Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD haben fristgerecht bean-
tragt, die heutige Tagesordnung um die Wahl von vier
Mitgliedern des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für
Wiederaufbau zu erweitern. Die Wahl soll im Anschluss
an die Geschäftsordnungsdebatte erfolgen, vorausgesetzt
das Anliegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat
keinen Erfolg.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat zunächst die Kol-
legin Britta Haßelmann.
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat:Gestern sollte kurzerhand per amtlicher Mitteilung die-ser Vorgang beschlossen werden. Dagegen haben wirWiderspruch eingelegt, weil wir finden: Das muss heutehier diskutiert werden.
Ich sage ausdrücklich: Das richtet sich nicht gegen diePersonen, die Sie als Mitglieder vorschlagen. Das wissenauch alle handelnden Personen. Es geht uns hier um dasVerfahren.Meine Damen und Herren, worum geht es? Es geht da-rum, dass der Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wie-deraufbau zum ersten Mal in dieser Legislaturperiodeheute teilweise neu besetzt werden soll. Er wird nicht le-gislaturperiodenscharf besetzt, sondern es werden heutedrei Plätze von ausscheidenden Mitgliedern nachbesetzt,die ihren Sitz bis zum 31. Dezember 2013 innehatten. Fürdie 18. Legislaturperiode – darauf haben wir uns in einemgemeinsamen Antrag zur Geschäftsordnung und zu denStellenanteilen für die Fraktionen verständigt – haben wirals grüne Fraktion den Anspruch, in diesem Verwaltungs-rat der Kreditanstalt für Wiederaufbau vertreten zu sein.
Das ist richtig und wichtig; denn dort geht es um ganzviele Förderprogramme und ganz viele Bundesgelder.Deshalb ist es selbstverständlich, dass wir als eine vonvier Fraktionen einen Vertretungsanspruch haben – die-ser Auftrag ist uns zugebilligt nach der gemeinsamenVereinbarung nach Sainte-Laguë/Schepers – und dasswir unseren Sitz dort wahrnehmen können.
Wir haben gegenüber den Fraktionen von SPD undUnion deutlich gemacht, dass, wenn jetzt diese erste Be-setzung stattfindet, wir die einzige Fraktion sind, die imMoment nicht in diesem Verwaltungsrat vertreten ist.Wir wollen einen dieser Sitze wahrnehmen, um unseremAuftrag gerecht zu werden, gemeinsam mit den anderenFraktionen Kontrolle auszuüben.
Dieses Recht wird uns jetzt verweigert, und zwar mitdem Argument, die Besetzung des Verwaltungsrats wärenicht an den Beginn der Legislaturperiode gebunden.Okay, meine Damen und Herren, dann lassen Sie unsdieses Argument mal durchgehen. Warum sagen Siedann in Ihrer Argumentation: Heute beginnt hier sozusa-gen die 18. Legislaturperiode, und angesichts der Zu-sammensetzung des Bundestags in der 18. Legislatur-periode besetzt die Union zwei und die SPD einen derfreiwerdenden Sitze? Meine Damen und Herren, da kanndoch etwas nicht in Ordnung sein. Sie widersprechensich doch selbst.
Sie beziehen sich bei diesem Benennungsverfahrenauf einen Rechtsvermerk der Bundestagsverwaltung.Das halte ich schon mal für ein Unding, weil die Frageder Unterrepräsentanz der Grünen in diesem Rechtsver-merk überhaupt nicht erörtert wird. Wenn man diesemVerfahren und Ihrer Logik folgte, dass jetzt sozusagendie 18. Wahlperiode beginnt und deshalb der Union zweiSitze und der SPD ein Sitz zustehen, dann wären wir erst2015 dran. Denn bei der nächsten Besetzung nach demSainte-Laguë/Schepers-Verfahren wären erst mal wieder
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842 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Britta Haßelmann
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die SPD und die Linken dran, und die Grünen folgen erstauf Platz sechs, im Jahr 2015.Das kann nicht richtig sein. Das ist politisch falsch,und es ist rechtlich höchst zweifelhaft. Wir melden hierganz deutlich unseren Widerspruch an und werden die-ser Besetzung heute auf gar keinen Fall zustimmen.
Nun hat der Kollege Michael Grosse-Brömer das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Frau Kollegin Haßelmann, Sie haben sichMühe gegeben, den Sachverhalt möglichst kompliziertdarzustellen.
Im Prinzip ist er ganz einfach: Es geht heute um die Be-setzung eines Gremiums – das, was wir in den letztenWochen mehrfach, fast täglich, gemacht haben. Und Siehaben es selbst angesprochen: Wir haben da ein verein-bartes Verfahren.
Wenn, wie in diesem konkreten Fall, sieben Personen indiesem Gremium sind – wir haben eine Berechnungnach Sainte-Laguë/Schepers vereinbart –, dann ergibtsich folgende Zusammensetzung, auch orientiert an derGröße der Fraktionen aufgrund des Wahlergebnisses:Die Union bekommt drei Sitze, die SPD bekommt zwei,die Grünen bekommen einen und die Linken bekommeneinen.
Das bleibt auch so. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sieauf die Idee kommen, dass man Ihnen diesen Sitz nichtgönnt. Es bleibt doch dabei.
Es gibt in diesem konkreten Gremium nur eine Be-sonderheit – da haben Sie völlig recht –: Es wird zu Be-ginn der Wahlperiode, anders als die anderen, nicht inder Gesamtheit neu besetzt, sondern angesichts der Tat-sache, dass die Mitglieder zu unterschiedlichen Zeit-punkten ausscheiden, je nachdem, ob ein Platz frei wird,Schritt für Schritt.
Nun scheiden drei Mitglieder aus. Im Übrigen sollen nurdie wiedergewählt werden, die schon Mitglieder sind.Von den drei Sitzen stehen logischerweise, nach den Be-rechnungen nach Sainte-Laguë/Schepers, zwei derUnion und einer der SPD zu. Und Sie bekommen natür-lich den Sitz, wenn er frei wird und Ihnen rechnerischzusteht – ganz einfach!
Wir haben natürlich bei der BundestagsverwaltungRechtsrat eingeholt, weil ich Ihre Interessen immer sehrernst nehme. Egal, ob es Minderheitenrechte oder Ihrepersönlichen Ansichten sind – wir unterhalten uns im-mer ganz gut.
Ich gehe gar nicht davon aus, dass nur ich recht habe.Also haben wir ein vernünftiges, sachverständiges Gut-achten eingeholt,
und damit haben wir eine profunde Festlegung durch dieBundestagsverwaltung. Die Kurzfassung dieser Bewer-tung – –
– Ich weiß, Sie sind jetzt ein bisschen aufgeregt, aber dasmüssen Sie sich jetzt auch anhören. – Die Kurzfassungdieser Bewertung lautet wie folgt: Das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren ist vereinbart; deswegen ist das, wasGrosse-Brömer und die CDU/CSU und die SPD sagen,richtig. – Selbst wenn es nicht vereinbart wäre, gäbe eskein Verfahren, das Ihre Rechtsauffassung widerspiegelt.
Nur damit das klar ist: Wir haben das gestern im Äl-testenrat besprochen, und es gab nicht eine Fraktion, dieIhrer Auffassung ist. Jenseits der Rechtslage will ich Siemal eines fragen: Können Sie sich an 2009 erinnern? Dawar es in diesem Gremium folgendermaßen: FrauScheel, eine Grüne, hatte einen Sitz inne, und uns stander zu. Was haben wir gemacht? Wir haben keine Ge-schäftsordnungsdebatte geführt, wir haben uns nicht auf-geregt, sondern haben gewartet, bis die Kollegin aus-schied, bis ihre Amtszeit abgelaufen war, und dannhaben wir nachbesetzt.
So gehört es sich unter Kollegen. Man sollte sich nichtpermanent hinstellen und Sonderrechte einfordern.
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Michael Grosse-Brömer
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Ich will Ihnen abschließend sagen: Wir, die Union,haben die ganze Zeit – das wird auch in den künftigenDebatten so sein – Wert darauf gelegt, dass die Opposi-tion Minderheitenrechte bekommt, auch wenn sie Quo-ren nicht erreicht.
Aber eines müssen Sie sich abgewöhnen: Sonderrechtefür Ihre Fraktion, für Ihre Abgeordneten zu fordern, aus-gehend von der Annahme, dass Abgeordnete der Grünenwertvoller sind als Abgeordnete der SPD oder andererFraktionen.
Da machen wir nicht mit, auch wenn Sie hier noch soviele Geschäftsordnungsdebatten beantragen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte zu beachten,dass wir über den Aufsetzungsantrag abstimmen. Werstimmt für den Aufsetzungsantrag? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Der Aufsetzungsantrag ist mitden Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktiongegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenbei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.Wir verfahren jetzt weiter gemäß der Tagesordnung.Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 2 auf:Wahl von Mitgliedern des Verwaltungsratesder Kreditanstalt für Wiederaufbau gemäߧ 7 Absatz 1 Nummer 4 des Gesetzes über dieKreditanstalt für WiederaufbauDrucksache 18/398Dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen derCDU/CSU und der SPD vor. Wer stimmt für den Wahl-vorschlag auf Drucksache 18/398? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag ist ange-nommen.Ich rufe nun wieder Tagesordnungspunkt 1 auf:Regierungserklärung durch die Bundeskanz-lerin
Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir am Mittwochfür die heutige Aussprache insgesamt 3 Stunden und36 Minuten beschlossen haben.Wir kommen nun zu den Bereichen Verkehr und di-gitale Infrastruktur. Das Wort hat der BundesministerAlexander Dobrindt.
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das Bundesministerium für Mobilität undModernität hat Aufgaben, die von zentraler Bedeutungfür die gesellschaftliche Entwicklung unseres Landessind.
– Schon Aufruhr beim ersten Satz, nicht schlecht.
Verkehr und digitale Infrastruktur, das sind die He-rausforderungen, die wir nicht nur rein technisch disku-tieren dürfen, sondern die wir vor allem gesellschafts-politisch verantworten und organisieren müssen. WerMobilität organisiert, der organisiert die Lebensadernunserer Gesellschaft, der stellt die Weichen für Wachs-tum und zukünftigen Wohlstand in unserem Land.Es war deswegen ein richtiger Schritt, dass wir dieBereiche Verkehrsinfrastruktur und digitale Netze in ei-nem Ministerium gebündelt haben und damit zusammendenken, zusammen planen und zusammen errichten. Dasist genau der Ansatz, der mit über die Zukunftschancenunseres Landes entscheidet und damit über die Zukunfts-chancen eines jeden Einzelnen von uns. Der Zugang zurdigitalen Welt, der über die Netze organisiert wird, wirdmit ausschlaggebend dafür sein, ob unsere nächste Ge-neration Zukunftschancen in unserem Land hat.
Ich rate dazu, dies unter folgendem Gesichtspunkt zusehen: Wenn wir für einen Moment die Technik in denHintergrund und die Gesellschaftspolitik in den Vorder-grund treten lassen, dann kann man feststellen, dass dieFrage der Digitalisierung vor allem eine Frage der Ge-rechtigkeit ist. Es ist eine Frage der Innovationsgerech-tigkeit, ob ich heute Zugang zur digitalen Welt habe, unddamit ist es eine Frage der Teilhabegerechtigkeit. Jederin unserem Land hat Anspruch darauf, an der neuenTechnologie teilzuhaben.
Wir haben mit der sozialen Marktwirtschaft Ökono-mie und sozialen Ausgleich zusammengebracht. Die so-ziale Marktwirtschaft gibt uns bis heute den Auftrag, dieÖkonomie und die Ökologie sowie nunmehr gerade auchdie Ökonomie und die digitale Revolution zusammenzu-bringen; denn das ist der Garant für wirtschaftlichen Er-folg in unserem Land. Neben der Produktivität und dersozialen Verantwortung wird die Teilhabe an der digita-len Welt künftig über Wachstum und Wohlstand mit ent-scheiden.Dabei darf man sich nicht ausruhen auf dem, was manschon erreicht hat, darauf, dass wir funktionierendeNetze in den großen Städten haben und große Daten-mengen transportiert werden können. Wir haben in die-sem Bereich eine enorme Dynamik zu verzeichnen. DieDatenmenge, die transportiert werden muss, wird in dennächsten Jahren sprunghaft ansteigen. 2020 werden wir
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844 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Bundesminister Alexander Dobrindt
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fünfzigmal mehr Daten transportieren und speichernmüssen, als dies zurzeit der Fall ist. Dabei geht es nichtnur um die Kommunikation, die wir alle mit unserenHandys ausüben, sondern in erster Linie um die Kom-munikation der Dinge untereinander. Dadurch werdenDaten produziert. Die selbstständige Kommunikationder Maschinen untereinander wird Produktionsprozessebestimmen. Das, was wir heute als Industrie 4.0 bezeich-nen, die Modernisierung der Produktionsprozesse mittelsDigitalisierung, ist in vollem Gange. Die wirtschaftlicheBedeutung der digitalen Infrastruktur ist inzwischen sogroß, dass wir sie neben der Arbeit, neben den Ressour-cen und neben dem Kapital als vierten Produktionsfaktorbezeichnen können.Deswegen dürfen wir in Europa nicht einfach zu-schauen, wie unser Wirtschaftsraum in diesem Bereichim Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen, beispiels-weise dem der Vereinigten Staaten von Amerika oder derasiatischen Länder, Gefahr läuft, technisch abgehängt zuwerden. Es ist etwas Neues für uns, darüber nachzuden-ken, was es für uns in Europa bedeutet, technisch abge-hängt zu werden. In anderen Regionen der Erde habenwir 50 Prozent mehr Pro-Kopf-Investitionen in die digi-tale Infrastruktur als in Europa. Das kann uns nicht zu-friedenstellen. Das heißt, dass die Kluft, die im digitalenBereich inzwischen zwischen uns, den Vereinigten Staa-ten von Amerika und den chinesischen Märkten entstan-den ist, nicht kleiner, sondern immer größer wird. Esbraucht eine Initialzündung, damit wir eine Aufholjagdstarten können. Deswegen werden wir eine NetzallianzDigitales Deutschland ins Leben rufen, an der all dieje-nigen teilnehmen sollen, die willig sind, in unsere digita-len Netze zu investieren. Wir werden die Rahmenbedin-gungen so gestalten, dass diese Investitionen in dieNetze in erhöhtem Maße erfolgen können und das Vor-haben erfolgreich ist.
Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dasswir bis 2018 ein flächendeckendes Breitbandnetz mit50 Megabit pro Sekunde in Deutschland haben wollen.Neben dem Ausbau des Glasfaserkabelnetzes wird mandafür weitere Techniken benötigen. Wir gehen davonaus, dass dieser schnelle Datenzugang in der Fläche nurdann zu erreichen ist, wenn man Hybridtechniken ein-setzt, das heißt, die Nutzung unterschiedlicher Netzzu-gänge gleichzeitig möglich ist.An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit wahrneh-men, für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mitdem Wirtschaftsministerium zu danken. Das ist nicht im-mer eine Selbstverständlichkeit.
– Mit dem Bundeswirtschaftsministerium schon, habeich gerade gehört.
– Ich kann ja verstehen, dass Sie Zweifel daran haben,dass wir gut zusammenarbeiten können. Glauben Siemir: Der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel undich haben in dieser Frage exzellent zusammengearbeitet.
Wir haben uns in der bedeutenden, entscheidenden in-haltlichen Frage, wer zukünftig für die Frequenzpolitikzuständig ist – die Frequenzpolitik kann ein Schlüsselsein, wenn es darum geht, in der Fläche eine echte Breit-bandversorgung zu haben –, geeinigt. Das BMVI ist zu-künftig für die digitale Dividende und die Frequenzpoli-tik zuständig. Das ist in unser beider Interesse. Es liegtin der gemeinsamen Verantwortung des Bundeswirt-schaftsministers und mir, dass wir mit dieser Strategieam Schluss im Sinne der Bevölkerung Deutschlands er-folgreich sind und eine flächendeckende Breitbandver-sorgung haben. Deswegen danke schön an den Bundes-wirtschaftsminister dafür, dass dies gelungen ist.
Sie sehen, wir nehmen diese Herausforderung ernst.Ich erwarte nicht, dass dies einfach gelingen kann. Des-wegen ist es umso wichtiger, dass man seine Kompeten-zen an dieser Stelle bündelt. Nicht nur in der Politik,sondern auch in der Wirtschaft wird es darum gehen, obman die Kompetenzen bündeln kann. Wenn Sie sichheute anschauen, welche Topunternehmen es in der digi-talen Welt gibt, dann werden Sie darunter kaum noch eineuropäisches Unternehmen finden. Der Wettbewerb fin-det heute zwischen Amerika und den asiatischen Län-dern statt.Wer zukünftig Wertschöpfung generieren will, derwird sich an der Spitze der technischen Entwicklung be-wegen müssen.
Dies ist nicht nur eine rein finanzielle Frage, sondern esist auch eine Frage der Sicherheit. Ich trete da dem Bun-desinnenminister nicht zu nahe, weil auch wir in diesemBereich an einem gemeinsamen Strang ziehen.
Gesetze sind das eine, das Know-how über die Technikist das andere. Wenn wir in Europa die Kompetenz ver-lieren, die digitale Technik zu verstehen, und sie nurnoch konsumieren, dann ist auch die Sicherheitsfragenicht lösbar. Deswegen müssen wir uns Kompetenz andieser Stelle zurückerarbeiten.
Ich sage Ihnen: Eine Aufgabe der Netzallianz wirdsein, das Interesse derjenigen, die heute in dieser Bran-che, in der digitalen Welt wirtschaftlich unterwegs sind,zu wecken und zu fördern, in der digitalen ChampionsLeague mitzuspielen. Dabei geht es für uns in der Tat umeine digitale Souveränität Europas. Ein Kontinent, derdavon lebt, dass er Spitzentechnologien entwickelt, undin der Welt mit dabei ist, wenn es darum geht, Spitzen-
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technologien zu nutzen, kann schlichtweg nicht akzep-tieren, dass er in einem bedeutenden Feld der Zukunft,nämlich der digitalen Modernisierung, nicht ganz vornemitspielt. Deswegen müssen wir unsere digitale Souve-ränität in Europa verteidigen, auch gegenüber anderenLändern der Erde.
Modernisierung ist übrigens auch das Schlüsselwort,wenn es um die klassische Infrastruktur geht: um dieStraßen, um die Schienen, um die Wasserwege und umden Luftverkehr. Das wollen wir nicht isoliert betrach-ten, sondern es geht um ein vernetztes Mobilitätsange-bot. Wir werden unsere Infrastruktur nicht nur sichernmüssen – wir haben ja gut ausgebaute Netze im Bereichder Straßen, der Bahnen und der Wasserwege –, sondernwir wollen sie auch weiterhin ausbauen.Wir haben gerade in diesen Tagen über 20 JahreBahnreform diskutiert und sie gefeiert. Die Bilanz ist imGrundsatz sehr positiv. Trotz aller Konkurrenz durch dasAuto, den Flugverkehr und inzwischen auch durch Fern-buslinien nimmt die Attraktivität der Bahn weiter zu.Die Fahrgastzahlen steigen weiter an. Wir wollen dasSystem der Schiene stärken und es weiter ausbauen, umeinen verlässlichen und sicheren Schienenverkehr zu ha-ben. Das ist notwendig, weil wir ein Höchstmaß an Mo-bilität für alle garantieren müssen. Mobilität ist einGrundrecht, und zu Recht fordern die Menschen in die-sem Land eine funktionierende Mobilitätsinfrastrukturein.
Ich habe in den letzten Tagen bei den Gesprächen mitVertretern der Bahn deutlich darauf hingewiesen, dassdie Bahn inzwischen mehr als ein Reisemittel, mehr alsein Transportmittel geworden ist. Sie ist für viele einmobiler Arbeitsplatz geworden. Deswegen hat die Bahndie Verantwortung, die digitale Modernisierung voran-zutreiben. WLAN an den Bahnhöfen, leistungsfähige In-ternetanschlüsse in den Zügen – das entspricht einer mo-dernen Kundenorientierung. Wir können von der Bahnverlangen, dass sie hier besser wird und dafür sorgt, dassdiese modernen Technologien in die Bahn Eingang fin-den.
Wir müssen die leistungsfähige Schieneninfrastrukturerhalten und ausbauen. Dafür sind weiterhin Investitio-nen notwendig. Wir werden in den nächsten Monatenmit der Deutschen Bahn AG in die Verhandlungen übereine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung eintre-ten und wollen darin die finanziellen Rahmenbedingun-gen für den Erhalt dieser Infrastruktur festlegen. Ich willin diesem Zusammenhang auch festhalten: Wir stehengenauso zu einem gesunden und funktionierenden Wett-bewerb auf der Schiene wie zum integrierten KonzernDeutsche Bahn AG.
Wir haben uns innerhalb der Koalition auf zusätzlicheInfrastrukturinvestitionsmaßnahmen in Höhe von 5 Mil-liarden Euro geeinigt. Das ist ein wesentlicher Beitrag,um die Substanzsicherung unserer Verkehrswege voran-zutreiben. Davon müssen alle Bereiche profitieren, so-wohl die Straße als auch die Schiene und die Wasser-wege.Wir werden einen erheblichen Teil dieser Mittel fürErhaltungsmaßnahmen einsetzen. Das wiederum heißt,dass die Spielräume für den Neubau natürlich nicht gren-zenlos sein werden. Deswegen ist es unsere Aufgabe, fürweitere finanzielle Spielräume zu sorgen. Dies geht nur,wenn wir die Weiterentwicklung der Nutzerfinanzierungvorantreiben. Das betrifft auf der einen Seite die Lkw-Maut, die wir, wie im Koalitionsvertrag vereinbart,Schritt für Schritt ausweiten werden. Das betrifft auf deranderen Seite die Pkw-Maut, über die wir von den Hal-tern nicht in Deutschland zugelassener Pkw einen ange-messenen Beitrag erheben werden mit der Maßgabe,dass kein Halter eines in Deutschland zugelassenenFahrzeugs stärker belastet wird als heute. Einen genaudies beinhaltenden Gesetzentwurf werde ich vorlegen.Er wird europarechtskonform sein. Etwas anderes gibt esmit mir auch nicht.
– Ich freue mich, wie euphorisch sich die Grünen schonwieder diesem Thema nähern.
– Betrachten Sie es doch einfach einmal ganz unideolo-gisch.
Wenn in fast allen unseren Nachbarländern die deut-schen Autofahrer über eine Nutzerabgabe ganz selbst-verständlich an der Finanzierung der funktionierendenInfrastruktur beteiligt werden, dann ist es doch nur eineFrage der Gerechtigkeit, dass Fahrer aus dem Ausland,die unsere Infrastruktur in Deutschland nutzen, auch amErhalt mit beteiligt werden. Um mehr geht es doch garnicht.
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Wir haben das Zukunftsprojekt Elektromobilität aufdie Agenda gesetzt. Dafür wurden in der Vergangenheitdie Weichen schon gut gestellt. Die deutschen Autoher-steller haben angekündigt, dass in diesem Jahr 16 ver-schiedene Modelle auf dem Elektroautomarkt verfügbarsein werden. Es gab allein im letzten Jahr einen Zuwachsvon 32 Elektrofahrzeugmodellen auf dem deutschenMarkt. Inzwischen sind über 104 000 Elektrofahrzeugein Betrieb. Das zeigt: Die Elektromobilität beginnt zuwachsen. Das ist ein ermutigender Schritt.Das heißt aber auch: Wir müssen neue Anreize setzen,damit noch mehr dieser Autos schneller auf den Marktkommen. Deswegen bringen wir ein Elektromobilitätsge-setz auf den Weg, in dem wir vor allem Privilegien fürHalter und Fahrer von Elektrofahrzeugen schaffen wiezum Beispiel Sonderparkplätze oder die Möglichkeit zurNutzung von Sonderfahrspuren.Alles, was hilft, zu überzeugen, dass Elektromotorenein Automobilantrieb der Zukunft in unserer mobilenGesellschaft sind, ist es, glaube ich, wert, dass man esorganisiert und mit auf den Weg bringt. An dieser Stellewollen wir den Mehrwert der Elektromobilität über denreinen Umwelt- und Energiegedanken hinaus herausstel-len.
Herr Minister, wenn Sie als Abgeordneter sprechen
würden, müsste ich Sie schon seit zwei Minuten auffor-
dern, zum Schlusspunkt zu kommen.
Sie können natürlich weitersprechen; ich mache Sie aber
darauf aufmerksam, dass das Konsequenzen für die Re-
dezeit der Mitglieder Ihrer Bundestagsfraktion hat.
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Frau Präsidentin, ich weiß; aber ich habe zwölf Jahre
darauf gewartet, einmal die Chance zu haben, hier länger
zu reden, als mir erlaubt ist. Diese Chance will ich jetzt
nutzen.
Gut. Ich gehe davon aus, dass Ihre Fraktion jedes Ver-
ständnis dafür hat und die daraus folgenden Veränderun-
gen klaglos trägt.
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Danke schön. – Die öffentliche Hand muss mit gutem
Beispiel vorangehen und in die Elektromobilität inves-
tieren und dafür sorgen, dass die Fuhrparks Stück für
Stück umgestaltet werden. Nur so kann auch ein funktio-
nierender Gebrauchtwagenmarkt entstehen. Er ist ein
Schlüssel dafür, dass diese Autos in breiter Masse zur
Verfügung stehen werden.
Ich glaube an die Elektromobilität. Gerade die Elek-
tromobilität kann ein Element sein, um den Modernisie-
rungsprozess unseres Landes mit voranzutreiben. Elek-
tromobilität auf der einen Seite und Digitalisierung auf
der anderen Seite, das ist ein Beispiel dafür, dass in den
Akzenten, die wir in diesem Jahr setzen, die Themen
Mobilität und Modernität eng miteinander verknüpft
sind. Wir sind fest entschlossen, Mobilität und Moderni-
tät weiterzuentwickeln – im Sinne von Wachstum und
Wohlstand in unserem Land.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Ich will aus dem weiten Feld der Verkehrspolitik dreiThemen ansprechen: die Straße, die Bahn und denÖPNV.Vorab will ich aber sagen, dass mich Herr Dobrindtüberrascht hat: Herr Dobrindt, Sie haben über Infrastruk-tur und Netze viel interessanter gesprochen,
als ich es bisher vom Verkehrsminister gekannt hatte.Ob der Ausschuss für Mobilität und Modernität, wieSie ihn nennen, der spannendste in dieser Legislatur-periode wird, das wird sich zeigen. Sie haben festge-stellt, dass es nicht um technische Fragen gehe, sonderndarum, wie der gesellschaftliche Prozess gestaltet werde;dass es um die Wege gehe, auf denen Menschen und Gü-ter zusammenkommen; und dass Teilhabegerechtigkeitein wichtiges politisches Ziel sei. – D’accord, das passthervorragend zu den Anforderungen, die wir an einegute Verkehrspolitik stellen. In der Tat werden auf die-sen Gebieten die Weichen für die Zukunft gestellt.Das heißt aus unserer Sicht: Wir brauchen Mobilitätfür alle – aber mit weniger Verkehr! Das betrifft zumBeispiel den gesellschaftlichen Prozess der Produktionund Verteilung von Waren. Mit den Lkw-Lawinen, dieheute durchs Land rollen, mit immer mehr Lärm, Dreck,Staus und kaputten Straßen muss irgendwann Schlusssein. Wir wissen alle, dass der zerstörerische Klimawan-del durch den motorisierten Verkehr entscheidend befeu-ert wird.In Ihrem Koalitionsvertrag steht allerdings nichts,was zeigen würde, dass Sie sich dieser Probleme be-wusst wären, im Gegenteil – ich zitiere –:Das Netzwerk Güterverkehr und Logistik werdenwir weiter festigen …
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Sabine Leidig
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Sie gehen einfach davon aus, dass der Lkw-Verkehr inden nächsten 15 Jahren um 70 Prozent wächst. Das istTransportwahnsinn und den wollen Sie ausbauen mit Ih-rer Nutzerfinanzierung. Das wollen wir nicht.
Wir brauchen endlich so etwas wie eine regionale Struk-turpolitik, damit Produkte wie Milch, Zucker, Bier, Tier-futter usw. nicht durch ganz Europa gekarrt werden, son-dern regional auf den Markt kommen. Es müssen dochnicht fünf verschiedene Paketdienste eine Ortschaft an-fahren, es wäre doch sinnvoll, eine Bündelung vorzuneh-men, bevor verteilt wird. Die Linke will, dass schädli-cher Verkehr vermieden wird.
Das gilt auch im Personenverkehr. Die Leitidee musssein, den gesellschaftlichen Prozess so zu gestalten, dassdie Leute möglichst kurze Wege haben zur Arbeit, zurSchule, zum Arzt, zum Einkaufen oder zum Freizeitver-gnügen. Mehr Grünanlagen, Raum für Fahrräder und au-tofreie Zonen in den Städten sind in jeder Hinsicht sinn-voll. Aber nichts dergleichen findet sich in Ihrenverkehrspolitischen Zielen.Es ist bezeichnend und bedauerlich, dass Fußgängerauch in diesem Koalitionsvertrag überhaupt nicht vor-kommen – das war schon bei der letzten Regierung so –,obwohl die meisten Menschen die meisten ihrer Wege zuFuß zurücklegen und obwohl diese Fortbewegungsartgenauso wie das Fahrradfahren am umweltfreundlichs-ten ist.
Auch zum Radverkehr steht nur ein ganz dürrer Satzim Koalitionsvertrag ohne konkrete Ansagen zur För-derung. Dabei gibt es in diesem Bereich einen riesen-großen Bedarf, auch weil viele Kommunen selbst beimbesten Willen nicht das Geld haben, um Radwege auszu-bauen und gute Abstellplätze einzurichten.Hier besteht übrigens ein großes Feld für Elektro-mobilität, wo sie wirklich sinnvoll ist. Die Zahl von E-Bikes und Pedelecs könnte deutlich steigen, wenn eseine vernünftige Infrastruktur gäbe. Elektroautos werdenuns an dieser Stelle nicht aus den Problemen herausfüh-ren.Deshalb stimmen wir auch nicht in den Chor derjeni-gen ein, die einfach mehr Geld für Infrastruktur fordern.Denn es kommt darauf an, was man daraus macht.
Nun zur Bahn. Ich begrüße es sehr, Herr Dobrindt,dass Sie als Verkehrsminister endlich kontrollieren unddurchsetzen wollen, dass die Steuergelder in der Tatauch für die Infrastruktur in diesem Bereich eingesetztwerden. Das Bahnnetz ist an vielen Stellen inzwischennun wirklich in einem desolaten Zustand; darauf hat derBundesrechnungshof bereits zur Genüge hingewiesen.Es freut uns, wenn endlich Druck auf die Bahn ausgeübtwird, dass das Steuergeld auch vollständig für das Bahn-netz verwendet und nicht als Gewinn in der Bilanz ver-bucht wird.Allerdings wird das nicht genügen. Der Beherr-schungsvertrag zwischen dem Bahnkonzern und den Be-reichen Netz und Bahnhöfe ist eine Fehlkonstruktionund wird das auch bleiben. In der Konzernplanung, dieja vom Aufsichtsrat und damit von der Bundesregierungabgesegnet wird, ist vorgesehen, dass steigende Ge-winne von DB Netz und DB Station & Service an dieHolding fließen. Das müssen Sie ändern.Aber das ist nicht das Einzige. Herr MinisterDobrindt, dass Sie die Bahn modernisieren und die digi-tale Welt in den Zug holen wollen, ist prima – für Abge-ordnete und Geschäftsleute vor allem. Aber wissen Sie,dass die meisten Bahnreisenden, die Mütter mit Kindern,die Beschäftigten, die Jungen und die Alten, im Nahver-kehr unterwegs sind, abseits der großen Magistralen? Dagibt es ganz andere Probleme. Der Zustand vieler Bahn-höfe ist beklagenswert: ohne Warteraum, ohne Toilette,mit Durchgängen, in denen es tropft, manche vergam-melt und verschlossen und viele ganz und gar nicht bar-rierefrei. Ich lade Sie ein, mit mir einmal durch das Kin-zigtal von Hanau nach Schlüchtern zu fahren. Dortdokumentieren die Auszubildenden der Kreisverwaltungseit Jahren die Missstände an den Bahnhöfen. Es passiertnichts.Wissen Sie, dass jede Bahnstation mit weniger als1 000 Zustiegen pro Tag von Herrn Gruber einfach alsstufenfrei deklariert werden darf, obwohl ein Rollstuhl-fahrer oder eine Mutter mit Kinderwagen keine Chancehat, die steilen Treppen zum Bahnsteig zu überwinden?Das ist zynisch. Wir verlangen ein Bahnhofsprogramm,mit dem alle Stationen für alle Bürgerinnen und Bürgerzugänglich und kundenfreundlich gestaltet werden.
Und noch etwas: Es gibt ein Bahnhofsprojekt, mitdem mindestens 6 Milliarden Euro buchstäblich vergra-ben werden sollen, das dem Schienenverkehr mehr scha-det als nützt, weil ein Engpass gebaut wird und weil dasGeld an tausend anderen Stellen fehlt. Stuttgart 21 istnicht nur dauerhafter Zankapfel in und um Stuttgart, dasProjekt ist auch unwirtschaftlich und nicht nur finanziellauf Sand gebaut. Noch immer ist ein Aus- und Umstiegmöglich. Herr Minister, ich empfehle Ihnen sehr: Rich-ten Sie sich nicht in den Schützengräben ein, die Ihr Kol-lege Pofalla betoniert hat, sondern beraten Sie sich mitden Expertinnen und Experten aus der dortigen Bürger-bewegung.Sie sehen es außerdem als wichtige Aufgabe an, denWettbewerb auf der Schiene voranzubringen. Ich bitteSie: Vielerorts wäre man froh, wenn überhaupt ein Zugfahren würde. Inzwischen sind ganze Regionen vomBahnverkehr abgehängt. Die Teilhabegerechtigkeit, HerrMinister Dobrindt, die Sie für den Internetzugang for-dern, muss auch für die Mobilität gelten.
Sie haben politische Planziele ausgesprochen. Dasfinde ich hervorragend. Solche politischen Planzielebrauchen wir auch für den Ausbau des ÖPNV: mindes-tens stündliche Bus- und Bahnverbindungen auch imländlichen Raum,
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Sabine Leidig
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kurze Wege zur nächsten Haltestelle, integraler Taktfahr-plan und einheitliche Tarifbedingungen im ganzen Land, –
Frau Kollegin Leidig, achten Sie bitte auf die Zeit.
– Fahrpreise, die sich alle leisten können, Abbau von
Barrieren. Das ist möglich und nötig für einen guten
ÖPNV für alle, und das wären moderne Weichenstellun-
gen, für die sich die Linke engagiert.
Das Wort hat der Kollege Sören Bartol für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freuemich, dass wir heute hier im Deutschen Bundestag ineiner offenen Debatte darüber diskutieren, was die bes-ten Konzepte im Bereich „Mobilität und digitale Infra-struktur“ sind, um die Probleme in unserem Land anzu-gehen.Sehr geehrter Herr Minister, herzlichen Dank für Ihreerste Rede als neuer Bundesminister für Verkehr und di-gitale Infrastruktur, in der Sie viele wichtige Themen derKoalitionsfraktionen aufgegriffen haben. Ich finde,„Mobilität und Modernität“ ist ein gutes Credo, das auchdie Aufgabe Ihres Hauses treffend beschreibt. Ich willaber hinzufügen: Ich glaube, wir beide sind uns einig,dass Mobilität ebenfalls sehr modern sein kann. DenkenSie alleine an intelligente Verkehrsleitsysteme oder neueCarsharing-Modelle. – Herr Dobrindt, wir freuen uns aufdie Zusammenarbeit mit Ihnen.
Ich möchte diese Debatte zunächst damit verbinden,die Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die heuteschon sehr rege sind,
zu einer fairen und offenen Zusammenarbeit einzuladen.Ich glaube, wir sollten den Geist der überfraktionellenZusammenarbeit, den wir in der letzten Legislaturpe-riode auch im Ausschuss gepflegt haben, besonders inZeiten der Großen Koalition unbedingt auch weiterhinpflegen.
– Etwas Applaus von der Opposition wäre jetzt gar nichtso schlecht gewesen.
Sehr geehrte Damen und Herren, Mobilität und dasInternet prägen weite Teile unseres Lebens. Morgensund abends nutzen Millionen von Pendlerinnen undPendlern die Bahn und den ÖPNV, um von zu Hause zurArbeit zu kommen. Tagsüber ist bei vielen das Arbeitenohne schnellen Internetzugang nur noch schwer mög-lich.Deutschland hat als starke Wirtschaftsnation im Ver-kehrssektor und auch bei der digitalen Infrastruktur be-reits viel erreicht, und doch reicht das noch nicht aus.Zu Recht ärgern sich die Passagiere darüber, wenn dieDeutsche Bahn unpünktlich und der nächste Anschlusseinfach weg ist. Zu Recht kritisieren die Autofahrer, dasssie im Stau stehen und sich nach dem Winter großeSchlaglöcher auftun. Zu Recht regt es die Bürgerinnenund Bürger auf, wenn sie das Gefühl haben, dass dasGeld an der falschen Stelle in die Verkehrswege inves-tiert wird. Zu Recht fühlen sich Anwohner vom Lärmlauter Güterwagen belästigt und fordern, dass sie nachtsendlich wieder ordentlich schlafen können.
Zu Recht sind wir alle genervt, wenn wir vor dem Com-puter sitzen, die Datenübertragung im Internet zurSchnecke wird und der Tatort am Ende an der span-nendsten Stelle auch noch stoppt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wählerinnenund Wähler haben am 22. September 2013 entschiedenund uns alle damit beauftragt, diese Probleme zu lösen.SPD, CDU und CSU haben diesen Wählerauftrag auchangenommen. Die Koalitionsparteien haben in langenund auch harten Verhandlungen um gemeinsame Lösun-gen gerungen.
