen. Wenn ja, dann hören
Sie auf, hier öffentlich über die Mineralölsteuer zu weinen!

(Beifall bei der SPD.)

Wenn Sie das nicht gemeint haben, dann fordere ich Sie auf, hier aufzustehen und in der Form einer Frage — deren Sie ja mächtig sind — uns klarzumachen, was Sie eigentlich meinen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702705000
Herr Abgeordneter Strauß!

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0702705100
Herr Kollege Schmidt, ist Ihnen bei der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht entgangen, daß im Rahmen eines Dialogs zwischen dem Kollegen Graf Lambsdorff und mir diese Frage unter Bezugnahme auf gewisse Interviews im Handelsblatt — eines von mir, eines von Ihrem Kollegen Klaus Dieter Arndt — ,schon eingehend behandelt worden ist und daß ich mich dafür ausgesprochen habe, einen durch Änderung des Stabilitätsgesetzes — wofür Sie vier Jahre Zeit gehabt hatten — rückzahlbaren, verzinslichen Konjunkturzuschlag mit hoher Freigrenze einzuführen, um damit das Stabilitätsgesetz, dessen Sie sich rühmen, das Sie aber nie anzuwenden wagen, überhaupt einmal praktikabel zu machen?

(Zuruf von der SPD: Was ist daran besser als an der Stabilitätsabgabe?)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702705200
Ich darf Ihnen antworten, daß mir dies tatsächlich entgangen war. Aber ich bin dankbar, daß es zu Protokoll des Bundestages heute gesagt wurde.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist schon lange im Protokoll gewesen! Sie sind also für einen Konjunkturzuschlag, der rückzahlbar sein soll, d. h. nicht nach dem gegenwärtigen Stabilitätsgesetz, sondern nach einem Gesetz, das dahin gehend zu ändern wäre, und außerdem soll es dafür Zinsen geben — Niedriger als 200 000 DM, so daß Sie gerade noch über oder unter der Freigrenze lägen, Herr Strauß? (Große Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg. Rawe. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


(Abg. Strauß: Und eine hohe Freigrenze!) — und eine hohe Freigrenze.


(Abg. Strauß: Niedriger als 200 000 DM!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702705300
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0702705400
Herr Kollege Schmidt, können Sie sich meiner Meinung anschließen, daß Ihre trostvolle Versicherung bei der berühmten Pressekonferenz zur Bekanntgabe der steuerpolitischen Beschlüsse, die Freigrenze sei so hoch gewählt worden, daß kein Bundesminister, ja nicht einmal



Strauß
der Bundeskanzler und der Bundespräsident, mehr Steuern zu zahlen hätten, keine geschmackvolle und besonders der Beruhigung unseres Volkes dienende Bemerkung war?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Halten Sie das für ein besonders dringendes Anliegen der Deutschen?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702705500
Das letztere nein, Herr Strauß. Aber wenn ich es formuliert hätte, wie Sie geruhten, es soeben wiederzugeben, wäre es nicht so geschmackvoll gewesen, wie es war, als ich es tatsächlich formulierte.

(Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Strauß: Ihnen ist sicher soeben klargeworden, welch ein Blödsinn das war!)

— Nein. Ich habe, um darzutun, welche Gruppe von Großverdienern tatsächlich getroffen wird und wie viele es davon gibt, nämlich rund 150 000, und um darzutun, in welchen Sphären die sich befinden, gesagt: das ist alles noch über dem Gehaltsstreifen des Bundeskanzlers. Aber, lieber Freund, ich verstehe Ihre Taktik jetzt: Sie möchten, daß ich die Zeit für sachliche Erwiderungen auf Ihre nichtssagende Rede nun verschwende mit allen möglichen Dingen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702705600
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702705700
Jawohl.

(Abg. Rawe: Herr Schmidt, Einbildung war schon immer Ihre Stärke!)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0702705800
Herr Kollege Schmidt, glauben Sie denn nicht wirklich, daß die 10 %ige Sonderabgabe bei Kapitalgesellschaften, gegen die ich sonst gar nichts einzuwenden habe, von den Großen sowieso abgewälzt wird, aber von den Kleinen, die wir im Zusammenhang mit dem Umwandlungsgesetz seinerzeit ermutigt haben, ihre Rechtsform zu ändern — den 90 % Mittleren und Kleinen, darunter ganz armen Schluckern —, sehr schwer verdaut werden kann, und sehen Sie nicht mit mir, daß es ein großer Unterschied ist, ob jemand 200 000 DM zu versteuerndes Konsumeinkommen hat oder ob er daraus auch zur Erhaltung einer kleinen oder mittleren selbständigen Existenz noch investieren muß?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702705900
Ich will nicht sagen, daß mir die Tränen gekommen sind, Herr Strauß,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU)

aber eine ganze Menge Mitgefühl für die Betroffenen sprach aus Ihrer Einlassung.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Nur will ich Ihnen eines ganz klar antworten: In
einer Zeit, in der wir infolge wiederhergestellter
währungspolitischer Absicherung in der Lage sind
— genauer gesagt, in der die Bundesbank in der Lage ist —, mit der Konsequenz sehr hoher Tagesgeldzinssätze das Geld wirklich wieder knapp zu machen, wie Sie ja nun schon seit einer Reihe von Tagen in der Zeitung lesen können, wird sicherlich zwar der Versuch einer Abwälzung gemacht werden, aber er wird sehr viel weniger gelingen, als Sie in Ihrer Fragestellung anzudeuten schienen. Der Versuch wird immer gemacht.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702706000
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702706100
Nein, ich möchte im Augenblick wirklich einmal zu meinem Text kommen dürfen; das ist ja keine Fragestunde hier, Herr Strauß.

(Abg. Dr. Althammer: Sie fordern zu Fragen heraus! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache sollten Sie kommen!)

Herr Strauß hat in seiner Rede gesagt, die Finanzen seien nicht in Ordnung, denn wenn sie in Ordnung sind — so hat er dann doch noch eingeräumt —, dann durch inflationsbedingte Steuermehreinnahmen, aber dies sei eine formale Dekkung des Haushalts, die noch lange kein Anzeichen dafür sei, daß die Finanzen doch in Ordnung wären. So etwa hieß es wörtlich. Ich darf wiederholen, Herr Strauß — und ich bitte Sie, das in Ihr Bewußtsein aufzunehmen —, daß wir bei etwa 24 % — sogar etwas darunter, vielleicht bei 23,7 % — Steuern vom Bruttosozialprodukt verharren. Das ist keine Aufblähung. Das ist ein Prozentsatz, der unter Ihrer Stabführung 1969 schon überschritten war. Da ist nichts inflatorisch aufgebläht. Es ist fast genau immer noch derselbe Prozentsatz vom Bruttosozialprodukt, den der Staat in Gemeinden, Ländern und Bund für seine öffentlichen Aufgaben in Anspruch nimmt. Hören Sie doch hier endlich mit der Nebelwerferei auf!

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : 1969 war ein Ausnahmejahr, das wissen Sie ganz genau!)

— Na schön, dann sagen wir: 1962. Aber da werden Sie wieder behaupten, das war ein Ausnahmejahr. Es war also schon zweimal so. Wir sind auch noch gar nicht bei den 24 % angekommen; wir sind noch deutlich darunter.
Dann hat Herr Strauß gesagt, er müßte uns Nachhilfeunterricht erteilen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ihnen!)

— Ja, mir. Ich korrigiere mich. Ich wollte nicht im Pluralis majestatis sprechen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das fehlte auch noch!)

Ich korrigiere mich.

(Abg. Strauß: Wenn der Schiller so schlecht war, kann der Schüler auch nicht viel taugen!)




Bundesminister Schmidt
Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, darf ich vorlesen, was Herr Strauß gesagt hat: „Gerade die Tatsache, Abschreibungen noch zu verdienen, aber trotzdem nicht mehr investieren zu können, führt zu einem Liquiditätszuwachs", der dann ermöglicht, andere Unternehmungen zu kaufen. Was ist das eigentlich, wenn man Abschreibungen zwar verdient und die Kasse fließt — cash flow — und wenn man dann trotzdem nicht in der Lage ist,

(Abg. Strauß: Kennen Sie den Vorgang nicht? Dann müssen Sie nach Innsbruck gehen!)

— ich kenne den Vorgang ganz gut; ich weiß nur nicht, was in Ihrem Kopf vorgegangen ist, als Sie dies so gesagt haben —

(Beifall bei der SPD)

zu investieren, ganz abgesehen davon, daß schon rein begrifflich der Erwerb der Aktienmehrheit eines anderen Großkonzerns auch eine Investition ist; man würde sagen, eine Portefeuille-Investition, aber dieser Fall geht ja weit über das Portefeuille hinaus. Also ich glaube, Sie haben sich da vergaloppiert, und Sie insistieren ja auch nicht, daß das richtig gewesen sein soll.

(Abg. Strauß: Ihr Ansehen in der Fachwelt wird furchtbar wachsen!)

Dann haben Sie Bemerkungen über die Stabilitätsanleihe gemacht. Nach dem, was Sie über den Zins und über den Preisanstieg und über die Tatsache, daß von dem Zins natürlich auch Einkommensteuer zu zahlen ist — na Gott sei Dank, würde ich sagen —, vorgerechnet haben, habe ich mich gewundert, daß es überhaupt so viele Leute gegeben hat, die diese Anleihe gekauft haben. Die anderthalb Milliarden waren ja in weniger als einer Woche weg. Viele haben umgeschichtet; auch das wurde dann von großen Experten zu einem Fehlschlag erklärt, was ja nicht richtig ist, denn wenn jemand ein Sparguthaben auf die Stabilitätsanleihe umschichtet, die auf Jahre bei der Bundesbank festgelegt wird, kann damit ja weder jemand neue Bauvorhaben anfangen, noch kann eine Bank darauf neue Kredite ausgeben. Dieses Geld ist nicht Tagesgeld, sondern mittel- und langfristiges Geld, dem Kreislauf, dem Kredithergabeprozeß, der Investitionsfinanzierung entzogen.
Ich meine, alles das, was Sie hier ausgeführt haben, ist zum Teil später von den Herren Offergeld und Porzner bedient worden. Nur, Sie müssen selber zugeben, diese Anleihe war ein großer Erfolg. Die zweite Tranche wird auch ein großer Erfolg. Ich nehme an, Herr Strauß, Sie haben vielleicht sogar selbst gezeichnet. Könnte das sein?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. Zuruf des Abg. Strauß.)

Dann folgt die zentrale These der Opposition, und zwar nicht nur in der Rede von Herrn Strauß, sondern auch — in Variationen wiederholt — in anderen: Einerseits enthalte dieser Haushaltsentwurf 1973 für den Fortschritt zu wenig. Dies wird mit vielen Beispielen, in denen zum Ausdruck kommt, wo es mehr sein müßte, beklagt. So hat hier z. B. Herr Stoltenberg für Herrn Strauß dort Schützenhilfe geleistet, wo dieser mehr haben will. Andererseits aber sei der Haushaltsentwurf 1973 für die Stabilität zu groß.
Nun müssen Sie sich einmal entscheiden, was nun wirklich gelten soll: zu groß oder zu klein, Herr Strauß. Was soll denn nun wirklich gelten? Der Standpunkt, er sei zu groß, ist vertretbar. Wenn Sie aber einen solchen Standpunkt einnehmen, dann dürfen Sie von uns nicht verlangen, daß wir Herrn Stoltenberg für den landwirtschaftlichen Wegebau zusätzlich Geld geben, sondern dann müssen Sie von uns verlangen, daß wir Einsparungen vornehmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Umgekehrt: man kann der Meinung von Herrn Stoltenberg sein, daß er für Schleswig-Holstein mehr Geld braucht. Denn es ist ja nach 20 Jahren CDU-Regierung ein in mancher Hinsicht zurückgebliebenes Land.

(Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Das, was Sie hier vertreten, Herr Stoltenberg, ist ein legitimes Anliegen, wie man heute auf neuhochdeutsch sagt.

(Zuruf des Abg. Stücklen.)

Nur dürfen dann Ihre Kollegen nicht gleichzeitig den Haushalt kleiner machen wollen, sondern, im Gegenteil, größer.

(Zuruf des Abg. Dr. Wagner [Trier]. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich gebe zu, daß wir zwischen diesen beiden Problemen, angedeutet in diesen beiden Personen, zu wählen hatten. Wir haben versucht, einen optimalen Kompromiß zwischen all diesen Notwendigkeiten zu finden. Nur: Sie haben sich bisher noch nicht entschieden, Herr Strauß. Das wird die Oppositionsfraktion, so wie Sie die Debatte angelegt haben, in dieser Debatte nun wohl auch nicht mehr fertigbringen.
Es war ein interessantes Bild, als Sie sich gestern nach Ihrer polemisch glänzenden Rede wieder dort hinsetzten, wo Sie heute auch sitzen,

(Abg. Gerster [Mainz] : Wie beurteilen Sie denn Ihre Rede?!)

— Herr Barzel war schon gegangen — und sich dann um Sie die Brüder im Geiste versammelten. Ich hatte so das Gefühl,

(Zuruf des Abg. Strauß)

daß hier die neue Führung der CDU/CSU-Fraktion zusammen sei: Herr Haase (Kassel), Herr Lemmrich und Herr Strauß.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Das hat natürlich dann den Oppositionsführer, den
wir heute morgen gehört haben, nicht ruhen lassen.
Dies ist insgesamt eine Konstellation, in der sich



Bundesminister Schmidt
natürlich auch Herr Stoltenberg zu Wort gemeldet hat. Wo bleibt eigentlich Herr Kohl?

(Heiterkeit bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind nicht so profilierungssüchtig! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Der fehlt hier. Ich nehme an, Herr Kohl kommt morgen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich möchte ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen von Herrn Barzel machen. Herr Barzel hat dagegen polemisiert,

(Zuruf des Abg. Strauß)

daß ich wiederholt angedeutet habe, die Dollarinflation über die ganze Welt habe eine wesentliche Ursache im Vietnam-Krieg; ich bleibe bei dieser Meinung, Herr Barzel. Ich weiß, daß diese Meinung auch von maßgebenden Persönlichkeiten in jenem Lande geteilt wird. Ich bin daher — auch dieses Grundes wegen — glücklich, daß der Krieg in Vietnam — jedenfalls für die Amerikaner — aufgehört hat und hoffentlich auch in den beiden anderen Ländern zur Ruhe gebracht werden kann. Es kann kein Zweifel sein, daß sich, wenn über eine Reihe von Jahren die größte Macht der Welt einen so großen Teil ihres Sozialprodukts in Kriegsausgaben tätigt, überhaupt keine andere Konsequenz als die ergeben kann, die sich hier ergeben hat. Weil es das größte und wichtigste Land der ganzen westlichen Weltwirtschaft ist, hat das auf uns alle abgefärbt. Wenn ich das sage, so steckt darin gegenüber niemandem eine Polemik, sondern dies ist vielmehr ein Beitrag zur objektiven Erforschung der Ursachen der Dollarinflation, die die Welt überschwemmt hat.

(Zuruf des Abg. Strauß.)

Herr Barzel hat weiter gesagt, die Regierung müsse dafür sorgen, daß die EWG die gemeinschaftlichen Stabilitätsinstrumente, die bisher fehlen, bekommen solle. Sicherlich: das ist unsere Sorge. Ich habe das angedeutet, als ich sagte, wir hätten z. B. mit der aus konjunkturpolitischen Gründen angestrebten Zollsenkung keinen Erfolg gehabt. Der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, welche Mühe er und andere sich auf der EWG-Gipfelkonferenz in Paris im letzten Herbst gegeben haben. Nur: Sie sind sich doch auch sicherlich mit uns darüber einig, Herr Barzel, daß keine deutsche Bundesregierung, egal, welche Parteien sie stellen, in den Fehler verfallen sollte, der manchmal bei den jungen Leuten unserer beiden Parteien festzustellen ist, die in Attitüden zurückfallen, die unter Wilhelm II. in Deutschland verbreitet waren:

(Sehr richtig! bei der SPD)

daß sich gefälligst an unserem Wesen alle übrigen orientieren sollten.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Es ist sehr schwer, innerhalb der EWG zu einem gemeinsamen stabilitätspolitischen Instrumentarium Zustimmung zu finden, das die Kommission handhabt. In der vorigen Regierungsperiode wie auch bereits in der Periode, als Herr Dr. Kiesinger Bundeskanzler war, hat man sich um die Parallelisierung des Integrationsfortschritts auf dem währungspolitischen Gebiet — die wirtschaftspolitische Seite eingeschlossen — wie auch auf dem allgemeinen wirtschaftspolitischen Gebiet bemüht. Das ist damals schwierig gewesen, das ist in der letzten Legislaturperiode schwierig gewesen, es ist in dieser schwierig, und es bleibt noch viele, viele Jahre schwierig genug. Sie verstärken aber unsere Position bei diesem Bemühen nicht dadurch, daß Sie den Eindruck erwecken, als läge es an der Bundesregierung, an mangelhafter Initiative bei uns, daß dergleichen nicht in dem Maße und in dem Tempo zustande kommt, wie Sie es wünschen. Sie haben wörtlich gesagt, Herr Barzel — Sie schütteln den Kopf, ich muß das in Ihre Erinnerung rufen —: „Sie tun die Schritte nicht, die dort möglich sind." Das ist nun wirklich unwahr. „Sie tun die Schritte nicht", haben Sie gesagt, „die dort möglich und nötig sind." Wir tun alle die Schritte, die möglich sind, und etwas Unmögliches haben wir bisher nicht vorgeschlagen. Aber selbst das, was uns möglich erschien, ist den anderen nicht immer möglich erschienen und ist deswegen nicht gemacht worden.
Auf den Sozialismus-Vorwurf, Herr Barzel, will ich nicht noch einmal eingehen. Ich muß sagen, das hat mich persönlich etwas getroffen. Herr Wehner hat das auf seine unnachahmliche Art beantwortet, aber ich will Ihnen das auch sagen.

(Lachen bei der CDU/CSU.) — Ja, Ihr seid doch bloß neidisch.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich habe mich persönlich

(Zuruf des Abg. Stücklen)

— lassen Sie mich bitte einmal etwas zu Herrn Barzel sagen — etwas betroffen gefühlt, daß Sie im Ernst meinen, daß die Veränderung der Gesellschaft auf den Sozialismus hin, so haben Sie wörtlich gesagt, eine Zielsetzung sei, die, wenn man sie öffentlich anprangere, für jeden, der zuhöre, sich schon von selbst als etwas Negatives, als etwas zu Verurteilendes anhören müsse.

(Abg. Wehner: Der Rückfall in „Rettet die Freiheit" !)

Das war nicht gut.

(Abg. Dr. Barzel: „Hinnehmen" habe ich gesagt!)

Das war nicht gut. Es ist für Sie kein Zweifel, Herr Barzel, daß diese Fraktion da drüben und i Million Mitglieder dieser Partei und 17 oder 18 Millionen Wähler beim letztenmal ganz im Ernst und mit sittlich-politischer Begründung die Gesellschaft verändern wollen, hin auf Sozialismus. Sie gebrauchen das Wort „Sozialismus" mit dem Unterton des Pejorativen, des Negativen, des Abwertenden. Ich finde, das sollten Sie nicht tun, sonst müßten wir — —

(Zurufe von der CDU/CSU: Wir sind nicht für Sozialismus! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)




Bundesminister Schmidt
— Ich möchte auf den Zwischenruf nicht eingehen, weil ich spüre, daß Herr Barzel spürt, daß ich ihm etwas sagen möchte, was er vielleicht für wert hält, darüber nachzudenken.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Dann kam etwas von geringerem Gewicht, bei dem es aber trotzdem notwendig ist, es zurückzuweisen. Sie haben gesagt, wir nähmen die Preissteigerungen nicht ernst und gäben uns mit dem europäischen Durchschnitt zufrieden. Das ist doch nun wirklich nicht wahr. Ich habe Ihnen die Zahlen vorgestern vorgetragen. Wir sind am Ende des Konvois im europäischen Preisanstieg.

(Abg. Dr. Barzel: Das stimmt doch nicht!)

— Sicher stimmt das! Sie haben nicht zugehört, weil Sie in irgendwelchen Sitzungen waren oder Ihre Rede für heute morgen vorbereitet haben.

(Abg. Dr. Barzel: Das ist doch nicht wahr!) — Natürlich stimmt das!

Dann haben Sie in einer Antwort auf eine Zwischenfrage, die unser Kollege Haehser gestellt hatte, was denn das wohl bedeuten solle, daß Sie nur die investiven Ausgaben im Bundeshaushalt für gute Ausgaben zu halten schienen und die anderen, z. B. die umverteilenden und die sozialpolitischen, offenbar nicht für gute Ausgaben, gesagt, Sie beklagten das nicht, Sie stellten das nur fest. So ist das auch mit mir: Ich beklage Ihre falschen Feststellungen über die Inflation in Europa nicht, ich stelle nur fest, was richtig ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Barzel.)

Sie haben dann auch Ihrerseits zum Ausdruck gebracht, es sei gar nicht Ihre Aufgabe, hier Alternativen anzubieten.

(Abg. Dr. Barzel: Zwei Voraussetzungen habe ich genannt! Machen Sie doch hier keinen Popanz!)

— Welche Voraussetzungen, Herr Barzel?

(Abg. Dr. Barzel: Ich hoffe, Sie haben zugehört, Herr Schmidt, sonst können Sie zu meiner Rede nicht reden!)

— Welche Voraussetzungen haben Sie genannt?

(Abg. Dr. Barzel: Ich habe zwei Voraussetzungen genannt! Wenn Sie nicht da waren und nicht zugehört haben! — Ich brauche das jetzt nicht zu wiederholen! — Sehr richtig! und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

— Ich fürchte, daß die Voraussetzungen so wichtig waren, daß sie in Ihrer Erinnerung im Augenblick nicht mehr vorhanden sind, sonst könnten Sie sie ja jetzt nennen, Herr Barzel.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unerträglich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702706200
Bitte, Herr Abgeordneter!

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0702706300
Herr Kollege Schmidt, darf ich dann, nachdem Sie mir unberechtigterweise den Vorwurf gemacht haben, ich hätte nicht an der Debatte teilgenommen, was, wie Sie wissen, nicht richtig ist, und sich eben erwiesen hat, daß Sie selbst meiner Rede, zu der Sie sprechen, nicht gefolgt sind, darf ich die zwei Voraussetzungen wiederholen, um die Sie baten? Das erste ist, daß wir irgendein Zeichen von der Regierung zu sehen wünschen, an das wir glauben können, daß Sie die Inflation ernst nehmen und sie wirklich zu bekämpfen die Absicht haben. Das zweite ist, daß für den Fall, daß wir Vorschläge machen, wir dann nicht wieder Gefahr laufen wollen, wie im Dezember des Jahres 1969 und in den folgenden Jahren, daß Sie mit unseren Vorschlägen zu den Interessenten gehen und sagen, diese böse Opposition will euch hier diese Wohltat und dort jene nicht gewähren, die die Regierung vorhat. Das waren die beiden Voraussetzungen. Darf ich sie in Ihre Erinnerung rufen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702706400
Danke sehr. Wenn Sie nur unter der Erfüllung dieser beiden Voraussetzungen, Herr Barzel, als Oppositionsführer alternative Politik der öffentlichen Meinung — gar nicht unbedingt uns — anbieten wollen, ist das Ihre Sache. Ich fürchte, daß Sie im Laufe von noch dreieinhalb Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl sich diese Strategie überlegen werden. Uns kann diese Taktik nur recht sein. Sie nützt nämlich nicht Ihnen. Die Frage ist, ob sie der Entfaltung des parlamentarischen Systems nützt. Aber Ihnen nützt sie nicht. Uns kann es recht sein.

(Abg. Stücklen: Lassen Sie das unsere Sorge sein!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702706500
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Barzel?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702706600
Bitte sehr.

Dr. Rainer Barzel (CDU):
Rede ID: ID0702706700
Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß dies einen Vorspann hatte und daß wir sagten: Die Regierung ist gewählt, sie soll jetzt nun erst einmal versuchen zu regieren; es gehöre zu unserer Strategie, zunächst diese Chance einzuräumen, von der freilich diese Regierung, wie Ihre Rede jetzt beweist, mit mangelnder Ernsthaftigkeit Gebrauch gemacht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702706800
Ich hatte das Gefühl, Herr Barzel, daß diese Straße von Ihnen längst für beendet erklärt worden war, nachdem Sie ihre Rede geendet hatten mit der Behauptung, mit dem kernigen oder markigen Schlußsatz, daß diese Regierung soziale Demontage betreibe.

(Abg. Dr. Barzel: Natürlich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)





Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702706900
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702707000
Nicht so gern, aber bitte!

(Heiterkeit.)


Albert Leicht (CDU):
Rede ID: ID0702707100
Herr Minister Schmidt, stehen Sie noch zu Ihrer Aussage vom 30. 11. 1965, in der Sie sagten:
Es steht nirgendwo geschrieben, daß die Opposition dabei helfen soll, eine Regierung aus einer Zwickmühle herauszuholen, in die sie sich selber hineinmanövriert hat.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702707200
Dazu stehe ich. Wir sind ja aber gar nicht in der Zwickmühle. Ihr seid doch in der Zwickmühle!

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei den Koalitionsparteien.)

Lieber Herr Leicht, Ihr seid doch in der Zwickmühle, kritisieren zu müssen, aber nicht zu wissen, was Ihr statt dessen vorschlagen könnt. Das ist doch eure selbstgemachte Zwickmühle.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte eine Bemerkung zu Graf Lambsdorff machen dürfen, der sich eingelassen hat auf meine etwas pflaumige Bemerkung

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist alles nur pflaumig! — Abg. Seiters: Das ist eine Harlekinade!)

in Richtung einer bestimmten Bank, die Brauereien kauft. Sie haben gewarnt, Graf Lambsdorff, in Sachen des Universalbankprinzips einen ideologischen Popanz aufzubauen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine HannoverWahlrede ist das!)

Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ich bisher weder die Frage des Depotstimmrechts in dem Zusammenhang angedeutet noch die Frage des Universalbankprinzips insgesamt habe aufwerfen wollen. Hier sind eine ganze Menge wirklicher Fragen enthalten, Graf Lambsdorff. Sie kennen den Bankier, der sich so verhält, genauso gut, wie ich von ihm weiß. In Wirklichkeit sind Sie genauso wie ich darüber im Bilde, daß viele seiner Berufskollegen darüber so denken, wie ich es vorgestern angedeutet habe. Wenn das um sich greifen sollte, wird das allerdings auch noch ein Problem.
Einige haben dazwischengerufen, das sei für Hannover. Lieber Freund, Sie sehen meine Hannoveraner Rede falsch voraus; so billig wird es nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

So billig ist es übrigens auch nicht für diejenigen, von denen Sie meinen, daß ich zu deren Wohlgefallen im Vorwege redete. Die wollen nämlich nicht mit dem Universalbankprinzip Schluß machen, sondern mit den privaten Banken überhaupt. Damit Sie
das richtig verstehen. Das ist allerdings nicht meine Meinung. Ohne Not würde ich mich dafür nicht aussprechen.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU: Hat die Not schon begonnen? — Die Not wächst!)

— Das Stichwort „Not" ist natürlich das richtige Stichwort zur Überleitung auf Schleswig-Holstein. — Ich will auf Herrn Filbinger nicht eingehen, der ist heute nicht hier, der macht ja am laufenden Bande öffentliche Beiträge zur Bundestagsdebatte, nicht, nun schon wieder einen heute morgen in allen Zeitungen; das möge auf sich beruhen. Sie haben ja offensichtlich für ihn mitgesprochen, Herr Stoltenberg.
Zunächst einmal: Sie haben einem der Länder unterstellt, es würde mit falschen Haushaltszahlen jonglieren. Ich will das Land nicht verteidigen. Ich werde hier jetzt trotz Ihrer Mahnung zur Vertraulichkeit die Zahlen vorlesen, die der Arbeitskreis des Bundes und der Länder in gemeinsamer Arbeit übereinstimmend festgestellt hat für die Zuwachsraten des Bundes und der einzelnen Länder. Er stellt fest, daß Schleswig-Holsteins Haushalt im Jahre 1973 um 15,9 % steigen soll. Sie haben dieser Feststellung, jedenfalls Ihr Fachmann, Ihr Finanzminister, nicht widersprochen. 15,9 % Schleswig-Holstein. Niedersachsen 15,4, Nordrhein-Westfalen 16,5, Hessen 13,0, Rheinland-Pfalz 11,9, Baden-Württemberg 11,9, Bayern 13,9, Saarland 16,5, Hamburg 10,6, Bremen 13,3, Berlin 12,7, im gewogenen Durchschnitt 14,1, der Bund dagegen 9,7. Nun hören Sie endlich damit auf, daß die Finanzen des Bundes nicht in Ordnung seien! Sie haben alle ein bißchen über Ihre Verhältnisse, ich will nicht sagen, gelebt, aber geplant in Ihren Haushaltsentwürfen. Deswegen sind Ihre Finanzminister so froh, daß jetzt der Schuldendeckel kommt, damit sie wenigstens im Vollzug ihrer Länderhaushalte wieder ein bißchen ihren Haushalt in den Griff bekommen. So ist es doch in Wirklichkeit.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie waren vorgestern nicht hier bei der Haushaltsrede, Herr Kollege Stoltenberg und haben sich deswegen darauf nur bezogen, soweit Sie sich aus der Presse orientieren konnten, nehme ich an.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Ich darf für Sie wiederholen, Herr Stoltenberg — aber das ist nur für Sie —,

(Zurufe von der CDU/CSU)

daß die Steuereinnahmen des Bundes 1965 einen Anteil von 55 % aller Steuereinnahmen ausmachten, daß sie heuer auf 52 % zurückgegangen sind, daß im gleichen Zeitraum die der Länder von 32 auf 35 % angestiegen sind und daß im übrigen die der Gemeinden in etwa gleichgeblieben sind.
Ich sage nicht, daß ich diese Entwicklung beklage. Nur finde ich, daß Sie bei der beredten Klage mit allen möglichen Detailzahlen, die Sie hier ausbreiten, diese grundsätzliche Entwicklung doch bitte auch Ihrerseits nicht nur zur Kenntnis bringen, sondern auch dankbar anerkennen sollten. Es war ja



Bundesminister Schmidt
nicht nur die sozialdemokratische oder die liberale Fraktion, die das ermöglicht hat. Es waren ja auch Ihre eigenen Kollegen daran beteiligt. Tun Sie doch bitte nicht so, als ob im Laufe der letzten 6, 8 Jahre der Bund sich aufgeplustert habe und die armen Länder immer kleiner und immer schmäler geworden seien. Das ist doch einfach ein völlig falsches Bild.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ebenfalls nur für den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten wiederhole ich, daß im Durchschnitt der Jahre 1973 bis 1976 die Zunahmen der Steuereinnahmen der Länder bei 9,9 % liegen werden — nach bisheriger Prognose —, ,die der Gemeinden bei 9,8, die des Bundes bei 8,5.
Herr Stoltenberg, Sie haben sich dagegen gewehrt, daß ich gesagt habe, Sie würden öffentlich andere Dinge sagen als Ihr Finanzminister, Herr Qualen, vor dem ich großen Respekt habe. Aber das ist doch nun wirklich wahr. Das ist doch nicht erfunden von mir. Herr Möller hat schon darauf hingewiesen, wie der Text des Kommuniqués des Finanzplanungsrates lautete, und der ist ja nun gar nicht vertraulich. Vergleichen Sie das doch mal mit dem Interview, das Sie gestern im „Handelsblatt" gegeben haben. Von Ihnen ist gesagt worden, Sie wollen die Länder vorübergehend aus der MitIeistungspflicht bei den Gemeinschaftsaufgaben entlassen wissen. Das hat Herr Qualen nicht gesagt. Herr Qualen war dafür, die Ausgaben auf beiden Seiten zu dämpfen. Oder aber: der Finanzplanungsrat hat einstimmig beschlossen, Steuermehreinnahmen gegenüber der Steuerschätzung vom 27./28. bei der Bundesbank stillzulegen, soweit sie nicht zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme verwendet oder zum Ausgleich für neu auftretende unabweisbare Mehrbelastungen benötigt werden. Das hat der Finanzplanungsrat einstimmig so beschlossen, einschließlich Ihres Finanzministers. Sie sagen demgegenüber — im „Handelsblatt" gestern —, daß dies ein Ermessensspielraum sei, den sich die Bundesregierung mit dieser Formulierung geschaffen habe, den Sie für unannehmbar halten. Ich wollte diese Formulierung im Finanzplanungsrat nicht aufgenommen haben, sie ist vielmehr auf Betreiben der Länder aufgenommen worden, Herr Stoltenberg, und Ihr Finanzminister hat ihr zugestimmt. Jetzt sagen Sie, die Bundesregierung habe 'das getan. Ich verstehe, daß Sie nach Stoff für Polemik suchen; aber diese muß doch auch ein bißchen mit der Wahrheit übereinstimmen. Sie sind einfach nicht informiert.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie die Unwahrheit sagen wollen, sondern ich unterstelle einfach: Sie sind nicht informiert, Herr Stoltenberg.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Dann haben Sie über mich und das sogenannte Langzeitprogramm geredet. Der richtige Name wäre „Politisch-ökonomischer Orientierungsrahmen für die Jahre 1973 bis 1985". Sie haben gesagt, ich sei jemand, der auf alle mögliche Weise, zwar nicht mit einer einzigen Vorlage, aber mal hier und dann mal wieder da, versteckt und schrittweise, den Staatsanteil insgesamt hochjubeln wolle, und das sei etwas Schlimmes. Ich finde, das ist etwas Richtiges und Notwendiges. Aber. Sie sind ja auch nur eine Abart von mir; Sie wollen zwar nicht den Staatsanteil insgesamt, wohl aber den Länderanteil, am besten nur den Schleswig-Holsteins, hochjubeln.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

In der Sache, Herr Stoltenberg, werden Sie mir zubilligen, daß sich seit Adolf Wagner — lang ist's her —, seit dem vorigen Jahrhundert, die schleswigholsteinischen Staatsausgaben genauso wie die von Hamburg oder wie die des ,damaligen Deutschen Reiches oder wie die der Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt immer vermehrt haben, weil auch die öffentlichen Aufgaben immer schwieriger und schwererwiegend geworden sind.
Das, was der moderne Sozialstaat heute allein an Daseinsvorsorge seinen Bürgern, den jungen, den erwachsenen und auch den ganz alten, selbstverständlich bieten muß, ist allerdings etwas anderes als noch vor 20 oder gar vor 50 Jahren. So wie sich die Entwicklung bisher vollzogen hat, wird sie sich auch in Zukunft vollziehen, und ich argwöhne sogar, Herr Stoltenberg, mit Ihrer Stimme von Fall und Fall und von Gelegenheit zu Gelegenheit, jedenfalls mit der Stimme von Herrn Katzer; dessen bin ich sicher.
Nun haben Sie die Steuervorlagen beklagt. Wenn Sie meine Rede, wie Sie soeben durch Zwischenruf andeuteten, nachgelesen haben, werden Sie gesehen haben, daß ich für die Bundesregierung sprechend gesagt habe: Die Bundesregierung ist trotz all dieser Vorgeschichten zu Gesprächen mit den Ländern bereit. Nur wollen Sie doch bitte Ihre eigene Stellung dabei nicht überschätzen. Kein Verfassungsrechtler kann im Ernst behaupten, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer der Zustimmung der 21 Länderstimmen im Bundesrat bedürfe, daß diese Erhöhung also zustimmungspflichtig sei. Sie wissen, daß Sie in Sachen Stabilitätsanleihe sowieso nicht mitzureden haben. Wenn Sie die für die Reichen vorgesehene Stabilitätsabgabe torpedieren wollen, können Sie das zwar mit Ihrer einen Stimme Mehrheit tun. Hier haben Sie ein verfassungsrechtliches Instrument, das ist zustimmungsbedürftig, das gebe ich zu. Nur bin ich wirklich gespannt, wie Sie ausgerechnet diese Abgabe zu Fall bringen wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

In diesem Punkt ist Herr Höcherl — das ist ein Bayer und infolgedessen ein Taktiker — schon etwas weiter als Herr Stoltenberg.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Herr Höcherl ist gestern in einem Rundfunkinterview zu einer Dokumentation, die er vorgelegt hat, befragt worden. Man fragte ihn auch, was er denn zu den Steuervorschlägen der Regierung und zu eigenen Einlassungen dazu zu sagen habe. „Ist das denn nicht" — wollte der Fragesteller wissen —„eigentlich ein Plädoyer für eine höhere Besteue-



Bundesminister Schmidt
rung der hohen Einkommen?" — Antwort von Herrn Kollegen Höcherl: „Das hat die Regierung ja vorgeschlagen, und das wird demnächst Gesetz werden."

