Rede:
ID0702700300

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Metadaten
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 27. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. April 1973 Inhalt: Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 1273 A Aussprache über den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaltsplans für das Haushaltsjahr 1973 (Haushaltsgesetz 1973) (Drucksache 7/250) in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1972 bis 1976 (Drucksache 7/370), mit Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 1973 (Drucksache 7/419) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und des Gesetzes über das Branntweinmonopol (Drucksache 7/422) - Erste Beratung —, mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern (Zweites Bundesbesoldungserhöhungsgesetz) (Drucksachen 7/411, 7/442) — Erste Beratung —, mit Entwurf eines Gesetzes über die Sechzehnte Rentenanpassung und zur Regelung der weiteren Anpassungen der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Drucksache 7/427) — Erste Beratung — und mit Entwurf eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Fünftes Anpassungsgesetz — KOV) (Abg. Geisenhofer, Dr. Althammer, Ziegler, Dr. Schulze-Vorberg, Dr. Riedl [München], Dr. Waigel, Maucher, Burger, Dr. Götz, Müller [Remscheid], Dr. Blüm und Fraktion der CDU/ CSU) (Drucksache 7/315) — Erste Beratung — Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) (zur GO) 1274 A Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . 1274 B Wehner (SPD) . . . . . . . 1283 B Dr. Graf Lambsdorff (FDP) 1285 C, 1341 B Brandt, Bundeskanzler . . . . . 1290 B Seiters (CDU/CSU) . . . . . . . 1297 C Dr. Stoltenberg, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein . . 1302 B, 1330 D, 1334 A Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 1310 A Mischnick (FDP) . . . . . . . . 1317 A Schmidt, Bundesminister (BMF) . . 1319 D, 1333 C II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1973 Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 1334 B Dr. Arndt (Berlin) (SPD) . . . . . 1338 C Dr. Häfele (CDU/CSU) 1343 D Dr. Weber (Köln) (SPD) . . . . 1346 D Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 1349 C Damm (CDU/CSU) . . . . . . 1349 D Würtz (SPD) . . . . . . . . 1357 B Leber, Bundesminister (BMVg) . 1359 C Dr. Wörner (CDU/CSU) 1361 C Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU) . . 1363 D Liedtke (SPD) 1365 D Groß (FDP) 1368 A Genscher, Bundesminister (BMI) . 1368 B Nächste Sitzung 1369 C Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 1371* A Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1973 1273 27. Sitzung Bonn, den 5. April 1973 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Achenbach * 7. 4. Adams * 7. 4. Ahlers 6. 4. Dr. Aigner * 7. 4. Dr. Artzinger * 7. 4. Dr. Bangemann * 7. 4. Dr. Becher (Pullach) 6. 4. Behrendt * 7. 4. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 6. 4. Blumenfeld 7. 4. Buchstaller 6. 4. Dr. Burgbacher 6. 4. Buschfort 6. 4. Dr. Corterier * 7. 4. Frau Däubler-Gmelin 6. 4. Dr. Dregger ** 16. 4. Dr. Evers 6. 4. Fellermaier * 8. 4. Flämig * 7. 4. Frehsee ' 7. 4. Dr. Früh * 7. 4. Gerlach (Emsland) * 7. 4. Gewandt 7. 4. Härzschel * 7. 4. Hofmann 6. 4. Dr. Jaeger 6. 4. Dr. Jahn (Braunschweig) * 7. 4. Kahn-Ackermann** 7. 4. Kater 30. 4. Kirst 6. 4. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Klepsch* 7. 4. Lange * 7. 4. Lautenschlager * 6. 4. Dr. Lenz (Bergstraße) 5. 4. Frau Dr. Lepsius 7. 4. Löffler 6. 4. Lücker * 7. 4. Dr. Martin 7. 4. Frau Meermann 6. 4. Memmel * 7. 4. Mertes 6. 4. Mikat 6. 4. Müller (Mülheim) * 6. 4. Mursch (Soltau-Harburg) * 6. 4. Dr. Oldenstädt 6. 4. Frau Dr. Orth * 7. 4. Picard 7. 4. Richter ** 7. 4. Dr. Riedl (München) 18. 4. Frau Schleicher 6. 4. Schmidt (München) ** 7. 4. Schmidt (Wattenscheid) 7. 4. Frau Schuchardt 8. 4. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 6. 4. Dr. Schulz (Berlin) * 7. 4. Schwabe * 7. 4. Dr. Schwencke ** 7. 4. Dr. Schwörer * 7. 4. Seefeld* 8. 4. Spillecke 6. 4. Spilker 6. 4. Springorum * 7. 4. Dr. Starke (Franken) * 7. 4. Walkhoff * 7. 4. Dr. von Weizsäcker 5. 4. Frau Dr. Wex 6. 4. Wienand 6. 4. Frau Dr. Wolf ** 6. 4. Wrede 7. 4.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Annemarie Renger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren, ich glaube in Ihrem Einverständnis zu handeln, wenn wir die Sitzung unterbrechen. — Wir unterbrechen die Sitzung bis 9.30 Uhr.