Ich finde, mit dem Koalitionsvertrag haben wir ein Ar-beitsprogramm für die nächsten vier Jahre, dessen Um-setzung die Mobilität und auch den Zugang zum Internetverbessern wird.
Die Pendlerinnen und Pendler können sich daraufverlassen, dass wir die Deutsche Bahn als Eigentümer inZukunft besser steuern werden. Dazu werden wir einneues Steuerungskonzept des Bundes für die DeutscheBahn AG erarbeiten und, Frau Leidig, auch dafür sor-gen, dass die Gewinne, die im Bereich der Infrastrukturerwirtschaftet werden, am Ende natürlich auch dort wie-der reinvestiert werden.
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit müssen wiederzum Markenzeichen der Deutschen Bahn werden. Ich
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Sören Bartol
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finde, dazu gehört auch – auch das steht im Koalitions-vertrag –, dass die Boni des Bahnvorstandes in Zukunftzum Beispiel stärker an das Erreichen dieser Ziele ge-bunden sind.
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler können da-rauf vertrauen, dass wir ihre Steuergelder und auchMautzahlungen in Zukunft nur noch dort investieren, wosie am Ende den höchsten Nutzen für das gesamte Ver-kehrsnetz haben. Die Koalitionsfraktionen haben verein-bart, dass in Zukunft 80 Prozent der Investitionsmittel inden Neu- und Ausbau von Projekten investiert werden,die von überregionaler und nationaler Bedeutung sind.Das Bauen ausschließlich nach Himmelsrichtung gehörtdamit der Vergangenheit an.
Die Autofahrerinnen und Autofahrer können sicher sein,dass wir mehr in bröckelnde Brücken und löchrige Stra-ßen investieren werden. Wir haben ganz klar gesagt: Er-halt wird vor Ausbau gehen.
Wir werden die Nutzerinnen und Nutzer, die die Stra-ßen am meisten beanspruchen, stärker an der Finanzie-rung des Erhalts der Straßen beteiligen. CDU/CSU undSPD haben miteinander fest vereinbart, dass die Lkw-Maut in dieser Legislaturperiode auf alle außerörtlichenBundesfernstraßen ausgedehnt wird, und die zusätzli-chen Einnahmen sollen eins zu eins in die Infrastrukturinvestiert werden.
Ich persönlich denke, Herr Dobrinth, dass wir schnell zugrundsätzlichen Entscheidungen kommen müssen, mitwelchen Partnern wir die Ausdehnung der Lkw-Maut biszum Ende dieser Legislaturperiode wirklich umsetzenkönnen.Die Bevölkerung an den Hauptbahnstrecken kann da-rauf vertrauen, dass wir alles dafür tun werden, dass abdem Jahr 2020 keine lauten Güterwagen mehr durchDeutschland fahren; denn auch dies ist eine klare Verein-barung der Koalitionsfraktionen.
Bereits in zwei Jahren werden wir schauen, wie vielelaute Güterwagen bis dahin umgerüstet sind. Wir habenvereinbart, dass wir dann, wenn bis dahin nicht mindes-tens die Hälfte der Wagen mit neuen leisen Bremsen aus-gerüstet ist, in dieser Legislaturperiode darüber diskutie-ren, aber auch entscheiden müssen, ob wir zum Beispielin Deutschland ein Nachtfahrverbot für lärmende Güter-wagen verhängen.
Die Gesellschaft in unserem Land kann darauf bauen,dass wir die digitale Spaltung zwischen Stadt und Landnicht auf sich beruhen lassen werden. Wir wollen ein In-ternet für alle. Die Koalitionsfraktionen werden alles da-für tun, dass die Breitbandversorgung in unserem Landebesser wird. Ich glaube, wir alle haben uns dort ambitio-nierte Ziele gesetzt.Zum Schluss. Aus den Vereinbarungen des Koali-tionsvertrages müssen jetzt konkrete Projekte werden.Ich finde, wir alle haben genug miteinander verhandelt,miteinander gerungen, teilweise auch miteinander gere-det. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wol-len jetzt Taten sehen. Deswegen freue ich mich darauf,wenn wir uns jetzt alle gemeinsam an die Arbeit ma-chen. Los geht’s!Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren!Die Große Koalition – das hat die Rede des neuen Ver-kehrsministers eindrucksvoll bestätigt – verweigert sichden zentralen verkehrspolitischen Herausforderungen.Sie haben gesagt, Sie wollen Ökonomie und Ökologiezusammenbringen. Das Thema Energiewende im Ver-kehr und Verringerung der hohen Erdölabhängigkeit desVerkehrssektors kommt im Koalitionsvertrag praktischnicht vor.
Es werden keine übergeordneten Ziele für die Verringe-rung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor genannt.Die Große Koalition versteht Verkehrspolitik fast aus-schließlich als Instrument der Wirtschaftspolitik.Die Begriffe „Klimaschutz“ und „Nachhaltigkeit“tauchen noch nicht einmal im Prosateil des Koalitions-vertrages auf. Ich habe sie auch in Ihrer Rede nicht ge-hört. Wer Klimaschutz im Verkehrsbereich nicht als diezentrale Gestaltungsaufgabe begreift, wird den Heraus-forderungen nicht gerecht.
Sich zu dem Ziel zu bekennen, bis 2020 die Zahl von1 Million batterieelektrischen Fahrzeugen zu erreichen,reicht nicht und hat die gleiche Qualität wie der Satz imKoalitionsvertrag: Wir bekennen uns zum Bau des Berli-ner Hauptstadtflughafens.
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850 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Stephan Kühn
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Ich komme zu Ihrem Vorschlag, Herr Dobrindt, dassElektroautos in den Städten die Busspuren zustellen dür-fen. Gerade die öffentlichen Verkehrsmittel sind die Pro-blemlöser bei der Energiewende. Sollen sie jetzt auchnoch ausgebremst werden?
Welchen Stellenwert der Umweltverbund in der GroßenKoalition hat, wird schon daran erkenntlich, dass derFührerscheinentzug als Alternative zu Freiheitsstrafeneingeführt werden soll. Ich übersetze das einmal: Bus-und Bahnfahren, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen wird zurallgemeinen Strafe erklärt.Kein Wunder also, dass im Koalitionsvertrag die so-ziale Dimension von Mobilität, nämlich die gesellschaft-liche Teilhabe von Menschen durch bezahlbare Mobilitätin Stadt und Land zu sichern, maximal ein Randthemaist. Verbraucherschutz findet man im Koalitionsvertragauch nicht. Ich habe lange etwas zu dem Thema Fahr-gastrechte gesucht, aber nichts gefunden.
Mit der Diskussion um eine Pkw-Maut für Ausländerlenken Sie geschickt von den eigentlichen Problemen beider Infrastrukturfinanzierung ab.
Während das Wunschprojekt der bayerischen Regional-partei im Koalitionsvertrag verankert wurde, wird dervon der Bodewig-Kommission ausgewiesene Sanie-rungsbedarf bei der Infrastruktur in Höhe von jährlich7 Milliarden Euro zusätzlich für alle Verkehrsträger inBund, Ländern und Gemeinden mit keiner Silbe er-wähnt.Selbst wenn dem Berliner Statthalter von HorstSeehofer die Quadratur des Kreises gelingt, nämlich eineVignette für im Ausland zugelassene Fahrzeuge, europa-rechtskonform und ohne Mehrbelastung für deutscheFahrzeughalter, löst sie in keiner Weise den Sanierungs-stau bei Straßen, Schienen und Brücken auf.
Leider schließt sich Schwarz-Rot nicht dem sinnvol-len Vorschlag der Bodewig-Kommission an, einenFonds mit jährlich 2,7 Milliarden Euro für die nachho-lende Sanierung aufzulegen. Über die gesamte Legisla-turperiode von vier Jahren wäre also der Bedarf für dieBundesinfrastruktur für nachholende Sanierung etwa10,8 Milliarden Euro. Das wäre mehr als doppelt so vielwie das, was derzeit eingestellt werden soll, nämlich5 Milliarden Euro in vier Jahren.Nach Ihrer Rede, Herr Minister, hat man den Ein-druck, Sie wollen uns weismachen, mit Ihren Digitalisie-rungsplänen könnte man die Schlaglöcher in den Straßenstopfen.
Ich glaube, das funktioniert nicht. Sie wollen Ministerfür virtuelle Realitäten werden. Den Zahn werden wirIhnen ziehen.Wie passt es, dass Sie jetzt auf Datenautobahnen stattAutobahnen setzen, damit zusammen, dass ausgerechnetIhr Heimatbundesland Bayern für den neuen Bundesver-kehrswegeplan Straßenprojekte mit einem Volumen von16 Milliarden Euro – also genug Projekte für die nächs-ten 150 Jahre – eingereicht hat?
Wie ernst meinen Sie es mit der Festlegung im Koali-tionsvertrag zum neuen Bundesverkehrswegeplan, wo-nach 80 Prozent der Mittel für Neu- und Ausbau in denVordringlichen Bedarf Plus, also in das Kernnetz, fließensollen?
Nur dass wir uns richtig verstehen: Die AbkürzungBVWP steht nicht für „Bayerischer Verkehrswegeplan“,sondern für Bundesverkehrswegeplan.
Mit Blick auf den Bundesverkehrswegeplan ist dasBekenntnis zum Deutschland-Takt lobend hervorzuhe-ben. Ebenso ist es zu begrüßen, dass Sie sich jetzt denZustand des Schienennetzes und damit den zweckge-rechten Einsatz der Bundesmittel für den Erhalt genaueransehen wollen. Aber das ist leider nicht ausreichend.Wir brauchen bei der Überprüfung des bestehendenBahnnetzes endlich strecken- und stationsgenaue über-prüfbare Qualitätsmerkmale statt nichtaussagekräftigerDurchschnittswerte. Sie können die Testfahrzeuge nochso viele Kilometer weit durch die Lande schicken: Wennwir keine Qualitätsparameter festgelegt haben, werdenwir den Zustand nicht genau ermitteln können.
Genug gelobt; denn beim Nahverkehr auf der Schienesieht es ganz anders aus. Es gibt keine klaren Aussagenzur Erhöhung der Regionalisierungsmittel. Die Zukunftder Finanzierung des öffentlichen Verkehrs wird an eineBund-Länder-Kommission delegiert, die vielleicht ir-gendwann am Ende der Legislaturperiode Ergebnissebringt. So schaffen Sie keine langfristige Planungs-sicherheit für Kommunen, kommunale Verkehrsunter-nehmen und Aufgabenträger. Eine Offensive für den öf-fentlichen Verkehr sieht anders aus.
Interessant ist, dass die Große Koalition beim Schienen-lärm sogar mit Nachtfahrverboten droht; beim Luftverkehrdarf es aber weiter laut bleiben. Auffällig unkonkret sindhier die Forderungen. Es gibt Appelle an die Luftfahrtbran-che, sie möge doch schneller leiseres Fluggerät einführen,und es sollten auch ein bisschen mehr lärmreduzierendeFlugverfahren eingesetzt werden. Meine Damen und Her-ren, das sind Textbausteine, die Sie eins zu eins von derLuftverkehrslobby abgeschrieben haben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 851
Stephan Kühn
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Niemand streitet die wirtschaftliche und verkehrlicheBedeutung der Luftverkehrsinfrastruktur ab, auch wirnicht. Aber das darf nicht dazu führen, dass die Gesund-heit der von Fluglärm betroffenen Bürgerinnen und Bür-ger eine untergeordnete Rolle spielt. Genau das sehenwir aber in Ihrem Koalitionsvertrag.
Ein nationales Luftverkehrskonzept, das wir richtigund notwendig finden, muss deshalb dem Schutz der Be-völkerung vor Fluglärm eine zentrale Bedeutung bei-messen.
Wir erwarten, Herr Dobrindt, dass Sie sich nicht nur umIhre Pkw-Maut für Ausländer kümmern, sondern imnächsten halben Jahr endlich eine politische Agenda fürein solches nationales Luftverkehrskonzept vorlegen.
Ich komme zum Schluss und fasse zusammen. Ausdem vorgelegten Koalitionsvertrag und Ihren heutigenVerlautbarungen kann ich nur das Fazit ziehen: Derkleinste gemeinsame Nenner der Großen Koalition reichtnicht aus, um die verkehrspolitischen Herausforderungender Zukunft zu bewältigen. Oder anders ausgedrückt – ummit den Worten des ehemaligen Vorsitzenden des Ver-kehrsausschusses zu sprechen –: Je größer die Mehrheit,desto kleiner der Anspruch. – Ich befürchte, dass wirvier verlorene Jahre in der Verkehrspolitik vor uns ha-ben.
Das Wort hat der Kollege Ulrich Lange für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Lieber Kollege Kühn, diese Große Koalition isteine Koalition
für Infrastruktur und – das ist mir aufgefallen, als ich Ih-nen zugehört habe – gegen die Verweigerungshaltungder Grünen, die in den letzten Jahren im Verkehrsaus-schuss immer wieder zu spüren war. Darauf werde ichbeim Bundesverkehrswegeplan noch explizit zu spre-chen kommen.
Wir werden in den nächsten vier Jahren Straßenbauen.
Wir werden in den nächsten vier Jahren das Schienen-netz ausbauen und sanieren. Wir werden die Übertra-gungsnetze ausbauen und so einen weiteren Schritt hinzu mehr Informationsgerechtigkeit gehen.
Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit unseremneuen Verkehrsminister Alexander Dobrindt und denParlamentarischen Staatssekretären. Deshalb sind wirauch bereit, lieber Herr Minister, Ihren Wunsch, nachzwölf Jahren endlich länger sprechen zu dürfen, zu erfül-len. Wir kürzen einfach unsere gesamte Redezeit um einpaar Minuten.Die Koalition hat ein schlüssiges und realistischesProgramm auch und gerade beim Bundesverkehrswege-plan, lieber Kollege Kühn. Unser nationales Prioritäten-konzept wird sich als schlüssig und überzeugend erwei-sen. Da Sie argumentieren, dass nun zu viele Projekteangemeldet sind: Die Bürgerinnen und Bürger insbeson-dere in Baden-Württemberg warten – das sage ich ganzbewusst als jemand aus dem bayerischen Grenzland –auf ihre Ortsumgehungen und die damit verbundenenEntlastungen. Wenn Sie über Lärm sprechen, dann dür-fen Sie den Autolärm nicht vergessen. Um diesen zu re-duzieren, brauchen wir Ortsumfahrungen und einenBundesverkehrswegeplan.
Wir werden in den nächsten vier Jahren 5 MilliardenEuro mehr in die Infrastruktur stecken können. Das istein Baustein – wenn auch kein ganz kleiner –, um derzugegebenermaßen nicht gerade üppigen Ausstattung inder Verkehrsinfrastrukturfinanzierung etwas nachzuhel-fen. Der Ausbau der Nutzerfinanzierung ist ein anderer,ebenso wichtiger Baustein. Dazu gehört die Lkw-Mautgenauso wie die Pkw-Maut für Nichtdeutsche, liebe Kol-leginnen und Kollegen des Koalitionspartners. Wir wer-den die Begeisterung, die vorhin noch etwas zurückhal-tend geäußert wurde, in stürmischen Applaus umwandeln,wenn der entsprechende Gesetzentwurf vorliegt und be-raten wird; darin sind wir uns sicher.
Wir werden die Kommunen und die Länder nicht al-leine lassen – darauf haben wir uns im Koalitionsvertragverständigt –, wenn es um die Regionalisierungs- unddie Entflechtungsmittel geht. Ich glaube, dass wir in ei-nem guten Dialog mit den Ländern hier zu vernünftigenLösungen kommen werden.Das angekündigte Elektromobilitätsgesetz wird – da-von sind wir überzeugt – den notwendigen kräftigenSchub dafür geben, dass wir hier die Schritte vorankom-men, die wir uns für diese Legislaturperiode vorgenom-men haben.
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852 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Ulrich Lange
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Der Schienenverkehr muss langfristig sicher finan-ziert sein. Eine neuer Vertrag, eine neue Leistungs- undFinanzierungsvereinbarung für die Ersatzinvestitionen,aber auch – ich sage das so offen – bessere Planungsre-serven bei der Bahn gehören dazu. Es gehört auch dazu,dass die Bahn notwendige Eigenmittel aufbaut und dieseEigenmittel wieder in die Infrastruktur investiert wer-den. Ich glaube, dass die Schritte, die der Minister ange-kündigt hat, die richtigen sind. Wir stehen zum integrier-ten Konzern DB, wir stehen aber genauso dazu, dassRegulierung und Wettbewerb im Schienenverkehr unbe-dingt notwendig sein müssen.
Das Thema Verkehrslärm, lieber Kollege Kühn, neh-men wir sehr ernst. Schauen Sie in den Koalitionsver-trag.
Wir nehmen den Lärm ernst beim Schienenverkehr,
– beim Flugverkehr natürlich auch –, aber auch beimStraßenverkehr. Dabei verweise ich wieder auf die Orts-umfahrungen.Dass wir dafür sorgen müssen, dass der Luftverkehrin Deutschland wettbewerbsfähig bleibt, haben wir inden letzten Wochen und Monaten gesehen. Wir könnenes uns also nicht leisten, unsere Flughäfen von gewissenNachtflügen freizuhalten. Ich sage das ganz offen; dennauch das ist ein Teil der Wahrheit. Mögen Sie nicht sotun, als ob es bei Ihnen anders ginge.Das Maritime Bündnis ist fortzusetzen. Ich will hiernur die wichtigsten Stichworte nennen: nationales Ha-fenkonzept und Schifffahrtsförderung. Ich bin mir si-cher, dass wir auch in diesen Punkten ein gutes Stück vo-rankommen können.Die digitale Infrastruktur – dazu hat der Ministerwirklich gut und ausführlich Stellung genommen – istwichtig. Sie ist wichtig für das ganze Land, insbesonderefür die ländlichen Regionen; denn diese Infrastrukturheißt Arbeitsplätze, diese Infrastruktur heißt Teilhabe ander neuen digitalen Welt. Hier werden wir ganz beson-ders auf die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstand-ortes Deutschland hinarbeiten müssen.
Herr Kollege Lange.
Frau Präsidentin, ich bin froh, dass die mir gekürzte
Redezeit jetzt doch wieder verlängert wird.
Darauf wollte ich Sie gerade aufmerksam machen.
Der Kollege Janecek hätte gern das Wort zu einer Frage
oder Bemerkung.
Jetzt haben Sie schon so wenig Redezeit und verlän-
gern unsere auch noch.
Es war mein Anliegen, Herr Kollege Lange, dass Sie
mehr Zeit erhalten.
Ich stelle Ihnen folgende Frage. Ich bin aus Bayern
Ankündigungen gewohnt, auch von Minister Dobrindt.
Er spricht von Champions League, Weltmeister, Netz-
allianz und sagt Asien und den USA den Kampf an. Wie
bringen Sie denn das mit der Tatsache zusammen, dass
Sie es nicht geschafft haben, in Ihrem Koalitionsvertrag
Ihre Breitbandstrategie mit einem Finanzkonzept zu ver-
sehen?
Lieber Kollege Janecek, ich glaube, dass wir die ent-
sprechenden Mittel und die entsprechenden Strategien in
den nächsten vier Jahren auflegen können. Der Koali-
tionsvertrag ist ein Arbeitsvertrag und kein Finanzie-
rungskonzept.
Deshalb werden wir diesen Koalitionsvertrag umsetzen
können. Seien Sie beruhigt. Ich kann nur wie die Kanzle-
rin vorgestern im Zusammenhang mit der Maut sagen:
Warten Sie es ab.
Wir werden hier die richtigen Anreize – auf die
kommt es ganz wesentlich an – setzen, um auch privates
Kapital zum Einsatz bringen zu können. Die vorgeschla-
gene Netzallianz ist insoweit ein ganz wichtiger Bau-
stein. Die Branche hat eine Menge Innovationspotenzial.
Ich bin mir sicher: Wir können und werden es heben.
Wir haben einen guten und überzeugenden Fahrplan.
Diese Koalition arbeitet zusammen mit unserem Minis-
ter für Mobilität und Modernität.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Herbert Behrens für dieFraktion Die Linke.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 853
(C)
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jetzt haben wir auf einmal ein neues Ministerium, näm-
lich das für Mobilität und Modernität. Bis gestern war es
noch das Ministerium für Verkehr und digitale Infra-
struktur.
Es ist aber nicht die Frage des Labels, unter dem wir
arbeiten – um diesen Begriff einmal zu verwenden –,
sondern es kommt darauf an, wie viel Substanz in den
Vorschlägen steckt, die Sie als Minister uns vorlegen
wollen. Kritische Anmerkungen haben Sie eben schon
gehört.
Ich will meinen Beitrag kurz mit einem positiven Bei-
spiel beginnen, damit klar wird, wie wir uns digitale
Infrastruktur vorstellen. In der Integrierten Gesamt-
schule in meinem Heimatort Osterholz-Scharmbeck tau-
schen sich Schülerinnen und Schüler in Videokonferen-
zen in englischer Sprache mit ihren Mitschülern aus
Finnland aus. Sie arbeiten an gemeinsamen Projekten
und lösen zusammen ihre Schulaufgaben. Das alles ist
nur durch das Internet möglich.
Damit das kein Einzelbeispiel bleibt, brauchen wir
flächendeckend eine digitale Infrastruktur auf dem neu-
esten Stand der Technik. Die Linke will deshalb schnel-
les Internet für alle, ob Jung oder Alt, ob in der Stadt
oder auf dem Land.
Die neue Bundesregierung befasst sich mit diesem
Thema jetzt in gleich fünf Ministerien; aber egal, bleiben
wir erst einmal beim Ministerium – ich nenne es einfach
noch einmal so – für Verkehr und digitale Infrastruktur.
In der Koalitionsvereinbarung heißt es:
Für ein modernes Industrieland ist der flächende-
ckende Breitbandausbau eine Schlüsselaufgabe.
So weit, so gut.
Aber ein Bekenntnis reicht nicht aus – in einigen Dis-
kussionsbeiträgen ist das schon angemerkt worden –, die
Bundesregierung muss auch Geld in die Hand nehmen.
Es soll ein Sonderfinanzierungsprogramm „Premiumför-
derung Netzausbau“ geben und außerdem ein Breitband-
bürgerfonds eingerichtet werden. Beides ist hilfreich,
aber es wird nicht reichen, um die notwendigen Investi-
tionen zu finanzieren.
Der TÜV Rheinland hat nachgerechnet und kommt
auf Kosten von 20 Milliarden Euro für einen flächende-
ckenden Breitbandausbau. Für Glasfaserversorgung wird
mit 80 Milliarden Euro gerechnet. Zusätzlich muss in die
Datensicherheit investiert werden, um Industriespio-
nage und das Ausforschen der Privatsphäre zu verhin-
dern. Der Minister muss sagen, wie er das umsetzen will,
und er muss erklären, wie er die Übertragungsrate von
50 Megabit pro Sekunde erreichen will. Appelle an In-
vestoren, doch bitte schön Milliarden in den Breit-
bandausbau zu investieren, reichen nicht.
Datenverbindungen sind schneller geworden – keine
Frage –, doch die Datenmengen steigen schneller als die
Bandbreiten. Noch vor zwei Jahren galten 2 Megabit als
ordentliche Grundversorgung. Das war gestern. Heute ist
in den Niederlanden ein Netzbetreiber dabei, ein flä-
chendeckendes Glasfasernetz bis zum Hausanschluss
aufzubauen. In Zürich sind Leistungen von 300 Megabit
lieferbar. Wer sich mit Korea vergleicht, Herr Dobrindt,
der muss wissen, dass dort an einem Netz gearbeitet
wird, über das innerhalb einer Sekunde 800 Megabyte
Daten geschickt werden können.
800 Megabyte! Das muss man sich auf jeden Fall auf der
Zunge zergehen lassen.
Sie sprechen von einer Aufholjagd, um Deutschland
an die Weltspitze des digitalen Fortschritts zu führen.
Eine solche Aufholjagd sieht anders aus. Sie bleiben
weit dahinter zurück. Nur Glasfasertechnik bringt die
nötigen Geschwindigkeiten. Deshalb fordert die Linke
eine klare Weichenstellung für den Glasfaserausbau.
Herr Dobrindt, genauso wenig, wie Sie zur Finanzie-
rung Stellung nehmen, sagen Sie konkret etwas dazu,
wie den Menschen in Stadt und Land, in Ost und West
gleicher Zugang zum schnellen oder, in Ihren Maßstä-
ben, zu etwas schnellerem Internet – das ist das, was Sie
vorhaben – garantiert werden soll. Tausende Mittel-
ständler und Selbstständige warten im ländlichen Raum
darauf, über schnelles Internet zu verfügen. Ihre ge-
schäftliche Existenz hängt davon ab. Ihnen helfen keine
Ankündigungen. Sie brauchen Entscheidungen.
Ein zweites Thema zum Schluss: die unsinnige Pkw-
Maut, auch „Ausländer-Maut“ genannt. Da blickt doch
inzwischen keiner mehr durch. Jahresgebühr oder doch
Wochen- oder Monatsvignette? Ökorabatt oder Steuer-
senkung? 2014 oder doch erst 2016? Wenn es nicht so
ernst wäre, dann wäre es eigentlich eine Lachnummer.
Herr Dobrindt, die Pkw-Maut ist für Sie in Ihrem Amt
ein klassischer Fehlstart. Packen Sie die Pläne zusam-
men und in die unterste Schublade, wo sie hingehören!
Wenn Sie nicht mehr auf den ADAC hören können, dann
hören Sie auf Ihren Koalitionspartner SPD.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Gottfried Daimler hat einmal festgestellt:
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854 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Kirsten Lühmann
(C)
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Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugenwird eine Million nicht überschreiten – allein schonaus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.
Wenn es so gekommen wäre, benötigten wir heutedeutlich weniger Finanzmittel für die Instandhaltung un-serer deutschen Infrastruktur. Deutschland würde aberauch anders aussehen. Persönliche Freiheiten, Möglich-keiten und Entwicklungschancen für die Menschen inunserem Lande wären andere, es wären schlechtere.Gottlieb Daimler scheint mit seiner Einschätzung,dass der Mangel an verfügbaren Chauffeuren ein Pro-blem darstellt, schon recht zu haben, wenn man sich dieLogistikbranche in Deutschland anschaut. Darum hatsich die Bundesregierung in dem Koalitionsvertrag die-ses Themas angenommen. Was allerdings die Zahl derKfz betrifft, war die Prognose von Gottlieb Daimlerfalsch. Wir hatten im letzten Jahr in Deutschland knapp59 Millionen Kraftfahrzeuge, davon allein 43,5 Millio-nen Pkw. Weil das so ist, stehen wir vor deutlichen He-rausforderungen in der Verkehrspolitik.Die zentralen Themen, die unsere Gesellschaft bewe-gen und die unser politisches Handeln bestimmen, sind,Kollege Kühn, die Energiewende, der Klimaschutz, diedemografische Entwicklung und die Daseinsvorsorge.
Bei all diesen Themen kann eine richtige – oder eine fal-sche – Verkehrspolitik viel bewirken. Es ist also unsereAufgabe, Verkehr nicht nur beschränkt auf einzelne Ver-kehrsträger wie Straße, Schiene, Wasserstraße und Luftzu denken, sondern wir müssen berücksichtigen, dassweder die Menschen noch die Güter, die wir täglichtransportieren, von Tür zu Tür nur mit einem Verkehrs-mittel unterwegs sind.
Um hier für alle eine bezahlbare, sichere und klima-freundliche Mobilität zu ermöglichen, müssen jetzt dieWeichen richtig gestellt werden. Diese Bundesregierunghat dazu im Koalitionsvertrag die entscheidenden The-menfelder angesprochen.
Zum Beispiel zu der Frage: Was ist zu tun, damit derVerkehrssektor einen deutlichen Beitrag zur Energie-wende und zum Klimaschutz leistet? Wir lesen dazu imKoalitionsvertrag:Die von uns geförderte Mobilitätsforschung wirdzukünftig verstärkt die gesamte Breite von Mobili-tätsangeboten auch unter gesellschafts- und sozial-wissenschaftlichen Aspekten in den Blick nehmen.Etwas weiter heißt es:Wir setzen zudem auf die Nutzung moderner Infor-mations- und Kommunikationstechnik für eine ver-netzte, sichere und effiziente Mobilität.Infrastruktur und Mobilität müssen neu gedacht wer-den, um größtmöglichen Schutz der Menschen, des Kli-mas und einen schonenden Umgang mit Ressourcen zuerreichen. Dazu sind in den verschiedenen BereichenSystemvorteile zu nutzen. Die sogenannte Intermodali-tät, das heißt die Verknüpfung der unterschiedlichenTransportmittel, ist unsere zentrale Aufgabe. Mehr Gü-terverkehr auf die Wasserstraße und die Schiene – auchdas ist eine Verabredung der neuen Bundesregierung,und zwar eine gute.
Wir wissen aber auch, dass dies Grenzen hat. Die Ka-pazität der Schiene reicht derzeit nicht aus, um den ge-samten prognostizierten Zuwachs an Güterverkehrenaufzunehmen. Der Kapazitätsausbau ist nicht nur anfinanzielle Grenzen gestoßen, auch die deutliche Verrin-gerung der Belastung der Anwohner durch Schienenlärmwird für uns eine genauso zentrale Rolle bei den Aus-baumaßnahmen spielen.
Ein wichtiges Thema, das ich schon in der letzten Le-gislatur gerne bearbeitet habe, ist, die Bedingungen aufden Straßen zu verändern, um den Transport von Men-schen und Gütern zu verbessern. Dazu bedarf es einesverstärkten Telematikeinsatzes und eines Ausbaus vonVerkehrssteuerungsanlagen. Auch dazu haben wir unsverabredet; denn unser Ziel ist es, die Mobilität der Men-schen und die Intermodalität als Gradmesser für Moder-nität zu berücksichtigen.Abgestimmte Fahrpläne beim Schienennah- und -fern-verkehr, gute Anschlussangebote beim öffentlichenPersonennahverkehr, Rufbusse, Carsharing sowie Miet-möglichkeiten von Fahrrädern und Pedelecs werden esmöglich machen, ohne Verlust von Lebensqualität ver-mehrt auf einen eigenen Pkw zu verzichten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sehen wir dochschon in den Großstädten. Aber unsere Herausforderungist es, dieses Angebot auch und besonders in den ländli-chen Räumen, in den strukturschwachen Regionen, woältere Menschen und Menschen mit weniger finanziellenMitteln genau auf diese neuen Konzepte angewiesensind, durchzusetzen.
Das ist übrigens auch eine Verpflichtung, die uns dasGrundgesetz auferlegt. Dort steht nämlich, dass wir da-für zu sorgen haben, dass in Deutschland gleichwertigeLebensbedingungen bestehen. Zu dieser Verpflichtungsteht diese Bundesregierung. Sie hat sehr viele Konzeptevorgelegt.Wir werden unser Augenmerk noch stärker auf um-weltfreundliche Fahrzeuge legen. Die Koalition hat sichverpflichtet, die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie wei-terzuentwickeln und die Forschung zu intensivieren. Zu-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 855
Kirsten Lühmann
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sammen mit den Kommunen müssen Privilegierungenvon Fahrzeugen mit alternativen Antrieben im Straßen-verkehr diskutiert werden. Wichtig dabei ist jedoch, dassdies nicht zu einem Nutzungskonflikt mit dem öffentli-chen Personennahverkehr führt.
Ein Anreizsystem in Form von Prämien beim Kauf,zum Beispiel von Elektrofahrzeugen, halten wir für nichterforderlich. Sinnvoller sind die schon umgesetzten zeit-weise geltenden Steuerbefreiungen für diese Fahrzeugeoder auch die Energiesteuerermäßigung für klimascho-nendes Autogas und Erdgas. Wir haben vereinbart, dieseSteuerbefreiung über das Jahr 2018 hinaus fortzuführen.
– Danke schön.
Unser immer besser ausgebautes Verkehrsnetz wirdaber in Teilen auch zu einer Belastung. Was die Men-schen in unserem Lande in diesem Zusammenhang ammeisten beeinträchtigt, ist der Verkehrslärm.
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Bürger und Bürge-rinnen nicht länger bereit sind, größere Lärmbelästigun-gen hinzunehmen, und dass die Bürgerinitiativen zu die-sen Themen immer stärker werden.Dem hat diese Regierung in doppelter Hinsicht Rech-nung getragen, und zwar zum einen mit mehr Lärm-schutz und zum anderen mit mehr Bürgerbeteiligung.Die Mittel für die Lärmschutzprogramme im BereichStraße und Schiene werden erhöht, und somit wird derLärmschutz für die Anwohnenden deutlich verbessert.Dabei – das ist jetzt neu – soll die Gesamtlärmbelästi-gung an Bundesfernstraßen und BundesschienenwegenGrundlage der Bemessung sein. Grundlage dafür sollalso nicht mehr wie bisher die Einzelmessung des je-weils einzelnen Verkehrsträgers sein.
Bei all dem sind aber die Interessen der Güterver-kehrsbranche und somit auch die Interessen aller Konsu-menten und Konsumentinnen, die die Waren, die dorttransportiert werden, letztendlich kaufen und nutzenwollen, nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist eineHerausforderung für uns, und wir werden sie meistern.Hierbei erteilen wir Extrempositionen, wie wir sieteilweise hörten, zum Beispiel, dass Betriebszeiten vonFlughäfen allein an wirtschaftlichen Gesichtspunkten zuorientieren sind, aber auch einem generellen Nachtflug-verbot für Deutschland eine deutliche Absage. Jedoch:Wenn man diesen Koalitionsvertrag genau liest, KollegeKühn, sieht man, dass darin auch steht, dass wir verein-bart haben, die Grenzwerte des Fluglärmschutzgesetzeszu überprüfen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich möchte zumSchluss ganz ausdrücklich meinem ehemaligen stell-vertretenden Parteivorsitzenden Helmut Schmidt wider-sprechen, der gesagt hat: Wer Visionen hat, soll zumPsychiater gehen. – Ich sage: Wer Visionen hat, sollte In-frastrukturpolitik betreiben, am besten mit dieser Bun-desregierung. Ich freue mich auf die nächsten vier Jahre.Danke schön.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Tabea Rößner das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Herr Bundesminister Dobrindt, bis 2018 wollen Sie, sosteht es im Koalitionsvertrag, Deutschland flächen-deckend mit Breitbandgeschwindigkeiten von bis zu50 Megabit pro Sekunde versorgen. Das ist mal eine An-sage! Sie ist aber auch nicht neu. Kanzlerin Merkel hatschon vor einigen Jahren versprochen, dass 75 Prozentaller Haushalte Highspeed-Internet bekämen – bis 2014.Jetzt haben wir 2014 und sehen: Verheißungen helfennicht weiter – das Internet sollte schon gar keine seinund bleiben –, man muss auch etwas dafür tun.
Eigentlich mag ich ja Menschen mit Visionen. Ichhabe auch eine, nämlich dass die Menschen rund umPeißenberg einen schnellen Anschluss bekommen. DerBreitbandatlas zeigt, dass die weißen Flecken bei Ihnen,Herr Minister Dobrindt, direkt vor der Haustür anfangen.Rund um den Sitz Ihres Wahlkreisbüros ist derzeit maxi-mal 1 Megabit pro Sekunde möglich. Bis da eine Mailbei einem Wahlkreisabgeordneten ankommt, hat man sieschneller persönlich vorbeigebracht.
Das sind nicht die einzigen weißen Flecken. Auch beiStaatssekretärin Doro Bär – schade, dass sie jetzt nichtmehr da ist – sieht es vor Ort nicht so rosig wie auf ihrerHomepage aus.
Wenn sich die Wähler in Münnerstadt die Homepagevon Doro Bär mit den vielen schönen bunten Fotos anse-hen wollen, müssen sie richtig viel Geduld haben.
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856 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Tabea Rößner
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So sieht es 2014 in vielen Regionen Deutschlands aus.Die Menschen in diesen Regionen hätten lieber heute alsmorgen schnelle Internetverbindungen.
Wir stehen vor zwei gewaltigen Herausforderungen:Erstens: Wie stopfen wir die Löcher im Breitbandnetzmöglichst schnell?Zweitens: Wie bauen wir mittel- und langfristig dasGlasfasernetz aus? Das brauchen wir nämlich wirklich,wenn wir ein Hightechland sein wollen. Denn ohne gibtes kein Cloud-Computing, kein Smart Grid und auchkeine intelligente Logistik. Gewaltige Aufgaben, die Sieda zu bewältigen haben! Bis ein Runder Tisch „Netz-allianz“ Ergebnisse liefert, dauert es. Dabei warten wirjetzt ja schon seit Jahren darauf, dass sich die Lage ins-besondere in den ländlichen Regionen deutlich verbes-sert.Die Grundversorgung hätten wir schnell und ohne zu-sätzliche Haushaltsmittel haben können, nämlich mitdem Universaldienst.
Danach würde jeder Haushalt einen einigermaßenschnellen Internetanschluss kriegen, so wie jeder von derPost beliefert werden muss oder einen Telefonanschlussbekommt – und da ist es völlig egal, ob auf der Alm, aufder Hallig oder im Westerwald.
Das ist ein Konzept, das bis zur Wahl übrigens auch vonder SPD gefordert wurde. Nach den Koalitionsverhand-lungen wollten Sie aber leider nichts mehr davon wissen.Hier, werte Kollegen von der SPD, haben Sie sich überden Tisch ziehen lassen.
Bis 2018 ist es noch lange hin. Bis dahin gibt es ja be-reits eine neue Bundesregierung.
