Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet; nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte Sie vor Eintritt in unsere Tagesordnung auf die
Vereinbarung der Fraktionen aufmerksam machen, die
Unterrichtung der Bundesregierung zum Beitragssatzge-
setz 2013 auf der Drucksache 17/11059 dem federfüh-
renden Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zur Mit-
beratung dem Haushaltsausschuss, dem Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie sowie dem Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu überweisen.
Können Sie sich damit anfreunden? – Das ist offensicht-
lich der Fall. Dann können wir so verfahren.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 und 38 auf:
34 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur inner-
staatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags
– Drucksachen 17/10976, 17/11011 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
38 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum
Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr
2012
– Drucksache 17/10900 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu
stelle ich keine Einwände fest. Dann ist das so beschlos-
sen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen
Kampeter.
S
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir treffen uns heute Morgen, nachdem in Brüs-sel weitere wichtige und aus deutscher Sicht erfreulicheFestlegungen für die europäische Integration getroffenworden sind. Die Schlussfolgerungen des EuropäischenRates aus der vergangenen Nacht machen deutlich,welch erfreuliche Fortschritte es gegeben hat für mehrStabilität in Europa. Dies ist ein Erfolg für die Frau Bun-deskanzlerin. Es ist ein Erfolg für Europa und damit einErfolg für uns alle, meine sehr verehrten Damen undHerren.
Europa zeigt sich weiter handlungsfähig. Die Verein-barungen zeigen allerdings auch, dass unser Wille zurEinigung nicht zulasten von Qualität geht. Insbesonderedie Festlegungen zur Bankenunion machen deutlich, wiewichtig die Inkraftsetzung einer einheitlichen europäi-schen Aufsicht ist. Wir lassen uns da insoweit auch nichtin qualitativ schlechtere Lösungen drängen. Deswegenist es erfreulich, dass die von uns vorgesehene Schritt-folge vom Europäischen Rat bestätigt worden ist. Dasentspricht dem, was die Frau Bundeskanzlerin am ver-gangenen Donnerstag hier in ihrer Regierungserklärungdeutlich gemacht hat.Damit schlage ich eine Brücke zu einem Teil dessen,was wir heute in erster Lesung beraten. Es geht um dieUmsetzung der europarechtlichen Regelungen, die wirin der Vergangenheit getroffen haben, in nationalesRecht. Der Fiskalvertrag und die Reform des Stabilitäts-und Wachstumspakts haben mehrere Dimensionen. Zumeinen geht es um anständige Haushaltspolitik – dass manauf Dauer nicht mehr Geld ausgeben kann, als man hat –,zum anderen geht es darum, die nationalen Reformkom-petenzen nicht nur in der Euro-Zone zu stärken und dieseReformkompetenzen mit dem Ziel von mehr Wettbe-
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Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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werbsorientierung fortzuentwickeln. Schließlich geht esdarum, in abgestimmter europäischer Form einzugreifen,wo sich jemand an europäische Regeln nicht hält. Diesedrei Dimensionen – anständige Haushaltspolitik undStärkung der Reformkompetenz bei gleichzeitiger Kon-trolle –, das ist das, wofür die Bundesregierung und diechristlich-liberale Koalition angetreten sind. Um das na-tional umzusetzen, haben wir diesen Gesetzentwurfheute eingebracht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die natio-nale Umsetzung des Fiskalvertrags macht deutlich, dassBund und Länder in der Umsetzung dessen, was haus-haltspolitisch geboten ist, zusammenarbeiten müssen.Das darf nicht zulasten einer einzelnen Ebene gehen.Gleichwohl weiß ich, dass starke Schultern mehr alsschwächere Schultern tragen können. Föderalismus be-deutet in Deutschland auch Eigenverantwortung. Des-wegen müssen die Haushaltsprobleme der Länder vor-dringlich von den Ländern selbst gelöst werden. Jederkehre bitte vor seiner eigenen Tür.
Trotzdem ermöglichen wir mit dem hier vorgelegtenGesetzespaket, dass wir uns über diese Fragen abstim-men. Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dassdies nicht die letzte Diskussion über die Bund-Länder-Finanzverfassung ist. In der nächsten Legislaturperiodewird das Thema Föderalismuskommission – unter wel-cher Überschrift auch immer – zweifelsohne eine grö-ßere Bedeutung haben.Wir Deutschen stehen bei der Umsetzung des Fiskal-vertrages aber auch unter besonderer internationaler Be-obachtung; denn wer von anderen viel einfordert, mussbei der Umsetzung der europäischen Regeln in nationa-les Recht außerordentlich vorbildlich handeln. Deswe-gen wollen wir unser geltendes Regelwerk um einenSicherungs- und Korrekturmechanismus auf gesamt-staatlicher Ebene ergänzen. Kern dieses Mechanismusist, dass wir die nach den europäischen Regeln zulässigeObergrenze für das gesamtstaatliche strukturelle Defizitvon einem halben Prozent unseres Bruttoinlandsproduk-tes festschreiben, die Einhaltung dieser Grenze durchden Stabilitätsrat überwachen lassen und etwaige Sank-tionszahlungen innerstaatlich aufteilen. Insgesamt schaf-fen wir so ein finanzpolitisches Regelwerk in europäi-schem Geist.Ich will an dieser Stelle festhalten, dass Befürchtun-gen, dass Schuldenbremsen – seien sie national oder in-ternational initiiert – das Ende von gestaltender Politiksind, falsch sind. Das Gegenteil ist richtig: Nur wer da-rauf achtet, mit seinen Haushaltsmitteln auszukommen,ist von den Kapitalmärkten unabhängig, ist von steigen-den Zinsen unabhängig. Die Schuldenbremse desGrundgesetzes und der Fiskalvertrag auf europäischerEbene sind die Rückgewinnung des Gestaltungsraumesfür Politik. Deswegen ist die Schuldenbremse wichtigund eine notwendige Ergänzung, um aus den Fehlern derVergangenheit zu lernen, als man glaubte, nur mit Schul-den Politik gestalten zu können. Konsolidierung ist einAuftrag an Gestaltung, an Priorisierung, und deswegenauch im Sinne nachfolgender Generationen notwendig.
Lassen Sie mich auf den zweiten Gesetzentwurf ein-gehen, den wir heute dem Deutschen Bundestag vorle-gen; er hat mit dem Haushalt zu tun. Ich will nicht ver-hehlen, dass ich den Eindruck habe, dass die Vorlagedieses Nachtragshaushaltes dem einen oder anderenLandesvertreter es etwas leichter macht, dem Fiskalver-trag im Bundesrat zuzustimmen. Es geht um mehrereDinge.Es geht zum einen um mehr Geld für die unter Drei-jährigen-Betreuung. Kristina Schröder, die Bundesfami-lienministerin, hat auf diesem Kompetenzfeld besondereVerdienste, weil sie nicht nur dafür eingetreten ist, dasssich der Bund auf diesem Feld engagiert. Vielmehr er-mahnt sie auch kontinuierlich die Länder, ihre Verant-wortung wahrzunehmen, die sie bei der unter Dreijähri-gen-Betreuung verfassungsrechtlich haben.
Dies ist keine leichte Aufgabe. Vielmehr sollte man ihrgelegentlich ein bisschen mehr Respekt – statt der Un-ruhe der Opposition – entgegenbringen. Dies ist nämlicheine Investition in die Zukunft, die wir absichern.
Sie wird im Einzelnen noch einmal darauf eingehen.Als Finanzpolitiker will ich auf eine Sache hinweisen:Es geht nicht – und das werden wir auch nicht durchge-hen lassen –, dass die Länder kassieren, ohne in diesemBereich zu investieren. Wie werden ganz genau hinse-hen, ob die zusätzlichen Mittel auch dort eingesetzt wer-den, wofür sie gedacht sind.
Die zweite Botschaft des Nachtragsetats ist: Wir hal-ten Wort in Europa. Es ist auf dem letzten Gipfel derStaats- und Regierungschefs im Juni beschlossen wor-den, dass wir die Europäische Investitionsbank mit mehrEigenkapital ausstatten, damit sie mehr Möglichkeitenhat. Die Europäische Investitionsbank ist ein wichtigesInstrument unserer Wachstumsförderungsstrategie inEuropa. Deswegen glaube ich, dass die 1,6 MilliardenEuro, die wir der EIB aus Deutschland bereitstellen, einwichtiger Beitrag für mehr Wachstum und Beschäfti-gung in allen Ländern Europas und sicherlich auch einBeitrag zur Linderung der Folgen der Krise in den soge-nannten Peripherieländern sind. Deutschland steht zuseinem Wort. Wir übernehmen Führung bei der Einzah-lung der Kapitalverstärkung der Europäischen Investi-tionsbank.
Schließlich bleibt zu sagen: Der Hauptstadtflughafenist sicherlich kein Glanzstück der Landespolitik von Ber-lin bzw. Brandenburg. Wir stehen aber auch zu unsererVerantwortung, wenn es schwierig wird.
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Es ist für das Ansehen Deutschlands nicht sehr vorteil-haft, wenn der Eindruck erweckt wird, wir könnten keineFlughäfen mehr bauen.
Trotzdem macht es überhaupt keinen Sinn, jetzt inKlein-Klein zu verfallen und die notwendige Erneuerungdes Hauptstadtflughafens weiter zu verzögern.
Hier sagen wir: Für die notwendige Kapitalerhöhung,vorbehaltlich weiterer Beschlüsse in der Koalition,schaffen wir eine haushaltsrechtliche Voraussetzung.Selbst wenn uns der Wind einmal ins Gesicht bläst undandere nicht so gehandelt haben, wie man sich das ge-wünscht hätte,
steht der Bund auch hier zu seiner Verantwortung. Des-wegen ist die Entscheidung zum Flughafen Berlin-Bran-denburg mit Zustimmung des Bundes zweifelsohne rich-tig.Nun könnte man sagen: Das sind nur drei Punkte, undschon wieder steigt die Nettokreditaufnahme. – Das istfalsch, liebe Freunde, meine sehr verehrten Damen undHerren. Richtig ist vielmehr, dass es uns durch die er-freuliche wirtschaftliche Entwicklung in Deutschlandund das sehr stabile Zinsumfeld möglich wurde,
diese zusätzlichen Herausforderungen zu schultern. Dasgeschieht mit Minderausgaben an anderer Stelle, vor al-len Dingen im Zinsbereich.
Die europäische Solidarität, die Solidarität für die un-ter Dreijährigen und das Ermöglichen von Leistungenauf Landesebene führen eben nicht zu Mehrbelastungenoder zu Einschränkungen an anderer Stelle. Vielmehr istdie Haushaltspolitik von Wolfgang Schäuble solide.Wenn zusätzliche Leistungen einmal nötig sind, könnenwir sie auch erbringen.Das ist ein gutes Signal für Deutschland. Damit istdeutsche Haushaltspolitik sicherlich auch ein Maßstabfür europäische Stabilität in Haushaltsangelegenheiten.Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen undHerren.
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Carsten
Schneider das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be-ginnen möchte ich mit einer kurzen Erwiderung zum eu-ropäischen Gipfel gestern. Soweit ich es festgestellthabe, gab es gar keine Ergebnisse, außer der Ankündi-gung, dass der Termin, zum 1. Januar 2013 eine europäi-sche Bankenaufsicht einzuführen, auch auf Druck derBundesregierung verschoben worden ist.Warum ist das so? Darauf hat der französische Präsi-dent gestern hingewiesen. Er sagte, in Deutschland steheein Wahltermin an. Warum ist dieser Wahltermin fürDeutschland so wichtig? Es handelt sich um die Bundes-tagswahl, es stehen also wichtige Entscheidungen an.Was hat die Kanzlerin beim letzten Gipfel zugesagt?Sie hat zugesagt, dass es eine Direktkapitalisierung voneuropäischen Banken aus europäischen Steuermittelngeben soll. Die größten europäischen Banken werdensich dann, wenn sie Probleme haben, beim deutschenSteuerzahler bedienen können. Ich finde, das hätten Sieauch einmal sagen müssen. Diese Direktkapitalisierunglehnen wir strikt ab.
Es war ein Fehler, Ende Juni diesen Beschluss zu fas-sen. Er bedeutet eine Aufhebung des Zusammenhangsvon Risiko und Haftung und führt zu einem direkten Zu-griff auf deutsches Steuerzahlergeld durch europäischeBanken. Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass derStabilitätsmechanismus, der eigentlich für Staaten ge-dacht ist, auf diese Weise zu einem Selbstbedienungsla-den für Banken wird. Deswegen werden wir darauf be-stehen, dass diese Entscheidung korrigiert wird.Ich komme jetzt zum Nachtragshaushalt. Ja, wir stim-men den einzelnen Maßnahmen zu, die hier geändertwerden sollen. Nein, wir stimmen der hohen Kreditauf-nahme nicht zu. Sehr verehrter Herr Kollege Kampeter,Sie haben nicht gesagt, dass die Zahl von 32 MilliardenEuro, die Sie jetzt als Kreditaufnahme veranschlagen,fast doppelt so hoch ist wie die Zahl, die 2011 veran-schlagt wurde.Herr Kampeter, Sie haben auch nicht gesagt, dassHerr Schäuble in seiner Amtszeit 112 Milliarden EuroSchulden gemacht hat und die Aufnahme weitererSchulden plant, wozu die Regierung Ja gesagt hat. Siehaben auch nicht gesagt, dass es bei den Zinsen Entlas-tungen in Höhe von über 20 Milliarden Euro gab. Diesist kein Ausweis solider Finanzpolitik, das ist das Ge-genteil.
Die SPD hat in den Haushaltsberatungen 2012 Anträgeeingebracht: zum Steuersubventionsabbau, zu Steuerer-höhungen im Spitzenbereich, zu Ausgabenkürzungen,
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Carsten Schneider
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um die Kreditaufnahme um 7 Milliarden Euro zu senken.Sie haben alles abgelehnt.Im Rahmen der Beratungen zum Nachtragshaushaltwerden wir nach Möglichkeiten suchen – und sie auchfinden –, um die Kreditaufnahme auf ein erträglicheresNiveau zu senken. Wir wollen Ihnen zumindest verweh-ren, auf Kosten künftiger Generationen mit dem Geld sozu schludern, wie Sie es jetzt tun. Deswegen werden wirdem Nachtragshaushalt, so wie er jetzt vorliegt – mit ei-ner hohen Kreditaufnahme –, nicht zustimmen.
Zum Zweiten eine kurze Anmerkung zum FlughafenBerlin-Brandenburg. Die Entwicklung dort ist sicherlichkein Ruhmesblatt. Aber ich finde, zur Verantwortung desBundes, den Sie vertreten, gehört es ja wohl dazu, daraufhinzuweisen, dass der Bund mit je einem Staatssekretäraus dem Finanzministerium und dem Verkehrsministe-rium ebenso im Aufsichtsrat vertreten war und ebensonicht gehandelt hat oder die Fehler mit hingenommenhat.
Machen Sie sich da nicht vom Acker. Sie gehören ge-nauso mit dazu.Drittens: Fiskalvertrag. Ja, hier geht es um eine wich-tige Entscheidung für die Europäische Union, aber auchfür uns hier in Deutschland. Der Fiskalvertrag – Sie ha-ben darauf hingewiesen – setzt weitestgehend auf derdeutschen Schuldenbremse auf; die Möglichkeit derstrukturellen Verschuldung ist sogar noch höher als nachdeutschem Recht. Das Einzige, was wir wirklich ändernmüssen, ist der Korrekturmechanismus, der greift, wennes innerhalb eines Jahres zu Veränderungen kommt oderdie vorgegebenen Zahlen nicht eingehalten werden.Ich finde, man muss sich das ganz genau anschauen.In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, dass derBundestag bei den Entscheidungen, die er tagtäglich,manchmal auch über Nacht, zu treffen hat, etwa zur Ban-kenrettung und insbesondere zur Euro-Stabilisierung,zunehmend Getriebener ist. Oftmals war es so, dass wirsehr weitgehend von der Expertise der Bundesregierung,aber auch externem Sachverstand abhängig waren. Ichfinde, dass es richtig ist, in Notsituationen zu entschei-den. Ich finde aber auch, dass man die notwendigenKonsequenzen daraus ziehen muss. Eine dieser Konse-quenzen kann nur sein, den Bundestag als Ort der De-batte und der Entscheidungen, für die wir alle im End-effekt geradestehen, institutionell so zu stärken, dass erdiese Aufgabe wahrnehmen kann.Wenn ich mir einerseits das Gesetz anschaue und an-dererseits die Vorgabe der Europäischen Union zurKenntnis nehme, ein unabhängiges Gremium einzurich-ten, das die Finanzpolitik begutachtet, evaluiert undletztendlich Bewertungen abgibt, dann komme ich zudem Schluss: So wie Sie es bisher vorgeschlagen haben– ich vermute, es handelt sich um eine Einigung mit denBundesländern –, ist es doch sehr stark auf die Exekutiveorientiert und fixiert. Die Benennung der Mitglieder desunabhängigen Gremiums erfolgt durch die Bundesregie-rung und den Bundesrat. Letztendlich sind nur drei vonneun Mitgliedern wirklich unabhängig, und sie berichtendem Bundestag im Zweifel gar nicht; wir haben auch garkeinen Einfluss darauf. Da aber die Finanzpolitik – Steu-ern, Verschuldung – Kernbereich der parlamentarischenDemokratie und unserer Entscheidungsbefugnisse ist,muss dieses Gremium mit seiner Kontrollmöglichkeitbeim Bundestag eingerichtet werden, damit der Bundes-tag letztendlich darüber debattieren kann.
Ich sage das wirklich vollkommen wertungsfrei.Denn es gibt unabhängig davon, wer gerade zur Regie-rung oder zur Opposition gehört – ich habe lange genugim Bundestag eine Regierung mitgetragen –, immer De-batten zwischen Opposition und Regierung. Hier geht esaber um eine Grundsatzentscheidung – wahrscheinlichfür die nächsten 20 oder 30 Jahre – über die Frage, inwelchem Verhältnis der Bundestag, das Parlament, zurRegierung steht und inwieweit er langfristig strukturellin der Lage ist, mit Expertise in die Debatten einzugrei-fen, die auf europäischer Ebene, in der Wissenschaft undinsbesondere zwischen Bund und Ländern stattfinden.Ich finde, jetzt ist die Gelegenheit, eine solche Grund-satzentscheidung zu treffen. Deswegen hoffe ich, dass esuns allen gelingt, dort eine Veränderung vorzunehmen,um den Bundestag zu stärken, und zum Beispiel demVorschlag der SPD zu folgen, einen nationalen Rat fürFinanzpolitik einzurichten, der es ermöglicht, dass wirauch in der Öffentlichkeit kritisch, aber konstruktiv übereine Finanzpolitik für Deutschland diskutieren, mit deres in Zukunft gelingt, wirklich glaubwürdig und solidehauszuhalten.In diesem Sinne: Vielen Dank.
Florian Toncar ist der nächste Redner für die FDP-
Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wir beraten heute über die Umsetzungdes Fiskalvertrags und damit über einen ganz entschei-denden Baustein unserer neuen europäischen Stabilitäts-union, eine der Antworten, die die Bundesregierung ge-meinsam mit den europäischen Partnern auf die aktuelleKrise im Euro-Raum gegeben hat und die uns weiter-führt, wenn sie jetzt konsequent umgesetzt wird. In Zu-kunft dürfen Staaten, die den Euro als Währung haben,und einige andere europäische Staaten nur noch Schul-den im Umfang von 0,5 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts machen. Sie müssen nach diesem Fiskalvertrag
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Florian Toncar
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ihre Gesamtverschuldung kontrolliert auf 60 Prozent desBruttoinlandsprodukts abbauen; man muss die Verschul-dung also Schritt für Schritt reduzieren. Die europäi-schen Institutionen, die Kommission und der Gerichts-hof, können besser durchsetzen, dass das eingehaltenwird. Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt gegen-über dem, was bisher gegolten hat.Ich will noch einmal daran erinnern, warum dieserFiskalvertrag nötig wurde. Es gab beim Euro eigentlichvon Anfang an Regeln, die besagt haben: Ihr dürft nichtso viele Schulden machen. – Wer beim Euro Mitgliedwerden wollte, der durfte höchstens 60 Prozent Ver-schuldung haben und durfte nicht mehr als 3 Prozentneue Schulden pro Jahr machen. Das Problem ist nur,dass diese Regeln nicht eingehalten worden sind, weilsie von SPD und Grünen gemeinsam mit Frankreich imJahr 2004 politisch ausgehebelt wurden. Die Regeln, dieSie damals ramponiert haben, stellen wir mit dem Fis-kalvertrag wieder her.
Ich finde es übrigens auch ganz interessant, dass manvon Sozialdemokraten und Grünen nie etwas dazu hört,was sie 2004 gemacht haben.
– Sie können gleich etwas dazu sagen, Kollege Poß. Ei-gentlich müssten Sie, da Sie sehen, was mit der Europäi-schen Währungsunion passiert ist, nachdem Sie die Re-geln deformiert haben, ziemlich demütig sein
und sich bei den Bürgern in Deutschland dafür entschul-digen, was Sie im Jahr 2004 angerichtet haben.
Herr Kollege Toncar, darf Ihnen der Kollege Poß eine
Zwischenfrage stellen?
Bitte schön.
Lieber Herr Kollege, wollen Sie mit diesen Ausfüh-
rungen bestreiten, dass erst durch die Änderung des Ver-
trages die Möglichkeiten eröffnet wurden, die CDU/
CSU und SPD zur Zeit der Großen Koalition genutzt ha-
ben, um das Konzept der Schuldenbremse umzusetzen
und die Philosophie des Stabilitäts- und Wachstumspak-
tes aufzugreifen, und erst dadurch die Voraussetzungen
dafür geschaffen wurden, dass wir in der Krise gemein-
schaftlich erfolgreich arbeiten konnten, indem wir zwei
Krisenpakete mit 80 Milliarden Euro verabschiedet ha-
ben? Ohne die vertraglichen Änderungen hätten wir
diese Möglichkeiten nicht gehabt. Wollen Sie das mit Ih-
ren Ausführungen bestreiten? Oder haben Sie das nicht
mitbekommen?
Ich muss schon feststellen, dass der ehemalige Koali-
tionspartner – bis hin zur Kanzlerin – sein Gedächtnis in
dieser Frage total verloren hat, aber Sie haben es doch
auch aufmerksam verfolgt.
Kollege Poß, ich bin Ihnen zunächst einmal dankbar,dass Sie sich auf die Diskussion einlassen.
– Gut. In Ordnung. – Sie sagten gerade allerdings, dassder Bruch der Regeln, das Deformieren der Regeln 2004– das haben Sie politisch zu verantworten – dazu geführthaben, dass man 2009 Probleme lösen konnte, Probleme,die man ohne den Bruch dieser Regeln nicht oder nichtin dieser Form gehabt hätte.
Das ist eine ganz bemerkenswerte Argumentation.
– Ich hatte das Gefühl, die SPD-Fraktion ist eben schoneinmal zu Wort gekommen, und sie wird im Laufe dieserDebatte sicherlich noch einmal zu Wort kommen.Was der Fiskalvertrag jedenfalls beinhaltet, ist, dassEuropa gemeinsam voranschreitet und sagt: UnserWohlstand, unser Wirtschaftswachstum dürfen nichtdurch Neuverschuldung erkauft werden. Wohlstandmuss erarbeitet werden und darf nicht über Neuverschul-dung generiert werden. Es ist für Regierungen zwarmanchmal verführerisch, Schulden zu machen,
aber wir werden mit dem Fiskalvertrag diesem Konzeptvon Wirtschaftswachstum und Wohlstand, dem Sie ja of-fenkundig auch noch anhängen, eine Absage erteilen.Das wird es in Europa in Zukunft nicht mehr geben.Wir werden im Zuge der Umsetzung des Fiskalver-trags auch die aktuellen politischen Themen noch einmalaufgreifen und wollen die heutige Debatte nutzen, umdie politische Schwerpunktsetzung der Bundesregierungauf Bildung zu unterstreichen. Sie wissen, in vier Jahreninvestieren wir trotz Haushaltskonsolidierung und ohnedafür zusätzliche Schulden zu machen 12 MilliardenEuro in alle möglichen Bereiche von Bildung und For-schung. Dieser Verantwortung kommen wir auch heutenach, indem wir weitere 580 Millionen Euro in den Aus-bau der Kinderbetreuung investieren. Für uns ist es einewichtige Investition, weil es Bildungseinrichtungen sind,in denen Kinder eine gute Zukunft haben sollen, und wir
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Florian Toncar
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bekennen uns als Bund dazu, dass wir hier in der Verant-wortung stehen.Wir wissen aber auch, dass sich die Länder, die ur-sprünglich beim Ausbau der Kinderbetreuung mitge-macht haben, dieses Mal finanziell nicht beteiligen.Auch das muss man einmal hervorheben: Diese Aufsto-ckung nimmt der Bund ganz alleine vor. Das muss maneinmal betonen, weil – so finde ich – es eine gesamtge-sellschaftliche Aufgabe ist. Bund, Länder und Kommu-nen sollten eigentlich gemeinsam für eine gute Kinder-betreuung sorgen. Wie gesagt, wir beschließen dieseAufstockung heute alleine, weil wir meinen, dass es gutund richtig ist, etwas für die Kinder zu tun.
Im Übrigen werden wir im Zuge der Umsetzung desFiskalvertrags auch das Haushaltsrecht in Deutschlandändern. Was den Bund angeht, werden wir die Regeln imHaushaltsrecht des Bundes festschreiben. So viel ändertsich nicht, da wir die Schuldenbremse bereits haben. DieGrößenordnungen sind ähnlich. Es mag kleinere statisti-sche Unterschiede geben. Im Grunde geht es um die Bot-schaft der Schuldenbremse, die jetzt im Haushaltsgrund-sätzegesetz festgeschrieben wird.Aber wir werden uns natürlich auch darüber unterhal-ten müssen, wie wir in unserem föderalistischen Systemmit unterschiedlichen Haushaltspolitiken in den Ländernumgehen, wenn wir als Gesamtstaat eine solche Ober-grenze haben, wenn wir uns als Gesamtstaat verpflich-ten, nicht mehr als 0,5 Prozent neue Schulden zu ma-chen. In diesem Zusammenhang muss ich sagen: DieHaushaltspolitiken der Bundesländer liegen sehr weitauseinander. Bayern beispielsweise gelingt ein Schul-denabbau. Bayern tilgt seine Altschulden. Es hat einenHaushaltsüberschuss erwirtschaftet, während andereBundesländer das nicht hinbekommen. In meinem Bun-desland, Baden-Württemberg
– ein Vertreter dieses Landes wird in der heutigen De-batte zu Wort kommen –, wurde ein besenreiner Haus-halt übernommen: ohne Neuverschuldung.