(Heiterkeit bei der SPD.)

Dann wurde er gefragt: „Ich habe Sie also richtig verstanden: Auch Sie plädieren dafür, daß Gutverdienende etwas stärker zur Kasse gebeten werden?" — Antwort: „Ich meine, das sollte ein Grundsatz in unserer Gesellschaftsordnung sein, daß die Leistungsfähigen einmal für die anderen eintreten, denen es schwerer fällt."

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Das ist kein Grund für Hohn oder Spott, denn ich muß sagen: ich stimme aus vollem Herzen mit Herrn Kollegen Höcherl überein. Herr Ministerpräsident Stoltenberg tut das nicht.
Ich weiß nicht, ob Herr Stoltenberg meint, das Verfassungsorgan Bundesrat, das er hier ins Feld geführt hat, gebe genug her für eine Art Stippvisite, um als Ministerpräsident in eine polemisch geführte Bundestagsdebatte einzugreifen, gerade noch die Antwort anzuhören, dann vielleicht noch einmal zu reden und morgen jedenfalls nicht mehr dabeizusein. Ich weiß nicht, ob Sie sich damit einen Dienst erweisen. Sie sollten dann schon während der ganzen Debatte hier anwesend sein. Sie könnten dann wahrscheinlich erleben, wie sich die Kommunalpolitiker aus meiner Fraktion oder aus der FDP-Fraktion zu Ihren Fragen einstellen.

(Abg. Leicht: Sie waren selber nicht da! — Abg. Dr. Althammer: Das ist nicht mehr zu ertragen!)

- Dann gehen Sie doch hinaus, Herr Kollege.

(Abg. Leicht: Sie waren doch selber während großer Teile der Debatte nicht dal)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702707300
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Höcherl?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702707400
Bitte sehr!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0702707500
Herr Bundesminister, ist Ihnen entgangen, daß bei Ihrer Steuerpolitik die Bezieher kleiner Einkommen in besonderer Weise belastet werden und daß es vor allem gar nicht mehr möglich ist, die Sozialversicherungsbeiträge steuerbegünstigt abzuführen, weil aus solchen Beiträgen längst Steuern mit bezahlt werden müssen? Das war der Zusammenhang, in dem ich mich geäußert habe. Zitieren ist eben Glücksache.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702707600
Wie schade, Herr Kollege Höcherl, ich dachte wirklich, wir seien uns einig gewesen. Das, was Sie mir eben gesagt haben, ist mir natürlich entgangen, und zwar deshalb, weil es nicht stimmt.

(Zuruf des Abg. Höcherl. — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich kann es — mit Ihrer Erlaubnis — noch vorlesen, Herr Höcherl.

(Abg. Höcherl: Ich stehe zu der Sache! Es geht um die Bezieher kleiner Einkommen!)

— Sie stehen zu der Sache; das ist gut!

(Lachen bei der SPD.)

Am Schluß möchte ich eine Bemerkung zu den Ausführungen von Herrn Stoltenberg über den Bundesrat machen. Herr Stoltenberg, ich stimme dem Kollegen Mischnick zu: Ich glaube nicht, daß- das Instrument des Bundesrates vom Verfassungsgeber so gemeint ist oder heute so aufgefaßt werden könnte, als ob die Bundesratsmehrheit in eine Bundestagsminderheit eingefügt werden kann, so daß man insgesamt dann doch eine Mehrheit zustande bringt.

(Abg. Dr. Jenninger: Schaffen Sie ihn doch ab! — Abg. Strauß: Einsperren!)

Der Bundesrat ist sicherlich ein Verfassungsorgan, das vornehmlich die Interessen der Länder zu vertreten hat. Der Kollege Mischnick hat recht: Das Problem ist am besten und übrigens am überzeugendsten zu lösen, indem die Mehrheit im Bundesrat verändert wird.

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Abschaffen!)

Das kann man entweder in Mainz machen — dafür wäre Herr Stoltenberg —, oder man kann es in Kiel machen — dafür wäre Herr Kohl —; ich bin dafür, daß man es in beiden Landtagen zustande bringt.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702707700
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein.
Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die drei Vorredner haben sich verhältnismäßig ausführlich mit meinen Beiträgen von heute morgen auseinandergesetzt. Ich kann mich bei den Kollegen Möller und Mischnick für eine kritische, aber sachbezogene Form der Auseinandersetzung bedanken. Ich kann diesen Dank allerdings nicht auf den Herrn Bundesminister der Finanzen erweitern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, der Herr Bundesminister der Finanzen hat es für richtig gehalten, in der nun schon zunehmend bekannten Art nicht nur sachliche Auffassungen zu vertreten, sondern in einer Form Zensuren zu erteilen, die, wie ich glaube, für sich selbst spricht. Weil er das tut, nehme ich mir auch die Freiheit, eingangs zwei Bemerkungen zu seiner Rede und zu seinem Stil zu machen.

(Abg. Haehser: Herr Bundesrat!)

— Herr Haehser, wer so angesprochen wird wie ich, wird hier dann auch so sprechen, wie es nötig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
Wenn von Ihrer Seite hier polemisiert wird, wie es Herr Schmidt in seiner Etatrede, Herr Wehner heute morgen und Herr Schmidt jetzt wieder getan haben — sie haben sich alle Freiheiten gegenüber den Vertretern des Bundesrates genommen —, können Sie uns, wenn wir darauf anworten wollen, nicht sagen, wir sollten uns hier zurückhalten. So können wir Debatten in diesem Hause nicht führen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube, daß die Rede des Herrn Bundesfinanzministers in Form und Inhalt von einem übersteigerten Selbstbewußtsein zeugt,

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Von einem krankhaften Selbstbewußtsein! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

das nach Auffassung mancher Betrachter, auch in der Öffentlichkeit, Züge der Überheblichkeit annimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich kann mich nur darüber wundern, daß ein Finanzminister, der vor neun Monaten die Verantwortung für Stabilität und Finanzen bei einer Inflationsrate von gut 5 % übernommen hat, der heute eine Inflationsrate von 7 % mit steigender Tendenz vertreten muß, so redet, als ob alle Welt mit ihm so zufrieden sein könnte, wie er offenbar mit sich selbst zufrieden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn er in einer finanz- und stabilitätspolitischen Debatte sagt: Nicht wir sind in der Zwickmühle, sondern Sie!, muß ich mich fragen, wann er sich denn eigentlich in Bedrängnis fühlt; bei einer Inflationsrate von 8 %, 10 % oder 12 % — oder müssen erst brasilianische Inflationsraten erreicht werden,

(Beifall bei der CDU/CSU)

damit diese Art der selbstgefälligen Auseinandersetzung mit anderen Auffassungen einer sachbezogeneren Form weicht? Dies muß ich Ihnen, Herr Schmidt, nach einigem, was Sie hier auch mir persönlich gesagt haben, mit der notwendigen Deutlichkeit sagen.

(Abg. Seiters: Da sprach nicht der Herr Minister, da sprach Herr Schmidt!)

Nun möchte ich zum sachlichen Teil kommen. Das zweite, was ich feststellen muß — auch das hat diese Form der Replik veranlaßt —, ist, daß Sie Ihre Methode, ungenau zu zitieren, auch aus amtlichen Dokumenten, etwa aus den Beschlüssen des Finanzplanungsrats,

(Abg. Leicht: Sehr gut!)

der unter Ihrem Vorsitz steht, fahrlässig um der Polemik willen fortgesetzt haben. Auf diesen Punkt werde ich zurückkommen.
Nun hat er wieder einmal wie schon das letztemal die Forderung aller Länder, die ich hier erläutert habe, zur Frage der Steueraufteilung damit kommentiert, Schleswig-Holstein sei nach 20 Jahren CDU-Regierung ein zurückgebliebenes Land. Deswegen hat Herr Kollege Schmidt wahrscheinlich auch seinen zweiten Wohnsitz in unserem schönen Land genommen

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

und baut sein Haus, wie ich höre, am schönen Bramsee weiter aus.
Nun, wir wollen über Schleswig-Holstein hier nicht lange sprechen. Wir haben 1950 die Regierungsverantwortung von den Sozialdemokraten übernommen als Armenhaus der Bundesrepublik, wofür übrigens auch die Sozialdemokraten — das muß ich korrekterweise sagen — unter den Bedingungen der Nachkriegszeit eines zerstörten Landes, eines Vertriebenenlandes mit Randlage nicht verantwortlich waren. Aber wir haben jetzt vom Statistischen Bundesamt erfahren, daß dieses traditionell schwache, industriell unterstrukturierte Land mit seiner extremen Randlage im Jahre 1972 erstmals im Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik von allen Bundesländern den ersten Platz erreichte. Das ist eine Leistung, auf die wir stolz sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bestätige dabei gern die gute Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsminister des Bundes in Vergangenheit und Gegenwart in der Frage der Förderung der regionalen Strukturpolitik. Ich hoffe, daß wir dies, wenn wir die Regierungsvorlage zur Investitionszulage korrigiert haben, ohne schwere Störungen fortsetzen können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun zur Sache selbst. Herr Schmidt hat mich hier leider falsch zitiert. Ich habe nicht einem der Länder unterstellt, daß es mit falschen Zahlen arbeitet. Ich habe nur zu der aktuellen Kontroverse bezüglich Nordrhein-Westfalens gesagt, daß es dort unterschiedliche Auffassungen im Parlament über den tatsächlichen Zuwachs des Etats gibt. Ich habe das ohne jede Bewertung gesagt und damit ein Problem deutlich machen wollen, auf das ich gleich noch zurückkomme: daß es in der Tat sehr schwer ist, heute noch objektiv vor allem die konjunktur- und stabilitätspolitisch relevante Wachstumsquote festzustellen, vor allem bei der wachsenden Neigung mancher Regierungen — das sage ich in diesem Hause nicht ohne Grund —, mit Leertiteln zu arbeiten, wo Rechtsverpflichtungen bestehen, und große Schattenhaushalte aufzustellen. Das ist das Problem. Der Grund ist aber auch — und dies berührt die von Herrn Schmidt genannte Zahl auch für das Land Schleswig-Holstein —, daß wir als Folge der einmal von der Großen Koalition beschlossenen Gemeinschaftsaufgaben immer noch in einem Umstellungsprozeß sind.
Wenn Sie hier — und das ist nicht ohne Absicht geschehen — die Zahlenreihe des Wachstums der Länderhaushalte vorlesen, dann kann ich Ihnen z. B. für das Land Schleswig-Holstein sagen — Herr Kollege Ertl würde es, wenn er hier wäre, bestätigen —, daß wir im Haushalt 1973, was natürlich auch für Niedersachsen mit seiner ähnlich hohen Wachstumsrate gilt, Bundesleistungen für den Küstenschutz, die bisher zum Teil außerhalb des Haushalts direkt geleistet wurden, durch Landesleistungen in einem

Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
Umfang von beinahe 1 % unseres Etatvolumens ersetzen müssen. Das ist eine Folge der Finanzreform, die unseren Haushalt wie andere optisch ausweitet. Nur müssen Sie sich zu dieser etwas differenzierteren Form der Darstellung schon bequemen, die im Finanzplanungsrat, wie Sie wissen, ja auch üblich ist, wenn man diese Fragen hier ernsthaft behandeln will und solche Vergleiche durchführt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Das kann er nicht!)

Herr Kollege Schmidt hat bei seiner Bemerkung, ich hätte seine Haushaltsrede wohl nur in der Presse gelesen, vergessen, daß er, wie das ein tüchtiges Ministerium macht, diese Rede bereits am Nachmittag des Tages, an dem sie gehalten wurde, oder ein bißchen eher — das machen wir alle gern, wenn wir eine vorbereitete Rede halten — der Presse gegeben hat. Ich war deshalb in der Lage, sie im Wortlaut nachzulesen. Ich habe gestern auch dank der Leistung dieses Hauses seine Rede im Stenographischen Bericht verfolgen können, so daß seine Bemerkung abwegig ist.
Was die Tatsache betrifft — dies gehört auch zu den ganz erstaunlichen Dingen, meine Damen und Herren —, daß ich auf meine Präsenz hier angesprochen wurde, so kann ich nur feststellen, daß ich den ganzen Tag hier zugegegen bin. Ich kann auch feststellen, daß ich morgen andere Verpflichtungen habe. Aber auch der Regierungschef des Bundes hat offensichtlich andere Verpflichtungen, wie wir jetzt sehen. Das ist gelegentlich wie beim Bundeskanzler auch bei einem Ministerpräsidenten der Fall. Wir sollten hier alle ein Stück Toleranz walten lassen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

vor allem in dieser Frage und unter den jetzigen Bedingungen oder auch unter anderen Bedingungen, wie wir gelegentlich in der Präsenz der Regierungsbank hier sehen. Ich halte es für ganz unangemessen, daß wir in dieser Form hier im BundLänder-Verhältnis so miteinander reden.
Sie haben dann gesagt: Tun Sie doch nicht so, als ob sich der Bund aufplustert oder die Länder immer kleiner werden! Da kann ich nur sagen: Nichts in meiner Rede hat Anlaß zu dieser Annahme gegeben.

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Lauter Unterstellungen!)

Das ist nicht das Problem, von dem wir gesprochen haben. Mir geht es um etwas subtilere Tatbestände, die dann allerdings auch eine andere Form der Darstellung verlangen, als wir sie eben gehört haben.
Nun möchte ich einmal zu Ihrem ganz erstaunlichen Versuch kommen, Ihre Bemerkung zu rechtfertigen, Herr Qualen habe im Finanzplanungsrat etwas anderes gesagt als ich in der Öffentlichkeit oder in dem jetzt von Ihnen herangezogenen Interview des „Handelsblatts", das ich übrigens für ein lesenswertes Interview halte; ich begrüße es, daß Sie es so sorgfältig studiert haben. Sie haben hier zwei Punkte aus den Dokumenten herangezogen, die ich ebenfalls zur Hand habe, aber, wie ich glaube, vollkommen irreführend zitiert. Ich habe in dem Interview — und darauf haben Sie Bezug genommen — wie auch heute morgen in meiner Rede gesagt, daß eine Begrenzung der Länderaufgaben eine vorübergehende Entlastung aus Mitleistungsverpflichtungen voraussetzt. Das ist der Punkt, den ich heute morgen noch einmal hervorgehoben habe. Er ist nicht neu. Herr Kollege Kühn und ich haben ihn für die Ministerpräsidenten im vergangenen Frühjahr gegenüber dem Bundeskanzler und Ihrem Amtsvorgänger in den damaligen Gesprächen über die Steuerverteilung mehrfach übereinstimmend zum Tragen gebracht. Das ist aber doch kein Widerspruch, Herr Schmidt, zu dem, was im Finanzplanungsrat beschlossen worden ist. Denn hier steht doch genau wörtlich: Der Finanzplanungsrat ist der Auffassung, daß die von der Bundesregierung empfohlene Streckung bei der Durchführung der Rahmenpläne bei den Gemeinschaftsaufgaben möglichst bald erfolgen sollte. Eine Streckung der Gemeinschaftsaufgaben ist aber in der finanziellen Auswirkung nichts anderes als die von mir vorgeschlagene vorübergehende Entlastung der Länder aus gewissen Mitleistungsverpflichtungen. Im finanzpolitischen Effekt jedenfalls scheint mir dies ganz eindeutig zu sein.
Nun kommt der zweite Punkt, der von Ihnen ebenfalls absolut unzutreffend dargestellt wurde. Sie sagen, zwischen meiner Forderung — die übrigens, wenn ich das betonen darf, von einer großen Mehrheit im Bundesrat vertreten wird —, Steuermehreinnahmen auf Grund von Steuererhöhungen jetzt sollten ohne Einschränkung stillgelegt werden, weil stabilitätspolitisch begründete Steuererhöhungen steuerpolitisch nicht vertretbar sind, und der Feststellung im Finanzplanungsrat sei ein Widerspruch. Ich kann das nicht erkennen. Der von Ihnen angezogene Text heißt:
Steuermehreinnahmen gegenüber der Steuerschätzung vom 27./28. Februar sind bei der Bundesbank stillzulegen, soweit sie nicht zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme verwendet oder zum Ausgleich für neu auftretende unabweisbare Mehrbelastungen benötigt werden.
Diese Feststellung und die Forderung, daß Einnahmen aus —bisher überhaupt noch nicht wirksam gewordenen — neuen Steuererhöhungsgesetzen stillgelegt werden, stehen in gar keiner Weise in einem Widerspruch.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Ich halte das für einen sehr weit hergeholten Versuch, eine nicht beweisbare Aussage aus der ersten Rede hier noch nachträglich zu rechtfertigen.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich im Augenblick auf diese Bemerkungen beschränken und nur wenige Sätze zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Möller und Herrn Mischnick sagen.
Herr Kollege Möller, ich darf mich hier vielleicht auf ein oder zwei Punkte beziehen. Sie haben gemeint, die von uns gewünschte Stillegung von Mehreinnahmen aus stabilitätspolitisch motivierten Steuererhöhungen bei der Bundesbank sei nicht



Ministerpräsident Dr. Stoltenberg
möglich, weil derartige Beträge erst bei einer Rezession abrufbar wären, und diese Rezession — so haben Sie betont — wolle diese Koalition nicht. In dem letzten sind wir uns sicher einig. Aber deswegen haben wir doch einmal in der Zeit der Großen Koalition gemeinsam ein Stabilitätsgesetz gemacht, ausgehend von einem Vorschlag der Regierung Professor Erhards, ausgehend auch von Vorstellungen der sozialdemokratischen Fraktion. Ich empfinde es deshalb, offen gesagt — ich sage das ohne jede Polemik —, nicht als überzeugend, wenn Sie sagen: Eine Bestimmung des Stabilitätsgesetzes, das doch der Verhinderung der Rezession dienen soll, kann nicht angewandt werden, weil sie erst im Fall der Rezession wirksam werden soll.
Ich habe mir nach Ihrer Rede Ihren recht lesenswerten und instruktiven Kommentar zum Stabilitätsgesetz auf diesen Punkt hin noch einmal durchgesehen. Er bringt — wie auch § 6 und § 15 des Gesetzes selbst — nach meiner Überzeugung ganz klar zum Ausdruck, daß die bei der Bundesbank stillgelegten Mittel nicht erst dann eingesetzt werden sollen, wenn das Unglück geschehen ist, wenn die Rezession da ist, sondern dann, wenn ein bestimmtes erkennbares Warnzeichen eines bedrohlichen Abschwungs erfolgt und es notwendig ist, rechtzeitig gegenzusteuern.

(Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: So habe ich es nicht gesagt! Das können Sie im Protokoll nachlesen!)

Eine solche Entwicklung aber, Herr Kollege Möller, kann man, wie ich glaube, nicht vollkommen ausschließen. Deswegen halte ich die Begründung, wir könnten nach dem Stabilitätsgesetz nicht stillegen, weil die Mittel nicht rechtzeitig verfügbar seien, insoweit für nicht sachlich überzeugend. Das soll einer weiteren Diskussion über die mögliche Verbesserung des Stabilitätsgesetzes und des stabilitätspolitischen Instrumentariums nicht im Wege stehen.
Herr Kollege Mischnick, ich möchte die Debatte über die Rolle des Bundesrates nicht weiterführen. Ich möchte dazu nur folgendes bemerken. Die Standpunkte sind hier klar ausgesprochen. Es ist sicher so, daß wir auch neue Initiativen der Bundesregierung etwa im Bereich der Hochschulgesetzgebung sorgfältig und aufmerksam prüfen. Wer nun im Lichte neuerer Erfahrungen, die Sie in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ja auch an den hessischen Universitäten — in Frankfurt oder woanders — machen können. die falschen oder die richtigen Auffassungen in den letzten Jahren über eine angemessene moderne Organisation der Hochschulen vertreten hat, wird man in dem Zusammenhang dann weiter erörtern müssen. Gewisse aktuelle Erfahrungen werden dabei sicher eine Rolle spielen. Ich sage das nur zu der Bemerkung über das „langsamste Schiff".
Das wird uns beschäftigen müssen. Sie können, glaube ich, auch mit der konstruktiven Mitwirkung der Länder an einem Gesetz in einem Bereich rechnen, der ja einmal mit ihrer Zustimmung in die Rahmengesetzgebung 'des Bundes gekommen ist.
Nur werden Sie sehen, daß 'das natürlich unsere Verantwortlichkeiten und die Institutionen, deren Rechtsträger wir sind, ganz unmittelbar berührt, so daß gerade hier die rechtzeitige und frühe intensive Information und Diskussion über Parteigrenzen hinweg zur Vorbereitung von Vorlagen eine große Bedeutung hat.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702707800
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0702707900
Herr Kollege Stoltenberg, es tut mir leid, aber der Versuch der Klarstellung in zwei Punkten — angeblicher oder versehentlicher Mißinterpretation — scheint mir mißglückt zu sein.

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Ihnen scheint das mißglückt zu sein!)

Ich darf mit Genehmigung des Präsidenten vorlesen, was Herr Stoltenberg — wenn die Zeitung das Interview richtig wiedergegeben hat — am Montag gesagt hat:
Den Ermessensspielraum, den sich die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht mit der Formulierung geschaffen habe, „im Jahre 1973 anfallende Steuermehreinnahmen werden, soweit sie nicht zum Ausgleich für neu auftretende unabweisbare Mehrbelastungen benötigt werden, auf einem Sonderkonto bei der Deutschen Bundesbank stillgelegt", hält Stoltenberg für unannehmbar. Die eindeutige Verpflichtung der Bundesregierung, Mehreinnahmen stillzulegen, sei eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Zustimmung des Bundesrats.
Ich nehme an: zu den neuen Steuergesetzen.
Tatsache ist, Herr Stoltenberg, daß fast genau die Formulierung von Herrn Qualen — wie auch von allen übrigen — im Finanzplanungsrat angenommen worden ist, aber nicht mit Bezug auf die neuen Steuergesetze, sondern im allgemeinen.
Zweiter Punkt: Sie haben soeben behauptet, Ihre Forderung, wenigstens teilweise oder vorübergehend aus der Mitleistungsverpflichtung für die Gemeinschaftsaufgaben entlassen zu werden. sei doch identisch mit unserem Vorhaben, die Leistungen zu dämpfen. Sie wissen selber, daß dies ein geradezu halsbrecherisches Interpretationskunststück gewesen ist. Was Sie in Ihrem Interview wollen, ist: Schleswig-Holstein und vielleicht das eine oder andere Land sollen eine Zeitlang nicht mitleisten; da soll der Bund alleine leisten. Das ist ein Standpunkt, den man vertreten kann. Nur können Sie mir nicht bestreiten, daß Ihr Finanzminister drei Tage vorher im Finanzplanungsrat etwas völlig anderes mit vertreten und beschlossen hat.

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)




Bundesminister Schmidt
Ich will Ihnen nicht vorwerfen, daß Sie in Ihrem Kabinett verschiedene Meinungen haben. Das gibt es in unserem auch einmal, Herr Stoltenberg. Nur sollen Sie mir dann nicht vorwerfen, ich hätte darüber die Unwahrheit gesprochen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702708000
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein.
Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann hier nur sagen, daß nach Auffassung des schleswig-holsteinischen Finanzministers und, wie ich weiß, auch anderer Finanzminister die Formel, Steuermehreinnahmen sind bei der Bundesbank stillzulegen, mit der gemachten Einschränkung, auf die Sie sich bezogen haben, von der geltenden Gesetzgebung, der geltenden Rechtslage ausgeht, wie das immer in Beschlüssen in derartigen gemeinsamen Gremien der Fall ist, und daß sie nicht eine Vorwegnahme der ausstehenden Entscheidung des Bundestages und des Bundesrates über die Steuervorlagen der Bundesregierung mit den Konsequenzen, die sich dann neu stellen und daraus ergeben, bedeutet. Das möchte ich zum ersten Punkt ganz eindeutig klarstellen. Das ist kein Widerspruch zwischen Herrn Qualen und mir, sondern vielleicht zwischen Ihnen und einigen anderen.
Meine Damen und Herren, daß für uns die Strekkung der Ausgaben für die Gemeinschaftsaufgaben finanziell eine Reduzierung der materiellen Mitleistungsverpflichtungen darstellt, ist im Ergebnis meine Meinung. Selbst wenn dies ein weitergehendes Problem ist, können Sie allenfalls sagen, daß diese beiden Äußerungen nicht identisch sind; sie stehen aber in gar keinem Falle in einem Widerspruch, wie Sie es in Ihrer Etatrede in einer nach meiner Auffassung ganz überflüssigen polemischen Bemerkung behauptet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702708100
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Althammer.

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0702708200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Alex Möller hat zum Ende seiner Ausführungen wiederholt, was Franz Josef Strauß in der Qualifikation der Einbringungsrede des Finanzministers erklärt hat, und er hat es beklagt, wie diese Qualifizierung ausgefallen ist. Nach dem, was wir heute als zweiten Auftritt des Herrn Bundesfinanzministers erlebt haben, müssen wir in aller Ruhe feststellen: die Qualifikation der Einbringungsrede stimmt in vollem Umfang, und das, was hier heute vom Herrn Finanzminister geboten worden ist, hält nicht einmal das Niveau, das die Einbringungsrede ebenfalls nicht hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Anders wäre es nicht erklärbar, daß es jetzt eben zu dieser einmaligen Auseinandersetzung zwischen einem Landesministerpräsidenten und einem Vertreter der Bundesregierung gekommen ist. Das wäre nicht notwendig gewesen, wenn man sich bei der Bundesregierung der Gepflogenheiten bedient hätte, die in diesem Hohen Hause bisher gute Tradition waren.
Lassen Sie mich noch zu einem anderen Punkt etwas sagen, der heute vormittag und auch heute nachmittag eine Rolle gespielt hat. Es ging um die allgemeine Diskussion der Frage, wie sich der Zustand von Staat und Gesellschaft in diesem Lande heute darstellt. Dazu hat der Herr Kollege Schmidt gemeint, man beschäftige sich hier mit Gespenstern, wenn man z. B. von einem wachsenden Antiamerikanismus hier im Lande spreche. Er hat so getan, als handle es sich um einige Zeitungsenten, um einige Erfindungen, die hier hochgeputscht würden. Dann gab es andere Äußerungen zu diesem Thema, die lauteten: Diejenigen hier im Bundestag, die diesen Punkt ansprächen, seien die, die den deutschen Interessen in der Weltöffentlichkeit und speziell in Amerika schadeten. Man tut bei diesem Punkt so, als gäbe es die Fakten nicht, und man ist ganz darüber hinweggegangen, daß der Fraktionsvorsitzende Barzel hier ganz deutliche und klare Fakten genannt hat. Er hat die Prozentzahlen der Einstellung der Bevölkerung bei uns im Lande angesprochen.

(Abg. Stücklen: Sehr richtig!)

Er hat die politischen Nachwuchskräfte bei uns im Lande zitiert, die diese Äußerungen tun. Da kann man sich nicht damit begnügen — wie es der Herr Bundeskanzler getan hat —, zu sagen, das seien 0,02 °/o., das seien Promille, die hier zur Diskussion stünden. Man kann sich auch nicht damit zufriedengeben — wie es der Herr Kollege Möller getan hat —, daß man sagt — es ging um die Diskussion, wie das eigentlich mit unseren Banken sei —, daß etwa die Banken selbst hier eine Position einnähmen, die viel krasser sei als die der Jusos.
Ich möchte das Arsenal der Zitate nicht ausweiten, möchte Ihnen aber beispielhaft ein Zitat vorführen, damit Sie noch einmal sehen, woher überhaupt unsere Sorgen und unsere Befürchtungen über diese Entwicklung kommen. Das ist nun nicht das Zitat irgendeines namenlosen Mitgliedes irgendeines Ortsvereins, sondern ein Wortzitat des Herrn Karsten Voigt, eines Mannes, der nun zur Genüge als Exponent einer linken SPD-Gruppierung aufgetreten ist. Er hat diese Äußerungen getan bei dem JusoKongreß am 10./11. März dieses Jahres. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsident zitieren. Erster Punkt:
Die EWG entstand auf der Grundlage einer von kapitalistischen Interessen geprägten Konzeption.
Die Vorschläge der Jungsozialisten, die auf eine sozialistische Umgestaltung Westeuropas abzielen, haben Parallelen in der Strategie von anderen westeuropäischen Organisationen wie der kommunistischen Partei Italiens.

(Abg. Stücklen: Hört! Hört!)




Dr. Althammer
Um die Zersplitterung der Arbeiterbewegung Westeuropas aufzuheben, ist die Zusammenarbeit zwischen den antikapitalistischen Kräften im kapitalistischen Teil Europas zu verstärken. Dazu gehören die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften, jene linkssozialistischen und kommunistischen Parteien und politischen Gruppierungen, die zu einer Zusammenarbeit bereit sind und die in Italien und Frankreich große Teile der Arbeiterbewegung repräsentieren.
In diesem Zusammenhang muß nach den bisherigen Erfahrungen mit den USA die Anwesenheit amerikanischer Truppen in Westeuropa als ständige Bedrohung für sozialistische Transformationsstrategie angesehen werden.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre der Sache förderlicher gewesen, wenn der Herr Bundeskanzler nicht gegen Abgeordnete dieses Hauses polemisiert hätte, die diese Dinge angesprochen haben, sondern dort, wo diese Äußerungen gefallen sind, aufgetreten wäre und sich ganz klar dagegen gewandt hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es wäre der Sache auch förderlicher gewesen, wenn der Kollege Schmidt nicht so getan hätte, als handelte es sich hier um Zeitungsenten einer bestimmten Richtung, sondern sich mit den Fakten, die hinter diesen Dingen stehen, endlich beschäftigt hätte.
Es ist ja nicht so, als hätten nur Abgeordnete der Opposition hier diese Sorge, sondern weite Teile unserer deutschen Bevölkerung fragen sich besorgt, wohin eigentlich die Reise in dieser großen Partei, nämlich in der SPD, geht. Wenn man sieht, daß diese Dinge geflissentlich unter den Tisch gekehrt werden sollen, daß die Spitzenpersönlichkeiten dort, wo es notwendig ist, dazu nicht Stellung nehmen, sondern diejenigen anprangern, die diese Dinge beim Wort nennen, dann vermehrt sich eben die Besorgnis, daß es diese linken Gruppen gibt, die sagen: wir werden von der Basis aus die Mehrheit in der SPD erobern, und die einige Galeonsfiguren vorläufig noch oben dulden, um diesen Prozeß nicht so sichtbar werden zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Darum ist es einfach zwingend notwendig, diese Dinge anzusprechen, und darum wäre es der Sache förderlicher, wenn diese ernste Sorge auch bei der SPD deutlich zum Ausdruck käme und man sich nicht gegen diejenigen wendet, die diese Dinge, die bei uns im Lande Tatache sind, beim Namen nennen.
Lassen Sie mich noch zu zwei Punkten, die der Herr Finanzminister vorhin berührt hat, etwas sagen.