Wahrscheinlich müssen Sie sich für das Nichteinlösendieser Versprechungen dann gar nicht mehr rechtferti-gen. Das Ziel ist also nicht nur auf den ersten Blick mu-tig, es ist auch auf den zweiten vor allen Dingen be-quem.Eines halte ich Ihnen aber zugute: Die neue Regie-rung hat immerhin verstanden, wie wichtig der Breit-bandausbau ist. Das ist nicht nur eine Frage von Teil-habe, wie Minister Dobrindt betont, sondern auch eineZukunftsinvestition. Flächendeckendes Breitband birgtfür Deutschland auch enorme Wirtschaftskraft. Ein An-stieg der Breitbandversorgung um 10 Prozent kann lautEU-Kommission zu einem jährlichen BIP-Wachstumvon 1 bis 1,5 Prozent führen. Breitbandverbindungen be-wirken Innovationen in Unternehmen, sie fördern Be-schäftigung und bieten das Potenzial, bis 2020 2 Millio-nen zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Ohne Ausbauläuft die Energiewende nur mit angezogener Hand-bremse. Wir könnten bis zu vier Kohlekraftwerke ein-sparen, hätten wir externe klimaneutrale Rechenzentren.Dafür brauchen die Unternehmen aber eben Breitband-verbindungen.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind leider wenigvielversprechend. Es gibt weder Geld noch ein Konzeptund auch kein Anreizprogramm. Die ursprünglich ge-plante 1 Milliarde Euro für den Ausbau ist in den Koali-tionsverhandlungen gestrichen worden. Was bleibt, sindbloße Ankündigungen. Aber die alleine machen nochkeinen Breitband-Frühling.Die Einberufung eines Runden Tisches und Ihr Auf-tritt im Ausschuss hinterlassen einen engagierten Ein-druck. Aber letztendlich kostet der Ausbau viel Geld,das die Regierung eben nicht bereitstellen will und vondem unklar ist, woher es kommen soll. Von Gesprächs-runden wird es nicht vom Himmel fallen. Irgendeinerwird die Zeche zahlen müssen. Die Frage bleibt nur:Wer?Herr Dobrindt, als Sie im Dezember letzten Jahres beiIhrer Vereidigung hier vorne standen, konnte ich be-obachten: Hier ist ein Mann, der es gar nicht erwartenkann, Minister zu werden.
Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen zwischen Peißenberg undRunden Tischen die Puste nicht ausgeht.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Image macht man am Anfang. Deswegenbin ich dem neuen Verkehrsminister sehr dankbar, dasser hier seine Prioritäten auf den Tisch gelegt hat. Wirhatten vorher ein Ministerium, das auch mit Wohnungs-bau zu tun hatte. Wir Mitglieder des Ausschusses hattenimmer den Eindruck, dass der Wohnungsbau ein An-hängsel war und es in erster Linie um Verkehrspolitikging. Alexander Dobrindt hat jetzt deutlich gemacht,dass digitale Infrastruktur sehr wichtig ist, dass er hiersehr viel Arbeitskraft einbringen wird und dass Ver-kehrspolitik und digitale Infrastruktur in diesem Ministe-rium gleichwertig behandelt werden sollen. Das ist dieBotschaft. Wir als Ausschuss sollten uns dieser Aufgabeintensiv annehmen.Ich möchte etwas zu der Kritik von Frau Rößner sa-gen. Ich glaube, Sie waren von 2002 bis 2005 mit in derRegierung. Da hatten Sie die Möglichkeit, in die Zukunft
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 857
Gero Storjohann
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zu schauen und zu erkennen, ob ein Breitbandnetz zurDaseinsvorsorge gehört.
Sie haben das nicht in das Telekommunikationsgesetzgeschrieben. – Es ist lange her, und wir brauchen langeWege, um etwas umzusetzen. Wir haben es in der letztenKoalition auch nicht gemacht,
auch vor dem Hintergrund, dass die finanziellen Mittelnicht da sind.Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahlkreisnennen.
Kollege Storjohann, gestatten Sie eine Bemerkung
oder Frage des Kollegen von Notz?
Ja, gerne.
Lieber Herr Kollege, vielen Dank. – Herr Storjohann,
wir kommen aus dem schönen Schleswig-Holstein.
Auch da ist es mit dem Breitbandausbau ähnlich traurig
bestellt wie in vielen Kreisen in Bayern. Sie haben auf
Rot-Grün verwiesen. Ich sage: Das waren noch gute Zei-
ten. Es ist aber schon eine Weile her. Sie regieren nun
schon seit acht Jahren.
Seit acht Jahren regiert die CDU/CSU, und in dem Be-
reich ist nichts passiert. Jetzt kündigen Sie großartig
wieder Dinge an – Breitbandausbau –, stellen dafür aber
keinen Euro zur Verfügung. Was soll der Verweis auf
rot-grüne Zeiten, wenn Sie heute nicht bereit sind, Geld
dafür auszugeben? Wie können Sie den Vorwurf entkräf-
ten, dass dies alles Ankündigungspolitik und reiner Bu-
denzauber ist und Sie am Ende doch wieder nicht liefern
werden, wie in den letzten acht Jahren?
Ich bin Ihnen dankbar für diesen Hinweis, Herr vonNotz. Ich sehe darin überhaupt kein Problem. Ich glaube,es wäre falsch, mit Geld den Infrastrukturausbau beför-dern zu wollen. Das möchte ich Ihnen auch gerne be-gründen.
– Lassen Sie es sich jetzt bitte erklären. Ich war geradebei meiner Erklärung.In meinem Wahlkreis haben wir drei Anbieter – nebenTelekom und Vodafone –, die den Breitbandausbau in-tensiv vorantreiben. In Norderstedt gibt es seit über zehnJahren ein schnelles Internet, mit das schnellste inDeutschland.Der Kreis hat einen Zweckverband gegründet, umkleinen Kommunen mit 200 bis 400 Einwohnern Fiber-to-the-Home zu ermöglichen. Die ersten Dörfer sind an-geschlossen, weitere kommen. Wir haben einen privatenInvestor – die Deutsche Glasfaser, ein niederländischesUnternehmen –, der das jetzt auch macht. Das heißt, un-ser Kreis Segeberg wird in den nächsten drei Jahren ver-sorgt sein. In Ihrer Region machen es die Stadtwerke. InNeumünster machen es die Stadtwerke. Die Dinge neh-men also zurzeit einen guten Lauf. Wenn jetzt plötzlich1 Milliarde Euro als Fördermittel bereitgestellt würden,würde jede Kommune überlegen: Warten wir noch einbisschen, ob wir das Fördergeld bekommen können! Wiesind die Ausschreibungsbedingungen? – Wir haben inden letzten drei Jahren erlebt, dass Fördermittel meistensnicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen undletztlich das ganze Vorhaben gefährden. Ich bin sehr zu-versichtlich, dass wir mit dem Konzept, das wir imKreise Segeberg, aber auch bei Ihnen haben, einen gro-ßen Schritt vorankommen. Deswegen meine ich, dasswir auf dem richtigen Weg sind.
Meine Damen und Herren, grundsätzlich begrüße ich– um auf das andere Thema, das Thema Verkehr, zusprechen zu kommen –, dass wir im Bundesverkehrswe-geplan die Planung netzorientiert vornehmen. Wir wer-den also Lücken in unserem Verkehrsnetz schließen. Esgeht auch darum, mit Mobilität unserem Land die Zu-kunft zu erhalten. Dabei handelt es sich einmal um diedigitale Mobilität und zum Zweiten um die Infrastruktur.Wir müssen in unserem Bundesverkehrswegeplan überdas nationale Prioritätenkonzept definieren, welche Vor-haben bedeutsam sind. Das wird eine spannende Dis-kussion, auch bei uns in den Ausschüssen. Es gibt unter-schiedliche Interessen, die wir bündeln müssen. In dieseProjekte werden zukünftig 80 Prozent der Mittel für denNeu- und Ausbau fließen. Welche Projekte werden dassein? Das sind die Seehafenhinterlandanbindungen, derAusbau hochbelasteter Knoten, die Schließung wichti-ger, überregional bedeutsamer Netzlücken sowie dieEinbindung von Achsen, die schon in transeuropäischen,völkerrechtlichen Verträgen festgelegt sind.Als Beispiel für die Notwendigkeit des Ausbaus vonSeehafenhinterlandanbindungen kann ich nur den Ham-burger Hafen nennen, der eine wichtige Bedeutung fürganz Deutschland hat. Der Hamburger Hafen ist vomFunktionieren des Nord-Ostsee-Kanals abhängig. VomFunktionieren des Nord-Ostsee-Kanals sind natürlichauch Warenströme nach Bayern und Baden-Württem-berg betroffen. Es geht also um ein Gesamtkonzept. Ichbin froh, dass wir die Finanzierung der Maßnahmen beiden Brunsbütteler Schleusen sichergestellt haben. Wei-tere Maßnahmen sind erforderlich;
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858 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Gero Storjohann
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ich setze mich dafür ein, dass wir das jetzt machen. Ichfreue mich, Herr von Notz, dass Sie uns da unterstützen.
– Wunderbar!
– Sie sind ja nur verärgert, dass Sie damals nicht dabeiwaren. Ich weiß, Sie wären gerne dabei gewesen.
Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur bringt unserLand voran und ist auch Grundlage für unseren Wohl-stand. Ich halte es für wichtig, dass wir uns im Koali-tionsvertrag für ÖPP-Projekte starkmachen. Das ist eineFinanzierungsform, die es uns über die bisherige Haus-haltsfinanzierung hinaus und über größere Zeiträumehinweg ermöglicht, Projekte auf den Weg zu bringen.Dafür gibt es gute Beispiele.
Ich bin hoffnungsvoll, dass wir darüber neue Projekteanschieben können, zum Beispiel den Weiterbau derKüstenautobahn A 20, den Sie von den Grünen nichtwollen. Wir sehen durchaus Möglichkeiten, hier ein gu-tes Konzept auf den Weg zu bringen.
Was mich natürlich besonders interessiert, ist der Kli-maschutz, insbesondere die Förderung des Fahrrads alsumweltfreundliches Verkehrsmittel.
Wir haben den Nationalen Radverkehrsplan auf den Weggebracht; er steht explizit im Koalitionsvertrag. Jetzt zubehaupten, das Fahrrad sei im Koalitionsvertrag nichtenthalten, finde ich nicht in Ordnung.
Im Bereich des Fahrradverkehrs werden wir viele Dingeauf den Weg bringen. Im Koalitionsvertrag steht explizit,dass wir die gesetzliche Grundlage dafür schaffen wer-den, an Bundeswasserstraßen mehr Fahrradwege zubauen.
– Sie haben unter Rot-Grün einmal 10 Millionen Eurozur Verfügung gestellt und es nicht geschafft, diesesGeld auszugeben. Deswegen ist der Haushaltsansatz in-zwischen auf 3 Millionen Euro gefallen. Wir haben nur300 000 bis 600 000 Euro ausgeben können.
Wir wollen da was machen. Das ist touristisch hochinte-ressant und fördert auch die Akzeptanz des Fahrrads imAlltag.Die jährlichen Verkaufszahlen bei Fahrrädern steigen.Die Zukunft des Pedelecs ist positiv einzuschätzen.Nicht alle Fahrräder werden zukünftig Pedelecs sein;aber die Pedelecs fördern den Fahrradverkehr gerade inden Regionen, in denen es nicht flach ist. Aber da derWind dort, wo es flach ist, immer aus der falschen Rich-tung weht, sind Pedelecs eigentlich für ganz Deutsch-land interessant.
– In Schleswig-Holstein kommt der Wind immer vonvorne. Ihr glaubt gar nicht, wie viele kleine Hügel wirhaben, bei denen es auch anstrengend sein kann.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Thema ist dieVerkehrssicherheit. Darauf werden wir ebenfalls einenSchwerpunkt setzen. Wenn auch die Zahl der Verkehrs-toten kontinuierlich zurückgegangen ist, bleibt es Auf-gabe der Bundesregierung, hier weitere Fortschritte zuerzielen. Wir haben die Alkoholgrenze für Fahranfängerauf 0 Promille gesetzt.
Wir haben den Führerschein mit 17 auf den Weg ge-bracht. Hier gibt es weiteren Gesprächsbedarf. Wir wol-len die Ausbildung der Fahranfänger verbessern, dieQualität der pädagogischen Ausbildung der Fahrlehrererhöhen, das begleitete Fahren optimieren und in derFahranfängerausbildung ein Mehrphasenmodell entwi-ckeln.
Zum Abschluss komme ich zu einem Punkt, der nichtim Koalitionsvertrag steht. Wir werden auch über diePromillegrenze bei Fahrradfahrern sprechen müssen.1,6 Promille erreichen wir ja nicht mal unter normalenGegebenheiten.
Ich halte den Wert für zu hoch und werde mich gernepersönlich für eine Herabsetzung einsetzen.Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit unseremneuen Verkehrsminister. Wir sind hochmotiviert, unsauch in den Bereichen Fahrrad, Verkehrssicherheit undInfrastrukturausbau zu engagieren. Auf, an die Arbeit!Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Martin Dörmann für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Schnelles Internet in ganz Deutschland zu verwirkli-chen, ist ein zentrales Anliegen der Koalition. Wir wol-len allen Menschen und Regionen die Teilhabe an denkommunikativen und wirtschaftlichen Chancen unsererInformationsgesellschaft ermöglichen. Eine digitaleSpaltung unseres Landes dürfen wir nicht zulassen. Ge-nau die droht aber.In größeren Städten erleben wir eine dynamische Ent-wicklung von Breitbandangeboten, angetrieben durchden Infrastrukturwettbewerb. Kabelunternehmen, diefrüher nur TV-Angebote unterbreitet haben, vermarktenheute mit modernster Technik Internetgeschwindigkei-ten von 100 Megabit und mehr pro Sekunde.
Die Telekommunikationsunternehmen sind gezwungen,nachzuziehen, um konkurrenzfähig zu bleiben. So bautdie Deutsche Telekom beispielsweise ihre VDSL-Lei-tung mit moderner VDSL-Technik aus, um hohe Band-breiten zu realisieren.
Ergebnis des beschriebenen Infrastrukturwettbewerbswird sein, dass bald zwei Drittel der deutschen Haus-halte mit Bandbreiten von mindestens 50 Megabit proSekunde versorgt sein werden.
Rund ein Drittel der Haushalte profitiert von dieserEntwicklung nicht oder nur sehr verzögert. In vielenländlichen Regionen lohnt sich eine Investition in denBreitbandausbau für die Unternehmen derzeit nicht,
weil die Kosten pro Haushalt dort besonders hoch sind– das TÜV-Gutachten ist bereits erwähnt worden –: Eskönnen 800 Euro pro Anschluss sein; bei 5 Prozent die-ser Haushalte sind es sogar mehrere 1 000. Diese Wirt-schaftlichkeitslücke ist somit das zentrale Ausbauhinder-nis, wenn es um eine flächendeckende Versorgung mitschnellem Internet geht.Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD inBezug auf den flächendeckenden Breitbandausbau einäußerst ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bis 2018 wollen wir er-reichen, dass jedem Haushalt Internetgeschwindigkeitenvon mindestens 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügungstehen. Ja, das ist eine echte Herkulesaufgabe, und siekann nur gemeistert werden, wenn zwei Bedingungenerfüllt werden: Erstens. Alle Akteure müssen zusam-menwirken: Unternehmen, Regulierungsbehörde, Bund,Länder und Kommunen, aber auch die EU. Zweitens.Die Investitionsbedingungen für die Unternehmen müs-sen weiter optimiert und Wirtschaftlichkeitslücken kon-sequent abgebaut werden.Die SPD-Bundestagsfraktion hat übrigens in der ver-gangenen Legislaturperiode in einem einzigartigen Dia-logprojekt mit Experten ein Breitbandkonzept erarbeitet,das hierzu Lösungsvorschläge anbietet. Ich freue michsehr, dass viele der von uns formulierten Punkte in denKoalitionsvertrag eingeflossen sind.
Dazu gehören insbesondere eine investitionsfreundlicheRegulierung und der Abbau von Wirtschaftlichkeitslü-cken.Hierbei sind zwei Punkte von entscheidender Bedeu-tung. Zum einen müssen beim Breitbandausbau zusätzli-che Synergiepotenziale erschlossen werden, beispielsweisedadurch, dass TK-Unternehmen bereits vorhandeneNetze in anderen Infrastrukturbereichen nutzen, zumBeispiel Straßen, Schienen und Energieleitungen. Zumanderen – das ist richtig – brauchen wir verbesserte För-dermöglichkeiten.
Ohne zusätzliche Mittel werden die angestrebten Aus-bauziele in der Tat kaum zu realisieren sein. Von daherwäre es wünschenswert gewesen, wenn wir die 1 Mil-liarde Euro, über die wir in den Koalitionsverhandlun-gen diskutiert haben, schon jetzt in den Bundeshaushalthätten aufnehmen können.
Wir müssen anerkennen, dass nur ein begrenztes Budgetzur Verfügung stand. Das Geld wurde für andere sehrwichtige Projekte eingesetzt, die jetzt in der Realisierungsind.Wir sind aber mit unseren Überlegungen keineswegsam Ende. Die Koalition hat sich im Koalitionsvertragauf ein neues Sonderfinanzierungsprogramm „Premium-förderung Netzausbau“ bei der KfW-Bankengruppe ver-ständigt, um bestehende Programme zu ergänzen.Außerdem wollen wir einen Breitbandbürgerfonds ein-richten, um zusätzliche Gelder für den Breitbandausbauzu organisieren. Zudem ist es durchaus wahrscheinlich,dass der Bund im Laufe dieser Legislaturperiode Ein-nahmen aus Frequenzversteigerungen realisieren kann,die für den Breitbandausbau nutzbar gemacht werdensollten.
Hinzu kommt, dass nach der Umstellung der terrestrischenRundfunkversorgung auf den neuen Standard DVB-T2zusätzliche Frequenzen zur Verfügung stehen, die wirebenfalls für einen zügigen Ausbau von Breitbandangebo-
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860 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Martin Dörmann
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ten mit dem neuen Funkstandard LTE Advanced, der hoheBandbreiten ermöglicht, nutzen wollen.Sie sehen, die Koalition hat sich ehrgeizige Ziele vor-genommen. Sie will die flächendeckende Versorgungmit Hochleistungsnetzen, um zusätzliche Wachstumsim-pulse zu setzen. Dabei sind wir uns sehr wohl bewusst,dass es außerordentlicher Anstrengungen bedarf, undzwar aller Beteiligten, um diese Ziele tatsächlich realisie-ren zu können. Deshalb hat Bundesminister AlexanderDobrindt unsere volle Unterstützung bei diesen ehrgeizi-gen Vorhaben. Herr Minister, wir sollten alle Beteiligtenmotivieren, diese Ziele gemeinsam mit uns zu verfolgen;denn wir alle sollten das Ziel haben, Deutschland zumInternetland Nummer eins in Europa zu machen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Reinhold Sendker für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In der vergangenen Legislaturperiode ist es uns trotz not-wendiger Haushaltskonsolidierungen gelungen, für dieVerkehrsinfrastruktur weitere Investitionsmittel einzu-werben, nicht zuletzt durch die bekannten Investitions-beschleunigungsprogramme der beiden letzten Jahre. Ja,wir sind vorangekommen. Diesen erfolgreichen Wegwird die Koalition in den nächsten Jahren fortsetzen:
mit zusätzlichen 5 Milliarden Euro plus weiteren Mittelnaus der Nutzerfinanzierung, mit der Absicht, nicht ver-brauchte Investitionsmittel überjährig und ungekürzt zurVerfügung zu stellen, mit der Absicht, stabile Finanzie-rungskreisläufe zu statuieren, mit mehr Bürgerbeteili-gung, vor allen Dingen mit Blick auf den Bundesver-kehrswegeplan, und schließlich mit dem neuerlichenBekenntnis „Erhalt vor Neubau“ angesichts gewaltigerErhaltungs- und Sanierungsaufgaben, zum Beispiel beiden Brückenbauwerken. Das sind ganz hervorragendeAufschläge im gemeinsamen Koalitionsvertrag vonUnion und SPD. Die Eckpfeiler wurden richtig gesetztfür eine erfolgreiche Verkehrspolitik unserer Regierungin den nächsten Jahren.
Für den Aus- und Neubau bleiben allerdings – das istschon gesagt worden – wenig Spielräume übrig. DieSpielräume bleiben eng. Folglich werden wir uns ge-meinsam mit unserem Minister für einen weiteren Auf-wuchs der Investitionsmittel einsetzen. Schließlich hatunser Land eine zentrale Bedeutung für die europäischenVerkehre, ist Wachstumslokomotive im Herzen Europas.Im Interesse der Sicherheit der Menschen und der Pros-perität unserer Volkswirtschaft, der Sicherung von Ar-beitsplätzen, müssen wir weiter die Voraussetzungendafür schaffen, dass gebaut werden kann, was gebautwerden muss. Den Kolleginnen und Kollegen der Grü-nen sage ich: Eine Verweigerungshaltung beim Straßen-,Schienen- und Wasserwegeausbau, die wir hier oft ver-nommen haben, kann sich unser Land schon lange nichtmehr leisten.
Erforderlich ist vor allem Transparenz in Form einesVerkehrsinfrastrukturberichtes alle zwei Jahre. Erforder-lich ist darüber hinaus die unvoreingenommene Prüfung,wie weit im Einzelfall die Zusammenarbeit von öffentli-chen und privaten Geldgebern als zusätzliche Beschaf-fungsvariante genutzt werden kann. In der Diskussionum öffentlich-private Partnerschaften kann ich uns nurraten, Fakten sprechen zu lassen, sprich: Wirtschaftlich-keit, Transparenz, Qualität der Bauausführung, verbun-den mit einem hochwertigen Betriebsdienst, einemschnelleren Ausbau und dergleichen mehr. Diese Ver-gleichsfaktoren gilt es sorgsam zu prüfen. Danach mussentschieden werden und nicht nach ideologischen Be-denken.
Als jemand, der viele Jahre im Landes- und Kommu-nalparlament mitwirken konnte, bin ich hocherfreut da-rüber, dass dieser Koalitionsvertrag einige kommunal-freundliche Ansätze hat, darunter die Vereinbarungenzur Gemeindeverkehrsfinanzierung, zu den Regionali-sierungsmitteln und zu den NE-Bahnen, also dem nichtbundeseigenen Schienengüterverkehrsnetz. Dass derBund im Zusammenhang mit der Ausbauhilfegesetzge-bung trotz Föderalismusreform bis ins Jahr 2019 weiter-hin 1,33 Milliarden Euro per annum für die Gemeinde-verkehrsfinanzierung bereitstellt, war Beschlussfassungder bisherigen Regierung und – lassen Sie mich das andieser Stelle noch einmal betonen – fürwahr eine heraus-ragende Leistung.
Da unsere Kommunen mit Recht Verlässlichkeit undPlanungssicherheit bei der Gemeindeverkehrsfinanzie-rung einfordern, ist auch die Zielsetzung erfreulich, eineAnschlussfinanzierung für die Entflechtungsmittel imRahmen des GVFG für die Zeit nach 2019 zu erreichen.Machen wir uns nichts vor: Viele Städte und Gemeindenhätten schon jetzt ohne die Hilfe des Bundes eine zusätz-liche Finanzierungsaufgabe bei schwieriger Kassenlage.Deshalb sind unsere Vorschläge, die Vorschläge der Ko-alition, gut für unsere Kommunen. Noch deutlicher: Dasist kommunalfreundliche Politik.
In diesem Jahr, in 2014, steht die Revision der Regio-nalisierungsmittel an. Auch beim Schienenpersonennah-verkehr ist es gut und richtig, die Finanzierung im Sinne
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 861
Reinhold Sendker
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der Bedürfnisse der Menschen und im Sinne guterStandortpolitik zu sichern.
In der zurückliegenden Wahlperiode hatten wir, wennich daran noch erinnern darf, für das Haushaltsjahr 2013erstmals Fördermittel für die NE-Bahnen eingestellt,also eine über die Netze der Bahn AG hinausgehende In-vestitionsförderung für die Güterverkehrsstrecken, dievon Kommunen und Privaten betrieben werden. DieseFörderung ist absolut zielführend; denn wenn sich dieBetreiber der NE-Bahnen diese nicht mehr leisten kön-nen, haben wir am Ende womöglich noch mehr Schwer-lastverkehr auf unseren Straßen. Deshalb ist die Absicht,die Förderung der NE-Bahnen fortzusetzen, in ihrerAuswirkung kommunal- wie umweltfreundlich und da-mit absolut richtig.
Insgesamt gesehen werden wir also in dieser Legisla-turperiode über mehr Geld für die Verkehrsinfrastrukturverfügen können. Wir wollen die gegebenen Finanzie-rungsstrukturen weiter optimieren und ÖPP als zusätzli-che Beschaffungsvariante prüfen. Wir wollen noch mehrTransparenz und Bürgerbeteiligung erreichen. Wir erbli-cken im Koalitionsvertrag ausgesprochen kommunal-freundliche Ansätze. Wir wollen mehr Lärmschutz undeine bessere Verzahnung unserer Verkehrsträger herstel-len.
Kollege Sendker.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin.
Sie müssen noch nicht zum Ende kommen. Vielmehr
haben Sie die einmalige Chance, weiterzureden, wenn
Sie dem Kollegen Gastel die Möglichkeit geben, eine
Bemerkung zu machen oder eine Frage zu stellen.
Bitte schön. Gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich die Gelegenheit
habe, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. – Sie haben
in Ihrem Beitrag unter anderem gesagt, wir Grüne wür-
den uns bei Investitionen verweigern. Sie haben von
Ideologie gesprochen. Sie haben davon gesprochen, dass
mehr investiert werden muss. Jetzt möchte ich auf das
Thema Schiene zu sprechen kommen. Hier wurde viel
investiert und soll weiterhin viel investiert werden. Wie
erklären Sie sich, dass im Personenfernverkehr, aber
auch im Güterverkehr der Anteil der Schiene am Ver-
kehrsaufkommen trotz dieser milliardenschweren Inves-
titionen in den letzten Jahren nicht gestiegen ist? Wie
wollen Sie das Investitionsverhalten in der Zukunft steu-
ern, sodass es gelingt, mehr Güter auf die Schiene zu be-
kommen und im Fernverkehr mehr Personen?
Das ist eine berechtigte Frage, Herr Kollege Gastel.
Wir werden daran arbeiten. Wir haben schon in der Ver-
gangenheit über dieses Thema diskutiert, also über eine
stärkere Verlagerung der Verkehre auf die Schiene. Da
haben wir noch einiges zu erledigen. Ich darf Ihnen mit
den Worten der Bundeskanzlerin antworten: Bitte haben
Sie Geduld. Da werden wir liefern. Wenn Sie uns das
nicht zutrauen, dann darf ich Ihnen sagen: Die Bürgerin-
nen und Bürger, jedenfalls die Wählerinnen und Wähler
trauen es uns zu. Sie haben die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion mit 42 Prozent der Stimmen ausgestattet. Wir
sind auf einem guten Weg. Vertrauen Sie uns.
Ich darf fortfahren, Frau Präsidentin. – Wir wollen
vor allen Dingen Zukunftsoptionen weiter voranbringen:
von der Elektromobilität über noch mehr Verkehrs-
sicherheit bis hin zu einer hervorragenden digitalen
Infrastruktur. Wir werden der Gesamtverantwortung für
unser Land mit einer modernen und zukunftsfähigen
Verkehrspolitik gerecht. Lassen Sie uns gemeinsam
sachlich und ohne ideologische Verrenkungen an dieser
hervorragenden Aufgabe und Zielsetzung gemeinsam
weiterarbeiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Birgit
Kömpel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste auf der Besuchertribüne! Bei al-ler Brisanz und der großen Bedeutung der digitalen In-frastruktur sollten wir nicht vergessen, dass zu Mobilitätund Infrastruktur auch das Thema Verkehrssicherheit ge-hört. Herr Kollege Storjohann hat es vorhin ganz kurzerwähnt. Ich möchte dazu weiter ausführen.Wir hatten im Jahr 2013 die niedrigste Anzahl vonVerkehrstoten seit der Einführung der amtlichen Unfall-statistik zu verzeichnen. Diese positive Entwicklungwäre ohne die wertvolle Arbeit der Verkehrssicherheits-verbände und der vielen Ehrenamtlichen nicht denkbar.An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön dafür.
So erfreulich diese Zahl auch ist, so gibt sie uns den-noch Anlass, etwas genauer hinzuschauen. Wir dürfennicht vergessen, dass diese Zahl auch ein wenig demschlechten Wetter in den Monaten April und Mai desletzten Jahres geschuldet ist. Sie fragen sich jetzt viel-leicht: Was hat das Wetter damit zu tun? Ganz einfach:
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862 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Birgit Kömpel
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Bei Regen und Kälte, wie es eben leider in den beidenMonaten – Entschuldigung, das ist meine erste Rede; ichbin sehr nervös –
Mai und Juni des letzten Jahres der Fall war, lassen zumBeispiel die Motorradfahrerinnen und Motorradfahrerihre Maschinen in der Garage stehen. Wir können abernicht auf schlechtes Wetter in diesem Frühjahr hoffen,damit sich die Zahl der Verkehrstoten im Straßenverkehrverringert. Ich denke, das will hier niemand.
Apropos Wetter: Gerade im Winter geschehen immerwieder Unfälle an unseren Bahnhöfen, weil der Streu-pflicht nicht rechtzeitig nachgekommen wurde odernachgekommen werden konnte. Sehr geehrter HerrMinister Dobrindt, im Zusammenhang mit dem Vorha-ben, die Bahn strenger zu kontrollieren, möchte ich Sieherzlich bitten, auch ein wachsames Auge auf die Ver-kehrssicherheit an unseren Bahnhöfen zu haben.
Ganz sicher ist die Technik – das ist ein Segen – heuteso weit fortgeschritten, dass besonders im Straßenver-kehr niemand mehr so schnell an den Folgen eines Un-falls sterben muss. Das gilt ganz besonders für die Insas-sen eines Pkw. Doch dieser Fortschritt birgt auch eineGefahr. Viele Autofahrerinnen und Autofahrer verlassensich auf Airbag, ABS, Bremsassistent und deutlich ver-besserte Kindersitze. Wer nach dem Motto „Es geht nochein bisschen schneller, mein Auto ist sicher“ ins Fahr-zeug steigt, der oder die hat verkannt, dass die Gefahrstets vorhanden ist.Die neuen Sicherheitssysteme können Autofahrerin-nen und Autofahrer tatsächlich dazu verleiten, schnellerund mit mehr Risiko zu fahren. Wer frontal mit einemanderen Fahrzeug zusammenprallt oder gegen einenBaum fährt, mag heute vielleicht nicht mehr so schnellsterben wie noch vor einigen Jahren. Es ist aber nunnicht so, dass er oder sie sich nach dem Aussteigen zwei-mal schüttelt und sich dann entspannt das zerstörte Fahr-zeug betrachten kann. Das mag in der Formel 1 manch-mal so sein, aber im normalen Straßenverkehr ist demnicht so. Schwerverletzte Autofahrerinnen und Autofah-rer mit bleibenden körperlichen Schäden gibt es bisheute genug. Es besteht also gar kein Grund, sich zu-rückzulehnen und das Thema Verkehrssicherheit auf dielange Bank zu schieben.Wir befinden uns nicht zu Unrecht in der Dekade derVerkehrssicherheit, die von den Vereinten Nationen aus-gerufen worden ist. Es sind hervorragende Projekte wie„Begleitetes Fahren mit 17“ oder das absolute Alkohol-verbot für Autofahrer bis zum Alter von 21 Jahren aufden Weg gebracht und umgesetzt worden. Aber auchdem zunehmenden Anteil älterer Menschen an der Ge-samtbevölkerung muss die Verkehrssicherheitsarbeit mitneuen Maßnahmen Rechnung tragen. Ältere Menschenüber 65 und Kinder im Grundschulalter verunglücken alsFußgänger dreimal so oft wie 35- bis 44-Jährige.
Auf schwächeren Verkehrsteilnehmern, zu denen ältereMenschen und Kinder gehören, aber auch auf ungeschütz-ten Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern, Fahrradfahrernund Motorradfahrern muss in der Verkehrssicherheit un-ser besonderes Augenmerk liegen.
Hier helfen jedoch nicht immer strengere Verkehrs-regeln, sondern hier muss in unserer Gesellschaft fürEinsicht, Rücksicht und Verantwortungsbewusstsein ge-worben werden.
Wichtige Grundsteine dafür werden vor allem in derVerkehrserziehung an den Grundschulen und in den Kin-dertagesstätten gelegt. Diese Maßnahmen müssen wei-terhin unterstützt werden, um das Verständnis für unddie Akzeptanz von Verkehrsregeln bereits in jungen Jah-ren zu fördern – frei nach dem Motto: Was Hänschennicht lernt, lernt Hans nimmermehr.Kommen wir jetzt zu einem heiklen Thema, zur ver-kehrsmedizinischen Beratung für unsere lieben Senio-ren. Keine Angst! Im Koalitionsvertrag steht, dass dieAnzahl der – ich glaube, das ist das Zauberwort – frei-willigen Gesundheitschecks erhöht wird. Auch wenn un-sere Senioren über mehr Erfahrung und Fahrpraxis ver-fügen als die jungen Verkehrsteilnehmer, so ist die Zahlder Unfälle, die durch ältere Bürgerinnen und Bürgerverursacht werden, noch immer hoch. Wir müssen dieHausärzte dazu auffordern, die gegebenenfalls notwen-digen Fortbildungen zu absolvieren; sie sollen in einerständig älter werdenden Gesellschaft als Ansprechpart-ner für unsere Senioren hinsichtlich der Fahrkompetenzagieren – ich betone: agieren, nicht reagieren; denn dannist es meist schon zu spät.
Ich komme zum Schluss. Wir alle kennen jemanden,der einen Freund oder eine Freundin oder einen Angehö-rigen durch einen Verkehrsunfall verloren hat; vielleichtsind wir sogar selbst betroffen. Wir wissen, welch uner-messliches Leid dann über die Angehörigen herein-bricht. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wirhier im Parlament alles dafür tun, dass die Zahl der Men-schen, die um einen Angehörigen trauern müssen, weitersinkt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Kollegin Kömpel, das war Ihre erste Rede hier im
Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen dazu und
wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses viel Er-
folg für Ihre weitere Tätigkeit.
Das Wort hat der Kollege Arnold Vaatz für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Als letztem Redner kommt mir die Aufgabe zu,ein paar zusammenfassende Bemerkungen aus Sicht un-serer Fraktion zu machen. Die erste dieser Bemerkungenist folgende: Die digitale Infrastruktur zu einem zentra-len Aufgabengebiet aufzuwerten, das sich im Namen desMinisteriums widerspiegelt und dort auch strukturelleFolgen haben wird, halte ich für eine der wichtigstenstrategischen Entscheidungen der Großen Koalition.
Denn diese Aufgabe gehört dort angesiedelt, wo die Ver-antwortung für Mobilität wahrzunehmen ist. Zur Mobili-tät von Menschen gehört die Mobilität von Daten und In-formationen, heute mehr denn je und morgen mehr alsheute. Der Grund ist ganz einfach: Die Mobilität vonDaten ist eine der vielversprechendsten und wichtigstenKomponenten, auf die wir vertrauen können, wenn wirdaran arbeiten, die Attraktivität des ländlichen Raumeszu heben. Wir wissen, dass die Landwirtschaft dortlängst nicht mehr das prägende Element ist. Wenn wirdiese Aufgabe geschickt angehen, wird es uns gelingen,auf diese Weise auch im ländlichen Raum wieder Er-werbsmöglichkeiten und Arbeitsplätze zu schaffen. Dasist eine große Chance, die wir damit wahrnehmen. Beialler Kritik: Dass das Konzept hierfür am Anfang derRegierungstätigkeit noch nicht fertig sein kann, dass amersten Tag noch keine Resultate geliefert werden kön-nen, sondern dass mit diesem Aufgabengebiet ein Ar-beitsauftrag umrissen ist, das sollten vernünftige Men-schen begreifen und für selbstverständlich halten.Unterstützen wir unseren Minister darin, dass er zu ei-nem guten Ergebnis kommt.
Über dieser zusätzlichen Aufgabe darf selbstverständ-lich das Brot- und Buttergeschäft der Verkehrspolitiknicht in den Hintergrund geraten – und das wird es auchnicht. Wir wissen, dass die gut ausgebaute Infrastrukturin Deutschland eine der zentralen Erfolgsgarantien fürdie Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft ist. Daswird sie auch bleiben. Dabei muss uns allerdings klarsein, dass wir einen weiteren Werteverzehr bei unsererInfrastruktur nicht zulassen können.
Das bedeutet, dass der Akzent „Erhalt vor Neubau“ rich-tig ist und von allen – das wird dem Einzelnen von unsin seinem Wahlkreis möglicherweise schwerfallen – un-terstützt werden sollte. Das erfordert Mäßigung, aberauch die Sorge dafür, dass diese Mittel so eingesetztwerden, dass sie optimale Wirkung entfalten.
Zum Thema Finanzierung. Der Akzent „Erhalt vorNeubau“ bedeutet nicht, dass es keinen Neubau gebensoll. Selbstverständlich brauchen wir auch weiterhinNeubauvorhaben, um unsere Infrastruktur weiterzuent-wickeln. Nur muss das natürlich maßvoll und nach trans-parenten Prinzipien geschehen. Das bedeutet wiederum,dass wir alle gemeinsam eine große Aufgabe zu schul-tern haben, wenn es um den gegenseitigen Interessen-ausgleich bei der Aufstellung unseres Bundesverkehrs-wegeplanes 2015 geht. Dessen Qualität wird sich danachbemessen, inwieweit die Realisierbarkeit im Vorder-grund stehen wird und nicht das Wünsch-dir-was. Daserfordert meines Erachtens große Disziplin, Kollegialitätund Transparenz. Auch in diesem Punkt werden wir un-seren Minister unterstützen.