Bis zum Jahr 2020 werden aber 6 bis 8 Milliarden Eurozusätzliche Schulden gemacht, die bisher nicht einge-plant waren. Ich glaube, daran kann man erkennen, dasses einen Unterschied macht, ob man eine bürgerlicheKoalition hat oder Rot-Grün in den Ländern regiert unddabei die Konsolidierungserfolge, die es gegeben hat,wieder zurückdreht.
Um klar zu sagen, was wir hier im Bund machen: Wirwerden die Zielmarke der Schuldenbremse, die 2016 füruns rechtlich verbindlich ist, nach der derzeitigen Pla-nung mit dem Haushalt 2013 erreichen, also drei Jahrefrüher, als wir das müssten. Das ist ein Erfolg. Wer vordrei Jahren darauf hätte wetten wollen, hätte nicht vielegefunden, die eingeschlagen hätten. Wir sind wesentlichschneller vorangekommen, weil wir zusätzliche Einnah-men nicht gleich für zusätzliche Ausgaben genutzt ha-ben, sondern die Höhe der Ausgaben in den letzten zwei-einhalb Jahren konstant gehalten haben.
Das hat dazu geführt, dass die Neuverschuldung immerweiter gesunken ist.Ich will das vergleichen mit dem, was in den Jahren2005 bis 2008 passiert ist, also – ich sage das ausdrück-lich – in der Zeit vor der Lehman-Pleite, bevor die Kriseausgebrochen ist, also in den guten Jahren: In dieser Zeitsind die Ausgaben des Bundes um knapp 30 Milliar-den Euro gestiegen. Die Bedingungen waren damalsähnlich wie heute. Trotz sinkender Arbeitslosenquoteund guter Wachstumszahlen haben Sie es nicht ge-schafft, die Ausgaben im Griff zu behalten. Die Ausgabensind damals in nur drei Jahren um über 10 Prozent gestie-gen – unter der Verantwortung von FinanzministerSteinbrück, der uns heute erklärt, wie es besser gehenkönnte. Wenn man Herrn Steinbrück an seinen Tatenmisst, dann muss man sagen: Er hat relativ wenig vorge-legt, was ihn berechtigt, heute hart über andere zu urtei-len, die sich in dieser Krise in der Haushaltspolitik ziem-lich gut schlagen.
Wir werden alles tun, damit Deutschland diesen Kon-solidierungskurs fortsetzen kann, damit der Bund weiter-hin so gute Haushaltszahlen vorlegen kann wie zurzeit.
Die Zahlen lügen, glaube ich, nicht. Sie sind sehr erfreu-lich. Daran werden wir weiter arbeiten. Das heutige Ge-setz ist ein erster Schritt. Weitere werden in den nächstenWochen folgen.Vielen Dank.
Der Kollege Poß erhält nun die Möglichkeit zu einer
Kurzintervention.
Kollege Toncar, um Ihrer Aufforderung nachzukom-men, will ich zum wiederholten Male – das haben schonder Kollege Carsten Schneider, die Kollegin BarbaraHendricks und andere mehrfach gemacht – auf die Ge-schichte des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu spre-chen kommen und meine Verwunderung darüber ausdrü-cken, dass Sie, der Sie als Einziger der FDP-Fraktion, alses um die Schuldenbremse ging, eine gewisse Kompe-
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Joachim Poß
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tenz gezeigt haben, jetzt Ihre eigene Kompetenz mit die-sem Beitrag verleugnen.Sie haben als Einziger das Konzept der Schulden-bremse akzeptiert, das die Veränderung abbildet, die wirim Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts 2005vorgenommen haben. Darin besteht die Änderung derPhilosophie: In guten Zeiten vorsorgen, um in schwieri-gen Zeiten besser handeln zu können. Wir wollten nichteine starre 3-Prozent-Grenze haben, die ja auch von an-deren Staaten missverstanden wurde – ich erinnere auchan die Diskussion über die 3,0 Prozent, die insbesonderein der Union Ende der 90er-Jahre geführt wurde – in demSinne: Dann müssen wir auch 3 Prozent ausnutzen. –Nein, seit der Veränderung des Stabilitäts- und Wachs-tumspaktes haben wir viel bessere finanzpolitischeHandlungsmöglichkeiten, um mit Krisen umzugehen.Alles andere ist parteipolitische Feindbildpflege, ange-fangen bei der Kanzlerin, die leugnet, dass wir an dieserStelle eine qualitative Verbesserung bekommen haben,die nicht versteht, dass es nicht um Aufweichung geht,sondern um bessere Handhabung, gerade in einer Zeit, inder wir in Europa Krisen bestehen müssen.
Herr Kollege Poß, ich bin dankbar, dass Sie noch ein-
mal klargemacht haben, dass Sie eigentlich keine großen
Schwierigkeiten mit dem haben, was Sie 2004 begonnen
haben. Sie glauben, dass das ein Problem löst. Ich be-
streite, dass das Schuldenmachen in Europa irgendein
Problem löst. Dadurch wurde das Problem von heute ge-
schaffen; es ist überhaupt erst dadurch entstanden.
Sie haben die Schuldenbremse angesprochen. Sie
wissen so gut wie ich, dass sich meine Fraktion in der
Föderalismuskommission für ein vollständiges Verschul-
dungsverbot ausgesprochen hat. Wir haben damals da-
rüber diskutiert, ob man zustimmen soll, obwohl uns
auch 0,35 Prozent zu viel sind, oder nicht. Das sozusa-
gen umzudrehen und zu sagen, die Fraktion sei damals
gegen die Schuldenbremse gewesen, ist verwegen; das
wissen Sie auch.
Ich selber habe mich anders entschieden. Ich habe da-
mals gesagt: besser 0,35 Prozent als die alten Regeln.
Aber es ist trotz allem falsch und auch nicht redlich, da-
raus, dass sich alle anderen damals enthalten haben – es
gab übrigens in Ihrer Fraktion haufenweise Neinstim-
men und Enthaltungen, obwohl Sie damals mitregiert
haben; auch das will ich einmal erwähnen –, den Schluss
zu ziehen, dass die anderen etwas für die Verschuldung
übrighätten. Ganz im Gegenteil: Denen waren Ihre Re-
geln nicht streng genug.
Ich bin übrigens jederzeit dafür zu haben, die Schulden-
regel im Grundgesetz weiter zu verschärfen. Das ist
meine ganz persönliche Meinung, aber, ich glaube, auch
die Meinung der Mehrheit meiner Fraktion.
Nun erhält das Wort der Kollege Steffen Bockhahn
für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Es ist schon ein bisschen abenteuer-lich, was man hier hört. Ich lerne gerade von der FDP,dass Schulden grundsätzlich schlecht sind. Ich habe abereinmal gelernt, dass eine gesunde Volkswirtschaft ohneSchulden gar nicht auskommt. Die FDP sollte sich eini-gen, was sie machen will. Es gibt Situationen, in denenSchulden sogar sehr sinnvoll sind. Da braucht man sie.Auch das gehört zur Wahrheit.
Nächster Punkt. Ich kenne mich mit der Landespolitikin Baden-Württemberg nicht besonders gut aus; es istauch sehr weit weg von Mecklenburg-Vorpommern, dembekanntlich schöneren Bundesland, dem schönsten derWelt. Sie sprachen von einem besenreinen Haushalt inBaden-Württemberg. Ich glaube, Herr Toncar, Sie habenvergessen, dass Ihr Sportsfreund Mappus dort einekleine Hypothek hinterlassen hat, die jetzt zu tilgen ist.Das mag nur eines der Probleme sein. Aber dass Sie sichdort redlich verhalten hätten, ist nicht die ganze Wahr-heit.
Ich finde die Entwicklung gerade hochgradig span-nend. Die FDP, die Union, die Grünen und die SPDwollten den Fiskalpakt, und jetzt sind sie sich plötzlichnicht mehr einig, wer mit dem Spielzeug spielen darf.Das ist mein Eindruck. Letztlich haben Sie alle zusam-men zugestimmt, dass die gesamtstaatliche Neuver-schuldung nur noch 0,5 Prozent betragen darf. Das fan-den Sie alle richtig. Wir haben nicht zugestimmt, weilwir, wie ich vorhin sagte, glauben, dass man sich – imgesamtstaatlichen und im volkswirtschaftlichen Inte-resse – auch andere Regelungen erlauben muss.Das maximale staatliche Defizit darf 0,5 Prozent allerin ganz Deutschland erzeugten Waren und Dienstleistun-gen betragen. Anders als bei der Schuldenbremse geht eshier jetzt nicht nur um Bund und Länder, sondern auchum die Kommunen und die Sozialkassen. Von diesen0,5 Prozent fallen immerhin 0,35 Prozent auf den Bund.Damit bleiben 0,15 Prozent mögliche Schulden für Län-der und Kommunen übrig. Das ist, mit Verlaub, eine völ-lig unrealistische Einschätzung der gegenwärtigenFinanzlage der Kommunen und ihrer Perspektiven.
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Steffen Bockhahn
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Das ist übrigens auch kein Zufall; denn der Bundmacht sich zulasten der Kommunen immer wieder einenschlanken Fuß. Ich will Ihnen ein schönes Beispiel nen-nen: die Entwicklung der Sozialausgaben, die bei denKommunen anfallen. Die Zahlen nenne ich Ihnen gleich.Sie sind nicht von mir, sondern vom Landesrechnungs-hof Mecklenburg-Vorpommern. Ich habe sie dem jüngstvorgestellten Kommunalfinanzbericht entnommen. Siezeigen die Entwicklung der Sozialausgaben allein in denKommunen in Mecklenburg-Vorpommern; dieses Bun-desland hat bekanntlich nicht so viele Einwohner. 2001hatten alle Städte und Gemeinden im Land Sozialausga-ben in Höhe von insgesamt 600 Millionen Euro. Danngab es die von Ihnen allen für richtig befundene Umstel-lung der Sozialleistungen, auch Hartz-IV-Reform ge-nannt. Heute, zehn Jahre später, liegt die Belastung proJahr bei fast 1,2 Milliarden Euro.
Das heißt, für die Kommunen hat sich die Last der So-zialausgaben binnen zehn Jahren verdoppelt. Die Ein-nahmen der Kommunen haben sich in diesen zehn Jah-ren alles andere als verdoppelt. Das wissen Sie. Werdarauf keine Rücksicht nimmt, geht sträflich mit denKommunen im Land und damit mit der Wiege der De-mokratie in der Bundesrepublik um. Da erlebt man im-mer wieder, was Sozialabbau bedeutet.
Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Arbeitslosennach der offiziellen Lesart gesunken. Das heißt, eigent-lich hätte alles viel besser werden müssen. Die Kommu-nen bekommen von den Ländern stetig weniger Geld,weniger Zuweisungen und können ihre Pflichtaufgabenselbst bei steigender Neuverschuldung kaum noch erfül-len.Der Fiskalpakt wird diese Entwicklung weiter ver-schärfen. Im Ergebnis können die Kommunen dannkaum noch investieren. Dabei sind sie schon heute eineder stärksten Stützen der Wirtschaft. Die Kommunensind die Investoren in der Bundesrepublik Deutschland.Wer ihre Finanzkraft schwächt, schadet der Wirtschaftinsgesamt. Zusammengenommen führt genau das in eineAbwärtsspirale. Hinzu kommt, dass notwendige Aufga-ben nicht mehr erledigt und „weggekürzt“ werden.Ich darf Ihnen ein kleines feines Beispiel dafür nen-nen. In einer Gemeinde in der Nähe von Rostock gibt eseinen Jugendklub, der keine Miete bezahlen muss, weildie Gemeinde eine Immobilie zur Verfügung gestellt hat.Das ist schon mal eine gute Sache. Für die Jugendlichendieser Gemeinde werden pro Jahr genau 1 000 EuroSachmittel zur Verfügung gestellt. Ich weiß nicht, wervon Ihnen sich damit auskennt; aber 1 000 Euro Sach-mittel für einen Jugendklub in einer Gemeinde für einganzes Jahr – das kann ich Ihnen verraten – sind zu we-nig.
Die Kommune kann aber gar nicht mehr leisten. DasProblem besteht darin, dass im Umfeld dieser Gemeindeschon längst fleißig braune Ökologen arbeiten und Dingebetreiben, die wir als Demokratinnen und Demokraten al-les andere als richtig finden können. Der Fiskalpakt führtdazu, dass es einen weiteren Rückzug öffentlicher Institu-tionen und damit einen weiteren Vertrauensverlust gebenmuss.Die Länder haben dieses Ungemach zweifelsfrei ge-ahnt, wenngleich sie natürlich selten frei von Eigeninte-ressen sind. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Sie inIhrer Haushaltsbetrachtung ausschließlich einer ausga-benorientierten Denkweise folgen. Das allerdings ver-nachlässigt, dass man gelegentlich auch Notwendigesfinanzieren muss und dabei nicht zuerst an die Ausga-ben, sondern an die Notwendigkeiten denken muss.Wenn man Defizite begrenzen will, wofür ausdrück-lich auch die Linke ist,
dann muss man sich Gedanken darüber machen, dass dieEinnahmen stimmen. Insoweit will ich Ihnen nur einigeMöglichkeiten nennen: die Vermögensteuer, den Spit-zensteuersatz, den Körperschaftsteuersatz, das Ehegat-tensplitting, die Finanztransaktionsteuer, die Reduzie-rung der Subvention für energieintensive Unternehmen.Es gibt so viele Möglichkeiten, die Sie liegen lassen. Sieverzichten freiwillig auf Einnahmen und beschwerensich dann, dass Sie kein Geld haben.
Dieser Nachtragshaushalt ist ein Offenbarungseid vonschlechter Haushaltspolitik und Planlosigkeit.
Das kann ich Ihnen so knallhart sagen.Die Zustimmung zum Fiskalpakt haben Sie sich vonden Ländern teuer erkauft. Sie haben sie sich ausschließ-lich erkauft; Sie haben sie nicht bekommen. Das warkeine Sternstunde der Demokratie. Das war kein Vorbildfür Haushaltspolitik, die transparent und ehrlich ist. Wasempfinden Sie denn dabei, meine Damen und Herren,wenn sämtliche Zeitungen, egal ob der linken oder derrechten Ecke zugehörig, schreiben, dass die Verhandlun-gen über den Fiskalpakt schlicht und ergreifend ein Feil-schen auf dem Basar waren? Das war keine vernünftigeHaushaltspolitik. Es ging nur um die Frage: Wie vielmüssen wir zahlen, damit die Länder endlich doch zu-stimmen, obwohl sie wissen, dass es ihnen schadenwird?Dieser Nachtragshaushalt braucht keine neuen Kre-dite – das stimmt –, und ja, die Kindertagesstätten sindeine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dann frage ichmich aber, warum nach wie vor etwa zwei Drittel derKosten für einen Kitaplatz bei den Eltern und bei derKommune hängen bleiben. Wo ist denn da die gesamtge-sellschaftliche Beteiligung? Da besteht erheblicherNachholbedarf. Da ist es jetzt nicht mit den 580 Millio-nen Euro getan.Das, was Sie hier machen, zeigt nicht etwa, dass Siegut gewirtschaftet haben, wenn Sie nicht zusätzlicheSchulden brauchen – 32 Milliarden Euro sollen es in die-sem Jahr werden –, sondern schlicht und ergreifend, dass
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Steffen Bockhahn
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viel Luft im Budget war, die Sie jetzt rauslassen. GuteHaushaltspolitik hätte darauf anders reagiert.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält dieKollegin Priska Hinz nun das Wort.Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Toncar, es ist schon reichlich vergnüglich, wenn Siehier so tun, als mache Deutschland eine hervorragendeSparpolitik, an der sich Europa ein Beispiel nehmen soll.
Uns liegt heute ein zweiter Nachtragshaushalt vor, derneue Schulden in Höhe von 32 Milliarden Euro festlegt.
– Es sind 32 Milliarden Euro neue Schulden, 32 Milliar-den Euro, die in diesem Jahr aufgenommen werden sol-len – natürlich! –, obwohl wir sprudelnde Einnahmen,obwohl wir historisch geringe Zinsausgaben haben.Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Das sind 32 Mil-liarden Euro zu viel.
Was die Erhöhung des Kapitals der EIB, die mit demNachtragshaushalt finanziert werden soll, betrifft – die-sen Aspekt haben übrigens wir in den Verhandlungendurchgesetzt –, muss man feststellen: Das war, auchwenn dafür nun Mittel zur Verfügung gestellt werden,nicht das Glanzstück der FDP,
um das einmal deutlich zu sagen.
– Doch. Wir wollen, dass das finanziert wird.
An anderen Stellen könnte man im Haushalt allerdingstatsächlich einsparen.
Aber was machen Sie? Sie rechnen mit spitzem Blei-stift und kommen zu dem Ergebnis, dass in diesem Jahrgeringere Zinsausgaben anfallen werden. Damit wollenSie, sozusagen in Klammern, sagen: Deutschland gehtals Gewinner aus der europäischen Krise hervor.
Erstaunlicherweise sind es 2,2 Milliarden Euro, die wirweniger für Zinsen ausgeben müssen. Das ist genau derBetrag, den wir brauchen, um den zweiten Nachtrag zufinanzieren. Liebe Leute, für so blöd werden Sie unsdoch wohl nicht halten,
dass wir Ihnen glauben, was Sie uns da vorlegen!
Natürlich ist der Nachtragshaushalt, wenn man diegetroffene Vereinbarung umsetzen will, richtig.
Aber schon beim ersten Nachtrag hat Kollege Barthlebehauptet, dass die Einzahlungen in den ESM-Kapital-stock nicht zu einer Erhöhung der Nettokreditaufnahmeführen werden.
Am Ende kam es doch zu einer Erhöhung. In Anbetrachtder geringeren Zinsausgaben soll der Deckel dieses Malaber gleich bleiben.Ich will deutlich machen, was wir im Rahmen derVereinbarungen zum Fiskalvertrag erreicht haben – dassage ich auch in Richtung der Linken –: Wir Grünen ha-ben erreicht, dass die Regierungspolitik eine Wende neh-men musste.
Wir haben erreicht, dass Investitionen in Krisenländernzu einem zweiten Standbein geworden sind. Wir könnendie Staaten nicht aus der Krise „heraussparen“. Vielmehrmüssen auch zielgerichtete Investitionen erfolgen, zumBeispiel in die Netzinfrastruktur, egal ob in den öffentli-chen Verkehr, die Mediengestaltung oder in erneuerbareEnergien. Das ist der Punkt, den wir Grünen durchge-setzt haben.
– Ich rede hier für meine Fraktion. Da manch ein Kanz-lerkandidat immer wieder gerne darauf hinweist, was dieSPD-Fraktion durchgesetzt hat,
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24094 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Priska Hinz
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werde ich heute erklären, was die Grünen durchgesetzthaben.
Wir haben nicht nur Investitionen, sondern auch dieFinanztransaktionsteuer durchgesetzt. Wir sind froh,dass wir den Widerstand der FDP endlich überwindenkonnten.
Damit konnten wir dem Finanzminister an dieser Stelleden Rücken stärken. Wir hoffen, dass elf Mitgliedstaatender Europäischen Union diesen Weg bald tatsächlich ge-hen und eine Finanztransaktionsteuer einführen werden.Wir wissen aber: Es liegt noch ein langer Weg vor uns.
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, den KollegeSchneider angesprochen hat: das unabhängige Kontroll-gremium. Ich finde, das, was dazu im Ausführungsge-setz steht, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Um dieUnabhängigkeit eines solchen Gremiums sicherzustel-len, müsste man erstens gewährleisten, dass es keineVeranstaltung nur der Exekutive ist, und zweitens, dasses möglichst frei von politischer Einflussnahme ist, wasdie Entstehung seiner Prognosen und Empfehlungen imHinblick auf den Abbau der Schulden in den Bundeslän-dern und im Bund angeht. Vor diesem Hintergrund halteich es für erforderlich, dass wir in den weiteren Beratun-gen noch einmal darüber nachdenken, ob es nicht sinn-voll und notwendig ist, hier Veränderungen vorzuneh-men.Ich komme zum Schluss. Als letzten Punkt möchteich darauf hinweisen: Wir haben ja erfahren, dass heuteein guter Tag für Europa ist, weil sich die Kanzlerin aufdem EU-Gipfel durchgesetzt hat.
Es ist sicher insofern ein guter Tag, als sich die Kanzle-rin nicht durchgesetzt hat, als es um den Vorschlag desFinanzministers ging, einen Währungskommissar einzu-setzen, der unabhängig vom Europäischen Parlament innationale Haushalte eingreifen darf. Es ist sicher auchinsofern ein guter Tag, als deutlich wurde, dass es keinenEuro-Zonen-Haushalt geben wird, über den das Europäi-sche Parlament keine Kontrolle hat. Ich muss aber sagen,dass wir die Regierung in Bezug auf die Bankenunionweiterhin treiben werden, vor allen Dingen dahin, dasses nicht nur eine gemeinsame Bankenaufsicht, sondernauch einen gemeinsamen Bankenrestrukturierungsfondsgibt.
Der ist nämlich gleichzeitig notwendig, damit dieSteuerzahler nicht dafür zahlen, wenn Banken in dieKrise geraten sind und ihre Geschäftsmodelle ändernoder sogar abgewickelt werden müssen.Insofern ist das heute nur ein weiterer Mosaiksteinauf dem Weg aus der Krise heraus, aber ein richtigerMosaikstein, und wir werden beraten, wie wir diesenMosaikstein in unserem Sinne weiter zurechtfeilen kön-nen.Vielen Dank.
Diese Beratungen werden nun durch den Kollegen
Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion fortgesetzt.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Worte zurim Nachtragsetat veranschlagten Verschuldung sagen.Liebe Frau Kollegin Priska Hinz, Sie wissen ganz genau,dass sich diese 32 Milliarden Euro strukturell um über10 Milliarden Euro reduzieren, wenn wir die Zahlungenan den ESM, 8,7 Milliarden Euro, und die Zahlungen andie EIB, 1,6 Milliarden Euro, abziehen. Wenn wir dannauch noch die 1 Milliarde Euro abziehen, die von derBank hier links von mir erpresst wurde, sieht die Zahlschon ganz anders aus. Das zu sagen, gehört auch zurWahrheit.
Bei der Einbringungsrede hat der Kollege Fricke nichtzu Unrecht darauf hingewiesen, dass das größte Risikofür den Bundeshaushalt auf dieser Seite des Plenumssitzt, auf der Bundesratsbank.
So viel zum Thema Neuverschuldung. Ohne diese Be-träge lägen die neuen Schulden in einer Größenordnungvon etwa 21 Milliarden Euro. Wir halten den Pfad derjährlich sinkenden Nettokreditaufnahmen ein. Im kom-menden Jahr wird sie bei 18 Milliarden Euro liegen. Ichdarf daran erinnern, dass uns der Kanzlerkandidat derSPD mit 86 Milliarden Euro zusätzlichen Schulden diegrößte Neuverschuldung der Geschichte der Republikhinterlassen hat. Auch das muss wieder einmal gesagtwerden.
Kommen wir zu den Gesetzentwürfen, die heute bera-ten werden. Staatssekretär Steffen Kampeter hat ausführ-lich dargelegt, was heute rechtlich zur Debatte steht. Dadie Haushalts- und Finanzpolitik sehr viel mit Glaub-würdigkeit zu tun hat, will ich aber nicht über die rechtli-chen Inhalte, sondern über die Umsetzung dessen reden,was der Fiskalvertrag vorsieht; denn hier lohnt ein Blicksowohl auf den Bund als auch auf die Länder.Vielleicht zunächst einmal zum Bund: Wir setzen dieSchuldenbremse nicht nur Buchstabe für Buchstabe um– wir haben rechtlich schon alles erledigt, was notwen-dig ist –, sondern wir unterschreiten die Grenze der ma-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24095
Norbert Barthle
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ximal möglichen Nettokreditaufnahme Jahr für Jahrdeutlich. Das Ziel der Schuldenbremse, das 2016 er-reicht werden soll, erreichen wir bereits drei Jahre frü-her; Kollege Toncar hat darauf hingewiesen. Das ist derErfolg dieser Koalition aus CDU/CSU und FDP. Wirsind besser und schneller, als es uns das Grundgesetzvorgibt.
Da sich der Fiskalvertrag aber auf die gesamtstaatli-che Verschuldung bezieht und auch die Länder einbe-zieht, ist es schon lohnend, sich auch einmal die Situa-tion in den Ländern anzuschauen, und zwar vor demHintergrund, dass die Haushaltssituation im Bund vielgravierender ist als in den Ländern. Die durchschnittli-che Pro-Kopf-Verschuldung ist im Bund höher als in denLändern. Dennoch hat der Bund die Länder für die Jahre2010 bis 2016 um mindestens 55 Milliarden Euro entlas-tet: durch die Übernahme der Kosten der Grundsiche-rung im Alter und bei Erwerbsminderung und der Kos-ten aus dem Hochschulpakt 2020 sowie durch etlicheSteuergesetze, die wir in den letzten Jahren gemacht ha-ben. Die Länder werden immer wieder durch den Bundentlastet.Wie sieht die Schuldenbremse bezogen auf die Län-der aus? Die Länder müssen sich seit 2011 so aufstellen,dass sie ab dem Jahre 2020 keine neuen Kredite mehraufnehmen müssen.
Wer sich dies bis 2019 auf Wiedervorlage legt, der läuftGefahr, dass er dieses Ziel nicht erreicht.
Deshalb ist es notwendig, dass die Länder die Schulden-bremse in ihre Landesverfassungen übernehmen.Einige Länder haben das getan: Schleswig-Holstein,Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Rheinland-Pfalz.Andere Länder wiederum haben Änderungen in ihrer je-weiligen Landeshaushaltsordnung vorgenommen. Dashat allerdings eine deutlich schwächere Bindewirkung;denn das kann mit einfacher parlamentarischer Mehrheitjederzeit umgangen und wieder aufgehoben werden. EinTeil der Länder hat bisher noch gar keine Maßnahmenergriffen. Die Höflichkeit gebietet es, dass ich die Sün-der nicht namentlich nenne.
Ich nenne nur ein Land, leider mein Heimatland,
Baden-Württemberg.
Dort ist es noch schlimmer. Die grün-rot geführte Lan-desregierung hat die Landeshaushaltsordnung verän-dert, um damit die Möglichkeit zu schaffen, in denkommenden Jahren fast 7 Milliarden Euro zusätzlicheSchulden zu machen.
Dazu sagt sie: Die Neuverschuldung senken wir 2020auf null, also dann, wenn es notwendig ist. – Das ist einePolitik zulasten der kommenden Generationen. Dabeikann es nicht bleiben.
Andere Länder zeigen, dass Haushaltskonsolidierungund -sanierung durchaus gelingen kann. Ich will an die-ser Stelle ganz bewusst Bayern nennen. Auch Mecklen-burg-Vorpommern und Sachsen sind gute Beispiele.Diese Länder haben seit 2006 keine neuen Schuldenmehr gemacht, zum Teil sogar Überschüsse erzielt.Sachsen hat im Jahr 2011 und Mecklenburg-Vorpom-mern in den Jahren 2007 und 2008 Haushaltsüber-schüsse erzielt. Bayern tilgt bereits seine Altschulden.Daran sehen Sie, dass es gelingen kann, Haushalte zukonsolidieren.