(Abg. Leicht: Wo ist er?)

Im übrigen darf ich mir eine Nebenbemerkung gestatten. Es bezeichnet auch den Stil dieses Finanzministers, daß er dem Ministerpräsidenten Stoltenberg vorwirft,

(Abg. Leicht: Sehr gut!)

er werde hier nur einige Stunden sein und dann wieder gehen, daß er selbst aber in dem Moment, in dem er seine drei Beiträge erledigt hat, seinen Platz verläßt und nicht mehr hier ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Herr Minister Schmidt hatte gemeint, man sollte sich doch endlich darüber klar werden, ob man von der Opposition her sagen will, dieser Haushalt 1973 sei nicht konjunkturgerecht, also überzogen, oder ob man den Schwerpunkt darauf legt, daß gewisse Staatsaufgaben nicht erfüllt werden könnten, weil das Finanzvolumen nicht ausreiche.
Lassen Sie mich zu der doppelten Behauptung, die von der Regierung aufgestellt wurde — daß nämlich einerseits dieser Haushalt konjunkturgerecht sei

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

und daß derselbe Haushalt andererseits ausreiche, die Reformaufgaben und die Dienste an den Staatsbürgern zu erfüllen —, Stellung nehmen.
Zur ersten Behauptung: Es ist gestern schon ausgeführt worden, daß, wenn man das Soll 1972 mit dem Soll 1973 vergleicht, die Zahl von 10,5 % für die Steigerung der Ausgaben richtig sei. Es ist ausgeführt worden, daß hier neben dem Haushalt noch eine Menge mit einzubeziehen wäre; ich meine die Schattenhaushalte. Ich möchte auf diesen Punkt nicht weiter eingehen, sondern möchte nur die Frage stellen, die ja sehr naheliegt, warum man bei ieiner Preissteigerungsrate, die jetzt bei 7 % liegt und bei der der Herr Minister Schmidt sagt, daß die Regierung in keiner Zwickmühle sei — bei 7% Preissteigerungsrate! —, nicht ,die Ausgaben des Bundes im Rahmen antizyklischer Maßnahmen als Stabilitätsinstrument einsetzt. Zu diesem Punkt haben wir gehört, daß sich dieser Haushalt nicht zur Stabilitätspolitik eigne.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702708300
Herr Abgeordneter Althammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haehser?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0702708400
Ja, gerne!

Karl Haehser (SPD):
Rede ID: ID0702708500
Herr Kollege Dr. Althammer, ist vielleicht jetzt der Zeitpunkt gekommen, zu dem Sie namens der Opposition dem Bundestag erklären, auf welchen Gebieten nach Ihren Vorstellungen Streichungen vorgenommen werden sollen?

(Lachen bei der CDU/CSU.)


Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0702708600
Ach, Herr Kollege Haehser, ich kann verstehen, daß Sie diese alte Platte immer wieder auflegen müssen

(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Haehser: Sie doch! — Weitere Zurufe von der SPD)

und daß Sie es nicht erwarten können, wieder zu dem Punkt zu kommen, den wir von Ihnen ja aus den vergangenen Jahren durchaus kennen — und das ist genau das, was unser Fraktionsvorsitzender auch beanstandet hat —, an ,dem Sie biedermännisch



Dr. Althammer
erklären: Wo sind denn nun eigentlich die konstruktiven Vorschläge der Opposition?

(Zurufe von der SPD: Richtig! — Wo sind sie denn?)

Und im selben Moment gehen Sie hin und sagen: da seht ihr's, die Opposition will — wie Sie es mir einmal fälschlicherweise vorgeworfen haben — keine Straßen mehr bauen. Oder — wie es heute passiert ist — Herr Schmidt stellt fest, Franz Josef Strauß wolle also eine allgemeine Stabilitätsabgabe nach dem Stabilitätsgesetz einführen. Das alles wird nur vorgetragen, um der Öffentlichkeit darlegen zu können: seht, was die böse Opposition alles an schlimmen Dingen für die Bevölkerung will; wie viel besser sind doch wir von der Regierung, wir verschonen euch mit solchen Restriktionen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702708700
Herr Abgeordneter Dr. Althammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0702708800
Herr Präsident, ich möchte nicht der Gepflogenheit des Herrn Kollegen Haehser folgen und Fragen nicht zulassen, wenn sie nicht von Mitgliedern kommen, die er als qualifiziert angesehen hat. Ich darf jedoch bitten, mich in meinem Vortrag jetzt fortfahren zu lassen. Aber ich wollte den Herrn Kollegen Haehser daran erinnern, daß er es war, der Zwischenfragen nicht zugelassen hat.

(Abg. Haehser: Er ist doch Mitglied des Haushaltsausschusses, der Herr Sperling!)

— Herr Kollege Haehser, ich würde diesen Unterschied nicht machen.
Ich darf an dem Punkte fortfahren, an dem ich vorhin gewesen bin. Ich habe festgestellt, daß die Regierung offenbar — genauso wie die Koalitionsfraktionen — der Auffassung ist, man könne mit diesem Haushalt keine Stabilitätspolitik machen. Ich darf darauf hinweisen, daß offenbar die Sachverständigen nicht dieser Auffassung sind und daß die ganze öffentliche Meinung durchaus der Auffassung ist, daß die öffentlichen Ausgaben eine sehr wesentliche Kategorie der Konjunkturpolitik und der Stabilitätspolitik sind.
Es kommt aber noch ein Zweites hinzu, das heute auch schon eine Rolle gespielt hat. Abgesehen von der Tatsache, daß außer den 120 Milliarden DM noch mehrere Milliarden D-Mark neben dem Haushalt her vom Bund finanziert werden, ist die Frage zu stellen, ob dieser 120-Milliarden-Haushalt denn überhaupt vollständig ist.

(Abg. Leicht: Sehr gut!)

Was dies angeht, so haben wir Hinweise, daß bereits heute Belastungen von mehreren Milliarden D-Mark bekannt sind, die offenbar deshalb noch nicht in den Haushaltsentwurf eingesetzt sind, weil man den Betrag von 120 Milliarden DM nicht übersteigen will.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß zwar gesagt wird, man möchte die Steuermehreinnahmen stillegen, daß aber in der amtlichen Begründung — wörtlich — steht: ,,..., soweit sie nicht zum Ausgleich für neu auftretende, unabweisbare Mehrbelastungen benötigt werden". Man hält sich also die Hintertür offen, um dann auch Steuermehreinnahmen für den Haushalt 1973 einzusetzen.
Was die Abschlußergebnisse der letzten beiden Haushaltsjahre betrifft, so finden Sie nicht nur im Sachverständigengutachten die Feststellung, daß diese beiden Haushalte eben nicht konjunkturneutral, sondern konjunkturanheizend waren, sondern Sie finden auch im jüngsten Finanzbericht der Bundesregierung selbst die Feststellung, daß im Jahre 1971 eine Steigerung von 15 %, im Jahre 1972 eine Steigerung von 12% zu verzeichnen ist.
Erinnern Sie sich bitte daran, wie man bei der jeweiligen Einbringung der Haushalte darüber lamentiert hat, daß solche von der Opposition behaupteten Steigerungsraten völlig undiskutabel seien; das sei Schwarzmalerei der Opposition.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich sage Ihnen schon heute, alle Zeichen deuten darauf, daß es im Haushaltsjahr 1973 genauso sein wird, daß man auch dort stillschweigend mit einkalkuliert, daß noch Milliarden-Beträge notwendig sind, und daß man dann eventuell auf Steuermehreinnahmen zurückgreifen will.
Nun zum zweiten Komplex. Der Kollege Alex Möller hat in seinen Ausführungen gesagt, er habe nachgelesen, was der Fraktionsvorsitzende Barzel im Herbst 1969 über das Angebot der Opposition zur Zusammenarbeit hinsichtlich der Wiedererlangung der Stabilität im Rahmen des Stabilitätspaktes vorgetragen habe. Herr Kollege Möller, ich erinnere mich noch sehr genau an die damalige Diskussion über die Regierungserklärung. Ich muß Ihnen sagen, daß das Angebot der Opposition wesentlich weiter ging, als Sie das hier soeben dargestellt haben. Es ging damals nicht nur um die Zurücknahme einiger kostensteigernder Anträge, sondern es ging darum, daß der Oppositionsführer in seiner ersten Erklärung hier gesagt hat: Wir als Opposition bieten unsere Mitarbeit in der Stabilitätspolitik an; wir sind bereit, auch auf die verheißenen Steuererleichterungen zu verzichten; wir warnen vor diesem Weg der Ausgaben mit leichter Hand; wir sind bereit, unpopuläre Maßnahmen mitzutragen. So, meine ich, wird aus dieser Sache ein Schuh, nicht auf dem Weg, von dem der Herr Kollege Haehser vorhin sprach, daß die Opposition jetzt da oder dort einen unpopulären Antrag stellen solle, den Sie dann ablehnen und mit dem Sie draußen Ihr politisches Geschäft machen könnten.
Vielmehr sieht die Situation so aus — dies gilt auch und gerade bei der heutigen, wesentlich schlimmeren inflationären Lage —,

(Zuruf des Abg. Leicht)

daß uns nur ein Zusammenfassen aller Instrumente der Stabilitätspolitik nach vorne bringen könnte. Ich darf Ihnen dazu die Ziffer 350 des letzten Sachverständigengutachtens vorlesen. In dieser Ziffer



Dr. Althammer
wird genau das gesagt, was wir Ihnen schon im Jahre 1969 angeboten haben:
Eine Strategie des abgestimmten Verhaltens in einem Stabilitätspakt setzt ein außerordentliches wechselseitiges Vertrauen in die Bereitschaft und die Fähigkeit zum stabilitätskonformen Verhalten und in den Erfolg des gemeinsamen Bemühens voraus. Diese Voraussetzungen ließen sich vermutlich nur in einer großen Anstrengung aller gesellschaftlichen Kräfte schaffen. Wir sehen trotz allem noch nicht genügend Anzeichen, die erkennen lassen, daß die gemeinsame Last des inflatorischen Prozesses schon als so schwer empfunden wird, daß eine solche Anstrengung für wahrscheinlich zu halten wäre.
Genau an den Punkt ist nun der Bundeskanzler gefragt. Es genügt nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß er hier und da ein Wort des Bedauerns über die inflatorische Entwicklung fallenläßt, es genügt nicht, daß er dann und wann sagt, bei 4 % werde es ernst oder jetzt werde er sich um die Dinge kümmern. Hier wäre der Punkt, wo eine solche Zusammenfassung aller gesellschaftlichen Faktoren zu dieser gemeinsamen Anstrengung notwendig wäre. Die CDU/CSU hat im letzten Wahlkampf diesen Punkt herausgestellt. Wir haben gesagt, hier muß der Vorrang für Stabilitätspolitik geschaffen werden, und erst wenn wir den Boden der Stabilität wieder erreicht haben, können die notwendigen Reformmaßnahmen auch realistisch finanziert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man braucht sich also nicht zu wundern, nachdem der Herr Bundeskanzler in diesem zentralen Punkt unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik untätig geblieben ist, daß sich die Stimmen mehren, die sich fragen, ob hier Uninteressiertheit, Entschlußlosigkeit oder Unvermögen vorliegt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein weiteres Ausharren auf seinem Denkmalspostament, ohne tätig zu werden, nicht die Risse in diesem Denkmal, das hier sehr geschickt aufgestellt worden ist, sehr viel deutlicher werden läßt. Man sieht heute bereits Anzeichen, daß sich mancher deutscher Staatsbürger fragt, ob die Wahlentscheidung vom November 1972 angesichts dieser jüngsten Entwicklung wirklich richtig gewesen ist.

(Abg. Dr. Sperling: Sie haben noch zuviel Stimmen bekommen!)

— Ich würde darüber nicht lachen. Sehen Sie sich einmal die Wahlergebnisse in Niedersachsen und Teilen Nordrhein-Westfalens an.
Dieser Umdenkungsprozeß, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht weiter. Er geht insbesondere dann weiter, Herr Kollege Sperling, wenn sich diese Auseinandersetzung von einem gewissen Flügel der SPD sowohl in dieser Fraktion wie auch draußen im Lande, von dem ich eingangs das Zitat des Herrn Voigt gebracht habe, fortsetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich einen anderen Komplex ansprechen. Es ist ja sehr interessant und bezeichnend, daß man auf Regierungsseite offenbar der Auffassung ist, die guten und wohltätigen Maßnahmen könnte die Regierung allein vollziehen, dazu brauchte man die Opposition nicht; die Opposition würde nur dort benötigt, wo es darum gehe, unpopuläre Vorschläge zu machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn hier immer wieder gesagt wird, man werde sich auf Regierungsseite erlauben, die Kosten der Anträge und Gesetzentwürfe zusammenzurechnen, die von der Opposition vorgelegt werden, wird uns das nicht daran hindern, unser Konzept darzulegen, unsere Gesetzentwürfe einzubringen. Hier beantwortet sich auch die Frage nach den Alternativen der Opposition. Die Alternativen beschränken sich nicht darauf, 20 Millionen oder 200 Millionen DM da oder dort in einer Etatposition zu verändern. Die Alternativen liegen vielmehr auf ganz anderen Gebieten. Zum Beispiel ist es eine der wesentlichen Aufgaben der Opposition, die Frage zu stellen, welche Bevölkerungsschichten eigentlich bei dieser steigenden Inflation bei uns im
Lande unter die Rader kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese besorgten Fragen lassen wir uns von niemandem verbieten.
Da ist z. B. die Frage, wie es eigentlich den Rentnern bei uns im Lande geht, wenn die Preissteigerungsrate nicht den Schnitt von 6,8 % hat, sondern wenn sie heute bereits bei 7,5 % liegt. Wir werden morgen darüber zu diskutieren haben, wie es die Regierung und die Koalition rechtfertigen wollen, gerade diesem Personenkreis, der von der Inflation am stärksten betroffen wird, jetzt wieder einen Teil der Vorteile der Rentenreform wegzunehmen, die man vor der Wahl gemeinsam beschlossen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Oder lassen Sie mich einen anderen Personenkreis erwähnen: die Kriegsopfer. Wir haben uns nicht abhalten lassen, hier einen Antrag zu stellen, der eine vorzeitige Anpassung der Kriegsopferrenten notwendig macht. Wir sind auch der Auffassung, daß wir, wenn diese Regierung die inflationäre Politik so weiterlaufen läßt, gezwungen sind, für solche sozial besonders schwachen Personenkreise etwas zu tun und dafür Initiativen zu entfalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Unter diesem Gesichtspunkt der inflationären Auswirkungen der Verhaltensweisen dieser Regierung steht auch die Frage: Wie zeichnet sich eigentlich in der mittelfristigen Finanzplanung das weitere Bild der Vorhaben dieser Regierung ab? Ich will Ihnen auch dazu einige Punkte vortragen. Wir haben uns gefragt: Was will die Regierung, was wollen die Koalitionsfraktionen für die Familien, besonders für die Familien mit mehreren Kindern tun? Wir haben uns auf diese Frage hin einmal die mittelfristige Finanzplanung angesehen. Das Ergebnis war äußerst überraschend. Sie finden in der mittelfristigen Finanzplanung im Vergleich zum Vorjahresansatz der Finanzplanung 1972 nicht etwa eine Steigerung der



Dr. Althammer
Ansätze für diesen besonders betroffenen Personenkreis. Sie finden eine Reduzierung der Mittel, die man für diesen Personenkreis aufwenden will. Und da stellen wir auch die Frage, wo hier eigentlich der soziale Aspekt einer Bundespolitik bleibt. Seien Sie versichert, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden es nicht bei der Frage allein belassen, wenn Sie die Entwicklung so weiterlaufen lassen, wie das in den letzten Jahren und Monaten geschehen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es gibt noch eine Reihe anderer Punkte. Z. B. haben wir uns auch gefragt: Was wird eigentlich mit dem Teil der Mieter, die als sozial besonders schutzbedürftig, Wohngeldempfänger sind? Wir stellen fest, daß durch die schon beanstandete nominelle Aufblähung der Einkommen, die in keinem Verhältnis zum realen Anwachsen der Einkommen steht, immer mehr sozial schwache Mieter aus den Förderungsrichtlinien herausfallen. Hier stellen wir uns auch die Frage: Wie soll ein solches Problem bewältigt werden? Wir sehen, daß die mittelfristige Finanzplanung keine Steigerung gegenüber dem Vorjahr vorsieht, keine gleichen Ansätze, sondern wiederum eine Reduzierung der Ansätze.

(Zuruf von der SPD: Sie wollten doch um 200 Millionen kürzen!)

Oder nehmen Sie den Bereich der Ausbildungsbeihilfen. Auch dort, wie auf der ganzen Linie, Reduzierung der Ansätze.
Was heißt das im Klartext gesprochen? Das heißt, daß man in den Bereichen, wo es um die sozial schwachen Schichten unserer Bevölkerung geht, nach dieser Finanzpolitik offenbar nicht in der Lage ist, das Notwendige zu tun. Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird die Opposition nicht mitmachen. Sie wird sich um diese Bevölkerungsschichten kümmern.
Die Inflationsentwicklung, die wir in den letzten Jahren erlebt haben, hat sich fortgepflanzt wie ein Krebsübel, und alle vordergründigen Triumphe, daß offenbar Schwarzmalereien nicht eingetroffen seien und daß man sich in keiner schwierigen Finanzlage befinde, sind doch nur darauf zurückzuführen, daß man von der Inflationsrate auch bei den Staatseinnahmen lebt.

(Abg. Dr. Erhard: Sehr richtig!)

Diese Dinge können nicht so weitergehen. Hier wird es eines Tages ein grausames Erwachen geben. Ich darf daran erinnern, was ein Mann, der in dieser Debatte gelegentlich schon einmal umgegangen ist, zu diesem Punkt gesagt hat, nämlich der frühere Wirtschaftsminister Karl Schiller. Er hat bei einem Vortrag in Kopenhagen vor internationalen Bankiers gesagt: „Inflation ist wie ein Rauschgift.

(Abg. Wehner: Ja, die Platte kennen wir!)

Man ist im ersten Moment high, aber das schreckliche Erwachen kommt." - Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Erwachen kommt.

(Abg. Wehner: Schöne Platte!)

Aber es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt, Herr Kollege Wehner. Wir sehen mit sehr großer Aufmerksamkeit, daß es gewisse Gruppen in Ihrer Partei gibt — Sie wissen, welche ich meine —, die sagen: Eigentlich ist diese Entwicklung ja gar nicht so schlecht; denn das führt dieses System — gemeint ist unser Staats- und Wirtschaftssystem — ad absurdum, und diese Entwicklung beweist, wie recht wir haben, wenn wir verlangen, daß an die Stelle einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung ein ganz anderes System tritt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Und genau an dem Punkt warnen wir, und wir sind dazu verpflichtet in der Verantwortung vor unserem Volk; denn wir von der CDU/CSU wollen uns nicht mitschuldig machen, wenn auf Grund solcher Versäumnisse diese Propagandathesen, daß dieses System überwunden werden müsse, laufend am Boden gewinnen, wie es bei Ihnen in der Partei der Fall ist, auch wenn Sie bei Ihrem nächsten Parteitag in Hannover so, wie Sie angekündigt haben, diese Dinge noch einmal vertuschen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0702708900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt (Berlin).

Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0702709000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir von der sozialdemokratischen Fraktion waren schon gespannt, wann der Punkt in der Haushaltsdebatte kommt, wo die Oppositionsredner, die für Sparen und Einschränkungen sind, von denen abgelöst werden, die für Mehrausgaben sind. Dieser Wendepunkt lag genau in der Person des Herrn Althammer. Er hat nach einigen Deklamationen daß stillzulegende Gelder vielleicht doch wieder mobilisiert werden, angefangen, Bevölkerungsgruppen aufzuzählen, die er noch zusätzlich zu bedenken wünscht, — aus welchen Fonds denn wohl anders als aus dem Bundeshaushalt? Er ging sogar so weit, die Kriegsopfer einzubeziehen, die in diesem Jahr eine Steigerung ihrer Bezüge um mehr als 10 % haben werden —, was notwendig ist. Damit wird sich ihre reale Lebenslage verbessern, trotz der Preissteigerungen, die wir haben.

(Zustimmung bei der SPD.)

Das bringt natürlich ein strukturelles Problem für diesen Haushalt: er hat sehr viele Aufwendungen für Einkommensübertragungen und nicht so starke Steigerungen für die Investitionen. Er muß das in dieser Gewichtung haben, weil wegen der starken Preissteigerungen ein großer Teil der Bevölkerung, der auf Renten, Unterstützungen und Förderungsmaßnahmen angewiesen ist, vor dieser Preissteigerung geschützt werden muß.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Nur widerspricht es Ihren großen Worten über die Reformen!)

Außerdem müssen gewisse Gesamtansätze eingehalten werden, worauf auch Sie Wert legen, selbstverständlich. Reform kann auf die Art und Weise in



Dr. Arndt (Berlin)

einer Welt der Instabilität nur schrittweite vorangeführt werden, nicht ruckweise.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Jetzt geht es aber zurück!)

— Es geht nicht zurück. Die Investitionen werden 1973 höher sein als 1972. Da ist kein Zweifel. Sie gehen nicht in dem Tempo voran, das wir und, ich nehme an, auch die Regierung gern sähen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Sie gehen real zurück!)

Das ist Rücksichtnahme auf das Ziel, das Ihre Redner von heute vormittag bis heute nachmittag gefordert haben: Stabilität.
Herr Althammer hat am Anfang seiner Ausführungen gefragt: wo geht die Reise hin in der SPD? Dr. Barzel hat am Morgen in seiner Rede im Anfang gefragt: wohin geht die Reise in der Bundesrepublik Deutschland? Man kann natürlich auch fragen: wohin geht die Reise in der Welt? Ich kann nur sagen: ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wo die Welt, in der wir uns bewegen, in Europa, im Atlantischen Bündnis, in unserem Verhältnis zur Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten, in zehn Jahren oder auch nur in fünf Jahren sein wird.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Funcke.)

Ich weiß nicht einmal rückblickend, ob die Welt in den letzten zehn Jahren politisch stabiler geworden ist. Was haben wir Anfang der Fünfziger Jahre für Hoffnungen gehabt im Blick auf die Entwicklungsländer: daß es doch möglich sein würde, ein großes Maß an Demokratie dort zu verankern. War nicht ein großer Teil der Hilfsbemühungen und Unterstützungen diesem Punkt gewidmet? Was ist von diesen Hoffnungen übriggeblieben? Sicherlich, es gibt leuchtende Beispiele wie Indien. Da gab es aber auch eine politische Führung, Nehru. In den anderen Entwicklungsländern, in den meisten, hat es sich nicht so entwickelt, wie wir das gedacht hatten. Wer dachte ziemlich genau vor zehn Jahren an Griechenland, wer dachte vor zehn Jahren daran, daß sich Portugal in einen unseligen Krieg verwickeln lassen würde, der selbstverständlich auch wiederum auf die internen politischen Strukturen dieses Landes zurückwirkt, wer dachte an Nordirland, wer dachte an Kroatien, an die neuesten Vorgänge um die Zeitschrift „Praxis" und ihre Autoren?
In dieser Welt haben wir uns zu bewegen. Ganz sicherlich ist Ihre Form Stillstand, Verharren und Nein zu jedem neuen Schritt, zu jeder neuen Öffnung, nicht die richtige Politik.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

— Es ist nicht die richtige Politik, denn wir werden uns mit dieser Welt zusammen zu bewegen haben, zwar in vorsichtiger Abschätzung der Risiken, aber in Entwicklung, nicht mit Stehenbleiben. Denn Freiheit und Frieden — das sind die Ziele, um die es uns geht — können wir nicht bewahren, indem wir nur in den Startlöchern sitzenbleiben, die Sie sich
einmal gegraben haben und aus denen Sie während Ihrer Regierungszeit nie herausgekommen sind.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Unsere Regierungen konnten sich noch sehen lassen!)

- Nein, nein. Europa ist in den letzten Jahren gestärkt worden. Die EWG hat sich erweitert. Es gibt einen europäischen Währungsfonds; er wird Kornpetenzen haben, und er wird mehr und mehr Kompetenzen bekommen.

(Abg. Damm: Wir waren doch nicht dagegen!)

Wir haben in diesem Lande zwar wie in anderen europäischen Ländern keine Preisstabilität; aber wir haben hier politische Stabilität. Ich bin dem Kanzler dieser Regierung und allen denen draußen im Lande
— Gewerkschaften, Verbänden und Parteien —, die das möglich gemacht haben und immer noch möglich machen, dafür dankbar.

(Abg. Strauß: Das ist ja ein Witz!) Wir lassen uns doch von Ihnen


(Abg. Dr. Müller-Hermann: Davon wollen Sie die Opposition ausnehmen?)

— Herr Müller-Hermann, Sie sind einer von denen, die gestern in der Verantwortung standen, das stimmt — nicht in eine Position manövrieren, wo wir das Vertrauenskapital der Bevölkerung, die weiß, daß diese Welt nicht vollkommen ist und daß wir mit anderen zu leben haben, durch unbedachte Maßnahmen aufs Spiel setzen.

(Beifall bei der SPD.)

„Einen Stabilitätspakt zu schließen", das schreibt sich leicht in einem Gutachten. Doch wie kann man nach der Art der Wahlpropaganda, die wir im vorigen Herbst erlebt haben, die sicherlich nicht auf die Initiative von Unternehmerverbänden zurückzuführen ist, aber von der sie sich auch nicht distanziert haben, von „Pakt" reden?
Die Lohnabschlüsse Anfang dieses Jahres mit rund 8,5 % sind stabilitäts- und kostengerechter gewesen als alles, was in anderen europäischen Ländern passiert ist, und zwar in Ländern mit und ohne Preisstopp, in Ländern mit und ohne Lohnstopp, in Ländern auch mit ganz unterschiedlicher politischer Freiheit. Denn der Freiheitsgrad in der Bundesrepublik Deutschland ist sehr, sehr hoch,

(Abg. Leicht: Noch!)

und zwar nicht nur hier im Parlament; das ist selbstverständlich. Sprechen Sie einmal mit Journalisten darüber, wie spärlich der Informationsfluß in Paris, selbst in London gegenüber dem ist, was sie hier an Nachrichten bekommen können. Das können Sie doch nicht mit Begriffen wie „Nachzensur" und „Vorzensur" wegwischen. Da liegt doch nicht das Problem der Pressesteuerung.
Wogegen sich die Regierung und auch die sozialdemokratische Fraktion wenden, ist eine Selbststeuerung, die weniger Eigensteuerung der Journalisten als vielmehr einiger weniger, vielleicht auch nur eines Verlegers ist. Das muß man korrigieren, auch wenn es der SPD im letzten Wahl-



Dr. Arndt (Berlin)

kampf sicherlich genutzt hat, von dem großen Zeitungstrust frontal angegriffen zu werden.
Preisstabilität in eine von vielen Bedingungen für die politische Stabilität, die wir haben. Wir sind in den letzten Wochen hier ein Stück weitergekommen. Die jüngste Währungspolitik hat eine neue Aktionsbasis eröffnet. Der Bundesfinanzminister hat das wiederholt betont. Wenn es in den nächsten Monaten zu keiner künstlichen Stützung des Dollars kommt, wird die Geldpolitik greifen, wird eine Basis für die Stabilisierung der Preise geschaffen werden. Es ist auch gut für die USA, wenn eine künstliche Stützung des Dollars unterbleibt. Das fördert die Gesundung dort wie bei uns. Wir haben in diesem Fall Interessenidentität mit einem Land, das die Folgen eines Krieges zu überwinden hat, der sehr grausam und ressourcenverschlingend war. Um zwei bis zweieinhalb Millionen Menschen sind in den letzten vier Jahren in den USA die Streitkräfte und die Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie vermindert worden; sie waren dort vorher zusätzlich eingeschleust worden. Diese Zahl macht 3 % des Beschäftigtenpotentials aus, eine Größenordnung, die ausgereicht hat, um Amerika und mit Amerika die Welt in die Inflation zu führen.
Nun zu Europa. Ich glaube, das Block- oder Flottenfloating wird funktionieren, weil es nicht einfach ist, aus ihm auszusteigen. Wer nämlich angesichts eines drohenden Dollaransturms aussteigt und nicht gleich den englischen oder italienischen Weg des Alleingangs wählt, wird die gesamten Probleme auf sich vereinigen. Ich vermute, daß der Block halten wird und sich auch auf Italien, England und Irland ausdehnen wird.
Die Bundesregierung hatte im vorigen Jahr auf Verlangen ,der Bundesbank sowie auf Wunsch europäischer Partner, wenn auch nicht aller europäischen Partner, zu zeigen, daß sie bereit ist, auf Devisenmärkten Kontrollen anzuwenden. Sie hat diese Bereitschaft gezeigt. Sie hat auch die Grenzen der Kontrollen offengelegt, wie sich auch die Grenzen der Kontrollen in den Ländern zeigten, in denen sie angeblich besser funktionieren. Das liegt hinter uns. Was wir jetzt erreicht haben, ist eine Steuerung der Devisenmärkte über den Preis. Jede Devisenspekulation bleibt allein privates Risiko. Für den Dollar gibt es das sichere Netz, das die Stützung des Devisenkurses durch die Zentralbanken darstellte, nicht mehr.
Diese beiden Punkte, nämlich die europäische Währungspolitik — der Fonds wird ausgedehnt werden; er wird mehr Befugnisse bekommen — und das Nichtintervenieren nach außen, werden die Hauptlast der Stabilisierung tragen, und zwar erstmalig auf längere Zeit, nicht nur — wie 1971 — auf ein halbes Jahr. Das wird Bedingungen dafür schaffen, daß die Finanzpolitik und die Geldpolitik der Bundesbank wieder greifen. Diese Bedingung war in den letzten Jahren außer Kraft gesetzt. Das haben Sie in der Opposition nie gesehen; das haben Sie nie sehen wollen. Sie haben in der Frage der
Währungspolitik nie eindeutig ja gesagt. Man hat ein eindeutiges Nein von einigen von Ihnen gehört. Selbst Herr Stoltenberg hat sich, als er hier noch im Bundestag unter uns saß, in dieser Frage immer lavierend, immer abwartend verhalten. Die Bundesregierung hat dies nicht getan und die sie stützenden Fraktionen der FDP und der SPD auch nicht.
Deswegen ist es mir noch gar nicht so sicher, ob es zu der vielzitierten Gewinnexplosion in der zweiten Hälfte des Jahres kommen wird. Das ist gar nicht so sicher. Viel sicherer ist, daß Währungspolitik ihre Bremswirkung selbst auf die zur Zeit sehr starke Konjunktur ausübt. Gleichzeitig verstärkt dieselbe Währungspolitik die amerikanischen Chancen, wieder zu einer gesunden Handelsbilanz zu kommen. Auch das wird sich in unseren Exporten und Importen — nicht nur bei uns, sondern auch im übrigen Europa — bemerkbar machen.
Die Frage, ob das Haushaltsvolumen nun 9 1/2 % mehr gegenüber dem Ist oder 10 1/2% mehr gegenüber dem Soll beträgt, ist zur Zeit sekundär, weil die wahren stabilitäts- und politischen Entscheidungen unter Mitwirkung dieser Regierung und in engstem Zusammenwirken der Regierungen der Vereinigten Staaten, Japans und der anderen europäischen Länder vor einigen Wochen gefallen sind. Jetzt kommt es nur darauf an, Nerven zu behalten.

(Abg. Dr. Althammer: Das hören wir seit vier Jahren!)

— Jetzt wird von mir keine Alternative verlangt, sondern nur eines, Herr Althammer: Behalten Sie dabei bitte auch die Nerven, und drängen Sie bei Veränderungen des Dollarkurses nicht gleich wieder auf Hilfsmaßnahmen für diese oder jene Industrie, für diese oder jene Region!

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das hat man von uns nicht gehört!)

Dieses Jahr muß mit 120 Milliarden DM im Bundeshaushalt so durchgestanden werden,

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Wir wollen mal sehen, was am Ende herauskommt!)

und mit adäquaten Länderhaushalten und mit dem steuerpolitischen Programm, das unter diesen Bedingungen ebenfalls seine Bremswirkung haben wird.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702709100
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Althammer?

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0702709200
Herr Kollege Arndt., gilt Ihre Aussage, daß das so durchgestanden werden muß und für keine Industriegruppe etwas getan werden darf, auch für den Bereich der Kohle?

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Oder auch für die Bahn?! — Abg. Leicht: Oder auch für die Werften?! — Abg. Dr. Barzel: Oder auch für die Post?!)





Dr. Klaus Dieter Arndt (SPD):
Rede ID: ID0702709300
Ich glaube, daß Kohle und Bahn im Bundeshaushalt mit entsprechenden Ansätzen versehen sind.

(Abg. Dr. Barzel: „Ich glaube" !) — Also, sie sind ganz schön erhöht worden.


(Abg. Dr. Müller-Hermann: Reicht alles nicht!)

Ich würde nicht darum ersuchen, daß Sie da noch Erhöhungsanträge stellen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Wir nicht!)

Für mein Gefühl ist die Dotierung in beiden Bereichen durchaus ordentlich.

(Abg. Lemmrich: Nur reicht sie nicht aus!)