Meine Damen und Herren, Verkehrspolitik darf auchin Zukunft nicht allein ein innenpolitisches Thema sein.Der Eiserne Vorhang ist ein für alle Mal weg. DieDurchdringung des Raumes, der sich auf diese Weiseeröffnet hat, ist im Ansatz noch längst nicht weit genugentwickelt. Deshalb hat die Europäische Union auch mitdem Vorstoß zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen– Grünbuch, Weißbuch, Netzkonzept – reagiert. Auchdiese Aufgabe müssen wir schultern. Das ist eine lang-fristige Aufgabe, die wir nicht heute und nicht morgenschaffen. Aber wir müssen dranbleiben, wenn wir einsolches Verkehrsnetz jemals realisieren wollen. Das isteine der zentralen Aufgaben bei der Weiterentwicklungder Zusammengehörigkeit der Gesellschaften in Europa.Das halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe. Demzu-folge dürfen wir das nicht aus den Augen verlieren.
Im Übrigen ist hier bis jetzt sehr wenig zum ThemaSchifffahrt gesagt worden. Auch dazu will ich, auchwenn ich es mir eigentlich nicht vorgenommen hatte, et-was sagen. Außerordentlich wichtig sind die Hafenhin-terlandanbindungen, aber auch – das dürfen wir nichtvergessen – der Binnenschiffsverkehr.
Dies dürfen wir auch aus ökologischen Gründen nichtaußer Acht lassen. Wir müssen auch in diesem Bereichden Ausbau fortführen, müssen die Aufgaben identifi-zieren, die sich wiederum nach dem Jahrhunderthoch-wasser ergeben haben, und müssen zügig dafür sorgen,dass wir an dieser Stelle nicht ins Hintertreffen geraten.Auch das muss sein.
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864 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Arnold Vaatz
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt, wieSie sehen, jede Menge Aufgaben. Packen wir es an. Wirwissen alle – das sage ich hier ausdrücklich –, dass wirim Infrastrukturbereich unterfinanziert sind. Aber esnützt nichts – das sage ich insbesondere an die Adresseder Grünen –, über Jahre durch immer neue Umweltstan-dards alle Großprojekte entweder zu verhindern oder zuverteuern und hinterher zu schimpfen, dass wir nicht ge-nug Geld haben. Das ist nicht der richtige Weg.
Meine Damen und Herren, wir müssen nach Finanzie-rungsmöglichkeiten suchen, die tatsächlich tragfähigsind. Deshalb haben wir an zwei Punkten wirklich einenvernünftigen Umdenkungsprozess vollzogen – ich kommezum Ende, Frau Präsidentin –:
Erstens. Wir haben 5 Milliarden Euro zusätzlich fürdie Infrastruktur bereitgestellt, die nicht unter Finanzie-rungsvorbehalt stehen. Das ist eine große Leistung derKoalition.Zweitens. Wir werden weiter auf dem Weg zur Nut-zerfinanzierung anstatt der Steuerfinanzierung gehen.Auch das ist ein wichtiger Weg.Außerdem werden wir darauf achten, dass die Infra-strukturhaushalte in Zukunft aufhören, der ständigeSteinbruch für alle Einsparungen im Bundeshaushalt zusein.
Herr Kollege.
Ich denke, dass uns das gemeinsam gelingen wird.
Ich bedanke mich ganz herzlich, Frau Präsidentin,
dass ich zu Ende reden durfte, und wünsche Ihnen allen
ein schönes Wochenende.
Die Liberalität dieses Parlaments unter besondererBerücksichtigung des jeweils amtierenden Präsidiums istschwerlich zu überbieten.
Das nehmen wir mit besonderer Rührung zu Protokoll.Im Übrigen hoffe ich doch sehr, dass Sie nicht amEnde sind, Herr Kollege Vaatz.
Leider muss dennoch jede Rede irgendwann einmal anein gesetztes Ende kommen.
– Ja, es ist nicht völlig unüblich, dass ein Wechsel imPräsidium während laufender Plenarsitzungen erfolgt.Dass das aber selbst stellvertretenden Fraktionsvorsit-zenden ohne Vorwarnung passiert, ist schon eine argeZumutung; das räume ich ausdrücklich ein.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereichliegen nicht vor, sodass wir jetzt zu den Bereichen Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit kom-men.Wenn die dazu vereinbarte Redezeit von 60 Minuteneingehalten wird, droht das gleiche Risiko wie eben beiden Rednern in dieser folgenden Debatte nicht.Wir beginnen mit der Bundesministerin für Umwelt,Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Frau Dr. BarbaraHendricks, die hiermit das Wort erhält, sobald sich diePlenarbesetzung wieder etwas neu sortiert hat.Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! DieAgenda der Bundesregierung in der Umwelt- und Bau-politik ist lang. Sie ist aber nicht nur lang, sondern auchvielfältig und ambitioniert, und sie steht unter einerÜberschrift, nämlich: Alle unsere Lebensgrundlagensind auf Nachhaltigkeit angewiesen. – Damit haben wirbeim Strom begonnen, das müssen wir bei der Wärmesowie beim Natur- und Flächenverbrauch fortsetzen, unddarum muss es mehr noch als bisher schon auch beimPlanen und Bauen gehen.Es ist richtig, Umweltschutz, Stadtentwicklung undBauen in einem Haus zusammenzuführen,
weil zum Beispiel 40 Prozent der deutschen Treibhaus-gasemission aus dem Gebäudebereich kommen, weil80 Prozent der Energie und Ressourcen in Städten ver-braucht werden und vor allem, weil Nachhaltigkeit eineökologische, eine ökonomische und eine soziale Dimen-sion hat.Wir alle sehen, wie groß die Widerstände gegen einePolitik der Nachhaltigkeit gerade auch auf der internatio-nalen Bühne sind. Ich kann Ihnen versichern: DieseBundesregierung wird Kurs halten.
Es wird nicht einfach sein, am Ende des nächsten Jah-res auf der UN-Konferenz in Paris ein globales, rechtlichbindendes und vor allem substanzielles Klimaschutzab-kommen zu erreichen. Wir werden aber – alle Ressortszusammen – jeden diplomatischen Hebel in Bewegung
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 865
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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setzen, und ich werde mich natürlich auch persönlich derUN-Klimaverhandlungen annehmen.
So muss es natürlich auch in Europa sein, weil wir dasZiel, bis zum Jahr 2030 um mindestens 40 Prozent zu re-duzieren, brauchen, und weil wir eine Reform des Emis-sionshandels wollen, die ihren Namen verdient und aufmarktwirtschaftliche Weise die Verstromung von Kohlezurückdrängt; denn nur so wird der Emissionshandelendlich zu dem Innovationstreiber werden, der er seinkann.Auch in Deutschland müssen wir mehr tun, indem wirnämlich die Verlässlichkeit für das Langfristprojekt Kli-maschutz schaffen und für Investitionen und Planungssi-cherheit sorgen. Ein Langfristziel ist für uns das Jahr2050. Deshalb werden wir noch in diesem Jahr einen na-tionalen Klimaschutzplan mit klaren Zwischenzielen fürdie nächsten Jahrzehnte vorlegen.Damit ist es aber nicht getan. Auch kurzfristig müssenwir handeln. Ich möchte hier ankündigen, dass ich michum ein ressortübergreifendes Sofortprogramm für denKlimaschutz kümmern werde, und zwar umgehend.
Nach allen Daten, die uns vorliegen, werden wir mitden bisher beschlossenen Maßnahmen unser nationalesZiel bis 2020 nicht erreichen können. Mit den Maßnah-men, die schon auf dem Weg sind, erreichen wir allen-falls ein Minderungsziel von 33 Prozent, aber nicht von40 Prozent. Bei einer schlechteren wirtschaftlichen Ent-wicklung würden wir ein Minderungsziel von 35 Pro-zent erreichen, aber es kann nicht unser Wunsch sein,das Ziel auf diese Weise zu erreichen.Also müssen wir weitere Anstrengungen unterneh-men, um die Lücke, die sich auftut, bis zum Jahr 2020 zuschließen. Deswegen braucht es auch ein Sofortpro-gramm; denn bis 2020 ist es, wie wir wissen, nicht mehrlange hin. Das Ziel von 40 Prozent haben wir im Jahre2007 gemeinsam definiert. Das werden wir auch ge-meinsam umsetzen wollen. So viel für heute zum Klima-schutz.Es gibt natürlich vielfältige weitere Herausforderun-gen. Der Atomausstieg – das ist eine Selbstverständlich-keit – ist für uns unumkehrbar. Nun geht es um eine pro-fessionelle Umsetzung und darum, bis zuletzt maximaleSicherheit zu gewährleisten. Es geht darum, ein geeigne-tes Endlager zu finden. Ich finde, das ist eine Aufgabevon wahrhaft nationaler Bedeutung.Wir haben die Erkundung in Gorleben beendet undwerden nun in einem transparenten Verfahren die Krite-rien für eine ebenso transparente Standortentscheidungbestimmen. Dazu wird der Bundestag sehr bald die End-lagerkommission ins Leben rufen. Mein Ministeriumwird dafür sorgen, dass das neue Bundesamt für kern-technische Entsorgung im Sommer seine Arbeit aufneh-men kann, damit es dann, wenn die Kriterien bis zumEnde des Jahres 2015 gemeinschaftlich bestimmt sind,auf Basis dieser dann bestimmten Kriterien auf die Su-che gehen kann.Stichwort „Sommer“ – das ist jetzt eine ganz gewagteÜberleitung –:
Im Sommer dieses Jahres wird das neue Bundesamtseine Arbeit aufnehmen, und im Sommer des vergange-nen Jahres standen weite Teile unseres Landes nach ei-nem verheerenden Hochwasser still. Das ist natürlichnicht vergessen, gerade in den betroffenen Gebietennicht, aber auch darüber hinaus nicht.Gemeinsam mit den Ländern arbeiten wir an einemnationalen Hochwasserschutzprogramm. Wir brauchen– das wissen wir alle – mehr Raum für die Flüsse, ge-nauso wie wir mehr Raum für die Natur überhaupt brau-chen. Deswegen werden wir in dieser Legislaturperiodeunser Nationales Naturerbe erheblich ausweiten, undzwar um mindestens 30 000 Hektar.
Kommen wir zum Bauen. Nicht nur in Deutschland,sondern weltweit sind es heute die Städte, die im Fokusder Nachhaltigkeitsdiskussion stehen; denn dort, woMenschen auf engem Raum zusammenleben, entschei-det sich, ob Nachhaltigkeit wirklich gelingt. Ein Schwer-punkt dieser Legislaturperiode wird darin bestehen, dieStädte zukunftsfähiger zu machen und sie in ihrer Ent-wicklung zu unterstützen, weil wir lebenswerte Städtewollen, in denen auch in Zukunft Menschen aller Ein-kommensgruppen, jeden Alters und jeder Herkunft,deutscher oder anderer Herkunft, nicht nebeneinander,sondern miteinander leben.
6, 7 oder 8 Prozent Mietanstieg pro Jahr in manchenBallungsräumen muss uns natürlich beunruhigen. Das isteine ernste Bedrohung für ein sozial ausgewogenes Mit-einander. Ich danke dem Kollegen Justizminister, dass erunmittelbar dahin gehend tätig geworden ist, denRechtsrahmen entsprechend anzupassen, so wie wir dasin der Koalitionsvereinbarung vorgesehen haben.
Um aber an die Wurzeln des Problems zu kommen,werden wir den Wohnungsbau in Deutschland stärken,nicht zuletzt den sozialen Wohnungsbau, für den wir biszum Jahr 2019 weiterhin 518 Millionen Euro zur Verfü-gung stellen. Ich werde darüber hinaus ein Bündnis fürbezahlbares Bauen und Wohnen auf den Weg bringen:mit den Ländern, mit der Immobilienwirtschaft, mitBaufachleuten und mit den Sozialverbänden.Ich freue mich, dass wir uns in der Koalition daraufverständigt haben, die Städtebauförderung zu einemwirklich schlagkräftigen Gestaltungsmittel mit einemVolumen von 700 Millionen Euro jährlich zu machen.Das ist ein deutlicher Aufwuchs im Verhältnis zu denvergangenen Jahren.
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Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Hierdurch können wir unter anderem das Programm„Soziale Stadt“ ausbauen, mit dem wir Städte und Ge-meinden gezielt unterstützen, den demografischen, densozialen und den ökonomischen Wandel zu gestalten.Wandel gestalten, Umweltschutz, wirtschaftlichen Er-folg und sozialen Frieden zusammenführen, Nachhaltig-keit ernst nehmen. Um es begrifflich zusammenzufüh-ren: das gute Leben in Deutschland fördern. Darum wirdes in meinem Ressort in den kommenden Jahren gehen.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert für die
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Frau Ministerin Hendricks, die zwei So-
fortprogramme zum Klimaschutz und Hochwasserschutz
waren so ziemlich das erste Konkretere, was ich von die-
ser Koalition zum Umweltschutz gehört habe. Allein die
Neugestaltung der Bundeswehr nimmt im Koalitionsver-
trag mehr Platz ein als das globale Thema Umwelt-
schutz, so als gäbe es keine globalen Herausforderungen.
Die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie bis 2015
wird Deutschland nicht erfüllen. Die EU hat bereits ein
Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, unter anderem
wegen der Versalzung der Werra im thüringisch-hessi-
schen Grenzgebiet. Wie will die Regierung damit umge-
hen? Kein Wort dazu.
Der Konzern Kali und Salz kann also weiter ungestört
Salz in die Werra einleiten. Sollte Deutschland Strafzah-
lungen leisten müssen, dann zahlt die nicht der Konzern.
Die zahlen dann die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
So macht man keine Politik für die Umwelt.
Richtig schlimm wird es, wenn ökologisch sinnlose
Maßnahmen als Umweltschutz verkauft werden. Ich
hätte mich gerne an ihnen abgearbeitet; das fällt aber
schwer. Deswegen nenne ich ein paar warnende Bei-
spiele aus der Vergangenheit:
Erstens. Energiesparlampen sind gesamtökologisch
schädlich. Die Energieeinsparung wurde nie über den
gesamten Lebenszyklus der Energiesparlampen betrach-
tet. Sie ist zweifelhaft. Das Lichtspektrum macht Men-
schen krank. Die Entsorgung ist nicht geklärt. Die Lam-
pen landen auf dem Müll; das Quecksilber verdampft
oder wird einfach unter Tage abgelagert. Bei einem
Bruch der Lampen in geschlossenen Räumen besteht die
Gefahr einer Quecksilbervergiftung.
Aber der Preis einer Energiesparlampe ist deutlich hö-
her als der Preis einer Glühbirne. Das nennen wir Pseu-
doumweltschutz zur Profitmaximierung.
Das zweite Beispiel: Das Land Nordrhein-Westfalen
ordnet an, alle Hausanschlüsse von Abwasserleitungen
auf Dichtheit zu prüfen. Das kostet zwischen 500 und
3 000 Euro je Anschluss für den Gutachter. Es geht an-
geblich um Trinkwasserschutz. Der ist wichtig. Aber der
Schadstoffeintrag durch undichte Hausanschlussleitun-
gen ist ein Bruchteil dessen, was aus anderen Quellen
stammt. Zum Beispiel stammen 60 Prozent des Stick-
stoffeintrages aus der Landwirtschaft. Wo sind da Ihre
Maßnahmen? Da ist nichts, gar nichts. Sie greifen immer
dort zu, wo Verbraucherinnen und Verbraucher bezahlen
müssen. Wenn es die Industrie oder Ihre Lobbygruppen
treffen würde, lassen Sie schön die Hände davon. Eine
solche Politik werden wir bekämpfen.
Damit solcher Irrsinn künftig unterbleibt, erwarte ich
– Sie haben die Chance, das zu ändern – konsequente und
effektive Umweltschutzmaßnahmen: für eine salzfreie
Werra, für Mindestabstände von Hochspannungsleitungen
von 800 Metern, für mehr Lärmschutz an Straßen, Schie-
nen und Flughäfen und für einen Hochwasserschutz, der
Menschen und Natur berücksichtigt. Das wäre Umwelt-
schutz, wie ihn die Menschen erwarten. Dafür sind wir
verantwortlich.
Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Georg Nüßlein das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! HerrLenkert, die neue Ministerin hat die schwierige Aufgabeübernommen, in wenigen Minuten den Rahmen für dieVerzahnung von zwei Politikbereichen zu beschreiben.Das hat sie gut und umfassend gemacht,
auch wenn sie auf Ihre regionalen Anliegen nicht einge-gangen ist – das konnte Sie logischerweise nicht – unddie von Ihnen immer wieder vorgetragenen Vorurteileüber Lobbypolitik nicht entkräften konnte.
Das wird wohl niemand von uns in den kommenden vierJahren schaffen. Nichtsdestotrotz will ich deutlich unter-streichen, dass der Wegfall eines Teils der Energiepolitikuns Freiraum für andere Themen gibt, und zwar nebendem Bau für Umweltfragen sowie für Fragen des Natur-schutzes. Insofern ist das gar nicht so problematisch.Ich will unterstreichen, dass in Zukunft die Energie-politik im Umweltministerium sehr wohl noch verortetist. Das Problem ist, dass wir in diesem Land über dasThema Energiepolitik zu sehr unter der ÜberschriftStrom diskutieren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 867
Dr. Georg Nüßlein
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Ich halte das angesichts der Potenziale und Spielräume,etwas für Umwelt- und Klimaschutz sowie gegen denRessourcenverbrauch zu tun, sowieso für falsch. Mandarf von hier aus das Signal an diejenigen, die in Zu-kunft das EEG ändern werden, geben, dass das EEG Teileines mittlerweile eifrig beschriebenen Problems ist,aber seine Änderung auch nur Teil der Lösung sein kann.
Wer glaubt, dass man eine Energiewende einleiten kann,indem man nur das EEG ändert, der wird frustriert daste-hen und auch seine Wählerinnen und Wähler frustrieren;denn wir sind maximal in der Lage, die Kostendynamikdes Ganzen zu bremsen. Aber wir können keine Wendebei den Kosten herbeiführen. Deshalb ist es unser Anlie-gen, mit den Kollegen, die für die Neuerungen zuständigsind, über die Frage zu reden, wie sich das Marktdesignso ändern lässt, dass die Erneuerbaren in die energiepoli-tische Landschaft passen. Nun muss ich allerdings nachgut zehn Jahren Energiepolitik aufpassen, dass ich nichtzurückfalle und über das rede, was ich üblicherweise ge-tan habe. Das räume ich ein.Ich will betonen, dass wir als Umweltpolitiker bei denerneuerbaren Energien – jenseits des Themas Wärme –,auch wenn es um Strom geht, ein kräftiges Wörtchenmitzureden haben müssen. Das, was die EuropäischeUnion in der Energiepolitik bis zum Jahr 2030 plant, istaus nationaler Sicht extrem problematisch; denn dasdrängt uns in eine schwierige Wettbewerbssituation. Daskann dazu führen, dass wir, wenn wir keine separatennational verbindlichen Ziele für den Ausbau der Erneu-erbaren in ganz Europa vereinbaren, aufgrund unsererVorreiterrolle in eine sehr schwierige Wettbewerbslagekommen. Deshalb halte ich es für eine ganz wichtigeAufgabe, dass auch die Umweltpolitik auf die Vereinba-rung nationaler Ziele für den Ausbau der Erneuerbarenauf europäischer Ebene drängt. Das halte ich für ganzzentral.
Es kann uns natürlich nicht kaltlassen, dass der Anteilder Erneuerbaren steigt, dass aber gleichzeitig die CO2-Emissionen zunehmen; auch darüber müssen wir reden.Hier ist der Emissionshandel ein Schlüssel. Aber ichsage ganz klar: Wenn man ein Marktinstrument implan-tiert hat und auf den Markt setzt, dann kann es nicht sein,dass die Politik bei jeder Gelegenheit steuernd eingreift.Das bringt uns aus meiner Sicht von marktwirtschaftli-chen Lösungen weg. Deshalb ist es wichtig, dass dieKonjunktur in ganz Europa so anspringt, dass die CO2-Zertifikate wieder einen Wert bekommen. Wir habennun steuernd eingegriffen. Aber das können wir – dashaben wir in der Koalition klar formuliert – nicht ständigtun.Ich habe einleitend gesagt, dass wir die Chance ha-ben, noch mehr für den Natur- und Landschaftsschutz zutun, als es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Das willich nochmals betonen. Ich möchte in diesem Zusammen-hang auf die Länderöffnungsklausel eingehen, in der wirden Ländern zugestehen wollen, die Abstände zwischenden Windrädern selber zu definieren. Das haben wir sovereinbart, und das wollen wir so tun.Darüber hinaus geht es natürlich um ganz andere Fra-gestellungen. Ich erlebe, dass der Strukturwandel in derLandwirtschaft natürlich ein Problem für die Landschaftund für die Natur bei uns darstellt. Dass wir diesesThema Hand in Hand und nicht gegen die Landwirt-schaft miteinander bearbeiten sollten, halte ich für ganzwichtig.
Wenn die Landwirte im Zusammenhang mit den Aus-gleichsflächen Kritik üben, dann geht es ihnen um zweiThemen: zum einen um die Problematik, dass bearbeit-bares Land tatsächlich knapp und knapper wird; zumanderen sehen sie, was mit den Ausgleichsflächenmanchmal passiert. Oft werden einfach bürokratischeRegelungen getroffen, wobei am Schluss der Beitrag fürden Landschafts- und Naturschutz überschaubar ist. Wirmüssen uns noch einmal Gedanken darüber machen, wieman es macht, dass alle verstehen, warum wir das tunund was das Ganze bringen soll.
Es gibt ein weiteres Thema, das wir angehen wollen:die Ressourceneffizienz. Das ist ein auch für die Wirt-schaft wichtiges Thema. Die Wertstofferfassung musszielorientiert an Recyclingquoten festgemacht werden.Es darf nicht nur um die Frage gehen, wer das organi-siert. Ich glaube, dass wir uns einig sind, dass wir wedereine Rekommunalisierung noch eine Zwangsprivatisie-rung haben wollen. Am Schluss kommt es auf das Er-gebnis an. Es muss so laufen, dass etwas dabei heraus-kommt, nämlich hohe Recyclingquoten.
Nun haben wir schon in der letzten Legislatur partei-und fraktionsübergreifend ein hohes Maß an Verantwor-tung für nachfolgende Generationen übernommen, in-dem wir die von der Ministerin angesprochene Standort-suche für ein Endlager hochradioaktiver Abfällekonsensual behandelt haben und beschlossen haben,wieder bei null anzufangen. Wir wollen das Thema mit-einander angehen. Ich glaube, das ist eine der vornehms-ten Aufgaben der Großen Koalition.Ich will aber auch sagen: Wenn man dazu dann eineKommission einsetzt, in der sich die Politik ganz be-wusst zurücknimmt, weil das in besonderer Weise eineAufgabe der Zivilbevölkerung ist, dann kann es nicht an-gehen, dass Teile der Umweltverbände sich zurückzie-hen und sagen: Wir sind dazu da, um zu protestieren undNein zu sagen. – Das ist falsch. Damit wird man seinerVerantwortung nicht gerecht.
Deshalb an dieser Stelle ein leidenschaftlicher Appell,den auch schon Teile der Grünen formuliert haben, sichbitte einzubringen und mitzumachen; denn es geht wirk-lich darum, ein großes Problem gemeinschaftlich so zu
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Dr. Georg Nüßlein
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lösen, dass es am Ende auch gemeinschaftlich akzeptiertwird.Ich wünsche mir, dass wir diese großen Aufgaben an-gehen. Ich glaube, Frau Ministerin, dazu haben wir dieVoraussetzungen alle gemeinsam geschaffen. Wir wer-den jetzt mit großer Tatkraft und Freude ans Werk gehen.Vielen Dank.
Peter Meiwald ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebes Präsidium!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte FrauMinisterin, zunächst möchte auch ich Ihnen von diesemOrt aus zu Ihrer Ernennung herzlich gratulieren.Aber nun zur Sache. Das Programm, das wir bisher zuhören bekommen haben, ist zunächst einmal lediglichdie Fortsetzung der bestehenden Programme, die wirschon aus der alten Regierungszeit kennen – Biodiversi-tätsprogramm, Hochwasserschutz, Naturerbe –, oder eswird der Umsetzung von EU-Recht, zum Beispiel beimElektroschrott, Genüge getan. Die Frage ist: Was ist ei-gentlich neu, was sind die neuen Aspekte, was ist dieneue Dynamik in dieser Politik? Was ist mit den Wäl-dern, was ist mit Monokulturen? Wir haben das ebenschon vom Kollegen Lenkert gehört. Es stellt sich dieFrage nach der Wasserverseuchung durch Nitrateinträgeund Ähnliches. Was ist mit dem Flächenverbrauch?Wenn wir uns das anschauen, können wir sagen:Wenn wir uns den ökologischen Fußabdruck, den unsereGesellschaft hinterlässt, weiterhin leisten wollen und soweitermachen wie bisher, dann ist das in der Tat nach-haltig, aber nachhaltig schädigend. Der Fußabdruck istaber nicht enkeltauglich. Das ist ein Punkt, an dem wirnoch deutlich mehr von Ihnen zu erwarten haben, als wirbisher gehört haben. Ich hoffe, dass dazu etwas kommt.
Im Bereich der Atomlobbypolitik haben Sie mit demAustauschen des Leiters der Abteilung Reaktorsicherheiteinen ersten Schritt getan, der bei uns auf Wohlwollengestoßen ist, auch wenn das natürlich spät gekommenist – aber immerhin.
Dass Sie ein Kompetenzzentrum „Naturschutz undEnergiewende“ einrichten wollen, finden wir natürlichauch eine gute Idee. Wichtig ist, dass die Umsetzung miteinem vernünftigen Maß an Finanzmitteln nun auchschnell erfolgt, damit es da vorangeht.
Wenn wir hören, dass Sie ein Klimaschutzsofortpro-gramm planen, freuen wir uns als Grüne natürlich; dasist ganz klar. Das findet erst einmal unsere Zustimmung,steht aber den Überlegungen entgegen, die wir gesternzu hören bekommen haben, oder den Maßnahmen, diewir zum Beispiel in den letzten Jahren gerade im Bereichder Braunkohle erleben mussten. Da verdrängt die Braun-kohle – das kann auch nicht in Ihrem Interesse sein – dieeffizienten Erdgaskraftwerke. Das ist nicht gut für dasKlima, das ist aber auch nicht gut für den vorbeugendenGesundheitsschutz unserer Bevölkerung; man denke nuran Quecksilber, Feinstaub, Radioaktivität und alles das,was aus diesen Kraftwerken herauskommt. Das kannnicht in unserem Sinne sein. Da ist es auch nicht damitgetan, zu sagen: Wir haben jetzt einmal in den Zertifika-tehandel eingegriffen, das reicht, und dann muss derMarkt es eben regeln. – Nein, der Markt regelt es nicht.
Wichtig an dem Punkt ist – das kann ich wirklich nurals herzliche Bitte formulieren –: Überlassen Sie denKlimaschutz nicht dem Wirtschaftsminister. Das hatschon in der letzten Periode nicht geklappt.
Die Frage ist: Wer wird sich in Brüssel für die ambi-tionierten Klimaziele, von denen Sie ja gerade engagiertgesprochen haben, einsetzen? Auf eine Kanzlerin, dieeinmal eine Klimakanzlerin war, mittlerweile aber ganzandere Interessen im Kopf hat, können wir in dieserFrage, glaube ich, nicht warten. Also: Haben Sie dieMacht, haben Sie die Möglichkeiten, innerhalb der Re-gierung diese ambitionierten Ziele auch durchzusetzen?
Die gestrige Debatte und die gestrige Entscheidung indiesem Haus zum Thema Gentechnik lassen uns zumin-dest befürchten, dass das Gegenteil der Fall ist. Hierwird weiterhin eine Politik gegen die Interessen der Be-völkerung gemacht. Bestenfalls ist es Mutlosigkeit derRegierung, schlimmstenfalls sogar neu erwachte Liebezur Genindustrie, die Ihnen eigentlich sogar der eigeneKoalitionsvertrag verbietet. Die Menschen in unseremLand und wir werden Ihnen diese verbotene Liebe zulas-ten der Verbraucherinnen und Verbraucher und unsererUmwelt nicht durchgehen lassen.
Da müssen Sie als Umweltministerin in dieser Regie-rung Gewicht entwickeln, Ihre Macht auch einmal ein-setzen und sagen: Wir sind hier verantwortlich für Um-welt und Natur, für den Verbraucherschutz und für dieMenschen in unserem Land.
Erlauben Sie mir noch einen kleinen Abstecher zurAbfallpolitik. Das Thema Plastiktüten ist in den letztenMonaten in aller Munde gewesen und war Gegenstandvieler Fernsehberichte. Viele haben beklagt, dass Fischeoder auch Delfine daran zugrunde gehen. Darum geht esaber nicht allein. Es geht dabei auch um Ressourcenver-schwendung und um den Meeresschutz. Irland hat miteiner Abgabe auf Plastiktüten ein Zeichen gesetzt undgroße Erfolge damit. Ruanda hat bereits 2006 Plastik-tüten komplett verboten – mit riesigen Erfolgen imLand. Wann folgt Deutschland? Wann werden wir hier
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 869
Peter Meiwald
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dazu kommen, die Plastiktüten endlich auch aus unse-rem Umfeld zu verbannen? Wann werden wir hier – wirmüssen das ja nicht über ein Verbot machen, sondernkönnen das auch über eine Abgabenlösung wie in Irlandmachen – im Interesse unserer Umwelt weiter voran-kommen?
Ein Aspekt, der heute noch keine so große Rolle ge-spielt hat: CETA und TTIP, die internationalen Abkom-men, die jetzt anstehen. Setzen Sie sich bitte dafür ein,dass Umweltstandards, die in Deutschland und in der EUmittlerweile selbstverständlich geworden sind, nicht ge-opfert werden! Gegebenenfalls müssen Sie in der Regie-rung die Reißleine ziehen und sagen: So kann es nichtgehen. – Wir müssen hier dafür sorgen, dass unser Ver-braucherschutz und unser Umweltschutz nicht interna-tionalen Abkommen geopfert werden.
Sie haben also einen gewissen Vertrauensvorschuss.Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. Aber wir erwar-ten ambitionierte Politik. Wenn ich zum Beispiel im Be-reich der Verkehrsinfrastruktur – –
Herr Kollege, ich habe keinen Zweifel, dass Ihnen
noch viele Beispiele einfallen,
aber irgendwann im Laufe des Vormittags werden Sie zu
Ende kommen müssen.
Ja, ich komme zum Schluss, sehr gern. Das ist auch
mein letzter Punkt, Herr Präsident.
Nur noch zur Verkehrsinfrastruktur: Wenn wir das,
was der Kollege Vaatz eben ausgeführt hat, zu Ende den-
ken und uns anschauen, welches Umweltbewusstsein da-
hintersteht, wird uns angst und bange. Wir haben den
dringenden Wunsch an Sie, dass Sie da in der Regierung
einen Gegenpol bilden. Wir wünschen Ihnen für diese
Arbeit viel Glück. Verlassen Sie sich auf unsere kritische
Begleitung in der weiteren Arbeit.
Vielen Dank.
Lieber Kollege Meiwald, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer
ersten Rede
und wünsche Ihnen alles Gute für die weitere parlamen-
tarische Arbeit. Sie werden hoffentlich Verständnis dafür
haben, dass ich bei Ihren künftigen Reden nicht wieder
einen etwa 50-prozentigen Redezeitzuschlag gewähren
kann.
Das gilt übrigens auch für die Kollegin Ute Vogt,
die nun als Nächste zu Wort kommt und nachweislich
nicht zum ersten Mal im Deutschen Bundestag redet.
Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte
mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken. Sie sind noch
keine 100 Tage im Amt, und schon können wir in der
Klimapolitik feststellen: Deutschland ist wieder da.
Unser Einsatz ist dringend notwendig; denn das, was
die EU-Kommission vorlegt, sind mutlose Vorgaben. Es
gibt keine verpflichtenden Ausbauziele für die erneuer-
baren Energien und keine verbindlichen Vorgaben für
die Energieeffizienz. Diese Mutlosigkeit wird durch am-
bitionierte Vorgaben unserer Bundesregierung ersetzt.
Wir sind diejenigen, die antreiben und die dafür sorgen,
dass auch die EU ihre Vorreiterrolle wieder einnehmen
kann
und dass die internationalen Standards nach oben ge-
drückt werden.
Frau Vogt, darf Ihnen schon zu diesem frühen Zeit-
punkt die Kollegin Bulling-Schröter eine Zwischenfrage
stellen?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Sie sprachen ge-rade von ambitionierten Klimazielen. Im Koalitionsver-trag steht, dass Backloading, also die Herausnahme vonZertifikaten, ein einmaliger Eingriff sein soll. Die Zerti-fikate sollen aber wieder auf den Markt zurückkommenkönnen. Aufgrund dieser Einschränkung ist der Zertifi-katepreis nicht gestiegen. Er liegt bei 5 Euro. Wir habenim letzten Umweltausschuss gemeinsam darüber disku-tiert, dass dieser Betrag wesentlich höher liegen müsste– am besten über 15 Euro –, um relevant zu sein.Wissenschaftler sagen, dass wir, wenn die Klimapoli-tik der Bundesregierung so weiter geht, nicht bei 40 Pro-zent CO2-Reduktion im Jahr 2020 landen, sondern nur
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870 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Eva Bulling-Schröter
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bei 30 bis 32 Prozent. Das sind realistische Zahlen. Ichfrage Sie: Wie können Sie angesichts dessen hier vonambitionierten Klimaaktivitäten und Zielen sprechen?
Vielen Dank, liebe Kollegin. – In meiner Eingangsbe-
merkung habe ich ja gesagt, dass die Ministerin noch
nicht einmal 100 Tage im Amt ist. Ich bitte Sie daher, zu
beachten, dass sowohl die Frau Umweltministerin als
auch – das ist ein Novum – der Herr Wirtschaftsminister
in den Debatten der letzten Tage darauf hingewiesen ha-
ben, dass hiermit ein erster Schritt beim Thema Emis-
sionshandel vollzogen werden soll. Sie können sich na-
türlich darauf verlassen, dass die Verhandlungen zur
Stärkung des Emissionshandels weitergehen. Aber das
kann man nicht alles in den ersten Wochen der Regie-
rungszeit schon vollenden.
In dieser Legislaturperiode, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sollten wir die Möglichkeiten aber auch nut-
zen, die Diskussion über einen angeblichen Widerspruch
zwischen Ökonomie und Ökologie zu beenden. Diese
Einschätzung beruht in der Regel auf künstlich herbeige-
redeten Lobbyinteressen. Wo es – wie in der Klimapoli-
tik – darum geht, das Überleben der ganzen Erde zu si-
chern, da darf man keinen Gegensatz zwischen Ökologie
und Ökonomie konstruieren.
Viele Unternehmen in Deutschland gehen bereits jetzt
ökologische Wege, und das mit großem ökonomischen
Erfolg. Lassen Sie uns deshalb getrost mehr Ökologie
wagen.
Dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg wird es nämlich nur
geben, wenn wir eine Politik machen, die die Ressourcen
schont und auch die Lebensqualität erhöht. Politik, die
für gesunde Umwelt und gute Lebensqualität sorgt, ist
aus sozialdemokratischer Sicht und sicherlich auch aus
Sicht der Großen Koalition eben nicht nur eine Politik
für ein begrenztes Feld, sondern es ist auch eine Politik
der sozialen Gerechtigkeit, die darauf abzielt, für alle
Menschen ökologisch annehmbare Bedingungen zu
schaffen.
Gerade in Gegenden, wo es starke Lärmbelastungen
und große Luftverschmutzungen gibt, haben die Men-
schen nur ein geringes Einkommen. Sie können sich
kein Haus am Waldrand oder einen schönen Garten mit
vielen Bäumen um das Haus herum leisten. Diese Men-
schen leiden deshalb unter den Umweltbedingungen oft
weit mehr als andere. Deshalb ist es das erklärte Ziel un-
serer Politik, auch in diesem Bereich mehr Lebensquali-
tät zu schaffen. Wir verstehen das als einen Beitrag zur
Schaffung sozialer Gerechtigkeit.
Ich will noch auf ein weiteres Thema eingehen – der
Kollege Nüßlein hat es schon angesprochen –, nämlich
die Besetzung der Kommission zur Vorbereitung des
Standortauswahlverfahrens nach dem Standortauswahl-
gesetz. Auch bei dieser Frage geht es um Verantwortung
für die kommenden Generationen und darum, dass wir
für das geradestehen, was wir durch die Nutzung der
Atomenergie angerichtet haben. Wir müssen das alles
nun in einer Art und Weise auf den Weg bringen, dass
kommende Generationen keinen Schaden dadurch erlei-
den.
Insofern ist es wichtig, dass die stimmberechtigten
Mitglieder der Kommission zur Vorbereitung des Stand-
ortauswahlverfahrens die Gesellschaft in ihrer Breite wi-
derspiegeln. Stimmrecht in dieser Kommission haben
nur die acht Wissenschaftler sowie die acht Vertreterin-
nen und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen. Wir müs-
sen daher verstärkt an die Umweltverbände appellieren:
Nutzen Sie Ihr Recht zur Mitentscheidung! Begnügen
Sie sich nicht mit der Rolle der Kritiker, sondern treten
Sie in die Verhandlungen ein und nutzen Sie Ihr Stimm-
recht! Setzen Sie es ein! – Ich finde, Umweltverbände
haben nicht nur das Recht, in dieser Frage mitzureden,
sondern es ist auch ihre Verpflichtung, die Umweltbe-
lange dort zur Geltung zu bringen.
In dieser Woche hat uns der Tierfilmer und Moderator
Dirk Steffens auf einem parlamentarischen Abend des
WWF Trost zugesprochen. Er erinnerte daran, wie häu-
fig wir Abgeordnete an drögen Sitzungen teilnehmen,
wie langsam sehr vieles vorangeht und dass wir oft mit-
einander ringen und uns manchmal fragen: Warum tut
man sich das eine oder andere eigentlich an? – In diesen
Fällen sollten wir uns daran erinnern: Wir haben nicht
mehr, aber auch nicht weniger zu tun, als die Welt retten
zu müssen. – Das war ein großes Wort, das sehr pathe-
tisch klang. Ich fand, das war ein schöner Auftrag an
uns. Wir alle wissen, dass nicht jeder Einzelne von uns
die Welt retten kann, dass wir aber gerade mit einer ver-
nünftigen Verbindung von Ökonomie und Ökologie
kleine und große Beiträge dazu leisten können, diese
Welt tatsächlich ein Stück stabiler und für die nächsten
Generationen zukunftsfest zu machen. In diesem Sinne
freue ich mich auf eine gemeinsame, durchaus kritisch
diskutierte, aber auf jeden Fall die Welt voranbringende
Umweltpolitik.