    (Unterbrechung von 9.02 bis 9.27 Uhr.)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Das Wort hat Herr Dr. Barzel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Es mehren sich — wir können das nicht übersehen — besorgte Stimmen im Inland und im Ausland, und dort gerade aus dem Munde von Wohlmeinenden für Deutschland.— und davon gibt es ja wohl keinen Überfluß in der Welt. Es mehren sich besorgte Stimmen, die fragen: Wohin geht die Reise der Bundesrepublik Deutschland?
    Es hat keinen Zweck, diese Frage — und dann etwa noch beleidigt — zu übersehen. Es wäre falsch, und es wäre sogar unverantwortlich, wenn die Opposition diese Frage nicht aufgriffe, um Gelegenheit zur Antwort zu geben, und es wäre falsch, wenn der Kanzler selbst die Antwort in dieser Debatte schuldig bliebe. Zu lange nämlich hat der Bundeskanzler in seiner Partei, der SPD, tatenlos und schweigend zugesehen. Der Schaden ist unübersehbar eingetreten. Im Bundestag sollte dieses nachhaltig wirksame Versäumnis nicht wiederholt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dazu also muß gesprochen werden — von uns und von Ihnen. Diese Aufforderung ergeht, weil wir an die befreiende Kraft des rechten Wortes zur rechten Zeit am rechten Ort glauben. Die Zeit ist da. Und der Ort ist hier. Im Deutschen Bundestag, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Freilich müssen Wort und Tat in Einklang stehen. Der durch Schweigen bisher eingetretene Schaden ist schon groß genug. Aber es ist nie zu spät, und vor allen Worten, die wir möglicherweise heute hören werden, ist es notwendig, dann auch Taten zu sehen, die die Konsequenz der Worte sind.
    Das, was ich hier einfüge, ist doch nicht etwa eine besorgte Äußerung oder gar eine Erfindung oder ein Popanz der Opposition für diese Debatte. Ich nehme z. B. zur Hand die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Montag dieser Woche, als ein Teil der öffentlichen Kontroverse begann. Da heißt es einmal: „Brandt: Anhänger der Kommunisten sollen gehen". Er sagt wörtlich — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:
    Wer es mit dem Programm der Kommunisten hält, soll gehen.
    Das heißt doch — wenn man darüber nachdenkt —, daß es in der SPD solche Männer gibt, die da aufgefordert werden zu gehen, weil sie es mit dem Programm der Kommunisten halten. So muß es doch wohl sein.

    (Zuruf von der FDP: Und Blüm auch!)

    — Nun sagen Sie mir nichts gegen unseren Kolle-
    gen Blüm. Sie wären ganz froh, wenn Sie einen so
    sachkundigen Progressiven in Ihren Reihen hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Aber Sie kommen gleich dran.

    Der Regierungssprecher von Wechmar sagte — alles aus derselben Zeitung, ich zitiere —:
    Er sei sicher, daß sich das, was sich jetzt als
    Antiamerikanismus manifestiere, uns auch in
    einigen Monaten wieder verlassen haben wird.
    Also testiert der Sprecher der Bundesregierung, daß hier Antiamerikanismus vorhanden ist.
    Auf Ihre Zurufe gibt es eine Menge zu erwidern: Warum sagt der Bundesinnenminister, der Kollege Genscher, auf einem der Parteitage des Wochenendes — ich zitiere —:
    Die FDP müsse ein Wächteramt erfüllen, damit ,die Bürger nicht die sozialistische Politik einer Minderheit ertragen müßten.
    Das sind seine Worte; er ist Mitglied dieser Regierung.
    Oder Herr Riemer sagte — ich zitiere —:
    Die Liberalen müssen aufpassen, daß die Bundesrepublik nicht in einer autoritären Klassengesellschaft nach Jungsozialistenmuster lande.
    Herr Mischnick warnt — ich zitiere immer aus derselben Zeitung —:
    Sozialistische Abenteuer werde die FDP nicht zulassen.

    (Beifall bei der FDP.)




    Dr. Barzel
    — Dann werden Sie bald antreten müssen! Da nützt es nämlich nicht, den Mund zu spitzen, da muß gepfiffen werden, meine Herren!