Die sogenannten Konsolidierungshilfeländer, diejeni-gen, die Bundeshilfen zum Ausgleich ihrer Haushaltebekommen – das sind Berlin, Bremen, Saarland, Sach-sen-Anhalt und Schleswig-Holstein –, haben immerhinVerwaltungsvereinbarungen getroffen, um die Schuldenbis 2020 abzubauen.Also, was können wir feststellen? Die Lage in denLändern ist ausgesprochen heterogen. Während derBund mit gutem Beispiel vorangeht,
sind einige Länder sehr zögerlich. Deshalb fordere ichan dieser Stelle alle Länder in Deutschland auf, dieSchuldenbremse in ihre Landesverfassungen zu über-nehmen. Wir als Deutschland sind gefordert, ein Stückweit als gutes Beispiel voranzugehen. Das sind wir unse-ren europäischen Partnern schuldig.Gestern hat hier in Antwort auf die Regierungserklä-rung der Bundeskanzlerin der Kanzlerkandidat der SPDgemeint,
wir seien ein schlechtes Vorbild für Europa.
Ich habe den Verdacht: Er hat die Länder gemeint, in de-nen seine Parteifreunde regieren. Wir müssen auch inden Bundesländern als gutes Beispiel vorangehen, ge-samtstaatlich die Schuldenbremse und den Fiskalvertrageinhalten und eine Absicherung im Sinne einer rechtli-chen Bindung in die Landesverfassungen aufnehmen,damit nicht je nach politischer Mehrheit und Gesinnunganders agiert werden kann. Eines ist doch deutlich: Dort,wo Grün oder Rot regiert, hält man vom Sparen nichtsonderlich viel.
Da wird lustig der Weg in neue Verschuldung gegan-gen – immer zulasten kommender Generationen. DasGanze nennt sich dann nachhaltige Politik.
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Norbert Barthle
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Nachhaltige Politik heißt für Rot und Grün: Die nachfol-genden Generationen müssen den Kopf hinhalten für dieSchulden, die andere zuvor gemacht haben. – Das hatmit Nachhaltigkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Deshalb noch mal: Der Fiskalvertrag ist ein Vertrag,der 25 Länder in Europa bindet, eine Schuldenbremsenach unserem Beispiel in die entsprechende Landesver-fassung oder einen rechtsähnlichen Zustand zu überneh-men. Das ist ein Riesenfortschritt für die Stabilitätskulturin Europa. Das darf nicht von einzelnen Bundesländernunterminiert werden, sondern muss von den Bundeslän-dern mitgetragen werden. Nur dann können wir als bei-spielgebendes Land vorangehen. Ich bin froh, dass sich25 von 27 Euro-Ländern verpflichtet haben, die Schul-denbremse in ihre Landesverfassungen zu übernehmen.Das ist ein guter Tag für Europa, auch im Blick aufdie Beschlüsse in Brüssel. Die Kanzlerin hat hier gesternerklärt: Was die Bankenunion und die Bankenaufsichtangeht, da zählt Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Das istein Ergebnis des Brüsseler Gipfels. Deshalb auch an die-ser Stelle nochmals Dank für das gute Verhandlungs-ergebnis unserer Bundeskanzlerin.
Das Wort erhält nun der baden-württembergische
Minister für Bundesrat, Europa und internationale Ange-
legenheiten, Peter Friedrich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Abgeordneten
des Deutschen Bundestages! Ich danke der SPD-Frak-
tion, dass ich die Möglichkeit habe, in der Debatte zur
Umsetzung des Fiskalvertrags die Position der Länder zu
erläutern.
Herr Minister, darf ich mir den Hinweis erlauben,
dass Sie diese Möglichkeit auch ohne Genehmigung der
SPD-Fraktion qua Verfassung gehabt hätten?
Das ist richtig; aber ich möchte nichtsdestowenigermeinen Dank aussprechen, dass die Fraktion mir diesausdrücklich ermöglicht hat. Sie legen ja viel Wert aufHöflichkeit. Insofern wollte ich Ihren AnforderungenGenüge tun.
– Herr Kauder, zu Ihnen komme ich gleich noch.Gestern hat die Bundeskanzlerin auf die Schwierig-keit hingewiesen, wie gemeinschaftliche Regeln inEuropa mit Haushaltsautonomie und demokratischer Le-gitimation zu verbinden sind. Es gab eine differenzierteund gute Debatte zu diesem Punkt. Deswegen sollten wirauch bei der Frage der Umsetzung des Fiskalvertragesauf genau diesen Punkt noch einmal eingehen.Es ist so, dass die Bundesregierung mit dem Fiskal-vertrag einen Vertrag unterschrieben hat, der Verände-rungen auch für die Schuldenbremse des Grundgesetzesbedeutet. Deswegen war es für die Länder, und zwar füralle 16 einvernehmlich, wichtig, dass wir mit dem Bundein Verhandlungsergebnis erzielen, das die Haushaltsauto-nomie der Länderhaushalte gewährleistet und dazu führt,dass wir in Deutschland die gleiche Architektur von de-mokratischer Legitimation und Haushaltsautonomie inden Ländern haben, wie wir sie für Europa anstreben. Eswar ein mühsamer und letztlich guter Verhandlungspro-zess, der dazu geführt hat, dass die Haushaltsautonomieder Länder auch im Haushaltsgrundsätzegesetz festge-legt werden soll.
Die spannende Frage ist nur, warum das – wenn dasin den Eckpunkten für das Haushaltsgrundsätzegesetz soenthalten war – wieder aus dem Gesetzentwurf ver-schwunden ist und der Bund sich jetzt sehr wohl eineHintertür offenlässt, über die Verpflichtung der Länderzur Einhaltung der grundgesetzlichen Schuldenbremsehinaus in die Haushaltsautonomie der Länder einzugrei-fen. Damit wird man der demokratischen Legitimationvon Haushaltsrecht in den Ländern nicht gerecht. Inso-fern verstößt der Bund momentan mit dem, was er hiervorschlägt, gegen das, was die Bundeskanzlerin gesternfür Europa als Zielsetzung formuliert hat. Deswegenbitte ich dringend, dass wir in den Beratungen genau die-sen Punkt gemeinsam korrigieren.
Alle 16 Länder bekennen sich zur Schuldenbremse,wie im Grundgesetz vereinbart. Das haben wir in denVerhandlungen festgehalten. Einige Bundesländer brau-chen da Hilfen. Wir haben, was diese Vereinbarung an-geht, darüber hinaus einige Punkte besprochen und be-schlossen, die den Pfad für die Länder festlegen.Herr Toncar und Herr Barthle, ich will darauf hinwei-sen: Das einzig Besenreine, das wir in Baden-Württem-berg übernommen haben, waren die Schatzkammern desLandes. Das war das Einzige, was wirklich besenreinwar.
Wir haben in Baden-Württemberg ein strukturellesHaushaltsdefizit von 2,5 Milliarden Euro übernommen.Im Haushalt des nächsten Jahres haben wir es auf1,8 Milliarden Euro reduziert – und im Jahr darauf auf1,5 Milliarden Euro. Die strukturelle Nullverschuldungfür den Haushalt Baden-Württemberg werden wir 2020– trotz Länderfinanzausgleich und trotz der Tatsache,dass der Bund nach wie vor Konnexitätsgrundsätze nicht
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Minister Peter Friedrich
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beachtet – erreichen. Das größte Risiko für die Haus-halte der Länder und Kommunen ist der Bund, der per-manent Aufgaben auf Länder und Kommunen verlagert,ohne tatsächlich an allen Stellen die Kosten zu überneh-men.
Herr Barthle, wir haben der CDU-Fraktion in Baden-Württemberg angeboten – wir drängen darauf; ich bitteSie, uns darin zu unterstützen –, die grundgesetzlicheSchuldenbremse eins zu eins in den Landeshaushalt zuüberführen. Die CDU-Fraktion in Baden-Württembergverweigert momentan die verfassungsgebende Mehrheit,die dafür notwendig ist.
Das ist die Wahrheit, die zu erwähnen mit dazu gehört.Mit Verlaub: Die frühere Landesregierung in Baden-Württemberg wurde vom Landesgerichtshof wegen Ver-fassungsbruchs in Bezug auf Haushaltsgrundsätze verur-teilt, weil man 5 Milliarden Euro neue Schulden amHaushalt vorbei aufgenommen hatte.
– Herr Barthle, wer in Haushaltsfragen die Verfassungbricht, dem glaubt man nicht.
Ich will noch einen Punkt ansprechen. Es geht um dieFrage, wie mögliche Sanktionen bei Verstoß gegen denFiskalvertrag überwälzt werden. Hier gibt es eine Rege-lung.
– Ich kann verstehen, dass man beim Thema Mappus-Erbe leicht aus der Haut fahren kann. Wir haben das täg-lich zu ertragen.
Die Länder – auch Baden-Württemberg – leisten ih-ren Beitrag. Wir geben den Kommunen zusätzlich allein330 Millionen Euro, um dem Ausbau der Kindergarten-plätze gerecht zu werden. Wir fordern Sie auf, im Haus-halt die Mittel einzustellen, die den Ländern zugesagtwurden, und zwar im Rahmen einer Lösung, die wir,glaube ich, gemeinsam finden können, bei der nicht zumSchluss die Berichtspflichten die Soße teurer machen alsden Braten. Das ist nämlich der Effekt, den wir momen-tan erleben. Sie wollen Berichtspflichten weit über dashinaus, was Sinn macht, verankern. Zu dem Ausbau ste-hen wir, auch finanzieren wir unseren Teil mit. Wir ge-ben den Kommunen das Geld. Lassen Sie uns aber bitteeine Regelung treffen, die auch funktioniert, und erspa-ren Sie uns einseitige Schuldzuweisungen. Sie brauchendie Länder und die Kommunen, um das hinzubekom-men. Sie bekommen es nicht dadurch hin, dass Sie inZukunft – wie Sie sich das momentan vorstellen – zu-sätzliche Kontrollverpflichtungen auferlegen.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
Geschätzter Herr Präsident; ich wünsche einen ange-nehmen Wechsel mit der Vizepräsidentin! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Die Rede gerade hat ge-zeigt, dass der Kollege Barthle mit seiner Aussage ein-fach recht hatte. Das größte Risiko für den Bundeshaus-halt sitzt auf der jetzt wieder fast vollkommen leerenBundesratsbank.
Ausdrücklich, Herr Minister Friedrich: Ich finde es gut,dass Sie gekommen sind, weil das ein Teil dessen ist,was notwendig ist, damit wir in die Diskussion eintreten.Das finde ich gut. Ich hätte mir gewünscht, dass Berlinund Brandenburg ebenfalls hierhergekommen wären;denn denen helfen wir auch.Worum geht es in unserer Debatte eigentlich? Es gehtum zwei Gesetze, die im Endeffekt nur deswegen zu-stande kommen, weil wir den Ländern helfen müssenund weil wir Europa helfen müssen. Warum müssen wirEuropa helfen? Weil wir als Bundesrepublik Deutsch-land in Europa eine Verpflichtung haben. Wir könnenvon unseren europäischen Nachbarn nicht nur verlangen,dass sie sparen, sondern wir müssen ihnen auch sagen,dass sie investieren müssen. Dabei müssen wir ihnenhelfen. Deswegen geben wir der Europäischen Investi-tionsbank das notwendige Eigenkapital, um in Zukunftentsprechende Investitionen überhaupt zu ermöglichen.In Richtung Rot und Grün: Es ist immer dasselbeSpiel, es ist wie in der Schule: Herr Lehrer, ich habe esaber auch gewusst.
Es geht doch gar nicht darum. Vielmehr geht es darum,welche Verpflichtung wir als Bundesrepublik Deutsch-land innerhalb Europas haben.
Die erfüllen wir, indem wir 1,6 Milliarden Euro für dieEuropäische Investitionsbank zur Verfügung stellen.Zu Frau Kollegin Hinz – sie ist gerade nicht da –: DieAussage, dass wir neue 32 Milliarden Euro Schuldenmachen, ist schlichtweg falsch. Ich will das von hier aus
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24098 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Otto Fricke
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korrigieren. Mit diesem Nachtragshaushalt macht dieKoalition, macht die Bundesregierung
keinen Cent zusätzliche neue Schulden, keinen einzigenCent.
Warum macht sie das? Sie macht das deswegen, weil sieAusgaben hat, durch die sie Europa hilft, und weil sieAusgaben hat, die den Ländern helfen, insbesondereBerlin und Brandenburg; ich komme gleich noch dazu.Gleichzeitig sagen wir ganz Europa: Wenn ihr so solidehaushaltet, sind wir bereit, euch Geld zu niedrigeren Zin-sen zur Verfügung zu stellen. Das heißt nicht, dass wir inEuropa kalt abkassieren. Den Vorteil, den wir dadurchhaben, dass wir innerhalb Europas Hort der Stabilität,Hort der besten Haushalte sind, geben wir als Zinsge-winn an die Europäische Investitionsbank, damit sich inanderen Ländern Europas die Wirtschaft wieder erholenkann. Das verstehe ich auch im Hinblick auf Europa un-ter gesunder Haushaltspolitik. Das hätten Sie nie hinbe-kommen, unsere Koalition bekommt das eben hin.
Zu Berlin und Brandenburg. Das muss ich an dieserStelle noch einmal klarstellen: Sie bekommen weitere300 Millionen Euro für den Flughafen, weil sie nicht inder Lage sind, ein Großprojekt hinzubekommen.
Man kann ja froh sein, dass es nicht wie in Rheinland-Pfalz ist, dass man erst baut und nachher feststellt, dassder Ministerpräsident gehen muss. Wir haben hier nochein bisschen die Finger drauf.
– Natürlich ist es so, dass der Bund beteiligt ist, deswe-gen zahlt er ja auch die 300 Millionen,
und zwar dann – das will ich ausdrücklich für das Proto-koll festhalten –, wenn sich der Haushaltsausschuss da-rüber im Klaren ist, dass die notwendigen Reformen inBezug auf den Flughafen erfolgen. Es ist gleichzeitig so– ich bitte, in den Gesetzentwurf zu gucken –, dass wirdie entsprechenden Vorstandsbeschlüsse der Flughafen-gesellschaft brauchen, bevor irgendetwas passiert. Wirgeben nicht mal eben einfach so 300 Millionen für denFlughafen – so wie in den Ländern übrigens –, sondernwir erwarten einiges mehr.
Ich will für meine Fraktion ausdrücklich sagen: Was bis-her in Bezug auf den Flughafen auch im Personalbereichund bei den Zuständigkeiten passiert ist, reicht meinerFraktion nicht, deswegen die entsprechende qualifizierteSperre.Lassen Sie mich zur Bundesratsbank kommen. DieBürger draußen im Land glauben immer, dass die armenkleinen Länder und die armen kleinen Kommunen garkeine Steuereinnahmen haben. Liebe Bürger, wenn Siesich irgend etwas kaufen und Mehrwertsteuer zahlen, ge-hen Sie davon aus, dass Sie in dem Moment mehr Mehr-wertsteuer an Länder und Kommunen zahlen als an denBund. Vor allen Dingen die Länder tun immer so, alswürden sie von Ihnen gar kein Geld kriegen, dabei müs-sen Sie wissen, dass mehr als 50 Prozent der Steuerein-nahmen in Deutschland insgesamt an Länder und Kom-munen gehen. Die Länder sagen immer wieder: Wirhaben keine Autonomie! Liebe Länder, dann nehmt euchdem doch an! Sagt doch: Okay, wir sind bereit, selberüber unsere Steuern zu entscheiden, wir sind bereit, ineinen steuerlichen Wettbewerb unter den Ländern einzu-treten, wir nehmen die Zuständigkeit wahr.
Aber das wollt ihr nicht! Ihr wollt Folgendes haben – dashaben wir gestern im Haushaltsausschuss wieder festge-stellt –: Ihr wollt, dass der Bund das macht, um dann amEnde eure Aufgaben zu bezahlen. Was wir jetzt bei derKinderbetreuung machen, ist nie originär unsere Auf-gabe gewesen. Man ist aber gerne bereit, das Geld vomBund zu nehmen, um dann zu sagen – Herr Schmid, dasfinde ich fast eine Unverschämtheit –: Aber bitte keineKontrolle, bitte keine Berichtspflicht und bloß nicht denBundesrechnungshof dabei haben.Für uns Haushälter ist immer wieder die Erkenntnis:Zahlen soll der Bund, obwohl Länder und Kommunenmehr Geld haben als der Bund, aber einmischen soll ersich bloß nicht.Dann kommen Sie immer wieder damit, dass wir neueAufgaben übertragen. Wenn ich frage: „Ja, wo sind diedenn?“, dann kommt im Moment nichts. Der Bund hatdas gemerkt, und wir alle wissen, dass wir dieses Spielan der Stelle nicht machen können.Es ist doch im Endeffekt so: Das, was wir an Entlas-tung geschaffen haben, beläuft sich inzwischen pro Jahrauf 10 Milliarden Euro. Wir geben für Länder und Kom-munen gegenüber den bisherigen Ausgaben 10 Milliar-den Euro zusätzlich aus. Wir haben es gestern im BereichBildung festgestellt: Das, was für Bildung ausgegebenwird, wird teilweise direkt durchgeleitet, weil die Länderaus ihren Aufgaben herausgehen.Zum Schluss will ich mich noch einmal kurz mit demLand Baden-Württemberg beschäftigen, das Sie hier dar-gestellt haben. Der Bürger hat gerade gehört, es gebedort eine strukturelle Neuverschuldung. „Strukturell“hört sich immer gut an. Aber wenn man einmal fragt,was die explizite war, dann sind Sie, Herr Minister, dochmit mir der Meinung, dass die in Baden-Württembergbei null war. Die explizite Neuverschuldung war beinull. Da war sie bei der Übergabe.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24099
Otto Fricke
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Dann machen Sie Milliardenschulden, und jetztkommt das Allerbeste: Das Land Baden-Württembergwill eine Schuldenbremse. Man denkt ja, die Schwabensind besonders sparsam. Das habe ich bisher immer ge-dacht. Aber grüne Schwaben scheinen nicht sparsam zusein; denn Sie wollen jedes Jahr nur in gleichmäßigenSchritten davon herunter. Ich sage Ihnen: Wenn man voneiner Null kommt, dann sollte man so schnell wie mög-lich wieder auf die Null herunterkommen und keinePseudoschuldenbremse machen, indem man sagt: Wirbremsen einmal etwas langsamer und machen das imJahre 2020. Sie in Baden-Württemberg wollen bis 20206 Milliarden Euro Schulden machen, und zwar – meineDamen und Herren, halten Sie sich fest – nicht auf Basisder gegenwärtigen Gesetzgebung, sondern sie machen6 Milliarden Euro Schulden, obwohl Sie die Steuererhö-hungen, die Rot-Grün gerne machen will, mit eingerech-net haben. Das nenne ich nicht mehr schwäbisch, son-dern das ist nach meiner Meinung südeuropäisch.Herzlichen Dank.
Der Kollege Andrej Hunko hat jetzt für die Fraktion
Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Worüberreden wir heute? Wir reden über die Umsetzung des Fis-kalpaktes, der Ende Juni hier im Bundestag zusammenmit dem ESM von den vier Fraktionen mit Mehrheit be-schlossen wurde, in nationales Recht.Was ist der Fiskalpakt? Der Fiskalpakt ist die Institu-tionalisierung einer völlig verfehlten Krisenpolitik undKrisenanalyse in der Europäischen Union. Das wird jetztsozusagen in dauerhaftes Völkerrecht gegossen undheute hier im Bundestag in nationales Recht umgesetzt.Warum ist diese Krisenpolitik verfehlt? Sie basiert aufeiner völlig falschen Analyse der Krise in der Euro-Zone. Wir haben es heute immer wieder gehört. Auchbei dem Gesetzentwurf ist es so. Dem liegt die Vorstel-lung zugrunde, es gäbe eine Staatsschuldenkrise auf-grund überhöhter Ausgabenpolitik. Wenn man sich abereinmal die offiziellen Zahlen der Europäischen Zentral-bank anschaut, so kann man feststellen, dass die Staats-verschuldung in der Euro-Zone in der Zeit von 2000 bis2008 im Durchschnitt tendenziell rückläufig war, näm-lich von etwa 73 Prozent auf 67 Prozent im Jahre 2008zurückgegangen ist, und erst danach als Folge der Fi-nanz- und Bankenkrise stark angestiegen ist.Wir haben einmal nachgefragt: Woher kommt denndieser Anstieg? Der Kollege Klaus Ernst hat vor wenigenWochen gefragt: Um wie viel ist die Staatsverschuldungin Deutschland als Folge der Banken- und Rettungspa-kete 2008 angestiegen? Antwort: 322,5 Milliarden Euro,kumuliert seit 2008. Das ist die Ursache für den Anstiegder Staatsverschuldung. Das soll jetzt mit dem Gesetz zurUmsetzung des Fiskalpakts durch Kürzungen im Sozial-bereich, im Bildungsbereich, im Gesundheitsbereich, imöffentlichen Bereich zurückgeführt werden. Deshalb sa-gen viele Menschen in Südeuropa – das habe ich geradeerfahren –: Dieser Fiskalpakt ist ein Pakt zum Angriff aufsoziale Rechte, auf Arbeitnehmerrechte. – Wir lehnen dasab. Wir lehnen diese völlig verfehlte Krisenpolitik ab.
Es ist auch ein Angriff auf demokratische Rechte derHaushaltsgesetzgeber, weil die Budgethoheit verlagertwird. Sie wird zum Teil auf die Ebene der EU-Kommis-sion verlagert. Ein Beispiel dafür ist das strukturelle De-fizit. Sie wissen genau, dass die Berechnung des struktu-rellen Defizits wirtschaftspolitisch sehr umstritten ist. Esgibt unterschiedliche Schulen; man kommt zu unter-schiedlichen Ergebnissen.Wer hat denn die Definitionsmacht für dieses struktu-relle Defizit? Das werden in Zukunft Wirtschaftswissen-schaftler der EU-Kommission haben, die nur sehr frag-würdig demokratisch legitimiert sind. Wir sehen das alssehr problematisch an: Das ist kein Mehr an Europa,sondern ein Weniger an Demokratie.
Drittens ist diese Krisenpolitik und Krisenanalyse inder Konsequenz auch sozial verheerend. Wir sehen dasin Griechenland und Portugal. Griechenland – ich warletzte Woche dort – ist am Rande einer humanitären Tra-gödie.
Diese Politik wird jetzt auch zunehmend in den zentral-europäischen Staaten bzw. in Deutschland umgesetzt.Mit dem Fiskalpakt werden jetzt schon die Sachzwängegeschaffen, auf die sich dann später berufen wird, wennes um Kürzungen etwa im kommunalen Bereich oder imLänderbereich geht. Wir lehnen das eindeutig ab.Ich will Ihnen ein aktuelles Beispiel aus meiner Hei-matstadt Aachen nennen. Dort hat gestern der ältesteWaggonbauer, Bombardier, angekündigt, den Standortmit 600 Arbeitsplätzen zu schließen. Es ist der ältesteWaggonbauer in Deutschland. Ich habe mit dem Ge-schäftsführer gesprochen. Er sagt, die Bahntechnik unddie Auftragslage seien gut; die Probleme seien der er-höhte Wettbewerbsdruck und das Wegbrechen derMärkte in Südeuropa. Das sind schon Konsequenzendieser völlig falschen Politik.Die Linke wird an der Seite der Menschen stehen, diesich dagegen wehren. Sie können auf unsere Unterstüt-zung vertrauen.
Vielen Dank.
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24100 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
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Sven-Christian Kindler hat jetzt das Wort für Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Vorweg zu Norbert Barthle und Otto
Fricke: Sie haben gesagt, das größte Risiko für den Bun-
deshaushalt säße auf der Bundesratsbank; das seien die
Bundesländer. Das finde ich angesichts der unseriösen
schwarz-gelben Haushaltspolitik eine abenteuerliche Be-
hauptung und Beschimpfung der Länder.
Was ist denn passiert? Diese Koalition hat die Steuern
für Hoteliers, reiche Erben und Besserverdienende ge-
senkt und damit auch die Steuerbasis in den Ländern
erodieren lassen. Es war auch so, dass vor allen Dingen
innerhalb dieser Wahlperiode, aber auch schon vorher
die CDU und die FDP konsequent Landtagswahl für
Landtagswahl verloren haben. Deshalb sind Sie nei-
disch: Sie haben keine Mehrheit mehr im Bundesrat, und
die nächste Landtagswahl werden Sie auch verlieren. In
Niedersachsen wird Schwarz-Gelb komplett abgelöst.
Noch eine Bemerkung zu Otto Fricke. Unseriöse
Haushaltspolitik hat er pauschal als „südeuropäisch“ be-
zeichnet. Diese Aussage finde ich abenteuerlich.
Zum Thema Krise: Spanien hatte bis 2007 super
Haushaltszahlen mit einer geringen Gesamtverschul-
dung und einem sehr guten Defizit, übrigens besser als
Deutschland in dieser Zeit. Spanien hatte aber hohe
Bankschulden. Das ist das Problem: Es geht um eine
Bankschuldenkrise. Das hat die FDP nicht verstanden.
Ich finde es diffamierend von der FDP, auf dem Rücken
Europas billigsten Stammtischpopulismus zu machen.
Das geht nicht.
Noch ein paar Anmerkungen zum Nachtragshaushalt
und auch zum Flughafen BER. Dazu wurde schon eini-
ges gesagt. Es wurde gesagt, dass auch der Bund in der
Verantwortung ist. Wir haben im Haushaltsausschuss
und im Verkehrsausschuss viele Fragen dazu gehabt.
Was ist mit dem Baufortschritt und dem Thema Kosten?
Wir haben bisher nur wenige Antworten vom Ministe-
rium zu den Kosten und der Finanzierung bekommen.
Der Bericht zu den Infrastrukturvorhaben, zum Beispiel
zu den Anschlüssen der Deutschen Bahn, liegt immer
noch nicht vor. Wir haben ihn als Haushälterinnen und
Haushälter seit Wochen angefordert; das Verkehrsminis-
terium hat ihn nicht geliefert.
Diese verfehlte Informationspolitik der Bundesregie-
rung muss endlich aufhören. Wir brauchen Klarheit und
Details über die Kosten des BER-Flughafens.
Jetzt stellen Sie das mit 312 Millionen Euro in die
Verpflichtungsermächtigungen ein. Dabei ist das Finan-
zierungskonzept noch gar nicht klar. Wir wissen nicht,
um was es nachher wirklich geht. Es wurde bisher kein
Finanzierungskonzept vorgelegt. Wir können das auch in
den aktuellen Haushaltsberatungen besprechen. Wir
müssen es nicht in den Nachtragshaushalt einstellen. Das
ist nicht notwendig.