Danke schön.
Das Wort erhält nun die Kollegin Heidrun Bluhm für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Werte Frau Bauministerin Hendricks, ich benutze diese
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Heidrun Bluhm
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Anrede deshalb, weil Ihr Vorgänger diese Bezeichnungnicht verdient hatte. Hier klingt also eine gewisse Hoff-nung mit, dass sich in diesem Bereich in Zukunft fürDeutschland Wesentliches ändern wird.
Die Bundesregierung hat uns mit dem Koalitionsver-trag einen wohnungspolitischen Dreiklang aus Stärkungder Investitionskraft, Wiederbelebung des sozialen Woh-nungsbaus und einer ausgewogenen mietrechtlichen undsozialpolitischen Flankierung versprochen. Was FrauMinisterin Hendricks hier heute vorgetragen hat, bestä-tigt das. Das klingt alles schon einmal viel besser als das,was wir von Vorgängerregierungen gehört haben oderwas diese gar umzusetzen vermochten. Deshalb wün-schen wir uns sehr, dass aus diesem Dreiklang eine har-monische Melodie mit langem Nachhall werden wird.Allerdings zeichnen sich schon heute einige Disso-nanzen ab:Stichwort „Investitionskraft“: Frau Ministerin, wederim Koalitionsvertrag noch in Ihrer Rede heute haben dieAltschulden der ostdeutschen Wohnungsunternehmeneine Rolle gespielt. Wir brauchen, so denke ich, dieStreichung der Altschulden ostdeutscher Wohnungsun-ternehmen.
Die SPD hat mit uns gemeinsam noch in der letzten Le-gislaturperiode entsprechende Anträge gestellt und aucheingereicht. Von alldem steht aber nun nichts im Koali-tionsvertrag, und auch Sie, Frau Ministerin, haben dazunichts gesagt. Wir werden weiterhin fordern, die Alt-schulden zu streichen und damit die Investitionskraft derWohnungsunternehmen zum Beispiel für energetischeSanierung oder auch den altersgerechten Umbau derWohnungen zu stärken.
Demnächst, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieHaushaltsdebatte. Die Regierung will die Mittel für dieStädtebauförderung von 455 Millionen Euro auf 700 Mil-lionen Euro aufstocken;
das hat Frau Hendricks hier eben noch einmal bestätigt,ebenso auf der Bauministerkonferenz in dieser Woche.Das begrüßen wir sehr, weil auch wir diese Forderungunterstützen. Herr Pronold hat das allerdings auf meineAnfrage im Ausschuss in dieser Woche schon wieder re-lativiert. Er sagte nämlich: Über vier Jahre wollen wirzusätzlich 620 Millionen Euro zur Verfügung stellen. –Wenn ich die Differenz zwischen 455 Millionen Euround 700 Millionen Euro ausrechne, komme ich auf jähr-lich 245 Millionen Euro mehr, und mal vier Jahre machtdas dann 980 Millionen Euro. 620 Millionen Euro wärenalso schon einmal 360 Millionen Euro weniger, als Siebrauchen würden, um Ihr Versprechen von 700 Millio-nen Euro pro Jahr einzuhalten. Ich zitiere, was meinKollege Bartsch in der gestrigen Debatte zu Finanzenund Haushalt sagte: Mathematische Gesetze lassen sichnicht wegbeschließen. – Auch beim Summieren sind dieZahlen für die Regierung die gleichen wie für die Oppo-sition. Aber in 2014 muss das ja auch nicht mehr unbe-dingt umgesetzt werden; denn wenn wir erst im Juni denHaushalt beschließen, ist das Jahr halb um. Ehe das Gelddann ausgereicht ist, hat man die Hälfte wahrscheinlichschon wieder eingespart.Stichwort „sozialer Wohnungsbau“: Sie wollen diesenwiederbeleben, aber die Mittel von 518 Millionen Europro Jahr, die zur Verfügung stehen, werden nicht aufge-stockt. Wenn wir genauer hinsehen, stellen wir fest, dassHerr Schäuble in der Verwaltungsvereinbarung bis 2018nicht einmal darauf bestanden hat, dass durch die Länderkofinanziert werden muss. Außerdem hat er auch nochdie Zweckbindung für den sozialen Wohnungsbau auf-gegeben. Ich weiß nicht, wie Sie mit den Ländern ver-einbaren wollen, dass das Geld dann zukünftig aus-schließlich für den sozialen Wohnungsbau ausgegebenwerden soll. Da sind Sie auf das Wohlwollen der Bau-minister angewiesen; aber die haben ihre Haushaltelängst beschlossen. Und: Selbst das würde nicht reichen,um die fehlenden 4 Millionen Sozialwohnungen inDeutschland zu schaffen oder ausreichend viele Woh-nungen aus dem Bestand in die Zweckbindung zurück-zuführen. Der Wegfall der Zweckbindung ist also,glaube ich, kontraproduktiv. Da müssen Sie nacharbei-ten.
Stichwort „Klimaschutz im Gebäudebereich“: DasCO2-Gebäudesanierungsprogramm und die energetischeStadtsanierung sollen fortgeführt werden. Richtig! Aberauf welchem Niveau und mit welchen Mitteln? Der Ko-alitionsvertrag spricht von Zusammenfassung von Woh-nungsbau und energetischer Gebäudesanierung zueinem Aktionsprogramm. Aber wie? Aus den 518 Mil-lionen Euro Kompensationsmitteln für den sozialenWohnungsbau? Aus Mitteln der Städtebauförderung undwenn ja, in welcher Höhe? Aus dem EKF, der allerdingsjetzt bei Herrn Gabriel verwaltet werden soll? Dazuwürde ich in Zukunft gern noch etwas mehr von Ihnenhören, Frau Ministerin.Meine Damen und Herren, die bevorstehende Haus-haltsdebatte wird der erste Test für die Ernsthaftigkeitdieser Ankündigungen sein. Es wird sich zeigen, werden Taktstock führt und ob der versprochene Dreiklangals kräftiges Fortissimo daherkommt oder doch nur einseichtes Piano bleibt.Danke schön.
Nun hat Marie-Luise Dött das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Die Entscheidung, die Umweltpolitik unddie Bau- und Wohnungspolitik in einem Bundesministe-rium zusammenzuführen, hat viel Aufmerksamkeit er-zeugt. Ich sehe in dieser Zusammenführung beider Poli-tikfelder eine spannende Herausforderung. Bereitsheute gibt es ja sehr viele inhaltliche Verzahnungen. ImKonfliktfall mussten sie aber bisher zwischen zweiBundesministerien geklärt werden. Nun muss Frau Bun-desministerin selbst für die Ausgewogenheit der Ent-scheidung für beide Politikbereiche einstehen. Wir wer-den sie dabei unterstützen.Meine Damen und Herren, ich will hier die Gelegen-heit nutzen, einige Schwerpunkte unserer Arbeit zu be-nennen.Wir werden auch in der neuen Legislaturperiode dieUmwelt- und Klimapolitik dynamisch weiterentwickeln;Frau Ministerin Hendricks hat das schon ausführlich be-schrieben.Wettbewerb, Produktverantwortung und anspruchs-volle Recyclingquoten sind auch zukünftig der Maßstabfür die Kreislaufwirtschaft. Dabei bleibt das bewährteeffiziente System einer fairen Beteiligung von Kommu-nen und privaten Entsorgern auch künftig erhalten.Der Schutz der Bürger vor Lärm wird verbessert. DerSchienenlärm soll bis 2020 halbiert werden. Die Belas-tungen durch Fluglärm werden wir reduzieren und vorallen Dingen die Öffentlichkeit stärker beteiligen.Wir werden, wie schon genannt, das Nationale Natur-erbe um mindestens 30 000 Hektar erweitern.Bei Infrastrukturmaßnahmen werden die Belange desNatur- und Hochwasserschutzes stärker berücksichtigt.Es bleibt beim beschlossenen Ausstieg aus der Kern-energie. Wir sorgen für die Sicherheit der Kraftwerke biszum letzten Betriebstag und setzen uns für verbindliche,ambitionierte Sicherheitsziele sowie Zusammenarbeitund Transparenz in Europa ein. Das ist nicht nur eineFrage, die Deutschland betrifft, sondern das muss fürganz Europa gelten.Wir werden die Suche nach einem geeigneten Endla-ger für radioaktive Abfälle auf der Grundlage des Stand-ortsuchgesetzes voranbringen. Ich bin froh, dass wir diesmit diesem Gesetz geschafft haben. Ich schließe michnatürlich dem Appell der anderen Redner an die Um-weltverbände zur Mitarbeit an. Das ist ganz wichtig. Wirdürfen auch nicht vergessen, die Voraussetzungen für dieRückholung der Abfälle aus der Schachtanlasse Asse zuschaffen.Meine Damen und Herren, die Umweltpolitik bleibtauch künftig ein Motor für Wachstum und Beschäfti-gung in Deutschland. Neben all diesen Themen bleibtder Schutz des Klimas im Zentrum deutscher und euro-päischer Politik.
Das von der Europäischen Kommission vorgelegteWeißbuch zur Weiterentwicklung der europäischenEnergie- und Klimapolitik kann nur der Beginn einerumfassenden Diskussion sein. 40 Prozent Minderung derTreibhausgasemissionen bis 2030 sind ein gutes Signal– ich sage das ganz bewusst – für den Start der Verhand-lungen. Es muss zudem bei der Zieltrias – dazu habe ichschon im Ausschuss Ausführungen gemacht – von Kli-maziel, Ausbauziel für die erneuerbaren Energien undSteigerung der Energieeffizienz bleiben.
Das sind drei gleichberechtigte und gleichwichtige Säu-len einer modernen, zukünftigen Standortpolitik.Meine Damen und Herren, bau- und wohnungspoli-tisch steht die Koalition vor wichtigen Aufgaben. Derdemografische Wandel, die wirtschaftsstrukturellen Ver-änderungen und die ambitionierten klimapolitischenZiele wirken sich stark auf die Stadtentwicklung sowieden gesamten Gebäudesektor aus. Wir brauchen pas-sende Antworten auf die regionalen Unterschiede aufdem Wohnungsmarkt. Wir müssen die erforderlichenStadtanpassungsprozesse in Schrumpfungsregionen effi-zient gestalten. Wir wollen die Stadtentwicklung auchauf die Herausforderungen des Klimawandels ausrich-ten. Und wir wollen, dass Wohnen trotz der erforderli-chen Investition in die Energieeffizienz bezahlbar bleibt.
Im Koalitionsvertrag haben wir Vorhaben verabredet,die dazu beitragen sollen, diese Aufgaben zu bewältigen.CDU und CSU haben die SPD von ihrem regionalisier-ten Konzept der Mietpreisbremse überzeugen können.Das ist sachgerecht. Ergänzt werden muss die Mietpreis-bremse jedoch durch eine Stärkung des Wohnungsbaus.Das wäre die nachhaltige Lösung des Problems. Wennman „nachhaltig“ steigern könnte, dann würde ich sa-gen: Es ist die nachhaltigste Lösung des Problems.
Länder und Kommunen stehen hier in besondererVerantwortung. Die beabsichtigte Anhebung der Städte-bauförderung auf 700 Millionen Euro wollen wir aus-drücklich. Das ist ein starkes Signal an die Städte undGemeinden in Deutschland. Wir unterstützen sie bei denerforderlichen Investitionen in die Stadtentwicklung. Siewerden beim Stadtumbau, beim städtebaulichen Denk-malschutz und bei den spezifischen Herausforderungender kleinen Städte und Gemeinden im ländlichen Raumnicht alleingelassen.
Die sinnvolle Verknüpfung mit gesellschaftspoliti-schen Herausforderungen wird in den Programmen „Ak-tive Stadt- und Ortsteilzentren“ sowie „Soziale Stadt“deutlich. Das Programm „Soziale Stadt“ werden wir alsLeitprogramm der sozialen Integration weiterführen – sodie Vereinbarung des Koalitionsvertrages. Dazu muss esaber endlich gelingen, die jeweiligen Kompetenzen ausden verschiedenen Bundesministerien sinnvoll zu bün-deln.
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Marie-Luise Dött
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Die Politik denkt hier seit Jahren weiter, als es die Res-sortstrukturen freiwillig wollen, Herr Bartol.
Ein besonders großer Beitrag zur Erreichung der Kli-maschutzziele wird vom Gebäudesektor erwartet. DasUmwelt- und Bauministerium muss in der geändertenZuständigkeit nun verstärkt darauf hinarbeiten, dass dieEnergiewende für Mieter und Hauseigentümer bezahlbarbleibt. Die Energiewende verliert sonst ihre gesellschaft-liche Akzeptanz. Wir haben im Koalitionsvertrag dasgeltende Wirtschaftlichkeitsprinzip im Ordnungsrechtund den Verzicht auf Zwangssanierungen bestätigt. Dasist richtig und vertrauensbildend.
Viele Eigentümer von Einfamilienhäusern oder kleine-ren Mietshäusern sind in dieser Frage genauso schutzbe-dürftig wie Mieter; und darauf werden wir achten.
Meine Damen und Herren, das umwelt- und baupoli-tische Programm der Großen Koalition ist ambitioniert,wachstumsorientiert und sozial gerecht. Jetzt geht eskraftvoll an die Umsetzung.
Ich erteile dem Kollegen Christian Kühn für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte FrauMinisterin! Meine sehr geehrten Damen und Herren aufder Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freuemich heute, nicht nur, weil ich meine erste Rede hier imParlament halte, sondern auch, weil es uns Grünen in derletzten Legislaturperiode gelungen ist, zwei Konzepte zuentwickeln und auf den Weg zu bringen, die in den Ko-alitionsvertrag Eingang gefunden haben, nämlich dieMietpreisbremse und das Bestellprinzip bei den Makler-kosten.
2010 haben es sowohl SPD als auch CDU/CSU noch ab-gelehnt. Dass es in dieser Legislaturperiode umgesetztwird, ist ein grüner Erfolg. Darauf können wir Grünestolz sein.
Frau Ministerin, Sie können von uns Grünen in dieserLegislaturperiode eine konstruktive Oppositionsarbeit inder Wohnungs- und Baupolitik erwarten. Wir wollen ge-meinsam dafür Sorge tragen, dass das Thema Bauen undWohnen in diesem Parlament einen größeren Stellenwertbekommt. Ihre ersten Aussagen dazu haben wir sehrwohlwollend zur Kenntnis genommen. Aber Ihren war-men Worten – da will ich Frau Bluhm von der Linkenrecht geben – müssen haushalterische Taten folgen.Alle wohnungspolitischen, alle baupolitischen, allemietrechtlichen Instrumente und auch alle Fördermittelmüssen auf zwei große Herausforderungen ausgerichtetwerden: zur Energiewende auch bei den Gebäuden bei-zutragen und den demografischen Wandel zu meistern.Wir finden es richtig, dass Sie die Mietpreisbremseschnell umsetzen wollen. Angesichts der vielen Podi-umsveranstaltungen, auf denen man im Augenblick ist,warne ich Sie davor, gegenüber denjenigen einzukni-cken, die gerade gegen die Mietpreisbremse arbeiten.Bleiben Sie hier in der Großen Koalition standfest, zumWohle der Mieterinnen und Mieter in Deutschland.
Leider haben Sie ein Konzept von uns nicht übernom-men.
Sie begehen mit der Absenkung der Modernisierungs-umlage – das muss man wirklich sagen – einen Kon-struktionsfehler,
indem Sie eine zeitliche Befristung einführen wollen.Das wird am Ende zu nichts anderem führen als zu ei-nem Konjunkturprogramm für Anwaltskanzleien. Nichtsgegen Anwaltskanzleien – auch Anwälte brauchen Jobs –,aber eines ist ganz klar: Eine Absenkung der Moderni-sierungsumlage in dieser Form ist nicht sinnvoll. Viel-leicht schwenken Sie doch noch auf unser Konzept um,nämlich auf eine inhaltliche Begrenzung der Moderni-sierungsumlage nur auf die Fälle, wo auf die beiden ge-nannten großen Herausforderungen reagiert wird, alsoauf den demografischen Wandel in Form des Abbausvon Barrieren und auf die Energiewende in Form ener-getischer Gebäudesanierung.
Im Zusammenhang mit der energetischen Gebäude-sanierung haben wir sehr wohlwollend zur Kenntnis ge-nommen, dass Sie die Sanierungsquote auf 2,5 Prozenterhöhen wollen. Doch wenn man in den Koalitionsver-trag schaut, sieht man, dass dort steht: Sie wollen dasKfW-Gebäudesanierungsprogramm „verstetigen“ unddas Programm zur energetischen Stadtsanierung „fort-schreiben“. – Wenn man aber die Sanierungsquote stei-gern will, kann man die Programme nicht auf dem glei-chen Niveau fortführen. Die jetzige Quote liegt bei unter1 Prozent. Wenn man darüber hinauskommen will, mussman mehr Mittel einsetzen. Hier gibt es in Ihrem Koali-tionsvertrag eine riesige Leerstelle; das zeigen auch IhreAussagen. Ich finde es schade, dass Sie nicht bereit sind,gerade in diesem Bereich Mittel einzusetzen. Ich glaube,das zeugt von großer Zukunftsvergessenheit der GroßenKoalition bei der energetischen Gebäudesanierung.
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874 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Christian Kühn
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Ein paar Worte an die Sozialdemokratie. Die Heiz-kosten steigen dreimal schneller als die Löhne. Geradedeshalb müssten Sie erkennen: Die energetische Sanie-rung ist nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, sondernauch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Ich hoffe,dass Sie hier nachlegen und die Regierung ein bisschenvor sich hertreiben werden.
Ich komme zum Schluss. Die eigentliche Herausfor-derung, vor der die Große Koalition und auch Sie alsMinisterin stehen, ist das, was Sie hier beschworen ha-ben, nämlich die Verzahnung von Umwelt- und Baupoli-tik. Ich sage ganz klar: Die klassische Antwort der So-zialdemokratie „Mehr Beton hilft mehr“ wird an dieserStelle nicht helfen.
Sie müssen klar sagen, was die Verzahnung bedeutet.Sie bedeutet nämlich mehr als das Hin- und Herschiebenvon Planstellen. Sie dürfen nicht nur Fragen stellen– wie Sie das heute getan haben –, sondern Sie müssenauch Antworten geben auf die Fragen, wie Sie den Flä-chenverbrauch in Deutschland reduzieren wollen, wieSie für mehr Nachhaltigkeit auf den Baustellen sorgenwollen, wie Sie ökologische Baustoffe fördern wollen,wie Sie die Energiewende im Gebäudebereich meisternwollen. Das sind die Herausforderungen, vor denen Siestehen. An deren Bewältigung werden wir Sie messen.Wir Grüne werden Sie dabei als kritische, konstruk-tive und kluge Opposition begleiten. Ich verspreche Ih-nen, dass wir in dieser Legislaturperiode weiterhin dieIdeenschmiede in der Wohnungs- und Baupolitik inDeutschland sein werden.Danke schön.
Auch Ihnen, lieber Herr Kühn, herzlichen Glück-
wunsch zur ersten Rede. Ich wünsche Ihnen Erfolg bei
und Freude an Ihrer parlamentarischen Arbeit.
Nächster Redner ist der Kollege Sören Bartol für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Bau- und Stadtentwicklungspolitik ist zu-rück auf der politischen Bühne, mit einem neuen Res-sortzuschnitt, einer neuen Ministerin und dem Gestal-tungsanspruch einer aktiven Stadtentwicklungs- undsozialen Wohnungsbaupolitik.Ihnen, Frau Ministerin, möchte ich zunächst meineherzlichen Glückwünsche zu Ihrem neuen Amt als Um-welt- und Bauministerin übermitteln.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und die gemein-same Umsetzung dessen, was wir uns als Koalition inder Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik vor-genommen haben: die Reform des Wohngeldes und dieMietpreisbremse, die Stärkung der Städtebauförderungund die Förderung des Neu- und Umbaus von Wohnun-gen, die zugleich bezahlbar, energiesparsam und alters-gerecht sind. Das alles ist ein Gesamtpaket, und nur alssolches ist es auch sinnvoll.Es besteht dringender Handlungsbedarf. Wohn- undvor allen Dingen Heiz- und Warmwasserkosten steigenschneller als die Einkommen. Bei Haushalten im unterenEinkommensbereich fressen sie inzwischen bis zu40 Prozent des Budgets auf. Das Wohngeld ist seit 2009nicht mehr angepasst worden. Haushalte mit kleinenEinkommen oder Renten werden alleine wegen hoherWohnkosten in Arbeitslosengeld II oder die Grundsiche-rung gedrängt. Das ist ein Verschiebebahnhof zwischenden öffentlichen Kassen, und das geht zulasten der Be-troffenen.
Die Wohngeldanpassung ist überfällig. Sie zügig an-zupacken und zu beschließen, ist eine der ersten Aufga-ben. Angesichts der steigenden Energiekosten ist aberauch mehr als deutlich, dass der energetische Umbauweitergehen muss. Wenn ich energetischer Umbau sage,dann meine ich eben nicht nur die Gebäudedämmung,sondern vor allen Dingen auch die quartiersbezogenenAnsätze der Strom- und Wärmeversorgung, den Einsatzerneuerbarer Energien im Gebäudebereich und die Ener-gieberatung. Technologieoffenheit und Bezahlbarkeitsind die Leitlinien, die sich diese Koalition dabei gesetzthat.Die Mietpreisbremse brauchen wir als kurzfristigwirksames Instrument, damit sich in Städten und Bal-lungsräumen die Preisspirale nicht weiter nach obendreht. So sind zum Beispiel nach dem neuen GSW-Woh-nungsmarktbericht von dieser Woche die Mieten in Ber-lin bei neu abgeschlossenen Verträgen weiter deutlichangestiegen: allein von 2012 auf 2013 in Mitte, Fried-richshain und Kreuzberg im Mittel um 12 Prozent. Aus-reißer von bis zu 40 Prozent Mietsteigerungen, die esdurchaus auch gibt, sind dabei noch gar nicht berück-sichtigt.Diese – ich nenne das so – Exzesse wollen wir mit ei-ner Begrenzung bei Wiedervermietung in den Griff be-kommen, und ich freue mich, dass der Bundesjustizmi-nister dies in enger Abstimmung mit der Bauministerinim Sinne des Koalitionsvertrages schnell umsetzen will.
Wer hier Alarm schlägt und das Ende jeder Neubau-aktivität sieht, der hat einfach nicht aufmerksam gelesen:
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Sören Bartol
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Die Mietpreisbremse gilt nicht für den Neubau, sie istregional begrenzt und zeitlich befristet, und sie ist, wieschon gesagt, Teil des bau- und wohnungspolitischenGesamtpakets dieser Koalition, eines Pakets, das ebennicht nur Mieterinnen und Mieter besser absichert undihre Rechte stärkt, sondern das natürlich auch die Inves-titionsbedingungen der Wohnungswirtschaft ganz klarverbessert und damit, wie ich finde, eine gute Grundlagefür das von der Ministerin angekündigte Bündnis fürWohnen ist.
Dazu zählen die Fortführung der Bundesmittel für diesoziale Wohnraumförderung der Länder, die bis Endedes Jahrzehnts gesichert ist, die gezielte Förderung desgenossenschaftlichen Neubaus, die verbilligte Abgabevon ehemaligen Militärliegenschaften für den Woh-nungsbau und – das ist in dieser Debatte schon oft ge-nannt worden – die massive Aufstockung der Städte-bauförderung von 455 auf 700 Millionen Euro.Sozial stabile Quartiere, ein gesundes und sicheresWohnumfeld, Einkaufsmöglichkeiten, aber auch derRückbau von Leerstand – all das steigert die Lebensqua-lität für die Bewohnerinnen und Bewohner, aber essichert und erhöht am Ende auch den Wert der Immobi-lien. Zum guten Wohnen gehört eine intakte Nachbar-schaft, in den Stadtquartieren der Metropolen wie auchin den ländlichen Gemeinden. Denn vor Ort entscheidetsich, ob Integration gelingt und demografischer Wandelgestaltet werden kann, ob Menschen in politische Le-thargie verfallen oder mitmachen. Deshalb bin ich sehrfroh, dass die soziale Wohnungs- und aktive Stadtent-wicklungspolitik mit dieser Koalition endlich wiederdort sind, wo sie hingehören, nämlich ganz oben auf derTagesordnung.Vielen Dank. Ich freue mich auf die gemeinsame Ar-beit.
Der Kollege Volkmar Vogel freut sich hoffentlich
auch. Jedenfalls werden wir das jetzt von ihm hören,
wenn er für die CDU/CSU-Fraktion das Wort ergreift.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich freue mich tatsächlich, vor allen Din-gen darüber, lieber Kollege Bartol, dass Sie jetzt wiederbei uns auf der politischen Bühne Politik aktiv mitgestal-ten können, wenngleich ich sagen muss: Wir sind nichtallein auf dieser Bühne. Wir können das auch nicht al-leine schultern. Diese Bühne gehört genauso unsererBauwirtschaft, unserer Wohnungswirtschaft, der Immo-bilienwirtschaft, ganz besonders natürlich unseren Län-dern und Kommunen. Wir müssen das gemeinsam, wievon Frau Ministerin Hendricks dargestellt, in den nächs-ten Monaten im gemeinsamen Gespräch auf den Wegbringen.
Wir sollten auch nicht vergessen, dass – das hat sichin den vergangenen Jahren bewährt – der Wohnungs-markt, die Immobilienwirtschaft zum Glück vielgestaltigsind. Wir haben leistungsstarke kommunale Wohnungs-wirtschaftsunternehmen, wir haben die Genossenschaf-ten, die eine Menge tun, um das Wohnumfeld zu verbes-sern, und wir haben viele private Investoren und vieleEinzelinvestoren, die dafür sorgen, dass der Wohnungs-markt in Deutschland – das muss man an dieser Stellebei aller Kritik und allen Problemen, die wir haben, sa-gen – stabil ist und eine wesentliche soziale Errungen-schaft in Deutschland erhalten bleibt: menschenwürdigeund bezahlbare Wohnungen. Wir müssen dafür sorgen,dass das so bleibt. Wie in den vergangenen Jahrzehntendie Herausforderung die Wiederherstellung der Innen-städte in Ostdeutschland war, so sehen wir uns jetzt He-rausforderungen gegenüber, die vor allen Dingen mit derdemografischen Veränderung und der Energiewende zutun haben.
Die Probleme, die sich aus der demografischen Ver-änderung ergeben, sind vielschichtig. Auf der einenSeite haben wir Wohnungsmangel in den Metropolen,auf der anderen Seite gibt es große Flächen, bei denenwir mit Leerstand zu kämpfen haben. Wenn es um dieBeseitigung des Wohnungsmangels geht, ist die Miet-preisbremse sicherlich eine Möglichkeit; aber sie löstdas Problem nicht. Das Problem lösen wir nur durch dieAnkurbelung der Investitionstätigkeit.
Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass wir – auchwenn das nicht im Koalitionsvertrag steht – weiterhinüber Möglichkeiten der degressiven Abschreibung indiesem Bereich sprechen sollten. Dazu gehört natürlichauch unser Instrumentenkasten der Städtebauförderung.Dazu gehören Dinge wie die verbilligte Abgabe von mi-litärischen Liegenschaften, die nicht mehr gebrauchtwerden.All das wirkt aber nicht sofort, wenn wir es auf denWeg gebracht haben. Da sich tatsächlich viele die Mietein der Innenstadt in einem normalen Wohnumfeld nichtmehr leisten können, ist es richtig, während einer Über-gangszeit dafür zu sorgen, dass eine Mietpreisbremsewirken kann, aber eben nur zeitweise, regional begrenzt– das ist Aufgabe der Länder – und schlussendlich mitder Maßgabe, dass die Länder, in denen es Regionengibt, die sich in einer solchen Situation befinden, mit ei-nem entsprechenden Maßnahmenplan dafür sorgen, dassdas möglichst zeitnah, innerhalb weniger Jahre, abgear-beitet wird.
Eine dauerhafte Regulierung des Mietmarktes würde zudem führen, was ich leidvoll im Feldversuch DDR mit-machen musste,
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Volkmar Vogel
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nämlich dazu, dass der Wohnbereich in einer Art undWeise vernachlässigt wird, dass er nicht mehr lebenswertist.
Trotz alledem, demografische Veränderung hat in ein-zelnen Regionen auch Leerstand zur Folge. DiesemLeerstand werden wir nach wie vor sehr viel Aufmerk-samkeit widmen. Die Stadtumbauprogramme haben sichin den vergangenen Jahren bewährt; wir müssen sie fort-schreiben. Lieber Sören Bartol, wir haben ja bereits inder vorhergehenden Legislatur über den dazu vorliegen-den Zwischenbericht gesprochen. Im Jahre 2015 werdenwir die Evaluierung abgeschlossen haben, und ab 2016brauchen wir eine neue Regelung. Ich denke, dass wirhier auf ein einheitliches Programm zurückgreifen kön-nen, das zum Beispiel Stadtanpassungsprogramm heißenkönnte. In diesem Programm sollten manche Dinge bes-ser berücksichtigt werden als in der Vergangenheit, ins-besondere wenn es um die Aufwertung und die Umnut-zung von Wohnraum geht.
Unser Instrumentenkasten ist die Städtebauförderung,die vor allen Dingen natürlich auch die Wohnungspolitikder Länder maßgeblich mit unterstützt. Das Programm„Soziale Stadt“ – wir haben in den Ausschüssen in denletzten Jahren sehr oft darüber gesprochen – ist aus unse-rer Sicht ein wichtiges Programm.
Es ist aus unserer Sicht sogar so wichtig, dass wir es, sowie damals von Franz Müntefering sinnvoll angedacht,ressortübergreifend mit den Bereichen Familie sowieArbeit und Soziales weiterführen wollen.
Das würde es aufwerten, und – machen wir uns nichtsvor – wir würden dadurch vielleicht insgesamt finanziellein bisschen besser gestellt werden, was auch dazu füh-ren würde, dass wir mehr Mittel für die anderen eben-falls sehr wichtigen Programme hätten. Gerade die Pro-gramme zum Stadtumbau sind aus meiner Sicht sowichtig, dass es dort eine Aufstockung der Mittel gebenmuss.Ich muss sagen: Ich bin auch ein starker Verfechterder ländlichen Region. Leerstand und demografischerWandel berühren ja gerade unsere ländlichen Regionenund die vielen kleinen Städte. Ich finde, dass wir dasProgramm „Kleinere Städte und Gemeinden“, so wievon Minister Ramsauer angelegt, weiterführen sollten,um auch die kleinen Städte und die Fläche zu unterstüt-zen.
Der zweite Schwerpunkt ist die Energiewende. Dazuwurde schon viel gesagt. Ich glaube, es ist richtig undwichtig, dass wir uns die Regelungen, die wir im Baube-reich dazu treffen müssen, gut überlegen. Wir sollten dieEnergieeinsparverordnung, so wie sie jetzt in Kraft ist,wirken lassen. Wir haben eine EnEV 2014. Wir wissen,dass 2021 für den Wohnungsbau der Niedrigenergie-hausstandard der EU kommt. Das heißt, wenn wir jetztnicht noch maßgeblich daran herumdoktern, gibt es Pla-nungssicherheit für alle Beteiligten, für Investoren ge-nauso wie für Hausbesitzer, die dann dafür sorgen kön-nen, dass ihre Gebäude nach dem Standard, den wirvorgegeben haben, saniert werden.Es gibt mit dem Niedrigenergiehausstandard auchschon die Perspektive ab 2021. Wir werden dafür sorgen,dass das Programm entsprechend ausgestattet wird unddie notwendigen Mittel dafür zur Verfügung stehen. Aufdiese Art und Weise werden wir eine der wichtigen He-rausforderungen der nächsten vier Jahre in diesem Be-reich bewältigen.Als jemand, der vorher im Verkehrs- und Bauaus-schuss war, kann ich nur sagen, dass ich mittlerweilekeine Sorge mehr habe, was die Verbindung von Umweltund Bau angeht. Ich finde, dass die Bereiche Umweltund Bau sehr gut zusammenpassen und dass der Baube-reich auch im Umweltbereich einen angemessenen Stel-lenwert hat.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der
Kollege Steffen Kanitz für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Energiewende muss ein Erfolg werden. Das hatnicht zuletzt die gestrige Rede des Bundesenergieminis-ters gezeigt, und das ist ja auch gerade in der Debattenoch einmal deutlich geworden. Wir alle sind uns derBedeutung dieses Themas bewusst. Wir alle wollen, dassDeutschland zum Vorreiter einer modernen Energiepoli-tik wird, die sicher, sauber und bezahlbar ist. Damit fol-gen wir dem breiten gesellschaftlichen und politischenKonsens, in Deutschland endgültig ohne die Nutzungder Kernenergie auszukommen.
An dieser Stelle wird klar: Die erfolgreiche Umset-zung der Energiewende steht und fällt nicht allein mitdem Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern siehängt in ganz beträchtlichem Maße auch davon ab, obuns der Ausstieg aus der Kernenergie gelingt. Wir spre-chen insofern von zwei Seiten ein und derselben Me-daille.Erfolgreich, das heißt für mich vor allem Sicherheit,Transparenz und Bezahlbarkeit beim Restbetrieb derKernkraftwerke, ihrem Rückbau und der Entsorgung desradioaktiven Materials. Unser Koalitionsvertrag greift
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Steffen Kanitz
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diesen Grundsatz auf und bekräftigt noch einmal: DieSicherheit der Kernkraftwerke in Deutschland bleibtoberstes Gebot. Diese Zusicherung umfasst sowohl dieBetriebsdauer als auch die Stilllegung und den Rückbauder Kraftwerke. Aber die Sicherheit deutscher Kern-kraftwerke – auch das ist heute schon mehrmals ange-sprochen worden – reicht allein nicht aus. Wir müssenauch unsere europäischen Nachbarn, die nach wie vorauf Kernenergie setzen, mit einbeziehen. DeutschlandsKernkraftwerke zählen zu den sichersten der Welt. Al-lein deshalb sind wir verpflichtet, uns engagiert in dieeuropäische Sicherheitsdiskussion einzubringen.
Politik hat immer auch etwas mit Verantwortung zutun, insbesondere gegenüber denjenigen, die noch keineStimme haben. Deshalb meine ich: Die Generation, diemaßgeblich von günstigem Atomstrom profitiert hat,muss nun auch eine Lösung für die Beseitigung undlangfristig sichere Endlagerung der radioaktiven Abfällefinden. Wenn man sich die Intensität der Auseinander-setzung und die Dauerhaftigkeit des Konflikts zur Endla-gersuche vor Augen führt, dann darf die Einigung, diewir im letzten Sommer gemeinsam erzielt haben und dieanschließend zum Standortauswahlgesetz geführt hat,durchaus als historischer Erfolg bewertet werden.
Wir sind übereingekommen, dass wir die Hinterlas-senschaft der Kernkraft gemeinsam und in Deutschlandbewältigen werden, damit von radioaktiven Abfällenkeine Gefahr für jetzige und künftige Generationen aus-geht. Entscheidend für den Erfolg ist, dass das verab-schiedete Gesetz Ausdruck eines gesamtgesellschaftli-chen Dialoges ist, den unser ehemaliger UmweltministerNorbert Röttgen einmal als „Verantwortungs- und Si-cherheitskonsens für Deutschland“ bezeichnet hat.An dieser Stelle danke ich ganz herzlich allen Betei-ligten, die eine solche Verständigung auf Basis vonKompromissbereitschaft und Transparenz ermöglichthaben, insbesondere dem damaligen UmweltministerPeter Altmaier, aber auch den zuständigen Berichterstat-terinnen und Berichterstattern in den Fraktionen.Diese Gesprächskultur des Dialogs wollen wir fort-setzen. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft in Formvon öffentlichen Anhörungen und Bürgerforen werdenwir auch weiterhin sicherstellen. Denn nur so entstehtTransparenz und letztlich die dringend notwendige Ak-zeptanz für die zu treffende Standortentscheidung.
Eine umfassende Beteiligung bedeutet für mich, dasssämtliche interessierten Akteure an der Suche mitwir-ken. Dazu zähle ich neben den Kirchen, der Wirtschaftund den Gewerkschaften ausdrücklich auch die Umwelt-verbände. Dass es strittige Themen gibt und dass wir ei-nen steinigen Weg vor uns haben, ist, glaube ich, allenklar. Doch im Interesse eines tragfähigen, ausgewogenenKompromisses halte ich es für unabdingbar, dass alleBetroffenen mit am Verhandlungstisch sitzen.
Mein Dank gilt deshalb unserer neuen Bundesum-weltministerin, Frau Hendricks, die gestern noch einmaldeutlich an die Umweltverbände appelliert hat, die„Chance des Mitwirkens nicht verstreichen zu lassen“.
Ich pflichte ihr bei. Eine Beteiligung am Suchprozessvon vorneherein abzulehnen, entspricht nicht dem über-parteilichen Geist, in dem wir das Standortauswahlge-setz verabschiedet haben. Daher möchte auch ich um dieBeteiligung der Umweltverbände am Suchverfahrenwerben.