Dieses Jahr muß unter den neuen Bedingungen durchgestanden werden. Dann werden wir bei uns und auch in Europa der Preisstabilität näherkommen.

(Abg. Dr. Barzel: Wann?)

Denn in einem haben Sie recht: Deutschland ist innerhalb Europas wirtschaftlich stark genug, um einen guten Einfluß auf die Entwicklung der anderen Länder auszuüben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Aber es ist auch mit Europa zusammen nicht stark genug, den Dollar durchzuschleppen. Das war nicht zu schaffen. Es wäre auch nicht zu schaffen, den Rubel durchzuschleppen. Da sind wir überfordert.
Jetzt sollten Sie ein bißchen Solidarität mit der Regierung und ein bißchen Unterstützung für die Zentralbanken Europas zeigen, um eine knappe Geldpolitik durchsetzen zu können. Dann kann man über die Finanzpolitik als Mittel der Feinsteuerung für das nächste Jahr erneut reden. In diesem Jahr ist außer der Beachtung der globalen Richtsätze nicht viel an Zusätzlichem zu schaffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702709400
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0702709500
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine solche Bundestagsdebatte erweckt doch eine befremdliche Atmosphäre. Ich denke daran, daß die Kollegen Haehser, Althammer und ich noch vor drei Stunden recht friedlich bei einem Rundfunkinterview gesessen haben und daß nun alles, was Sie, Herr Althammer, hier vorbrachten — es waren eigentlich dieselben Fragen —, sehr viel kriegerischer klang.

(Abg. Dr. Althammer: Ja, da war eben der Minister Schmidt dazwischen!)

— Darauf will ich gerade zu sprechen kommen, Herr Althammer.
Sie haben dem Herrn Minister Schmidt Überheblichkeit gegenüber dem Herrn Ministerpräsidenten Stoltenberg vorgeworfen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Lambsdorff, haben nicht auch Sie das so empfunden?)

und anschließend haben Sie versucht, Zwischenfrager nach Qualifikation zuzulassen. Ich weiß nicht, ob das zusammenpaßt.

(Abg. Leicht: Ausdrücklich nicht hat er das gemacht!)

— Er hat ausdrücklich erklärt, er werde Zwischenfragen nur zulassen, — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat gesagt, er wolle es nicht so machen wie Haehser! — Abg. Rawe: Sie haben das falsch verstanden! Er hat es genau anders gesagt!)

- Um so besser.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Die Arroganz meines Freundes Schmidt stinkt doch wirklich zum Himmel!)

-- Da müssen Sie sich bitte mit Ihrem Freund Schmidt unterhalten, Herr Müller-Hermann, was zum Himmel stinkt und was nicht. Hier geht es um Herrn Kollegen Althammer.

(Beifall und Zurufe von der CDU/CSU.)

- Ich nehme mit Vergnügen zur Kenntnis, daß die Klasseneinteilung der Abgeordneten nicht vorgenommen wird.

(Abg. Dr. Althammer: Lesen sie es nach! — Abg. Rawe: Gut, daß Sie es auch so empfunden haben wie wir, daß der Schmidt unerträglich ist!)

— Und ob Herr Schmidt unerträglich ist, — daß er Ihnen unerträglich zu sein scheint, das verstehe ich durchaus. Uns ist er nicht unerträglich.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rawe: Ihnen war er doch auch unerträglich! Das konnte man Ihnen doch ansehen!)

- Vielleicht war uns auch der eine oder andere von Ihnen früher einmal erträglich und ist uns jetzt unerträglich. Das geht doch so vor sich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das eröffnet Einiges!)

Wir haben von dem Kollegen Barzel erneut gehört, daß wir die Inflation nicht ernst nähmen, und dann kommt man immer wieder — entschuldigen Sie, es ist doch der Schnee von gestern — auf die Vorschläge des Jahres 1969 zurück, die nicht aufgegriffen worden sind, sondern im Gegenteil draußen boshaft denunziert und gegen die Vorschlagenden ausgeschlachtet worden sind. Darf ich Sie fragen, meine Damen und Herren von der Opposition, was Sie denn eigentlich mit dem Stabilitätspaket veranstalten, das wir hier vorgeschlagen haben? Sie tun doch draußen auch nichts anderes, als fortgesetzt im Lande zu verbreiten, wir wollten den kleinen Mann unnötig belasten und wollten ungerechte Steuerpolitik betreiben.

(Abg. Rawe: Das meint Ihr Kollege Ollesch doch auch! — Zuruf von der CDU/CSU: Das tun Sie ja!)

— Das tun wir nicht. Wir haben uns durchaus bemüht — und darüber haben wir in diesem Haus



Dr. Graf Lambsdorff
schon mehrfach gesprochen —, eine, soweit Gerechtigkeit erreichbar und möglich ist, möglichst gerechte Verteilung dieser Steuerlasten vorzunehmen.
Herr Kollege Arndt hat in seinem sehr anhörenswerten Beitrag eben gesagt: Alternativen sind nicht gefragt. Aber, Herr Arndt, Sie haben auch gesagt: Natürlich muß das Steuerpaket in diesen Vorstellungen des Jahres 1973 drin sein, und wenn es uns schlichtweg gestrichen werden soll, muß uns gesagt werden, was an dessen Stelle kommen soll. Hiergegen, Herr Ministerpräsident Stoltenberg, richtet sich meine Kritik. Hiergegen wenden wir uns beim Verhalten des Bundesrates in dieser Frage und gegen nichts anderes.
Heute morgen ist mir hier im Plenum mit etwas Gelächter erwidert worden, als ich sagte: Die Gegenvorschläge des Bundesrates sind keine Alternative; die können sich doch in der Wirkung mit dem, was wir vorgeschlagen haben, in gar keiner Weise vergleichen. Sie kennen das, Herr Ministerpräsident Stoltenberg. Es ist von a) bis e) in der Stellungnahme des Bundesrates aufgeführt worden: die Streichung der Schuldzinsen als Sonderausgaben wird abgelehnt; die in Art. 1 vorgesehene Einschränkung der degressiven Abschreibung ist von geringer Bedeutung und ist zu überprüfen, mit anderen Worten: nach Möglichkeit wollen wir sie ebenfalls ablehnen

(Ministerpräsident Dr. Stoltenberg: Nein!)

— gut, um so besser —; die Einschränkung und Veränderung der Förderung nach dem Investitionszulagengesetz wird abgelehnt.
Ja, meine Damen und Herren, hier tun die Länder doch genau das, was wir jedermann in diesem Lande vorwerfen, nämlich sich zu beschweren, wenn Stabilitätspolitik irgendwo angefangen wird und zu seinen Lasten geht. Es ist nicht denkbar, Herr Stoltenberg, daß wir Stabilitätspolitik betreiben, ohne jemandem weh zu tun, auch ohne irgendwelchen Ländern weh zu tun. Dies ist nicht möglich, und das muß in Kauf genommen werden.
Gegen die Stabilitätsabgabe bestehen Bedenken verfassungsrechtlicher Art. Das ist das, was ich heute morgen mit dem Stichwort gekennzeichnet habe: mit 5 O/o sind wir dabei. Was dann übrig bleibt, ist die vorgezogene Umstellung der Kraftfahrzeugsteuer. Meine Damen und Herren, so wesentlich das ist: Die Frage, ob wir eine oder drei Plaketten an die Windschutzscheibe kleben, kann doch nun wirklich nicht von stabilitätspolitisch entscheidender Bedeutung sein. Das kann doch nicht die Alternative sein, die wir brauchen, wenn Sie uns die anderen Vorschläge vom Tisch wischen.

(Beifall bei der FDP.)

Nur das, Herr Stoltenberg, ist unser Problem, und nur das ist die Kritik am Bundesrat. Ich akzeptiere allerdings, wenn Sie sagen, ihr sitzt in der Zwickmühle. Aber in der Zwickmühle sitzen Sie auch. Wir sitzen alle in der Zwickmühle, und wir können uns daraus nicht einfach herausdrücken indem wir gegenseitig sagen: du sitzt drin, ich nicht, und das immer hin und her.
Der Herr Bundesfinanzminister Schmidt hat mich noch einmal auf meine Bemerkungen zum Bankensystem angesprochen. Ich glaube erstens, es gibt in diesem Hause kaum jemand — darf ich das einmal in unbescheidener Weise so formulieren —, der sich von dieser Stelle aus mehrmals deutlicher gegen die Brauereifusionen und die Beteiligung der Banken daran gewandt hat. Dazu stehe ich. Das braucht mir nicht erneut vorgehalten zu werden.
Zum zweiten: Wer in der Lage ist, uns einen praktikablen und brauchbaren Vorschlag zu machen, der das Depotstimmrecht ersetzt, hat sofort unsere Zustimmung. Nur darüber zu reden, um es immer als Popanz dort hängen zu lassen, immer darauf einschlagen zu können, ohne die Lösung vorzuschlagen, ohne uns zu sagen, wie man das besser machen soll, kann man zwar über Jahre hinweg tun, daran kann man sich ereifern, aber es hilft im Endeffekt natürlich nichts. Das Depotstimmrecht kann mit unserer Unterstützung jeden Tag abgeschafft werden, wenn es etwas Besseres an dessen Stelle gibt.
Noch einige Wort zu dem, was heute von Herrn Strauß mit Zwischenfragen noch einmal gesagt worden ist. Erstens: Herr Kollege Strauß hat erklärt, bei der Stabilitätsabgabe müßten die Freigrenzen nur weiter nach unten gesetzt werden: also ein Konjunkturzuschlag mit hoher Freigrenze; finanztechnisch ist das kein Unterschied, verfassungsrechtlich sicherlich, das ist völlig klar.
Er hat darauf hingewiesen, daß die Steuer überwälzbar sei. Darin stimme ich ihm zu. Ich bin der Meinung, daß auch die direkten Steuern überwälzbar sind, wenn die Marktlage das hergibt. Deswegen ist es das schlechteste Argument gegen die Mineralölsteuer, immer wieder zu sagen, sie sei überwälzbar und deswegen so besonders schlimm. Es gibt — ich wiederhole das außer der Kirchensteuer überhaupt keine Steuer, die nicht überwälzbar wäre, wenn die Marktsituation das erlaubt.

(Abg. Dr. Häfele: Selbst die wird überwälzt!)

— Selbst die wird überwälzt und kann überwälzt werden. Auch da möchte ich Ihnen zustimmen.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Die verursacht Kosten, und wird natürlich weitergegeben!)

— Selbstverständlich verursacht sie Kosten. Aber die andere verursacht auch Kosten; denn ob sie das Kosten nennen oder ob Sie brutto kalkulieren und die Körperschaft- und Einkommensteuer auf diese Weise weitergeben, im Endeffekt, im Preis unter dem Strich, ist das alles dasselbe. Ich wiederhole: Es ist das unbrauchbarste Argument gegen die Mineralölsteuer, ihr die Überwälzbarkeit vorzuwerfen.
Zweitens. Herr Strauß hat gestern noch einmal davon gesprochen — ich möchte darauf zurückkommen —, wir hätten die Stabilitätsanleihe mit einem Inflationszinssatz ausgestattet. Das klingt natürlich eindrucksvoll. Wir haben sie mit einem marktgerechten Zinssatz ausgestattet. Nun können Sie sagen: Die marktgerechten Zinssätze sind infla-



Dr. Graf Lambsdorff
tionsbedingt. Ich will ihm sogar in gewissem Umfang zustimmen; denn von dem Satz für Verzugszinsen des BGB aus dem Jahre 1900 mit 4 % und dem landesüblichen Zinsfuß von 6 % noch vor 20 Jahren sind wir heute bei einer Effektivverzinsung von zirka 8 bis 8 1/2 % gelandet.
Aber die Negativrechnung der Verzinsung, die Herr Strauß wieder, wie ich meine — es ist schade, daß er nicht da ist; ich hätte ihm das natürlich lieber selber gesagt -- etwas equilibristisch, wie so oft — er zaubert ja die Zahlen wie das Kaninchen aus dem Hut , aufgemacht hat, ist ohne jede Berücksichtigung der Tatsache gemacht worden, daß die Kreise, denen wir diese Anleihe verkaufen wollen und verkauft haben, über Freibeträge für Zinseinnahmen, über Freibeträge für Vermögenserträge verfügen. Sie lassen diese steuerliche Berechnung nicht richtig sein. Das muß man sehen. Das sollte deutlich gesagt werden.
Wenn diese Rechnung stimmt, fragt man sich natürlich im übrigen, wie denn überhaupt noch jemand in diesem Lande einen Pfandbrief oder eine Anleihe des Bundes, der Länder oder von wem auch immer kaufen könnte.

(Abg. Leicht: Freibeträge hätten sie aber auch bei stabilen Verhältnissen!)

— Das ist ohne Zweifel richtig. Natürlich hätten sie das, Herr Leicht. Wer wollte das bestreiten?
Ein letztes Wort zum Thema Antiamerikanismen. Wir sind uns ja einig in der Verurteilung solcher Entgleisungen. Ich möchte eine solche Entgleisung hier mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren. Ich zitiere aus der Zeitschrift „Bayerisches landwirtschaftliches Wochenblatt" :
Jetzt haben die Amerikaner die Katze endgültig aus dem Sack gelassen. Sie wollen die gewaltigen Subventionen an die vier Millionen Farmer ihres Landes loswerden, auf Kosten der europäischen Landwirte. Wovor BBV-Präsident von Feury
ehemaliger bayerischer Landtagsabgeordneter
immer wieder gewarnt hat, das steht jetzt vor der Tür. Die USA, die ohnehin auf allen Gebieten den wilden Mann spielen, haben ihre Absicht bekanntgegeben, ihre Agrarpolitik total zu reformieren.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole noch einmal: wir sind uns in der Verurteilung solcher Entgleisungen einig.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702709600
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0702709700
Aber bitte!

Dr. Walter Althammer (CSU):
Rede ID: ID0702709800
Herr Kollege Lambsdorff, sind Sie mit mir nicht auch der Meinung, daß es qualitativ ein entscheidender Unterschied ist, ob die Fragen der Subventionspolitik der Landwirtschaft hier in Europa und USA erörtert werden oder ob es um die konkrete Forderung nach Abzug amerikanischer Truppen aus Deutschland und Europa geht?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0702709900
Herr Kollege Althammer, der Ton macht die Musik. Die von Ihnen und vorhin von anderen beklagte und gerügte Überheblichkeit macht die Musik.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702710000
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0702710100
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß vorgestern auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Deutschen Bauernverbandes der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Freiherr von Heereman erklärt hat, daß diese Frage für die deutsche Landwirtschaft und die amerikanische Wirtschafts- und Handelspolitik schwierig sei, er damit aber keineswegs in die Gesänge einfallen wolle, die andererseits gegen den Abzug der Amerikaner hetzen; denn so hat er gesagt — wir brauchen die Amerikaner zur Erhaltung unserer Sicherheit. Wenn wir unsere Sicherheit nicht halten, brauchen wir uns über Wirtschaftspolitik nicht mehr zu unterhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID0702710200
Ich schließe aus dieser Frage — wenn es eine war —, daß Freiherr von Heereman klüger ist als der bayerische Bauernverbandsvorsitzende, Ihr Parteifreund, der Baron von Feury.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, mir geht es hier darum festzustellen: wir sind uns einig, solche Entgleisungen zu verurteilen. Ich wehre mich nur dagegen, daß hier jemand als Generalankläger auftritt und dabei vergißt, vor der eigenen, in diesem Fall bayerischen, Haustür zu kehren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702710300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfele.

Dr. Hansjörg Häfele (CDU):
Rede ID: ID0702710400
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eingangs eine Bemerkung zum Stil dieser Debatte. Ich habe diese Debatte von der ersten Stunde bis jetzt aufmerksam verfolgt. Es ist selbstverständlich — es wäre schlimm, wenn es anders wäre - , daß in diesem Hause auch polemische Spritzer ausgeteilt werden und daß vielleicht manchmal sogar die Grenze überschritten wird. Das wissen wir alle, das geschieht in der Hitze des Gefechts.
Ich habe aber jeden Auftritt des Herrn Bundesfinanzministers aus nächster Nähe beobachtet. Ich muß Ihnen — lassen Sie mich das ganz ruhig und unpolemisch sagen — gestehen: ich bin erschrocken, daß dieser amtierende Finanzminister im Grunde hier nicht nur keinen einzigen Gedankengang ohne



Dr. Häfele
Polemik, sondern auch keinen einzigen Gedankengang ohne Herabsetzung — auf die deftigste und billigste Weise, deren er nur fähig ist — äußern kann. Ich muß Ihnen ganz offen sagen: bei allem Versuch — ich versuche das im Finanzausschuß wirklich über die Parteien hinweg —, sachlich zu arbeiten: Sie brauchen sich nicht zu wundern, daß unser Vertrauen nicht sehr groß sein kann, wenn das alles in dieser Zeit, wodurch die zunehmende Inflation die Finanzprobleme in ein verheerendes Ausmaß in den nächsten Jahren annehmen könnten, in der Hand eines solchen Ministers liegt, und daß wir große Zweifel haben, ob dieser Mann der rechte Mann ist, um mit ruhiger Hand die Verantwortung für die deutschen Finanzen zu tragen. Darüber brauchen Sie sich nicht zu wundern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun einige Bemerkungen für meine Fraktion zur Frage der Mineralölsteuererhöhung. Sie werden nicht erwarten, daß die Opposition die Mitverantwortung für diese Mineralölsteuererhöhung übernimmt.

(Zuruf von der SPD: Im vorigen Jahr schon!)

Aus welchen Gründen? Die Erhöhung der Mineralölsteuer um 5 Pfennig bedeutet in der Wirklichkeit, daß je Liter Benzin wegen der Mehrwertsteuer mindestens eine Preiserhöhung von 5,6 Pfennig stattfinden wird. Erfahrungsgemäß sind es in der Praxis noch mehr, weil in Zeiten steigender Preise eine solche Steuererhöhung zum Anlaß genommen wird, andere Kostenerhöhungen bei dieser Gelegenheit mit hineinzukalkulieren. Wegen dieser preistreibenden Wirkung halten wir in diesem Augenblick eine Mineralölsteuererhöhung für verfehlt.
Es handelt sich also nicht darum, meine Damen und Herren, daß wir etwa die Stabilitätspolitik blockierten, sondern wir wollen weitere, zusätzliche Preissteigerungen blockieren. Die Regierung behauptet ja auch, daß das der Sinn ihres Pakets sei. Da helfen alle Versuche aus dem Regierungslager, die in den letzten Wochen gemacht wurden, nicht, auch die Mineralölsteuererhöhung irgendwie doch noch stabilitätspolitisch zu verbrämen. Diese Versuche können nicht gelingen, weil die unmittelbare Preissteigerung die Wirkung ist.
Es geht sogar noch weiter. Eine Benzinpreiserhöhung, die fast jeden in Deutschland trifft, kann wegen der Signalwirkung, die sie eben für jedermann hat, eine zusätzliche Wirkung haben, so daß die Inflationsmentalität, die ja leider ohnedies schon da ist, dadurch gestärkt und noch eine zusätzliche Preissteigerung in Gang gebracht wird. Soweit die Erhöhung in die gewerblichen Kosten hineinkalkuliert wird, wird sie natürlich überwälzt, in Zeiten steigender Preise sowieso, so daß die breitesten Schichten praktisch doppelt von dieser Steuererhöhung betroffen sind.
Diese Gesichtspunkte halten wir für bedeutsamer als die an sich erwünschte Verminderung der öffentlichen Kreditaufnahme, die wir natürlich möglichst auch haben wollen, die aber durch eine Gesamtstabilitätspolitik erreicht werden muß, welche die Dinge nicht bloß so halb angeht, wie es die Regierung getan hat.
Ich weise darauf hin, daß nach allem, was man hört, die letzten Steuerschätzungen von Ende Februar voraussichtlich die inflationsbedingten Steuermehreingänge noch nicht berücksichtigen, so daß schon unter diesem Gesichtspunkt die Kreditaufnahme in diesem Jahr vermindert werden kann.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Wir halten die Entwicklung, in welche die Bundesregierung durch alljährlich neue Steuererhöhungen hineinkommt, für gefährlich. Ich erinnere daran, daß vor einem Jahr schon u. a. die Mineralölsteuer erhöht wurde. Im Jahre 1973 wird sie wieder erhöht. Bundesfinanzminister Schmidt hat in diesen Tagen angekündigt — wobei er den Bundesländern schon prophylaktisch den Sündenbock zugeschoben hat —, daß auch im nächsten Jahr wieder Steuererhöhungen kommen müßten. Es bahnt sich immer mehr an— und das ist eine ganz gefährliche Entwicklung, die Sie ernst nehmen sollten —, daß wir neben der unerfreulichen PreisLohn-Preis-Spirale eine zweite, nämlich eine PreisSteuer-Preis-Spirale, in Deutschland in steigendem Maße bekommen.
Nun wird gesagt, das Steuerpaket der Bundesregierung sei sozial, und aus diesem Grunde habe sie nicht zu dem anderen Mittel, das das Stabilitätsgesetz an sich vorsieht, gegriffen, sondern eben nur maßvoll — nachdem sie vorher die andere Abgabe für die „Großverdiener" beschlossen hat — diese Mineralölsteuererhöhung vorgenommen. Dazu ist vor allem zu sagen: Die Mineralölsteuererhöhung trifft jeden gleich. Ich darf die Zahlen zugrunde legen, die Herr Parlamentarischer Staatssekretär Porzner im Bundesrat am 23. März dieses Jahres angeführt hat. Danach wird der Halter eines Durchschnitts-Pkw, der im Jahr 15 000 km fährt und 12 1 verbraucht, durch diese Steuererhöhung um 8 DM je Monat beeinträchtigt. Das ist genau das gleiche, was ein 10%iger Konjunkturzuschlag ausmachen würde bei einem Verheirateten mit zwei Kindern und einem Monatseinkommen von 1095, also fast 1100 DM.
Nun ist es aber so: Die Mineralölsteuererhöhung trifft den einzelnen bei steigendem Einkommen relativ immer weniger, während sie bei geringerem Einkommen relativ immer härter trifft.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Es ist genau umgekehrt wie beim Konjunkturzuschlag, der die persönlichen Verhältnisse berücksichtigt und den man ja noch sozial so ausgestalten könnte, daß diese Berücksichtigung noch verstärkt wird. Ich frage nur: Wäre es nicht wirklich gerechter und vor allem ehrlicher gewesen, wenn die Regierung, statt den Anschein zu erwecken, sie habe aus sozialen Gründen die Mineralölsteuererhöhung vorgeschlagen, das andere Mittel, das das Stabilitätsgesetz vorsieht, sozial so abgefedert gewählt hätte, daß wirklich die persönlichen Verhältnisse in sozialer Weise hätten berücksichtigt werden können?



Dr. Häfele
Wir dürfen nicht übersehen, daß von diesen Steuererhöhungen nur diejenigen stärker getroffen werden, die mehr als 100 000 DM — bei Ledigen — oder mehr als 200 000 DM — bei Verheirateten — im Jahr verdienen, während alle anderen gleich belastet werden, und das heißt: immer weniger, je mehr sie verdienen.
Handelt es sich hier nicht in Wirklichkeit um ein Versteckspiel, etwa so, daß die Regierung denkt, angesichts der Inflationsmentalität der Bevölkerung würden Preiserhöhungen eher hingenommen als direkte Steuererhöhungen? Und die Mineralölsteuererhöhung wird von breitesten Schichten eben als eine Preiserhöhung und nicht als eine Steuererhöhung verstanden.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Das können auch nur Sie sagen!)

Es wird also durch die Hintertür das getan, was durch eine ehrlich direkte Steuererhöhung zu machen man nicht den Mut hatte.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das ist clever!)

Das ist Sozialoptik. Aber in Wirklichkeit ist es so, daß die breite Masse sogar härter getroffen wird.
Meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß das in der Politik gelegentlich unvermeidlich ist. Darüber wollen wir uns gar nicht hinwegreden. Aber dann soll man wenigstens den Mut haben, das zu sagen,

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

und nicht so tun, als spare man hier die kleinen Leute aus.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es gibt einen weiteren wichtigen Grund, aus dem wir diese Mineralölsteuererhöhung nicht mit verantworten können. Wir wissen alle, daß Steuererhöhungen bis zu einem gewissen Grade einer Steuerreform im Wege stehen können. Bei keiner Steuer gilt das so sehr wie bei der Mineralölsteuer. Überfällig ist seit Jahren die Kraftfahrzeugsteuerreform; das wissen alle. Und wir wissen alle, daß eine wirklich durchgreifende Kraftfahrzeugsteuerreform ganz gleich, wie man sie im einzelnen ausgestalten will — eine Manövriermasse bei der Mineralölsteuer nötig hat, damit dort eventuell ein Ausgleich geschaffen werden kann.
Aus diesem Grunde begrüßt die Fraktion der CDU/CSU die Initiative des Bundesrates, sich in bezug auf die Reform der Kraftfahrzeugsteuer an die Spitze zu setzen. Es ist im Grunde beschämend, daß der Bundesrat hier mehr Reformkraft bewiesen hat, als die Bundesregierung bei diesem drängend anstehenden Problem gezeigt hat. Und es ist für uns unverständlich, daß diese Haltung des Bundesrates dann noch als Obstruktionspolitik bezeichnet wird. Ich glaube, konstruktiver als dadurch, daß im Bundesrat eine konkrete Alternative in Form sogar eines Gesetzentwurfes vorgelegt wird, geht es nicht mehr.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese Reform der Kraftfahrzeugsteuer ist überfällig aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung, aber auch aus Gründen der Konstruktionsneutralität, des Umweltschutzes und der Verkehrssicherheit. Herr Minister Schmidt hat vorgestern in diesem Hause gute Worte zur Verwaltungsvereinfachung gesprochen. Er hat von der „Entfeinerung" der überkomplizierten Steuervorschriften gesprochen und dann gesagt:
Ein Staat, dessen Steuergesetze so kompliziert sind, daß er ihnen nicht mehr die volle Verwirklichung verschaffen kann, legt die Axt an die Wurzel des Vertrauens, das ihn trägt.
Goldene Worte! Er hat A gesagt, aber er hat nicht B folgen lassen. Hier bei der Kraftfahrzeugsteuer kann er beweisen, ob er das, was er selber gesagt hat, wirklich in die Tat umsetzen will. Hier ist eine Verwaltungsvereinfachung für den Steuerzahler und für die Finanzbeamten überfällig.
Die Kraftfahrzeugsteuer wird in der Praxis immer weniger entrichtet. Vor allem die häufigen Wohnsitzwechsler zahlen immer weniger die Kraftfahrzeugsteuer. 80 % der Vollziehungsbeamten sind heute damit beschäftigt, der Kraftfahrzeugsteuer nachzulaufen. Bei den Finanzämtern sind mehrere Stellen damit beschäftigt, die Datenverarbeitungsstellen, die Kraftfahrzeugsteuerstellen, die Vollstreckungsstellen, die Finanzkassen; damit beschäftigt sind aber auch die Zulassungsstellung bei den Landratsämtern und Gemeindeverwaltungen und schließlich die Polizei.
Der Entwurf des Bundesrates würde 2000 bis 3000 Bedienstete für andere dringende Aufgaben, die wir in der Finanzverwaltung haben, freisetzen. Wir wissen alle, daß die Lohnsteuerstellen und die Veranlagungsstellen überlastet sind. Gestern haben wir die Meldung bekommen, daß am Ende des Jahres 1972 nicht weniger als 4,9 Milliarden DM Steuerrückstände vorhanden waren — wegen der Überlastung der Finanzämter. Wir sind hier längst an einem Punkt angelangt, an dem man sagen kann: summum jus, summa injuria. Das ist genau das, was der Herr Minister mit seinen goldenen Worten gesagt hat, woraus er aber nicht die konkreten Schlußfolgerungen zieht. Wir brauchen schnellstens die Vereinfachung durch das Plaketten-Verfahren, wobei die Plakette an der Windschutzscheibe jedes Personenkraftwagens angebracht wird. Der Bundesrat geht von einer Basissteuer — diese muß natürlich aus sozialen Gründen möglichst niedrig sein — in Höhe von 150 DM aus, wobei eine Luxusbesteuerung ab 130 PS mit zwei Plaketten vorgesehen ist. Erforderlich ist ein Jahresbetrag, der aus sozialen Gründen niedrig angesetzt werden muß. Da dies so ist, brauchen wir bei der Mineralölsteuer die berühmte Manövriermasse; der Bundesrat rechnet mit 3,7 Pf.
Diese Reform, meine Damen und Herren, brauchen wir noch in diesem Jahr. Spätestens im nächsten Jahr muß diese Kraftfahrzeugsteuerreform in Kraft treten. Aus diesem Grunde ist es unverantwortlich, die Verfügungsmasse bei der Mineralölsteuer, die in Deutschland inzwischen ausgereizt ist,

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

durch eine Fünf-Pfennige-Erhöhung — mit der
Mehrwertsteuer sind es sogar, wie ich schon gesagt



Dr. Häfele
habe, 5,6 Pf — zu schmälern, anstatt das wenigstens mit einer Reform zu verbinden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Auch aus Gründen der Konstruktionsneutralität und der Verkehrssicherheit brauchen wir diese Reform. Denn alle Versuche, hier Klasseneinteilungen vorzunehmen — das sagen die Praktiker —, stimmen mit der Wirklichkeit nicht überein. Der Gedanke, daß die Luftverschmutzung und die Lärmerzeugung reduziert werden müssen, daß das Beschleunigungsvermögen und die Bergsteigefähigkeit aus Verkehrssicherheitsgründen gefördert werden müssen, verträgt im Grunde keine Klasseneinteilung.
Die Luxusbesteuerung ist vertretbar — das sagen die Praktiker —, weil hier die Überwachung, die Kontrolle, gerade noch funktionieren kann. Hier ist ein Reformfeld, auf dem man die „Lebensqualität" wirklich durch eine konkrete Reform verbessern kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun wird gesagt, daß es doch „unsozial" sei, eine Besteuerung nach nur zwei Klassen, wie es etwa der Bundesrat vorschlägt, oder gar eine Einheitssteuer, wie es verschiedene Verbände vorschlagen, vorzunehmen. Wir sind gern bereit, bei den Ausschußberatungen ein Hearing zu veranstalten, um die Fachverbände anzuhören. Wir sind für jede Lösung aufgeschlossen, die tatsächlich zu diesen positiven Zielen führt: zur Verwaltungsvereinfachung und zur Konstruktionsneutralität.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was die Höhe des Basissteuersatzes angeht, so kann man darüber reden. Auch kann man darüber reden, ob man für die Kleinwagen bis 1000 ccm etwa eine Übergangszeit einführen bzw. ob man das verantworten kann. Ferner kann man darüber reden, ob man statt nur zwei Luxusplaketten vielleicht sogar drei Luxusplaketten einführen kann. Alles das sind Dinge, über die man reden kann. Sicher aber ist, daß die Finanzbeamten und die Polizei uns sagen, daß die Vereinfachung aus Gründen der Überwachung sehr klar sein müsse, da sie sonst die Verantwortung nicht mehr übernehmen könnten. Dann aber wäre der Ungerechtigkeit wieder Tür und Tor geöffnet.
Lesen Sie einmal, meine Damen und Herren, die dringenden Forderungen des Bundes der Steuerbeamten! Lesen Sie einmal, was Herr Fredersdorf, was der Bund der Steuerzahler, was der ADAC, was die Autoindustrie, was sämtliche elf Finanzminister der Bundesländer in einem Schreiben vom 18. Dezember letzten Jahres an den Bundesfinanzminister zu dieser Frage sagen! Sie alle verlangen die Einführung der Einheitssteuer bei der Kraftfahrzeugsteuerreform.
Nun wird gesagt, daß dies gegenüber den Eigentümern von Kleinwagen ungerecht sei, weil diese in der Tat dann teilweise — das muß man sagen — mehr bezahlen müßten. Wie schaut die Wirklichkeit aus?
Man darf nicht übersehen, daß 70 % der Kleinwagen Zweitwagen, und nur 5 % der Erstwagen Kleinwagen sind. Ferner muß man wissen, daß nur 15% des Pkw-Bestandes Kleinwagen sind; ihre Quote ist erfreulicherweise rückläufig. Die Mehrbelastung bei den Kleinwagen beträgt im Einzelfall höchstens 7 DM im Monat. Bei den mittleren Wagen, also bei den Wagen mit über 1000 ccm, beträgt die Mehrbelastung weniger als 1 %. So beträgt sie etwa beim Kadett 0,6 %, beim VW 1200 0,4 %, beim VW 1302 0,3 %. Der absolute Betrag macht im Monat 2,80 DM oder weniger aus. Dabei muß man hinzufügen: je größer der Pkw ist, desto größer ist der Verbrauch auf 100 km, desto mehr Kilometer fährt er durchschnittlich im Jahr — das zeigt die Statistik —, so daß er auch in dieser Hinsicht mehr verbraucht.
Es ist zudem widerspruchsvoll, wenn die Regierung nun sagt, es sei unsozial, etwa die Basissteuer einzuführen; aber im gleichen Zeitpunkt sogar eine Mineralölsteuererhöhung ohne Reform um 5 Pf je Liter Benzin vorsieht. Hier gilt der Gedanke, daß es unsozial sein könnte, offensichtlich nicht. Auf jeden Fall verlangt eine durchgreifende Reform allenfalls 3,7 Pf; vielleicht kann man es auch so gestalten, daß es noch weniger sind.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas aus Ihrem Organ, aus dem „Vorwärts", Ausgabe vom 7. Oktober 1971, zitieren, wo er sich bei der Kraftfahrzeugsteuer mit Leidenschaft gegen eine Besteuerung nach PS in drei Klassen wendet, wie sie die Bundesregierung offensichtlich seit Jahren in ihrem Schoße auszubrüten versucht, ohne daß bisher etwas dabei herausgekommen ist. Es heißt dort:
Wer hier die soziale Frage aufwirft, stellt das Problem in die falsche Ecke. Es ist nämlich nicht „sozialer", über die Steuer untermotorisierte und weniger verkehrssichere Fahrzeuge zu fördern und damit indirekt die Unfallschreckensbilanz zu verschlechtern.
Was bleibt also? Die Suche nach einem verkehrsgerechten Steuersystem. Lebers „DreiKlassen-Recht der Pferdestärken" wird diesem Anspruch nicht gerecht.
Meine Damen und Herren oder, wenn Sie es gestatten, Genossinnen und Genossen, ich möchte Ihnen nur zurufen: Folgen Sie Ihrem „Vorwärts" und machen Sie eine Kraftfahrzeugsteuerreform! Dann dürfen Sie aber die Mineralölsteuer nicht um 5 Pfennig erhöhen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702710500
Das Wort hat der Abgeordnete Weber.