Zum Aufsichtsrat will ich sagen: Natürlich ist auch
der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Wowereit hier in der
Pflicht. Der Aufsichtsrat hat versagt. Aber auch Minister
Ramsauer und Minister Schäuble haben mit den Staats-
sekretären Bomba und Gatzer Vertreter in diesem Gre-
mium sitzen. Diese Aufsichtsratsmitglieder haben eben-
falls versagt. Der Aufsichtsrat wusste lange Bescheid
über den mangelhaften Brandschutz bzw. die mangel-
hafte Entrauchungsanlage. Dieser Aufsichtsrat hat es
nicht gebacken bekommen; er hat versagt. Er muss aus-
gewechselt werden.
Noch ein Satz zum Thema Kitaausbau. Es stimmt, wir
brauchen zusätzliche Plätze für die unter Dreijährigen,
um den Rechtsanspruch 2013 zu erfüllen. Aber Kristina
Schröder hat es drei Jahre lang nicht hinbekommen, sich
in dieser schwarz-gelben Koalition gegen Herrn Schäuble
durchzusetzen. Es gab drei Jahre kein Geld mehr für neue
Kitaplätze. Mehr Geld dafür mussten die rot-grün regier-
ten Länder erst in den Verhandlungen über den Fiskalpakt
durchsetzen.
Jetzt so zu tun, als ob die Länder das Geld, dessen Be-
willigung sie selber durchgesetzt haben, nicht wollten,
ist absurd. Was die Länder beklagen, ist, dass die Be-
triebsmittel für Erzieherinnen und Erzieher nicht wie ab-
gemacht 2013, sondern erst 2015 fließen sollen. Wir
brauchen diese Mittel aber bereits 2013, um den Rechts-
anspruch zu erfüllen. Pacta sunt servanda – Verträge sind
einzuhalten. Die Bundesregierung muss ihre Zusagen an
die Länder beim Kitaausbau endlich einhalten und dafür
sorgen, dass die vereinbarten Betriebsmittel rechtzeitig
fließen.
Vielen Dank.
Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort die Bun-desministerin Dr. Kristina Schröder.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24101
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Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir sprechen heute nicht nur über das Gesetz zur inner-staatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags, sondern auchdarüber, ob es gelingt, den Kitaausbau zu beschleunigen.Der Bund stellt für 30 000 neue Kitaplätze zusätzlich580 Millionen Euro zur Verfügung. Damit sollen die30 000 Plätze eingerichtet werden, die mehr gebrauchtwerden als 2007 veranschlagt. Wir alle sind uns sicher-lich einig, dass es sich kein Land leisten kann, auf diesesGeld für den Kitaausbau zu verzichten, zumal nur nochrund neun Monate Zeit bleiben, bis der Rechtsanspruchauf einen Kitaplatz in Kraft tritt. Trotzdem gab und gibtes nach der Stellungnahme des Bundesrates einige Irrita-tionen.Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deutlichmachen, was die Bundesregierung mit den Ländern ver-einbart hat; denn es gab nicht nur umfangreiche Gesprä-che, Herr Minister Friedrich, sondern eine ausdrücklicheEinigung mit den Ländern. Bereits im August diesesJahres haben wir uns auf die Verteilung der 580 Millio-nen Euro und auf die Förderbedingungen verständigt.Den Ländern war in diesen Verhandlungen sehr wichtig,dass das Geld nicht nach dem Maßstab verteilt wird, woderzeit noch die meisten Kitaplätze fehlen. Vielmehr be-standen die Länder auf einer Verteilung nach der Zahlder unter Dreijährigen in den jeweiligen Ländern. Wirhaben dem zugestimmt, weil wir gesagt haben: Wir kön-nen nicht monatelang darüber diskutieren. Durch Disku-tieren entstehen keine Kitaplätze.
Wir haben auch zugestimmt, dass die neuen Gelder so-gar rückwirkend ab dem 1. Juli 2012 für den Kitaausbaueingesetzt werden können, damit die Kommunen mög-lichst sofort mit der Einrichtung weiterer Plätze begin-nen können. Wir haben dafür aber auch Bedingungenvereinbart, weil wir aus den Erfahrungen des bisherigenAusbaus lernen müssen.
Erstens. Wir wollen, dass dort neue Kitaplätze entste-hen, wo sie von den Familien gebraucht werden. Wirwollen, dass das Geld des Bundes dort für den Bau vonKitaplätzen eingesetzt wird, wo Bedarf da ist. Das kannauch heißen, dass Gelder, die bis zu einem bestimmtenTermin nicht genutzt werden, dann an andere Länder ge-hen, die sie für den Kitaausbau dringend brauchen.
Zweitens. Wir wollen Transparenz. Bund, Länder undKommunen haben von Anfang an ausgemacht, den Kita-ausbau gemeinsam zu stemmen, und das, obwohl dafürverfassungsrechtlich der Bund überhaupt nicht zuständigist. „Gemeinsam stemmen“, meine Damen und Herren,heißt aber, dass man mit offenen Zahlen arbeitet. Jedersoll wissen können: Wo fehlen wie viele Plätze? Jedersoll wissen können: Wie viele Plätze sind im Bau?
Jeder soll wissen können: Welches Land hat wie viel vonseinem eigenen Anteil an den Kosten schon erbracht?Meine Damen und Herren, das ist keine Bürokratie; dasist eine Selbstverständlichkeit.
Der Bund zahlt übrigens das Geld auch nur aus einemeinzigen Grund an die Länder: Weil wir es aus verfas-sungsrechtlichen Gründen nicht direkt an die Kommu-nen zahlen können.
Dass wir hier nichts Unmögliches verlangen, daszeigt der Blick auf ein Land, das für viele hier im Hausin Sachen Kinderbetreuung der Lieblingsfeind Nummereins ist, nämlich Bayern. In Bayern wird nicht nur vieleigenes Landesgeld für den Kitaausbau in die Hand ge-nommen, sondern Bayern weist auch ganz genau nach,was damit gebaut wurde, wie hoch jeweils der Bundes-anteil ist, wie hoch jeweils der Landesanteil ist. Dasmacht kein anderes Land so. Wenn ich eine sozialdemo-kratische Landesministerin wäre, würde ich mich schä-men, dass ausgerechnet das vielgescholtene Bayern hierseriöser und transparenter arbeitet als man selbst.
Natürlich könnte der Bund das Geld überweisen unddann den Ländern sagen: Jetzt macht mal schön! – Ver-fassungsrechtlich wäre das richtig – der Kitaausbau istLändersache –; vielleicht wäre es auch wahltaktisch klü-ger, zu sagen: Der Bund zahlt und hält sich ansonsten zu-rück. – Aber das tun wir nicht, und das werden wir nichttun, weil es nicht das Selbstverständnis dieser Koalitionist, zu zahlen und sich dann zurückzulehnen. Wir wollenfür die Eltern etwas erreichen. Deshalb setzen wir allesdaran, dass zum 1. August 2013 in Deutschland jede Fa-milie, die einen Kitaplatz benötigt, auch einen bekommt;denn nur dann haben wir in Deutschland Wahlfreiheit fürFamilien.
Wenn es dann im Sinne der Sache einmal rumpelt,dann ist das eben so. Mir ist es lieber, dass es jetzt rum-pelt, als dass Eltern im August nächsten Jahres keinenKitaplatz finden. Die Eltern verlassen sich auf denRechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Der Kitaausbauwird nur gelingen, wenn alle Beteiligten sich ihrer Ver-antwortung bewusst sind und sich dementsprechend ver-halten. Der Bund ist dazu bereit. Ich hoffe, dass alle an-deren es auch sind.Herzlichen Dank.
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24102 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
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Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Schwanitz für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede noch einmal da-ran erinnert und gemahnt, dass alle sich ihrer Verantwor-tung bewusst sein sollen. Ich sage einmal ausdrücklich:Was Sie in dieser Woche als medialen Rundumschlaggegen die Länder gemacht haben, ist absolut verantwor-tungslos. Sie sind Ihrer Verantwortung überhaupt nichtgerecht geworden.
Also meine Bitte: Legen Sie bitte an sich selbst diesel-ben Maßstäbe an!
Ich will mich als Allererstes beim Bundesrat rechtherzlich bedanken; denn ohne die Länder, ohne die Ver-knüpfung des Themas Kitaausbau mit dem Thema Fis-kalpakt – vorhin ist vom Kollegen Barthle von Erpres-sung geredet worden – wäre es überhaupt nicht möglichgewesen, zu erreichen, dass zusätzliche Bundesmittel fürden Kitaausbau bereitgestellt werden.
Ohne diese Rettungsaktion der Länder im Vermitt-lungsausschuss wäre der Rechtsanspruch der Kinderquasi gescheitert, meine Damen und Herren.
Nachdem Sie das stets abgelehnt haben, wäre gar keineMöglichkeit mehr gewesen, das Ausbauprogramm be-darfsgerecht, so wie die Bedarfszahlen tatsächlich sind,aufzustocken. Deshalb mein herzlicher Dank an die Län-derseite! Das kommt spät, aber, wie ich hoffe, nicht zuspät.
Das hat auch etwas damit zu tun, dass die Bundesminis-terin diesen zusätzlichen Ausbaubedarf jahrelang igno-riert hat. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir – ichhoffe es nicht; aber es sieht leider anders aus – eine Bun-desfamilienministerin haben, die momentan den letztenRest an familienpolitischer Gemeinsamkeit, die wir mitden Ländern haben, zertrampelt. Ich glaube, dass das eingroßer Fehler ist.
Ich will noch einmal daran erinnern: Drei Jahre langhat diese Ministerin jede Forderung nach einem Krip-pengipfel abgelehnt. Drei Jahre lang wurde bestritten,dass es in diesem Land einen höheren Bedarf an Kitaaus-bau gibt, um den Rechtsanspruch zu retten.
Erst im Mai 2012 wurde eingeräumt, dass ein Zusatzbe-darf von 30 000 Plätzen existiert. Aber selbst dann wardiese Bundesregierung nicht bereit dazu, das Ausbaupro-gramm aufzustocken. Erst im Juni – über den Bundesrat,über den Vermittlungsausschuss – ist es gelungen, diesenTeil noch in das Ausbauprogramm aufzunehmen. MeineDamen und Herren, das hat nichts mit Frau Schröder zutun, es hat überhaupt nichts mit Frau Schröder zu tun.
Nachdem Sie darauf eingegangen sind, will auch icheinen Blick in den Gesetzentwurf selbst werfen. Ich willausdrücklich sagen: Ich habe nichts gegen Kontrolle.Aber was Sie hier an Kontrollpflichten aufbauen wollen,das ist schon das bürokratische Monster, das in diesemPlenarsaal oft zitiert wird. Sie wollen die Länder zuneuen monatlichen, neuen halbjährlichen Berichten ver-pflichten, die bis weit nach 2008 hinein zurückgehen.Anstatt die Zahl der Kitaplätze auszubauen, wollen Siedie Bürokratie ausbauen. Das kann nicht sinnvoll sein,und das ist nicht das, was hier gemacht werden muss.
Zum Zweiten fällt auf, dass die Verstärkungsmittel fürden Zusatzausbau gestreckt werden: Sie sollen nicht bis2013 laufen, sondern bis Ende 2014, bei den Betriebs-kosten sogar bis Ende 2015. Es ist also schon im Gesetzselber angelegt, dass zum August 2013 der Rechtsan-spruch auf Kitabetreuung wegen des Zusatzbedarfs nichtabgesichert werden kann. Also machen Sie sich einStück ehrlich, Frau Ministerin, und erzählen Sie hiernicht solche Sachen!
Zum Dritten fällt auf, dass der Gesetzentwurf bezo-gen auf den Zusatzbedarf keine richtige Hilfe für denKitaausbau bringt. In dem Gesetzentwurf wird eine Me-chanik aufgebaut – ich hoffe, wir können sie in den Be-ratungen noch verändern –, die so aussieht, dass einLand, wenn es bis Ende 2012 beim Kitaausbau hinter derPlanung zurückbleibt, faktisch gar keine zusätzlichenMittel zur Deckung des Zusatzbedarfs bekommt.
Das heißt, ausgerechnet dort, wo der größte Nachholbe-darf besteht, wird quasi zuerst der Geldhahn zugedreht.Das ist, als ob in einem Krankenhaus die leichten Fällewunderbar mit Medikamenten versorgt, die schwerenFälle aber vor die Tür gesetzt würden. Das kann keinesinnvolle Verstärkungsstrategie sein.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24103
Rolf Schwanitz
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Sie können das, was ich sage, ja für falsch halten.
Deswegen will ich Ihnen auch sagen, was der Minister-präsident des Landes Sachsen-Anhalt, Herr Haseloff – ergehört nicht zu den Sozialdemokraten, sondern zu IhrerParteicouleur –, dazu gesagt hat: Was jetzt zur Voraus-setzung für Zahlungen des Bundes genannt werde, ent-spreche nicht der Geschäftsgrundlage. – Weiter hat ergesagt: „Frau Schröder sollte nachdenklich machen, dassdies von allen Bundesländern übereinstimmend so gese-hen wird.“ – Meine Hoffnung auf die Nachdenklichkeitder Ministerin ist allerdings begrenzt.
Herzlichen Dank.
Andreas Mattfeldt hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Mit dem zweiten Nachtragshaushalt2012 schaffen wir heute die Voraussetzungen dafür, dassDeutschland die Erhöhung des Eigenkapitals der Euro-päischen Investitionsbank in Höhe von 1,6 MilliardenEuro wird leisten können.Darüber hinaus enthält dieser Nachtrag Verpflich-tungsermächtigungen in Höhe von 312 Millionen Euro,damit die jetzt notwendigen Beschlüsse zur Deckung deszusätzlichen Kapitalbedarfs der Flughafen Berlin Bran-denburg GmbH getätigt werden können. Die immensenVerfehlungen beim Flughafenbau sind sowohl für unsAbgeordnete als auch für die Bevölkerung nicht mehrnachzuvollziehen. Ich sage hier deutlich: Für eine Indus-trienation wie Deutschland mit großartigen Leistungenist das Thema Flughafen Berlin Brandenburg schon sehrdemütigend.
Darüber hinaus stellen wir in diesem Nachtrag dar,dass durch die Bund-Länder-Verpflichtung 30 000 zu-sätzliche Plätze für die Betreuung von Kindern unter dreiJahren finanziert werden. Insgesamt wird der Bund demSondervermögen Kinderbetreuungsausbau noch einmal580,5 Millionen Euro zuweisen. Damit handelt die Bun-desregierung erneut zugunsten von Kommunen und Län-dern und stellt weitere Gelder für den Kinderbetreuungs-ausbau zur Verfügung
– und das, obwohl Kinderbetreuung in die originäre Zu-ständigkeit der Kommunen und der Länder fällt. Dieswird leider von vielen rot-grün regierten Bundesländern,aber auch von den Kommunen, schnell vergessen undunter den Tisch gekehrt.
– Wissen Sie, Herr Bockhahn, es ärgert mich schon,wenn lautstark, wie in den vergangenen Monaten, vongewissen Kreisen nach mehr Geld vom Bund geschrienund mitgeteilt wurde, der Bund würde seine Zusagenzum Ausbau von Kindertagesstätten nicht einhalten.Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. – Deshalb möchteich gemeinsam mit Ihnen auf den Krippengipfel 2007zurückblicken, auf dem die Schaffung von Krippenplät-zen vereinbart wurde. Seinerzeit haben sich auf Initiativevon Ursula von der Leyen Bund, Länder und Kommu-nen in einem gemeinsamen Kraftakt, weil alle Beteilig-ten die Notwendigkeit erkannt haben, darauf geeinigt,bis 2013 ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungs-plätzen für Kinder unter drei Jahren zu schaffen.
Der Bund, Frau Hagedorn, hat seinerzeit seine Verpflich-tung direkt umgesetzt und insgesamt 4 Milliarden Eurobereitgestellt: 2,15 Milliarden Euro für Investitionen undsogar – darüber haben wir seinerzeit lange verhandelt –1,85 Milliarden Euro für Unterhalt und Betriebskosten.
Bei Kommunen und Ländern sah eine sofortige Um-setzung leider in einigen Teilen anders aus. Hier konntenwir vielfach eine sehr abwartende Haltung beobachten.Ich weiß aus eigener Erfahrung als seinerzeitiger Haupt-verwaltungsbeamter, dass viele Kommunen das Problemzum Teil vor sich hergeschoben haben. Diese Haltunghat zu der Verzögerung geführt, vor der wir heute stehen,und hat die Lücken entstehen lassen, die wir nun erneutin einem enormen Kraftakt werden füllen müssen.
An diesem Nachtrag von 580 Millionen Euro für Kin-dertagesstätten sehen Sie auch, welch eine große Bedeu-tung die Familienpolitik in dieser Koalition hat. Damitunterscheiden wir uns fundamental von dem, was dierot-grüne Koalition in ihrer Amtszeit geschafft hat.
– Das ist nicht lächerlich.Während in Ihrer Zeit, Herr Poß, unter GerhardSchröder, Familienpolitik als Gedöns bezeichnet wurde
und bestenfalls stiefmütterlich, wenn überhaupt, behan-delt wurde, hat Kristina Schröder in ihrer Amtszeit denEtat um mehr als eine halbe Milliarde Euro angehoben.Beispielhaft möchte ich die insgesamt rund 400 Millio-nen Euro nennen, die von 2011 bis 2014 in die Verbesse-
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24104 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Andreas Mattfeldt
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rung der Qualität der frühkindlichen Sprachförderungdurch qualifiziertes Personal in 4 000 Schwerpunktkitasinvestiert werden. Noch einmal: Auch dies ist eigentlichoriginäre Aufgabe der Kommunen. Mit der Finanzierungdurch den Bund bieten wir den Kommunen die Entlas-tung, die sie immer wieder vom Bund fordern.Gerade vor diesem Hintergrund ist es für mich derGipfel der Unverschämtheit, dass Frau Schwesig derMinisterin Schröder vorwirft, sie würde immer neueForderungen an die Vergabe der Mittel knüpfen undwürde auf der Bremse stehen. Nach den gemachten Er-fahrungen kann ich nur sagen, es ist absolut notwendig,dass die Mittelvergabe an zu erfüllende Pflichten undvor allen Dingen auch an Fristen gebunden ist.
Der Ministerin vorzuwerfen, sie würde den Kitaaus-bau ausbremsen, ist nahezu ungeheuerlich. Das ist anDreistigkeit nicht mehr zu überbieten und dient nur demeigentlichen Zweck, von eigenen Verfehlungen in zahl-reichen Bereichen abzulenken.Meine Damen und Herren, Kitakostenübernahme undvor allem auch die Kostenübernahme für die Grund-sicherung im Alter entlasten die Kommunen erheblich.Diese Entlastungen und die durch eine kluge Wirt-schaftspolitik ausgelösten Steuermehreinnahmen habenper 30. Juni dieses Jahres bereits zu einer erheblichenVerbesserung der finanziellen Situation der Kommunengeführt.Durch die Verschiebung im Bundeshaushalt zuguns-ten der Kommunen entlastet diese christlich-liberale Re-gierung
die Kommunen finanziell in einer noch nie dagewesenenHöhe.
Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition,verbitte ich mir Ihren Vorwurf, wir würden die Kommu-nen vernachlässigen. Dieser Vorwurf entbehrt jeglicherGrundlage.Herzlichen Dank.
Die Kollegin Bettina Hagedorn hat das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Ich muss schon sagen: Was für einen Eindruckmüssen die Zuschauer auf der Tribüne gewinnen! WasSie als Regierungsfraktionen angesichts dieser Debatte– wir reden über die Umsetzung des Fiskalpakts undüber den Nachtragshaushalt – an kleinkariertem Pepitabieten, das ist unter der Würde dieses Hauses.
Es ist nämlich so – das wissen vielleicht nicht alle Zu-hörer –, dass der Fiskalpakt in diesem Haus mit der Zu-stimmung von vier Fraktionen eine große Mehrheit ge-funden hat und dass es in Deutschland – übrigens imGegensatz zu vielen Nachbarländern – eine breite parla-mentarische Mehrheit für ganz wesentliche Weichenstel-lungen auf europäischer Ebene gibt, weil Rot-Grün ge-meinsam mit der Regierung eine große europäischeVerantwortung übernimmt.
Der von Ihnen eingebrachte Nachtragshaushalt ent-hält drei wesentliche Maßgaben, die damit in einem un-mittelbaren Sinnzusammenhang stehen; hierüber istschon diskutiert worden. Dabei geht es sowohl um dieZustimmung der Länder zum Fiskalpakt, die richtig ist,als auch um die Zustimmung von Rot-Grün.Nur aufgrund dessen können jetzt ein Wachstumspa-ket und ein Paket gegen die Jugendarbeitslosigkeit aufeuropäischer Ebene verabschiedet werden, was die Auf-stockung der Mittel der Europäischen Investitionsbankerforderlich macht. Nur aufgrund dessen werden inDeutschland 30 000 neue Kitaplätze geschaffen, was dieBereitstellung von 580 Millionen Euro erforderlichmacht.Weil wir in diesem Hause das gemeinsam wollen,wäre es jetzt eigentlich angemessen, auch gemeinsamdarüber nachzudenken, wie wir das Ganze zu einem gu-ten Ende führen können. Diese Chance auf eine gemein-same Linie verpassen Sie jedoch mit Ihrem Klein-Klein,dem Parteiengezänk und Ihrem Kleinmut.
Zu Recht ist bereits gesagt worden, dass es auf euro-päischer Ebene jetzt endlich einen Kurswechsel gibt –weg von den neoliberalen Rezepten der Regierungen inganz Europa unter der Federführung von Frau Merkel,weg von falschen Kürzungsorgien, die ursächlich zu ei-ner einbrechenden Binnennachfrage, zu einer erlahmen-den Wirtschaft und damit letzten Endes zu der hohen Ju-gendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Länderngeführt haben.Es ist gut und richtig, dass diese Änderungen erfol-gen. Zu diesen Maßnahmen erhalten Sie unsere Zustim-mung. Dass Sie aber auf der anderen Seite Ihre eigenenSchularbeiten nicht machen und jetzt nicht durch struk-turelle Kürzungen im eigenen Haushalt zu einer solidenGegenfinanzierung gelangen, dass Sie sich in Europa alsSparkommissar gerieren, im eigenen Land aber nichtsdavon wissen wollen, das ist ja das Drama.
Die Gegenfinanzierung – das haben sowohl FrauHinz als auch Carsten Schneider und andere schon zu
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24105
Bettina Hagedorn
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Recht gesagt – nehmen Sie sozusagen im Schlafwagenmit, indem Sie für 2012 komischerweise exakt 2,2 Mil-liarden Euro geringere Zinsausgaben veranschlagen.In welchem gesamtpolitischen Umfeld bewegen wiruns denn? Es ist durchaus so, dass wir uns über einebrummende Konjunktur hier immer gemeinsam gefreuthaben. Es reicht für eine Regierung jedoch nicht aus,sich lediglich darin zu gefallen. Es ist vielmehr Verant-wortung dieser Regierung, Vorsorge für die Zukunft zutragen, auch bei sich eintrübenden Aussichten.Genau dies soll mit der Schuldenbremse erreicht wer-den, die übrigens von uns gemeinsam beschlossenwurde. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Wastun Sie? Über den Nachtragshaushalt und die geringerenZinszahlungen habe ich schon gesprochen. Wir haben esin dieser Woche aber auch mit der Vorstellung derWachstumsprognose für das Jahr 2013 zu tun gehabt. Ichwill nur darauf hinweisen: Sie haben öffentlich so getan,als sei alles im grünen Bereich;
tatsächlich ist es so, dass Sie in dem Haushaltsent-wurf 2013, den wir in diesem Parlament gerade parallelberaten, von einem Wachstum von 1,6 Prozent imJahr 2013 ausgeht. Aber wo sind wir jetzt? Bei 1 ProzentWachstum.Sie gehen in Ihrem Haushaltsentwurf von 2,78 Mil-lionen Arbeitslosen im Jahr 2013 aus. Und wo sind wirjetzt? Seit dieser Woche haben wir es schwarz auf weiß:bei 2,94 Millionen Arbeitslosen; das sind 150 000 Ar-beitslose mehr.
Was bedeutet das? Das bedeutet notwendige Ausga-ben im Haushalt 2013, und Sie nehmen das nicht zurKenntnis. Sie treffen keine Vorsorge, sondern rechnensich alles schön,
um den Menschen letzten Endes Sand in die Augen zustreuen, und das, obwohl Sie es in Deutschland mit zweiverantwortungsbewussten Oppositionsparteien zu tunhaben,
die im Grunde bereit sind, bei den Dingen, die für dieMenschen in dieser Lage wichtig sind, mit Ihnen an ei-nem Strang zu ziehen und in eine Richtung zu gehen.Aber Sie ergreifen nicht die Hand, und damit werden Sieder Verantwortung nicht gerecht.Ich fordere Sie auf: Greifen Sie die wesentlichenPunkte auf, die wir Ihnen vorschlagen, insbesondere wasdas Expertengremium anbelangt. Stärken Sie dieses Par-lament und schaffen Sie ein Gremium, das gegenüberdem Bundestag rechenschaftspflichtig ist. Lassen Siedas Gremium nicht zu einem einfachen Instrument ver-kommen, das der Regierung und auf europäischer Ebenenur in irgendwelchen Hinterzimmern berichtet.Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Antje
Tillmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben 2009 als ei-nes der ersten Länder in Europa eine Schuldenbremse inder Verfassung, im Grundgesetz, verankert und ein Jahrspäter den Stabilitätsrat mit Kompetenzen ausgestattet,wie sie heute im Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzungdes Fiskalvertrags verlangt werden.Der Steinbrück-Entwurf für den Haushalt 2010 sahnoch eine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro vor,wir aber werden vermutlich schon im nächsten Jahr dieVorgaben der Schuldenbremse, die eigentlich erst 2016eingehalten werden müssen, unterschreiten. Wir sind aufeinem guten Weg. Da ist die Verabschiedung des Fiskal-paktumsetzungsgesetzes heute ein weiterer Schritt, undzwar ein entscheidender Schritt in einem Bereich, indem wir noch nicht gut waren: Die Länder sahen sich beider deutschen Schuldenbremse nicht in der Verantwor-tung für die Kommunen. In unserer Verfassung steht,dass die Länder in ihren Haushalten bis 2020 eine Neu-verschuldung von null erreichen müssen, und die Länderinterpretieren das so, dass sie keine Verantwortung fürdie Verschuldung der Kommunen haben. Mit dem heuti-gen Beschluss ändert sich das. Im Umsetzungsgesetzsteht nämlich eindeutig:Die Länder tragen im Rahmen des Fiskalvertragsdie Verantwortung für ihre Kommunen.Das ist ein Meilenstein im Hinblick auf die Haushalts-sicherheit der Kommunen.Ich möchte nur kurz daran erinnern, dass es die SPD-Länder sind, in denen es den Kommunen am schlechtes-ten geht. Die Kommunen mit der höchsten Verschuldungbefinden sich gerade in den SPD-Ländern.Heute machen wir einen Riesenschritt zum Vorteil derKommunen. Neben der finanziellen Entlastung durchÜbernahme der Kosten der Grundsicherung und des Bil-dungspakets profitieren sie nun auch von Rechtsklarheithinsichtlich der Verschuldung.Der zweite Grund, warum das Gesetz ein Meilensteinim Hinblick auf die Beteiligung der Kommunen ist, istdie direkte Beteiligung der Kommunen am Beirat beimStabilitätsrat. Das heißt, diejenigen, die von Sparmaß-nahmen der Länder betroffen sind, dürfen mitberaten;sie können mitbestimmen und öffentlich ihre Positiondarstellen.