Die Suche nach einem Endlager soll laut Gesetz er-gebnisoffen und vergleichend gestaltet werden. Dahergibt es keine Vorfestlegungen, weder auf Gesteinsforma-tionen noch auf einzelne Standorte. Das Auswahlverfah-ren wird durch eine ausgewogen besetzte Kommissionvorbereitet. Bis Ende 2015 soll die Arbeit der Kommis-sion abgeschlossen sein und ein Bericht als Grundlageder Standortsuche vorliegen.Das ist ein ambitioniertes Ziel, für das wir alle ge-meinsam Verantwortung tragen. Jetzt wird es daraufankommen, nahtlos an die allgemein akzeptierten undausgewogenen Vereinbarungen aus dem Sommer 2013anzuknüpfen. Die Vorgehensweise, auf die wir uns allegeeinigt haben, darf nicht infrage gestellt, sondern mussjetzt umgesetzt werden. Wir als Union werden jedenfallsunseren Beitrag dazu leisten.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, ich bin optimistisch, dass wir die anstehendenHerausforderungen, insbesondere die Suche nach einematomaren Endlager, gemeinsam, verantwortungsvoll undsicher lösen können, genauso wie wir gemeinsam denAusstieg aus der Kernenergie beschlossen haben. Ichfreue mich auf die Zusammenarbeit.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Kanitz, zu Ih-rer ersten Rede und viel Erfolg bei der künftigen parla-mentarischen Arbeit.
Damit ist auch für diesen Geschäftsbereich die vorge-sehene Debatte, heute jedenfalls, zu Ende.Ich rufe nun als nächsten Geschäftsbereich den Be-reich Bildung und Forschung auf. Auch hierfür ist eine
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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60-minütige Debatte vereinbart. Das Wort erhält zu-nächst die Bundesministerin Dr. Johanna Wanka.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie kannes sein, dass Deutschland – dieses kleine Deutschland –das Land in der Welt ist, das absolut betrachtet die meis-ten Hightechprodukte exportiert, mehr als die riesigenUSA und mehr als China, die ja ganz andere Produk-tionskapazitäten haben? Wie kann es sein, dass Deutsch-land, wo gerade einmal 1,2 Prozent der Weltbevölkerungleben, die viertstärkste Industrienation ist? Da muss manmit Recht fragen: Was ist die Basis dafür? Die Basis istDeutschlands starke Innovationskraft. Sie gründet aufForschung und Entwicklung und Bildung.Wenn man sich – es gibt viele Rankings – die schönenZahlen anschaut, wird aber auch eines klar: Der globaleWettbewerb wird stärker, wird heftiger. Deswegen ist derKoalitionsvertrag ein starkes Signal, dass gute Bildungund leistungsstarke Forschung in unserem Land weiter-hin eine Zukunft haben. Dafür werden wir uns in dennächsten vier Jahren gemeinsam engagieren.
Wir untermauern das im Koalitionsvertrag mit finan-ziellen Zusagen. Von den 23 Milliarden Euro, die zusätz-lich bereitgestellt werden, fließen 9 Milliarden Euro– das ist der größte Brocken, mehr als ein Drittel – in dieBereiche Forschung, Hochschule, Schule, Kita. Davonwollen wir 6 Milliarden Euro so anlegen, dass die Län-der entlastet werden. Die Koalition macht damit deut-lich, dass Bildung, Wissenschaft und Forschung für sieweiterhin Kernanliegen sind. Für mich resultieren darausfür die nächsten Jahre drei Hauptaufgaben – sie sind ent-scheidend –:Erstens: die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stär-ken, das heißt, die gerade beschriebene Innovationskrafterhalten und nach Möglichkeit ausbauen. Das ist einzentrales Ziel.Zweitens: die Zukunftsarchitektur des Wissenschafts-systems bauen, das heißt die Leitplanken für die dynami-sche Weiterentwicklung des Systems.Drittens: Bildungsgerechtigkeit. Wir leben in einemreichen Land. In diesem Land müssen jedem und jederLebenschancen durch Bildung eröffnet werden.
Zum Punkt Wettbewerbsfähigkeit. Seit acht Jahrenbündeln Bundesregierung, Wissenschaft und Wirtschaftin der Hightech-Strategie ihre Kräfte für Innovation. Daszahlt sich aus. 2012 haben wir zum ersten Mal erreicht,dass 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – dabei ist dieWirtschaft in starkem Maße, zu zwei Dritteln, beteiligt –für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden. Inzahlreichen Rankings – von der EU und von vielen ande-ren – steht Deutschland sehr gut da.Wirtschaftsminister Gabriel hat gestern das ThemaBatterieforschung angesprochen. Ich will dieses Themaals Beispiel nehmen, um zu illustrieren, wie die High-tech-Strategie funktionieren kann und funktioniert. Bat-terieforschung ist für die Energiewende von zentralerBedeutung. Deutschland war im letzten Jahrhundert aufdiesem Gebiet weltmarktführend. Im Jahr 2008 dagegengab es kaum noch Professoren für Elektrochemie, es gabin diesem Bereich nur ganz wenige Wissenschaftlerüberhaupt, es gab keine nachfragende Industrie. Es waraber schon damals klar, dass dieser Bereich in dennächsten Jahren systemrelevant werden würde. Deswe-gen wurde im Rahmen der Hightech-Strategie wirklichviel Geld in die Hand genommen, um diesen Bereich zupushen. Mittlerweile sind wir im Forschungsbereich dermodernen elektrochemischen Batterien wieder welt-marktführend.Das reicht aber noch nicht aus. Der Ansatz ist: Esmuss transferiert werden. Wir haben einen Industriever-bund, dem alle Firmen, die mit der Wertschöpfung derBatterieproduktion zu tun haben, angehören. Darüber hi-naus haben wir in Ulm die Schaffung einer Produktions-anlage unterstützt, in der geforscht werden kann. Diesestartet im Sommer ihren Betrieb. Das ist ein entschei-dender Schritt auf dem Weg, vielleicht auch in der Pro-duktion eine Weltmarktführerschaft zu erreichen. ZurMassenproduktion ist aber ein weiterer Schritt nötig. Ichwill mich gerne zusammen mit meinem KollegenGabriel um dieses Thema kümmern.
Eine solche Hightech-Strategie zu verfolgen, dieInnovationskraft zu stärken, ist das eine. Darüber hinausist es genauso wichtig, dass Deutschland als starke In-dustrienation eine große Verantwortung für die globalenAufgaben, die globalen Herausforderungen in der Weltübernimmt. In der Debatte zum vorherigen Tagesord-nungspunkt ging es um Klimawandel. Hier wird sichDeutschland, gerade weil wir auf diesem Gebiet starksind, auch mit Forschungsleistungen hervortun müssen.Die Hightech-Strategie wollen wir – das haben wir imKoalitionsvertrag beschlossen – ressortübergreifend zueiner allgemeinen Forschungs- und Innovationsstrategieweiterentwickeln. Dabei muss man immer wieder beto-nen: Es geht nicht nur um wirtschaftliche Innovationen;genauso entscheidend und wichtig sind gesellschaftlicheInnovationen.
Die Eckpunkte zu dieser Weiterentwicklung will ich imzweiten Quartal vorlegen.Diese Weiterentwicklung wollen wir sehr eng mitdem Programm Horizon 2020 auf europäischer Ebeneverzahnen. Auch die Kooperation mit Entwicklungslän-dern und aufstrebenden Wissenschaftsländern wollenwir forcieren.
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Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Im Mittelpunkt stehen natürlich die Bereiche, die In-novationstreiber sind; ich kann das jetzt nicht im Detailausführen. Als Beispiel nenne ich die Digitalisierung:Wir haben das Wissenschaftsjahr zur Digitalisierung, woes vor allem um die Diskussion mit der Bevölkerung undderen Ängste geht. Wir werden zum Beispiel im Früh-jahr zwei große Kompetenzzentren für Big Data eröff-nen. Beim Projekt Industrie 4.0 sind wir gut aufgestellt.Mit dieser Strategie können wir ganz weit oben mitspie-len. Daraus ergeben sich riesige Chancen zur Erhaltungdes Wohlstands in Deutschland.Zur Energieforschung. Die Energieforschung müssenwir an den Themen der Energiewende ausrichten. Wirhaben im letzten Jahr die Forschungsplattform Energie-wende gebildet, die in sehr starkem Maße ein Gremiumzur Abstimmung auch mit Wirtschaft und Wissenschaftist. Im Rahmen dieses Forschungsforums werden wir bisEnde dieses Jahres mit allen Beteiligten, das heißt mitWirtschaft, Umwelt und Wissenschaft, eine Forschungs-agenda im Bereich Energie für die nächsten Jahre auf-stellen: Was sind die Themen, die zuerst bearbeitet wer-den müssen? Worauf wollen wir uns konzentrieren? –Diese Agenda steht zum Ende des Jahres.
Zum Thema Gesundheitsforschung. Gesundheitsfor-schung wird weiterhin einen hohen Stellenwert behalten.Dies gilt auch für die anderen Themen, die in der High-tech-Strategie zu finden sind.Im Zusammenhang mit der Wettbewerbsfähigkeitsind auch die Fachkräfte ein wichtiges Thema. Wir ha-ben in Deutschland zwei starke Säulen in Bezug auf dieAusbildung von Fachkräften. Die erste Säule ist der aka-demische Bereich. Hier haben wir in den letzten Jahrensehr viel gemacht; von Bund und Ländern sind Milliar-den geflossen. Die Erfolge waren groß, wie man zumBeispiel an der Zahl der Studierenden sehen kann. Es istauch beabsichtigt, das fortzuführen. Ich nenne nur diedritte Phase des Hochschulpaktes.Die zweite Säule im Bereich Fachkräfteausbildung istdas duale Ausbildungssystem. Dieses wird weltweit ge-lobt und bewundert. Hier besteht aber Handlungsbedarf.
Das ist ein entscheidender Schwerpunkt in dieser Legis-laturperiode. Wir wollen für den Bereich der beruflichenBildung vieles tun, zum Beispiel mit dem großen Paket„Chance Beruf“. Natürlich geht es – ohne auf Detailseinzugehen – auch darum, das eine oder andere modell-haft auszuprobieren. Uns geht es in dieser Legislatur-periode aber darum, Dinge, die gut und wichtig sind, flä-chendeckend umzusetzen. Das ist das strategische Ziel.
Dass die präventiven Möglichkeiten für junge Leuteim Bereich „Chance Beruf“ genutzt werden, ist einer-seits natürlich volkswirtschaftlich wichtig – wir brau-chen die Fachkräfte –, aber nicht nur. Denn das ist ande-rerseits auch entscheidend für das Lebensglück derMenschen, weil nur eine gerechte Bildung individuelleZukunftschancen ermöglicht. Deswegen ist das ThemaBildungsgerechtigkeit ganz zentral.Wir werden den Ausbildungspakt gemeinsam mit al-len Sozialpartnern weiterentwickeln und das Thema „all-gemeine Weiterbildung“ – gerade auch für die Älteren –sehr stark mit in den Fokus nehmen.
– Ich habe gerade das Wort „Wochenende“ hinter mir imPräsidium gehört und dachte, das bezieht sich auf meineRede.
Der Redner sollte sich immer nach vorne konzentrie-ren, Frau Ministerin, nie nach hinten.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Ich dachte, das war eine launige Bemerkung zur Wei-terbildung.
Zu dem Bereich Bildungsgerechtigkeit gehört natür-lich auch das Thema Ausbildungsförderung bzw.BAföG. Wir haben vor wenigen Tagen den 20. BAföG-Bericht im Kabinett verabschiedet. Die letzte Novelle imJahre 2010 hat strukturelle Veränderungen gebracht, so-dass wir jetzt sagen können: Migranten erhalten sehr vielhäufiger als zuvor BAföG, und unsere deutschen Studen-ten sind sehr viel flexibler, wenn es um Auslandsaufent-halte geht. Die nächste BAföG-Novelle muss aber kom-men, und wir gehen zügig an diese Arbeit.
Ich komme zum letzten Punkt. Es geht um die Zu-kunft des Wissenschaftssystems. Wir müssen die neueArchitektur in diesem Bereich weiterbauen. Sie alle wis-sen: Es gibt Pakte und die Exzellenzinitiative. Wir habendort ganz viel in Bewegung gebracht; es gibt eine großeDynamik. Wir können jetzt aber nicht damit fortfahren,dass ständig neuer Wettbewerb entsteht, sondern darausmüssen jetzt auch einmal langfristige Strukturen erwach-sen. Vor allen Dingen muss die Balance zwischen denaußeruniversitären Einrichtungen und den Hochschulenwiederhergestellt werden. Deswegen geht der Bund dortentscheidend heran; er will sich an der Grundfinanzie-rung der Hochschulen beteiligen.
Das alles kann man nur in Verhandlungen mit denLändern erreichen. Der Bund ist hier nicht der alleinigeSpieler. Wir versuchen, gemeinsam mit den Ländern ei-nen nationalen Zukunftspakt zu schnüren.Wir müssen weiter über Art. 91 b des Grundgesetzesdiskutieren. Ich glaube, wenn wir dort Bewegung errei-
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Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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chen, dann werden wir das Geld sehr viel besser einset-zen können.
Wir haben ehrgeizige Ziele, die für viele Häuser rele-vant sind. Bei dem einen oder anderen Ziel ist das Herz-blut in den Häusern naturgemäß sicher unterschiedlichverteilt; das ist völlig klar. Diese Koalition steht aber ge-meinsam für Innovationen, für nachhaltigen Wohlstandund für individuelle Zukunftschancen für alle in diesemLand.Danke.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Frau Kol-
legin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmuss mich schon wundern: Zwei Monate Koalitionsver-handlungen, und dann kommt so etwas heraus!
Wer einen Aufbruch in der Bildung erwartet hatte, wurdebitter enttäuscht.
– Entschuldigung, in der Rede von Frau Wanka kamendie Begriffe „Bildung“, „allgemeine Bildung“ und„schulische Bildung“ noch nicht einmal vor.Die GEW attestierte sehr zu Recht einen „fehlendenpolitischen Gestaltungswillen“, der studentische Dach-verband fzs spricht von einer Fortführung der Politik der„befristeten Finanzspritzen nach Stimmungslage“, undsogar der Deutsche Philologenverband nannte das Er-gebnis „konturlos“.
– Daran sehen Sie einmal, wie breit die Kritik an IhremVorschlag ist.Man hätte es nicht für möglich gehalten, aber dieGroße Koalition setzt auf die unsoziale Politik vonSchwarz-Gelb
sogar noch eins drauf; denn auf das drängendste Pro-blem, dass die Länder immer weniger Geld für Investi-tionen im Bildungsbereich haben und aufgrund derSchuldenbremse vor massiven Kürzungen stehen, gibtdiese Regierung einfach keine Antwort.
Sie gibt nicht nur keine Antwort, sondern sie verweigertauch auf der Hand liegende und zum Greifen nahe Lö-sungen. Das ist nicht nur mangelnde politische Gestal-tung, sondern das ist eigentlich schon unterlassene Hilfe-leistung.
Zwei Dinge wären bitter nötig: erstens eine Steuer-politik, die auch einmal die Reichen zur Kasse bittet, umdie öffentlichen Haushalte überhaupt in die Lage zu ver-setzen,
die großen Aufgaben in der Bildung anzupacken, undzweitens die Aufhebung des Kooperationsverbotes, da-mit es dem Bund nicht länger verboten ist, in der Bil-dung mitzufinanzieren.
Aber Sie in der Koalition haben sich bereits vor Beginnder Koalitionsverhandlungen darauf verständigt, aufSteuergerechtigkeit zu verzichten.
Sprich: Bevor Sie überhaupt wussten, was Sie inhaltlichwollen, wussten Sie bereits, dass Sie es nicht finanzierenkönnen.Dass Sie sich dann aber noch nicht einmal darauf ei-nigen konnten, das Kooperationsverbot abzuschaffen,versteht wirklich niemand. Das ist doch inzwischen ein-hellige Meinung. Selbst Ihre Ministerin, Frau Wanka, hatim Wahlkampf erklärt, es wäre Zeit, dieses Relikt abzu-schaffen. Ich frage mich: Was hindert Sie daran? Wiesotun Sie es nicht einfach mit Ihrer hier existierenden Vier-fünftelmehrheit?
Sie kündigen ein Jahrzehnt der Hochschulen an, ha-ben aber keine Idee, wie Sie das finanziell untersetzensollen. Es ist vor allem eine finanzielle Frage; denn inden meisten Hochschulen bröckelt mittlerweile etwasmehr als nur der Putz: Da wackelt wirklich das Funda-ment. In Sachsen werden gerade 30 Studiengänge ge-schlossen. An der Uni Bremen sollen 140 Stellen gestri-chen werden. In Thüringen stehen sogar 500 Stellen zurDisposition. Wenn das der Anfang Ihres Jahrzehnts derHochschulen ist, dann graut einem wirklich davor, wiees weitergeht.
Kommen wir zur Haltung der SPD. Ich denke zumBeispiel an Ihren Beitrag, Herr Rossmann, in der Frank-furter Rundschau vor zwei Wochen, als Sie das Ergebnisdes Koalitionsvertrages ziemlich treffend, wie ich finde,einen „Flop“ genannt haben.
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Nicole Gohlke
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Da hat man dann doch den Eindruck, die SPD hat Mühe,sich selbst von der propagierten sozialdemokratischenHandschrift im Koalitionsvertrag zu überzeugen. Das istauch kein Wunder; denn der Abschnitt zu Bildung undWissenschaft gibt das nicht her. Kein Wort mehr zu dengroßen SPD-Wahlkampfversprechen: kein Wort mehrzum Ganztagsschulprogramm oder zum Ausbau derSchulsozialarbeit.Die SPD hat für eine BAföG-Reform und für einEnde des Deutschlandstipendiums Wahlkampf gemacht.Jetzt bekennen Sie sich zur Fortführung dieses Stipen-dienprogramms. Das Thema BAföG taucht gar nichtmehr auf. Statt der überfälligen BAföG-Erhöhung schöntdie Regierung lieber den BAföG-Bericht, wie vor zweiTagen geschehen.
Frau Kollegin, ich darf ganz kurz eine Atempause bei
Ihnen nutzen: Der Kollege Rossmann von der SPD-
Fraktion möchte Ihnen eine Frage stellen. Lassen Sie sie
zu?
Ja, gerne.
Bitte schön, Kollege Rossmann.
Frau Kollegin, Sie haben sich auf das bezogen, was
ich in der Frankfurter Rundschau geschrieben habe.
Meine Frage ist: Stimmen Sie darin überein, dass ich
nicht den Koalitionsvertrag und die Vereinbarungen zu
Bildung und Forschung insgesamt als „Flop“ bezeichnet
habe, sondern geschrieben habe, dass wir das BAföG aus
dem „schwarzen Loch“ herausholen wollen? Haben Sie
auch gehört, dass unsere Bundesbildungsministerin
diese Neugestaltung des BAföG in ihrer Erläuterung
zum Koalitionsvertrag angekündigt hat?
Das habe ich gehört. –
Ich finde es trotzdem bemerkenswert, dass Ihre Rolle inder Regierung momentan darin besteht, dass Sie IhreMeinung in den Medien publizieren und dadurch denKoalitionspartner dazu auffordern, auf bestimmten Ge-bieten etwas zu tun, weil dazu nichts im Koalitionsver-trag steht. Da ist natürlich das BAföG an allerersterStelle zu nennen. Ich finde es schon erstaunlich, wie eineabsolut mickrige Studienfinanzierung wie das Stipen-dienprogramm Eingang in einen Koalitionsvertrag findet
und die wichtigste Säule der individuellen Bildungs-finanzierung wie das BAföG nicht einmal erwähnt wird.Das lässt schon tief blicken.
Die SPD hat sich auch für die Grund- und Ausfinan-zierung der Hochschulen starkgemacht. Jetzt lesen wirim Koalitionsvertrag ausschließlich von befristeten Pro-grammen und Wettbewerben, wie der x-ten Auflage desHochschulpaktes oder der Exzellenzinitiative, was aberdoch – das muss man sagen – an den Bedarfen der aller-meisten Hochschulen völlig vorbeigeht.Sie wissen doch auch: Genau diese Politik von Paktenund befristeten Programmen ist doch der Grund, warum90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen undMitarbeiter an Hochschulen befristet und prekär be-schäftigt sind. Immerhin da sieht die Koalition Hand-lungsbedarf und will das Wissenschaftszeitvertragsge-setz novellieren. Gleichzeitig sagen Sie, dass Sie vorallem die Hochschul- und Wissenschaftseinrichtungen inder Pflicht sehen, dieser Entwicklung gegenzusteuern.Es wäre nicht das erste Thema, bei dem sich die Regie-rung aus der Verantwortung ziehen will.Die Linke fordert, die Tarifsperre im Wissenschafts-zeitvertragsgesetz abzuschaffen und eine Mindestver-tragslaufzeit von zwölf Monaten für wissenschaftlicheMitarbeiterinnen und Mitarbeiter festzulegen.
Es muss für diejenigen, die Kinder betreuen oder Ange-hörige pflegen, der Anspruch auf Verlängerung der Be-fristungshöchstdauer verbindlich festgeschrieben wer-den. Das ist natürlich eine Aufgabe des Gesetzgebers.Hören Sie auf, sich davor wegzuducken!
Das große Problem der Großen Koalition ist dochFolgendes: Sie denken Bildung und Wissenschaft vomWettbewerb her, als Standort- und Wirtschaftsfaktor; ichdenke, die Rede von Frau Wanka gerade war ein guterBeleg dafür.
Die Bedürfnisse der Studierenden und der Beschäftigten,der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schülerinnen undSchüler sind für Sie doch bestenfalls nachrangig.
Ich sage Ihnen: So kann man an Bildung und ihren in-dividuellen und gesellschaftlichen Anspruch nicht he-rangehen, und das wird Ihnen noch auf die Füße fallen.Vielen Dank.
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882 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
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Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
René Röspel von der SPD-Fraktion.
Oh, schnell noch einen Schluck Wasser zu trinken,wird schon auf meine Redezeit angerechnet. Schade,hätte ich das gewusst!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich glaube, dass sich nur wenige andere Abge-ordnete so intensiv mit dem Koalitionsvertrag befasstund auch dafür geworben haben wie die Abgeordnetender SPD-Fraktion.
Denn es war eine wirklich gute, aber auch mutige Ideedes Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, den Mitgliedernder SPD die Entscheidung über den Koalitionsvertrag indie Hand zu geben. Das hat dazu geführt, dass wir inganz vielen Veranstaltungen nicht nur mit Mitgliedernder SPD, sondern auch mit Nichtmitgliedern den Koali-tionsvertrag diskutiert haben. Ich habe das als ungeheuermobilisierend und motivierend erlebt. Es waren offeneDiskussionen.Nicht nur das Erlebnis der Mobilisierung ist positiv.Wir haben, glaube ich, auch eine sehr gute Wahrneh-mung bekommen, liebe Kollegin Gohlke, was für dieMenschen an diesem Koalitionsvertrag wichtig ist. Da-bei hatte ich eine andere Wahrnehmung als Sie. Daherteile ich das, was Sie gerade vertreten haben, nicht; daswill ich Ihnen deutlich sagen.Klar ist, dass es ohne bestimmte Abschnitte in diesemKoalitionsvertrag die Zustimmung der SPD nicht gege-ben hätte. Der Mindestlohn oder das, was Andrea Nahlesjetzt mit der Rente ab 63 auf den Weg bringt, waren defi-nitiv ganz wichtig. Ohne diese Punkte hätte es keine Zu-stimmung gegeben.Die Mitglieder und auch viele andere Menschen wa-ren sehr begeistert, dass wir das fortsetzen, was 1998 indiesem Haus von einer rot-grünen Koalition begonnenworden ist, nämlich endlich wieder einen Schwerpunktauf Bildung und Forschung in diesem Land zu setzenund auch mehr Geld in die Hand zu nehmen. Es ist gut,dass alle Regierungen danach, die Große Koalition, aberauch Schwarz-Gelb, diesen Weg fortgesetzt haben. Da-rüber sind alle froh.
Dieser Konsens in Deutschland unterscheidet uns mitt-lerweile von anderen Ländern und hat uns auch nachvorne gebracht.Gar nicht glücklich waren unsere Mitglieder darüber,dass es nicht noch mehr Geld gegeben hat. Denn mit9 Milliarden Euro ist weniger Geld als in der letzten Le-gislaturperiode vorgesehen. Aber das lag auch daran,dass leider mit dem Koalitionspartner in Sachen Steuer-gerechtigkeit nicht mehr möglich war. Aber das ist ein-fach so.Ganz unzufrieden – auch das gehört dazu – waren dieMitglieder gerade in meiner Heimatregion, dem Ruhrge-biet, aber auch in vielen anderen Städten darüber, dasswir die Union nicht davon überzeugen konnten, dass dieSchulsozialarbeit weiter eine Leistung des Bundesbleibt. Denn das ist unerhört wichtig für die Schulen.Aber wir werden einfach weiter darüber reden.
– Wir werden versuchen, das zu ändern. Dafür haben wirnoch vier Jahre. Aber der Koalitionsvertrag gibt es ersteinmal nicht her. Das ist definitiv so.
Ich will mich in der restlichen Redezeit auf den Be-reich Forschung konzentrieren – der Kollege Kaczmarekwird gleich noch detaillierter auf die Bildung eingehen –und sagen, warum der Forschungsteil in allen Diskussio-nen, die wir geführt haben, sehr gut weggekommen ist.Das will ich an einigen Punkten deutlich machen.Wir sind und waren uns in diesem Land sicherlich alleeinig – Frau Wanka hat das vorhin auch betont –, dassdie Stärke, der Wohlstand und der wirtschaftliche Erfolgdieses Landes sich daran bemessen lassen müssen, dassdie Menschen in diesem Land gute Arbeit verrichten.Dass vieles nicht in Ordnung ist und dass der Arbeits-markt wieder in Ordnung gebracht werden muss, ist daseine. Das wird Arbeitsministerin Andrea Nahles in dennächsten Jahren auch richten.Aber das andere ist, in die Zukunft zu blicken und zuüberlegen, wie wir es sicherstellen können, dass inDeutschland weiterhin gute Produkte unter vernünftigenArbeitsbedingungen und möglicherweise innovativenArbeitsmodellen hergestellt werden, die es zum Beispielauch ermöglichen, Familie und Beruf zu vereinbaren. Indiesem Zusammenhang ein Wort zu einer anderen De-batte: Ich fand den Vorschlag von Manuela Schwesig zudem, was da überhaupt möglich ist, höchst interessant.Dem sollten wir uns noch einmal widmen.Ein wichtiger Punkt, den wir in den letzten Jahren im-mer wieder gefordert und jetzt in den Koalitionsvertraghineingebracht haben, ist, dass wir den Bereich der Ar-beitsforschung, Dienstleistungsforschung und Produk-tionsforschung wieder stärken und in Verbindung undenger Abstimmung mit den Sozialpartnern unseren Bei-trag zu einer Humanisierung der Arbeitswelt leisten.Auch dieser Bereich wird in Zukunft sicherlich denWohlstand in Deutschland sichern.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für mich die Genera-tionengerechtigkeit, nämlich die Frage, wie wir diesenPlaneten an unsere Kinder und Kindeskinder übergeben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 883
René Röspel
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Dabei spielt die Energie- und Klimaforschung eine zen-trale Rolle. Ich hätte mir gewünscht, dass schon vor vierJahren der Satz im Koalitionsvertrag gestanden hätte,den wir nun hineingeschrieben haben, nämlich dass wirdie Energieforschung konsequent an der Energiewendeausrichten werden. Ich freue mich, Frau Wanka, dass Siedas schon in allen Medien so deutlich vertreten; das istdringend erforderlich. Ich hätte mir nur gewünscht, dassdas schon früher der Fall gewesen wäre.
Ein weiterer Bereich, der uns am Herzen liegt, ist das,was wir als Forschung für die Gesundheit des Menschenbezeichnen. Wir wollen nicht nur schwerpunktmäßig dieEntwicklung von Medikamenten, Arzneimitteln undTechnologien in den Vordergrund stellen. Gesundheits-forschung ist mehr. Da geht es um Prävention und dieGesunderhaltung des Menschen. Es geht nicht nur da-rum, Menschen gesund zu machen, wenn sie krank sind,sondern auch darum, die Arbeits- und Lebensbedingun-gen so zu gestalten, dass Menschen erst gar nicht krankwerden. Das umfasst auch eine Altersforschung, die sichmit den Bedingungen befasst, unter denen Pflegende ar-beiten und Pflegebedürftige leben müssen. Das ist einbreiterer Begriff von Gesundheitsforschung als in denletzten Jahren. Ich bin froh, dass wir das so im Koali-tionsvertrag niedergeschrieben haben.
Auch beim letzten Punkt bin ich mit Herzblut dabei,und zwar nicht nur weil gestern Abend die KolleginHübinger und die Exkollegin Roth den Preis für das En-gagement gegen vernachlässigte Krankheiten in der Ka-tegorie „Politischer Wille“ – ich gratuliere dazu – erhal-ten haben. Als eines der reichsten Länder der Welt, dasüber eine hervorragende Forschung verfügt, haben wirauch Verantwortung gegenüber jenen Ländern, die nichtin der Lage sind, sich hier stabil aufzustellen. 3 Milliar-den Menschen, die an sogenannten vernachlässigten, ar-mutsassoziierten Krankheiten leiden, ohne dass es nötigwäre, weil es längst entsprechende Medikamente gibt,warten darauf, dass wir ihnen helfen. Deswegen bin ichfroh, dass wir in den Koalitionsvertrag hineingeschrie-ben haben, dass wir die Forschung betreffend die ver-nachlässigten Krankheiten stärken wollen, um in Ent-wicklungs- und Schwellenländern unseren Beitrag zuleisten.Mein Dank geht an den Kollegen Helge Braun, derbei den Koalitionsverhandlungen auf der anderen Seitesaß. Wir haben offene Türen eingerannt. Wir haben hiereine Verpflichtung.Mit unserem Forschungsprogramm können wir nichtnur Deutschland, sondern die ganze Welt vielleicht einbisschen besser machen. Ich lade Sie alle dazu ein, darankonstruktiv mitzuarbeiten.Vielen Dank und ein schönes Wochenende, Herr Prä-sident.
Das Präsidium hat ausnahmsweise dem Kollegen
Röspel die Wassertrinkzeit am Anfang seiner Rede wie-
der an das Ende drangehängt, sodass er zu seinem Recht
gekommen ist.
Als Nächstem gebe ich das Wort dem Kollegen Kai
Gehring, Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerKoalitionsvertrag von Union und SPD trägt die Über-schrift „Deutschlands Zukunft gestalten“.
Das klingt ähnlich gut wie viele andere Überschriften,auch im Bildungs- und Forschungskapitel. – Sie sindleicht zufriedenzustellen, meine Damen und Herren vonder Koalition.Schaut man aber hinter die Zukunftsprosa von besse-rer Grundfinanzierung der Hochschulen, Innovations-strategie und Bioökonomie, dann fällt auf: Gerade IhremBildungs- und Forschungskapitel fehlen ambitionierteund ausfinanzierte Konzepte. Es fehlen vor allemSchritte zur konkreten Umsetzung.
Sehr konkret wird es dagegen bei den beiden Schwer-punkten dieser Regierung. Mit Ihren Eckpunkten zurEnergiewende bremsen Sie die Ausbaudynamik der er-neuerbaren Energien aus. Damit verzögern Sie Innova-tionen und neue Technologien für eine emissionsarmeund ressourcensparende Wirtschaftsweise, die dem Kli-maschutz dient. Da droht viel Rückschritt und wenigFortschritt.
Der zweite Schwerpunkt, Ihr Rentenpaket. Pro Jahrgehen zusätzlich 10 Milliarden Euro an einzelne, wenigeRentnergruppen.
Trotz dieser großen Summe lösen Sie das große Problemder Altersarmut nicht. Herr Rossmann, im Vergleich dazusind die pro Jahr vorgesehenen zusätzlichen 2,25 Milliar-den Euro für die gesamte Bildungskette – für Kitas,Schulen, Fachhochschulen, Universitäten, Weiterbildungund Forschung – geradezu mickrig.
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884 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Kai Gehring
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Das zeigt doch, dass Sie in die junge Generation kauminvestieren. Das ist zukunftsvergessen.Schauen wir uns Ihren Koalitionsvertrag genauer an.Darin fehlen Initiativen gegen Kinderarmut und Bil-dungsarmut. Chancen dürfen aber nicht vom Konto odervon der Postleitzahl des Elternhauses abhängen. Wirwollen endlich Klarheit, wie Sie die Qualität der Kitasverbessern und die entsprechende Finanzierung sicher-stellen wollen.Wir halten es weiterhin für falsch, dass Sie an der Bil-dungsfernhalteprämie Betreuungsgeld festhalten.
Wir halten das nicht für richtig.
Dem bundesfinanzierten Programm Schulsozial-arbeit haben Sie keine Zukunftsperspektive geschaffen.Das geht zulasten vieler Schülerinnen und Schüler. Dasalles ist bildungspolitisch kontraproduktiv und für dieMehrheit der Familien in unserem Land enttäuschend.
In Ihrem Vertrag fehlt ein Vorschlag für ein Ende desKooperationsverbotes. Ich hatte wirklich gehofft, dasseine Große Koalition, die uns diese Bildungs- und Wis-senschaftsblockade im Grundgesetz vor acht Jahren ein-gebrockt hat, die Kraft aufbringt, sie auch wieder einzu-reißen.
Wenn sich das nicht ändert, fällt ein dringend notwendi-ges neues Ganztagsschulprogramm wohl aus.
– Wir reden mit Herrn Kretschmann, Sie reden mit IhrenMinisterpräsidenten.Dass sich aber eine 80-Prozent-Mehrheit des Deut-schen Bundestages hinter Herrn Kretschmann versteckt,
ist auch putzig.
Greifen Sie doch endlich unseren Vorschlag auf, einenReformkonvent einzurichten, in dem sich Bund undLänder zusammensetzen. Wir sollten eine gemeinsameLösung finden; ich halte sie für möglich. Weil Sie, HerrHeil, das Kooperationsverbot nicht abschaffen,
können Sie nämlich Ihr Versprechen eines Masterplansin Höhe von 8 Milliarden Euro für Ganztagsschulen, einSPD-Versprechen, das Sie im Parlament und im Wahl-kampf gegeben haben, wohl nicht einlösen. Das ist fatal;denn der Ganztagsschulausbau ist wichtig, um allenChancen zu eröffnen. Den Ausbau zu drosseln, ist fahr-lässig.
Ich habe mir eben die Äußerungen von Frau Wankazum BAföG mit großem Interesse angehört. Ich hoffe,dass ihren Ankündigungen im Plenum und auch in denvielen Interviews wirklich Taten folgen;
denn im Koalitionsvertrag fehlt jede Aussage zumBAföG, und das ist schlicht peinlich. Der BAföG-Be-richt, der diese Woche im Kabinett behandelt wurde, hatsehr deutlich gemacht, wie dringend notwendig derHandlungsbedarf ist. Der Reformdruck steigt. Deshalbsage ich: Das BAföG muss noch in diesem Jahr erhöhtwerden. Das ist extrem wichtig für eine neue sozialeÖffnung unserer Hochschulen und für die Studierendenin unserem Land.
Frau Wanka, Sie haben vorhin viel über Innovationengesprochen. Aber was in Ihrem Koalitionsvertrag auchfehlt, ist die steuerliche Forschungsförderung für KMU.Das heißt, die Große Koalition behält bei, dass staatlicheForschungs- und Innovationsförderprogramme an klei-nen und mittleren Unternehmen weitestgehend vorbeige-hen. Das bremst Innovationen. Das halten wir für falsch.Wir halten die steuerliche Forschungsförderung weiterfür richtig.
In Ihrem Vertrag fehlt die Klarheit, wie Sie die Ener-gieforschung ganz konkret auf die Energiewende aus-richten wollen. Wir sehen durchaus richtige Ansätze,wie die Stärkung der Klimaforschung oder auch derMeeres- und Polarforschung – das ist gut –, wir wollenaber kein öffentliches Geld für Hochrisikotechnologienwie die atomare Fusionsforschung oder CCS. Das wärenFehlinvestitionen.
Zu den Lücken in Ihrem Koalitionsvertrag kommennoch sehr viele offene Fragen, bei denen Sie sich alsUnion und SPD offensichtlich nicht einigen konnten.Deshalb frage ich Sie: Wie wollen Sie denn das Dickichtan Warteschleifen des Übergangssektors lichten, um al-len Jugendlichen wirklich gute Ausbildungschancen zugeben?
Wie geht es denn konkret weiter mit dem Hochschulpaktzur Schaffung der Studienplätze auch nach 2020? Wo istdenn die Antwort der Regierung auf die richtige Forde-rung nach Erhöhung der Programmpauschale? KeineAussage dazu im Vertrag.
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Kai Gehring
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Wie genau wollen Sie denn Hochschulen das Geld fürdie Grundfinanzierung überhaupt zur Verfügung stellen,wenn sich im Grundgesetz nichts ändert? Wie gehen Sieeigentlich das konkrete Problem der sehr unsicheren Per-spektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses und derprekären Arbeitsverhältnissen an den Hochschulen an?
– Ja, dann lassen Sie uns doch schnell eine Novelle zumWissenschaftszeitvertragsgesetz erarbeiten, wie es Rot-Grün im Bundesrat vorgeschlagen hat. Das können wirhier zusammen machen.
Was auch nicht im Koalitionsvertrag steht, ist, wie Sieden Pakt für Forschung und Innovation fortsetzen wol-len: Welche Steigerungsraten sollen es denn sein? Wiesoll das denn mit den Ländern gemeinsam gehen? Wieführen Sie die Exzellenzinitiative weiter? Ich fände auchsehr spannend, zu erfahren, ob Sie die dritte Säule – werwird Deutschlands Eliteuni? – endlich auslaufen lassen,so wie wir es für richtig halten.
Es ist sehr wichtig, dass Sie all diese Fragen schnellbeantworten, weil das extrem wichtig für die Planungssi-cherheit und Verlässlichkeit in der Ausbildungs- undWissenschaftspolitik ist. Die Fragen waren auch schonlange vor den Koalitionsgesprächen bekannt. Ihr Vertragbenennt sehr viele Baustellen; er beinhaltet aber keinenBauplan für eine Wissensrepublik oder ein Bildungsauf-steigerland. Hier sieht man einmal mehr, dass Große Ko-alitionen offenbar keine großen Lösungen liefern.