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dieselbe Zeitung spricht dann von der Versäumnis und von der Schuld des Frankfurter Oberbürgermeisters an den dortigen Vorgängen. Das ist ein führender Sozialdemokrat. Ferner heißt ein Leitartikel: „Es geht nicht ohne Amerika." Das sind alles Zitate einer Zeitung.
    Ich denke, damit ist belegt, daß wir hier von einem wichtigen und nötigen Thema reden. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, heute etwa „La Nation" lesen, werden Sie dies auch international ernst nehmen.
    Nun ist die erste Lesung des Bundeshaushalts — das hat der Bundesminister der Finanzen gesagt — traditionell, so sagte er, „ein Ort für eine politische Generaldebatte". Wir stimmen dem zu, und ich füge hinzu: dies ist auch traditionell der Ort für notwendige politische Erklärungen sowohl der
    Opposition wie der Regierung, d h. auch des Kanzlers. Sie haben bemerkt, daß wir eine etwas andere Opposition als in der letzten Periode machen: Die Regierung soll erst einmal die Chance haben, zu tun, was sie den Wählern versprach. Davon wird noch die Rede sein. Wenn es etwas gibt, dem wir zustimmen können, sagen wir dies und unterstreichen das auch noch. Deshalb stimme ich dem zu und habe mich gefragt: was gibt es noch in der Rede des Bundesfinanzministers, mit ,der wir uns beschäftigen müssen, weil der Kanzler, obwohl der Kollege Strauß ihm gestern Fragen gestellt hat, nicht oder, wie ich hoffe, noch nicht gesprochen hat?
    Herr Kollege Schmidt, ich finde bei Ihnen zwei Ansätze und einen Hinweis, der mir hier beachtenswert erscheint. Freilich bin ich ungewiß, ob ich, indem ich dem einen Ansatz zustimme, Ihnen einen Gefallen tue; denn zu diesen Sätzen ist vor allem die Zustimmung Ihrer eigenen Freunde ungewiß. Das ist dieser Ansatz, ich zitiere:
    Die Vereinigten Staaten von Amerika und die westeuropäischen Staaten müssen wissen, daß die Atlantische Allianz, wenn sie Bestand haben soll, sich nicht auf eine außen- und verteidigungspolitische Kooperation beschränken darf, sondern daß sie dringend der ökonomischen Kooperation bedarf, von der Währungspolitik und von der nationalen Kreditpolitik bis zur Handelspolitik, bis zur Entwicklungshilfe. Eine politische Kontinentaldrift zwischen den USA und den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft könnte auf die Dauer für alle Beteiligten verhängnisvolle Folgen haben.
    Der Kollege Strauß hat gestern ausdrücklich für uns dieser Passage zugestimmt. Ich schließe daran die Frage: Was hat diese Regierung getan, um die EWG zu veranlassen, den dringend notwendigen runden Tisch zwischen der Gemeinschaft, den USA und Kanada zum ständigen rechtzeitigen Gespräch über diese Fragen herbeizuführen? Was haben Sie in dieser Frage getan?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es genügt nicht, hier solche Sätze zu sagen. Sie haben die Opposition an Ihrer Seite, wenn Sie in dieser Frage initiativ und aktiv werden wollen. Die Frage ist nur, ob Sie die Sozialdemokraten an Ihrer Seite haben, wenn Sie diese Politik in der Tat machen. Das ist doch die Frage, die hier aufgegriffen werden muß.
    Ich darf auf den Kongreß der Jungsozialisten — und das ist doch wieder keine Erfindung der Opposition — hinweisen, der in seinem Beschluß vom 11. März 1973 den Abzug der Truppen der USA und das Einstellen der Devisenausgleichszahlungen fordert und mit dem Blick auf die europäische Gemeinschaft, von der noch zu reden sein wird, eben die Forderungen erhebt — ich zitiere; hier muß man Wort für Wort wirklich wägen und beinahe auf der Zunge zergehen lassen — „der Autonomie der Europäischen Gemeinschaft gegenüber den USA", „der Stärkung der Zusammenarbeit mit dem Osten" und der Kritik übt an der „ökonomischen Dominanz der USA". Das ist der Beschluß der Jungsozialisten. Das heißt: Für die USA, unseren Partner, unseren Sicherheitsgaranten, unseren langjährigen und bewährten Freund, hat man die Vokabeln „Autonomie" und „Kritik", während die Vokabel „Zusammenarbeit" allein für die gebraucht wird, wegen deren wir das Bündnis und die Sicherheitsvorkehrungen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Da sind doch die Gewichte falsch gesetzt; das ist doch gefährlich.
    Herr Bundeskanzler, wenn wir demnächst — was doch zu erwarten ist — erneut über Nonproliferation hier werden sprechen müssen, dann ist doch klar, daß die Befürworter dieser Sache einrechnen müssen, daß Sicherheit dann nur doppelt von den USA zu haben sein wird, weil es hier einen eigenen atomaren Schutz nicht geben kann. Dann muß hier doch mehr als Zusammenarbeit, dann muß Partnerschaft mit den USA her und nicht „Autonomie" und Kritik der „Dominanz". Ich bin froh, daß wir Verbündete dieser „Dominanz" sind und nicht etwa Abhängige einer kommunistischen Vorherrschaft.
    Sie, Herr Bundeskanzler, reagieren in diesen Fragen — das ist verständlich, aber auf diese Fragen kann gleichwohl nicht verzichtet werden — leicht etwas erregt, wenn wir nach Neutralismus und Antiamerikanismus fragen. Sie brauchen doch gar nicht lange zu suchen. In dem Schweigen des Kanzlers, von dem ich hier sprach, in dem Schweigen des Parteivorsitzenden dazu liegt z. B. einer der Gründe für diese Entwicklung. Das wird auch nicht dadurch aufgefangen, daß Sie sich plötzlich zu einer Reise ermuntern lassen. Das wird auch nicht aufgefangen durch die vier Punkte, die Sie in der Sprache eines— ich kann nur sagen — kalten, technokratischen, nackten Opportunismus durch den Regierungssprecher erklären lassen.