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24106 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Antje Tillmann
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Viele der Äußerungen zu den Kommunen, die hier ge-macht worden sind, sind schlichtweg unwahr. Es istdiese Regierung, die in dieser Legislaturperiode diegrößte Entlastung für die Kommunen überhaupt be-schlossen hat.
Auch die Äußerung von Herrn Minister Friedrich, dasswir durch Übertragung von Aufgaben die Kommunenbelasten würden, ist einfach nur unwahr. Der Bundesprä-sident dürfte ein solches Gesetz gar nicht unterzeichnen,weil es verfassungswidrig wäre. Bleiben Sie bei derWahrheit. Diese Regierungskoalition von CDU/CSUund FDP steht hinter unseren Kommunen. Wir entlastendie Kommunen, binden sie ein und stellen sicher, dassdie Kommunen bei Haushaltsdiskussionen mitberatendürfen.
Das tun wir über den Beirat auch deswegen, weil derStabilitätsrat Sanierungsvorschläge für Länderhaushaltesofort an die Landesregierungen weitergibt, und natür-lich müssen an den Beratungen der Landesregierungenalle Kommunen teilhaben dürfen, denn sie sind von die-sen Einsparmaßnahmen betroffen. Insofern werden wirsicherstellen, dass nicht nur eine betroffene Kommune,sondern alle betroffenen Kommunen an diesen Beratun-gen teilnehmen.Ich freue mich sehr, Herr Minister Friedrich, dass Siejetzt wieder anwesend sind; denn ich finde es beim zwei-ten Thema, dem Kindergartenausbau, entlarvend, dassausgerechnet ein Vertreter des Landes heute hier spricht,das beim alten Kindergartenausbauprogramm zum 24. Sep-tember den niedrigsten Mittelabruf aufweist. Erst 55 Pro-zent der Mittel sind von Baden-Württemberg abgerufenworden. Insofern erachte ich es als schwierig, sich hier-hin zu stellen und zu fordern, dass man bei einem neuenProgramm keinen Nachweis erbringen muss. Ihr Auftrittführt bei mir erst recht dazu, der Ministerin den Rückenzu stärken, denn wir wollen wissen, was die Länder mitden Geldern machen. Darüber hinaus sind es nichtzuletzt SPD-Kollegen in den Kommunen, die uns auffor-dern, sicherzustellen, dass die Länder das Geld auch tat-sächlich für den Kindergartenausbau nutzen. Die Erfah-rungen aus der Vergangenheit sind nämlich schlecht.Der Evaluationsbericht zeigt ganz deutlich, dass nichtnachweisbar ist, ob die Länder ihrer Verpflichtung ausdem alten Programm nachkommen. Auch da zeigt derBericht ganz deutlich: Es sind bis zum 24. Septembernur 73 Prozent der Mittel abgerufen worden.Die zweite Forderung der Länder finde ich noch bi-zarrer. Sie wollen nämlich Betriebskostenerstattungenfür Kindergärten bekommen, die noch gar nicht in Be-trieb sind. Das müssen sie erst einmal erklären.
Wenn ich 2013 Mittel für einen Kindergartenbau abrufe,dann kann dieser Kindergarten 2013 noch gar nicht inBetrieb sein. Deshalb hat die Ministerin völlig recht,dass die Betriebskosten erst dann erstattet werden, wennsie tatsächlich anfallen.
Auch hier glaube ich, dass die Länder über ihre Positionnoch einmal nachdenken müssen.
– Danke für den freundlichen Zwischenruf.Ich wundere mich schon, denn Frau Haderthauer hättedie Position der Länder hier sehr viel besser darstellenkönnen. Einerseits hat sie die Mittel in voller Höhe abge-rufen, andererseits ist sie interessanterweise gleichzeitigdafür, dass nachgewiesen wird, wie die Mittel verwendetwerden.
Bayern hat nämlich im Gegensatz zu anderen Ländernnichts zu verstecken. Daher, Herr Minister Friedrich,werden Sie hier noch einiges hinsichtlich des Mittelab-rufs zu erklären haben.Wir werden nicht auf Kosten der Eltern zocken. DieLänder, die bereits im Vermittlungsausschuss das Gesetzzur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger von der kal-ten Progression sowie das Gesetz zur energetischen Ge-bäudesanierung blockieren, blockieren jetzt den Kitaaus-bau. Dann ist es aber auch ihre Aufgabe, den Eltern 2013zu erklären, warum wir noch nicht so weit fortgeschrit-ten sind, wie wir es uns eigentlich wünschten.Die Eltern können sich auf uns verlassen. Wir werdenden Kitaausbau beschleunigen. Wir sind unseren Ver-pflichtungen nachgekommen und werden mit diesemGesetz unsere Aufgaben erfüllen. Wir werden diese Mit-tel zur Verfügung stellen, damit die Eltern Sicherheit ha-ben, was die Betreuung ihrer Kinder angeht. Ich hoffe,bis zum Vermittlungsausschuss ändern die Länder ihrePosition.
Ich schließe die Aussprache.Es ist verabredet, die Gesetzentwürfe auf den Druck-sachen 17/10976, 17/11011 und 17/10900 an die in derTagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-sen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so be-schlossen.Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 35 a bis c auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten CarenLay, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEEnergiewende sozial gestalten – BezahlbareStrompreise gewährleisten– Drucksache 17/10800 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24107
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(C)
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Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Federführung strittigb) Beratung des Antrags der Abgeordneten RenateKünast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBezahlbare Energie sichern durch Einspa-rung, Erneuerbare und mehr Verbraucher-rechte– Drucksache 17/11030 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung Federführung strittigc) Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenRita Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann,Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDDie Energiewende – Kosten für Verbrauche-rinnen, Verbraucher und Unternehmen– Drucksache 17/10366 –Es ist verabredet, anderthalb Stunden darüber zu de-battieren. – Auch dazu sehe und höre ich keinen Wider-spruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Katja Kipping für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieStrompreise steigen. Seit dem Jahr 2000 sind sie um70 Prozent gestiegen, und für Menschen mit geringemEinkommen und für kleine Unternehmen ist damit oftdie Schmerzgrenze erreicht. Ja, für viele ist die Schmerz-grenze sogar überschritten. Davon zeugen bis zu800 000 Stromsperrungen.Jedem, der diese Stromsperrungen auf die leichteSchulter nimmt, empfehle ich den Selbsttest. VersuchenSie doch einmal, mehrere Tage ohne Strom zu leben.Man kann das Handy nicht aufladen. Man hat keinen Zu-gang zum Internet. Wenn man keinen Gasherd hat, kannman sich nicht einmal eine Tasse Tee kochen. Familienmit Kleinkindern können nicht einmal die Babynahrungaufwärmen.Wir können hier nicht tatenlos zusehen, wenn sich dieEnergiearmut in diesem Land ausbreitet. Die Stromrech-nung darf keine Schuldenfalle werden.
Deswegen müssen wir sozial nachsteuern, und zwar miteiner sozialen Energiewende.
Deswegen schlägt Ihnen die Linke ein Konzept füreine soziale Energiewende vor. Dieses Konzept ist ein-gebettet in ein größeres Konzept für einen sozialökologi-schen Umbau. Das ist unser „Plan B“.
Über diesen diskutieren wir auch im Internet mit allenInteressierten.Zu einer sozialen Energiewende gehört unter anderemein Stromsockeltarif. Dieser besteht aus zwei Kompo-nenten: aus einem Gratissockel von 300 Kilowattstun-den pro Haushalt zuzüglich eines Gratissockels von200 Kilowattstunden pro Person. Für eine vierköpfigeFamilie macht das einen Gratissockel von 1 100 Kilo-wattstunden. Um diesen Gratissockel zu finanzieren,wird der darüber hinausgehende Strom teurer. Davonprofitieren Haushalte, die weniger verbrauchen als derDurchschnitt. Wer weniger verbraucht als der Durch-schnitt, zahlt zukünftig deutlich weniger. Wer mehr ver-braucht, zahlt deutlich mehr. Es gibt also einen Anreizzum Stromsparen.Gleichzeitig hat dieses Modell eine soziale Dimen-sion; denn wir wissen – laut Statistischem Bundesamt –,dass mit steigendem Einkommen auch der Stromver-brauch steigt. Genau darum geht es uns. Wir wollen so-zialen Ausgleich und Anreize zum Stromsparen zusam-men denken; denn soziale und ökologische Komponentengehören immer zusammen gedacht und dürfen niemalsgegeneinander ausgespielt werden.
Außerdem schlagen wir eine Abwrackprämie fürstromfressende Kühlschränke und Waschmaschinen vor.
Ja, wer ein altes, stromfressendes Modell durch ein be-sonders stromsparendes ersetzen möchte, der soll vonder öffentlichen Hand einen Zuschuss in Höhe von200 Euro bekommen. Ich freue mich sehr, dass die Grü-nen dieses Modell, das ich im Sommer vorgeschlagenhabe, übernommen haben.
So macht Cross-over Spaß.Zudem will die Linke die wirklichen Ursachen für dieStrompreisexplosion angehen. Schwarz-Gelb behauptet,die erneuerbaren Energien bzw. deren Förderung sei da-ran schuld. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaftschlägt in dieselbe Kerbe und plakatiert flächendeckend:Subventionen lassen Strompreise explodieren! EEG– also das Erneuerbare-Energien-Gesetz – abschaffen!Nur zum Hintergrund, für diejenigen, die diese Organi-sation noch nicht kennen: Hierbei handelt es sich umeine Organisation, die von der Wirtschaft finanziert wirdund den Auftrag hat, die gesellschaftliche Stimmung imInteresse der Wirtschaft zu beeinflussen. Hier wird unsalso ein sehr interessantes Schauspiel geboten: Wirt-
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24108 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Katja Kipping
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schaftslobbyisten und Schwarz-Gelb entdecken ihre so-ziale Ader und ziehen in vermeintlich tiefer Sorge umdie Armen in diesem Land gegen die erneuerbaren Ener-gien zu Felde. Wenn es diesen Kräften so wichtig ist, ge-gen Armut vorzugehen, dann frage ich mich, warum ge-rade sie alles, aber auch wirklich alles getan haben, umeinen Mindestlohn, der wirklich vor Armut schützt, zuverhindern.
Wir sind also gut beraten, Ihr Deutungsmuster zu hin-terfragen. Ist die Förderung des Bereichs der erneuerba-ren Energien wirklich daran schuld? Wenn man sich dieZahlen genau anschaut, entsteht ein ganz anderes Bild:Die Förderung des Bereichs der erneuerbaren Energienist nur zu einem Drittel für den Preisanstieg verantwort-lich. Das heißt, zwei Drittel, also der viel größere Teil,gehen auf andere Ursachen zurück. Ich frage Sie, meineDamen und Herren von Schwarz-Gelb: Warum ver-schweigen Sie diese Tatsache permanent? Ich meine, Ih-nen geht es überhaupt nicht um die Energiearmut. Siewollen einfach nur die erneuerbaren Energien in Miss-kredit bringen, und das ist schäbig.
Es spricht sich inzwischen herum, dass in denschwarz-gelben Hinterzimmern daran gearbeitet wird,die Energiewende auszubremsen, womöglich den Atom-ausstieg sogar wieder rückgängig zu machen.
Das ist ein verheerendes Vorhaben; denn eine Energie-wende ist, wenn sie sozial ausgewogen ist, finanzierbar.Atomstrom aber kostet Leben!
Deswegen darf es nie wieder ein Zurück zum gesell-schaftlichen russischen Roulette mit Atomstrom geben;denn damit spielen wir mit unser aller Leben.
Zudem will Schwarz-Gelb vom eigentlichen Haupt-verursacher ablenken, von den sprudelnden Gewinnender großen Stromkonzerne. Es ist schon auffällig: Wäh-rend die Preise an der Strombörse sinken, steigen diePreise für die Privathaushalte. Das muss mir einmal je-mand erklären. Da gibt es eine Differenz, und diese Dif-ferenz stecken sich die Stromversorger in die Tasche.Die Linke meint: Sprudelnde Gewinne der Stromkon-zerne auf der einen Seite und wachsende Energiearmutauf der anderen Seite – das ist nicht länger hinnehmbar.Es muss Schluss sein mit dieser Preistreiberei. Deswe-gen brauchen wir endlich wieder eine funktionierendeStrompreisaufsicht.
Aber womöglich wollen Sie Ihren Kumpels von denStromkonzernen gar nicht so genau auf die Fingerschauen.
Halten wir fest: Die Hetze gegen erneuerbare Ener-gien nützt wem? Der Atom- und Kohlelobby und dengroßen Stromkonzernen. Sie nützt aber mitnichten denMenschen, die von Stromsperren betroffen sind. Alles inallem ist diese Debatte über steigende Strompreise underneuerbare Energien ein wunderbares Lehrstück; dennhieran lässt sich ganz hervorragend beobachten, wie dieHerrschenden den Eindruck erwecken,
es ginge ihnen um die Armen in diesem Land. Dabei ma-chen sie vor allen Dingen bloß eines: Sie machen dasGeschäft der Stromkonzerne. Das ist wirklich schäbig.
Grüne und SPD verteidigen nun das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Ich finde, an dieser Stelle sollte maneinen Namen erwähnen. Ohne diesen Mann bzw. ohneseinen beharrlichen Einsatz hätte es dieses Gesetz wahr-scheinlich nie gegeben: Hermann Scheer, der Träger desalternativen Nobelpreises, der vor zwei Jahren leider vielzu früh verstorben ist.
Ja, das EEG ist zu Recht ein Exportschlager gewor-den. Allerdings hat Rot-Grün damals einen ganz zentra-len Aspekt vernachlässigt: den sozialen Ausgleich. Siewaren auf dem sozialen Auge leider blind. Diese Unter-lassungssünde rächt sich jetzt; denn die Kohle- bzw.Atomlobby nutzt jetzt die steigenden Strompreise, umdie erneuerbaren Energien schlechtzumachen. Geradewenn einem die Energiewende wichtig ist – ich bin wirk-lich eine leidenschaftliche Kämpferin für eine Energie-wende hin zu erneuerbaren Energien und dezentralerStromerzeugung –, muss das Soziale mitgedacht werden.Ökologische Fortschritte dürfen nie mit dem kollektivenFrieren der Ärmsten erkauft werden. Genau deswegenheißt es ganz klar: Die Energiewende muss sozial sein,damit sie nicht scheitert. Dazu unterbreitet Ihnen dieLinke hier Vorschläge.Vielen Dank.
Jetzt hat Thomas Bareiß das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Verehrte Frau Kipping, unter Ihrem Plan B, den
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24109
Thomas Bareiß
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Sie gerade beschreiben, haben 15 Millionen Menschenüber vierzig Jahre lang in diesem Land schwer gelitten.Das ist die Wahrheit.
Sozialismus war immer teurer für die Menschen. Auchwenn bei Ihnen Hopfen und Malz verloren sind, auchwenn Sie bei all dem Unglück und Leid, den der Sozia-lismus über das Land gebracht hat, immer noch an denSozialismus glauben, sage ich Ihnen:
Markt und Wettbewerb sind immer noch die besten Steu-erungselemente, um neue Technologien anzureizen. Da-rauf setzen wir bei unserer Energiewende; denn darumgeht es.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulas-
sen?
Nein. – Es geht um neue Technologien in unserem
Land. Es geht darum, wie wir Wachstum und Wohlstand
für unser Land generieren. Das ist der zentrale Bestand-
teil unseres Energiekonzepts. Ich verfolge jetzt die dritte
Debatte in dieser Woche zu diesem Thema. Ich frage
mich manchmal, ob Rot-Grün unser Energiekonzept
überhaupt jemals gelesen und gesehen hat, was alles da-
rin steht.
Es gab unter Ihrer Ägide in sieben Jahren Rot-Grün
kein Energiekonzept. Wir haben nicht nur wie Sie aus-
schließlich den Ausstieg organisiert, sondern wir haben
auch den Einstieg in erneuerbare Energien, in Energieef-
fizienz und in Kraft-Wärme-Kopplung organisiert. Diese
Punkte gehen wir Stück für Stück an, nachdem Sie sie-
ben Jahre lang nichts gemacht haben.
Das Problem, das wir jetzt haben, beruht darauf, dass Sie
nichts gemacht haben. Dafür müssen wir jetzt teuer zah-
len. Wir müssen die Energiewende umso schneller ge-
stalten und die Energieeffizienz steigern.
Ich will in meinem Beitrag auf den Fragenkatalog der
SPD eingehen: 14 Seiten, 137 Fragen, großer Respekt.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie die Exeku-
tive durch Ihre Fragen lahmlegen und die Beamten vor
neue Herausforderungen stellen wollen. Aber auch da-
mit können wir umgehen.
– Wenn Sie das Energiekonzept lesen würden, würden
sich Ihnen viele Fragen beantworten.
– Das Konzept, das wir vor einem Jahr vorgelegt haben,
Herr Heil.
Herr Kollege, möchten Sie jetzt eine Zwischenfrage
zulassen?
Nein.
Mein erster Eindruck war, dass die Fragen in einemsozialistischen Zentralbüro gestellt werden. Lieber HerrKelber, Sie fragen, wie sich die Energiepreise in dennächsten Jahren entwickeln werden. Sie wollen wissen,wie sich der CO2-Preis im Emissionshandel in dennächsten Jahren entwickeln wird. Sie wollen wissen, wasdas Betreiben von Kraftwerken kosten wird und wie sichdie Rohstoffpreise entwickeln werden. Sie haben Fragenzur Entwicklung der Volllaststunden in den nächstenJahren.Auch hier sage ich: Im Energiebereich wird es in dennächsten Jahren Markt und Wettbewerb geben müssen.Wir brauchen eher mehr Markt, als wir derzeit haben.Wir können nicht alles am Reißbrett planen, wie Sie sichdas vorstellen. Wir brauchen jetzt Zeit. Die Energie-wende ist ein Marathonlauf, der die nächsten 30, 40 Jahrelang andauern wird. Wir haben erst 2 oder 3 Kilometerhinter uns. Wir können heute noch nicht sagen, welcheTechnologiesprünge es in den nächsten Jahren gebenwird und wo wir die Wachstums- und Wohlstands-impulse, die wir brauchen, erzielen werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie habenin Ihren Fragen den Emissionshandel angesprochen. Siebemängeln, dass hierfür kein funktionierendes Markt-instrument geschaffen wurde. Entgegen dem, was Siebehaupten, bestimmen Angebot und Nachfrage denCO2-Preis. Der geringe CO2-Preis hat nachvollziehbareGründe:Erstens wurde in den letzten Jahren erheblich wenigerCO2 emittiert. Industrie und Verkehr haben ihre Emissio-nen Stück für Stück reduziert. Wir wollten die Nachfrageund damit auch den Preis reduzieren.Zweitens – das müssen wir eingestehen; das ist einProblem, das wir noch aus rot-grünen Zeiten mit uns he-rumschleppen –: Die Grundpfeiler des Emissionshandelsund des EEG passen nicht zusammen. Deshalb müssenwir uns auch in den nächsten Jahren überlegen, wie wir
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24110 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Thomas Bareiß
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diese beiden Pfeiler zusammenbekommen, um eine ein-zige Strategie zu entwickeln und nicht zwei verschie-dene Strategien zu verfolgen.
Wenn Sie in Frage 53 Ihrer Großen Anfrage unterstel-len, dass der Emissionshandel nicht funktioniert, wennSie schreiben, wir bräuchten einen Preis von mehr als25 Euro je CO2-Tonne, dann entgegne ich Ihnen: Mankann die Spielregeln des Marktes nicht außer Kraft set-zen, auch wenn man sich dies wünscht. Wir setzen aufden Markt und treiben damit die Energiewende und dieCO2-Reduktion voran.
Kein Land hat ein so hohes CO2-Reduktionsziel wiewir. Ich glaube, auch das muss man heute wieder einmalsagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich willaber auch gerne auf andere Fragen eingehen. Beispiels-weise behandeln Sie in Ihrer Frage 4 die EEG-Umlage.Da schreiben Sie:Welche Maßnahmen hat sie– die Bundesregierung –zur Begrenzung der Umlagenhöhe ergriffen, undwelche Effekte ergeben sich aus diesen Maßnah-men für den Aufwuchs der erneuerbaren Energien?Die bessere Frage wäre vielleicht gewesen, warumSie uns daran gehindert haben und warum Sie versuchthaben, das entsprechend zu unterbinden. Wir haben mitdem Abbau der rot-grünen Überforderung nämlich Ernstgemacht. Den Förderbauch der Solarbranche beispiels-weise, der aus Ihrer Zeit kommt, müssen wir jetzt voruns herschieben.
Diesen Bauch, der von Herrn Kelber und Herrn Gabrielkommt, schieben wir, wie gesagt, vor uns her, und er be-lastet die Verbraucher in besonderer Weise.Sie behaupten heute noch, die Sonne schicke unskeine Rechnung. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Auch hier müssen wir uns die Zahlen genau anschauen.Der Verbraucher zahlt im kommenden Jahr 5,2 Cent jeKilowattstunde Umlage.
– Herr Fell, hören Sie ruhig zu. – Davon kommen2,2 Cent je Kilowattstunde aus der Photovoltaik, alsoaus der Solarbranche.
Dabei bekommen wir gerade einmal 3 Prozent unseresStroms aus der Solarbranche. Das zeigt, dass hier eineunglaubliche Fehlsteuerung vorhanden ist, die wir in denletzten Monaten Stück für Stück gegen Ihren Widerstandabgebaut haben.
Wir haben den sogenannten atmenden Deckel einge-führt,
haben versucht, einen Korridor für die nächsten Jahre zudefinieren.
– Jetzt hören Sie einmal zu, Herr Fell. Sie können nochetwas lernen. – Wir haben die Vergütung der Solarbran-che bis zum Jahr 2012 erheblich heruntergefahren. Siebetrug im Jahr 2000, also in Ihrer Zeit, noch 50 Cent jeKilowattstunde und im Jahr 2009 noch 43 Cent je Kilo-wattstunde. Sie haben also in neun Jahren gerade einmaleine Reduktion um 7 Cent je Kilowattstunde geschafft,während wir in nur drei Jahren eine Reduktion auf19,5 Cent je Kilowattstunde erreicht haben. Das zeigt,dass wir Schritt für Schritt vorangehen und die Solar-branche auch wirklich marktfähig machen. Damit entlas-ten wir den Verbraucher massiv. Bei der Freifläche ge-hen wir sogar herunter auf 13,5 Cent je Kilowattstunde,und zwar immer gegen Ihren entschiedenen Widerstand.
Wir haben dank Peter Altmaier einen Fördervolumen-deckel eingeführt und haben gesagt: Ab 52 Gigawattwerden wir keine weiteren Subventionen mehr gewäh-ren. Dann ist die Solarbranche marktfähig und kann sichdem Wettbewerb stellen. Auch das geht in die richtigeRichtung. Im Rahmen des Marktintegrationsmodells be-ginnen wir ebenfalls damit, die erneuerbaren EnergienStück für Stück in den Markt zu bringen. Das ist derrichtige Weg, den wir konsequent beschreiten werden.All diese Maßnahmen – ich habe es schon gesagt –wurden von der Opposition massiv bekämpft. Das hatdazu geführt, dass der Zubau der Solarpellets sich ganzvernünftig entwickelt. Im letzten Jahr hatten wir noch1 800 Megawatt Zubau monatlich; jetzt sind wir bei
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Thomas Bareiß
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540 Megawatt. Das ist ein Maß, das verkraftbar ist undin die richtige Richtung weist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich willnoch einige Sätze zum Thema EEG-Ausnahmen sagen– damit haben Sie ja ein großes Problem; wir haben indieser Woche schon viel darüber gesprochen –: Mit derNeuregelung des EEG sorgen wir dafür, dass nur für Un-ternehmen des produzierenden Gewerbes Ausnahme-regelungen vorgesehen werden.
All die Ausnahmeregelungen, die es noch während IhrerRegierungszeit gab – Sie haben sie genannt; es gab unteranderem Ausnahmen für Imbissbuden und Golfplätze –,haben wir gestrichen. In Zukunft ist die Befreiung vonder EEG-Umlage nur noch für Unternehmen des produ-zierenden Gewerbes möglich. Auch diese Maßnahmezielt in die richtige Richtung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt vieleweitere Fragen, die ich jetzt beantworten könnte. Einwichtiger Aspekt sind die Ausnahmen für die energie-intensive Industrie. Sie behaupten, dass die großen Un-ternehmen von der EEG-Umlage komplett befreit wer-den. Ich sage Ihnen: ThyssenKrupp zahlt in diesem Jahrrund 4 500 Euro EEG-Umlage pro Arbeitsplatz, lieberHerr Fell.
4 500 Euro pro Arbeitsplatz! Wenn ThyssenKrupp dievolle EEG-Umlage zahlen müsste, wären es 20 000 Euroje Arbeitsplatz.
Das würde den Industriestandort Deutschland gefährden.Ich kämpfe gerne für die 5,7 Millionen Menschen, die inder Industrie beschäftigt sind. Die Industrie wird näm-lich auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Wettbe-werbsfähigkeit Deutschlands leisten.
Deshalb ist die Befreiung von der EEG-Umlage für dieIndustrie enorm wichtig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre ei-gentlich noch viel zu sagen, zum Beispiel zu den The-men Energieeffizienz und Kraft-Wärme-Kopplung.Wir haben ein in sich schlüssiges Energiekonzept. Ichfordere Sie noch einmal auf: Lesen Sie unser Energie-konzept! Dann könnten wir uns die eine oder andere De-batte im Deutschen Bundestag ersparen. Wir sollten die-ses große Projekt, bei dem es um ein Mehr an Wohlstandund Wachstum geht, gemeinsam und konstruktiv ange-hen.
Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Akzeptanz derMenschen für dieses Projekt nicht verlieren. Ich finde,dass Sie an diesem Projekt engagiert mitwirken sollten.Ich fordere Sie noch einmal auf – wie immer –: MachenSie mit!Herzlichen Dank.
Jetzt erteile ich Hubertus Heil das Wort für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Sehr geehrter Herr Bareiß, Sie sind ja schonrichtig im Oppositionsmodus. Sie beklagen eine Situa-tion, obwohl Sie noch an der Regierung sind. In gewisserWeise kann ich das verstehen. Angesichts des Zickzack-kurses Ihrer Bundeskanzlerin in der Energiepolitik derletzten vier Jahre ist es selbst für ausgewiesene Energie-politiker ganz schön schwer, dem zu folgen.
Wir erinnern uns: Wir haben in den letzten vier Jahrenin der Energiepolitik drei Bundeskanzlerinnen Merkelerlebt.
Zunächst war da die Klimakanzlerin, die von Gipfel zuGipfel geeilt ist und ehrgeizige Klimaschutzziele ver-kündet hat. Das haben wir gut gefunden; wir waren jadamals in der Großen Koalition. Nach der Finanzkriseund nach dem Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb warFrau Merkel die Laufzeitenverlängerungskanzlerin. Einhalbes Jahr später, nach Fukushima, war sie dann dieAusstiegskanzlerin.
Meine Damen und Herren, die Pirouetten, die Sie inden letzten vier Jahren gedreht haben,
haben in der Energiewirtschaft dafür gesorgt, dass eskeine Planungs- und Investitionssicherheit mehr gibt.Nicht die Energiewende ist das Problem. Vielmehr treibtdas grottenschlechte Management der Energiewende
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24112 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Hubertus Heil
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durch diese Bundesregierung die Preise von Strom undEnergie nach oben.
Ich will Ihnen eines sagen, Herr Bareiß – das kommtin Ihren Reden nämlich gar nicht mehr vor –: Als je-mand, der sich als Industriepolitiker versteht, bin ichnach wie vor der festen Überzeugung, dass die Energie-wende eine Riesenchance für die Industrienation Bun-desrepublik Deutschland ist.
In einer Welt mit Energiehunger, aufstrebenden Ländernund Bevölkerungswachstum haben Deutschland undEuropa die Chance, Ausrüster der Welt zu sein, wenn esum moderne erneuerbare Energien und Energieeffizienz-technik geht. Wenn wir es gut machen, gilt das übrigensauch hinsichtlich der Frage, wie man eine Energiewendeintelligent managt.Nur, meine Damen und Herren, genau das ist das Pro-blem. Sie haben gerade gesagt, wir sollten Ihr Energie-konzept lesen. Ich frage Sie: Welches Energiekonzept?Meinen Sie das Energiekonzept, von dem Herr Altmaiergestern in einer Talkshow behauptet hat, es gebe es garnicht?
Herr Altmaier hat gestern bei Herrn Beckmann beklagt,dass es, als er ins Amt kam, keine entsprechenden Plänegegeben habe. Das war ja wohl eine Kritik an HerrnRöttgen, wenn ich das richtig verstanden habe. Wenn ichmir vor Augen führe, wie widersprüchlich die Aussagenvon Herrn Rösler und Herrn Altmaier sind, schwant mirSchlimmes. Das ist leider nicht besser, als es bei Röttgenund Rösler war.Diese Koalition hat nicht die Kraft, die Energiewendeumzusetzen. Die Koalitionäre blockieren sich gegensei-tig. Das treibt die Preise für Verbraucher und Wirtschaftin diesem Land nach oben. Sie haben auf die wesentli-chen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Ener-giewende stellen, keine schlüssigen Konzepte und Ant-worten. Ihnen geht es nur noch darum, den SchwarzenPeter für Ihr Versagen anderen in die Schuhe zu schie-ben.Jetzt sage ich Ihnen einmal, worum es im Einzelnengeht. Wir haben eine extremistische Diskussion über dasEEG auf der einen Seite und über Ausnahmen für ener-gieintensive Betriebe auf der anderen Seite. Wir habenauf der einen Seite einen Bundeswirtschaftsminister, derso tut, als sei das EEG der Untergang des Abendlandes,und wir haben auf der anderen Seite politische Kräfte indiesem Land, die sagen: Alle Ausnahmen für die ener-gieintensiven Betriebe müssen weg. Das ist nicht unserePosition.
Wir wollen natürlich, dass Vorstellungen von einemzukünftigen Strommarktdesign, die Sie nicht haben, um-gesetzt werden. Wir wollen, dass der Ausbau der erneu-erbaren Energien nicht gebremst, sondern vorangetrie-ben wird und dass er mit dem Netzausbau in diesemLand stärker synchronisiert wird.
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Es geht schon darum,eine Vorstellung vom Strommarktdesign der Zukunft,die Sie nicht haben, zu entwickeln. Das schaffen PeterAltmaier und Philipp Rösler aber offensichtlich nicht.Herr Bareiß, Sie haben damals mit Herrn zuGuttenberg und Herrn Glos in der Großen Koalitionbeim Unbundling verhindert, dass es eine DeutscheNetz AG geben kann. Das rächt sich jetzt beim Ausbauder Leitungen bitterlich, weil die notwendige Investi-tionskraft nicht da ist. Sie müssen sich schon zuschrei-ben lassen, dass Sie keine Ideen dafür haben, wie manEnergieeffizienz in diesem Land wirklich voranbringenkann. Sie haben keine Vorstellung davon, wie wir Ver-sorgungssicherheit außerhalb der planwirtschaftlichenNotinstrumente, die Sie diesen Winter einführen müs-sen, langfristig sichern können.Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Wir wollen dasErneuerbare-Energien-Gesetz vernünftig weiterentwi-ckeln und Stück für Stück dafür sorgen, dass die Erneu-erbaren als stabiler Teil der Energieversorgung auchmarktfähiger werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetzist kein Fehler gewesen, sondern es hat dafür gesorgt,dass wir mittlerweile bei einem Anteil der erneuerbarenEnergien von 25 Prozent angelangt sind.
Es gibt politische Kräfte, die alle Ausnahmen für dieenergieintensiven Betriebe „weghauen“ wollen. Ich sageIhnen: Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die not-wendigen Ausnahmen für energieintensive Betriebe indiesem Land so diskreditiert wurden, weil Sie diese Aus-nahmen ohne Sinn und Verstand ausgeweitet haben. Dasist die Wahrheit.
Es war die rot-grüne Regierung, die zu Recht dafürgesorgt hat, dass Unternehmen, die im internationalenWettbewerb stehen, an dieser Stelle nicht über Gebührbelastet werden. Es ist nämlich ganz klar, dass wir eineIndustrienation sind und bleiben wollen. Aber Sie habenausgeweitet.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24113
Hubertus Heil
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Herr Altmaier sagt jetzt, er sei gerne bereit, über dieseAusnahmen noch einmal zu reden. Selbst Philipp Röslerund Herr Bareiß stellen sich hin und sagen: Alles in Ord-nung. Das passt bei Ihnen vorne und hinten nicht.
Ich sage an dieser Stelle: Wir wollen eine saubere,eine sichere und eine bezahlbare Energieversorgung fürdie Wirtschaft und die Verbraucher in diesem Land. Esmacht uns keiner etwas vor. Natürlich ist die Energie-wende eine Riesenherausforderung. Aber die Tatsache,dass Sie keinen Masterplan haben,
führt dazu, dass 16 Bundesländer eigene Energiekon-zepte haben, die an dieser Stelle zum Teil nicht zusam-menpassen; es fehlt nämlich eine politische Führung.Die Tatsache, dass sich das Wirtschafts- und das Um-weltministerium gegenseitig blockieren und das Bundes-kanzleramt tatenlos zuguckt, ist das eigentliche Problemfür die Umsetzung der Energiewende.
Herr Kollege Heil, Herr Lindner würde Ihnen gerne
eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen?
Ach, der Herr Lindner. Gerne! Bitte schön. – Ich ver-
misse übrigens den anderen Lindner, wenn ich Sie sehe.
Sie bekommen noch mehr Lindner, als Ihnen in der
SPD guttun wird; das kann ich Ihnen sagen.
Lieber Herr Heil, ich möchte Ihnen durch eine leichte
Verlängerung Ihrer Redezeit einfach die Gelegenheit ge-
ben, nun einmal selber eine Antwort zu geben.
Sie behaupten, auch ökonomisch „unterwegs“ zu
sein. Wir wissen, dass es eigentlich immer nur zwei
Möglichkeiten gibt, nämlich entweder die Ausgaben zu
kürzen oder die Einnahmen zu erhöhen.
Sie sagen jetzt hier, dass Sie auf der einen Seite den Zu-
bau erneuerbarer Energien sogar noch verstärken möch-
ten. Auf der anderen Seite beklagen Sie, dass wir gerade
für mittelständische Unternehmen Ausnahmen haben,
damit sie ihren Industriestandort hier erhalten können.
Sagen Sie mir einmal, wer die Rechnung für den wei-
teren Ausbau regenerativer Energien bezahlen soll. Auf
der einen Seite beklagen Sie hier die Ausnahmen für die
Industrie, und auf der anderen Seite wollen Sie weiter
ausbauen. Was gilt denn nun eigentlich, Herr Heil? Wer
soll die Rechnung bezahlen?
Setzen Sie sich doch einmal mit der IG Metall aus-
einander, die uns schreibt.
Ja, sicher.
Nein, das tun Sie nicht. – Sie hat natürlich Sorge um
die Arbeitsplätze der Menschen, die in diesen Betrieben
arbeiten. Erklären Sie uns doch einmal, wer diese Rech-
nung aus Ihrer Sicht bezahlen soll.
Gerne, Herr Lindner. – Bleiben Sie bitte stehen, damitich Ihnen antworten kann. – Ich danke Ihnen für dieseGelegenheit.Ich habe eben davon gesprochen, dass mir zwei extre-mistische Debatten wirklich gegen den Strich gehen,weil sie mit der Sache nicht viel zu tun haben. Sie kön-nen mir glauben: Ich habe einen Wahlkreis mit ener-gieintensiven Unternehmen. In meiner HeimatstadtPeine gibt es ein Elektrostahlwerk, das im internationa-len Wettbewerb steht. Für solche Unternehmen sinddiese Ausnahmen zu Recht gedacht. Aber es ist nicht inOrdnung, dass Sie ohne Sinn und Verstand die Zahl derAusnahmen auf Unternehmen ausgeweitet haben, dienicht im internationalen Wettbewerb stehen,
und dem Rest der Verbraucher dann die steigenden EEG-Umlagekosten aufgebürdet haben.
Ich sage Ihnen: Ich bin für Ausnahmen für energie-intensive Unternehmen, weil wir deren Arbeitsplätzewirklich brauchen. Wir brauchen die ganze Wertschöp-fungskette, angefangen bei der Grundstoffindustrie überdie kleinen und mittleren Unternehmen bis zu den High-techschmieden. Aber die Ausweitung der Ausnahmenführt dazu, dass andere die Lasten schultern müssen.Ein anderer Punkt. Wir haben uns doch auf denAtomausstieg verständigt. Zumindest hoffe ich, dassdiese Einigung noch steht. Bei Ihnen weiß ich das nichtso genau. Sie trauern der Atomkraft manchmal vielleichtnoch hinterher.
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Hubertus Heil
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– Gut, dass Sie das an dieser Stelle einmal zugeben.Aber Sie haben mit zugestimmt, dass wir in einem rela-tiv knappen Zeitraum aus der Atomkraft aussteigen.Vielleicht stellen Sie es auch wieder infrage. Das kann jasein. Ich weiß es nicht, Herr Lindner.
Gleichzeitig haben Sie sich auf sehr ehrgeizige Klima-schutzziele verständigt. Das ist eine doppelte Energie-wende, die Sie im Hinblick auf die Ziele mit unterschrie-ben haben.Es behauptet niemand, dass diese Herausforderungeinfach zu bewältigen ist. Aber wir haben 2000 damitbegonnen, den Umbau in der Energieversorgung zu voll-ziehen. Sie haben an diesem Punkt erst eine Rolle rück-wärts gemacht.
Jetzt wird es mit der Umsetzung zeitlich knapp. Wennman soziale und ökonomische Belange im Kopf hat,dann muss man sich nicht darum kümmern, die Energie-wende schlechtzureden, sondern man muss sich darumkümmern, sie besser zu machen, als Sie es vorhaben,und die Lasten gerecht zu verteilen.Frau Merkel hat an einem Punkt vollkommen recht– Zitat –: Die Energiewende gibt es nicht zum Nulltarif. –Das werden auch Sie nicht bestreiten. Machen Sie sichGedanken darüber, dass die Energiewende gut und effi-zient umgesetzt wird und die Lasten gerecht verteilt wer-den.
Das ist die Aufgabe, vor der Sie stehen.
Was Sie machen, ist doch ein Schwarzer-Peter-Spiel. Siesind noch an der Regierung; das wird nächstes Jahr Gottsei Dank vorbei sein. Setzen Sie sich einmal durch undmachen Sie eine vernünftige Energiepolitik.Sie und die CDU/CSU beschimpfen sich gegenseitig:Herr Altmaier gegen Herrn Rösler. Herr Altmaier macht ei-nen Vorschlag, angeblich einen Verfahrensvorschlag – dasist nicht einmal ein Konzept, etwas, was in Ihren Reihennicht einmal mehrheitsfähig ist –, und Herr Rösler wi-derspricht. Dabei geht es auch um Profilbildung einerschwächelnden FDP vor den Landtagswahlen in Nieder-sachsen und der Bundestagswahl. Ihnen geht es um dieFDP und nicht um eine vernünftige Energiepolitik, HerrLindner. Genau das scheint das Problem zu sein.
Herr Lindner, das ist eine große Herausforderung.Das ist eine ganz anstrengende Aufgabe. Auch in unse-rer Regierungszeit – das sage ich deutlich – gab es unter-schiedliche Auffassungen zwischen Wirtschafts- undUmweltministerium. Es ist ganz legitim, dass es ver-schiedene Ressortinteressen und unterschiedliche Heran-gehensweisen gibt. Der Unterschied ist nur: Es gab da-mals zwischen Werner Müller und Jürgen Trittin zwarnicht jeden Tag eitel Sonnenschein, aber am Ende desTages sind sie zu gemeinsamen Lösungen gekommen,weil beispielsweise Frank-Walter Steinmeier im Bundes-kanzleramt dafür gesorgt hat. Wo sind eigentlich HerrPofalla und Frau Merkel in dieser Debatte? Sie schauentatenlos zu, wie diese Jungs die Energiewende vergei-gen. Das treibt die Kosten in die Höhe.
Wir wollen einen Masterplan für die Energiewende indiesem Land. Wir wollen dafür sorgen, dass Bund, Län-der und Kommunen an einem Strang ziehen und nichtauseinanderdriften. Auch zwischen den Bundesländerngibt es sehr unterschiedliche Interessen.
Das ist legitim. Aber für eine Energiepolitik aus einemGuss, für eine gelungene Energiewende brauchen wir ei-nen nationalen Masterplan.Sie reden so, als seien Sie gar nicht in der Regierung.
Ich sage Ihnen: Das wird nächstes Jahr der Fall sein.Energiewendeversager wie Röttgen, Rösler, Altmaierund Merkel
kann das Industrieland Bundesrepublik Deutschland undkönnen auch die Verbraucherinnen und Verbraucher indiesem Land nicht weiter gebrauchen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus Breil für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Herr Kollege Heil, bitte beachten Sie bei IhrenSchimpfkanonaden einfach einmal, dass wir erst dieüberbordenden Kosten für die Förderung der Erneuerba-ren auffangen und in den Griff bekommen mussten, Kos-ten, für die Rot-Grün die Grundsteine gelegt hat.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24115
Klaus Breil
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Verwechseln Sie als Wirtschaftsexperte – ich nehme an,dass Sie diesen Anspruch erheben –
nicht Anträge und ergangene Bescheide.Anfang 2010, in einer meiner ersten Reden zumThema Energie vor diesem Hohen Haus, war es meinzentrales Anliegen, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,über die mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz verbun-denen Kosten aufzuklären. Damals ging es um 8,2 Mil-liarden Euro. Ich warnte vor einem Anstieg auf 10 Mil-liarden Euro für das darauffolgende Jahr 2011. Heute, imJahr 2012, sprechen wir über eine andere Zahl. Wir spre-chen davon, dass die Verbraucherinnen und Verbraucherim kommenden Jahr für die Förderung erneuerbarerEnergien fast das Doppelte, nämlich rund 20 MilliardenEuro, zahlen müssen. Damit ist die Schmerzgrenze deut-lich überschritten.
Daher muss es in den kommenden Wochen darum ge-hen, durch entschiedenes Handeln weitere Belastungenerstens für die Verbraucher und zweitens für die Indus-trie bzw. die Wirtschaft in Deutschland zu verhindern.Meine Damen und Herren, bloße Verfahrensschrittebringen uns an dieser Stelle nicht weiter. Wenn wir bisMai nächsten Jahres nur diskutieren, schaffen wir in die-ser Legislaturperiode keine Gesetzesänderung mehr. WirLiberalen haben daher als kurzfristige und konkreteMaßnahme vorgeschlagen, die Stromsteuer so schnellwie möglich anzupassen, und zwar mindestens um dieHöhe der Mehrwertsteuer, die auf den Betrag der Erhö-hung der Umlage gezahlt werden muss. Noch besserwäre es natürlich, die Stromsteuer um die gesamteMehrwertsteuer zu ermäßigen. Der Staat darf sich nichtauf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher an derUmlagenerhöhung bereichern. In der Wirtschaft nenntman so etwas Windfall Profits.
Für wen dieser Betrag pro Haushalt und Monat nurein kleiner Fisch ist und wer diese Entlastung um im-merhin rund 500 Millionen Euro mit dem Argument ab-tut, es sei nicht gerecht, der nimmt die Sache nicht ernst.Wer uns an dieser Stelle die Zustimmung verweigert,soll den Verbraucherinnen und Verbrauchern ins Gesichtsagen: Stellt euch 2013 und 2014 weiter auf steigendeStromkosten ein. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Wennwir nicht bald handeln, erreichen wir eine wirksame Ge-setzesänderung erst Mitte 2014. Das ist schlichtweg zuspät.Lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt anspre-chen, der schon in der Aktuellen Stunde am Mittwochdiskutiert wurde: Das sind die Ausnahmen für unsere iminternationalen Wettbewerb stehende Industrie. In ihremAntrag sprechen die Grünen von den gesamten Entlas-tungen für die Industrie und nicht von jenen im Rahmendes EEG. Im Rahmen des EEG nämlich machen die Ent-lastungen der besonderen Ausgleichsregelung rund einFünftel der Umlage bzw. rund 1 Euro-Cent aus; das ent-spricht 2,5 Milliarden Euro. Diese Summe ist nur dieHälfte dessen, was die Bundesnetzagentur schon heutefür 2012 als Zulagen allein für die hinzugekommenenneuen Anlagen der Photovoltaik errechnet hat, nämlich5 Milliarden Euro.Dabei sichern die energieintensiven Industrien, derenEntlastung 2,5 Milliarden Euro kosten wird, über850 000 Arbeitsplätze am Industriestandort. Mit Multi-plikatorwirkung bedeutet es – das ist für Sie vielleichtneu – sicherlich weit über 2 Millionen Arbeitsplätze.2,5 Milliarden Euro für 850 000 Arbeitsplätze. 7 Milliar-den Euro plus wahrscheinlich 5 Milliarden Euro für we-niger als 100 000 Arbeitsplätze aktuell. Meine Damenund Herren der Opposition – insbesondere möchte ichHerrn Heil als gerade selbsternannten Industriepolitikeransprechen; hören Sie gut zu –, bitte, nehmen Sie sicham Wochenende ein paar Minuten Zeit und lassen Siedieses Verhältnis auf sich einwirken.Danke.
Hans-Josef Fell hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Energiepreise steigen wegen der erneuerba-ren Energien. – So lauteten die Schlagzeilen vieler Me-dien in den letzten Tagen und Wochen. Schuld sei dieEEG-Umlage. Besonnene Kommentare und differen-zierte Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung, derZeit oder in der Financial Times Deutschland gehen un-ter in der von der Initiative Neue Soziale Marktwirt-schaft organisierten Hetzkampagne gegen die erneuerba-ren Energien, die Sie von Schwarz-Gelb auch nochunterstützen. Doch damit werden Sie nicht durchkom-men.
Schauen wir uns die Energiewelt doch ein bisschengenauer an, meine Damen und Herren von Union undFDP. Trotz aller Erfolge des Ausbaus der erneuerbarenEnergien wird die Energie immer noch von den klima-schädlichen fossilen Rohstoffen Erdöl, Erdgas undKohle plus ein wenig Atomkraft dominiert. Sie behaup-ten vielfach, dass der Ausbau der erneuerbaren Energienteuer sei, was im Umkehrschluss bedeuten müsste, dassdie Beibehaltung der konventionellen Energien wenigerteuer sei. Genau das aber ist Ihr Trugschluss.Betrachten wir die makroökonomische Ebene, sowird exakt das Gegenteil klar. Die fossilen Energien sind
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Hans-Josef Fell
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heute schon viel zu teuer, sie destabilisieren unsere Wirt-schaft und gefährden unseren Wohlstand. Die Europäi-sche Union ist in besonderem Maße abhängig vom Im-port fossiler Rohstoffe. So betrug im letzten Jahr dieeuropäische Importrechnung für Erdöl, Erdgas undKohle über 400 Milliarden Euro. Wenn man nun weiß,dass die EU der 27 ein Außenhandelsdefizit von120 Milliarden Euro hat, so wird klar, dass die europäi-sche Wirtschafts- und die Euro-Krise auch mit den im-mer teureren Energieimporten zusammenhängen.
Das treibt die Staatsverschuldung und die Wirtschafts-krise voran, das steckt hinter der Massenarbeitslosigkeitin vielen europäischen Ländern, und das ist auch dieHauptursache für Armut vieler Menschen, die sich schonheute nicht mehr die Güter für den täglichen Bedarf so-wie Energie in ausreichendem Maße leisten können.Schon jetzt rächt sich, dass Europa in der Vergangen-heit nicht auf erneuerbare Energien umgestiegen ist unddas Thema Energieeinsparung sträflich vernachlässigthat. Denn genau das sind die Strategien, um unsereVolkswirtschaften vor der Bedrohung durch die inzwi-schen kaum mehr bezahlbaren Energieimporte zu erlö-sen. In der vor gut zwei Jahren aufgelegten Sicherheits-analyse der Bundeswehr zu Peak Oil hätten Sie daslängst nachlesen können; doch Sie ignorieren konse-quent die Zusammenhänge. In Ihren Energiedebattenkommt dieser Zusammenhang nie vor. Sie versäumen esdamit vollständig, diesen großen Zusammenhang in denMittelpunkt zu stellen.
Dabei würde der konsequente Umstieg auf erneuerbareEnergien im Zuge der Energiewende Deutschland bis2050 um etwa 570 Milliarden Euro entlasten.
– Die können Sie nachlesen in
der Leitstudie des BMU. Sie können das dort in den Stu-dien nachlesen.
Aber das Schlimmste ist, dass ausgerechnet Sie dieerneuerbaren Energien immer noch kampagnenartig alsEnergiepreistreiber diffamieren
und so eine Lösung verhindern. Sie versuchen perma-nent, der Bevölkerung einzureden, dass die erneuerbarenEnergien zu teuer seien.
Schauen wir uns doch einmal die Energiepreise, diedie Privathaushalte zahlen müssen, etwas differenzierteran. Gemäß einer kürzlich im Landeskabinett Schleswig-Holstein vorgestellten Analyse stiegen die Heizölpreisevon 1998 bis 2012 um fast 300 Prozent, die Erdgaspreiseum über 100 Prozent, die Strompreise dagegen nur um50 Prozent. Selbst die Spritpreise sind wesentlich stärkergestiegen als die Strompreise. Sie aber reiten nur auf derHöhe der Strompreise herum und übersehen dabei völligden sozialen Sprengstoff, der sich aus den übrigen, we-sentlich höheren Energiepreisen ergibt. Das belastet un-sere Haushalte schon heute massiv.
Der Strompreis steigt weniger wegen des Ausbaus dererneuerbaren Energien, sondern vielmehr wegen des An-stiegs der Preise für fossile Rohstoffe, wegen der hohenGewinne der Konzerne und vor allem wegen Ihrer im-mensen Fehler, die Sie von Schwarz-Gelb in jede EEG-Novelle eingebaut haben. Das haben wir gestern aus-führlich diskutiert. Sie konnten nichts dagegensetzen.Wenn wir gerade einkommensschwache Haushaltevor steigenden Energiepreisen schützen wollen, müssenwir alles tun, um sie sehr schnell durch Energiesparmaß-nahmen zu unterstützen. Damit beschleunigen wir auchden Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie vonSchwarz-Gelb tun gerade das völlige Gegenteil, indemsie die Begrenzung des Ausbaus erneuerbarer Energiendurchsetzen wollen. Sie schalten Windkraftanlagen ab,wenn zu viel Windstrom im Netz ist, und wollen sogarden weiteren Ausbau der Windkraft begrenzen. Machenwir es doch lieber wie die Dänen, die bei fast kostenlo-sem überschüssigem Windstrom Windkraftanlagen nichtabschalten, sondern diesen Strom in Nah- und Fernwär-menetze geben, damit teures Erdöl und Erdgas ersetztwerden.
So können wir Einkommensschwachen helfen, Heizkos-ten zu sparen, und gleichzeitig die erneuerbaren Ener-gien ausbauen.
Durch die Umstellung auf erneuerbare Energien fal-len natürlich Investitionskosten an, die aber sozial ge-recht verteilt werden müssen.
Herr Fell.
In unserem heute vorgelegten Antrag werden Sie vie-
les finden. Mein Kollege Markus Kurth wird dieses noch
verdeutlichen.
Genau. – Herr Fell!
Frau Präsidentin, zum Schluss fordere ich Union undFDP auf, unserem Antrag zuzustimmen und endlich die
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Hans-Josef Fell
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Hetzkampagne gegen den Ausbau erneuerbarer Energienzu beenden.
Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir
diskutieren dieses Thema – immer ein bisschen unter-
schiedlich akzentuiert – nun zum dritten Mal in dieser
Sitzungswoche.
Wenn man etwas dreimal diskutiert, muss man sich na-
türlich schon fragen: Was bringt die Debatte?
Meiner Meinung nach bringt sie Folgendes: Ich glaube,
man kann nicht mehr leugnen, dass diese Energiewende
richtig Geld kostet
und dass die Union und die FDP recht hatten mit dem
Hinweis, dass das teuer wird.
Das muss man einmal in der Klarheit sagen. Das ist hier
nicht einmal von der Linken bestritten worden;
denn man müsste keine Verteilungsdiskussionen führen,
wenn man nicht genau wüsste, dass diese ganze Ge-
schichte teuer wird.