Ich nenne noch einen ganz wichtigen Punkt: Bei derFinanzierung des Bildungs- und Wissenschaftssystemsmuss sich Deutschland endlich zu einem Vorreiter entwi-ckeln; denn sonst riskieren wir tatsächlich Teilhabe, undwir riskieren Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.Jährlich wären fast 20 Milliarden Euro zusätzlich nötig,um endlich 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürdie Bildung und das 3,5-Prozent-Ziel für die Forschung– die Republik redet über ein 3,5-Prozent-Ziel – zu errei-chen und entsprechend zu investieren.
Wir brauchen ehrgeizige Ziele, weil wir sonst bei Bil-dung, Forschung und Innovation zurückfallen.Deshalb möchte ich an Sie alle dringend appellieren:In dieser Wahlperiode starten die Debatten über die Neu-ordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund undLändern. Ohne ein Gesamtkonzept für eine zukunftsfä-hige Finanzarchitektur bei Bildung, Wissenschaft undForschung rutschen diese Bereiche in die generellenNeuordnungsdebatten hinein, und dann laufen Sie alleGefahr, dass letztlich wieder keine bildungs- und wis-senschaftsadäquaten Lösungen dabei herauskommen.Das hat man bei der Föderalismusreform gesehen.
Wir hoffen daher, dass Sie sich aus dem engen Kor-sett Ihres Koalitionsvertrags befreien, eine Finanzarchi-tektur für Bildung und Wissenschaft auf den Tisch legenund das mit den Ländern verabreden. Falls Ihnen dasdoch glücken sollte, dann kriegen Sie sogar einmal vonuns Applaus.
Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin
Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Investitionen in Bil-dung und Forschung sind zumeist nicht tagesaktuell zumessen; es sind vor allem Investitionen in die Zukunftunseres Landes und seiner Menschen. Die im Vergleichniedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, um dieuns viele beneiden, ist an sich schon – das richtet sichein bisschen an meine Vorredner – der beste Beweis fürdie Qualität unseres Bildungssystems.
Darüber hinaus – die Ministerin hat es bereits erwähnt –gehen Milliarden an die Länder, an die anderen politi-schen Ebenen, um sie zu entlasten, damit sie eigene In-vestitionen tätigen können.In den vergangenen Jahren haben so viele junge Men-schen ein Studium aufgenommen wie nie zuvor. Alleininnerhalb von zehn Jahren gab es fast 15 Prozent mehrBerechtigungen für ein Hochschulstudium. Das ist einErfolg, den wir nicht schmälern wollen. Das deutscheWissenschaftssystem leistet in unserem Land einen ent-scheidenden Beitrag, auch für die Zukunftsfähigkeit.Nicht zuletzt deshalb müssen die guten Initiativen – siewurden in verschiedenen Beiträgen bereits genannt: Ex-zellenzinitiative, Hochschulpakt und anderes mehr –fortgesetzt und, wo nötig, weiterentwickelt werden.Aber, Kolleginnen und Kollegen, darüber dürfen wireinen anderen Bereich nicht vergessen, der schon imMittelpunkt unserer Diskussion im Ausschuss stand: dieberufliche Bildung in ihrer ganzen Breite und mit ihrenChancen.
Gerade nach der Krise fragen uns nicht wenige Ländergenau an dieser Stelle: Wie macht ihr das? Wie funktio-niert das? Verbände, Handwerkskammern, das Ministe-rium – viele sind bereits unterwegs, um Hilfestellung zuleisten oder auch betroffene Jugendliche in unseremLand entsprechend vorzubereiten. Genau wie wir habendiese Länder erkannt, dass nicht allein die akademische
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886 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Patricia Lips
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Ausbildung ein Gradmesser für den Erfolg eines Landesist,
sondern ebenso – das ist ein Zweiklang – die beruflicheBildung.
Ein Land, das in Wissenschaft und Forschung hohe Ach-tung genießt, wie das bei uns der Fall ist, das im Gegen-satz zu vielen anderen Ländern noch einen erfreulich ho-hen Anteil an Industrialisierung aufweist und vor allemeinen gesunden, stabilen und innovationsfreudigen Mit-telstand hat, braucht beides: junge Menschen, die sichfür ein Hochschulstudium qualifizieren und den akade-mischen Weg beschreiten, aber ebenso solche, die sichfür eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb begeis-tern können.
Beides trägt zur Wettbewerbsfähigkeit unseres Landesbei. Am Ende sollte es kein Ranking und keine Wertungdes gewählten Weges geben. Eine Berufsausbildung istimmer die Basis für ein selbstbestimmtes Leben. Diesbetrifft gleichermaßen die Weiterbildung in einer Welt,in welcher der technische Fortschritt immer rasanter Ein-zug hält.Wir erleben zurzeit eine Verschiebung zugunsten ei-nes akademischen Weges, unabhängig davon, ob dieserWeg von Anfang an oder im Anschluss an eine Ausbil-dung eingeschlagen wird. Man muss dies im Zusammen-hang mit der demografischen Entwicklung in unseremLand sehen. Aus Gesprächen kennt jeder von uns die Er-fahrungen, die IHKn und Handwerkskammern machen.Den Betrieben fällt es immer schwerer, Nachwuchs zufinden.Wir stellen fest: Die Zahl der Bewerber, die keinenAusbildungsplatz erhalten haben, ist gestiegen, aberauch die Anzahl der unbesetzten Ausbildungsstellen. Siehaben vor allem in kleineren und mittelständischen Be-trieben einen Höchststand erreicht. Ganz offensichtlichkommen Wunsch und Angebot nicht mehr so recht zu-sammen. Wir müssen uns deshalb die Frage stellen: Be-nötigen junge Menschen mehr als in früheren Jahreneine stärkere Orientierungshilfe bei ihrer Berufswahl?
Frau Kollegin, es gibt einen Fragewunsch des Kolle-
gen Mutlu. Möchten Sie die Zwischenfrage zulassen?
Ich lasse sie zu.
Bitte schön, Herr Kollege.
Danke, Frau Lips, dass Sie meine Frage zugelassen
haben. – Ich habe genau zugehört. Sie haben das Stich-
wort demografische Entwicklung genannt. Die Frau
Ministerin hat in ihrer Rede das Thema Bildungsgerech-
tigkeit als letzte von drei Überschriften genannt, aber im
weiteren Verlauf ihrer Rede kaum etwas dazu gesagt.
Wir wissen, dass sich auch in unserem Land die Schere
bei der Bildung sehr deutlich öffnet. Nach wie vor ist der
Einfluss des sozialen Hintergrunds ein wichtiger Faktor
beim Bildungserfolg, wie PISA-Studien immer wieder
belegt haben.
Da ich in dem Koalitionsvertrag wenig zu diesem
Thema finde, möchte ich Sie als Vorsitzende des Bil-
dungsausschusses fragen, ob Sie einige konkrete Maß-
nahmen nennen können, mit denen Sie die beiden The-
men demografische Entwicklung und Ungerechtigkeit in
unserem Bildungssystem angehen wollen. Welche Mittel
wollen Sie dafür in die Hand nehmen, ohne dabei das
Kooperationsverbot zu missachten, sodass der Kollege
von der SPD nicht wieder auf Herrn Kretschmann ver-
weisen muss?
Sehr geehrter Herr Mutlu, nicht allein der Bildungs-ausschuss ist dafür verantwortlich, sich mit der demo-grafischen Entwicklung zu beschäftigen. Viele Institu-tionen und andere Ausschüsse machen sich ebenfallsdarüber Gedanken, vielleicht auch der eine oder andere,der hier sitzt. Wie dem auch sei: Das Thema demografi-sche Entwicklung müssen wir ressortübergreifend ange-hen.Es ist unser Ziel – wenn Sie den Koalitionsvertrag le-sen, dann können Sie das erkennen –, niemanden zu-rückzulassen und jeden jungen Menschen nach seinenMöglichkeiten zu fördern. Etwas anderes können wiruns gar nicht mehr erlauben. Wir müssen es schaffen,auch junge Menschen mit Migrationshintergrund in spe-ziell entwickelte Maßnahmen einzubinden. Wir müssenes aber gleichermaßen schaffen, leistungsstarke jungeMenschen vom Wert der beruflichen Ausbildung zuüberzeugen, sodass sie nicht automatisch den Gang zueiner Hochschule antreten.
Ich bin der festen Überzeugung – darauf wäre ich spä-ter noch eingegangen; Sie haben mir durch Ihre Fragedie Möglichkeit eröffnet, schon an dieser Stelle darüberzu sprechen –, dass es uns über den Bereich der berufli-chen Bildung hinaus gelingen muss, stärker an die jun-gen Menschen heranzukommen. Da liegen wir gar nichtweit auseinander. Ich gebe Ihnen in diesem Punkt völligrecht.Aber wir müssen sehen, dass wir nur Stück für Stückvorankommen können. Wir können es uns, wie gesagt,nicht erlauben, jemanden zurückzulassen. Es gibt vielejunge Menschen, deren Begabung noch nicht erkanntwurde. Diese müssen wir erreichen. Ich sage ausdrück-lich, dass der Bund das nicht alleine schultern kann. Alle
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Patricia Lips
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politischen Ebenen stehen hier in der Verantwortung.Was der Bund an finanzieller Entlastung beitragen kann,das wird er gerne leisten.
Wir sind uns alle darüber einig, dass wir unser Er-folgsmodell „berufliche Bildung“ – es ist doch ein Er-folgsmodell – aufrechterhalten und stärken wollen. Ichsagte es bereits: Wir können diese jungen Menschennicht zurücklassen. Demografie und Fachkräftemangelkommen hinzu.Die Probleme beginnen nicht erst, wenn ein jungerMensch unmittelbar im Übergang von der Schule zurAusbildung ist, und sie hören an dieser Stelle auch nichtauf. Daher haben wir es – ich sage es noch einmal –nicht mit einer Aufgabe allein des Bundes zu tun, son-dern es geht nur voran im Dialog mit allen politischenEbenen, den Betrieben, den Sozialpartnern, kurz: einerAllianz für Aus- und Weiterbildung, Stichwort „Bil-dungsketten“.Wir brauchen ausbildungsbegleitende Hilfen. Wir brau-chen eine Stärkung der Qualifizierung. Wir braucheneine Erhöhung der Durchlässigkeit im Bildungssystem.Das sind alles Punkte, über die wir reden müssen, die Sieübrigens auch im Koalitionsvertrag finden können. Ichbin mir sicher: Diese Aufgabe wird in der kommendenZeit einen breiten Raum einnehmen und einen Schwer-punkt bilden. Denn nur wenn wir sie bewältigen, bleibtunser Land auf Dauer stark. Lassen Sie uns gemeinsamdaran arbeiten.Danke schön.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Forschung muss marktnah sein. Forschung
muss der Exportindustrie nutzen. – Das ist der Bundes-
regierung, das war auch heute zu hören, extrem wichtig.
Aber von der Erforschung von Risiken – von Technolo-
giefolgen sowie den Risiken unseres Wirtschaftens –
hört man nichts.
Was passiert, wenn man Risikoforschung unterlässt,
möchte ich Ihnen an einem kleinen Beispiel einmal nä-
her erläutern. Seit den 80er-Jahren wurden Pkw-Klima-
anlagen verbreitet eingesetzt.
Damals setzte man auf FCKW, weil es nicht brennt.
Dann begann sich die Ozonschicht aufzulösen. Man fing
an zu suchen und entdeckte FCKW als Ursache.
Herr Kollege, Ihr Redebeitrag hat schon einen Nach-
fragewunsch ausgelöst. Wollen Sie eine Nachfrage des
Kollegen Feist zulassen?
Ja.
Bitte, Herr Feist.
Sehr geehrter Kollege, Sie haben gesagt, Forschung
und Innovation sei uns wichtig, Export natürlich auch
– das ist klar –; aber für Technikfolgenabschätzung gä-
ben wir nichts aus.
Nicht so viel.
Was ist Ihrer Meinung nach der Betrag, den wir jähr-
lich für Technikfolgenabschätzung ausgeben?
Ich sagte nicht, Sie gäben nichts aus. Ich sagte – wennSie genau zugehört hätten, wüssten Sie es –: Davon hörtman bei Ihnen nichts.Ich verweise auf die EU-Kommission, der auch Mit-glieder Ihrer Partei angehören: Das EU-Forschungsrah-menprogramm stellt 70 Milliarden Euro für Innovationund Forschung und 460 Millionen Euro für – –
– „2 Millionen Euro“ – Wahnsinn! Wissen Sie, wie vielSie für Kernenergieforschung ausgegeben haben?168 Milliarden Euro, allerdings ohne die Folgen zu be-rücksichtigen.
Ich fahre fort.Dann begann sich die Ozonschicht aufzulösen, und Siehaben FCKW als Ursache identifiziert. Ihre industrie-nahen Forscher entwickelten dann R134a als Kältemittel –Problem gelöst. Das dachte man, bis im Zusammenhangmit der Klimaerwärmung Ihre Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler endlich erkannten: Dieses Mittel wirktklimaerwärmend; es muss weg. Die EU-Kommissionsorgte für ein Verbot ab 2017.
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Ralph Lenkert
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Jetzt stellt die industrienahe Forschung ein neuesWundermittel bereit: R1234yf. Nebenwirkung: hoheBrennbarkeit. 1980 wäre so etwas noch verboten gewe-sen. Ein Zerfallsprodukt dieses Mittels ist Trifluoressig-säure. Sie schädigt Wasserorganismen und baut sichnicht ab. Völlig ausgeblendet wurde: Beim Verbrennendieses Mittels entsteht Fluorwasserstoff und darausFlusssäure. Spätestens jetzt sollten Sie begreifen, dassdie Risikoforschung unverzichtbar ist und die Mittel da-für maximal aufgestockt werden müssen.
Gefahren durch Weichmacher, Nebenwirkungen vonNanopartikeln – die Risiken dieser Kältemittel wurdenstets erst nach dem Auftreten von Schäden erkannt. Bisherhat auch diese Regierung nicht gelernt, dass man For-schung zu Umweltfragen, zu ethischen Gesichtspunktenund zum Schutze der Menschen massiv verstärken muss.Die Linke fordert hier deutlich mehr Mittel.
Es ist ein Armutszeugnis, dass erst die Deutsche Um-welthilfe mit Versuchen an Pkw nachwies, dassR1234yf, in Pkw eingefüllt, zur tödlichen Konzentrationvon Flusssäure führen kann. Kein Institut, keine Univer-sität, keine Bundesbehörde untersuchte dies – trotz deut-licher Hinweise. Frau Ministerin Wanka, meist müssenMenschen und Umwelt die Folgen von unterlassenen Ri-sikountersuchungen tragen. Deshalb müssten Sie han-deln.Übrigens: Die Automobilindustrie muss mehrere Mil-liarden Euro einsetzen, um das von R1234yf verursachteDilemma zu beseitigen. Allerdings hält sich mein Mit-leid da in Grenzen.Wenn Sie zukünftig Schaden von Menschen, Umweltund auch von Ihrer geliebten Industrie abhalten wollen,dann erhöhen Sie die Mittel für die Risikoforschung! DieLinke wird dies unterstützen.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Oliver Kaczmarek, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter demGesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit oder vor demHintergrund, dass wir in Deutschland insgesamt wenigerMenschen werden, dass wir aber zunehmend älter wer-den und trotzdem den gleichen Wohlstand erwirtschaftenmüssen, ist es richtig, dass man jetzt in Bildung und For-schung investieren muss. Ich sage auch: 9 MilliardenEuro zusätzlich in den nächsten vier Jahren, das ist einestolze Summe. Das kann man hier im Plenum auch ruhigmehrmals sagen.
Es ist aber genauso richtig, dass Bildung für die Men-schen natürlich noch mehr bedeutet. Bildung kann Men-schen aus ihrer Unmündigkeit befreien. Sie kann sie zukritikfähigen Menschen machen, die ihr Leben selbst indie Hand nehmen. Deswegen ist es unsere Aufgabe, fürdie beste Bildung für alle zu sorgen, und zwar unabhän-gig davon, welches Geschlecht sie haben, wo sie her-kommen oder was die Eltern besitzen oder waren.
Wir finden uns mit der bestehenden Ungerechtigkeitnicht ab. Deswegen, Frau Wanka, können Sie sichersein, dass wir Ihre Verbündeten sind, wenn es darumgeht, Bildungsgerechtigkeit zu schaffen.Ich will im weiteren Verlauf zu drei zentralen Heraus-forderungen Anmerkungen machen:Die erste Anmerkung – Frau Kollegin Lips hat dasschon angesprochen – betrifft das duale System der Be-rufsausbildung. Ich glaube, es braucht mehr als schöneWorte. Wir müssen es noch attraktiver gestalten undBrücken für alle bauen.
Es ist unbestritten – das darf ja in keiner Rede fehlen –,dass das duale System eines der Prunkstücke des deut-schen Bildungswesens und natürlich auch das Rückgratder industriellen Wirtschaft und des Handwerks ist.
Wir müssen aber auch feststellen – ich finde, dass auchdie offene Diskussion über den Berufsbildungsbericht,die wir im Ausschuss geführt haben, das deutlich ge-macht hat –, dass sich die Situation aus Sicht vieler aus-bildungswilliger junger Menschen verschlechtert hat.Viele, die ausgebildet werden wollen, finden keinenAusbildungsplatz, und die Zahl der ausbildenden Be-triebe hat sich erneut verringert.
Wir müssen alles unternehmen, um die Leistungsfä-higkeit des dualen Systems zu erhalten. Dazu müssenwir aus meiner Sicht in den nächsten vier Jahren dafürsorgen, dass kein Jugendlicher, der noch eine Brücke indie Ausbildung braucht, Zeit verliert.
Es ist natürlich richtig, in den Maßnahmendschungeleinzugreifen und eine bessere Instrumentenreformdurchzuführen, als es in der vergangenen Wahlperiodeder Fall war.
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Oliver Kaczmarek
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Wir müssen auch dafür sorgen, dass keine Maßnahme,kein Übergang ohne Anschluss bleibt. Das Ziel ist dieBerufsausbildung für alle jungen Menschen, die daswollen.
Die SPD ist überzeugt, dass das duale System in derLage ist, sich großen Herausforderungen zu stellen. Wirfinden es richtig, dass wir uns in der Koalition daraufverständigt haben, den Ausbildungspakt zusammen mitden Sozialpartnern zu einer Allianz für Aus- und Weiter-bildung weiterzuentwickeln. Ich denke, in dieser ge-meinsamen Kraftanstrengung muss es uns gelingen,dafür zu sorgen, dass jeder Jugendliche, der einen Aus-bildungsplatz sucht, auch tatsächlich einen findet. Wirwollen eine Ausbildungsgarantie verwirklichen, auf diesich junge Menschen verlassen können. Jeder, der einenAusbildungsplatz sucht, soll auch einen bekommen. Dasist ein wichtiges bildungspolitisches Ziel.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zweite Anmer-kung. Es ist natürlich an der Zeit, das BAföG zu moder-nisieren und zu verbessern. Es ist unstrittig: Auch über40 Jahre nach seiner Einführung ist das BAföG ein un-verzichtbares Element der Studienförderung, das vielenjungen Menschen dabei hilft, unabhängig vom Geldbeu-tel der Eltern ein Studium überhaupt erst aufzunehmen.Deshalb sind wir gemeinsam, denke ich, der Meinung– das wird auch im BAföG-Bericht nachzulesen sein –,dass die über 3 Milliarden Euro, die Bund und Länderjedes Jahr für das BAföG ausgeben, wirklich sehr gutangelegtes Geld sind.
Aber es ist eben auch nicht von der Hand zu weisen,dass es hier Reformbedarf gibt, weil sich die hochschul-rechtlichen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingun-gen verändern. Deshalb müssen wir gemeinsam mit denLändern – es liegt auf der Hand, dass es nicht andersgeht – einen Modernisierungsschub beim BAföG erzeu-gen, der die Situation der Studierenden spürbar und sub-stanziell verbessert, und zwar noch in dieser Wahlpe-riode. Das ist unser gemeinsames politisches Ziel.
Dritte Anmerkung: Bund, Länder und Kommunenmüssen sich ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung fürdie Bildungspolitik gemeinsam stellen. Wir freuen uns,dass so viele junge Menschen wie noch nie in Deutsch-land ein Hochschulstudium aufgenommen haben. Damitsind große finanzielle Herausforderungen verbunden,die Bund und Länder gemeinsam im Hochschulpakt an-gegangen sind.Die SPD hat in den vergangenen Jahren immer wiederangemahnt, dass der Bund seine Ausgaben zeitnah andie aktuellen Entwicklungen an den Hochschulen anpas-sen muss. Deshalb ist es folgerichtig – das haben wir imKoalitionsvertrag vereinbart –, die Verhandlungen überdie dritte Phase des Hochschulpaktes zügig aufzuneh-men und bundesseitig die Grundfinanzierung der Hoch-schulen zu verbessern.
Es ist uns allen klar, dass der Bund dabei gemeinsammit den Ländern Verantwortung dafür übernehmenmuss, dass die Basis der Bildungsfinanzierung verbrei-tert wird. Wir müssen deshalb die Voraussetzungen dafürschaffen, dass Bund und Länder in der Bildung tatsäch-lich sinnvoll miteinander kooperieren können. Dazu ge-hört auch die Forderung, das Grundgesetz entsprechendzu ändern. Wir als SPD wollen das weiterhin nicht nurauf Teilbereiche bezogen sehen, sondern auf die Ge-samtverantwortung für das Bildungswesen beziehen.Wir werden jedoch gemeinsam darüber reden, wie wirdas umsetzen können.Ich sage noch eines: Ich würde mich freuen, wennsich die Große Koalition in dieser Frage auch angesichtsder Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat als Koalitionder Einladung begreift, die alle relevanten politischenAkteure in Bundestag und Bundesrat zum Mitgestalteneinlädt. „Gemeinsam etwas nach vorne bringen“ – beimBAföG, bei der Hochschulfinanzierung –, das wäre eineschöne Überschrift für die nächsten vier Jahre. Wirfreuen uns darauf.Vielen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Gehring das Wort zu einer
Kurzintervention.
Ich hätte gerne eine kurze, knackige Frage gestellt.Aber da mein Handzeichen nicht wahrgenommen wurde,bleibt nur die Möglichkeit einer Kurzintervention.Herr Kaczmarek, Sie hatten im Mai letzten Jahres mitviel Tamtam einen Antrag zu einem Ganztagsschulpro-gramm in den Deutschen Bundestag eingebracht. Er be-inhaltete einen „Masterplan Gute Ganztagsschule“. Ineinem ersten Schritt wollten Sie in den ersten vier Jahren8 Milliarden Euro in den Ausbau von Ganztagsschuleninvestieren. Sie haben dazu jetzt nichts gesagt. Ichmöchte gerne von der SPD-Bundestagsfraktion wissen,was daraus geworden ist, inwieweit Sie sich für Ganz-tagsschulen weiter einsetzen wollen. Sie haben das Ko-operationsverbot angesprochen.
– Darf ich meine Kurzintervention zu Ende führen?Danke. Sie können sich gerne melden und beteiligen.Wir sind ein Beteiligungsparlament.
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890 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
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Ich bitte, geschäftsleitende Bemerkungen dem Präsi-
dium zu überlassen, Herr Kollege.
Danke, Herr Präsident. – Sie haben gerade zum Ko-
operationsverbot Stellung bezogen. Wenn es nicht fallen
sollte: Welche Umgehungstatbestände plant die SPD, um
ihr Vorhaben umzusetzen?
Kollege Kaczmarek möchte antworten.
Vielen Dank, Herr Kollege Gehring, für die Gelegen-
heit, noch einmal darauf eingehen zu können. – Natür-
lich hält die SPD-Fraktion gemeinsame Anstrengungen
von Bund und Ländern mit dem Ziel einer Initiative zum
Ganztagsschulausbau für wünschenswert.
Ich will das noch einmal betonen. Aber Sie kennen auch
das Ergebnis der Bundestagswahl.
Zu diesem Thema konnten wir in der Koalition keine Ei-
nigkeit erzielen. Wir beide kommen aus Nordrhein-
Westfalen. Wir wissen, dass in Koalitionsverhandlun-
gen, egal in welcher Farbkombination, immer Kompro-
misse gemacht werden müssen. Leider müssen wir an
dieser Stelle akzeptieren, dass wir in diesen vier Jahren
hier nicht weiterkommen. Aber wer weiß, was danach
ist.
Als Nächstem erteile ich das Wort zu seiner ersten
Rede im Deutschen Bundestag dem Kollegen Dr. Wolfgang
Stefinger, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich freue mich, dass ich meine erste Rede hierim Deutschen Bundestag zu einem Thema halten darf,das für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes von ent-scheidender Bedeutung ist. Bildung und Forschung sindGrundlage für Wohlstand, Fortschritt und Wirtschafts-wachstum. Bildung und Forschung haben in der unions-geführten Bundesregierung einen hohen Stellenwert.Seit 2005 sind die Investitionen in diesem Bereich stetiggewachsen.
Nie zuvor wurde in unserem Land so viel in Bildung undForschung investiert wie unter Angela Merkel, und dastrotz des notwendigen Konsolidierungskurses beim Bun-deshaushalt.
In diesem Jahr sollen dem Bundesministerium für Bil-dung und Forschung rund 14 Milliarden Euro zur Verfü-gung stehen. Bei Regierungsübernahme 2005 lag dieZahl noch bei rund 7,5 Milliarden Euro.
Alleine dadurch wird deutlich: Wir investieren massiv indie Zukunft unseres Landes, und dieses Geld ist gut an-gelegt.
Gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschlandist es wichtig, unsere Spitzenstellung auf dem Gebiet derLehre und Forschung nicht nur zu halten, sondern auszu-bauen. Wir wollen eine attraktive, wettbewerbsfähigeund international vernetzte Hochschullandschaft mitbesten Rahmenbedingungen für die Studierenden undden wissenschaftlichen Nachwuchs.In den letzten Jahren wurden nicht nur die Finanzmit-tel für den Bildungs- und Forschungsbereich spürbar er-höht, sondern auch konkrete Maßnahmen ergriffen, vondenen die Hochschulen erheblich profitieren. Lassen Siemich den Hochschulpakt 2020 herausgreifen, durch denzusätzliche Studienplätze geschaffen werden konnten.Über 500 000 junge Menschen haben im letzten Jahr einStudium aufgenommen. Das ist absoluter Rekord. Die-sen beachtlichen Erfolg verdanken wir dem Hochschul-pakt und dem Zusammenspiel von Bund und Ländern,und diese Zusammenarbeit müssen und wollen wir fort-setzen, weil dieser Weg richtig und wichtig ist, meinesehr geehrten Damen und Herren.
Unsere Hochschulen genießen international einenhervorragenden Ruf. Der schönste Beleg dafür ist dieZahl der ausländischen Studierenden, die zu uns kom-men, um hier bei uns in Deutschland zu studieren. Siekommen gerne nach Deutschland, denn sie wissen umdie Qualität der Ausbildung und darum, welche berufli-chen Chancen sich für sie im Anschluss ergeben.Lassen Sie mich aber auch ein Augenmerk auf dieje-nigen richten, die ihr Studium nicht weiterführen. Ihnenwollen wir eine neue berufliche Perspektive eröffnen.Wir müssen aber auch klar kommunizieren, dass derHandwerker für unsere Gesellschaft genauso wichtig istwie der Ingenieur.
Der Fleißige und Lernwillige bekommt vielfältige Chan-cen und Unterstützung, um weiter voranzukommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen eine ver-lässliche Ausbildungsförderung sicherstellen, damit ge-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 891
Dr. Wolfgang Stefinger
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rade Studierende gefördert werden können, die aus ei-nem finanziell schwächeren Umfeld kommen. Danebenbieten unsere Begabtenförderungswerke zusätzliche Fi-nanzierungs- und Bildungschancen für unseren hochqua-lifizierten Nachwuchs. Seit 2005 hat sich die Zahl derStipendien mehr als verdreifacht. Auch das Deutschland-stipendium ist ein Erfolg und wird fortgeführt.
Damit zeigen wir jungen Menschen, dass sich Leistunglohnt.Bei all diesen Erfolgen sind wir uns natürlich be-wusst, dass es weiterhin viel zu tun gibt. Einer Reihe vonHerausforderungen wollen und werden wir uns gemein-sam mit den Akteuren im Wissenschaftsbereich stellen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, für dieunionsgeführte Bundesregierung ist klar: Gute Bildungist der Schlüssel zu einem erfolgreichen Berufsleben.Eine aktive Innovations- und Forschungspolitik ist Basisfür Wachstum und Wohlstand. Die Weichen sind richtiggestellt. Der Bildungszug fährt; er fährt in die richtigeRichtung und mit Volldampf in die BildungsrepublikDeutschland.Vielen Dank.
Das Präsidium gratuliert Herrn Dr. Stefinger zu seiner
ersten Rede und dankt für die Einhaltung der Redezeit.
Es ist nämlich eine Frage der Solidarität: Wenn sich je-
der an die Redezeit hält, kommen auch alle zu ihrem
Recht.
Ebenfalls zu ihrer ersten Rede gebe ich jetzt Frau
Dr. Simone Raatz von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich kann mich der Ministerin und meinen Vor-rednern von der Koalition in einem Punkt sofort an-schließen – ich wiederhole gerne, was schon gesagtwurde –: Mit dem Koalitionsvertrag setzen wir ein star-kes Signal für die Zukunftsfelder Bildung und For-schung. Wir wollen hier 9 Milliarden Euro zusätzlich be-reitstellen.
Wir werden gemeinsam im Ausschuss beraten, wie wirdiese Mittel zielgerichtet einsetzen können. Frau Lips,ich gebe Ihnen recht: Das ist in jedem Fall eine gute In-vestition in die Zukunft.Frau Gohlke, ich habe Ihrem Redebeitrag intensiv ge-lauscht und kann nicht ganz verstehen, warum Sie im-mer in einem Totalverriss enden müssen. Wie Sie mitbe-kommen haben, sind nicht alle Blütenträume gereift.Jedoch sollten Sie sich einmal anschauen, was im Koali-tionsvertrag verankert ist. Vielleicht sind einige Punktedabei, die auch Ihnen gefallen werden. Diese könntenSie dann in Ihrer Rede ruhig einmal erwähnen. Ich finde,ein bisschen Balance wäre nicht schlecht.
Herr Lenkert, ich bin Chemikerin, aber ich muss ehr-lich sagen: Ich konnte Ihnen nicht bei allem folgen. Viel-leicht sollten wir in einem Zwiegespräch noch einmaldarüber reden. In der heutigen Debatte möchte ich je-doch keine weiteren Ausführungen dazu machen.
– Gut.Ich möchte meinen Blick auf die Forschung in Ost-deutschland richten, und das nicht, weil das bisher keinergemacht hat. Das hat zwei andere Gründe. Der erste istein ganz persönlicher Grund. Ich komme aus Freiberg,einer Stadt in Mittelsachsen mit Bergbautradition und ei-ner technischen Universität. Es ist ein interessanter Ortmit viel innovativer Kompetenz. Als langjährige Mitar-beiterin an dieser Universität hatte ich viele Gelegenhei-ten, verschiedenste Förderprogramme kennenzulernenund mich mit ihren Stärken und Schwächen auseinander-zusetzen.Der zweite Grund ist eher allgemeiner Art. Ost-deutschland verfügt mittlerweile über ein wirklich gutesNetz von Bildungs- und Forschungseinrichtungen mithoher Innovationskraft. Es hat mich sehr gefreut, dassFrau Ministerin Wanka das Thema Innovation in ihremProgramm und auch heute in ihrer Rede an erste Stellegestellt hat.
Dieses dichte Netz ist eine gute Grundlage für die Stär-kung einer wissensbasierten regionalen Wirtschaft, ge-rade auch in Ostdeutschland.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen:Diese Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen. Inder letzten Großen Koalition haben wir gemeinsam vieldafür getan. Die SPD hat diese Entwicklung maßgeblichdurch Programme wie „Unternehmen Region“ mit ini-tiiert. Mein besonderer Dank gilt hierbei EdelgardBulmahn – ich bewundere es immer wieder, wie sie sichdamals durchgesetzt hat –, die dieses Programm auf denWeg gebracht hat.
„Unternehmen Region“ ist ein Innovationsprogramm,das mittlerweile mit acht Einzelinitiativen den Ausbautechnologischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicherKompetenzen in den neuen Bundesländern fördert. Auf-grund der Erfahrungen aus meinem Wahlkreis kann ichbestätigen, dass diese Förderinitiative des Bundesminis-teriums für Bildung und Forschung in strukturschwäche-ren Regionen ganz wichtige Wachstumsimpulse gesetzthat und – so hoffe ich – weiterhin setzen wird. Darüber
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892 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Dr. Simone Raatz
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hinaus leistet diese Initiative einen ganz wesentlichenBeitrag zur Nachwuchsförderung und zur Internationali-sierung. Bisher war sie ein sehr großer Erfolg.
So wird an der Freiberger Universität ein Zentrum fürInnovationskompetenz mit dem Namen „Virtuhcon“– Virtuelle Hochtemperaturkonversionsprozesse – mitetwa 17 Millionen Euro gefördert. Ziel ist es, die Regionnachhaltig zu stärken. Beschäftigt sind hier 25 Nach-wuchswissenschaftler, prima junge Leute aus immerhinneun Nationen – das ist bemerkenswert –, die eng mitder regionalen Wirtschaft kooperieren und nicht nur vorOrt wichtige Impulse setzen. Es ist deshalb absolut rich-tig und wichtig, dass solche Programme in der GroßenKoalition weitergeführt werden.
Es freut mich außerordentlich, dass im Bundeshaus-halt für 2014 erneut 146 Millionen Euro speziell für dieInnovationsförderung in den neuen Ländern vorgesehensind.Trotz der unbestritten positiven Entwicklung müssenwir an manchen Stellen zukünftig nachjustieren. So gibtes nach wie vor Schwierigkeiten bei der Übertragbarkeitvon Forschungsergebnissen auf die Wirtschaft. Die Lü-cke zwischen wissenschaftlicher Grundlagenforschungauf der einen Seite und kommerzieller Verwertung aufder anderen Seite ist ein chronisches Defizit des deut-schen Forschungs- und Innovationssystems. Diese Situa-tion zu verbessern, wird eine unserer Aufgaben in dieserLegislaturperiode sein.Womit ich beim zweiten Punkt bin: Es gibt nach wievor deutliche Strukturunterschiede zwischen Ost undWest. Während in den alten Ländern ein Großteil derForschungs- und Entwicklungsaufwendungen aus derWirtschaft direkt kommt, werden diese Aufwendungenin den neuen Ländern meistens staatlich finanziert. Soinvestieren beispielsweise die Unternehmen in Baden-Württemberg 3,6 Prozent des landesweiten BIP in For-schung und Entwicklung. Schauen wir einmal nachBrandenburg oder Sachsen-Anhalt: Dort sind es geradeeinmal 0,3 Prozent, also nicht einmal ein Zehntel. Ichdenke, da müssen wir etwas tun. Programme wie Indus-trie 4.0 sind richtige Ansätze, um die Zusammenarbeitund den Austausch zwischen Wirtschaft und For-schungseinrichtungen insgesamt zu fördern und die In-dustrie zu weiteren Investitionen zu bewegen.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss.
Sie sehen, wir haben bereits viel Gutes auf den Weg
gebracht. Ich hoffe, dass wir dies verstetigen können, um
die Entwicklung nachhaltig zu gestalten. Ich bin mir
nach den Worten von Frau Ministerin Wanka sicher, dass
wir diese Programme weiterführen werden und dem
Ausbau von Programmen wie „Unternehmen Region“
von unserer Seite zukünftig nichts im Wege stehen wird.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Dr. Raatz, Glückwunsch zu Ihrer ersten
Rede im Deutschen Bundestag.
Letzter Redner in der Aussprache ist mit seiner ersten
Rede im Deutschen Bundestag Stephan Albani, CDU/
CSU-Fraktion. – Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Albani.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! Bevor ich zum eigentlichen Thema meinerAusführungen komme, möchte ich ganz kurz auf dieherbe Wirtschafts- und Industrieschelte eingehen, diewir hier vor 20 Minuten hören mussten.Für mich, der ich seit 20 Jahren an der Schnittstellezwischen Wissenschaft und Wirtschaft arbeite, sind Wis-senschaft und Wirtschaft keine Gegenpole. Wissenschaftund Wirtschaft, Hochschule und Industrie sind keine Ge-genpole, sondern im Prinzip zwei Elemente einer Pro-zesskette. Sie muss funktionieren – fraglos –, aber dieElemente sind nicht zu trennen, erst recht nicht in gutund schlecht; das wäre zu einfach.
– Das ist okay.Als Redner bin ich nun zwar der Letzte in der Debattezur Regierungserklärung. Thematisch stehen Forschungund Innovation aber am Anfang jedes erfolgreichen Pro-jektes der Menschen. Ohne Innovationsfreude wären wirheute nicht hier, in diesem sehr innovativen Haus mitErdwärmeheizung und Solaranlagen auf dem Dach.
– Bitte?
– Und kreativen Abgeordneten. Natürlich, um Gotteswillen, nicht zu vergessen.