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702710600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten haben zu keiner Zeit geleugnet, daß die Mineralölsteuererhöhung jeden Burger, der Auto fährt, auch trifft. Wir scheuen uns aber nicht — und das ist der Unterschied —, das auch offen auszusprechen, während Sie hier so tun und an anderer Stelle anders reden.



Dr. Weber (Köln)

Herr Dr. Häfele, ich brauche gar nicht bis zu Zitaten aus den Jahren 1969 oder 1971 zurückzugehen. Herr Strauß hat am 21. Februar 1973, also vor gut einem Monat, im „ZDF-Magazin" erklärt, eine gewisse Erhöhung der Mineralölsteuer wäre durchaus vertretbar gewesen. Ihr Kollege, Herr Pieroth, hat in die gleiche Kerbe gehauen und gesagt, höhere Steuern könnten nötig sein, um notwendige Aufgaben des Staates zu finanzieren. Ihr Generalsekretär, Herr Kraske, hat das gleiche betont. Er hat gesagt: „Die CDU hat niemals grundsätzlich gegen Steuererhöhungen votiert." Daraus kann ich doch nur das Fazit ziehen: Steuererhöhungen, die von der sozialliberalen Koalition beschlossen werden, haben eine preistreibende Wirkung; Steuererhöhungen der CDU/CSU sind dagegen unbedenklich, wenn es ihr paßt.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/ CSU: So simpel ist es nicht!)

— Nun, ich kann auch ein anderes Zitat bringen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Zitate!)

Wenn Sie zur Mineralölsteuer aus Ihren eigenen Reihen zitiert haben wollen, so kann ich noch darauf hinweisen, daß doch Ihr Mitglied, der stellvertretende Vorsitzende der ÖTV, Herr Karl-Heinz Hoffmann, nach einem Gespräch mit dem Verkehrsminister seine volle Übereinstimmung mit der Verkehrspolitik der Bundesregierung betont und dann gesagt hat - so ist es aus dem CDU/CSU-Fraktionsbericht vom 14. März 1973 entnommen -:
Er begrüßt die Erhöhung der Mineralölsteuer um 5 Pfennig je Liter und wirft denjenigen, die dagegen protestieren, vor, sie würden nicht für die Interessen der Arbeitnehmer eintreten, sondern zeigten sich immer mehr als ein Sprachrohr bestimmter Industrieinteressen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702710700
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lemmrich? — Bitte!

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0702710800
Herr Kollege, haben Sie vielleicht auch den zweiten Satz des stellvertretenden ÖTV-Vorsitzenden gelesen, wo er nämlich sagt, das gelte nur für den Fall, daß diese Mittel dem öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung gestellt würden?

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702710900
Aber natürlich, ich lese das vor, was in Ihrem eigenen Informationsbericht erscheint, nicht mehr und nicht weniger, und darauf möchte ich Sie einmal festnageln. Bitte, Herr Pieroth!

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0702711000
Herr Kollege, da Sie mich schon zitiert haben, ich hätte gemeint, Steuererhöhungen seien notwendig, wenn der Staat sie brauche, möchte ich Sie fragen: können Sie mir sagen, was der Staat mit der Mineralölsteuererhöhung im Bereich des Straßenverkehrs mehr leisten wird?

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702711100
Natürlich, dazu komme ich.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Das wird ja interessant! — Abg. Rawe: Das müssen Sie uns aber deutlich machen! 700 Millionen DM im Haushaltsansatz weniger, und dann sagen Sie „mehr"! Das ist eine witzige Formulierung!)

Meine Damen und Herren, wir haben mit diesem Gesetzentwurf über die Mineralölsteuererhöhung keinen der Wähler draußen überrascht. Der sozialdemokratische Parteitag im November/Dezember 1971 hat dazu in aller Deutlichkeit gesagt, daß die Sozialdemokratische Partei wünscht, daß eine Mineralölsteuererhöhung bis zu 11 Pfennig erfolgt. Und jetzt bleiben wir, wenn wir die vom Jahr 1971 und die jetzige dazunehmen, sogar noch 2 Pfennig darunter.

(Abg. Rawe: Dann wissen wir wenigstens, was auf uns zukommt!)

Wir haben im Gegensatz zu Ihnen dem Wähler klaren Wein eingeschenkt und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb die Mehrheit der Wähler auf
uns vereinigt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702711200
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jobst?

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702711300
Bitte sehr.

Dr. Dionys Jobst (CSU):
Rede ID: ID0702711400
Herr Kollege Weber, wie stehen Sie zu der Äußerung des Herrn Kollegen Wende, des verkehrspolitischen Sprechers der SPD- Fraktion, vom 13. Januar 1973 in einem Interview — ich darf wörtlich zitieren :
Wir sind uns in der Koalition darüber einig, daß es im Jahr 1973 in jedem Falle keine Erhöhung der Mineralölsteuer geben wird.

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702711500
Fragen Sie doch Herrn Kollegen Wende selbst! Er sitzt ja da.

(Heiterkeit. — Abg. Rawe: Ich denke, Sie hätten das schon so schön verkündet durch Ihren verkehrspolitischen Sprecher!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702711600
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth.

Elmar Pieroth (CDU):
Rede ID: ID0702711700
Herr Kollege, da offensichtlich nicht die Wahlkampfaussage, sondern Parteitagsbeschlüsse und ähnliches für die Wähler bindend sein sollen: Sind Sie der Ansicht, daß wir 1985 eine Steuerlastquote von 34% haben werden, und was kostet dann das Liter Benzin?

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702711800
Aber Herr Kollege, der Bundesfinanzminister hat mit der Erklärung zur Mineralölsteuererhöhung gleichzeitig zwei weitere Erklärungen abgegeben, die Sie doch auch einmal zur Kenntnis nnehmen sollten. Die erste Erklärung war, daß daraus folgend die Kraftfahrzeugsteuer-



Dr. Weber (Köln)

reform nicht erhöhend wirken soll, sondern aufkommensneutral sein soll, und damit ist alles das, was der Kollege Häfele vorhin dazu sagte, schon teilweise erledigt.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Glauben Sie das denn selbst?)

Zum zweiten hat der Bundesfinanzminister dazu gesagt: Wir denken nicht daran, nach der Salamitaktik dem Wähler in diesem Jahr 2 % — wie es ja auch einmal in Ihren Reihen im Bundesrat erörtert worden ist — und im nächsten Jahr 3 % abzunehmen, sondern wir tun das, was wir für richtig halten, als einmalige Maßnahme.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Daran werden wir Sie erinnern bei der nächsten Steuererhöhung!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702711900
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702712000
Bitte.

Wilhelm Rawe (CDU):
Rede ID: ID0702712100
Herr Kollege Weber, da Sie ja nun von dem Parteitagsbeschluß gesprochen haben, müssen wir also annehmen, daß diese Erhöhung, die Sie jetzt durchführen, nur die erste Rate sein soll für die 11 Pfennig?

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702712200
Erstens einmal: Sie waren ja in der letzten Legislaturperiode da. Sie müßten doch wissen, daß unser Parteitagsbeschluß v o r dieser letzten Mineralölsteuererhöhung zustande gekommen ist. Zweitens machen wir das gleiche mit unseren Parteitagsbeschlüssen, was Sie auch machen: Wir versuchen, sie zu realisieren — nur Sie mit anderem gesellschaftspolitischem Effekt, siehe Düsseldorf.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702712300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rawe.

Wilhelm Rawe (CDU):
Rede ID: ID0702712400
Seien Sie dann bitte so freundlich, Herr Weber — da Sie doch so sehr bemüht sind, uns hier deutlich zu machen, Sie würden das dem Wähler alles vorher sagen —, uns jetzt mitzuteilen, wann die beiden nächsten Steuererhöhungen nach Ihrer Auffassung fällig sind.

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702712500
Herr Kollege, wie oft soll ich Ihnen es noch sagen, daß wir in Übereinstimmung mit dem Bundesfinanzminister erklärt haben: Es sind zwei Erhöhungen gekommen, einmal mit 4 Pfennig — auch dazu werde ich gleich etwas sagen —, einmal mit 5 Pfennig, und dabei bleibt es.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702712600
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wende.

Manfred Wende (SPD):
Rede ID: ID0702712700
Herr Kollege Dr. Weber, da Herr Jobst mich hier zitiert hat: Hätten Sie die Freundlichkeit, dem Herrn Kollegen zu sagen, daß diese Mineralölsteuererhöhung, die ja ab 1. Juli 1973 kommen soll, keine verkehrspolitischen Ursachen hat, sondern, wie das heute und gestern hier lang und breit dargelegt wurde, ausschließlich stabilitätspolitische Gründe hat?

(Lachen bei der CDU/CSU.)


Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702712800
Vielen Dank, Herr Kollege Wende.

(Abg. Rawe: Hättest du geschwiegen!)

Aber auch dazu komme ich noch. — Frau Präsidentin, ich möchte weiterkommen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702712900
Sie können Zwischenfragen ablehnen.

Dr. Hubert Weber (SPD):
Rede ID: ID0702713000
Meine Zeit, soweit es die 15 Minuten angeht, läuft ja sehr schnell ab.

(Abg. Dr. Müller-Hermann: Da haben sie aber Glück!)

Meine Damen und Herren, der Finanzausschuß des Bundesrates hat durch seinen Berichterstatter erklärt, daß der Bundesrat zu diesem Gesetz — so der Finanzminister Wertz — keine materiell-rechtlichen Vorschläge zu unterbreiten habe. Das war die offizielle Meinung des Berichterstatters. Der Herr Filbinger dagegen hat seine Ablehnung damit begründet, daß die Länder nur dann zustimmen könnten, wenn ihre eigenen Einnahmen verbessert würden. Ich halte eine solche Erklärung für verfassungswidrig. Denn ein solches Verhalten führt doch dazu, daß der CDU/CSU im Bundestag mittelbar die Macht verschafft würde, die ihr vom Wähler am 19. November 1972 abgesprochen worden ist.

(Beifall bei der SPD.)

Die zweite Erklärung von Herrn Filbinger besagte, durch die Mineralölsteuererhöhung werde die Chance zu einer Reform der Kraftfahrzeugsteuer vertan. In das gleiche Horn hat dann Herr Stoltenberg getutet, als er sagte, die Kraftfahrzeugsteuer stehe in einem unlösbaren Zusammenhang mit der Mineralölsteuer. Lassen Sie mich zitieren, was Ihr Kollege Höcherl bei der letzten Mineralölsteuererhöhung dazu gesagt hat — nachzulesen in der Bundestagsdrucksache der 158. Sitzung der 6. Wahlperiode —, er hat gesagt:
Ohne daß ein zwingender sachlicher Zusammenhang besteht, hat sie diesen Problemkreis in Form einer Änderung der Kfz-Steuer in das vorliegende Gesetz eingebaut.
Beide Junktims des Bundesrates sind sachlich nicht begründet. Wir wollen eine Reform der Kraftfahrzeugsteuer. Nur, Herr Kollege Häfele, nicht erst seit gestern, sondern schon seit fünf und seit zehn und seit fünfzehn Jahren wissen wir, daß die Kraftfahrzeugsteuer reformiert werden muß und daß 2 000 bis 3 000 Beamte unnütze Arbeit in dem Sinne leisten, als sie anders besser eingesetzt werden könnten. Nur Sie haben in der Vergangenheit keinen Versuch dazu unternommen, hier etwas zu tun.



Dr. Weber (Köln)

Wir haben des weiteren erklärt, daß die Reform der Kraftfahrzeugsteuer aufkommensneutral gestaltet wird, d. h. es finden dabei keine Steuermehreinnahmen statt. Dabei bleiben wir. Wir wollen — lassen Sie mich das nur in einem Nebensatz sagen — nicht auf das Zweiplakettenverfahren des Bundesrates hinaus, weil es unsozial ist, unsozial deshalb, weil es letztlich zu einer Einheitssteuer führt.
Die Erhöhung um 5 Pf pro Liter Normaltreibstoff ist notwendig und auch sozial vertretbar. Jedenfalls ist sie ungleich sozialer als der vom Bundesrat geforderte allgemeine Konjunkturzuschlag auf alle Arbeitnehmereinkommen. Sie wirkt auch nur in geringem Umfange preistreibend. Sie beeinflußt die Lebenshaltungskosten — das ist Ihnen in der Debatte des Bundesrates vorgerechnet worden — im Durchschnitt nur um 0,2 %.
Wo haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, denn Ihr mahnendes Wort gelassen, als die großen Mineralölkonzerne in den letzten Monaten zwei- und in manchen Teilen unseres Landes sogar dreimal die Benzinpreise angehoben haben? Da hat sich keiner von Ihnen gerührt. Dann sollten Sie doch auch einmal Vergleiche ziehen. 1952 kostete das Liter Benzin in der Bundesrepublik 65,5 Pf, und heute kostet es 63,4 Pf. Es ist also in dem rechnerischen Sinne keine wesentliche Erhöhung. Die Mineralölsteuer -- auch das sollten Sie berücksichtigen — paßt in das europäische Konzept. Wir treten selbst unter Berücksichtigung dieser Erhöhung nicht an die Spitze hinsichtlich der Treibstoffpreise in den europäischen Staaten.
Die Mineralölpreiserhöhung ist sozial ausgewogen; neben der Breitenwirkung der Mineralsteuererhöhung steht die besondere Belastung der überwiegend gewinnbestimmten hohen Einkommen. Sie ist ferner stabilitätsorientiert, ob Sie das wahrhaben wollen oder nicht, weil sie die Nettokreditaufnahme in diesem Haushaltsjahr erheblich reduziert.
Dann bleibt als Letztes, das heute mehrfach in der Debatte angeklungen ist, der Personenkreis, auf den Sie sich so gerne berufen, der zu seiner Arbeitsstätte viele Kilometer zurückzulegen habe, weil er fern von öffentlichen Verkehrsmitteln wohne. Ich kann verstehen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie gerade diesen Personenkreis ansprechen, weil es sich hier um die einzigen Wahlkreise handelt, die Sie bei der letzten Bundestagswahl noch gewinnen konnten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann sich auch mal wieder ändern!)

Aber auch dabei sollten Sie nicht vergessen, daß auf Grund eines Gesetzes dieser Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode die Kilometerpauschale über 40 km hinaus ausgedehnt wurde und damit auch dieser Personenkreis sozial besser gestellt wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702713100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (CDU):
Rede ID: ID0702713200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An und für sich hatte ich mit dem Herrn Bundesverkehrsminister verabredet, daß über den Verkehrshaushalt heute nicht ausführlich gesprochen werden solle. Dabei soll es auch bleiben. Aber die Ausführungen des Kollegen Weber fordern wirklich eine Antwort heraus. Ich will mich auf zwei Punkte beschränken.
Der eine Punkt betrifft die durchschnittlichen jährlichen Steigerungsraten des Verkehrshaushalts, von dem wir alle wissen, daß hier ungewöhnlich große Investitionen zu tätigen sind. Der erste Finanzplan der derzeitigen Regierungskoalition für die Jahre 1969 bis 1973 sah eine durchschnittliche jährliche Steigerungsrate des Verkehrshaushalts von 8,5 %, der zweite Finanzplan für die Jahre 1970 bis 1974 eine durchschnittliche Steigerungsquote von 7 % und der dritte Finanzplan für die Jahre 1971 bis 1975 eine durchschnittliche Steigerungsrate pro Jahr von 6 % vor. Nach dem neuen jetzt vorgelegten mittelfristigen Finanzplan für die Jahre bis 1976 ist nur noch eine Steigerungsquote von jährlich durchschnittlich 3,4 % vorgesehen.
Punkt 2. Zur gleichen Zeit geht die Bundesregierung mit ihren großen Reformvorhaben auch auf dem Gebiet des Verkehrswesens hausieren. Jeder denkende Staatsbürger weiß, daß eine jährliche Steigerungsquote von 3,4 % mit Sicherheit nicht ausreichen wird, auch nur die Preissteigerungen aufzufangen. Selbst wenn wir die Preissteigerungsquote in den nächsten Jahren nur mit 3,4 % ansetzen -
jeder weiß, daß das unrealistisch ist —, würde die Steigerung der Leistungen immer noch auf plus minus Null hinauslaufen. Darin sind die zweifellos in Zukunft weiter wachsenden Zuwendungen an die Bundesbahn noch gar nicht enthalten.
Insofern, sehr verehrter Herr Kollege Weber, bitte ich uns abzunehmen, daß wir außerordentlich skeptisch sind, ob die jetzt vorgesehene Mineralölsteueranhebung um 5 Pf, nachdem ihr im vorigen Jahr bereits eine kräftige Anhebung vorausgegangen ist, die letzte in dieser Legislaturperiode sein wird. Alle Anzeichen sprechen eher dafür, daß der Bundesfinanzminister allein schon aus der Sicht des Verkehrshaushalts darangehen wird, alte Steuerquellen erneut anzuzapfen. Das wird mit Sicherheit wieder die Mineralölsteuer sein.
Sehr verehrter Herr Kollege Weber, Sie unterstellen uns wirklich einen supergroßen Optimismus, den das bisherige Verhalten dieser Regierungskoalition nicht rechtfertigt, wenn wir den Bürgern nicht sagten: Ihr müßt auch in Zukunft mit weiteren Steuererhöhungen gerade bei der Mineralölsteuer rechnen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702713300
Das Wort hat der Abgeordnete Damm.

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0702713400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte in der ersten Lesung des Bundeshaushalts ein paar Bemerkungen zum Verteidigungshaushalt machen. Dabei liegt es



Damm
natürlich nahe, daß man sich auch an den Bundesfinanzminister hält. Ich werde deswegen zu Anfang ein paar Bemerkungen zu seinen letzten Einlassungen von heute machen, auch wenn er nicht da ist.

(Zuruf von der SPD: Er ist da!)

— Um so besser, wenn er da ist. Es freut mich, Herr Schmidt, daß Sie sie direkt hören. Ich will nämlich deutlich machen, daß ich als Hamburger über die Art und Weise, wie Sie hier gesprochen haben, traurig bin. Ich fand die elitäre Arroganz Ihrer Darlegungen weit entfernt von dem, was man hamburgisches Understatement nennt, und auch weit entfernt von einem normalen mitteleuropäischen Verhalten. Ich hatte den Eindruck, Herr Schmidt, daß die Art und Weise, wie Sie hier mit dem Parlament umgegangen sind, eher einem Kabarett entsprach. Ich würde mich nicht wundern, wenn der Eindruck draußen negativ ist, wenn sich ein Minister in wichtigen Fragen so aufführt, wie Sie es hier getan haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zu Ihrer Einlassung, der Antiamerikanismus sei eine Verschwörung vom „Bayernkurier" über Herrn Barzel bis zu einer Tageszeitung, die aus Hamburg komme, muß ich sagen, daß diese Darstellung — wie viele andere Darlegungen von Ihnen auch — eine enorme Verkürzung des tatsächlichen Problems ist. Sie finden z. B. in der „Frankfurter Rundschau" den Satz:
Das Ansehen Amerikas erlebt in unserem
Lande die gleiche Abwertung wie der Dollar.
In der „Süddeutschen Zeitung" können Sie lesen:
Nicht nur das Währungssystem, sondern das gesamte politische System der westlichen Welt ist ins Wanken geraten.
Sie werden nicht behaupten wollen, daß beide Zeitungen zum Springer-Konzern gehören. Meine Damen und Herren, ich meine, daß das parlamentarische System ein Mindestmaß an Selbstkritik und an Einräumung der Möglichkeit verlangt, daß auch der andere — und nicht nur der augenblicklich amtierende Bundesfinanzminister — einen vernünftigen Gedanken haben kann.
Meine Damen und Herren, eben dieser Bundesfinanzminister hat im Jahre 1970, als er noch Verteidigungsminister war, erklärt: Wenn ich eine Milliarde mehr hätte, ich wüßte nicht, was ich damit anfangen sollte. — Auch dies ist eine Aussage des heutigen Bundesfinanzministers und damaligen Verteidigungsministers, die den sachlichen Gegebenheiten nicht standhielt. Wir werden das im Laufe der Beratungen noch im einzelnen erkennen. Der Verteidigungshaushalt 1973 mit einem Volumen von 27,2 Milliarden DM weist einen Anteil der Betriebskosten von 71% und einen Anteil der Investitionskosten von 29 % auf. Obwohl das Volumen des Verteidigungshaushalts um 2 Milliarden DM gegenüber dem des vorjährigen Haushalts gestiegen ist, ist er nicht ausreichend.
Warum nicht? Wesentliche Modernisierungsmaßnahmen bei Waffen und Geräten können nicht vorgenommen, wesentliche Infrastrukturmaßnahmen können nicht durchgeführt werden. Trotz überproportional steigender laufender Ausgaben werden. notwendige und wünschenswerte Verbesserungen im Personal- und Sozialbereich nicht zu bezahlen sein. Ich nenne Ihnen einige Beispiele. Die neue Kfz-Generation läßt weiter auf sich warten, und die Unterhaltungskosten steigen weiter ins Unermeßliche. Als Beispiel aus dem sozialen Bereich nenne ich die Behauptung, die im Weißbuch aufgestellte Forderung, mehr Quadratmeter Wohnraum für kasernenpflichtige Soldaten zur Verfügung zu stellen, sei erfüllt oder werde in Kürze erfüllt. Angesichts der zu knappen Mittel für den Ausbau unserer Kasernen ist dieses Vorhaben eben nicht realisierbar.
Oder nehmen Sie die Tatsache, daß 5% der Hauptfeldwebel nach A 9 besoldet werden. Auch die Regierung weiß, daß das zu wenig ist. Sie hat aber kein Geld für eine Verbesserung.
Oder nehmen Sie beispielsweise die Tatsache, daß die Mittel für die Unterhaltssicherung trotz der steigenden Preise auf dem vor Jahren festgelegten Stand bleiben. Mit Recht fragen uns die Wehrpflichtigen, wie wir es eigentlich rechtfertigen wollen, daß die Mittel zum Unterhalt ihrer Angehörigen nicht auf der Grundlage der Preissteigerungen und entsprechend der Anhebung in anderen Bereichen erhöht werden.
Ich nenne ein letzes Beispiel. Wie will es diese Regierung eigentlich verantworten, daß die Wehrpflichtigen seit gut zwei Jahren denselben Wehrsold erhalten, obwohl sich die Preissteigerungen — das ist doch wohl unstrittig — bei ihnen, die mit 4,50 DM pro Tag auskommen müssen, in besonders starkem Maße auswirken? Offenbar fehlt das Geld; sonst würde die Regierung vorgeschlagen haben, den Wehrsold zu erhöhen. Ich weiß, daß insbesondere mein Kollege Haase sehr darüber nachdenkt, wie er einen Deckungsvorschlag machen kann, um den Wehrsold um etwa 75 Pf pro Mann und Tag zu erhöhen. Ich hoffe, daß die Regierung ihrerseits bemüht ist, Mittel zu finden, um ein solches Ziel zu verfolgen. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, daß die Regierung ihrerseits etwa glaubt, das wäre nicht nötig.
Der Verteidigungshaushalt fällt gegenüber dem Gesamthaushalt prozentual weiter ab. Gleichzeitig sinkt sein Anteil an den allgemeinen Staatsausgaben wie am Bruttosozialprodukt. Der Anteil der investiven Ausgaben am Verteidigungshaushalt sinkt ebenfalls ab. Wieder setzt die Regierung der verhängnisvollen Auszehrung der Bundeswehr keinen entscheidenden Widerstand entgegen.
Im Wehrstrukturbericht heißt es unter Ziffer 201:
Der Anteil der verteidigungsinvestiven Ausgaben am Einzelplan 14 geht seit Jahren zurück und ist inzwischen unter die nach Haushaltskategorien errechnete 30-%-Marke gesunken...
Diese Entwicklung, hält sie an, wird zu einer finanziellen Auszehrung der Bundeswehr führen. Der hohe technische Stand der Ausrüstung wird sich nicht mehr aufrechterhalten lassen,



Damm
die Kampfkraft muß zurückgehen. Soll auch in Zukunft ein hinreichender Anteil für verteidigungsinvestive Aufwendungen zur Verfügung stehen, muß der Verteidigungshaushalt am Wachstum des Bundeshaushalts stärker als bisher teilnehmen.
Nun wird sich die Regierung reinwaschen wollen und sagen, daß auch schon bei ihren Vorgängerinnen eine Entwicklung dieser Art zu erkennen gewesen sei. Wenn sie das sagt, dann übersieht die derzeitige Regierung, daß der Rückgang des Prozentanteils des Verteidigungshaushalts am Gesamthaushalt seit 1962 in erster Linie sachliche Gründe hatte. Die Erstausstattung der Bundeswehr war weitgehend abgeschlossen. Und sie übersieht, daß der starke Preisanstieg seit 1970 den Wert der Mittel für die Verteidigung ein weiteres Mal besonders hart getroffen hat und laufend weiter trifft.
Der Wehrstrukturbericht bringt dazu eine anschauliche Illustration. Auf der Preisbasis von 1966, so wird dort berichtet, sind die in den letzten drei Jahren vorgenommenen Investitionen in Höhe von 20,4 Milliarden DM durch einen Inflationsverlust von 3,8 Milliarden DM geschwächt worden. Das ist ein Inflationsverlust im investiven Raum von 18,6 %.
Was nötig ist, meine Damen und Herren, kann man in dem Bericht der Wehrstrukturkommission nachlesen. Dort heißt es u. a.:
Wenn der Verteidigungshaushalt sich so weiterentwickelt wie in den letzten Jahren, „dann können der gebotene Umfang und zugleich eine moderne Ausrüstung nicht mehr finanziert werden".
In der mittelfristigen Finanzplanung ist leider auch nicht der Lichtschein zu erblicken, der uns hoffen lassen könnte, daß wir vor der Auszehrung der Bundeswehr behütet werden. Man muß, glaube ich, Karl Mommer und der Wehrstrukturkommission sehr danken, daß sie die Dinge beim Namen genannt hat. Ich hoffe, daß das Haus hier insgesamt in den Dank einstimmt, daß eine unabhängige Kornmission, ohne heiße Eisen zu scheuen, gesagt hat, wie es um die finanzielle Situation unserer Verteidigung wirklich steht.
Der Wehrstrukturbericht hat sich aber auch mit den psychologisch-politischen Hintergründen der sinkenden Verteidigungshaushalte beschäftigt und dazu u. a. gesagt:
Auf manche Bürger wirkt der Verteidigungsetat wie ein Reizwort. Überall, im Westen wie im Osten, konkurrieren unterschiedliche Gesellschaftsbedürfnisse um die Verteilung des Volkseinkommens ... Dieser Konflikt spielt sich vor dem Hintergrund einer öffentlichen Meinung ab, die der Gesellschaftspolitik den Vorrang gibt. Daß die Sicherheitspolitik Voraussetzung und Grundlage der Gesellschaftspolitik ist, wird oft nicht wahrgenommen. Wann immer Haushaltsschwierigkeiten entstehen, ist es populär, im Verteidigungsetat die Manövriermasse zu sehen, die ohne Schaden verkleinert werden kann.
So sagt die Wehrstrukturkommission.
Nun ist es überhaupt nicht zu bestreiten, daß der hier beschriebene Zustand nicht erst mit dem Machtwechsel 1969 eingesetzt hat. Der erste Sündenfall dieser Art hat 1967 unter der Platane stattgefunden. Die erste mittelfristige Finanzplanung hat die Verteidigungsausgaben für die nächsten fünf Jahre um 10 Milliarden DM gekürzt. Aber offenbar hat der sozialdemokratische Koalitionspartner von 1967 an der gemeinsamen Sünde so viel Gefallen gefunden, daß er sich ihrer schon im ersten sozialliberalen Regierungsjahr entsann. Der Anteil der Verteidigungsausgaben am Gesamthaushalt sank 1970 gegenüber 1969 von 23,9 auf 22,9 %. Das war man sich schließlich auch schuldig. Denn jetzt sollten ja Reformen kommen, jetzt sollten sogar Steuern gesenkt werden; also brauchte man Geld und nochmals Geld.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702713500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0702713600
Bitte, Herr Bußmann. Vizepräsident Frau Funcke: Bitte schön!

Dr. Bernhard Bußmann (SPD):
Rede ID: ID0702713700
Herr Kollege Damm, darf ich Sie fragen, ob Sie sich daran erinnern, daß wir damals hier im Bundestag auf einstimmigen Vorschlag des Haushaltsausschusses den Plafond der Verteidigungsausgaben im Jahre 1970 um rund 1,3 Milliarden DM gekürzt haben und wir hierfür die Verantwortung tragen und nicht etwa die Regierung damals eine Vorlage mit zurückgehender Tendenz eingebracht hat?

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0702713800
Ich kann mich sehr gut daran erinnern, Herr Dr. Bußmann. Ich kann auch die psychologische Situation gut nachvollziehen. Denn Helmut Schmidt hatte öffentlich erklärt: Und wenn ich eine Milliarde mehr hätte, ich wüßte gar nicht, was ich damit machen sollte. Kein Wunder, daß ihm der Haushaltsausschuß eine Milliarde herausgestrichen hat.

(Abg. Dr. Bußmann: Gemeinsam!)

Man hatte eben einen Verteidigungsminister, der meinte, man könne, wenn man die Verteidigungsmittel so sehr zusammenstreiche, auch noch ein gutes Gewissen haben. Von nun an ist die Bugwelle der Materialbeschaffung von Jahr zu Jahr immer größer geworden. Die Programme wurden immer mehr gestreckt und immer mehr gekürzt.
Aber den Kanzler und seine Mannschaft focht das nicht an; denn jetzt hatte man ja eine Politik der Entspannung.
Zum erstenmal seit den Krisen des kalten Krieges bereiten wir uns mit unseren Bündnispartnern darauf vor, allmählich das größte Zerstörungspotential, das Europa je gesehen hat, abzubauen.
So heißt es optimistisch im Antrag Nr. 1, dem Antrag des Parteivorstandes der SPD, für den bevorstehenden Bundesparteitag. Sollte dem Parteivorstand nicht bekannt sein, was die Regierung selber offi-



Damm
ziell festgestellt und veröffentlicht hat, etwa das NATO-Kommuniqué von 1970, wo es unter anderem heißt:
Die bisher vorliegenden Anzeichen legen den Schluß nahe, daß die Sowjetunion, in der Absicht, ihren politischen Einfluß auszudehnen und zu stärken, ihre Beziehungen zu anderen Staaten auf der Grundlage von Vorstellungen handhabt, von denen einige der Entspannung nicht dienlich sind. So steht insbesondere der sowjetische Begriff der Souveränität in klarem Gegensatz zu den Grundsätzen der Vereinten Nationen.
— So sagt die NATO 1970, mit unserer Billigung. —
Gleichzeitig ist festzustellen, daß die sowjetische militärische Stärke über die Gewährleistung der Sicherheit der Sowjetunion hinaus stetig wächst und einen eindrucksvollen Rückhalt für die weitreichende Geltendmachung sowjetischen Einflusses und sowjetischer Präsenz darstellt, wobei sie immer wieder Fragen hinsichtlich der damit verbundenen Absichten aufwirft.
Weiter heißt es wörtlich:
Die mittelbaren und unmittelbaren Verteidigungsausgaben der Sowjetunion sind von 1965 bis 1969 real jedes Jahr um durchschnittlich 5 bis 6 % erhöht worden, und alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die Sowjetunion ihre Stärke immer weiter erhöht.
Der letzte Satz in diesem Zitat lautet:
Der Gegensatz zwischen diesen Zahlen und den entsprechenden Angaben für die Allianz ergibt sich aus Ziffer 10.
Dort steht dann ein ganzes Stück weiter, daß in derselben Zeit die europäischen Partner der Allianz ihre Ausgaben real um 4 % vermindert haben. Das ist die tatsächliche Situation, auch nach den offiziellen Veröffentlichungen der Bundesregierung. Für 1972 könnte ich ein ähnliches Zitat bringen.
Auch der Kanzler selbst sagt noch in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar dieses Jahres:
Es ist nicht zu übersehen, daß die Rüstungsentwicklung im Warschauer Pakt das östliche Gesamtpotential steigerte.
Er fügt hinzu, daß er keine vorschnellen Schlüsse daraus ziehen wolle, und sagt dann wörtlich:
Aber sie stellt fest, — die Regierung —daß es eine parallele Tendenz in Westeuropa nicht gibt.
Drei Monate später aber spricht der Parteivorstand der SPD von dem allmählichen Abbau des Kriegsmaterials in Europa. Meine Damen und Herren, seit Jahren betreiben wir einseitig diesen allmählichen Abbau. Sollte der SPD-Parteivorstand das gemeint haben, dann wäre das das Allerneueste. Das würde gewissermaßen heißen: Ironie in Parteitagsbeschlüssen. Nein, in Wirklichkeit ist es eine erneute Verschleierung der wirklichen Lage.
An Präsident Nixon loben wir, daß er sich den Forderungen der Führung der Mehrheitspartei erneut widersetzt hat, angesichts der Haushaltsschwierigkeiten die Ausgaben für die Truppen in Übersee zu kürzen. Wenn wir vor Verhandlungen unseren Verteidigungshaushalt einseitig kürzen — sagt der amerikanische Präsident — oder unsere Streitkräfte in Europa verringern, würde jede Chance für erfolgreiche Verhandlungen über eine gegenseitige Verringerung von Streitkräften oder eine Begrenzung der Rüstung zerstört werden. Es sei — sagt er — ein ehernes Gesetz der Diplomatie, daß man nichts bekommen kann, wenn man nichts zu geben hat.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702713900
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bußmann?