Nun wäre es richtig und angemessen, man würde sich
an dieser Stelle darüber unterhalten, was man tun kann,
damit es nicht zu teuer wird, statt Verteilungskämpfe und
Schwarzer-Peter-Diskussionen – das Wort hat der Kol-
lege Heil vorhin gebraucht – zu führen und sich zu über-
legen, wer denn an der ganzen Misere schuld sein
könnte. Ich sage Ihnen ganz offen: Mich ärgert es, dass
man das nicht tut; denn ich glaube, es wäre schon not-
wendig, dass wir hier Lösungen präsentieren und nicht
ständig dieselbe problemorientierte Debatte führen.
Herr Nüßlein, auch das ist wie gestern: Herr Lenkert
würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Okay, wunderbar.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Nüßlein, Sie sind ja nun in einer Partei, die die Markt-
wirtschaft fordert und fördert.
Nach dem, was ich gelernt habe – ich habe es in den letz-
ten 22 Jahren gelernt –, richtet sich der Preis nach Ange-
bot und Nachfrage. Da stelle ich jetzt die Frage: Wo ha-
ben wir in Deutschland viel Stromangebot, und wo
haben wir wenig Stromangebot? Ich stelle die zweite
Frage dazu: Wo ist der Preis des Stromes höher, und wo
ist er niedriger?
Ich gebe Ihnen schon einmal die Antworten vor: In
Norddeutschland und in Ostdeutschland haben wir sehr
viel Strom im Angebot, in Bayern und Baden-Württem-
berg sehr wenig. Trotzdem ist der Strompreis in Bayern
und in Baden-Württemberg deutlich niedriger als in
Norddeutschland und in Ostdeutschland. Es ist also erst
einmal nicht marktwirtschaftlich.
Jetzt möchte ich von Ihnen wissen: Was tun Sie, um
dieses Missverhältnis auszugleichen? Denn es verstärkt
sich ja noch dadurch, dass energieintensive Unterneh-
men oder Unternehmen, die einen relativ hohen Strom-
verbrauch haben, sich gezielt in Süddeutschland ansie-
deln, wo wir zwar wenig Strom haben, er aber weniger
kostet, und, wenn wir Pech haben, aus Norddeutschland
oder Ostdeutschland abwandern, weil es sich nicht rech-
net, weil der Strom so teuer ist. Was tun Sie gegen dieses
Missverhältnis? Möchten Sie da nicht unseren Vorschlä-
gen folgen, die besagen: „Wir brauchen bundeseinheitli-
che Netzentgelte“?
Ich bin in der Tat ratlos und frage mich, wie man einesolche Frage an der Stelle beantworten soll. Das Einzige,was man dieser Frage zunächst einmal entnehmen kann,ist die spannende Abgrenzung, dass wir für die Markt-wirtschaft sind und Sie dagegen.
– Das haben Sie selber so formuliert. Das muss man ersteinmal vorab festhalten, damit man den Unsinn, der da-nach kommt, irgendwo einordnen kann; denn ich mussIhnen ganz offen sagen: Ich habe nicht verstanden, wasSie mit dieser Frage letztendlich sagen wollen. WollenSie sagen, dass sich Unternehmen sinnvollerweise imNorden ansiedeln sollen? Die werden einen Grund ha-ben, lieber Kollege Lenkert, warum sie das im Südentun. Vielleicht liegt es auch an der einen oder anderenpolitischen Ausrichtung und daran, dass wir insbeson-dere im Süden ordentliche Rahmenbedingungen haben,
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Dr. Georg Nüßlein
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nämlich in Bayern, wo die CSU regiert, und nicht da, woSie umeinanderfuchteln. Das mag auch ein Grund dafürsein, dass die Unternehmen sich so entscheiden. Ichkann also nicht nachvollziehen, was diese Frage mit demThema zu tun hat und was Sie mir damit gerade eben si-gnalisieren wollten.Wir sind auch nicht in der von Ihnen favorisiertenPlanwirtschaft, in der man dem Unternehmen, das vielStrom verbraucht, sagt: Du gehst bitte nicht in den Sü-den, sondern in den Norden, weil dort überschüssigerStrom vorhanden ist. – Das hat es vielleicht in der DDRgegeben.
Aber funktioniert hat es auch da nicht.
Wenn Sie das nach so vielen Jahren einmal verstehenwürden, in denen Sie es selbst miterlebt haben, dannwäre das schon eine ganz gute Geschichte. Aber ich ent-nehme dieser Frage auch, dass Sie mit solchen Haltet-den-Dieb-Debatten nach dem Motto „Wer ist denn jetztan der ganzen Misere schuld?“ fröhlich weiter Schwar-zer Peter spielen wollen. Sie zwingen einen mit dieserDiskussion dazu, mitzumachen. Das finde ich bedauer-lich, weil man in den zehn Minuten auch andere Dingedarstellen könnte. Aber ich mache dann natürlich mitund sage: Ja gut, dann müssen Sie sich an die eigeneNase fassen.Der Kollege Heil bemängelt fehlendes Management.Sie nehmen für sich in Anspruch, diese Energiewendeangestoßen zu haben. Ich kann mich aber überhauptnicht daran erinnern, dass Sie irgendwo einen Schritt ge-macht hätten, der von dem Aufbau erneuerbarer Kapazi-täten in Richtung Aufbau der Versorgung geführt hätte.Dazu gibt es nichts; es gibt keinen Ansatz bei dem, wasSie damals gemacht haben. Also haben Sie entwedernicht an den Erfolg des EEG geglaubt, oder Sie habengedacht: Die schwierigen Dinge sollen die machen, dienach uns kommen. – Dass es bei einem volatilen Auf-kommen schwierig ist, eine entsprechende Versorgungaufzubauen, werden Sie uns doch zumindest zubilligen.Wenn wir über die Frage diskutieren wollen, wo nochFehler gemacht worden sind, dann muss sich die grüneSeite auch an die eigene Nase fassen und zugeben: Ja-wohl, wir sind mit dem Thema PV zu früh und zu teueran den Markt gegangen.
Alles, was danach gekommen ist, nämlich das mühseligeBremsen in diesem Bereich, lag daran, dass Sie mit fast50 Cent an das Thema herangegangen sind, was jenseitsvon Gut und Böse war. Sie haben gesagt: Das ist ein For-schungsthema, aber weil wir gerade einen Hebel in derHand haben, wollen wir jetzt diesem Forschungsthemaeinen Markt zuweisen. – Das hat letztendlich nicht dazugeführt, dass es vorangeht, sondern es hat dazu geführt,dass wir einen riesigen Kostenberg vor uns herschieben,der jetzt auch am Image des EEG kratzt. Sie wissen, dassmir das auch persönlich wehtut.
Herr Kollege, möchten Sie auch die Frage von Herrn
Heil zulassen?
Ja.
Bitte schön.
Herr Nüßlein, auf die Gefahr hin, dass Sie Zwischen-
fragen einfach nicht beantworten, die Ihnen gestellt wer-
den, versuche ich, Ihnen zwei Gedanken in Frageform
näherzubringen.
Erstens. Können Sie sich erinnern, dass der rot-grüne
Ausstiegsbeschluss – er war aus meiner Sicht übrigens
intelligenter als das, was Sie gemacht haben – mit dem
Konzept der Übertragung von Reststrommengen in der
damaligen Zeit – es geht übrigens um den Zeitraum 2000
bis 2025 – die Möglichkeit eröffnet hätte, anders mit
dem Thema Versorgungssicherheit und Planbarkeit um-
zugehen, als es mit Ihrem Ausstiegsbeschluss der Fall
ist?
Sie haben die Jahre definiert. Wir haben damals an
dieser Stelle bewusst gesagt: Wir brauchen für die Ver-
sorgungssicherheit den Ausgleich durch flexible Instru-
mente. Sei’s drum, es ist jetzt anders entschieden wor-
den. Aber ich will auf den Fakt hinweisen, dass wir uns
durchaus Gedanken gemacht haben, wie wir Versor-
gungssicherheit hinbekommen.
Zweitens. Wenn es Ihnen nicht nur darum geht, ande-
ren Schuld in die Schuhe zu schieben, interessiert mich
beim Thema Reservekapazitäten, die wir alle für not-
wendig halten – Stichwort Volatilität –, die Frage, wann
Sie mit einem Konzept für strategische Reserve, Kapazi-
tätsmärkte oder wie auch immer Sie es nennen wollen,
herauskommen. Denn Sie sind immer noch in einer Re-
gierungsfraktion, Herr Nüßlein. Das wird zwar nächstes
Jahr vorbei sein,
aber Sie können doch nicht immer nur auf andere zeigen,
sondern müssen auch sagen, wie Sie das Problem lösen
wollen. Das ist der Punkt. Wann kommt das Konzept zu
Kapazitätsmärkten und Reservestrategien, und wie sieht
es nach Ihrer Vorstellung aus, Herr Nüßlein?
Ich finde den ersten Teil Ihrer Einlassung hochspan-nend. Darüber sollten Sie sich auch einmal mit Ihrem
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24119
Dr. Georg Nüßlein
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früheren Koalitionspartner auseinandersetzen. Denn da-mit sprechen Sie implizit zwei Punkte an, nämlich ers-tens: Wir haben fest damit gerechnet, dass die Kernener-gie über das Jahr 2022 hinaus nach unserem Konzeptläuft. – Das ist die Quintessenz dessen, was Sie geradeformuliert haben. Sonst wäre der Hinweis auf diese Fle-xibilität Makulatur. Das ist doch klar.
– Genau das haben Sie an der Stelle formuliert. Ich findedas spannend.Sie implizieren bei der Gelegenheit noch etwas ande-res, nämlich dass die Kernenergie in der Tat eine sinn-volle Ausgleichskapazität gewesen wäre, was die Ener-giewende vereinfacht hätte. Nur so kann man dieseEinlassung verstehen.
Wenn man es verständig würdigt, was Sie gerade gesagthaben, geben Sie implizit der rechten Seite des Hausesrecht, die damals gesagt hat: Wir schaffen mit Laufzeit-verlängerungen eine Voraussetzung dafür, die Energie-wende auch finanziell und hinsichtlich der Versorgungs-sicherheit abzufedern. – Genau das sagen Sie jetzt.
Jetzt ziehen Sie das, was Sie selber gerade formuliert ha-ben, wieder in Zweifel. Was soll ich dazu sagen?Was den Punkt Reservekapazitäten angeht, werdenwir zu gegebener Zeit etwas organisieren
– zeitnah –, um auch in den kommenden Wintern – esgeht jetzt nicht um diesen Winter, sondern um die kom-menden Winter –
dagegen gewappnet zu sein, dass es bei uns einen Black-out gibt und wir Schwierigkeiten bekommen. Ich pro-phezeie Ihnen, dass die Diskussion über die Energie-wende in der Bevölkerung, wenn es zu einem solchenAusfall käme, komplett anders verlaufen würde. Dannhätten wir alle wieder den Schwarzen Peter, und eshieße: „Die Politik kann es nicht“, weil wir manchmalgeneigt sind, das eine oder andere zu machen, was ris-kant ist. Ich gebe ganz offen zu: Die Energiewende birgt,so wie wir sie uns in zeitlicher Hinsicht und unter demDruck, kein Industrieunternehmen aus dem Land vertrei-ben zu wollen, vorgenommen haben, gewisse Risiken.Deshalb sollten wir nicht leichtfertig und vor allen Din-gen nicht jenseits der Wahrheit darüber diskutieren.Ich möchte Folgendes ganz deutlich sagen: Was inden letzten Tagen von der grünen Seite – insbesonderevon Herrn Özdemir und Herrn Trittin; Sie können auchHerrn Baake mit dazu nehmen – über die Presse verlaut-bart wurde, ist unterirdisch; das sage ich Ihnen ganzoffen. Zu einem Erstsemester in Jura sagt man in derRegel: Ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechts-findung. – Zumindest von einem ehemaligen Ministermüsste man erwarten können, dass er in der Lage ist, ei-nen Gesetzestext wenigstens anzulesen. Im Gesetz stehtim Hinblick auf Befreiungen: produzierendes Gewerbeund Schienenverkehr. Mir soll einmal jemand erklären,wie man selbst bei weitestgehender Auslegung und bös-artigstem Vorgehen Golfplätze als produzierendes Ge-werbe verstehen kann.
Wenn man das tut, dann gibt es nur zwei Varianten: Eshandelt sich entweder um – ich hätte beinahe Dummheitgesagt – fahrlässiges Vernachlässigen oder um Vorsatz.
Nachdem die Diskussion für Sie so schön verlaufen istund die falsch behaupteten Ausnahmen permanent wie-derholt wurden, unterstelle ich Ihnen mittlerweile Vor-satz. Sie hören ja nicht auf. In drei Debatten hat niemandvon Ihnen den Mumm gefunden, sich hier hinzustellenund zu sagen: Jawohl, da wurde etwas Falsches behaup-tet; das war nicht wahr. Das tut uns leid.
Das Mindeste, was Sie hätten machen müssen, wäre ge-wesen, zu sagen: Wir haben – ob boshaft oder nicht – et-was Falsches behauptet und versucht, etwas zu diskredi-tieren, was wir nicht hätten diskreditieren sollen.
Besser wäre es gewesen, wenn wir darüber diskutierthätten, wie wir auf die Erhöhung der EEG-Umlage re-agieren sollen.Angesichts einer EEG-Umlage in Höhe von5,277 Cent pro Kilowattstunde muss man die Frage stel-len, wie es weitergehen soll und wie wir das verteilenwollen.
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und behaupten, dass wir maßlos Befreiungen bewilligthätten. Da ist die Landesregierung in Nordrhein-Westfa-len ein ganzes Stück weiter. Dort wurde vorgeschlagen,im Zusammenhang mit den Offshoreanlagen eine Kom-plettbefreiung bei den Netzentgelten vorzunehmen. Fra-gen Sie einmal nach, wie man dort auf einen solchen– aus Ihrer Sicht – abwegigen Vorschlag gekommen ist.Das wäre hochspannend. Noch spannender wäre es aller-dings, hier bei uns darüber ein bisschen mehr lösungs-orientiert und weniger problemorientiert zu diskutieren.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir über die Be-rechnung der EEG-Umlage noch einmal diskutierenmüssen. Dazu muss man Vorschläge machen. Da ist inder Tat eine Art Zirkelschluss enthalten. Die Mehrein-speisung an erneuerbaren Energien führt am Spotmarktzu niedrigeren Preisen, was uns eine höhere EEG-Um-lage und mit einem gewissen Automatismus den Unter-nehmen höhere Gewinne beschert. Das ist etwas, wor-über wir sicher nachdenken müssen.
– Wir kommen ja nicht dazu, das hier zu debattieren,weil Sie hier letztendlich immer dieselbe Story vortra-gen.
Ein weiterer Punkt. Wir haben seitens der CSU einensinnvollen Vorschlag gemacht, wie man die EEG-Um-lage nicht nur auf 20 Jahre berechnet, was mit der zuge-sagten Planungssicherheit zusammenhängt, sondern wieman diese Umlage auch auf die verteilt, die danach kom-men.
– Nein, nicht die nächste Generation. Das ist eine Verun-glimpfung.
– Denken Sie einfach darüber nach und handeln Sienicht so fahrlässig, wie Sie es hier sonst immer tun! Esgeht nicht um die nächste Generation; es geht darum,dass wir jetzt endlich einen Kapitalstock aufbauen müs-sen, um in Windräder, in Anlagen zu investieren,
die Fixkosten verursachen, die aber dann den Vorzug ha-ben, keine variablen Kosten zu verursachen. Das heißt,wenn wir das jetzt machen, wird es welche geben, die– das können auch noch wir sein; das ist jedenfallsmeine Hoffnung – dann davon profitieren, dass erneuer-bare Energien ohne variable Kosten Strom produzieren.
Denken Sie einfach darüber nach! Man kann sich Ge-danken darüber machen, ob man die 5,27 Cent nicht einbisschen anders verteilt.
Herr Nüßlein, jetzt ist das Ende Ihrer Redezeit über-
schritten.
Dann höre ich an der Stelle auf. Ich weiß, dass der
Reflex parteipolitisch motiviert ist.
Ich bedanke mich trotzdem fürs Zuhören.
Der Kollege Ulrich Kelber hat das Wort für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Vor drei Monaten hat die SPD-Bundestagsfrak-tion der Regierung 135 Fragen gestellt
zu den Grundlagen der Energieversorgung, zu den Kos-ten von Alternativen in der Energieversorgung. Eine sol-che Große Anfrage muss die Regierung normalerweiseinnerhalb von sechs Wochen beantworten. Wir bekamenein Schreiben: Die Regierung kann diese Große AnfrageMitte Februar 2013 beantworten.
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Ulrich Kelber
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Zwei Beispiele: Welche Maßnahmen will die Regie-rung gegen den Anstieg der EEG-Umlage zum 1. Januar2013 ergreifen? Beantworten wird das die Regierung imFebruar 2013.
Von welcher Preisentwicklung bei Öl-, Gas- und Kohle-importen geht die Regierung aus? Antwort: Wir müssenrecherchieren. Wir werden antworten im Februar 2013. –Herr Minister, wenn man noch nicht einmal die Grundla-gen kennt, wie will man dann verantwortliche Entschei-dungen in der Energiepolitik treffen?
Wir erleben drei Jahre chaotische Energiepolitik. Dassagt nicht nur die Opposition. Der frühere CDU-Minis-terpräsident Oettinger, jetzt europäischer Energiekom-missar, antwortet auf die Frage „Was sagen Sie zur Ener-giepolitik in Deutschland?“: Welche Energiepolitik?Ich komme von einem Treffen mit dem Deutsch-Nor-wegischen Netzwerk. Die sagen: Wir investieren nichtmehr in Deutschland – nicht in Netze, nicht in Gas, nichtin Erneuerbare; wir wissen nicht, ob irgendeine Rah-menbedingung in Deutschland länger als drei Monatehält.
2009 haben Sie eine Politik vorgefunden, die – als einBeispiel – aus dem Ausstieg aus der Atomenergie be-stand. Innerhalb von einem Jahr haben Sie den Ausstiegaus dem Ausstieg gemacht, ein halbes Jahr später denAusstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Jetzt sa-gen CDU-Politiker wie Vaatz, wie Bareiß, wie Pfeiffer:Eigentlich bräuchten wir doch den Ausstieg aus demAusstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. – Wer solldenn da noch investieren in diesem Land?
Natürlich ist eine sichere Energieversorgung nichtumsonst zu haben, übrigens auch dann nicht, wenn mannicht in Erneuerbare geht. Auch ein auf fossile Kraft-werke ausgerichtetes Netz muss ab und zu erneuert wer-den. Aber was es teuer macht, ist diese schwarz-gelbeKonzeptionslosigkeit, der Zickzackkurs an dieser Stelle.
Ich will Ihnen auch dafür Beispiele nennen: Es gibtdie Umlagen für Netzentgelte und für das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Einige werden von der Zahlung be-freit; deswegen zahlen andere mehr. Ich habe am Mitt-woch in der Fragestunde die Bundesregierung gefragt:Wie viel von den 1,7 Cent Anhebung der EEG-Umlagewird benötigt, weil mehr Vergütung gezahlt wird für zu-sätzliche Anlagen der erneuerbaren Energien? Die Ant-wort – nachlesbar im Protokoll –: 1,415 Cent der1,7 Cent haben damit nichts, aber auch gar nichts zu tun.Bundesumweltminister Altmaier und Frau Bundes-kanzlerin Merkel haben gesagt: Wir werden diese Be-freiungen prüfen. Daher war meine zweite Frage:Bis wann genau will der Bundesminister für Um-welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit … dieAusnahmeregelungen für die Industrie zur Befrei-ung von der EEG-Umlage prüfen …?Die Antwort:Das Bundesumweltministerium hat hierzu ein For-schungsvorhaben in Auftrag gegeben.
Das Vorhaben … wird bis zum 31. Juli 2014 abge-schlossen sein.
Das ist die Realität in diesem Land, ebenfalls nachlesbarim Protokoll vom Mittwoch, das bereits online ist.Wir müssen damit rechnen, dass zusätzlich zur EEG-Umlage 0,5 bis 0,8 Cent weitere Umlagen – für die Off-shorehaftungsbefreiung, für weitere Netzentgeltbefrei-ungen – hinzukommen. Inklusive Mehrwertsteuer unter-halten wir uns also über 3 Cent, die auf den Strompreisumgelegt werden. Wenn Sie meinen Ausführungen ge-rade gefolgt sind, haben Sie gesehen, dass 2,5 Cent da-von unnötig sind. Ich fand den Begriff, den Bärbel Höhndafür geprägt hat, treffend: Das ist die Merkel-Umlage.
Schwarz-Gelb mobbt die erneuerbaren Energien, da-mit keiner merkt, dass man drei Jahre chaotische Ener-giepolitik gemacht hat. Allein die zwei größten Energie-konzerne in Deutschland haben angekündigt, 2012 einenGewinn von 19 Milliarden Euro machen zu wollen. Dasist ein deutliches Plus gegenüber 2011 und übrigens fastdas Achtfache des Betrages von vor über zehn Jahren.Wo sind die Stimmen aus der schwarz-gelben Regie-rung, die das Doppelabkassieren bei den CO2-Zertifika-ten kritisieren? Erst werden die kostenlos zugeteiltenZertifikate in den Strompreis eingepreist, und jetzt, wodie Zertifikate bezahlt werden müssen, sollen die Strom-kunden noch einmal dafür bezahlen.Wie kann man auf die Idee kommen, für Netzinvesti-tionen eine sichere, feste Rendite von 9 Prozent zuzusi-chern und für den Fall, dass ein Risiko entsteht, den Ver-braucherinnen und Verbrauchern auch noch eineRisikobefreiungsumlage aufzulasten, damit die 9 Pro-zent auf keinen Fall geschmälert werden?Und warum führt der Bundeswirtschaftsminister nichtGespräche mit dem Bundeskartellamt? Es gibt immerhin§ 29 GWB. Warum prüfen wir nicht einmal, warum diesinkenden Großhandelspreise bei Strom und Gas nichtan die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden?
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24122 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Ulrich Kelber
(C)
(B)
Das wäre Regierungshandeln. Stattdessen reden Sie, alswären Sie schon in der Opposition.
Herr Altmaier, wir brauchen endlich eine konzeptio-nelle Energiepolitik. Da reicht nicht das Reden über dasEEG. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um in Süd- undSüdwestdeutschland, wo die Atomkraftwerke nun schnel-ler abgeschaltet werden, Energieversorgungssicherheitzu garantieren. Dazu brauchen die Länder natürlich einekonsistente Politik der Bundesebene.Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir System-stabilität gewährleisten können. Natürlich müssen dieErneuerbaren mehr Systemverantwortung übernehmen;aber sie müssen sie auch übernehmen dürfen. Wir müs-sen uns fragen, ob das nicht Dinosauriertechnologie ist,wenn in Deutschland immer 20 bis 30 Megawatt vonfossilen Kraftwerken bereitgestellt werden müssen, ohnedass der Strom benötigt wird, nur um Systemdienstleis-tungen zu erbringen.Wir müssen den Strommarkt neu regeln, weil seineRegeln heute weder für Investitionen in Gaskraftwerkenoch für eine Marktfähigkeit der erneuerbaren Energienreichen.Und, ja, wir müssen uns über Maßnahmen zur Sen-kung der Preise und – unideologisch – auch über Sozial-tarife unterhalten.
Dazu gehört die Debatte über ein EEG 2.0, das nicht de-ckelt, sondern hilft, von 25 Prozent Anteil der erneuerba-ren Energien auf 50 Prozent zu kommen.
Darüber darf man nicht ein weiteres Jahr reden. Wir bie-ten Ihnen an, das auch heute zu machen.Dieses Wursteln in der Energiepolitik, diese Flick-schusterei, dieser Aktionismus, diese Schaufensterpoli-tik mit der Beschränkung auf ein oder zwei Teilaspektemuss aufhören; sonst bekommen wir alle von Schwarz-Gelb eine teure Rechnung präsentiert.
Für den Bundesrat erteile ich jetzt Herrn Minister
Sven Morlok das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Um es vorwegzuschicken: Der Freistaat Sachsen, dieStaatsregierung, von CDU und FDP getragen, will einenweiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Dies wirduns in Deutschland nur dann gelingen, wenn wir die Ak-zeptanz durch die Bevölkerung auf diesem Weg nichtgefährden.
Mit Akzeptanz meine ich das Landschaftsbild. Wir müs-sen darauf achten, dass wir die Landschaft nicht über dasMaß hinaus mit Windkraftanlagen verspargeln.
Und wir müssen darauf achten, dass die Strompreise aufeinem Niveau bleiben, auf dem sie für die Verbraucherakzeptabel und bezahlbar sind, auf dem sie die Wettbe-werbsfähigkeit unserer Unternehmen nicht gefährden,auf dem sie die Arbeitsplätze nicht gefährden. Das istwichtig, wenn wir die Menschen in unserem Land beidieser Politik mitnehmen wollen.
Woher kommen die Strompreissteigerungen? Bis2009 waren es Erzeugung, Transport und Vertrieb. FrauKipping, Sie müssen zur Kenntnis nehmen: Ab 2010gibt es dort keine Steigerung mehr. Die Kosten Trans-port, Vertrieb und Erzeugung blieben konstant. DerPreistreiber sind die staatlichen Abgaben. Der Preistrei-ber ist die Steuer. Insbesondere die EEG-Umlage ist derPreistreiber.
Ich sage es noch einmal deutlicher formuliert: Preistrei-ber beim Strom ist der Staat.
Wir brauchen, sehr geehrte Damen und Herren, einenStrompreisstopp, wie ihn Ministerpräsident Tillich amMittwoch im Landtag gefordert hat. Die Strompreisedürfen für die Verbraucher nicht weiter steigen. CDUund FDP sind sich in dieser Sache einig, zumindest inSachsen.
Das EEG wurde geschaffen in einer Zeit, als die er-neuerbaren Energien einen Anteil von 3 Prozent hatten.Der Anteil beträgt jetzt ungefähr 25 Prozent. Es wirddoch jedem deutlich, dass ein System, das damals ge-passt hat, heute die Anforderungen nicht mehr erfüllenkann. Wir brauchen endlich Effizienz bei den erneuerba-ren Energien. 20-jährige Vergütungsgarantien mit Ein-speisevorrang sind der falsche Weg für die Zukunft.
Wir wollen, dass erneuerbare Energien an dem Ortproduziert werden, der am günstigsten ist, und dass siemit einem Verfahren produziert werden, das ebenfallsam günstigsten ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24123
Staatsminister Sven Morlok
(C)
(B)
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von
Frau Kipping zulassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne.
Bitte.