    Dr. Barzel
    Bei dem Gespräch, das hier zu führen ist, geht es nicht nur um die Folgen, die sich aus der Sicherheitspolitik und dem Bündnis ergeben, sondern zunächst ist das Gespräch darüber zu führen, daß die USA die gleiche Grundordnung, die gleichen Wertvorstellungen haben wie wir, daß wir deshalb Freunde sind und uns eben deshalb endgültig für den Westen entschieden haben! Das ist der eine Punkt, der hier dringend zum Ausdruck kommen muß und zu dem der Kanzler sicher etwas sagen wird. Aber Worte allein werden hier nicht genügen.
    Der andere Ansatz aus der Rede des Finanzministers, die wir nehmen, weil das andere noch fehlt und uns noch vorenthalten wird, ist auch ein Ansatz, dem ich zustimme. Ich zitiere aus der Rede des Kollegen Schmidt:
    Es wäre eine Illusion, von einer noch so erfolgreichen Entspannungspolitik auf diesem Gebiet schnelle oder gar spektakuläre Einsparungen zu erwarten. Eine Politik des Gleichgewichts, die letztlich allein dem Frieden Sicherheit geben kann, wäre falsch verstanden, wenn man sie als eine Politik einseitiger Vorleistungen begreifen wollte. Beiderseitige, gleichgewichtige Fortschritte, das ganze Unternehmen MBFR brauchen noch manches Jahr.
    Dem stimmen wir zu.

    (Abg. Ollesch: Sehr beruhigend!)

    Nur, Herr Kollege Schmidt, das ist doch wohl auch mehr an die Adresse Ihrer eigenen Partei gerichtet. Wenn das so gemeint ist, Herr Kollege Schmidt, dann sollte der frühere Verteidigungsminister seine Kraft zusammennehmen, um in der kommenden Woche beim Parteitag der SPD einer Entwicklung entgegenzuwirken, die auf die Aushöhlung der Wehrpflicht hinausläuft. Das ist doch der praktische Punkt, über den hier zu sprechen ist!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir sehen in dieser Frage eine Doppelstrategie der Sozialdemokratischen Partei. Da kommen die Jusos;

    (Zurufe von der SPD)

    das geht wie bei der Echternacher Springprozession, drei Schritte vor — —

    (Lachen bei den Regierungsparteien.)

    — Ich wußte, daß Sie sich an dieser Stelle freuen würden, aber ich dachte eigentlich, daß dem einen oder dem anderen von Ihnen dieser Übergang nach Luxemburg und zur Europäischen Gemeinschaft so lieb geworden ist, daß man davon sprechen kann. Und das Wort „Prozession" sollte man doch eigentlich auch in den Mund nehmen dürfen, wenn der Bundeskanzler hier dauernd von Brüderlichkeit und ähnlichen Dingen spricht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Also, da geht das dann drei Schritte vor und zwei zurück. Die Jungsozialisten sagen: raus mit den amerikanischen Truppen. Dann sagt die Opposition: das ist gefährlich; das ist, wie wenn Kinder mit Streichhölzern an offenen Benzinkanistern spielen. Dann merkt die Spitze der SPD, das ist unpopulär, pfeift die Herren zurück, und dann meint man in der Öffentlichkeit: es ist ja gar nicht so schlimm, die jungen Leute waren etwas temperamentvoll und sind wieder zur Ordnung gerufen worden.
    In diese Beruhigung hinein platzt dann der Antrag, von dem ich sprach. Und das ist nun nicht, Herr Kollege Wehner, der Antrag irgendeines Ortsvereins, sondern der Antrag der Antragskommission, der Sie vorsitzen,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    ein Antrag, der auf die Aushöhlung der Wehrpflicht hinausläuft.
    Herr Bundeskanzler, dazu werden Sie sich schon etwas in Ihren Reisekoffer packen müssen. Denn wenn Sie das Bündnis erhalten wollen, müssen Sie auch die Frage beantworten, wie Sie die Zahl und die Kampfkraft ermöglichen wollen, die wir dem Bündnis zugesagt haben.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wir alle haben es im Ohr, Ihr Wort, Ihr markiges und starkes Wort aus der vorigen Periode, in diese Richtung gesprochen: Es gibt keinen Ersatz für die Wehrpflicht. Herr Bundeskanzler, wir werden ja einmal sehen, wie Sie mit diesem markigen Wort Ende der nächsten Woche aussehen, wenn Ihr eigener Parteitag zu Ende sein wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Laden Sie doch dabei nicht alles auf die Jusos ab.

    (Eben! bei der SPD.)

    Es ist doch Ihre Partei, in der dieses Denken um sich greift.

    (Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Herr Kollege Wischnewski, ich glaube, Sie gehören dem Bezirksverband an, der jetzt einen neuen Vorsitzenden hat, Herr Schlatter, wenn ich den Namen richtig behalten habe.