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0702714000
Wenn ich diesen Gedankengang zu Ende führen darf, dann sofort.
Der Bundeskanzler hat heute darauf abgehoben und gemeint, der amerikanische Präsident habe diesen Sachverhalt ohne jegliche Emotionen dargestellt. Ich will dem amerikanischen Präsidenten gar keine Dramatisierung unterstellen, aber er hat zu dieser seiner Äußerung hinzugefügt, daß eine Kürzung der Verteidigungsausgaben der USA die Gefahr eines Krieges mit sich brächte und Todesgefahr für die freien Nationen der Welt beinhalten könnte. Das allerdings ist doch nun eine sehr starke Sprache, von der ich sagen würde, daß sie über die rein nüchterne Darstellung möglicher Auswirkungen schon hinausging.
Bitte, Herr Dr. Bußmann.

Dr. Bernhard Bußmann (SPD):
Rede ID: ID0702714100
Herr Kollege Damm, darf ich Sie noch einmal fragen, ob Sie nicht auch sagen wollen, daß der Verteidigungshaushalt in den Jahren 1964 bis 1969 unter Ihrer Verantwortung insgesamt von 18,8 Milliarden DM auf 19,3 Milliarden DM gestiegen ist, daß er sich in den Jahren der sozialliberalen Koalition von 19,3 Milliarden DM als Ausgangspunkt auf nun 27 Milliarden DM — mit dem Einzelplan 60 — entwickelt hat. Nun beantworten Sie bitte die Frage: Wer hat hier wirklich effektiv mehr aufgebracht?

(Zuruf von der CDU/CSU: Da war die Mark noch eine Mark wert!)


Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0702714200
Herr Dr. Bußmann, Sie werden sich erinnern, daß ich gesagt habe, die ganze Entwicklung — die relative Abnahme — sei nicht etwa erst seit dem Machtwechsel eingetreten. Das habe ich deutlich gesagt. Ich will gar nicht unseren Anteil an der Mitschuld vertuschen.
Aber es ist unstrittig, daß der Anteil des Verteidigungshaushalts am Gesamthaushalt — das können Sie in dem Bericht der Wehrstrukturkommission nachlesen; er liegt ja bei Ihnen auf dem Tisch — laufend von Jahr zu Jahr sinkt. Er geht immer wei-



Damm
ter zurück, und die relative Bedeutung des Verteidigungshaushalts wird schon dadurch immer geringer.
Was vor allen Dingen hinzukommt: Die Inflationsverluste sind so groß. Ich habe Ihnen dargelegt, in drei Jahren verlieren 20 Milliarden DM Investitionen — bezogen auf die Preisbasis 1966; das füge ich hinzu — fast 4 Milliarden DM an Wert. Das muß man natürlich dazu sehen. Dann wird einem klar, daß wir das alles miteinander wirklich nicht finanzieren können.
Helmut Schmidt macht sich und uns etwas vor, wenn er erklärt, die Mittel reichten aus, um die politischen und militärischen Verpflichtungen im Rahmen des Bündnisses erfüllen können. Er weiß, daß das nicht stimmt; denn er kennt die Materie natürlich genau. Er weiß, daß der Verteidigung Milliarden fehlen, um die Bundeswehr in den nächsten Jahren auf dem Stand von heute zu halten. Aber er sagt das Gegenteil, er verharmlost die Probleme.
Bei der Feuerwehr kann man vielleicht ausprobieren, ob man nicht mit ein paar Löschzügen weniger auskommt. Im Zweifelsfall brennen ein paar Häuser
mehr ab, aber die Stadt insgesamt wird dabei keinen Schaden nehmen. Bei den Deichen sorglos zu sein ist schon gefährlicher, wie man dem Innensenator von 1962 wahrscheinlich nicht erst zu erklären braucht. Der Aufbau moderner Streitkräfte aber dauert Jahre. Selbst Teileinheiten brauchen Jahre bis zu ihrer Funktionsfähigkeit.
Seit mehr als sechs Jahren ist das Heer dabei, seine mittelschwere Transporthubschrauberkapazität zu schaffen. Einsatzbereit wird sie in drei, vier Jahren sein. Die moderne Flugabwehr des Heeres, der Fla-Panzer, ist seit Jahren überfällig. Wer an die Ardennen-Offensive des letzten Krieges denkt, wird von Entsetzen gepackt, wenn er den unzureichenden Schutz des Heeres vor Angriffen aus der Luft bedenkt. Manches Heeresmanöver ist doch nur deswegen durchführbar, weil die eigene Luftüberlegenheit stillschweigend vorausgesetzt wird. Aber es ist eine Tatsache: Bis der Fla-Panzer einsatzbereit sein wird, vergehen noch fünf Jahre.
Ein Geschwader der Luftwaffe, das aufgelöst wird, weil wir die vorhandenen Flugzeuge nicht mehr im Verhältnis von eins zu eins umstellen, durch Nachfolgemuster ersetzen können, ist eben unwiderbringlich weg. Sein kompliziertes Gefüge von menschlicher, technischer, organisatorischer Höchstleistung bei einer Personalstärke, die einem Großbetrieb entspricht, ist keine Sache, die ich, falls nötig, morgen irgendwo einkaufen kann.
Aber noch schwerer als das Gerät, die Maschinerie, die Organisation wieder zu schaffen, wäre es, das Verständnis und die Bereitschaft für die Verteidigung zu erhalten oder gar wieder zu erwecken, wenn erst einmal die von uns selbst gesetzten Fakten ihre Wirkung getan haben. Jahr für Jahr vermindern wir den Anteil der Verteidigung am Gesamthaushalt. Wir haben die Wehrpflicht verkürzt, und eine Kommission schlägt vor, daß wir ein Drittel des Heeres einmotten sollen. Die Menschen in unserem Lande sagen: Die da oben werden schon wissen, was richtig ist. Wenn wir weniger für unsere Verteidigung tun müssen, weil wir jetzt Entspannung haben, ist das um so besser. Der Finanzminister bestätigt des Volkes Gefühl, wenn er sagt: Die Mittel reichen aus.
Er kann nicht zaubern, wir können auch nicht zaubern. Wenn tatsächlich nicht mehr Mittel zur Verfügung stehen — das ist keine Frage von: Wo wollt ihr denn streichen?, sondern einer ausgewogenen Haushaltsvorlage der Regierung —, sollte der Finanzminister wenigstens zugeben, daß er für die Verteidigung eigentlich mehr einsetzen müßte. Das wäre nicht nur ehrlicher, das würde die gefährliche politisch-psychologische Rutschpartie stoppen helfen.
Verteidigungsminister Leber sagt:
Die unmittelbarste Gefahr rührt aus der Tendenz westlicher Demokratien, die Ergebnisse von Verhandlungen, womöglich schon die Tatsache der Verhandlungen selbst, als Beweis für die Beendigung des Macht- und Interessenkonfliktes zwischen Ost und West anzusehen. Ihr Selbstbehauptungswille gegenüber der kommenistischen Ideologie und gegenüber militärischen Gefahren sowie politischen Pressionen könnte erlahmen.
Ich kann Ihnen nur zustimmen, Herr Verteidigungsminister, Sie haben völlig recht. Aber im Antrag des SPD-Parteivorstandes steht:
Die Ostverträge haben eine Periode von vier Jahrzehnten
— das muß man sich auch einmal sehr sorgfältig anhören —heißen und kalten Krieges abgeschlossen.
„Haben abgeschlossen" ! Wen wundert es da, wenn die Basis Anträge stellt, „den Verteidigungshaushalt als Konsequenz dieser erfolgreichen Entspannungspolitik nicht weiter zu erhöhen? Mit dem eingesparten Geld sollte mehr auf dem Bildungssektor getan werden, weil wir der Ansicht sind, daß Studenten genauso wichtig sind wie Soldaten. Deswegen beantragen wir die Einführung eines Berufsheeres."
Herr Bundeskanzler, das ist ein Antrag eines Ortsverbandes. Sie haben heute zum Ausdruck gebracht, daß man den nicht so wichtig nehmen soll. Aber ich will sagen, die Antragskommission unter Herrn Wehner hat immerhin auf Überweisung an die Bundestagsfraktion als Material entschieden. Vielleicht wird Herr Wehner dann im Oktober dieses Jahres schreiben — wenn er ein bißchen Humor hat —: Antrag ausgeführt; zwei Bundeswehrhochschulen in Betrieb genommen. So oder ähnlich könnte sich Herr Wehner ausdrücken.
Ein anderer Ortsverein kommt bei der Antragskommission nicht so gut weg. Sein Antrag soll abgelehnt werden. Er fordert nämlich die jährliche Kürzung des Wehretats um 10 bis 15 %. Es ist richtig, daß man den Antrag ablehnen muß. Es ist aber interessant zu sehen, mit welcher Begründung der



Damm
Ortsverein Buchholz am Niederrhein diesen Antrag stellt.

(Zurufe von der SPD.)

— Vielleicht sind Sie aus der Gegend, dann können Sie vielleicht ein bißchen unterstreichen, warum das angenommen werden sollte.
Die Begründung lautet:
Die Verträge von Moskau und Warschau haben die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden in Europa geschaffen. Das muß auch Auswirkungen auf die Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik haben. Ein weiteres Rüsten stünde im Gegensatz zu dem Geist der genannten Verträge.
Da frage ich mich, warum Herbert Wehner diesen Antrag ablehnen läßt. Sein eigener Kanzler hat vor einer Woche vor den neu akkreditierten Missionschefs gesagt: Die Bundesregierung h a t mit den Ostverträgen den Weg zu umfassenderer Entspannung in Europa frei gemacht.
Meine Damen und Herren, es geht mir gar nicht um Anklage, sondern um den Versuch, den Bundeskanzler zu bitten, darüber nachzudenken, ob nicht seine Politik, vor allem seine sogenannte „Friedenspolitik" oder jedenfalls die Art und Weise ihrer Begründung und Propagierung für den nachfolgenden Tatbestand mit verantwortlich sein könnte:
Je länger die Schulausbildung dauert, je höher der Bildungsgrad der befragten Jugendlichen ansteigt, desto stärker sinkt im Meinungsbild das Ansehen der Bundeswehr und desto mehr verbreitet sich eine kritische oder gar ablehnende Haltung.
Das ist ein Zitat aus der Untersuchung „Jugend und Streitkräfte", die vor einer Woche der Öffentlichkeit bekanntgeworden ist.
Diese Feststellung deckt sich mit der anderen, daß jeweils die Hälfte der Wehrdienstverweigerer der Jahrgänge 1949 und 1950 Gymnasiasten waren. Dabei stützt sich dieser Teil der Jugend keineswegs auf überlegenere Sachinformation. In der genannten Untersuchung heißt es:
Die vorliegenden empirischen Studien bestätigen sowohl einen erheblichen Mangel an sicherheits- und verteidigungspolitischen Kenntnissen als auch ein geringes Informationsbedürfnis gerade unter der intellektuellen Jugend.
Meine Damen und Herren, die Ursachen dafür sieht diese Studie in einer ideologischen Selektierung, im bewußten Sperren gegen objektive Information über diesen Tatbestand, in einer introvertierten Haltung der Oberschüler und Studenten, aber auch im Kampf der linken Schülerpresse und Schülervereinigungen gegen die sogenannten WehrkundeErlasse, und es wird festgestellt:
In den westdeutschen Geschichts- und Sozialkundebüchern ist die Bundeswehr nicht existent.
Unter den besonderen Belastungen der Bundeswehr führen die Autoren auch die politisch-psychologischen Auswirkungen der Entspannungspolitik auf, und sie sagen wörtlich:
Die außenpolitischen Entspannungsbemühungen der Bundesregierung, insbesondere die Ost- und Deutschlandpolitik, haben die gesellschaftliche Legitimitätskrise der Bundeswehr weiter verschärft. Die Gewaltverzichtsverträge von Moskau und Warschau, das Berlin-Abkommen, der Verkehrsvertrag mit der Deutschen Demokratischen Republik sowie die Unterzeichnung des Grundvertrages zwischen beiden deutschen Staaten haben in der öffentlichen Meinung das Gefühl einer äußeren Bedrohung weithin schwinden lassen. Entsprechend hat sich die Kritik an Existenz und Umfang der Bundeswehr verstärkt.
Meine Damen und Herren, angesichts der „sich „verschärfenden gesellschaftlichen Legitimitätskrise", wie es hier heißt, der Bundeswehr haben es linke Ideologen leicht, die Jugend weiter zu verführen. Ein neues trauriges Beispiel sind die Rahmenrichtlinien für die Sekundarstufe 1 für das Fach Gesellschaftslehre in den hessischen Schulen. Dort wird den Lehrern angeraten:
Die komplexe Struktur dieses Gegenstandsbereichs
— nämlich Verteidigung —
dürfte Schülern noch nicht einmal als Problem bewußt sein. Vielmehr ist damit zu rechnen, daß ihre Einschätzung durch eindeutige Erklärungsmuster festgelegt ist. So wird der Ost-WestKonflikt vermutlich als eine Auseinandersetzung der „freien Welt", „der westlichen Kulturgemeinschaft"
— alles in Anführungsstrichen —
und „der Demokratie" mit „dem Totalitarismus", „der Diktatur", „dem Bolschewismus" oder „dem Osten" kurzschlüssig charakterisiert werden.
Es wird dann gesagt, zu dem Bereich Rüstung solle man ausgehen von folgenden Schüleräußerungen: „Für das Militär ist immer Geld da; nur wenn es um Schulen geht, fehlen die Mittel", „Man brauchte doch nur die Mittel für den Rüstungsetat etwas zusammenzustreichen" usw.,

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Sie lesen schlecht vor!)

„Für einen einzigen Panzer könnte man soundso viele Krankenhäuser bauen".
Meine Damen und Herren, das ist eine einseitige ideologische Ausrichtung des Schulunterrichts. Man darf sich nicht wundern, wenn die Auswirkungen die sind, daß eben 50 % der Wehrdienstverweigerer Gymnasiasten sind. Ich nehme an, Sie wollen nicht bestreiten, daß das, was hier die hessischen Schulkinder gelehrt werden soll, nicht den Tatsachen entspricht, und daß Sie mir zustimmen, daß das geändert werden müßte.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702714300
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horn.




Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0702714400
Ja, bitte schön.

Erwin Horn (SPD):
Rede ID: ID0702714500
Herr Damm, würden Sie zugeben, daß Sie diese Rahmenrichtlinien hier sehr selektiert zitiert haben, ohne sie in den Zusammenhang der methodischen und didaktischen Prinzipien zu stellen, in die gerade diese Kapitel hineingestellt werden müssen, so daß ein völlig verfälschtes und verzerrtes Bild von Ihnen hier gegeben wird?

Carl Damm (CDU):
Rede ID: ID0702714600
Nein, das gebe ich Ihnen nicht zu, weil es nicht den Tatsachen entspricht. Ich komme nachher im Zusammenhang mit dem Antrag von Südhessen noch einmal auf dieselbe Problematik zurück, und Sie werden hier die geistige Verwandtschaft sehen.

(Abg. Horn: Dann kennen Sie die Rahmenrichtlinien nicht!)

Meine Damen und Herren, bei einer solchen Sachlage nützt dann auch der lobenswerte Versuch des Verteidigungsministeriums, mit 50 000 Exemplaren des Buches „Verteidigung plus Entspannung gleich Sicherheit" für mehr Information in den Schulen zu sorgen, leider nur wenig.
Die Frage, die hinter all diesen sorgenvollen Feststellungen steht, ist nicht: Will der Kanzler keine wirksame militärische Verteidigung? Der Herr Bundeskanzler will, daß wir im Bündnis bleiben. Wir wollen, daß wir im Bündnis bleiben. Was eigentlich, meine Damen und Herren, macht es uns so schwer, gemeinsam das Notwendige zur militärischen Friedenssicherung zu tun?
Können wir nicht miteinander folgendes feststellen? Diese Bundesrepublik Deutschland ist verteidigenswert, weil sie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und soziale Gerechtigkeit nicht nur in ihrer Verfassung stehen hat, sondern seit 24 Jahren verwirklicht hat wie kaum ein anderes Land in dieser Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das sind Tatsachen, meine Damen und Herren: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit. Es müßte doch möglich sein, miteinander festzustellen: Unsere Bundesrepublik ist kein kapitalistischer Unterdrückungsstaat, und er beutet nicht die arbeitenden Massen aus. Die Jusos — und nicht nur sie — malen ein Zerrbild unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die .Jusos sprechen vom kapitalistischen Herrschaftssystem, das durch Klassenkampf überwunden werden müsse; sie stellen unsere sozialen Umstände mit denen der hungernden Massen Südamerikas auf eine Stufe und fordern die internationale Aktionseinheit der sozialistischen Organisationen Westeuropas mit den revolutionären Kämpfern in den europäischen Randländern und der Dritten Welt.
Der Chefideologe der Jusos, Johano Strasser, sagt dazu:
Die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und den sozialistischen Parteien darf nicht daran scheitern, daß der eine oder der andere fürchtet,
— meine Damen und Herren, hören Sie gut zu —
seine politische Jungfräulichkeit zu verlieren,
wenn man mit den Kommunisten zusammenarbeitet.
Wann wird eigentlich einer der führenden Männer der SPD diesen „trojanischen Eseln" endlich klarmachen, daß der, der sich mit den Kommunisten einläßt, mehr verliert als seine Jungfräulichkeit?

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU.)

Herr Bundeskanzler, Herr Vorsitzender der SPD- Fraktion, Sie beide sind doch gebrannte Kinder. Wem sollen denn die Linksradikalen in Ihrer Partei glauben, welche Gefahr sie für unser Land heraufbeschwören, wenn nicht Ihnen? Aber Sie müssen es ihnen so deutlich sagen, daß es gar nicht mißverstanden werden kann.
Wenn Ihnen, Herr Bundeskanzler, jemand — wie Herr Roth — „ormales Gerede" bescheinigt, dann ziehen Sie ihn mit allen Mitteln der Autorität Ihrer Ämter vor der Partei zur Rechenschaft.

(Lachen des Abg. Wehner.)

Der Autoritätsverlust des Bundeskanzlers ist nämlich auch unser Autoritätsverlust, jedenfalls der Verlust der Autorität dieses Staates.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU.)

Statt dessen, meine Damen und Herren, empfiehlt die Antragskommission der SPD, den Antrag 2 des Bezirks Hessen-Süd zur Friedens- und Abrüstungspolitik als Material an die Bundestagsfraktion zu überweisen. Was dort vorgebracht wird, ist ein solch hahnebüchener Unsinn, daß man nicht glauben will, daß ein großer Bezirksverband der zur Zeit größten Partei dahintersteht. Da ist die Rede von „kapitalistischen Machteliten des Westblocks", die, ebenso wie die „staatsbürokratischen Machteliten des Ostblocks", Widerstand leisteten „gegen echte Entspannung und weltweite Abrüstung". Da wird der alte kommunistische Blödsinn wiederholt, wir im Westen benötigten einen äußeren Feind, „gegen den materiell und ideologisch zu rüsten Hauptaufgabe der Gesellschaft vor jeder inneren Reform sei". Da wird vom „Aufbau von Feindbildern" geredet, von der „Militarisierung der gesamten Gesellschaft", von „Verschwendung des Volksvermögens" und „militärisch-industriellem Komplex". Das ganze endet mit der apodiktischen Forderung: „Einfrieren des Verteidigungshaushalts 1973 auf den Zahlen des verabschiedeten Etats 1972."
Mir ist, Herr Wehner, unverständlich, wie Sie dazu Überweisung als Material an die Bundestagsfraktion empfehlen können. Warum sagen Sie den Antragstellern nicht: ihr habt Unrecht, wenn ihr dem Westen unterstellt, er sei auf Gewaltanwendung und Annexion aus; es stimmt erst recht nicht, wenn ihr unser demokratisches System für faschistisch und diktatorisch haltet? Sagen Sie ihnen doch: wir haben den Nationalsozialismus erlebt, darum



Damm
sind wir geheilt von jeder Art Diktatur; wir wollen auch keine Diktatur des Proletariats.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Sie können doch, meine Damen und Herren, die Abwehr der neomarxistischen Unterwanderung nicht allein den „Kanalarbeitern" oder dem „KurtSchumacher-Kreis" überlassen. Man traut doch seinen Augen nicht, wenn man dort liest:
Ausschließlich marxistisch orientierte Jusos und ihnen hörige Zirkel wollen mit den Kommunisten eng zusammenarbeiten. Sie fördern damit Zielstrebungen zur Verwirklichung einer neuen stalinistischen Diktatur in Europa.
Das steht in einem Aufruf des „Kurt-SchumacherKreises", in dem der Bundeskanzler händeringend gebeten wird, gegen diese marxistische Entwicklung unter den Jusos und in den ihnen nahestehenden Zirkeln Front zu machen. Als wir im Wahlkampf ähnliche Sorgen vortrugen, haben Sie das Volksverhetzung und Verleumdung genannt.

(Zuruf von der SPD: Es ist doch so!)

Ich vermag mich darüber, meine Damen und Herren, wirklich nur zu wundern.
Die militärische Verteidigung durch die NATO, zu der wir mit der Bundeswehr beitragen, hat einen einzigen Grund: die im Warschauer Pakt militärisch organisierten Kommunisten davon abzuhalten, uns mit militärischem Druck die Freiheit zu nehmen. Es kann doch nicht schwierig sein, das allen Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands so klarzumachen, daß diejenigen, die mit den Kommunisten sympathisieren, isoliert werden.
Mir gefällt es, wenn Helmut Schmidt in Washington gesagt hat: „Wenn die Jusos auf den Gedanken kommen sollten, auf dem Parteitag antiamerikanische Reden zu halten, dann werden Sie von uns etwas auf den Hut kriegen, und von dem Hut wird nicht viel übrigbleiben." Eine Zeitung hat geschrieben: „Endlich mal wieder ein Schmidt-Schnauze!" Na ja, wir haben ihn ja hier heute auch erlebt.
Was aber nützen verbale Kraftakte, wenn die Mehrheiten schwinden.

(Lachen bei der SPD.)

— Na, daß die Mehrheiten ganz knapp sind, haben Sie ja doch auf dem Parteitag Ihrer Partei vor zwei Jahren in Hamburg gesehen. So konnten Sie z. B. in der Zeitung nachlesen, daß Sie nicht noch einmal eine Mehrheit für Bundeswehrhochschulen bekommen würden.

(Parl. Staatssekretär Moersch: Gott sei Dank!)

Im übrigen, meine Damen und Herren, sollten wir auch daran interessiert sein, daß das „amerikanische Porzellan" möglichst erst gar nicht zerschlagen wird. Bevor das eintritt, was für unser Volk lebensgefährlich wäre, daß nämlich der Parteivorsitzende Brandt nicht mehr das tun kann, was der Bundeskanzler Brandt für richtig hält, muß der „Förderung stalinistischer Diktatur" in der SPD durch Ausschluß der — wie der „Kurt-Schumacher-Kreis" sagt — „häßlichen" Sozialisten der Weg zur Revolution durch Systemüberwindung verlegt werden. Niemand möge sich täuschen, am wenigsten der Bundeskanzler: das alles hat unmittelbar etwas mit der schwindenden Verteidigungskraft und der schwindenden Verteidigungsbereitschaft in unserem Volke, vor allem in unserer Jugend, zu tun.
Angesichts dieser ernsten Situation ist mir unverständlich, wie die SPD-Antrags-Kommission unter Herbert Wehner empfehlen kann, den Antrag 73, nämlich die freie Wahl der Wehrpflichtigen zwischen Wehrdienst und Zivildienst, anzunehmen. „Will Wehner eine Berufsarmee?" hat eine Zeitung gefragt. Ich füge hinzu, daß das eine durch und durch „unsozialdemokratische" Zielsetzung wäre. Für unsere aktuelle Situation würde das die Halbierung unseres NATO-Beitrages bedeuten.
Der Verteidigungsminister vertraut darauf, daß der Parteitag einen Beschluß faßt, der dem Sicherheitsinteresse der Bundesrepublik gerecht wird. Hoffentlich hat Georg Leber nicht die Rechnung ohne Herbert Wehner gemacht! Ich kann nur sagen: ein Noske ist genug!
Der Vorsitzende der Antragskommission, die die Annahme der Auswahl zwischen Wehrdienst und Zivildienst empfiehlt — Herbert Wehner —, hat am 15. April 1957 nach Einführung der Wehrpflicht erklärt: „Die SPD wird die Wehrpflicht abschaffen, wenn sie an die Regierung kommt. Dieser Beschluß ist unumstößlich."

(Abg. Biehle: Das deckt sich mit dem BahrPapier!)

Man muß den Eindruck haben, daß er jetzt den richtigen Zeitpunkt für gekommen hält.
Vielleicht, meine Damen und Herren, ist es nicht völlig abwegig, an dieser Stelle in aller Nüchternheit anzumerken, daß Pressemeldungen, die von einer Verstärkung der sowjetischen Panzertruppen in der sogenannten Gruppe sowjetischer Truppen in Deutschland, also in der sowjetischen Besatzungszone, sprechen — einer Verstärkung um 1500 T-62 , richtig sind. Mehr will ich zu diesem Thema hier gar nicht sagen, noch will ich es dramatisieren, noch will ich daran Spekulationen im Zusammenhang mit MBFR knüpfen. Aber ich möchte daran erinnern, daß „flexible response" die gültige Bündnisstrategie ist und die jeweils angemessene Reaktion mit konventionellen Verbänden verlangt. Diese aber ist ohne ausreichend präsente Streitkräfte mit einer entsprechenden Bewaffnung nicht möglich. Solche Streitkräfte aber sind wiederum ohne die allgemeine Wehrpflicht nicht denkbar.
Auf dem Felde der Verteidigung ist vieles unsicher geworden; die Bereitschaft unserer Jugend, ihren Wehrdienst zu leisten; die Beibehaltung der Wehrpflicht; die Erhaltung der Kampfkraft unserer Streitkräfte; die ausreichende Finanzierung des zukünftigen deutschen Verteidigungsbeitrages; unsere bisherige Wehrstruktur, aber auch die Solidarität mancher europäischer Bündnispartner.
Die Bundesregierung ist auf allen diesen Gebieten guten Willens. Wir sind zur Zusammenarbeit bereit.



Damm
Warum können wir das nicht gemeinsam tun? Wir sehen und können es doch mit Händen greifen, wie schwer sich die Regierungsparteien mit dieser unpopulären Sache Verteidigung tun, vor allen Dingen die Sozialdemokraten. Aber auch für die CDU/ CSU gehört die Verteidigung nicht zu den Dingen, die wir für besonders populär halten. Aber die Verteidigung unserer freiheitlichen Zukunft muß dennoch gesichert werden — um unserer Kinder willen.
Lassen Sie uns das Notwendige gemeinsam tun, Herr Bundeskanzler. Es bringt uns einzeln keine Lorbeeren, aber gemeinsam geht es vielleicht gerade noch.
Sie werden uns sagen, was Sie bei einer solchen Zusammenarbeit von uns erwarten; wir sagen Ihnen heute, was wir von Ihnen erwarten: Klarheit gegenüber den Verharmlosern des Kommunismus, Wahrheit hinsichtlich der Opferbereitschaft, auch der finanziellen, Ehrlichkeit unter den demokratischen Gegnern.
Zum letzteren möchte ich die dringende und ernste Mahnung aussprechen: Stoppen Sie alle miteinander die Verteufelung unserer Repräsentanten durch Ihre Parteiorgane. Niemand von uns, kein Angehöriger der derzeitigen Opposition hat Anlaß gegeben, ihn in nazistischer „Stürmer"-Manier als gewalttätigen Kriegstreiber oder als Mordbuben zu bezeichnen. Das ist aber geschehen. Sie sollten es wenigstens für die Zukunft verhindern. Lösen Sie sich von Helfershelfern, die — bewußt oder unbelehrbar — Zielstrebungen zur Verwirklichung einer neuen stalinistischen Diktatur in Europa fördern.
Ihr — und ich meine das positiv — sogenannter „Oberkanalarbeiter" Egon Franke hat sich zu Recht über die „intellektuelle Schweinerei" aufgeregt, wie er gesagt hat, ihn und seine Freunde für rechts zu halten.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Um nach allem Ernst etwas Humor ins Spiel zu bringen: uns sind die Kanalarbeiter links genug.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU! CSU.)

Was sie wollen, reicht uns, um alle Kraft zusammenzunehmen, diese Ziele zu verhindern. Aber was die „Kanalarbeiter" angeht, meine Damen und Herren, sind auch wir mit Kurt Tucholsky der Meinung: „Wat brauchste Jrundsätze, wenn du'n Apparat hast! Es ist so'n beruhjendes Jefühl — und nun sage ich das auf Hochdeutsch, weil ich kein Berliner bin —: Man tut was für die Revolution, aber man weiß genau, mit dieser Partei kommt sie nicht. Meine Damen und Herren, meine Hoffnung ist, daß Herbert Wehner — trotz allem — ein „Kanalarbeiter" ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Wehner.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702714700
Das Wort hat der Abgeordnete Würtz.

Peter Würtz (SPD):
Rede ID: ID0702714800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die längeren Ausführungen, die der Kollege Damm hier gemacht hat, verlangen nach meiner Auffassung ein paar Vorbemerkungen. Ich möchte dann auf die erste Lesung des Bundeshaushalts 1973 zurückkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Damm, Sie haben hier wie in den Vorjahren — und ich habe Sie hier mehrmals erlebt — versucht, ein so überaus düsteres Bild vom Zustand und den Möglichkeiten der Bundeswehr, aber auch von unserem Staat zu zeichnen, daß Ihnen dies alles niemand mehr abnimmt. Und wenn Sie mir eine Bemerkung zu den Jusos und den Kanalarbeitern gestatten: ich habe das Empfinden gehabt, daß Sie weder Jusos noch Kanalarbeiter kennen.

(Zuruf des Abg. Dr. Müller [München].)

Mir ist bei Ihrer Rede aufgefallen, daß Sie dem Bundeskanzler vorhin gar nicht zugehört haben. Der Bundeskanzler hat an dieser Stelle ein außerordentlich klares Bild von den Vorstellungen der sozialliberalen Bundesregierung gezeichnet, und ich muß Sie einfach fragen: Was soll dies alles, welche Emotionen wollen Sie in unserem Staate eigentlich wekken?
Lassen Sie mich noch eine Vorbemerkung zum Wehrsold machen, den Sie hier angesprochen haben. Wir selbst, der Kollege Dr. Bußmann und die Kollegen des Haushaltsausschusses, waren uns schon seit längerem darüber klar, daß wir nicht zulassen können, daß Beamte, Angestellte, aber auch Soldaten, in diesem Jahr eine zusätzliche Aufbesserung ihrer Gehälter erhalten und die Wehrpflichtigen dabei leer ausgehen. Wir sind daran interessiert, auch die Wehrpflichtigen entsprechend ihrer Tätigkeit zu berücksichtigen. Wir geben aber hier einfach zu bedenken, daß natürlich die Wehrsolderhöhung um nur 50 Pfennig über 40 Millionen DM kostet; wir werden sicher darüber im Ausschuß sprechen müssen. Ich will nur sagen, wenn Sie es auf der einen Seite hier so darstellen, daß der Haushalt in den Betriebsausgaben überaus hoch ist, während Sie auf der anderen Seite Betriebsausgaben erhöhen wollen, dann muß man eben, auch gerade, was die Erhöhung des Wehrsoldes angeht, einen recht strengen Maßstab anlegen.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0702714900
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Biehle.

Peter Würtz (SPD):
Rede ID: ID0702715000
Sehr gern.

Alfred Biehle (CSU):
Rede ID: ID0702715100
Herr Kollege Würtz, wenn Sie eben sagen, daß Sie mit einigen Kollegen schon längere Zeit der Meinung sind, daß der Wehrsold angehoben werden soll, dann frage ich Sie: Wie deckt sich das mit der Meinung Ihres Parteifreundes und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, der vor wenigen Tagen — so war gestern in „Bundeswehr Aktuell" zu lesen — bei einem Truppenbesuch festgestellt hat, daß derzeit eine Wehrsolderhöhung



Biehle
überhaupt nicht in Frage kommt und keine Aussicht auf Erfolg hätte?