Und mit einer hervorragenden Audiotechnik. Diese Be-merkung sei mir erlaubt, da ich aus diesem Bereichkomme. Dank der Technik können Sie mich bestens hö-ren und im Wahlkreis sogar sehen. Das ist ein schönesBeispiel dafür, dass Innovationen manchmal zwei An-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 893
Stephan Albani
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läufe brauchen – manche werden sich noch erinnern –,bevor sie richtig funktionieren.Gerade diese unsere deutschen Forschungsergebnisseund unsere Innovationskraft waren und sind unsereStärke. Ein Fünftel der Wirtschaftsleistung unseres Lan-des wird durch den Export eben jener Technologiegütererbracht. Wir haben immer mit Köpfchen kompensiert,was uns an Rohstoffen fehlte. So haben wir es zu Wohl-stand gebracht und in der Welt viel Anerkennung be-kommen.Wenn es nun um die nachhaltige Sicherung des Wirt-schaftsstandorts Deutschland geht – sie wurde in Mese-berg wieder zur Leitlinie erklärt –, dann müssen wirdiese Innovationsfähigkeit unseres Landes nicht nur er-halten, sondern auch verstärken und ausbauen. Und wirmüssen neue Wege suchen; denn wer aufhört, besser zuwerden, hat aufgehört, gut zu sein – Philip Rosenthal.Die Tatsache, dass das Bundesministerium für Bil-dung und Forschung seit 2005 mit großer Kontinuität ge-führt wurde, ist – das möchte ich als jemand, der aus derForschung kommt, einmal sagen – ein Glücksfall; dennKontinuität in der Bildungs- und Forschungspolitik warentscheidend für die Erfolge der letzten Jahre.
Wir haben in diesem Zeitraum die Anzahl angemelde-ter Patente um 16 Prozent steigern können und liegen da-mit konstant vor den USA und Japan.
Die Festschreibung des Anteils von 3 Prozent des Brut-toinlandsprodukts für Bildung und Forschung auch fürdie nächsten Jahre garantiert die Absicherung dieser For-schungsergebnisse und vieler weiterer Förderprojekte.Wer sich davon überzeugen will, kann dies einfach tun,indem er die Internetseite www.foerderkatalog.de auf-ruft. 110 000 Projekte von Kreativität und Erfolg sinddort zu sehen.
Wir müssen heute säen, wenn wir morgen wirtschaft-lichen Erfolg ernten wollen. Das gilt insbesondere fürden Bereich Forschung und Innovationen. Das begrün-det die klare Priorisierung der gesamten Bildungs- undForschungspolitik. Die Bundesregierung unter AngelaMerkel steht dafür, und klare Zahlen belegen das. So istdas Haushaltsvolumen des BMBF von 2005 bis zum jet-zigen Zeitpunkt um 82 Prozent gestiegen.
Damit kann die Hightech-Strategie als strategische Inno-vationspolitik gestaltet werden. Sie geht von Deutsch-lands traditionellen Kernkompetenzen aus, aber sie wirdnun auch als umfassende und ressortübergreifende Inno-vationsstrategie in Deutschland weiterentwickelt.Zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen,die wir mit dieser Innovationsstrategie bewältigen wol-len, gehören vor allen Dingen Veränderungen aufgrunddes demografischen Wandels, in der Digitalisierung undauch in der nachhaltigen Wirtschaftsweise. Auch eineweise Energiepolitik kann dank neuer Resultate im Be-reich von Speichermedien und der effizienten Nutzungder regenerativen Energien möglich werden. Wir wollendiese Zukunftsaufgabe im Verbund von Wissenschaft,Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gestalten.Deutschland ist aber auch Schrittmacher in ganz an-deren Bereichen, zum Beispiel in der medizinischen For-schung. In diesem Bereich der Gesundheitsforschung,wo Forschung im Dienste der Menschen steht – das istgenerell so –, werden von uns zukünftig weitere Projektein den Fokus genommen werden. Es geht dabei zum Bei-spiel darum, Krankheiten mit individualisierter Medizinbesser therapieren zu können und so nicht nur For-schungsergebnisse zu erreichen, sondern unser aller Zu-kunft und persönliche Lebensqualität zu verbessern.Im Alter ein selbstbestimmtes Leben führen zu kön-nen, wird auch weiterhin Inhalt und Fokus von For-schung sein. Hier zeigt sich, dass zum Beispiel ein wei-terer Schwerpunkt kommunale Beratungsstellen unterdem Motto „Besser leben im Alter durch Technik“ seinwerden. Dies zeigt, dass Forschung auf der einen Seiteund die Vermittlung der Ergebnisse auf der anderen Seiteelementare Aufgaben der Forschungs- und Innovations-politik sind.
Zu den Forschungsaufgaben gehört auch, die europäi-schen und internationalen Forschungskooperationen aus-zubauen und zu vertiefen. Im Austausch mit anderen undvom Wissen anderer können wir nur profitieren. Ja, dasalles kostet Geld. Gestern hat Herr Riesenhuber diescharmant mit „gell“ quittiert. Es braucht auch Zeit. DieseZeit müssen wir geben. Wir investieren in kluge Köpfe,dürfen aber die Herzen nicht vergessen. Wir müssen un-seren Wissenschaftlern zur Seite stehen, wenn sie derMut verlässt, das eine oder andere Forschungsergebnisin tragfähige Produkte zu überführen.Wir sind auf einem richtigen Weg, wenn wir konse-quent und kontinuierlich in Forschung und Innovationeninvestieren, wenn wir jungen Wissenschaftlerinnen undWissenschaftlern den Mut zur Innovation, den Mut zurUmsetzung ihrer Erkenntnisse in Produkte geben, wennwir die Hightech-Strategie zu einer umfassenden undressortübergreifenden Innovationsstrategie weiterentwi-ckeln und mit dem Hochschulpakt den Hochschulen ver-lässliche Perspektiven und Planungssicherheit für dienächsten Jahre verschaffen. Denn so können wir mitFreude am Neuen in den Augen, mit Mut zur Umsetzungin den Herzen und aus der Kreativität unserer Köpfe dieZukunft gestalten.Herzlichen Dank.
Herzlichen Glückwunsch an Kollegen Albani zu sei-ner ersten Rede.
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Vizepräsident Peter Hintze
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Weitere Wortmeldungen zu dem Themenbereich lie-gen nicht vor.Wir sind damit am Schluss der Aussprache zu der Re-gierungserklärung der Bundeskanzlerin angelangt. Ichschließe die Aussprache.Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:Vereinbarte Debattezur aktuellen Situation in der UkraineNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenFranz Thönnes von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!So wie kein Mieter das Recht hat, in seiner Woh-nung Feuer anzuzünden, mit der Berufung auf dieHeiligkeit des Heims, so wenig dürfen Staaten ohneGefährdung des Friedens Innenpolitik auf eigeneFaust machen, soweit diese den Frieden in Fragestellt. Wir wohnen nicht mehr in einzelnen Festun-gen des Mittelalters, wir wohnen in einem Haus.Und dieses Haus heißt Europa.
So hat es der große deutsche Schriftsteller KurtTucholsky 1926 formuliert. Heute sind wir an demPunkt, dass wir uns 25 Jahre nach dem Fall des EisernenVorhangs erneut mit einer sehr brisanten Situation aus-einandersetzen müssen, über die wir hier im Plenumschon einmal in dieser Woche diskutiert haben, über diewir im Ausschuss diskutiert haben und über die wirheute auch in dieser gemeinsamen Debatte diskutieren.Es geht erneut darum, den Prozess der Einigung Europaszu behandeln und kritisch zu betrachten und dabei einegute, friedliche Perspektive zu finden.Seit dem 21. November demonstrieren Menschen inder Ukraine für Menschenrechte, Freiheit und Demokra-tie, gegen Korruption und soziale Ungerechtigkeit undfür eine gute Zukunft ihres Landes. Die Demonstratio-nen waren am Anfang gewaltfrei. Wir wissen aber: Jelänger so etwas dauert, umso gereizter werden die Ge-müter und umso eher verbreitet sich auch Gewalt.Ich glaube, uns eint hier die gemeinsame Auffassung,dass eine friedliche Lösung gefunden werden muss, dasseine gewaltfreie Lösung gefunden werden muss und dassdie Ukraine eine gute, demokratische, den Menschen-rechten gerecht werdende Perspektive in Europa habenmuss.
Die Bundesregierung und Außenminister Steinmeierhaben mit der notwendigen Klarheit und, ich sage auch,mit der gebotenen Sensibilität reagiert, Telefonate undGespräche mit Staatspräsident Janukowitsch und denOppositionsvertretern geführt. Ich denke, dass es gutwar, den Einfluss Deutschlands wahrzunehmen. Dieheute beginnende Sicherheitskonferenz in Münchenwird eine weitere Gelegenheit sein, Versuche zu unter-nehmen, die Konflikte zu lösen. Ich glaube, dass diesePerspektive der Ukraine so ausgerichtet sein muss, dassFreiheit, Demokratie und Menschenrechte eine Zukunfthaben. Ich sage auch ganz deutlich: Rechtsextremisti-sche und nationalistisch orientierte Kräfte, die gegendiese Werte kämpfen, werden dabei nicht hilfreich sein.
Erste Schritte sind gemacht, repressive Gesetze zu-rückgenommen worden, insbesondere was die Demon-strations- und Versammlungsfreiheit angeht. Die Regie-rung ist zurückgetreten. Das sind gute Zeichen, wenn sienicht Taktik sein sollen, wenn es nicht darum geht, Zeitzu schinden. Das, was versprochen und zugesagt wordenist, muss jetzt auch belastbar eingehalten und darf nichtmit neuen Bedingungen verknüpft werden. Ich denke, esgilt ganz klar: Die Verhafteten sind freizulassen. DasSchicksal der Verschleppten, deren Situation bis heutenicht geklärt ist, ist aufzuklären. 2 000 Verletzte, 500aufseiten der Polizei, 6 Tote, 30 Vermisste sind genug.Jetzt muss Schluss sein.
– Ja, richtig. Es sind zu viele.Bei dem jetzigen Prozess brauchen wir keine Fackel-träger nach dem Motto „Augen zu und durch“, weil nurder kleinste Funke dazu führen kann, dass etwas ent-steht, was wir alle nicht wollen. Deswegen ist Zurück-haltung angesagt. Es gilt, auch ein bisschen Vorsicht beiden Vermittlern walten zu lassen, die jetzt schonSchlange stehen. Die Betroffenen selbst müssen ent-scheiden, wer vermittelt. Aber wenn sie Hilfe brauchen,dann sollen sie es sagen. Wir haben ihnen an dieserStelle dabei Rat zu geben.Ich glaube, dass es auch darum geht, Russland zu sa-gen, dass das, was mit wirtschaftlichem Druck versuchtworden ist, genauso wenig tolerierbar ist wie die Kreati-vität, mit der Russland hinsichtlich der Zollformalitätenund der Gesundheitsvorschriften für den Warenimportnach Russland agiert.Es ist notwendig, hier zu realisieren: Die Welt in derUkraine ist nicht schwarz-weiß. Es ist eine schillerndeWelt. Die Opposition ist geeint hinsichtlich ihrer Forde-rung nach Neuwahlen, nach Abdankung des Präsidentenund nach Freilassung der Verhafteten, aber nicht hin-sichtlich der Perspektive einer guten Zukunft in derUkraine. So ähnlich sieht es bei den Oligarchen aus, die
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 895
Franz Thönnes
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ebenfalls unterschiedliche Interessen haben. So ähnlichsieht es auch in der Gesellschaft aus.Deswegen glaube ich, dass auch die EuropäischeUnion sich fragen muss: Haben wir alles richtig gemachtin der Phase der Assoziierungsverhandlungen? Ist nichtleichtfertig übersehen worden, welche ökonomischenund mentalen Verbindungen zu Russland bestehen, wennman weiß, dass die Geburtsstunde Russlands im Kiewdes 8. Jahrhunderts liegt?
Das alles zu berücksichtigen wäre wichtig gewesen. Ge-nauso hätte man sich die Fragen stellen müssen: Welchefinanziellen Herausforderungen kommen auf uns zu undwie können wir sie gemeinsam schultern? Das bringtmich, wenn ich den Blick nach vorne richte, zu derFrage: Sind nicht Europa und Russland gemeinsam ge-fordert, eine gute Perspektive für die Ukraine in guterKooperation zu erarbeiten und zu gestalten, wenn esjetzt zu einer friedlichen und gewaltfreien Lösung ge-kommen ist? Wir müssen wegkommen von der Schaukeldes Entweder-oder, mit der Janukowitsch in den letztenJahren gespielt hat. Es geht darum, sich Gedanken da-rüber zu machen, ob an dieser Stelle nicht mehr Koope-ration entstehen kann. Europa und Russland sollten mitder Ukraine im wirtschaftlichen Bereich eigentlich großegemeinsame Interessen haben. Es geht darum, derUkraine dabei zu helfen, eine gute wirtschaftliche Per-spektive zu finden: im Energiesektor, bei der Produktionvon Stahl und Eisen, aber auch bei der Kooperation immenschenrechtlichen und im zivilgesellschaftlichen Be-reich. Es geht darum, dies gemeinsam zu organisierenund die großen ökonomischen Chancen zu realisieren.Es geht darum, zu schauen, wie man, wenn auf der einenSeite eine Europäische Union steht, die sich wieder sta-bilisieren muss, und auf der anderen Seite eine eurasi-sche Union im Entstehen ist, gemeinsam Verträge ma-chen kann.
Wir reden heute über ein Transatlantisches Freihan-delsabkommen. Wir reden an anderer Stelle darüber,eine Freihandelszone zu schaffen, die von San Franciscobis Wladiwostok reicht. Ich denke, was vor der eigenenHaustür liegt, sollte Vorrang haben. Das ist die gemein-same Aufgabe, die sich uns allen heute stellt: zu helfenin unserem gemeinsamen Haus Europa, und zwar ge-waltfrei, lösungsorientiert und kompromissbereit.Herzlichen Dank.
Als Nächstem erteile ich das Wort unserem Kollegen
Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich finde es völlig in Ordnung, dass
wir diese vereinbarte Debatte hier im Bundestag führen;
sie ist notwendig und sie ist richtig.
Ich denke, dass wir uns darauf verständigen sollten
– vielleicht lässt sich das nicht mit allen erreichen, aber
doch mit einer Mehrheit –, in welchem Gestus wir diese
Debatte führen wollen. Ich möchte nicht, dass in der
schwierigen Situation, in der sich die Ukraine befindet
– mein Kollege Thönnes hat es gesagt –, vom Deutschen
Bundestag aus gezündelt wird,
dass von hier Funken ausgehen, die die Situation mit
zum Explodieren bringen können. Sich zurückhalten und
ausgleichen, das ist das Gebot der Stunde; dieses Signal
muss vom Bundestag in dieser Stunde ausgehen.
Ich halte überhaupt nichts von der Androhung oder Ver-
hängung von Sanktionen. Das wird nichts lösen, sondern
die Situation noch zuspitzen.
Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, was
eigentlich die Ursachen dafür sind, dass in der Ukraine
Hunderttausende auf die Straße gegangen sind. Zu den
Ursachen – das muss man doch begreifen! – gehört die
verzweifelte soziale Lage vieler Menschen in der
Ukraine, die sich nicht mehr ernähren können, die erfrie-
ren und verhungern in diesem Land.
Zu den Ursachen gehört auch, dass viele ihre Zukunft
nicht mehr im eigenen Land gesehen haben, sondern da-
rauf gehofft haben, dass sich ihnen in Europa Perspekti-
ven eröffnen. Vielleicht sind sie auch betrogen worden,
was die Realität in Europa angeht, was die ehrliche Be-
reitschaft angeht, der Ukraine einen vernünftigen Zu-
gang zu Europa zu öffnen.
Herr Kollege Gehrcke, der Kollege Sarrazin von den
Grünen würde gerne eine Frage stellen.
Ja, klar.
Herr Kollege Gehrcke, uns eint, um es einmal so zusagen, ein Interesse an der Geschichte der Region. Ich
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896 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Manuel Sarrazin
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habe Freunde in der Ukraine, bin regelmäßig auch privatdort und habe die ukrainisch-polnische Grenze schon mitallen möglichen Verkehrsmitteln überschritten. Ich habeauch Visaeinladungen für Freunde ausgeteilt und Ähnli-ches.Daraus speist sich meine Frage: Glauben Sie nichtauch, dass eine Ursache für die jetzige Lage der tiefeWunsch vieler Menschen in der Ukraine ist, zum euro-päischen Wertesystem zu gehören, an Europa teilhabenzu können und auch Zugang zu Europa zu erhalten, unddass diese Menschen Angst hatten, dass sie in einer his-torischen Situation sein könnten, in der sie die Chance,diese Ziele in Zukunft zu erreichen, ein für alle Mal ver-lieren könnten, wenn sie ihren Präsidenten jetzt nichtstoppen? Glauben Sie nicht auch, dass das ebenfalls eineUrsache ist, die vielleicht sogar tiefer reicht als die eben-falls wichtige soziale Lage im Land?
Sie haben mir doch zugehört: Ich habe die prekäre so-
ziale Lage genannt und die Verzweiflung, die daraus er-
wächst. Daraus resultiert der Wunsch gerade vieler jun-
ger Menschen, Zugang zu Europa zu erhalten, um das,
was sie im eigenen Land nicht realisieren konnten, in an-
deren Teilen Europas zu realisieren.
Wenn wir etwas tun wollen – das sage ich hier ganz
ernsthaft; das ist in etwa eine Nagelprobe –, dann lassen
Sie uns sofort für die Visafreiheit für Menschen aus der
Ukraine eintreten.
Wir dürfen nicht drumherum reden und dürfen diese
Menschen nicht wieder vertrösten. Ähnlich wie Sie, Herr
Sarrazin, habe ich viele Freunde in der Ukraine. Ich war
in verschiedenen Teilen der Ukraine unterwegs und habe
sehr unterschiedliche Bilder vor Augen. Der Wunsch,
ungehindert in andere, auch westeuropäische Länder rei-
sen zu können, ist überall manifest. Warum fangen wir
nicht damit an, ihnen das zu ermöglichen?
Wäre es nicht eine große Geste des Deutschen Bundesta-
ges, die Beschränkungen zurückzunehmen, sodass die
Bürgerinnen und Bürger der Ukraine visafrei nach
Deutschland kommen könnten? Das verstehe ich unter
einer Politik des Nichtzündelns: auf die Menschen ein-
gehen und über Werte diskutieren.
Bevor ich auf die Werte zu sprechen komme, komme
ich auf die unterschiedlichen Motive der Demonstranten
zurück. Die Menschen müssen das Recht haben, zu de-
monstrieren. Sie haben ein Recht auf Gewaltfreiheit und
darauf, nicht eingesperrt zu werden. Ich will mir nicht
den Spaß erlauben, darüber zu debattieren, was in
Deutschland passieren würde, wenn hier Ministerien be-
setzt würden – ich träume manchmal davon, dass es pas-
siert – und wie man hier reagieren würde. Es muss mit
gleichem Maß gemessen werden.
Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen: Ich be-
nutze nicht für alle Demonstranten den Begriff „Frei-
heitskämpfer“. Ein Teil der Demonstranten ist rechtsra-
dikales, nationalistisches Pack, mit dem ich mich nicht
verbünde, sondern gegen das ich dagegenhalte.
Das muss auch einmal zur Kenntnis genommen werden.
Dass die jüdischen Gemeinden in Kiew einen empören-
den und ängstlichen Brief geschrieben haben, dass sie
sich am Holocaust-Gedenktag nicht mehr getraut haben,
Veranstaltungen durchzuführen, weil sie unter Druck
und Angst standen, das muss uns doch erschrecken.
Uns müssen die Nazifeiern, die auch stattfinden, erschre-
cken. Wir müssen uns klar davon distanzieren und sa-
gen, der Begriff „Demonstrant“ alleine sagt noch nicht
aus, für was demonstriert wird. Wir wollen mit allen zu-
sammenarbeiten, die gewaltfrei eine andere, eine bessere
Ukraine wollen, die ein anderes Europa wollen. Ich will
aber nicht mit Rechtsradikalen zusammenarbeiten. Das
ist den Preis nicht wert. Das möchte ich hier ganz deut-
lich machen.
Herr Kollege Gehrcke, es gibt den Wunsch zu einer
Zwischenfrage von der Kollegin Beck.
Gerne.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Herr Kollege Gehrcke, sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass es in westlichen Medien massive Pro-
pagandaaktivitäten des FSB gibt, durch die zum einen
das Argument, der Maidan sei schon rechtsradikal unter-
wandert, immer stärker verbreitet wird, und durch die
andererseits die Einsatzkräfte von Berkut mit der Infor-
mation, dass der Maidan jüdisch unterwandert sei, der-
zeit heiß gemacht werden?
Hören Sie mir bitte noch einen Moment zu. Mein Ar-gument war, dass ich nicht möchte, dass wir alle, die miteinem Schild auftreten, Freiheitskämpfer nennen. Ichnenne Rechtsradikale, Rechtsextreme, Nazis und Fa-schisten nicht Freiheitskämpfer, sondern Gegner derFreiheit. Das muss doch gesagt werden.
Man kann sich ein eigenes Bild machen von dem, wasdort passiert, wie dort agiert wird. Das ist doch Realität.Wenn die jüdischen Gemeinden ihre Angst ausdrücken,müssen wir doch ihre Angst aufnehmen. Wir müssenzwischen den Demonstranten differenzieren. Wir müs-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014 897
Wolfgang Gehrcke
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sen ganz klar sagen, mit wem wir zusammenarbeitenwollen und mit wem nicht. Das ist mein Anliegen. Dassollte der Bundestag berücksichtigen, wenn er klug ist.
Eine letzte Bemerkung. Wir müssen auch einen ande-ren Umgang mit Russland finden. Ich möchte eine neueOstpolitik der Bundesregierung, in der nicht mit Russ-land über die Ukraine verhandelt wird, sondern in derdie Kooperation gesucht wird und gemeinsame Interes-sen vertreten werden. Wir werden nie gute, stabile euro-päische Lösungen erreichen, wenn sie immer gegenRussland gerichtet sind und wir die Ukrainer als Boll-werk gegen Russland einsetzen. Nur mit Russland zu-sammen wird eine Verbesserung der Situation möglichwerden. – Das ist mein Anliegen.Herzlichen Dank für die Fragen, für die Kritik und da-für, dass Sie mir zugehört haben.
Als nächstem Redner erteile ich Karl-Georg
Wellmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, wassich in der Ukraine im Moment zeigt, ist ermutigend undbeängstigend zugleich. Es ist beängstigend, weil es eingroßes Ausmaß an Gewalt und staatlicher Willkür, diewir im 21. Jahrhundert nicht mehr sehen wollen, gibt,und das Ermutigende daran ist das Ausmaß an Europa-begeisterung und auch die Begeisterung für europäischeWerte, die gerade von der jungen Generation dort aufdem Maidan und anderen Plätzen gezeigt wird.Neben der Beschreibung der Situation müssen wiruns doch die Frage stellen, was wir tun können. Was sindunsere Maßstäbe und die Leitplanken unseres jetzigenVorgehens?Erstens. Die Ukraine ist kulturell und historisch eineuropäisches Land, und deshalb muss die Ukraine aucheine europäische Perspektive haben.
Die Heranführung der Ukraine an europäische Struktu-ren heißt aber nichts anderes als eine politische Neuord-nung des europäischen Ostens. Hier sollten wir uns nocheinmal die Jubiläen dieses Jahres vor Augen halten.
Die Zeit von 1914 bis 1918 ist als Feld politischenLernens
– bei Ihnen ist es vielleicht Rapallo, bei uns nicht, FrauBeck – aktuell wieder interessant geworden. Das bedeu-tet aber, dass die Neuordnung dieses Teiles Europasnicht ohne die Beteiligung Russlands gelingen kann. Dasmuss uns klar sein,
und wir müssen sehr aufpassen, dass wir uns nicht wiedie sprichwörtlichen Schlafwandler bewegen.Die EU ist nicht identisch mit Europa. Die Mitte Eu-ropas hat sich seit der Wende nach Osten verschoben.Das sollten wir uns auch immer wieder vor Augen hal-ten, wenn wir über die Ukraine reden.Das mag aus der Perspektive eines Portugiesen viel-leicht anders aussehen, aber es bleibt ein schwerer politi-scher Fehler, dass Barroso in Vilnius erklärt hat, die Rus-sen hätten bei dieser Neuordnung Osteuropas nichtmitzureden.
Wenn wir die Probleme in der Ukraine im Konfliktmit Russland lösen würden – wir gegen Russland oderRussland gegen uns –, dann würde es politisch und fi-nanziell sehr teuer; das kann man an den russischenÜberweisungen erkennen, die jetzt getätigt werden. Au-ßerdem würden wir ein gespaltenes Land und Unfriedenhinterlassen. Das kann man täglich auch empirisch aufden Straßen der Ukraine feststellen.Was tun? In der Ukraine demonstriert in der Tat vorallem die Jugend auf den Straßen. Sie will eine europäi-sche Perspektive und kämpft für europäische Werte.Diese müssen wir den Menschen geben können, wennwir sie nicht schwer enttäuschen wollen. Es droht diegroße Gefahr, dass wir diese junge Generation enttäu-schen, und deshalb ist es in der Tat wichtig, ganz schnellüber eine Liberalisierung des Visaregimes nachzuden-ken.
Zweitens. Es fällt ins Auge, dass die Ablösung einesPräsidenten alleine noch kein Konzept für die Zukunftist und dass stabile Mehrheiten im Parlament für etwasganz Neues in der Ukraine im Moment auch nicht richtigerkennbar sind. Wir brauchen deshalb für die Ukraineein umfassendes Reformkonzept, und zwar in einer drei-seitigen Absprache, die nicht ohne Beteiligung Russ-lands stattfinden kann. Es muss um Investitionen gehen,das heißt, auch um Jobs und Perspektiven für die Men-schen in der Ukraine, um die Modernisierung der Indus-trie, um Strukturreformen, um mehr Rechtssicherheit
und um weniger Korruption.
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898 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Karl-Georg Wellmann
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Wir haben mit Russland viel zu besprechen, so viel,dass es in der Tat, wie Außenminister Steinmeier vor ei-nigen Tagen gesagt hat, einem europäischen Offenba-rungseid gleichkommt, dass sich der EU-Russland-Gip-fel in Brüssel vor drei Tagen schon nach wenigenStunden erschöpft hat. Hier kann ich Herrn Steinmeiernur vollständig recht geben.
– Danke.
Das Wichtigste ist: Wir brauchen einen soliden undvor allem gewaltfreien Prozess in der Ukraine. – Ichkann es nicht anders sagen: Hier fallen mir die Transpa-rente in der zu Ende gehenden DDR ein. Sie können sichnoch an den Aufdruck erinnern: „Keine Gewalt!“
– Ich weiß, das versetzt Ihnen einen Stich ins Herz, HerrGehrcke, aber ich sage es trotzdem:
Keine Gewalt, weder vom Staat noch von den Demon-stranten.
Die Unterstützung dieses politischen Reformprozes-ses ist die wichtigste Aufgabe für uns alle und für dieBundesregierung.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als Nächster erteile ich der Kollegin MarieluiseBeck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inder vergangenen Woche ist in Lemberg ein junger Mannunter der Anteilnahme von 10 000 Bürgerinnen und Bür-gern zu Grabe getragen worden. Er ist im Wald von Si-cherheitskräften des Präsidenten Janukowitsch zusam-mengeschlagen worden und dann erfroren. Wer hierunterstellen möchte, diese Bewegung in der Ukraine seimehrheitlich rechtsradikal und antisemitisch,
der fällt diesen Menschen in den Rücken, die in der Tatzum ersten Mal unter den Flaggen der Ukraine und derEU gemeinsam für Freiheit kämpfen.
Sie kämpfen auch für Europa, wie sie sagen, obwohl sieeigentlich zu Europa gehören, Herr Kollege Wellmann.Aber für diese Menschen ist Europa ein Synonym: einSynonym für die Befreiung von Willkür, ein Synonymfür die Befreiung von der Kleptokratie, die in derUkraine in atemberaubender Weise um sich greifenkonnte, ein Synonym für die Abschaffung von Wahlbe-trug und ein Synonym dafür, dass die Staatsgewalt nichteinfach blindwütig zuschlagen darf.Es gibt die Hoffnung, dass Europa, wie gesagt wird,der nächsten Generation eine Zukunft gibt. Ich weiß,dass Menschen, die von der Entwicklung der OrangenenRevolution enttäuscht gewesen sind und gesagt haben:„Wir gehen nicht noch einmal auf die Straße“, auf dieStraße gegangen sind, als sie gesehen haben: UnsereKinder werden geschlagen. Da kamen die Massen aufdie Straße. Unter sie haben sich rechtsradikale Elementegemischt, aber sie sind nicht die Mehrheit.
Sie könnten aber die Mehrheit werden, wenn wir inEuropa diese Menschen, die vielleicht mehr an Europaund dessen Werte glauben als wir, bitter enttäuschen undsie sich alleingelassen fühlen. Das stärkt die radikalenKräfte; denn die werden sagen: Seht ihr, ihr habt vonEuropa nichts zu erwarten. Wir müssen mit unserenKnüppeln die Sache selber in die Hand nehmen. – Daswäre eine Art von Selffulfilling Prophecy.
Dieser Bewegung – ich habe es eben wieder vorsich-tig gehört, mehr im Kammerton; gestern Morgen imAusschuss war das deutlicher zu vernehmen – wird vor-geworfen, sie habe kein gemeinsames Programm. Sie hatgemeinsame Ziele: Sie wollen nach Europa. Sie wollenBefreiung von der Kleptokratie, zum Beispiel die desPräsidentensohns, dessen Vermögen sich innerhalb vondrei Jahren von 7 auf 510 Millionen Dollar erhöht hatund der das Geld in den Westen schaffen konnte. Siewollen Rechtsstaat statt Korruption. Sie wollen Amnes-tie. Und sie haben ein politisches Ziel: die Rückkehr zurVerfassung von 2004, die Janukowitsch abgeschafft hat.Erst die Einführung der Demokratie würde die Möglich-keit bieten, freie Entscheidungen zu treffen und freieWahlen in der Ukraine durchzuführen. Diese Menschenvertrauen auf uns. Das sollten wir ernst nehmen.Wer sechs Jahre einen Vertrag verhandelt, hat eineVerantwortung übernommen. Dies gilt nicht nur für Prä-sident Janukowitsch, der seiner Bevölkerung jahrelangerklärt hat: Ich handle einen Vertrag aus und werde ihnunterzeichnen. – Vielmehr sind auch wir in der Verant-wortung.
Wer jetzt sagt: „Das könnte für uns zu teuer werden“,wird den europäischen Werten in ungeheuerlicher Weisenicht gerecht. Wir müssen da, wo wir Hoffnungen ge-weckt und Verantwortung übernommen haben, bereitsein, dafür einzustehen. Dazu gehört auch, keine heimli-chen Zugeständnisse an den Kreml zu machen und etwa
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Marieluise Beck
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zu sagen, dass die Ukraine eben doch russische Einfluss-zone sei und dass man dieses Assoziierungsabkommenvielleicht von vornherein nicht hätte verhandeln dürfen.Dazu gehört auch: keine heimliche Akzeptanz einessehr kalt kalkulierten geostrategischen Machtdenkensvon Putin, der dabei ist, die Reste des Imperiums wiedereinzusammeln. Dazu gehört auch, ihm nicht zuzugeste-hen: Das, was Snyder die „Bloodlands“ nennt, der Pufferzwischen Polen und Russland, wird wieder als russi-sches Glacis anerkannt; wir pfeifen auf die Souveränitätdieser Länder. – Diese Zungenschläge müssen wir unsverbitten.Was können wir Parlamentarier und Parlamentarierin-nen tun? Es gibt 28 EU-Länder. Wenn sich aus jedemParlament nur zwei Parlamentarierinnen und Parlamen-tarier in den nächsten Wochen aufmachen und ständig inKiew, Charkow, Lemberg vor Ort sind – das ist das, waswir tun können –, dann wären immer mehr als 50 Parla-mentarier in der Ukraine.Ich meine, wir sollten uns dazu durchringen, das mitunseren Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamentenin der EU zu tun. Wir sollten wenigstens das tun: in dieUkraine gehen, vor Ort sein, den Menschen zeigen, dasswir zu unseren Versprechen und zu unseren Werten ste-hen und dass wir sie schützen wollen, soweit wir nur ir-gend können.Schönen Dank.
Als letzter Rednerin in unserer Debatte gebe ich zu
ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag der Kollegin
Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Das ist heute meine erste Rede im Deut-schen Bundestag. Ich möchte mich an dieser Stelle fürdas Vertrauen der Menschen aus meiner Heimatregionbedanken.Ohne gegenseitiges Vertrauen kann eine Gesellschaftnicht funktionieren. Das zeigt sich in der Ukraine ganzdeutlich. Die Jahre der Willkür und der Korruption resul-tierten dort in einem massiven politischen Vertrauens-verlust. Ende 2013 wurde allen klar, dass Janukowitschkein ernsthaftes Interesse an einem Assoziierungsab-kommen mit der EU hat. Seither gibt es massive Protesteder proeuropäischen Bevölkerung.Trotzdem hat der Rat der EU-Außenminister am20. Januar 2014 bekräftigt, dass die Tür für Verhandlun-gen mit der Ukraine geöffnet bleiben soll. Die CSU be-grüßt das ausdrücklich. Denn wir wollen dem Strebender Menschen nach Demokratie, nach Recht und Freiheiteine reale Perspektive geben.Statt auf den Protest der Menschen ernsthaft ein-zugehen, beschloss man in Kiew, die Meinungs- undVersammlungsfreiheit einzuschränken. Am 16. Januarverabschiedete das Parlament ohne jegliche Debatte ent-sprechende Gesetze. Seither eskaliert die Krise.Obwohl die Gesetze nun zurückgenommen wurden,müssen wir feststellen, dass sowohl der Regierung vonJanukowitsch als auch der Oppositionsbewegung umVitali Klitschko die Kontrolle entglitten ist. Gewalt-exzesse breiten sich über das ganze Land aus. Wir be-kommen Berichte über die ersten Toten und zahlloseVerletzte. Als Christen, Europäer und Nachbarn derUkraine dürfen und wollen wir dieser Gewalt nicht ta-tenlos zusehen. Vorrangiges Ziel muss die Vermeidungweiteren Blutvergießens sein. Der Konflikt muss fried-lich gelöst werden.Dafür muss Europa aber erstens geschlossen auftre-ten. Nur gemeinsam können wir genug Druck aufbauen,um Janukowitsch vom Einsatz brutaler Gewalt gegen dieDemonstranten abzuhalten und zurück an den Verhand-lungstisch zu drängen. Die EU hat mit dem tschechi-schen Erweiterungskommissar Stefan Füle einen hoch-rangigen Vertreter vor Ort, der vermitteln, beobachtenund berichten kann. Das ist zu begrüßen, reicht abernicht aus.Zweitens müssen wir auch die Opposition zur Fried-fertigkeit drängen. Klitschko und seinen Mitstreiternentgleitet die Kontrolle über die Oppositionsbewegung.An jedem Tag, an dem sie keine Ergebnisse liefern,schwindet ihr Rückhalt bei den Demonstranten. Das öff-net Räume für Extremisten und gewaltbereite Hooligans.Wir müssen daher gezielt die friedlichen und demokrati-schen Kräfte innerhalb der Oppositionsbewegung stär-ken. Die Konrad-Adenauer-Stiftung leistet hier wert-volle Arbeit. Die CSU hat heute Vitali Klitschko alsihren Hauptredner auf der Münchner Sicherheitskonfe-renz zu Gast.Drittens dürfen wir uns nicht nur auf Janukowitschkonzentrieren. Auch den Funktionsträgern im Umfelddes Präsidenten muss klar sein, dass weiteres Blutvergie-ßen ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen wird. Eu-ropa verfügt mit gezielten Visasperren und finanziellenSanktionen über ein erhebliches Druckpotenzial gegen-über den wichtigen Entscheidungsträgern in derUkraine.Viertens müssen wir dauerhaft aufmerksam bleiben.Indem wir die Geschehnisse in der Ukraine verfolgen,erhöhen wir den Druck auf die Regierung und errichtenHürden gegen den Einsatz von Gewalt. Leider ist die in-ternationale öffentliche Aufmerksamkeit bei solchenKrisen meistens nicht von Dauer. Wir dürfen nicht zulas-sen, dass Janukowitsch jetzt auf Zeit spielt und zumSchein Zugeständnisse macht, nur um zum alten Kurszurückzukehren, sobald die Weltöffentlichkeit wiederwegsieht.
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900 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Freitag, den 31. Januar 2014
Andrea Lindholz
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Fünftens sollte sich die EU zusammen mit den USAauf eine Position gegenüber Russland einigen. Gemein-sam müssen wir deutlich machen, dass auch der Kremlgefordert ist, an der Deeskalation der Krise mitzuwirken.Gerade mit Blick auf die Olympischen Winterspiele inSotschi wird man in Moskau internationale Verstimmun-gen vielleicht vermeiden wollen. Dieser Umstand solltegenutzt werden.Die Bundeskanzlerin hat am Mittwoch ihre Bewunde-rung für die mutigen Demonstranten in der Ukraine ge-äußert. In der CSU wird diese Bewunderung aufrichtiggeteilt. Der ukrainische Botschafter in Deutschland,Pavlo Klimkin, hat heute das Engagement der EU undder Bundesregierung zur Beilegung der Krise in seinemLand gelobt.Unzählige Menschen harren seit Wochen und Mona-ten bei eisigen Temperaturen von teilweise minus30 Grad auf den Straßen und Plätzen in Kiew aus. Sieriskieren ihre Gesundheit, ihre Freiheit und sogar ihr Le-ben, um näher an Europa und seine demokratischen,rechtsstaatlichen und freiheitlichen Grundwerte heranzu-rücken. Auch wenn unser Einfluss insgesamt sicherlichbegrenzt bleibt, müssen wir alles versuchen, um weiteresBlutvergießen zu verhindern und eine friedliche Lösungdes Konflikts zu ermöglichen.Vielen Dank, dass Sie mir bei meiner ersten Rede zu-gehört haben.
Das Präsidium gratuliert Frau Kollegin Lindholz zu
ihrer ersten Rede.
Wir sind am Ende der Aussprache und damit auch am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destags auf Mittwoch, den 12. Februar 2014, um 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.