    (Zuruf von der SPD: Ein guter Mann!)

    — Sie sagen, ein guter Mann. Er erfreut sich Ihres Zuspruchs. Er rühmt sich, 40 000 Mitglieder der SPD zu führen und zu repräsentieren. Und er erklärte an diesem Montag, am 2. April, in der Fernsehsendung „Panorama", er sehe einen wachsenden Antiamerikanismus auch in der SPD, und er hoffe auf die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, weil er dort eine Möglichkeit sehe — ich zitiere —, „das amerikanische Engagement in Europa zu lockern".

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ein „guter Mann"!)

    Das ist Ihr „guter Mann"! Genau das Gegenteil ist richtig: die USA hier interessieren, sie hier binden, das ist die Partnerschaft über den Atlantik, die uns Freiheit und Sicherheit gibt!

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Weitere Zurufe aus der Mitte: Ein „guter Mann"!)




    Dr. Barzel
    Wir meinen, daß zu diesem „guten Mann" Ihr Parteivorsitzender eigentlich auch hier einmal etwas sagen sollte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch ein „guter Mann" !)

    Denn eine Reise allein genügt doch dazu nicht.
    Meine Damen und Herren, es muß doch Zweifel produzieren und auch vorhandene Fragezeichen noch verstärken, wenn z. B. die Jugendorganisation der SPD beschließt — das sind wieder wörtliche Zitate —, „zukünftig verstärkt mit den französischen Sozialisten und Kommunisten und ihren Jugendorganisationen zusammenzuarbeiten"; wenn dieser Bundeskongreß durch Beschluß „das gemeinsame Regierungsprogramm der franzöischen Sozialisten und Kommunisten" ausdrücklich begrüßt; wenn er dazu sagt, dies verbessere wesentlich „die Kampfbedingungen für die westeuropäische Arbeiterbewegung". Herr Bundeskanzler, warum gehen Sie nicht zu einem solchen Kongreß hin und sagen denen einmal, was Sie denken? Warum lassen Sie die da allein diskutieren und solche Beschlüsse fassen?

    (Beifall hei der CDU/CSU.)

    Aber die Regierung selbst ist in dieser Frage angesprochen, eine Regierung, die dem Parlament, diesem Bundestag, den schuldigen Bericht über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland nach wie vor vorenthält und statt dessen — Herr Kollege Franke, ich kann es nicht anders sagen — einen ganz und gar unehrlichen Bericht über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vorlegt, unehrlich deshalb, weil er die wirkliche Lage verschweigt, die Lage in der DDR ebenso, wie die Erschwernisse, die doch in den letzten Wochen und Monaten hier z. B. zu mancher Aktuellen Stunde haben führen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wer das verschweigt, was da im andern Teil Deutschlands wirklich ist, bewirkt eben Neutralismus. Und das kann man dann nicht mit einem Wort oder mit einer Reise bekämpfen. Wenn man die fundamentalen Unterschiede der beiden Ordnungen in Deutschland verwischt und dazu nicht mehr redet, sondern schweigt, dann verschleiert man Wirklichkeiten und verschleiert man Grundunterschiede, auf die Demokraten auf gar keinen Fall verzichten können. Wenn man jedoch diese Unterschiede dartut, wird man nicht erleben, was wir in den Zeitungen lesen müssen: Zunehmender Wehrunwille junger Menschen. Darüber braucht man sich jedoch nicht zu wundern, wenn man ihnen das Bekenntnis zur Wertordnung von seiten der Regierung, auch durch Verzicht auf den Vergleich, zu sehr vorenthält.
    Sie können, Herr Bundeskanzler, auch an folgender Tatsache nicht vorbei: Umfragen des Allenbacher Instituts, das, wie Sie sich sicher erinnern — zu Ihrer Freude, wir zu unserem Leidwesen —, bei der Bundestagswahl eine richtige Prognose gestellt hat, haben vor der Bundestagswahl 1969 folgende Ergebnisse gebracht. Auf die Frage: sollten wir uns weiter mit den Amerikanern verbünden? antworteten 50 % der Befragten mit Ja. Auf die Frage: sollten wir lieber ganz neutral sein? antworteten 38% der Befragten mit Ja. Vor der Bundestagswahl 1972 sind folgende Ergebnisse zu verzeichnen. Auf die Frage: sollten wir uns weiter mit den Amerikanern verbünden? antworteten 37 % der Befragten mit Ja. Auf die Frage: sollten wir lieber neutral sein? antworteten 43 % der Befragten mit Ja.
    Herr Bundeskanzler, woher kommt diese Umkehrung? Sie muß doch etwas damit zu tun haben, daß Ihre Regierung

    (Zuruf von der SPD)

    die geistige Führung in diesem Lande in eine andere Richtung lenkt, als wir sie für objektiv richtig halten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Franke hat — dies gehört in diesen Zusammenhang; ich konnte damals nicht hier sein, und wenn ich hier gewesen wäre, hätte ich nicht mehr sprechen können, weil sich der Bundesminister Franke angewöhnt hat, in Aktuellen Stunden — warum wohl?! — immer erst am Schluß herzukommen, um seine Rede zu verlesen — am 15. März in einer vorher schriftlich niedergelegten und verteilten Rede den Oppositionsführer angegriffen. Na ja, warum nicht?! Es kann ja sein, daß der einmal etwas gesagt hat, was ihm vielleicht selbst gar nicht mehr so paßt.