Peter Würtz (SPD):
Rede ID: ID0702715200
Verehrter Herr Kollege, ich muß diese Frage dahin beantworten, daß ich leider dieses Interview oder diese Aussage des Kollegen Schmidt (Würgendorf) nicht kenne. Aber ich will hier sagen, daß wir in unserer Arbeitsgruppe über diese Frage seit längerem miteinander gesprochen haben, und ich kann nur annehmen, daß dies ein Druckfehler in der Schrift ist, die Ihnen vorliegt.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich aber zum Haushalt kommen. Der Gesamtansatz des Einzelplans 14 steht mit 26,6 Milliarden DM — dies sind 22,1 % aller Bundesausgaben — zwischen den außen- und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten und der Fortführung der Reformpolitik dieser sozialliberalen Bundesregierung. Die Notwendigkeit, unsere Verteidigungsanstrengungen nicht nur auf dem Niveau vergangener Jahre zu halten, sondern in einem angemessenen Rahmen zu steigern, ergibt sich aus den Bedürfnissen unseres Bündnisses und den damit im Zusammenhang stehenden Erfordernissen, die gerade im Verlauf weiterer Entspannungsbemühungen — ich erinnere hier an MBFR — entstehen. Zugleich bleibt die Erhaltung der Effektivität der Bundeswehr ein vorrangiges Ziel dieser Politik. In seiner Regierungserklärung hat der Bundeskanzler die Grundposition sozialdemokratischer Sicherheits- und Entspannungspolitik dargelegt. Ich habe manchmal das Empfinden, als wenn die Kollegen der CDU/CSU nicht genau zuhörten.

(Beifall bei der SPD.)

Der Bundeskanzler hat am 18. Januar ausgeführt —ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:
Grundlage unserer Sicherheit bleibt die Atlantische Allianz. Sie gibt uns auch den Rückhalt für unsere Politik der Entspannung nach Osten. Die politische und militärische Präsenz der Vereinigten Staaten ist für die Bewahrung eines ausgeglichenen Kräfteverhältnisses in Europa unerläßlich.
Ich habe manchmal das Empfinden, als wenn Sie dies einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollten.
Nachdem hier vom Kollegen Damm wie in den Vorjahren der untaugliche Versuch gemacht wurde, dieser Bundesregierung zu unterstellen, sie betreibe ein gefährliches Spiel im Bereich der Sicherheitspolitik durch Vernachlässigung der notwendigen Rüstungsanstrengungen, müssen einfach die Fakten auf den Tisch. Die Finanzplanung von 1969, die damals vom Kollegen Dr. Strauß mit verantwortet wurde, sah für 1972 im Bereich des Einzelplans 14 Aufwendungen in Höhe von 21,8 Milliarden DM vor. Das Ist-Ergebnis weist demgegenüber 25,3 Milliarden DM aus.

(Abg. Dr. Müller [München] : Inflationszuschlag!)

Unter Berücksichtigung der im Einzelplan 60 veranschlagten Verstärkungsmittel mit 675 Millionen DM für die Flugzeugbeschaffung und das EDIP-Programm ergibt sich für das Haushaltsjahr 1973 ein Volumen von 27,2 Milliarden DM. Dies ist eine Steigerung, Herr Kollege Müller, um 8,9 % gegenüber dem Vorjahr. Da Sie mich durch Ihren Zuruf dazu veranlassen, hier einmal ein paar Zahlen zu nennen, will ich sie Ihnen auch vorlesen. Das hätte eigentlich der Kollege Schmidt (Würgendorf) getan, der zu dem Zulauf der Waffen und Geräte in der Bundeswehr einige Bemerkungen machen wollte. Ich will sie Ihnen nennen. Im Jahr 1971 wurden für die Bundeswehr unter anderem folgende Großgeräte übergeben: 426 Schützenpanzer „Marder", 126 leichte Mehrfachraketenwerfer, 23 Starfighter, 85 RF 4 E „Phantom".
Im Jahr 1972 lief an Großgerät in der Bundeswehr zu: 135 Kampfpanzer „Leopard", 624 Schützenpanzer „Marder", 100 Panzerabwehrraketensysteme „Tau". Es gibt dazu eine große Latte, die man aufführen könnte. Ich will jetzt nur sagen, was 1973 und 1974 vorgesehen ist. Wir haben allein bei Pioniergerät die Absicht, 100 Panzerbrücken für Brückenlegepanzer zu beschaffen; im Kraftfahrzeugbereich, den der Kollege Damm hier angesprochen hat — wir sehen natürlich, daß Altgerät vorhanden ist —: 8500 Kraftfahrzeuge verschiedener Typen, 3500 Kräder, 425 Kampfpanzer „Leopard", 80 Brückenlegepanzer, 800 Schützenpanzer „Marder", 6000 Maschinengewehre im Feldzeugmaterialwesen; bei den Flugzeugen 88 F 4 F, 90 Transporthubschrauber CA 53. Das ist eine respektable Latte. Man könnte sie sicher — —

(Abg. Damm: Wir haben es ja auch mit einer großen Bedrohung zu tun!)

— Herr Kollege Damm, darauf will ich noch ein paar Bemerkungen machen. Ich will nur sagen: man könnte diese Aufzählung natürlich erheblich erweitern.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können doch wirklich nicht bestreiten — mir will das einfach nicht in den Kopf —, daß der Haushalt 1973 einen erheblich höheren Ansatz hat, so daß Ihr Gerede von der Vernachlässigung der Verteidigungspolitik durch die sozialliberale Koalition unglaubwürdig ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie können uns, Herr Kollege Damm, vorhalten, daß dies weitgehend auf die Steigerung der nichtinvestiven Kosten zurückzuführen ist. Hierzu aber ein paar Bemerkungen. Die Bundeswehr erfüllt mit 480 000 Soldaten und über 170 000 zivilen Mitarbeitern den Rahmen, den sie innerhalb der NATO aufrechtzuerhalten sich verpflichtet hat. Die notwendigen Einkommensverbesserungen, die den Soldaten, Arbeitern, Angestellten und Beamten der Bundeswehr im Rahmen der allgemeinen Einkommensentwicklung zukommen, werden doch wohl von der Opposition nicht kritisiert werden können. In dieser Beziehung kann die Bundeswehr nicht schlechtergestellt werden als vergleichbare Gruppen unserer Gesellschaft.



Würtz
Auf dem personellen Sektor können wir zudem eine erfreuliche Tendenz feststellen. Herr Kollege Damm, ich erinnere nur daran, wie wir die Verkürzung der Wehrdienstzeit hier im Parlament debattiert haben. Allen Unkenrufen zum Trotz: die Probleme, die sich durch den Mangel an längerdienenden Zeit- und Berufssoldaten ergaben, scheinen durch die Maßnahmen, die der 6. Deutsche Bundestag im Bereich der Besoldung und der Laufbahnbestimmungen durchgesetzt hat, einer Lösung näherzukommen. Den Schwierigkeiten, die durch den Anstieg der Personal- und anderen Betriebskosten in den nächsten Jahren auf uns zukommen, kann nach unserer Auffassung nur im Rahmen einer neuen Wehrstruktur gesteuert werden. Vorschläge der Kommission liegen dem Verteidigungsminister vor. Ich bin sicher, daß der Herr Bundesminister Leber in seinem Haus die Realisierung gründlich prüfen wird, so daß wir uns im Deutschen Bundestag ebenfalls ausgiebig über die zur Diskussion stehenden Alternativen und ihre Konsequenzen unterhalten und, wie ich hoffe, zu einem gemeinsamen Votum kommen werden.
Ich möchte noch kurz auf ein weiteres Argument
eingehen das vorhin auch von Ihnen Herr Kollege
Damm, gegen diesen Haushalt vorgetragen wurde:
das angebliche Mißverhältnis zwischen den investiven und den nichtinvestiven Positionen des Ansatzes. Ich gebe zu, daß auch wir über die Entwicklung der Betriebskosten nicht besonders glücklich
sind. Das ist sicher niemand. Hier zeigen sich deutlich Probleme. Aber wenn man die Investitionskosten aus dem Einzelplan 14 und dem Einzelplan 60
addiert, so kommt man zu dem Ergebnis, daß im
Vergleich zum Ansatz des Vorjahres das Verhältnis
zwischen Betriebs- und investiven Kosten von 28,9
auf 28,6 % sinkt, zugleich aber real von 7,6 Milliarden DM auf 7,8 Milliarden DM steigt. Von einer
wesentlichen Verschlechterung, von einem — so
habe ich es jedenfalls verstanden — Ausverkauf der
Bundeswehr kann bei einer Senkung um 0,3 % nicht
die Rede sein. Wir haben diese Entwicklung — Sie
sind darauf eingegangen — seit 1963 zu verzeichnen, und sie stand sicherlich auch unter Ihrer Verantwortung. Natürlich müssen wir über diese Tatsache reden und entsprechende Überlegungen anstellen. Aber niemand kann davon reden, daß die
Bundeswehr dazu verdammt sei, nun keine neuen
Beschaffungsvorhaben mehr durchführen zu können.
Vorschläge der Wehrstrukturkommission zu diesem
Problem liegen uns vor.

(Vorsitz: Präsident Frau Renger.)

Auf weitere Einzelheiten des Einzelplans 14, den ich hier zu vertreten habe, möchte ich in dieser ersten Lesung nicht eingehen. Ich halte das Maß, das die Bundesregierung mit diesem Ansatz gefunden hat, für überzeugend. Die Sicherheit wird nicht vernachlässigt; sie wird auf der anderen Seite aber auch nicht überbetont. Über Einzelheiten des Entwurfs wird im Haushaltsausschuß sicherlich noch gründlich beraten werden müssen. Schwarzmalerei oder Vorwürfe, wie Sie sie erhoben haben, helfen nicht weiter.
Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, auffordern, konkrete Deckungsvorschläge für Ihre Mehrforderungen zu machen. Ich habe, wenn Sie hier von dem bösen Zustand der Bundeswehr sprechen, immer das Empfinden, daß Sie damit eigentlich die Forderung stellen, wir sollten 1 oder 1 1/2 Milliarden DM mehr für diesen Haushalt ausgeben. Sie müssen uns dann aber auch wirklich sagen, woher Sie diese Summe nehmen wollen. Zeigen Sie uns vernünftige Alternativen, und wir sind bereit, mit Ihnen darüber zu reden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702715300
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0702715400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte keine lange Rede mehr halten,

(Beifall)

weil ich weiß, daß Sie heute schon genug Reden gehört haben. Ich möchte nur ein paar Anmerkungen machen.
Erstens. Herr Kollege Damm hat meinem Kollegen Schmidt elitäre Arroganz vorgeworfen.

(Zuruf des Abgeordneten Barzel.)

Herr Damm, ich habe in Ihrer Rede keine Spur davon gefunden.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Ich sehe, Sie unterscheiden sich sehr von ihm. Aber auch dies ist nur die halbe Wahrheit. Halb haben Sie nämlich recht: Elite ist er trotzdem.

(Erneute Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Rawe: Aber nur was die Arroganz angeht!)

Das wollte ich gern gesagt haben.
Im übrigen haben sich zwei Drittel Ihrer Darstellungen mit dem SPD-Parteitag befaßt. Ich habe mich gefragt, worüber Sie wohl kontrovers gesprochen hätten, wenn es den Parteitag nicht gäbe.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Außerdem bedenken Sie bitte, was in der Brust eines Sozialdemokraten vorgeht, wenn er Sie über Anträge unserer Partei reden hört. Der Antrag, der Sie am meisten beschäftigt hat, stammt aus — ich muß erst nachsehen — Kirchentellinsfurt. Ich fürchte, dort haben Sie nicht einmal einen Ortsverein. Sie können also von dort auch keine Anträge kriegen.

(Erneute Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Sehen Sie, die SPD ist eben eine große Partei, und sie kriegt deshalb auch mehr Anträge. Im übrigen sollten Sie uns zutrauen, daß wir den Parteitag so bestehen, daß wir ihn nachher vor unserem Volk und auch vor dem Deutschen Bundestag voll verantworten können.

(Abg. Wehner: Versprechen Sie ihm ein Wortprotokoll mit Widmung hinterher!)




Bundesminister Leber
— Herr Kollege Wehner, ich habe sogar das Gefühl gehabt: er hat die Anträge noch genauer gelesen als wir beide.

(Große Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Dr. Barzel: Herr Wehner hat ja seine Sachen alle fertig!)

Ich wünsche der CDU nur, daß er ihre Anträge auch immer so exakt liest, wie er unsere liest. Das freut einen schließlich, denn eine Partei freut sich ja auch, wenn sie wichtiggenommen wird.

(Erneute Heiterkeit bei der SPD.)

Dann noch ein Zweites, und das sage ich allen Ernstes. Sie haben hier einen wunden Punkt berührt, Herr Damm, nämlich die Frage der Kriegsdienstverweigerer. Sie haben gesagt, daß 51 % davon Hochschüler seien. Sehen Sie, mir tut es ein bißchen weh, wenn Sie das der SPD vorwerfen. Wissen Sie, was mir dabei einfällt? Daß leider erst 10 % Arbeiterkinder an Hochschulen studieren. Ich kann Ihnen ohne jeden Vorwurf nur raten: Wenden Sie sich doch bitte mal an die Eltern dieser Kinder und sagen Sie ihnen, sie sollten ein bißchen mehr Einfluß auf ihre Söhne ausüben, damit sie den Wehrdienst in dem Maße leisten, in dem Arbeiter ihn leisten.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Das wollte ich bei der Gelegenheit gern einmal gesagt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich wäre froh darüber, wenn wir schon so weit wären, daß der Anteil der Arbeiterkinder unter den Hochschülern einen angemessenen Umfang erreicht hätte.
Sie haben des weiteren vom Antiamerikanismus gesprochen, und zwar etwa in dem Sinne, hier sei etwas im Gange, wofür wir verantwortlich seien. Was in den letzten Wochen hier hochgekommen ist, ist für mich etwas völlig Normales. Ich will die Gelegenheit benutzen, das hier einmal zu sagen. Ein paar Übungs- und ein paar Manöverplätze sind in Frage gestellt gewesen. Ich kenne das Problem schon aus meiner Zeit als Verkehrsminister: Wir wollen eine Autobahn haben. Sie muß möglichst nahe bei uns sein, aber, wenn es geht, über die Grundstücke der Nachbargemeinde geführt werden.

(Heiterkeit bei der SPD.)

In diesem Fall heißt das: Wir brauchen die USA- Armee hier. Sie ist wichtig für unsere Sicherheit. Üben muß sie aber nach Möglichkeit im Nachbarland oder in der Nachbarstadt. — Die Amerikaner kennen das, und sie wissen, daß es der deutschen Bundeswehr nicht anders geht.
Ich kann Ihnen zu meiner Freude aber sagen, daß die strittigen Objekte alle so gut wie bereinigt sind. Die Sache Feucht ist erledigt. Die Sache in Hanau ist nach meiner Auffassung auch völlig bereinigt. Es ist einem guten Freund von mir wahrscheinlich gar nicht so lieb, daß das schon bereinigt ist. Das ist also erledigt worden — ich sage das hier auch vor diesem Hohen Hause —, weil sich die Amerikaner in einem hohen Maße kompromißbereit und einsichtig gezeigt haben. Sie sind auf die kommunalen Behörden zugegangen und haben Verständigung gefunden. Darüber bin ich froh. Wir sollten diese Dinge deswegen nicht hochputschen. Andere Fälle sind mir nicht bekannt. Das sollte auch der Deutsche Bundestag bei allem, was in diesem Zusammenhang aus Zeitungen zitiert wird, mit berücksichtigen. Drüben wird das ja auch verfolgt. Es geht um drei Manöverplätze, nicht um mehr.
Sie haben dann einen weiteren Punkt angesprochen, der mir natürlich Sorge macht. Es ist die Frage: Wie sieht der Einzelplan 14 in sich aus? Wie hoch ist der Investitionsanteil? Ich verrate gar kein Geheimnis, wenn ich sage, daß ich lieber einen höheren Investitionsanteil hätte. Herr Kollege Damm, ich habe aber sorgfältig gerechnet. Ich möchte nämlich wissen, ob ich nicht nur vor unseren Soldaten, sondern auch im Bündnis bestehen kann. Ich kann Ihnen sagen, weder die Vereinigten Staaten von Amerika noch England haben in ihren Verteidigungshaushalten einen höheren Investitionsanteil als die Bundesrepublik Deutschland. Das hat SACEUR veranlaßt, mir mitteilen zu lassen, er sei sehr befriedigt über das, was heute dem Deutschen Bundestag vorgelegt worden sei, und er wünsche, daß das überall im Bündnis so sei. Mehr brauche ich eigentlich in Beantwortung Ihrer Frage gar nicht zu sagen. Damit ist ausgedrückt, daß die Bundesrepublik Deutschland mit diesem Haushalt, mit diesem Einzelplan 14 ihren Bündnisverpflichtungen in vollem Umfange gerecht wird.
Erlauben Sie mir, daß ich noch zwei Dinge sage, da ich gerade hier stehe. Wir haben eine Reihe wichtiger Strukturprobleme vor uns. Ich nehme ein Stichwort auf, das Sie genannt haben. Sie haben gesagt, über die nächste Kfz-Generation sei noch nicht entschieden, sie sei noch nicht da. Sie kommt auch nicht sofort, Herr Kollege Damm. Ich will Ihnen sagen, warum sie noch nicht kommt. Ich will wissen, ob wir diese vielen teuren Spezialfahrzeuge in unserer Bundeswehr brauchen und ob es genügt, billigere Fahrzeuge zu kaufen, die auf dem Markt handelsüblich verkauft werden.

(Beifall bei der SPD.)

Dies will ich erst wissen. Sie kosten halb soviel. Da wir davon ausgehen, daß wir keine Angriffskriege planen, brauchen wir auch keine Fahrzeuge, die in fremdem, schwierigem Gelände gefahren werden können. Wir können davon ausgehen, daß wir eine Verteidigungsarmee haben, und hier können handelsübliche Fahrzeuge voll ihre Aufgabe im Interesse der Verteidigung dieses Landes erfüllen.

(Beifall bei der SPD.)

Aber dieses Problem steht an. Darüber werden wir uns zu unterhalten haben.

(Abg. Dr. Wittmann [München]: Der Verteidigungsminister weiß nicht, daß beim Angriff vielleicht geschossen wird!)

Ich sage Ihnen nur, ich habe fünf Jahre lang im
schwierigsten Gelände einen Opel-Blitz 3,5-Tonner
in schlimmem Winter und in schlimmem Sommer



Bundesminister Leber
gefahren, und ich bin überall hingekommen, wohin ich wollte. Ich denke, es wird in unserer Heimat, wenn es jemals dazu kommen sollte, was ich nicht wünsche, auch mit handelsüblichen Fahrzeugen zu bewerkstelligen sein. Ich hoffe aber, daß wir sie nie brauchen, weder die Spezialfahrzeuge noch die handelsüblichen Fahrzeuge.

(Abg. Dr. Wittmann [München] : Bei gesprengten Straßen!)

In diesem Zusammenhang sage ich etwas über ein Thema, das den Bundestag befassen wird. Ich glaube, es ist gehörig, daß es der Bundesverteidigungsminister nicht unerwähnt läßt. Wir stehen vor schwierigen Wehrstrukturproblemen. Das einzige, was ich bis jetzt sicher weiß, ist: Die gegenwärtige Wehrstruktur hält nicht mehr lange. Würden wir sie beibehalten, würden wir in einigen Jahren unseren Verteidigungsbeitrag im Bündnis nicht mehr erfüllen können. Das ist aber auch das einzige, was feststeht. Darin sind wir sicher alle einer Meinung.
Wir brauchen deshalb eine neue Wehrstruktur. Ich möchte hier gern sagen, damit es auch im Protokoll steht, weil es für draußen wichtig ist: Wir suchen nach einer neuen angemessenen Wehrstruktur und fassen unsere Aufgabe, nach einer neuen Wehrstruktur zu suchen, nicht als ein Deckblatt für für eine Demontage unseres Verteidigungsbeitrags oder der deutschen Bundeswehr auf. Unter neuer Wehrstruktur verstehe ich eine Bundeswehr, die mit mindestens dein gleichen Kampfwert und mindestens der gleichen Präsenz in der Lage ist, ihre Bündnisverpflichtungen zu erfüllen. Da soll und darf es keine Abstriche geben.
Drittens. Ich gehe davon aus, daß wir Ende April so weit sind, unsere Vorschläge geklärt zu haben. Dann wird sich das Kabinett im Verlaufe dieses Jahres mit seiner Entscheidung zu befassen haben. Ich hoffe, daß es möglich ist, am Ende dieses Jahres dem Deutschen Bundestag die Vorschläge der Bundesregierung für eine neue Wehrstruktur zu unterbreiten. Ich habe die Hoffnung — ich bitte, das nicht falsch zu verstehen; denn ich weiß, daß ich hier keine Termine anzudeuten habe —, daß der Deutsche Bundestag in einer Frist von einem bis anderthalb Jahren dann in der Lage sein wird, die neue Wehrstruktur, soweit sie der Gesetzgebung bedarf, in die Praxis umzusetzen.
Im übrigen gehen wir davon aus, daß wir im Bündnis ausreichend zu konsultieren haben und alles, was zu geschehen hat, in Übereinstimmung mit unseren Verbündeten geschehen muß.
Wir reden von Entspannung. Ich habe diesen Beitrag hier nicht geleistet, um eine Konfrontation zu schaffen, sondern weil ich es für nötig hielt, die Zweifel, die bei Ihrer Ansprache aufgekommen sind, Herr Damm, doch ein wenig auszuräumen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702715500
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wörner.

(Zuruf der SPD: Was versteht der denn vom Haushalt?)


Dr. Manfred Wörner (CDU):
Rede ID: ID0702715600
Ebensoviel wie Sie von Verteidigung, so hoffe ich.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich würde mich freuen, wenn Sie mir gütigst — ich sehe ein, es ist schon spät noch ein paar Minuten Gehör schenken wollen.

(Zuruf von der SPD: Nur wenn das nicht die Rede vom vorigen Jahr ist!)

Ich finde, die Bemerkungen des Herrn Bundesverteidigungsministers haben es verdient, daß man in ein paar Sätzen darauf eingeht. Lassen Sie mich mit einer Feststellung beginnen.
Herr Leber, wenn die Gesinnung und die Haltung, die Sie zu Problemen der Verteidigung eingenommen haben und einnehmen, Allgemeingut in Ihrer Partei geblieben wären, dann hätten wir in der Tat keinen Anlaß, uns mit den Anträgen zum Bundesparteitag der SPD zu befassen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich muß allerdings doch ein paar Dinge zurechtrücken. Sie haben uns aufgefordert, die Anträge unserer Partei zu lesen. Ich würde das replizieren wollen und Ihnen empfehlen, die Anträge Ihrer eigenen Partei etwas mehr zu lesen. Was uns am Antrag 73 des Ortsvereins Kirchentellinsfurt stört

(Lachen bei der SPD)

— ja, Sie lachen und werden anschließend wahrscheinlich noch mehr lachen, so hoffe ich zugunsten von Herrn Wehner —, ist nicht die Tatsache, daß ein Ortsverein Kirchentellinsfurt das beantragt. Was aber Ihrer Aufmerksamkeit, Herr Leber, vielleicht entgangen ist und was uns besorgt macht, ist, daß die Antragskommission unter dem Vorsitz Ihres Fraktionsvorsitzenden die Annahme dieses Antrags empfohlen hat.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Da wir wissen, daß die Folge der Annahme dieses Antrags faktisch die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht und damit die Auflösung der Bundeswehr nicht nur in ihrer gegenwärtigen Struktur wäre, wenden wir uns mit aller Entschiedenheit und auch hier im Parlament, wie das mein Kollege Damm getan hat, gegen diesen Antrag und gegen die drohende Gefahr einer Annahme dieses Antrages.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es steht Ihnen bei all Ihrer sonstigen Gesinnung schlecht an; Herr Leber; sich aus Solidarität hier hinzustellen und das Ding herabzuspielen, anstatt hinzustehen, auch in diesem Parlament hinzustehen und Ihrem Kollegen Wehner einmal zu sagen, was Sie in einem Interview schon gesagt haben: daß man so nicht verfahren kann, wenn man die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten will.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich will diese Zitate hier mit einer Ausnahme, auf die ich gleich noch komme, nicht fortsetzen.



Dr. Wörner
Nun haben Sie zur Wehrdienstverweigerung einiges gesagt. Wir sind uns hier in der Grundhaltung einig. Bloß einen Zungenschlag, Herr Leber, fand ich nicht nur unfair, sondern auch unsachlich. Wenn Sie hier so tun, als ob es eine Rollenverteilung dergestalt gäbe, daß Sie sich mit den Arbeiterkindern zu beschäftigen hätten, während wir uns mit den Studenten und ihren Familien auseinanderzusetzen hätten, dann frage ich Sie: Warum rühmen Sie sich denn in ihren Wahlkämpfen und nach Ihren Wahlkämpfen, daß Sie gerade zu den Studenten bessere Beziehungen hätten und daß die Studenten mehrheitlich Sie wählten? Ich würde also dringend bitten, daß wir das aus der Debatte lassen.
Im übrigen, wenn wir schon einmal bei den Prozentsätzen der Arbeiterkinder an unseren Hochschulen sind: Ich kann mich nicht erinnern, eine Statistik gesehen zu haben, wonach in sozialdemokratisch regierten Bundesländern der Prozentsatz der Arbeiterkinder an den Hochschulen höher wäre als in Ländern der CDU/CSU. Ich kann sogar sagen, daß er in dem von der CDU regierten Bundesland Baden-Württemberg am höchsten ist. Ich würde doch bitten, daß Sie das langsam zur Kenntnis nehmen und auch Ihre Argumentation in dieser Weise einstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich glaube aber, wir könnten uns verständigen, wenn Sie wie wir unsere Anstrengungen, unabhängig davon, ob es sich um junge Arbeiter oder junge Studenten oder sonst jemand handelt, darauf konzentrieren, Verständnis für den Sinn der Verteidigung zu wecken und aufrechtzuerhalten.
Sehen Sie, Herr Leber, wenn wir uns über die Anträge zu Ihrem Bundesparteitag aufregen — und zwar nicht künstlich aufregen — und wenn wir uns ärgern und uns nicht nur über das ärgern, was von den Jungsozialisten beschlossen wurde, dann doch nicht deswegen, weil das hier auf Papier gedruckt steht, sondern deswegen — und davon haben Sie doch auch schon etwas zu spüren bekommen —, weil draußen die gleichen Leute an den Schulen, gegenüber der Bundeswehr, auch schon gegenüber den jungen Lehrlingen anfangen, das Verständnis für die Verteidigungsbereitschaft zu untergraben und Aktionen gegen die Bundeswehr zu starten. Darum sind wir beunruhigt, und Sie sind — wenn Sie nämlich hier reden könnten, wie Sie wollten —

(Zurufe von der SPD)

genauso beunruhigt wie wir.

(Zurufe von der SPD.)

Sonst könnte ich mir das Interview nicht erklären, das Sie in Ihrer eigenen Partei abgegeben haben, Herr Leber.
Ich möchte dringend davor warnen, das Ganze jetzt als eine Art Polemik der CDU/CSU abzuwerten. Hier geht es um wesentlich mehr. Wenn es Ihnen nicht gelingt — und ich wünsche Ihnen, daß Ihnen das gelingt, und ich zweifle gar nicht daran, daß Sie den Mut haben werden, auf diesem Parteitag hinzustehen —, nicht nur morgen oder übermorgen, sondern auf die Dauer in Ihrer eigenen Partei die Überzeugung von der Notwendigkeit der Verteidigung angesichts der internationalen Lage zu verankern, dann brauchen wir uns über kurz oder lang — leider, sage ich — keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie hoch oder wie niedrig der Bundesverteidigungsetat ist. Dann ist die psychologische Basis entschwunden, auf der allein wir die Verteidigung dieses Volkes aufbauen könnten. Deswegen stehen wir hier und mahnen Sie, und deswegen sind es wir, die draußen im Augenblick die Last der Begründung der Verteidigung im wesentlichen zu tragen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zum Antiamerikanismus: Ich glaube, da liegt ein Mißverständnis vor, Herr Kollege Damm hatte keineswegs die Proteste gemeint, die es gegen einige Truppenübungsplätze gegeben hat, auch weiterhin geben wird und in der Vergangenheit gegeben hat, wie wir alle wissen. Aber was der Kollege Damm angesprochen hat, sind politische Anträge und Meinungsäußerungen Ihrer führenden Sozialdemokraten. Ich denke etwa an den Oberbürgermeister einer Stadt, die sich nicht allzufern von Ihrer Heimat befindet.
Jetzt bin ich bei einem zweiten Zitat, bloß um das einmal zu unterstreichen. Auch wieder ein ganz kleiner Ortsverein — allerdings ein ganz besonderer — der SPD hat einen Antrag gestellt. In dem Antrag Nr. 232 heißt es als Forderung wörtlich:
... wesentliche Verminderung der amerikanischen Streitkräfte in der Bundesrepublik bei Abbau der Devisenausgleichszahlungen.
Das ist einer von vielen Anträgen. Er ist nur deswegen so bemerkenswert - und deswegen läßt er sich nicht wie der von Kirchentellinsfurt völlig herunterspielen —, weil das der Ortsverein Bonn-Poppelsdorf-Venusberg und damit der Ortsverein ist, dem der Herr Bundeskanzler persönlich angehört. Ich meine, es ist mehr als ein Gag, wenn wir feststellen, daß der Ortsverein, dem der Vorsitzende dieser Partei und Bundeskanzler angehört, einen Antrag unterschreibt, der in diametralem Gegensatz zu all dem steht, was die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland garantiert, was Sie und Herr Brandt für richtig halten.

(Zuruf des Abg. Horn.)

— Herr Horn, wir beide wissen ja, wie wir darüber denken. Dann seien Sie doch so ehrlich und stellen sich hin und sagen auch: das gefällt mir nicht, und versuchen Sie nicht, das herunterzuspielen. Wie anders denn sollen wir den Kampf draußen in der Öffentlichkeit durchstehen — Sie wie ich —, wenn das so weitergeht?

(Abg. Horn: Herr Wörner, der Antrag des Ortsvereins Poppelsdorf war kein Argument! Das müssen Sie in die richtige Relation setzen!)

Jetzt darf ich mich noch kurz einer anderen Frage zuwenden. Herr Leber, Sie haben sich zum Investitionsanteil geäußert. Selbstverständlich ist das eines der Grundprobleme. Ich spreche gar nicht von mangelndem Verschulden oder von Verdiensten. Aber



Dr. Wörner
eines muß, glaube ich, gesagt werden — wenn Sie es nicht sagen können, sagen wir es —, und ich habe diese Aussage sorgfältig vorbedacht und auch rechnerisch nachgeprüft. Der Investitionsanteil, den Sie in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen haben — angefangen vom Jahre 1973 bis hin zum Jahre 1976 —, reicht nicht aus, um die Bundeswehr kampfkräftig zu halten, reicht nicht aus, um die Bundeswehr auf einem modernen Ausrüstungsstand zu halten. In der zweiten Lesung wird der Platz sein, wo wir diese Aussage im einzelnen nachzuweisen haben.
Wenn Sie auf Großbritannien und auf andere NATO-Staaten verweisen, muß ich Ihnen sagen, daß nach einer Statistik des Londoner Instituts für strategische Studien der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt Großbritanniens 4,5 %, Frankreichs 3,3 % beträgt, während der der Bundesrepublik Deutschland inzwischen auf 2,8 % abgesunken ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Ich kann die Äußerung von SACEUR nicht nachprüfen. Selbst wenn ich sie nachprüfen könnte und feststellte, sic wäre so erfolgt ich will daran auch gar nicht zweifeln —, muß ich Ihnen sagen: ob SACEUR diese Äußerung auch noch machen wird, wenn er die zweite Lesung des Etats mit allen Einzelheiten mitgekriegt hat, möchte ich bezweifeln.
Vorletzte Bemerkung: Kraftfahrzeuggeneration. So sympathisch ich das, was Sie gesagt haben, finde, und so sehr es richtig ist, daß man in der Tat nachprüfen muß, ob es angesichts der Finanzknappheit nicht auch handelsübliche Fahrzeuge tun,

(Abg. Dr. Wittmann [München] : Der neue Leber-Plan!)

darf ich Sie doch darauf aufmerksam machen — manchmal hat man den Eindruck, die SPD merkt das gar nicht —: Sie sind immerhin seit 1969 — mit einem anderen Koalitionspartner — an der Regierung — Sie waren auch schon vorher in der Mitverantwortung —, und mindestens seit dem Jahre 1969 wußte man, daß es Schwierigkeiten mit der Kraftfahrzeuggeneration geben würde. Mindestens seit 1969 hätte dem damaligen Bundesverteidigungsminister — übrigens auch dem jetzigen — einfallen können, daß man hier eine andere Lösung suchen müßte. Wem sagen Sie das eigentlich? Sie haben das hier im Ton der Polemik in den Saal gestellt. Bei uns finden Sie dagegen keinen Widerspruch. Es muß lediglich sichergestellt werden, daß rechtzeitig und jetzt beschleunigt entschieden wird. Es ist doch eine Tatsache. daß Sie bei der augenblicklichen Kraftfahrzeuggeneration steigende Materialerhaltungskosten haben. Diese steigenden Materialerhaltungskosten schlagen sich in dem Titel jetzt insgesamt in einer Steigerungsrate von annähernd 20 % nieder. Die nehmen Ihnen in der Zukunft genau den Spielraum, den Sie brauchen, um die neue Kraftfahrzeuggeneration einzuführen. Je länger Sie warten, desto schwieriger wird eine Lösung. Deswegen kann ich nur sagen: es ist gut, wenn Sie prüfen lassen; aber es ist noch besser, wenn Sie hier möglichst schnell entscheiden.
Eine weitere Bemerkung. Ihre Bemerkungen zur Wehrstruktur finden unsere Unterstützung. Wir sind dankbar, daß Sie diesen Zeitplan aufgestellt haben. Ich sehe ein, daß das nicht früher zu machen ist. Wir warten auf Ihre Stellungnahme. Wir sind selbst dabei, uns eigene Gedanken zu machen.