    (Zurufe von der SPD: Meistens!)

    — Das paßt Ihnen dann gar nicht! — Nun wollen wir einmal sehen, ob Ihnen das paßt, was Herr Franke gesagt hat. Wir haben damals gedacht: Nun muß aber was kommen. Und wissen Sie was dann kam? Es kam der Vorwurf, daß der Oppositionsführer im Zusammenhang mit dem Grundvertrag die Herstellung von Freizügigkeit in Deutschland zu fordern gewagt habe; das war der Vorwurf.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, wo sind wir hier eigentlich?! Ist dies ein demokratisches Parlament, in dem Demokraten für die Freiheitsrechte ringen?! Ist dies denn nicht eine Position, die der Westen insgesamt hat, wenn er als Entspannungsmaßstab für die Konferenz in Helsinki die Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen fordert?! Warum wohl hat Herr Rush, der stellvertretende Außenminister, gestern, wie wir heute morgen dpa entnehmen können, diese Forderung nach Freizügigkeit noch einmal als Entspannungsmaßstab betont?! Und uns macht man es zum Vorwurf, wenn wir uns hier diese Position zu eigen machen!
    Herr Bundeskanzler, das alles muß das Bild ebenso verwirren wie das — ich will das nicht im einzelnen ausführen, weil er nicht hier sein kann —, was Ihr Minister im Kanzleramt dazu gesagt hat. In einer früheren Debatte haben wir aufgegriffen, was Kollege Bahr am 4. Juni 1972 gesagt hatte: Vorrang Gesamteuropas vor der Vereinigung des freien Europas, Vorrang des nationalen Staates vor der Supranationalität. Auch die Antwort auf die Frage des Kollegen Strauß nach dem, was er inzwischen — nachzulesen bei Professor Hahn im „Orbis" — weiter produziert hat, sollten Sie dem Haus nicht vorenthalten, Herr Bundeskanzler.
    1278 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 27, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. April 1973
    Dr. Barzel
    Meine Damen und Herren, ein anderer Punkt führt hin auf ökonomische, aber auch politische Punkte. Und an dieser Stelle würde ich gerne besonders den Kollegen Schmidt in die Debatte einbeziehen. Er hat früher, wie ich meine, in unglaublicher Weise, gesagt: Lieber 5% Preissteigerung als 5 % Arbeitslosigkeit. Das war ganz töricht. Das klang von der Logik her wie: Nachts ist es kälter als draußen. Dann hat er den Vietnamkrieg als Entschuldigungsgrund vorgegeben. 13 Entschuldigungen hatte er im Wahlkampf, und jetzt kommt er mit einem Punkt, an dem ein Körnchen Wahrheit ist, und darüber müssen wir diskutieren. Er sagte:
    ... im Maße des Integrationsfortschrittes, für den wir uns einsetzen, findet zugleich ein Verlust an wirtschafts- und finanzpolitischer Autonomie statt, dafür jedoch eine Zunahme an Interdependenz und an Ahbängigkeit von den Entwicklungen unserer Partner.
    Gemeint ist also die europäische Integration, die die nationalen Instrumente etwas wirkungsloser werden läßt.
    Herr Kollege Arndt hat in einer der letzten Debatten dazu gesprochen. Wir waren nicht ganz seiner Meinung. Ich habe darauf hingewiesen, daß es auch zu Zeiten unserer Regierung Weltwirtschaft und europäische Integration gab und wir mit mehr Stabilität ausgekommen sind, obwohl um uns herum sehr häufig Inflation war. Ich will dies nicht wiederholen.
    Wir haben eingeräumt, daß natürlich mit zunehmendem Fortschritt in Europa die nationalen Mittel etwas weniger werden. Ich halte die Art, wie der Kollege Schmidt dies gesagt hat, für eine Ausflucht. Aber: Nehmen wir einmal an, es wäre so, und unterstellen wir — welch kühner Gedanke! —, die Regierung wäre tatsächlich für Stabilität,

    (Abg. Strauß: Man muß alles einkalkulieren!)

    dann müßte die Regierung doch etwas tun, um in Europa dann die Instrumente zu bekommen, die wir national nicht haben. Und genau dies tut diese Regierung nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Regierung ist gemahnt, und zwar nicht nur gemahnt durch die Opposition. Der Sachverständigenrat hat in seinem letzten Jahresgutachten — ich verweise auf die Ziffer 24 — darauf hingewiesen, es bestünde eine „empfindliche stabilitätspolitische Lücke". Inzwischen ist die Währungsunion — durch die Ereignisse — jetzt mindestens für sechs Länder sehr viel schneller weiter vorangeschritten als vorgesehen, die Wirtschaftsunion aber fehlt. Die Entwicklung der Wirtschaftsunion hinkt. Diese Lücke klafft, weil, um ein Wort aufzunehmen, das wir früher hier gesagt haben und das immer noch richtig ist: die Staaten — dies räumen wir ein, die Währungskrisen beweisen das — nicht mehr allein alles das tun können, was eigentlich notwendig wäre; daß aber zugleich Europa noch nicht alles das kann, was notwendig wäre. Hier entsteht eben eine Lücke. Aber es hat doch keinen Zweck, die Lücke zu beschreiben und zu beklagen. Eine Regierung ist zum Regieren da, und wenn sie etwas beklagt, soll sie eine Initiative ergreifen, um die Lücke zu schließen. Wir sehen auf diesem Gebiet nichts von einer europäischen Initiative. Wir sehen vielmehr, daß Abreden, die es gab, nicht eingehalten werden.
    Sie haben lauthals nach der Gipfelkonferenz gesagt, nun gebe es die Parallelität zwischen Wirtschafts- und Währungsunion. Wo ist sie? Nun werden Sie mir nachher sagen, wir seien nicht allein in der Gemeinschaft. Das wissen wir auch. Aber wo ist Ihre Initiative, um die Lücke zu schließen? Wo ist Ihr Hinweis, daß die Parallelität dieser Entwicklung gewahrt sein soll? Wo haben Sie die Harmonisierung der Steuerpolitik, der Geld- und Kreditpolitik durchgesetzt, die für die erste Phase der Währungsunion beschlossen sein sollte? Wo sind diese Instrumente? Und wo, Herr Bundeskanzler, ist die Richtlinie, die die Gemeinschaft zu Wachstum, Vollbeschäftigung und Stabilität beschließen sollte? Sie ist nicht da, und wenn es sie nicht gibt: Wo ist Ihre eigene Vorlage dazu? Sie können sich doch nicht mit Europa entschuldigen, während Sie gleichzeitig die Schritte, die dort möglich und nötig sind, nicht tun!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dies, meine Damen und Herren, ist ein ernster Punkt, und ich meine, wir sollten alle einmal versuchen, darüber nachzudenken, ob es nicht auch ein Verhältnis der Westpolitik zum Erfolg der Entspannungs- und Ostpolitik gibt. Wir meinen — bei aller Notwendigkeit der Chance auf Entspannung, die doch jeder wahrnehmen möchte —, daß dort in der Westpolitik unsere Zukunft liegt. Ich erinnere mich, Herr Bundeskanzler, eines früheren Gesprächs —damals hatten wir beide andere Funktionen —, als wir gesagt haben, man könne an dem Ausmaß der Unnachgiebigkeit und Intransigenz des Ostens ablesen, wie es im Westen miteinander steht. Vielleicht ist ein Stück der Unnachgiebigkeit, die wir dort spüren — von Polen, von der DDR, von der Sowjetunion —, darauf zurückzuführen, daß eben im Westen manches nicht so stimmt, wie es sein könnte, wie es sein müßte und wie Sie es mit unserer Unterstützung in der Westpolitik, wenn Sie nur wollten, dort herbeiführen könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber auch innenpolitisch setzen diese Regierung und die tragenden Regierungslager doch die Akzente anders. Meine Damen und Herren, indem Sie die Inflation treiben lassen, bewirken Sie doch die Frage, ob Sie sie etwa hinnehmen — ich sage: hinnehmen — als ein Mittel zur Veränderung der Gesellschaft auf den Sozialismus hin. Die Frage muß doch hier einmal aufgeworfen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn Sie gestern — und ich bin sicher: auch heute wieder durch Ihre Redner fragen: wo ist eure Alternative?, dann will ich Ihnen zunächst nicht nur sagen, daß Sie doch alle wissen — und Herr Kollege Wehner hat dies doch in der ersten Auslassung hier begrüßt —, daß wir im ersten Jahr überwiegend die Regierung einmal zeigen lassen wollen, was sie



    Dr. Barzel
    kann und was sie nicht kann. — Nein, ich will ein anderes sagen. Der Beitrag von uns zu diesen Fragen hat zwei Voraussetzungen neben anderen Punkten, einmal daß wir anfangen können zu glauben und überzeugt zu sein, daß diese Regierung Inflation ernst nimmt, sie nicht verniedlicht und wirklich bekämpfen will, meine Damen und Herren; sonst gibt es doch hier keine Voraussetzungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wer sich in den Fragen der Preissteigerungen hier so mit faulen Ausreden entschuldigt, wie das durch den Bundesminister der Finanzen geschehen ist; wer sich mit .dem europäischen Durchschnitt zufriedengibt, obwohl es früher anders war, der erweckt in uns nicht die Überzeugung, als meine er es ernst mit einem Beitrag zur Stabilität. Ins Ungewisse und zum Scherz werden Sie uns nicht veranlassen können, hier mit Rotstiften und anderen Dingen umzugehen.
    Das zweite ist unsere Erfahrung. Der Kollege Strauß hat gestern mit Recht davon gesprochen, daß wir zu Beginn Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, am 2. Dezember 1969, als Sie — Kollege Möller erinnert sich — Steuersenkungen vorschlugen,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    gesagt haben: Nehmen wir bitte alle Anträge des Hauses, unsere eigenen eingeschlossen, die die Ausgaben oder die Einnahmen betreffen, zusammen, schließen wir einen Stabilitätspakt, damit auf die Aufwertung, die Sie beschlossen haben, das notwendige binnenwirtschaftliche Stabilisierungsprogramm folgen kann. Sie haben das nicht nur abqualifiziert, wie Kollege Strauß gestern dargetan hat, sondern Sie haben ein Weiteres getan. Als wir dann sagten: verzichten Sie auf die Steuerermäßigungen, nehmen Sie das Geld für soziale Infrastruktur, z. B. zur Bekämpfung des Numerus clausus — das ist doch alles hier vorgetragen worden —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Kindergeld!)