(Zurufe von der SPD.)

— Wissen Sie, ich möchte einen der Kollegen, die sich jetzt verschiedentlich — ich habe es mir bis jetzt verkniffen, darauf einzugehen — zu Zwischenrufen nicht gemeldet haben, sondern die sich zu Bemerkungen haben hinreißen lassen, bitten, im Verteidigungsausschuß oder sonst im Plenum des Deutschen Bundestages endlich einmal einen Sachbeitrag zur Verteidigungspolitik abzugeben. Dann würde ich Ihre hämischen Zwischenrufe ein bißchen ernster nehmen, als ich das im Augenblick kann. So kann ich allerdings nur sagen: wenn man nichts von der Sache versteht, sollte man besser den Mund halten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Eine letzte Bemerkung wollte ich anschließen. Ich hoffe, daß ausreichend Ruhe ist, um das zu tun. Wir teilen Ihre Auffassung, daß die Änderung der Wehrstruktur nicht etwa ein Vorwand sein darf, um dahinter Reduzierungen vorzunehmen, sei es in der Kampfkraft, sei es in der Präsenz, sei es im Haushalt. Ich glaube, wenn das die Überzeugung aller Parteien in diesem Hause ist, können wir in dem Punkt zur Kooperation kommen, die wir uns für den gesamten Verteidigungsbereich wünschen. Daß das nicht geheuchelt ist, wissen Sie; das haben wir unter Beweis gestellt. Dazu müssen Sie jetzt aber in Ihrer eigenen Partei die Voraussetzungen schaffen. Wir haben sie geschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702715700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel (Ennepetal).

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0702715800
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn dieses Haus über Erhöhung der Dienst- und Versorgungsbezüge im öffentlichen Dienst zu beschließen hatte, dann ging es dabei noch vor wenigen Jahren ebenso wie bei den Tarifverhandlungen in der Wirtschaft vorwiegend — ich sage: vorwiegend — um die Teilnahme der Beschäftigten am laufenden Zuwachs der realen Einkommen, also um Verbesserung der realen Kaufkraft ihrer Bezüge. Der Ausgleich von Kaufkraftverlusten durch Geldwertverringerung nahm regelmäßig nur einen Bruchteil der Erhöhung in Anspruch. Diese Situation gab dem Gesetzgeber einen verhältnismäßig breiten Ermessensspielraum für die Bemessung des Einkommenszuwachses und für seine Aufteilung auf lineare und strukturelle Maßnahmen.
Leider hat sich dieses Bild grundlegend verschlechtert. Als im März 1971 der Bund die volle Gesetzgebungskompetenz und damit die verantwortliche Führungsrolle für die Besoldung und Versorgung übernahm, brachte das Erste Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetz, wenigstens in



Vogel (Ennepetal)

Teilbereichen des Bundes, noch einmal wesentliche reale Einkommensverbesserungen, nämlich durch die Angleichung an günstigere Verhältnisse in den Ländern. Für die meisten Beamten und Versorgungsempfänger der Länder und Gemeinden war schon 1971 der reale Einkommenszuwachs geringer. Seitdem sind amtliche Ankündigungen und selbst einstimmige Beschlüsse des 6. Deutschen Bundestages, in dem bekanntlich keine andere Fraktionen vertreten waren als in diesem Bundestag, nicht eingehalten worden. Die Besoldungserhöhung des Jahres 1972 um 4 % und einen Sockelbetrag von 30 DM reichte in vielen Fällen, z. B. bei Beamten mit mehreren Kindern, nicht einmal zum Ausgleich des Kaufkraftschwundes aus. Seit 1949, seit Bestehen dieser Bundesrepublik, dürfte das der erste Fall gewesen sein, in dem eine Besoldungserhöhung nur noch dem Namen nach eine Erhöhung real, aber ein Stillstand oder sogar ein Rückschritt war.
Für 1973 schlägt jetzt die Bundesregierung eine Erhöhung der Bezüge um angeblich 6 % und einen Sockelbetrag von 40 DM vor. Auf den Wahrheitsgehalt der 6 % komme ich noch zu sprechen. Auch in diesem Vorschlag steckt angesichts eines Geldwertverlustes von bald 7 DM auf jeden Hundertmarkschein aus dem vorigen Jahr wiederum keine nennenswerte reale Einkommenssteigerung.
Trotzdem ist es der Bundesregierung gelungen — dieses fragwürdige Verdienst muß ich ihr lassen —, außer den Betroffenen auch die Opposition in eine Zwickmühle zu bringen. Wir halten einerseits eine angemessene Teilnahme am realen Einkommenszuwachs für die Beamten, Richter und Soldaten sowie die Versorgungsempfänger ebenso wie bei den Beschäftigten der freien Wirtschaft für unverzichtbar. Ich erinnere daran, daß der Rechtsanspruch darauf sich aus dem Grundgesetz ergibt und seit 1971 in § 60 des Bundesbesoldungsgesetzes ausdrücklich konkretisiert ist. Auf der anderen Seite sehen wir durchaus, daß sich die Tarifpartner in der Wirtschaft um die Jahreswende 1972/73 zu dem Versuch bereit gefunden haben, die wirtschafts- und finanzpolitischen Sünden der Bundesregierung durch äußerst maßvolle Tarifabschlüsse ausgleichen zu helfen. Die jüngste Tarifentwicklung weckt allerdings schon Zweifel, inwieweit die gleiche Bereitschaft heute noch besteht, auch angesichts der Aufforderung des Herrn Bundespostministers Ehmke zum Nachfassen, die an die Tarifpartner auf der Arbeitnehmerseite gerichtet worden ist. Aber, meine Damen und Herren, solange der Versuch, die Tarifpartner hier einzubinden, nicht endgültig gescheitert ist, kann die Opposition ihre Mitwirkung nicht versagen. Ich sage das ausdrücklich. Meine Fraktion ist deshalb trotz aller Vorbehalte bereit — vielleicht muß ich sagen: noch bereit —, den grundsätzlichen Rahmen des Regierungsentwurfs mit einer Erhöhung der Bezüge um 6 % und 40 DM Sockelbetrag mitzutragen.
Sie dürfen allerdings nicht übersehen, daß wir es bei dieser Praxis nicht nur mit einer laufenden Nivellierung im öffentlichen Dienst zu tun haben, sondern daß diese Praxis auch ausgesprochen familienfeindlich ist.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Wir müssen mit um so größerem Nachdruck darauf hinweisen, daß gerade bei Anerkennung dieses grundsätzlichen Rahmens einige Korrekturen am Zweiten Besoldungserhöhungsgesetz unerläßlich sind. Hierzu machen wir vier Vorschläge, die wir in Form von Anträgen im Beratungsverfahren einbringen werden.
Erstens. Die prozentuale Anhebung um 6 % ist die unterste Grenze des Vertretbaren. Sie muß deshalb nicht nur angekündigt, sondern auch voll erfüllt werden. Ich sage bewußt „voll erfüllt", denn der Regierungsentwurf wendet hier rechnerische Tricks an, nämlich die Herausnahme verschiedener Einkommensbestandteile aus der prozentualen Erhöhung mit dem Ergebnis, daß in Wahrheit eine Bruttoeinkommensanhebung von nur 5,2 bis 5,4 % erzielt wird.
Dies, meine Damen und Herren, ist eine Täuschung der Öffentlichkeit und der Betroffenen, eine Täuschung, die wir nicht mitmachen können und von der sich auch die Bundesregierung schleunigst und beschämt distanzieren sollte. Wir verlangen eine echte sechsprozentige Erhöhung, eine echte sechsprozentige Einkommensverbesserung für den öffentlichen Dienst. Das heißt, daß alle Bestandteile der Dienst- und Versorgungsbezüge — einschließlich früherer sogenannter Sockelzuschläge, einschließlich der allgemeinen Verwaltungszulage, einschließlich der Techniker-, der Polizei- und aller sonstigen Zulagen — einbezogen werden müssen.
Wenn diese Praxis, wie sie im Regierungsentwurf enthalten ist, weitergeführt werden sollte, würde das bedeuten, daß wir mit zunehmender Tendenz Einkommensbestandteile im öffentlichen Dienst erhalten, die an Besoldungserhöhungen nicht mehr teilnehmen. Ich glaube, daß das eine Entwicklung ist, die einfach so nicht hingenommen werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zweitens. Wenn die Konjunkturlage schon keine angemessene reale Einkommensverbesserung zuläßt, so kann und soll wenigstens — das ist unsere Auffassung — die vermögenswirksame Leistung von zur Zeit 13 DM auf 26 DM im Monat erhöht werden. Ich darf an entsprechende Anträge vom vorigen Jahr erinnern. Diese Verbesserung bliebe konjunkturneutral und stellte einen bescheidenen weiteren Schritt zur Vermögensbildung des einzelnen dar.
Drittens. Für Beamte, Richter und Soldaten im Ruhestand und für ihre Hinterbliebenen muß die Anhebung des sogenannten Stellenplananpassungszuschlages, durch den sie wenigstens teilweise an den strukturellen Besoldungsverbesserungen teilnehmen, ebenso wie alle anderen Maßnahmen des Entwurfs am 1. Januar und nicht erst am 1. Juli 1973 in Kraft treten. Es ist meinen Freunden und mir völlig unverständlich — und den vielen Versorgungsempfängern des öffentlichen Dienstes wird es ebenso unverständlich sein —, warum diese Erhöhung als einzige ein halbes Jahr später in Kraft treten soll. Der Bund spart dadurch nach der eigenen nachgereichten Rechnung der Regierung einmalig in



Vogel (Ennepetal)

diesem Jahr 13 Millionen DM bei Gesamtkosten des Entwurfs von über 1 Milliarde DM; er spart also etwa 1 °/o der Kosten des Entwurfs.
Ich frage: Was gibt der Regierung das Recht, wegen dieser vergleichsweise völlig unbedeutenden Einsparung mit zweierlei Maß zu messen? Das ist nicht sinnvolle Sparsamkeit; das ist Schikane und Willkür.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ich hoffe, daß dieses Hohe Haus den unbegreiflichen Ausrutscher der Regierung geschlossen korrigieren wird.
Nötig ist ferner die Anhebung der beiden Sätze des Stellenplananpassungszuschlages auf 7% und 10 % anstatt 6% und 10 %, weil sich beide Sätze doch wohl nicht auseinanderentwickeln, sondern allmählich einander nähern sollen.

(Zuruf von der SPD: Jetzt reden Sie mal über Kriminalität!)

Ebenso nötig ist es, innerhalb des Gesamtrahmens die eigentlich selbstverständliche Einbeziehung der Mindestversorgungsempfänger in die allgemeine Harmonisierungszulage nachzuholen.

(Zuruf von der SPD: Über Kriminalität sollen Sie reden!)

— Wissen Sie, Herr Kollege, ich habe hier heute Redner — sogar der Bundesregierung — erlebt, bei denen man nicht den Eindruck hatte, daß sie wußten, von welcher Sache sie sprachen.

(Zuruf von der SPD: Aber ich möchte etwas über Kriminalität hören!)

Viertens. Als letzten Punkt verlangen wir die Einbeziehung der Polizeivollzugsbeamten des Bundes und hier vor allem des Bundesgrenzschutzes in die allgemeine Polizeizulage.

(Zustimmung des Abg. Wagner [Günzburg].)

Das neue Bundesgrenzschutzgesetz hat mit Zustimmung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages die Rechtsstellung des Bundesgrenzschutzes als Polizei des Bundes und seine polizeilichen Aufgaben eindeutig klargestellt. Der Bundesgrenzschutz hat ebenfalls mit Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses und mit Zustimmung der Länder zunehmend wichtige polizeiliche Schwerpunktaufgaben übernommen. Es gibt daher keinen Grund mehr, die Polizeibeamten des Bundes besoldungsmäßig anders zu behandeln als ihre Kollegen in den Ländern.
Lassen Sie mich hier hinzufügen: die unqualifizierten Pauschalangriffe gegen den Bundesgrenzschutz — nicht nur durch den derzeitigen Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, sondern neuerdings auch in den Spalten des SPD-amtlichen „Vorwärts" — sind im Innenausschuß dieses Hauses einmütig zurückgewiesen worden. Wir sollten uns durch diese Angriffe in keiner Weise davon abhalten lassen, den Angehörigen des Bundesgrenzschutzes die ihnen nach ihrer Aufgabenstellung zukommende Besoldung zuzubilligen. Mit der Polizeizulage sollte schon jetzt ein Anfang gemacht werden. Wir wissen, daß hier Weiteres notwendig ist.
Ich weiß, meine Damen und Herren, daß diese Vorschläge ein äußerst bescheidenes Ergänzungskonzept zum Regierungsentwurf darstellen. Ich habe Ihnen dargelegt, warum wir uns darauf beschränken. Wir haben das nicht zuletzt in der Erwartung getan — vielleicht sollten Sie doch einmal zuhören, meine Damen und Herren —,

(Zuruf von der SPD: Das ist so schwierig!)

daß wir für diese bescheidenen Vorschläge die unvoreingenommene Prüfung — falls Ihnen das noch möglich ist! — und schließlich die Unterstützung der Vertreter der Mehrheit in diesem Hause erreichen können.
Zum Schluß möchte ich noch ein ernstes Wort zum Fehlen aller strukturellen Maßnahmen in diesem Entwurf sagen.
Meine Fraktion und ich gehen davon aus, daß für die drängenden Strukturprobleme, vor allem im Bereich der Polizei sowie im Anschluß an die Entwicklung der Fachhochschulen ich nenne hier die graduierten Ingenieure, die staatlich geprüften Techniker im öffentlichen Dienst als Modell für alle anderen Betroffenen oder in die Entwicklung noch einzubeziehenden Bereiche —, noch in diesem Jahr im Entwurf eines Zweiten Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgestzes vorwärtsweisende Lösungsvorschläge gemacht werden.
Seit 1970/71, den Jahren der Einführung der Fachhochschulen in den Ländern, schiebt die Bundesregierung die Problematik vor sich her.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Probleme haben sich aber durch Liegenlassen keineswegs erledigt, sondern sind immer drängender geworden. Wir erwarten Lösungsvorschläge, Herr Bundesinnenminister, die die neuen Bildungsabschlüsse ernst nehmen und deshalb nicht einfach durch zögernde Besoldungszugeständnisse beschwichtigen wollen, sondern die Funktionen im öffentlichen Dienst neu aufteilen und auf der neuen Aufgabenstruktur eine neue Laufbahn- und Besoldungsstruktur aufbauen.
Ebenso erwarten wir konstruktive Vorschläge — das ist, meine Damen und Herren, ein weiteres wichtiges und ernstes Kapitel —, um die Teilnahme der Versorgungsempfänger an bisherigen und künftigen strukturellen Besoldungsverbesserungen auf eine möglichst einheitliche, dauerhafte und gerechte Grundlage zu stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702715900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Liedtke.

Karl Liedtke (SPD):
Rede ID: ID0702716000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich komme mir ein bißchen wie das Sandmännchen vor, das nun so langsam hier das Abendlied singt.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Dr. Wörner: Mit dem Unterschied, daß wir noch nicht einzuschlafen gedenken!)




Liedtke
— Je länger Sie jetzt mitreden, desto länger dauert zwangsweise das Abendlied.
Herr Vogel hat hier in gemessenem Ton angeblich bescheidene Verbesserungen vorgeschlagen.

(Abg. Wagner [Günzburg] : Das sind Sie!)

Herr Vogel, im Stenographischen Bericht der Sitzung vom 25. Januar 1973 steht zu lesen, was Sie in der Aussprache über die Regierungserklärung gesagt haben. Ich zitiere:
Was geschieht mit dem einstimmigen Beschluß des Bundestages vom 3. März 1971? Ich glaube, diese Frage ist nach der Zwischendiskussion ... um so berechtigter ....
Es geht da, Herr Vogel, um folgendes: Sie fordern, um die Glaubhaftigkeit des Deutschen Bundestages wiederherzustellen, daß wir den Beschluß auf Wegfall der Eingangsämter, den wir gemeinsam gefaßt haben, nun aber auch verwirklichen. Das steht hier so einfach. Jetzt haben Sie es nicht gesagt, aber das ist ja noch ganz frisch.

(Abg. Vogel [Ennepetal] : Sie hatten Ihre Rede schon vorbereitet!)

Nachdem Herr Vogel so bescheiden das Podium verlassen hat, darf ich einmal darstellen, wie das aussieht: Das kostet, Herr Vogel, beim Bund, beim Bundesgrenzschutz und der Bundeswehr 350 Millionen DM, das kostet bei der Bahn und bei der Post 350 Millionen DM — genau: 1 1/2 Millionen DM weniger —, zusammen 700 Millionen DM. Da wir hier auch Besoldungsmaßstäbe für Länder und Gemeinden setzen, addiert sich die Forderung von Herrn Vogel in ihrer bescheidenen Ausdrucksweise auf knapp 1 1/2 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, so schnell geht das, wenn man im Besoldungsbereich Zahlen wegläßt. Das kann sehr, sehr gefährlich werden. Ganz so bescheiden wie Ihre Anträge — die wir alle prüfen wollen macht sich das nun auch nicht.
Herr Vogel operiert als großer Gönner und will die Polizeizulage, den Rest, der nach der Abschmelzung noch da ist, auf den Bundesgrenzschutz übertragen. Darf ich die Opposition daran erinnern, daß Regierung und Koalition drei Wochen vor Auflösung des Bundestages die abgeschmolzene Polizeizulage durch einen Gesetzentwurf wieder aufstokken wollten und daß es von Ihnen abgelehnt wurde, das zu behandeln und zu verabschieden.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Nun nimmt Herr Vogel die schäbigen Reste der Polizeizulage und geht damit zum Grenzschutz. Der Grenzschutz wird sich bedanken. Wir wollen sie dem Grenzschutz auch geben, wenn wir eine Polizei daraus machen, brauchen aber dann eine Zulage, wie sie einmal war.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702716100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Karl Liedtke (SPD):
Rede ID: ID0702716200
Bitte schön! — Ich möchte nur den Satz zu Ende führen. Haben Sie auch überlegt, Herr Vogel, daß beispielsweise beim Grenzschutz, wenn er Polizei wird, der einfache Dienst nicht mehr angesiedelt werden kann, denn den haben wir bei der Polizei auch nicht? Auch hier kommen zwangsweise durch Gesetze, die wir gemacht haben, im nachhinein Personalentscheidungen auf uns zu, die wir dann freilich auch gewollt haben. — Bitte, Herr Vogel!

Friedrich Vogel (CDU):
Rede ID: ID0702716300
Herr Kollege Liedtke, wenn ich davon ausgehe, daß es sicherlich sehr seriös wirkt, wenn seitens der Koalitionsparteien immer wieder darauf hingewiesen wird, daß Anträge, die die Opposition einbringt, Geld kosten, sind Sie dann bereit, mir zuzustimmen, daß man dann auch Prioritäten unterschiedlich setzen kann, daß man in die Kritik Gesetzentwürfe einbeziehen muß, die aus den Reihen der Koalition kommen und ebenfalls Geld kosten? Ich denke z. B. an zwei Gesetzentwürfe, die erst kürzlich eingereicht worden sind und die Bund, Länder und Gemeinden und andere Körperschaften eine runde halbe Milliarde D-Mark jährlich kosten werden.

Karl Liedtke (SPD):
Rede ID: ID0702716400
Herr Vogel, ich wollte mit diesem Beispiel — jener Äußerung von Ihnen — nur demonstrieren, daß ich all Ihren vorgebrachten Ergänzungsanträgen wohlwollend gegenüberstehe, aber erst dann, wenn ich dahintergeleuchtet habe, was der Vogel da wieder an Geldausgaben fabriziert hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702716500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Karl Liedtke (SPD):
Rede ID: ID0702716600
Bitte, Herr Wagner!

Dr. Leo Wagner (CSU):
Rede ID: ID0702716700
Herr Kollege Liedtke, teilen Sie meine Auffassung, daß es Aufgabe und Pflicht der Bundesregierung ist, wenn das Konzept, das 1971 vom Bundestag einstimmig und mit Zustimmung der Bundesregierung verabschiedet wurde, aus finanziellen Gründen jetzt nicht zu verwirklichen ist, Vorschläge zu unterbreiten, die von mir aus in Stufen diesem Ziel dienen, daß es aber absolut unzumutbar ist, diese Konzeption stehenzulassen, ohne eine Aussage zu machen, wie das Problem, das uns auf den Nägeln brennt, gelöst werden soll?

Karl Liedtke (SPD):
Rede ID: ID0702716800
Ich antworte einmal mit einer Gegenfrage: Wären Sie bereit, zuzugeben, daß dieser Punkt des Wegfalls der Eingangsämter, den Sie als Konzept bezeichnen, in Wirklichkeit nicht funktionsfähig ist? Alle Verbände sagen das für den Fall, daß man nur die Eingangsstufen wegnimmt. Wenn etwa ein altgedienter Oberinspektor, der sich mit Fleiß auf seinem Posten angesiedelt hat, mit dem neuen gleichgestellt wird, gibt das Ärger, den wir alle nicht gewollt haben. Der Wegfall der Eingangsämter bedingt also eine Neuschneidung der Stellenkegel. So sagt es der Beamtenbund — Ihre Couleur —, so sagt es der Deutsche Gewerkschaftsbund — meine Couleur—, ein seltener Fall, wo sich beide einig sind. Wenn wir das einbeziehen, geht



Liedtke
das in höhere Milliardenbeträge. Aber dann haben wir erst ein Konzept.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702716900
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Leo Wagner (CSU):
Rede ID: ID0702717000
Herr Kollege Liedtke, wir haben seinerzeit einmütig diesen Vorschlag unterbreitet. Wenn wir in der Zwischenzeit zu neuen Erkenntnissen kommen, so möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht auch der Meinung sind, daß wir dann gemeinsame Vorschläge ausarbeiten müssen, die das Problem lösen; denn die Verzerrung beispielsweise des Besoldungsgefüges läßt sich doch durch nichts bestreiten.

Karl Liedtke (SPD):
Rede ID: ID0702717100
Herr Wagner, wir sind uns einig, daß dieser Bundestag auch einmütig Irrtümer beschließen kann.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie bei der Rentenreform?!)

Wir sind uns einig, daß wir aus dieser Erkenntnis ein Konzept zu entwickeln haben. Einverstanden?
Lassen Sie mich noch ein paar kurze Bemerkungen machen. Meine Damen und Herren, wenn man im Besoldungsbereich nicht ganz vorsichtig formuliert, kann beispielsweise folgendes eintreten — Herr Wagner, jetzt hören Sie einmal genau zu —: In den Jahren 1970 und 1971 hat die Oppositionsfraktion bestimmt, lautstark und damit scheinbar überzeugend draußen verkündet: Der öffentliche Dienst wird im Vergleich zur Wirtschaft unterbezahlt. Wenn eine so große Fraktion als Vorgeiger eine derart fröhliche Melodie intoniert, konzertieren die Betroffenen das sind die Bediensteten — natürlich begeistert mit. Dann wurde es der Regierung zu bunt, und sie begab sich auf den Weg, den Informationsvorsprung der Opposition einzuholen. Das neutral erstellte Gutachten stellte dann fest: Diese über zwei Jahre geprägte Behauptung der Opposition stimmt unterm Strich nicht, der öffentliche Dienst wird nicht schlechter bezahlt. Das Konzert verstummte. Geblieben ist der peinliche Eindruck draußen im Lande vom nimmersatten öffentlichen Dienst, nicht zuletzt, weil er auf Ihre Rattenfängermelodie eingestiegen ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ei, ei!)

So kann man, wenn man nicht sehr vorsichtig formuliert, Gutes wollend Böses bewirken.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702717200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wagner?

Karl Liedtke (SPD):
Rede ID: ID0702717300
Bitte sehr!

Dr. Leo Wagner (CSU):
Rede ID: ID0702717400
Herr Kollege Liedtke, würden Sie zugeben, daß die Feststellung des seinerzeit angenommenen Besoldungsrückstands nicht eine Erfindung der CDU/CSU-Fraktion ist, sondern eine neutrale Aussage des Sachverständigenrates war?

Karl Liedtke (SPD):
Rede ID: ID0702717500
Herr Wagner, wir haben lange Streitgespräche auf der politischen Ebene geführt, die begannen von seiten der Opposition mit der Behauptung: Der Besoldungsrückstand im öffentlichen Dienst ist nicht mehr zu ertragen. Das geben Sie zu? Wir haben die sehr vorsichtige Position bezogen: Ob unter- oder überbezahlt wird, das kann man erst durch ein Gutachten feststellen. Das Ergebnis kennen wir.
Ich will Ihnen ein zweites Beispiel geben — dann höre ich auf —, wie leicht man Unheil anrichten kann. Ich zitiere einmal Herrn Höcherl, der sich von der Landwirtschaft im März dieses Jahres, vor einer Woche erst, in diesen Bereich hinübergewagt hat. Ich zitiere:
Für die angekündigte Verbesserung der Lebensqualität durch mehr öffentliche Investitionen enthält die neue Planung der Regierung nichts. Im Gegenteil,
— jetzt kommt's —
das Geld für Reformen wird zur Steigerung der Personalausgaben und der Inflationsfolgen verwendet.

(Abg. Vogel [Ennepetal] : Entschuldigen Sie einmal, das ist doch ein Unterschied: ob man aufbläht oder die Besoldung erhöht!)

— Herr Vogel, wenn Sie jetzt noch sagen, das stimmt, und von Besoldung reden, dann will ich Ihnen einmal folgendes erzählen.

(Abg. Reddemann: Aufblähung hat noch nichts mit einer Besoldungserhöhung zu tun!)

— Lassen Sie mich jetzt einmal reden. Ich nehme einmal das kleine überschaubare Ländle Baden-Württemberg. Dort sind exakt 200 000 Bedienstete angesiedelt. 55,8 % aller dort Tätigen sind im Bildungsbereich beschäftigt. Wenn man, wie Herr Höcherl die scheinbar schlüssige Formel aufstellen will, steigende Personalausgaben bedeuten sinkende Reformen oder gar Verzicht, dann bastelt man sich eine Fallgrube, in die man schnell selbst hineinfällt. Richtig ist, daß Reformen im Bildungsbereich von den Finanzpolitikern gesehen automatisch Mehrbelastungen im Personalbereich mit sich bringen müssen. Sehen Sie das im Krankenhausfinanzierungsgesetz oder in den Rehabilitationsgesetzen — wo immer Sie anpacken wollen — viel anders? Sehen Sie das dort viel anders? Das heißt, diese gefährliche Formel, die Sie auch verkünden, daß steigende Personallasten bedeuten: Verzicht auf Reformen — —

(Zurufe.)

— Ich werde gemahnt, — ist auch richtig.

(Weiterer Zuruf.)

— Sie unterbrechen mich ja dauernd.

(Abg. Franke [Osnabrück]: Das sind aber nicht unsere Freunde, die Sie mahnen aufzuhören, das sind Ihre Freunde! — Gegenrufe von der SPD.)

— Meine Freunde kennen langsam alles, was ich zu sagen habe.



Liedtke
Ich darf feststellen — mit dem Rest der Aufrechten hier —, daß wir im Prinzip Aussichten haben, auch in dieser Legislaturperiode den Bereich der Besoldung nicht zum prinzipiellen Streitfeld zwischen den Fraktionen zu machen. Damit wünsche ich eine angenehme Nachtruhe.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702717600
Das Wort hat der Abgeordnete Groß.

Rötger Groß (FDP):
Rede ID: ID0702717700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie zu einigen wenigen Sätzen eine kurze Vorbemerkung. Wenn man sich auch nur zeitweise die Mühe macht, dieser etwas mühseligen Haushaltsdebatte zu folgen, und zwar als Neuling zu folgen, dann fragt man sich wirklich, ob die von vielen Außenstehenden beklagte Leere dieses Saales nicht manchmal auch eine Funktion der Länge der Reden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist wirklich eine Frage, ob wir uns das auf die Dauer leisten können und ob die Qualität wirklich von der Quantität dessen abhängt, was hier gesagt wird. Ich habe den Eindruck, daß manches sich auch in zehn Minuten sagen ließe.

(Abg. Franke [Osnabrück]: Herr Liedtke ist aber in der SPD!)

— Herr Franke, dies ist mir durchaus bewußt, nicht nur vom Sitzort her gesehen. Ich wiederhole: es geht hier um einen jener Anträge, wo man mehr Ausgaben fordert im Rahmen einer Debatte, in der kritisiert wird, daß die Ausgaben eben dieses Haushalts zu hoch seien. Diese Bemerkung kann einem, auch wenn sie schon x-mal heute und bei anderer Gelegenheit gesagt worden ist, nicht erspart bleiben, Herr Kollege Vogel; damit mußten Sie rechnen.
Ich meine aber, daß wir Ihre Anregungen — insofern sind wir in einer besseren Position — sehr wohl prüfen sollten. Wir sollten uns das durch den Kopf gehen lassen. Ich denke, daß wir im Innenausschuß Gelegenheit haben, vernünftig darüber zu sprechen. Deswegen meine ich für meine Fraktion sagen zu können, daß wir heute unter uns in den Fraktionen diese Besoldungsdebatte mit der gemeinsamen Überzeugung beenden sollten, daß wir hier keine Wahlkampfschlachten auszutragen haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702717800
Das Wort hat Herr Bundesminister Genscher.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0702717900
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich aus dem Munde des verehrten Kollegen — oder eigentlich müßte ich heute sagen: des für uns teuren Kollegen —

(Heiterkeit)

Vogel die Worte „Täuschung", „Schikane" und „Willkür" hörte, mußte ich zurückdenken an ein Erlebnis, das ich vor wenigen Jahren in diesem Hohen Hause hatte. Damals bemühte ich mich um eine Reform der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Es ging um die Frage, ob auch in Zukunft Redemanuskripte sollten zu Protokoll gegeben werden können oder ob man solche Reden immer halten müsse. In meinem reformerischen Eifer war ich dafür, die Möglichkeit zu streichen, daß man Reden zu Protokoll geben kann. Da sagte ein sehr erfahrener Kollege der CDU/CSU zu mir: „Herr Kollege, diese Initiative werden Sie noch bereuen; dann müssen Sie in Zukunft die Reden für die Verbandsblätter anhöre n."

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Franke [Osnabrück] : Herr Genscher, jetzt ist mir auch klar, warum Sie nach vorn gegangen sind!)

Ich muß heute sagen: der Mann kannte seine Fraktion; er hatte recht.

(Heiterkeit. — Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Nicht nur seine!)

Nun kann man natürlich die Frage stellen, warum der Kollege Vogel zu dieser späten Stunde hier für den öffentlichen Dienst noch einmal eine Lanze zu brechen versucht. Ich vermute, es hängt damit zusammen, daß er einen Zeitpunkt treffen wollte, in dem sich die Haushaltsexperten seiner Fraktion bereits bei der Abendmahlzeit befinden.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz folgendes sagen. Die Bundesregierung nimmt für sich in Anspruch, in den Jahren, in denen sie die Verantwortung für die Besoldung im öffentlichen Dienst zu tragen hatte, auf jeden Fall sichergestellt zu haben, daß die Angehörigen des öffentlichen Dienstes angemessen an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen konnten, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Nun kann man sich, meine verehrten Kollegen von der Opposition, nicht hinstellen und sagen, die Regierung treibe keine Stabilitätspolitik, ihr gleichzeitig aber zum Vorwurf machen, wenn sie sich im Rahmen der zulässigen Zuwachsraten für die allgemeinen Einkommen auch beim öffentlichen Dienst halten will. Wir wissen auch, daß es dort eine ganze Reihe von Problemen gibt, die noch nicht gelöst sind. Sie haben dazu schon eine Besoldungsinitiative der CDU angekündigt. Damit werden wir uns in Gesprächen mit den Gewerkschaften noch in diesem Jahr zu beschäftigen haben. Wir sagen gar nicht, das ist falsch, aber wir wollen das in eine Gesamtkonzeption einpassen. Das gilt auch für die BGS-Zulage. Wir müssen auch noch andere den Bundesgrenzschutz betreffende Fragen regeln, Herr Kollege Vogel. Aber das alles kann man eben nur machen,



Bundesminister Genscher
wenn man Mehrheiten in beiden Verfassungsorganen hat.
Nun habe ich heute vom Kollegen Stoltenberg gelernt, daß wir das Wort des Bundesrates — damit hat er recht — ernst nehmen müßten. Hierzu muß ich Ihnen einmal sagen, was die Finanzministerkonferenz am 29. März 1973 zur Besoldungspolitik beschlossen hat. In diesem Beschluß heißt es:
Entscheidend für die Weiterführung der Besoldungsreform ist ihre finanzielle Durchführbarkeit. Es ist daher unerläßlich, die entsprechenden Kosten genau zu ermitteln und den Gesamtplan mit den finanziellen Möglichkeiten des Bundes, der Länder und der Gemeinden abzustimmen. Bevor der Gesamtplan erstellt ist, müssen alle strukturellen Maßnahmen unterbleiben, die zu einer Veränderung von Besoldungsrelationen führen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Genau das wollen wir, meine Damen und Herren. Wir wollen uns finanziell abstimmen, ein Konzept vorlegen und zusammen mit den Ländern im Interesse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes verabschieden, aber nicht durch Einzelvorschläge jetzt und zum falschen Zeitpunkt neue Verzerrungen in das Besoldungsgefüge hineinbringen.


(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0702718000
Meine Damen und Herren, ich unterbreche ,die verbundene Aussprache über die Punkte 1 bis 6 der Tagesordnung und schließe die heutigen Beratungen.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Freitag, den 6. April 1973, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.