    da sind Sie durchs Land gegangen und haben den Arbeitnehmern gesagt: Diese böse Opposition will euch den Freibetrag nicht gewähren. Und haben den anderen gesagt: Diese böse Opposition will euch die Erleichterung der Ergänzungsabgabe nicht gewähren. Und dann meinen Sie, Sie brauchten die Inflation nicht ernst zu nehmen, und wir sollen nur so zum Spaßvergnügen, um Ihre Propagandabüchsen zu füllen, hier mit eigenen Anträgen kommen. So haben wir nicht gewettet! Sie sollen einmal versuchen, zu regieren, meine Damen und Herren!

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU.)

    Ich möchte hier noch einen anderen Punkt hinzufügen. Wenn ich die Anträge aus diesem Bereich für Ihren Parteitag sehe

    (Zuruf von der SPD)

    — ich dachte, es wird Sie doch freuen, wenn ich von Ihnen rede —

    (Zurufe von der SPD) danke schön —, dann kann ich nur sagen — —


    (Abg. Wischnewski: Denken Sie an Ihren Parteitag!)

    — Ja, natürlich, eins nach dem anderen, Herr Wischnewski, und jeder genießt das Seine auf seine Weise. Da machen Sie sich mal gar keine Sorgen, Herr Wischnewski.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn das angenommen und durchgesetzt würde, was da vorgeschlagen ist, dann wäre dies das Ende der für die breiten Massen erfolgreichsten Ordnung der Welt, nämlich der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Ich nehme einen einzigen Antrag heraus und zitiere ihn:

    (Lachen bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Da lachen die!)

    So
    — heißt das Zitat —
    kommt es auch nicht darauf an, die ungerechte Verteilung des Privateigentums an Produktionsmitteln schrittweise abzubauen, sondern das Privateigentum an Produktionsmitteln insgesamt abzuschaffen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Der politisch-ökonomische Orientierungsrahmen gibt insbesondere die Rahmenbedingungen für Strategien und Instrumente zur Durchsetzung sozialdemokratischer Ziele, Möglichkeiten und Instrumente zur weitgehenden gesellschaftlichen Planung und Lenkung privater Investitionen, Möglichkeiten, die Macht des Kapitals aufzugeben, z. B. durch Vergesellschaftung der Wirtschaftsunternehmen.
    Wie wir hören, hat die Antragskommission, Herr Kollege Wehner, diese These übernommen und dazu noch einen Satz gesagt:
    Dazu müssen
    — so die Antragskommission —
    den privaten Investitionen steuernde Rahmenbedingungen vorgegeben werden.
    Wenn Sie wirklich zu dieser öffentlichen Kontrolle und Manipulation privater Investitionen kommen, ist dies — zum Beispiel — das Ende der sozialen Marktwirtschaft.
    Wenn wir dies alles auf uns wirken lassen, muß hier ein grundsätzliches Wort gesagt werden. Ich sage dies mit dem Versuch, es ohne Anklage oder ohne Bitterkeit zu sagen. Es wird immer klarer: die Sozialdemokraten hierzulande haben ein anderes Ordnungsbild als wir.

    (Demonstrativer Beifall bei der SPD.)

    — Nun hoffe ich auf Beifall auf den nächsten Satz. — Wir sollten nicht länger leugnen, daß wir einen Konflikt haben, der inzwischen nicht mehr Punkt oder Komma hier, eine Million da oder einen Paragraphen dort betrifft, sondern einen Konflikt



    Dr. Barzel
    über die Ziel- und Wertvorstellungen selbst. Das ist der Tatbestand.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Vereinzeltes Händeklatschen bei Abgeordneten der SPD.)

    — Herr Kollege Wehner, ich konnte jetzt sehen, wer an dieser Stelle noch klatscht und wer nicht. Sie werden das merken, Sie werden das auf dem Parteitag merken.
    Aber wenn dies so ist, wie Sie das eben für richtig gehalten haben, glauben Sie dann nicht, daß es aufrichtig wäre, der Bevölkerung und hier im Hause dann auch zu sagen, worin die Inhalte der Ordnung bestehen sollen, die Sie wollen?

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)