Lieber Herr Morlok, wenn Sie hier zur großen Staats-
kritik ausholen und sagen, der Staat ist der Preistreiber,
dann will ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass der
Bund von einer schwarz-gelben Regierung geführt wird,
und ob Sie die Kritik an der Regierung und die Kritik an
Ihrer eigenen Partei auf Bundesebene tatsächlich so mei-
nen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Kipping, ich bin als Landesminister
Mitglied im Bundesrat. Wenn ich mir die Debatten im
Bundesrat anschaue, dann werde ich das Gefühl nicht
los, dass wir bei der Energiepolitik, der Energieeffizienz
von Gebäuden und bei vielen anderen Fragen schon
deutlich weiter sein könnten, wenn die Bundestagsoppo-
sition den Bundesrat nicht ständig blockieren würde.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir müssen die er-
neuerbaren Energien in den Markt integrieren. Zur
Marktintegration bedarf es einer Mengensteuerung. Wir
als Freistaat Sachsen schlagen Ihnen in diesem Zusam-
menhang ein Quotenmodell vor. Wir brauchen dieses
Quotenmodell schnell. Zum 1. Januar 2014 muss
Schluss sein mit dem Kostentreiber EEG. Wir brauchen
eine Änderung noch vor der Bundestagswahl.
Als Sofortmaßnahme muss die Stromsteuer zum
1. Januar 2013 reduziert werden, und zwar auf das euro-
päische Mindestniveau.
Das ist genau der Betrag, der durch die EEG-Umlage
obendrauf kommt. Ich kann nicht einsehen, warum man
die Verbraucher im nächsten Jahr mit diesen zusätzli-
chen Kosten belasten soll. Wir brauchen keine Sozial-
tarife, wir brauchen eine Senkung der Stromsteuer.
– Ich bin überhaupt kein Schwätzer, weil ich nämlich
Politik für die Menschen im Freistaat Sachsen mache
und mich für die Interessen der Menschen im Freistaat
Sachsen einsetze. Deswegen, Herr Heil, bin ich nach
Berlin gefahren, um heute hier eine Rede zu halten. Das
ist der Punkt.
Lassen Sie mich bitte fortfahren.
Herr Morlok, möchten Sie die Zwischenfrage von
Herrn Heil zulassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn es der Erkenntnis von Herrn Heil dient.
Bitte schön.
Herr Morlok, Sie sind ja Staatsminister des FreistaatsSachsen. In Sachsen gab es einmal einen großen deut-schen Schriftsteller, der später in München gelebt hat.Die Rede ist von Erich Kästner. Er hat den schönen Satzgeprägt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.Deshalb sage ich Ihnen zum Thema Stromsteuer: Sievon der schwarz-gelben Koalition dort drüben könntenohne Zustimmung des Bundesrates morgen die Strom-steuer senken, wenn Sie denn das Geld haben. Dafürbrauchen Sie keine Opposition, da brauchen Sie keineBlockaden von den von Rot-Grün oder Rot-Rot geführ-ten Ländern zu befürchten. Wenn Sie das gegenfinanzie-ren können, dann sollten Sie es einfach machen.
Das meinte ich vorhin. Ich entschuldige mich für dasleicht ungebührliche, aber im Schwäbischen gebräuchli-che Wort „Schwätzer“. Wenn Sie an dieser Stelle etwasfordern, dann fordern Sie das bitte von Ihren eigenenLeuten, aber beschimpfen Sie nicht die Opposition. Dasmeinte ich damit.
Fensterreden helfen überhaupt nicht, weder in der sozia-len noch in der ökologischen noch in der ökonomischenDebatte. Sie führen Selbstgespräche zur Energiepolitikmit Ihren eigenen Leuten: Man müsste mal, man sollte
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24124 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Hubertus Heil
(C)
(B)
mal, man könnte mal. So etwas hält uns in Deutschlandauf.An dieser Stelle bitte ich Sie um Ihren Beitrag: Wannrechnen Sie mit dem Beschluss Ihrer schwarz-gelbenFreunde hier in Berlin zur Senkung der Stromsteuer? Indiesem oder im nächsten Jahr? Das ist meine Frage anSie.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Heil, im Gegensatz zur Bundes-
tagsopposition, zur SPD, handelt die Sächsische Staats-
regierung. Wir haben einen entsprechenden Antrag im
Bundesrat eingebracht, die Stromsteuer zu senken.
– Ich rede als Minister für die Staatsregierung im Frei-
staat Sachsen.
Wir haben im Bundesrat einen Antrag zur Senkung
der Stromsteuer eingebracht, und zwar um den Betrag,
um den der Strom aufgrund der erhöhten EEG-Umlage
teurer wird.
Das haben wir getan, sehr geehrter Herr Heil, und dabei
haben wir eine parteiübergreifende Unterstützung gefun-
den, allerdings keine Mehrheit. Wir haben Unterstützung
erhalten vonseiten der CSU und der FDP in Bayern; wir
haben auch Unterstützung von Ihren Parteifreunden, von
der SPD, gefunden, nämlich vom Bundesland Hamburg,
von Olaf Scholz.
Ich sage ganz klar: Wir werben für diesen Antrag, und
die Zahl der Unterstützer wächst. Deswegen bin ich
heute hierhergekommen. Wir wollen, dass die Zahl der
Unterstützer noch größer wird und dass wir möglichst
bald zu einer entsprechenden gesetzlichen Änderung
kommen können.
An die Adresse der Bundesregierung möchte ich fol-
gende Worte richten: Herr Altmaier, ich habe Ihren Maß-
nahmenplan gelesen. Ich muss jedoch deutlich sagen:
Verschonen Sie uns mit neuen Gutachten auf Kosten der
Steuerzahler. Diese brauchen wir nicht mehr.
Die Bundesregierung leidet nicht an einem Mangel an
Gutachten, sondern an einem Mangel an Einsicht.
Deswegen fordere ich Sie auf, zügig zu handeln. Da
ich nicht weiß, ob das Ganze tatsächlich funktioniert,
Herr Kollege Heil, bereiten wir im Wirtschaftsministe-
rium in Sachsen – dies zum Thema Handeln – gerade
eine Bundesratsinitiative zu diesem Thema vor. Sicher
ist sicher.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Caren Lay von der
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich freue mich, dass inzwischen auch die Koali-tion begriffen hat, dass es beim Thema Strompreise umeine soziale Schieflage geht. Als wir vor anderthalb Jah-ren einen ähnlichen Antrag diskutiert haben, ist kaum je-mand von Ihnen auf die soziale Frage eingegangen.Auch heute sind sich die Redner der CDU nicht zuschade, die Vorschläge der Linken als „DDR-Planwirt-schaft“ abzutun.Ich muss Ihnen jedoch eines sagen: Angesichts derTatsache, dass die vier großen Energiekonzerne immernoch fast 80 Prozent des Marktes beherrschen und diePreise für die Verbraucherinnen und Verbraucher perma-nent steigen, kann die FDP doch nicht von einem funk-tionierenden Markt sprechen.
– Das haben Sie nicht getan? Ich habe das sehr wohl imOhr, und deswegen ist die Debatte, so wie Sie sie hieraufmachen, völlig falsch angelegt.Ich muss einmal sagen: Sie hören nicht auf, dieSchuld permanent auf die erneuerbaren Energien zuschieben. Ich finde das einfach unredlich. Sie schiebendie Schuld auf das EEG und verschweigen die Milliar-dengewinne der Energiekonzerne. Ich will Ihnen einmalein Beispiel nennen: Allein die Gewinne von Eon, RWEund EnBW seit dem Jahre 2002 betragen weit über100 Milliarden Euro.
Innerhalb von sieben Jahren haben sich die Gewinne derEnergiekonzerne vervierfacht. Ich habe hier von denRednern der Koalition kein einziges kritisches Wortdazu gehört. Das werden wir Linke Ihnen nun wirklichnicht durchgehen lassen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24125
Caren Lay
(C)
(B)
Was tut die Koalition angesichts dieser Situation? Sieverteilt weiter Milliardengeschenke an die Großindus-trie: bei den Netzentgelten, bei der EEG-Umlage undbeim Ökostrom. Das kann es doch wirklich nicht sein.
Deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Wer es mit dersozialen Energiewende ernst meint, der darf über dieMilliardengewinne der Konzerne und die Industrie-rabatte nun wirklich nicht schweigen.
Meine Damen und Herren, über die Festlegung derStrompreise für Privathaushalte organisieren sich dieVersorger zulasten der Haushaltskunden hemmungslosSonderprofite. Deswegen fordern wir Linke hier einestaatliche Preisaufsicht. Ich muss sagen, dass das keineVorstellung aus Zeiten der DDR ist; denn wir hatten diestaatliche Preisaufsicht bis zum Jahre 2007. Damals, alssie abgeschafft wurde, hat sich leider auch die SPD nichtmit Ruhm bekleckert. Nun habe auch ich noch sehr gutin Erinnerung, dass die staatliche Preisaufsicht damalsnicht das schärfste Schwert war; aber wir müssen fest-stellen, dass die Strompreise seit ihrer Abschaffung kon-tinuierlich weiter angestiegen sind. Deswegen ist dieAbschaffung der staatlichen Preisaufsicht nun wirklichauch keine Lösung.
Wir wollen sie wieder einführen; wir wollen sie an-ders einführen. Wir wollen, dass die Verbraucherver-bände hier ein ordentliches Wort mitzureden haben;denn wir vertrauen nicht darauf, dass beispielsweise einMinister der FDP oder der CDU wirklich wagen würde,den Rotstift bei den Konzerngewinnen anzusetzen.Meine Damen und Herren, auch zum Thema Energie-armut habe ich von der Koalition kein Wort gehört, unddas vor dem Hintergrund, dass 800 000 Haushalten imJahr der Strom abgestellt wird. Das ist eine stille sozialeKatastrophe, zu der wir wirklich nicht schweigen dürfen.
Eine Stromsperre ist nach nur einer Ankündigung undohne Gerichtsbeschluss möglich. Am Ende bekommtman noch eine satte Rechnung präsentiert, die man ge-wiss nicht bezahlen kann, wenn man ohnehin schon Gastbei der Schuldnerberatung ist. Deswegen fordern wir,dass die Versorgung mit Strom ein Grundrecht wird undStromsperren endlich verboten werden.
Einen letzten Punkt werde ich angesichts der Kürzeder Zeit nicht ausführen können; aber ich möchte ihn zu-mindest einmal in dieser Debatte erwähnen. Die Strom-netze erfüllen eine öffentliche Aufgabe, sie sind Teil deröffentlichen Infrastruktur, und deswegen gehören sieendlich wieder in öffentliche Hand.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.Die Linke legt mit ihrem Antrag Instrumente auf denTisch, mit denen Verbraucherinnen und Verbraucher4 Cent pro Kilowattstunde sparen können. Es wirdhöchste Zeit, die Energiewende ökologisch und sozial zugestalten.Vielen Dank.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Markus Kurth.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich bin schon verwundert: Wir debattieren hier unterdem Titel „Soziale Gestaltung der Energiewende“, aberreden jetzt ausschließlich über einen Bereich, nämlichüber den Strom. Nur rund ein Fünftel der gesamtenEnergieausgaben eines durchschnittlichen Haushaltesentfällt auf den Bereich Strom, der Rest zu etwa gleichenTeilen auf den Bereich Mobilität und den Bereich Hei-zung.Einzig und allein mein Kollege Hans-Josef Fell ist inseiner Rede in dieser Debatte auf den Preisanstieg beiden fossilen Energieträgern eingegangen
– stimmt, Herr Kelber, auch Sie haben über fossile Ener-gien gesprochen – und hat damit die Grundlage dafürgelegt, sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Belas-tungen im Wärmebereich auf ärmere, einkommens-schwächere Haushalte zukommen.
In der Folge haben aber auch Sie von der SPD sich le-diglich – das muss man sagen – auf den Strompreis kon-zentriert. Dabei geht selbst die Bundesregierung in einerAntwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/DieGrünen davon aus, dass der Ölpreis auf 124 US-Dollarpro Barrel ansteigen wird.Innerhalb des Strombereichs konzentrieren Sie sichdann wiederum lediglich auf einen ganz kleinen Aus-schnitt, nämlich auf das EEG, und das stellen Sie dannauch noch falsch dar. Als Sozialpolitiker bin ich ohnehinerschüttert, in einer energiepolitischen Debatte, die sichüber drei Tage erstreckt, sehen zu müssen, dass sich beiIhrer Lernkurve anscheinend nichts bewegt.
Wenn es Ihnen wirklich um die gesamte Situation imEnergiebereich und um die ärmeren Haushalte gehenwürde, dann würden Sie auch die Bereiche Mobilität undHeizkosten mit in den Blick nehmen und diese in dieserDebatte wenigstens einmal erwähnen. Wer über sozialeEnergiesparpolitik, die Energiewende und deren sozial-verträgliche Gestaltung redet, muss sich mit Instrumen-ten auseinandersetzen, die alle Energieträger und alleBereiche umfassen und vor allen Dingen zielgenau sind.
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24126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Markus Kurth
(C)
(B)
Sie von der FDP hingegen wollen mit der großenGießkanne herangehen. Sie sprechen von der Strom-steuer. Das ist überhaupt nicht zielgenau. Das trifft nichtdiejenigen, die es am nötigsten haben.Wir von Bündnis 90/Die Grünen machen Vorschläge,zum Beispiel die Einrichtung eines Energiesparfonds,aus dem dann gezielt die Gebäudesanierung und derAustausch von Geräten bezahlt werden könnte.
Wir wollen die Mittel aus diesem Energiesparfonds– und das ist der große Vorteil – vorwiegend für dieHaushalte einsetzen, die am stärksten auf Unterstützungangewiesen sind.
Wir hätten damit ein Instrument, mit dem man einesozialräumliche Steuerung vornehmen und das Geldzielgenau einsetzen könnte.
Wissen Sie, was das auch bewirken würde? Daswürde zusätzlich eine erhebliche Entlastung bei denkommunalen Kassen bewirken. Denn diese müssen überdie Kosten der Unterkunft, etwa bei den Hartz-IV-Bezie-henden, die Heizkosten mittragen. Es käme also zu ei-nem positiven Folgeeffekt für unsere Kommunen.
Dass Sie kein Interesse daran haben, wie es ärmerenund einkommensschwächeren Haushalten geht,
lässt sich auch daran ablesen, dass Sie es waren, die denHeizkostenzuschuss im Wohngeld gestrichen haben.
Wir hingegen schlagen vor, einen Klimazuschuss andas Wohngeld anzudocken, damit die Wohngeldbeziehermit steigenden Energiepreisen im Wärmebereich zu-rechtkommen.Wir schlagen darüber hinaus Folgendes vor: WennStandards bei Gebäuden nicht eingehalten werden, dannsteht den Mietern ein Mietminderungsrecht zu. Dasheißt, wir favorisieren ein Bonus-Malus-System, um dieImmobilienbesitzer dazu zu bringen, ihre Wohnungen zusanieren und in den besten Stand zu versetzen.
Des Weiteren ist es unser Anliegen, Licht ins Dunkelzu bringen. Wir wollen, dass Untersuchungen durchge-führt werden: Was ist das Energieexistenzminimum?Was ist Energiearmut? Denn auch wir schlagen vor, ei-nen Tarif einzuführen, der ein gewisses Grundkontingententhält. Dieses soll zwar nicht kostenlos sein – wie beiden Linken –, aber zu einem vergünstigten Preis angebo-ten werden. Dann soll mit einem progressiv steigendenTarif eine Anreizwirkung ausgelöst werden. Um diesesGrundkontingent allerdings genau bestimmen zu kön-nen, müssten Forschungs- und Untersuchungsaufträgevergeben werden. Das wäre übrigens schon deshalb nö-tig, um auch Ihren Erkenntnisgewinn zu befördern. Dannwürden Sie nicht im Nebel herumstochern
und in Bezug auf das EEG Dinge behaupten, die jederGrundlage entbehren.
Abschließend – das muss ich als Sozialpolitiker wirk-lich sagen –: Sie hätten noch und nöcher Gelegenheiten,Einkommensschwächere zu unterstützen, zum Beispieldurch den gesetzlichen Mindestlohn, wie Frau Kippinges schon richtig angesprochen hat.
Dann könnte man die EEG-Umlage fünfmal bezahlen.Ich selbst habe in der Unterarbeitsgruppe zur Ver-handlung des Hartz-IV-Regelsatzes im Jahr 2011 mitdis-kutiert
und kann mich noch genau daran erinnern, wie da umjeden Cent gerungen worden ist. Da hätte es ausreichendGelegenheit gegeben, für die Transferbeziehenden imRahmen einer vernünftigen Berechnung der Bedarfe dieSpielräume zu berechnen, die notwendig sind, um dieEnergiekosten zu bezahlen.
Solange Sie das nicht erledigen, möchte ich in Diskus-sionen zur Energiewende nicht mehr von Ihnen hören,dass Sie besonders besorgt um die Einkommensschwä-cheren sind.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Koeppen von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Nach Fukushima war der gesellschaftliche Konsens fürdie Energiewende sehr groß. Es gab eine breite Mehrheitdafür in der Bevölkerung, in der Gesellschaft. Es gab
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24127
Jens Koeppen
(C)
(B)
eine sehr breite Mehrheit dafür im Deutschen Bundes-tag. Ich muss sagen, dass das sehr angenehm war.
Es ist umso erstaunlicher, dass Sie, Herr Kelber, jetzt,da die Strompreise ansteigen, alles infrage stellen.
In den drei Debatten dieser Woche zu diesem Themasind Sie teilweise wie eine Dampframme gegen dieEnergiewende zu Werke gegangen. Das finde ich uner-träglich; denn ich habe nach wie vor die Vision – diesollten wir alle haben – von einer sauberen, bezahlbaren,sicheren und immer verfügbaren Energieversorgung.Wenn wir diesen Konsens herausstellen, wenn wir die-sen Konsens weiterverfolgen und nicht nur Nebelkerzenschmeißen, dann können wir, glaube ich, unseren Kin-dern und Enkelkindern irgendwann ein Energieversor-gungssystem ohne Risikotechnologien übergeben, eindezentrales und vor allen Dingen ein autarkes Energie-versorgungssystem.Dazu müssen wir unser Denken aber wahrscheinlichändern. Wir können es uns nicht leisten, uns nicht zuverändern. Schon Einstein hat gesagt: „Wir müssen um-denken, um zu überleben.“ Damit hat er recht. Ichglaube, das gilt auch für die Energieversorgung. Dieganzen verkrusteten Strukturen, nicht nur in Deutsch-land, sondern weltweit, führen dazu, dass Energie teurerwird. Sie führen in die Abhängigkeit. Deswegen müssenwir uns von diesen alten Strukturen trennen. Wir müssenuns auch von der einen oder anderen Überlegung tren-nen, die im EEG steht – ich komme noch darauf zu spre-chen –; denn nur wenn wir komplett umdenken, wird dasProjekt Energieversorgung gelingen, aber auch nur dann.
Ich bin fest davon überzeugt: Wenn ein Land dasschaffen kann, dann Deutschland. Wenn wir weiterhinVorreiter sein wollen, dann müssen wir die Energie-wende beherzt angehen, aber auf Basis eines gesell-schaftlichen Konsenses.Ich komme zum Anstieg der Energiepreise. Ja, dieEnergiepreise sind gestiegen. Sie sind nach einer neuenErhebung von Eurostat im Euro-Raum um bis zu 27 Pro-zent gestiegen. In Deutschland sind die Preise – in An-führungsstrichen – „sehr moderat“ gestiegen: nur umknappe 4 Prozent. Strom ist in Deutschland aber trotz-dem hinter Dänemark am teuersten.Wir müssen uns natürlich fragen: Warum ist das so?Weltweit ist die Nachfrage gestiegen. Allein im vergan-genen Jahr wurden fossile Energien für 87 Milliar-den Euro importiert. Diesen 87 Milliarden Euro stehtaber keine entsprechende Wertschöpfung in Deutschlandgegenüber. Natürlich sind dadurch auch die Heizkostengestiegen. Natürlich sind dadurch auch die Kraftstoff-preise und der Strompreis gestiegen. Der Strompreis ist– das muss ich sagen – nicht allein aufgrund der EEG-Umlage gestiegen; das ist ganz klar. Er ist gestiegen auf-grund von Preissteigerungen in den Bereichen Erzeu-gung, Transport und Vertrieb, aufgrund der Konzessions-abgabe an die Gemeinden usw., aber eben auch aufgrundder EEG-Umlage, die infolge des Ausbaus im Bereich dererneuerbaren Energien gestiegen ist.Herr Kelber, Sie haben in der gestrigen Debatte ge-fragt, warum die EEG-Umlage bei Ihnen so niedrig ge-wesen sei und bei uns so hoch. Weil der Ausbau im Be-reich der erneuerbaren Energien in den letzten Jahrenvorangeschritten ist. Das ist doch ganz logisch. Deswe-gen musste die EEG-Umlage steigen. Das ist doch ganzklar.
Herr Koeppen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kelber?
Bitte schön.
Bitte schön, Herr Kelber.
Herzlichen Dank. – Genau zu diesem Punkt, zu der
Frage von gestern, möchte ich drei Zahlen aus diesem
Jahr nennen, die das Problem ein Stück weit deutlich
machen. Wir haben jetzt die Prognose für 2013 erhalten,
auf deren Grundlage die Höhe der EEG-Umlage festge-
legt wurde. Wenn man sich diese Prognose anschaut,
stellt man fest, dass von 2009 bis 2013 die Menge des er-
zeugten EEG-Stroms um 60 Prozent gestiegen ist. Die
dafür benötigte, die ausgeschüttete Vergütung stieg um
100 Prozent. Hier fließt natürlich der Aspekt Solarstrom
ein. Das ist ein Grund, warum der Strom pro Kilowatt-
stunde teurer geworden ist. Die EEG-Umlage steigt aber
nicht um 100 Prozent, sondern um 290 Prozent. Und da
liegt der Konstruktionsfehler, der in den letzten vier Jah-
ren begangen wurde: Man hat zusätzliche Dinge hinein-
genommen, die mit dem Ausbau der Erneuerbaren nichts
zu tun haben.
– Ich habe doch die Prognose für 2013 genommen. Da-
her sind es vier Jahre.
Herr Kelber, da Sie von Konstruktionsfehler spre-chen, will ich sagen, dass ich glaube, dass dies auf einenKonstruktionsfehler des Erneuerbare-Energien-Geset-zes generell zurückzuführen ist. Ich komme nachhernoch dazu.Aber es ist doch klar: Wenn ich zum Beispiel die Pho-tovoltaik, die am teuersten ist, aber auf dem Markt amwenigstens zur Stromversorgung beiträgt, auf demMarkt hinzunehme, dann führt dies zu einem steilen An-stieg der Preise. Das ist doch logisch nachvollziehbar imEEG beschrieben.
Metadaten/Kopzeile:
24128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Jens Koeppen
(C)
(B)
Wir können daran arbeiten – da bin ich komplett bei Ih-nen –, das EEG umzuschreiben und diesen Konstrukti-onsfehler, wie Sie es nennen, auszumerzen. Das hat abernichts mit den letzten drei Jahren zu tun. Ich gehe abergleich noch auf das EEG ein.
Ich war beim Thema Strompreise. Die Erhöhung derEEG-Umlage führt zu einer Strompreiserhöhung vonetwa 5 Euro pro Monat. Natürlich ist ein solcher Preisan-stieg für die Menschen, die sich dies vielleicht nicht leis-ten können, nicht schön.
Ich glaube aber, dass diese 5 Euro verträglich sind.
Durch den Anstieg der EEG-Umlage gibt es natürlichHandlungsbedarf. Deswegen haben wir in dieser Wochedrei Debatten darüber geführt.Die Akzeptanz der Energiewende fängt beim eigenenPortemonnaie an; das ist doch ganz klar. Wir müssen da-für sorgen, dass Energie kein Luxusgut für die Menschenwird, aber wir müssen genauso dafür sorgen, dass Energiekein Luxusgut für die Industrie wird. Deswegen habenRot-Grün, die Große Koalition und wir in der christlich-liberalen Koalition durch Ausnahmen für Standortsiche-rung und Arbeitsplatzsicherung gesorgt.Herr Kelber, ich möchte darauf hinweisen, dass daskeine Industriebegünstigungen sind. Wir begünstigendadurch niemanden, sondern wir stellen damit klar, dasswir keine Schwächung unseres Industriemarktes, aberauch keine Schwächung – es wird immer auf die vielenAusnahmen hingewiesen – des industriellen Mittelstan-des zulassen. Deutschland geht es zurzeit gut. Wir lassen700 Ausnahmen zu; diese haben auch Sie zugelassen.Dabei sollten wir bleiben. Wir sollten das nicht zerreden.
Die Betriebe können Anträge stellen. 2 000 Anträge sindgestellt worden. Diese 2 000 Anträge sind bisher nichtbewilligt, sondern wurden bisher nur gestellt.
Es gibt drei Bedingungen: Der Betrieb muss ener-gieintensiv sein, der Betrieb muss zum produzierendenGewerbe gehören, und er sollte im internationalen Wett-bewerb stehen. Das wird geprüft.
Peter Altmaier hat mehrfach versprochen, dass das ge-prüft wird. Wenn ein Antrag bestätigt wird, schauen wiruns das genau an. Wenn einer das macht, was er ver-spricht, dann ist es dieser Umweltminister. Er wird daseinhalten. Er wird genau darauf achten, dass das nichtausartet. Das ist keine Begünstigung, sondern Standort-sicherung und Arbeitskräftesicherung. Diesen Weg soll-ten Sie mit uns gemeinsam gehen.
Ich hoffe, ich habe noch Zeit, um noch etwas zumEEG zu sagen. Wir brauchen hier einen Systemwandel.Ich habe es schon oft gesagt: Das EEG hat in einer au-ßergewöhnlichen und hervorragenden Art und Weiseseinen Dienst erfüllt, und es hat weltweit Anerkennunggefunden. Aber das EEG hat aus meiner Sicht etwas inden Markt gebracht, das schon zur Genüge vorhandenwar, nämlich Strom. Jetzt hat es seine Aufgabe erfüllt.
– Natürlich, Herr Fell, das ist so. – Wir müssen es jetztendlich gemeinsam zu einem Innovationsgesetz umge-stalten. Das ist kein Abschlachten oder Abschalten, son-dern eine Reform.Ich sagte ja am Anfang: Wir können es uns nicht leis-ten, uns nicht zu verändern. Wir müssen dafür sorgen,dass das EEG umgeschrieben wird. Wir müssen wiederdazu kommen, dass es um Energieversorgung geht undnicht um Rendite. Wir müssen dazu kommen, dass wirintelligent einspeisen und nicht blind.
Wir müssen zu dezentraler und zu autarker Energiever-sorgung kommen, und wir müssen neue Technologienbelohnen. Dazu brauchen wir die Ingenieure und dieWissenschaftler. Ich bin Techniker. Ich weiß, dass vielesagen: Hört uns doch einfach einmal an, wir haben soviele Ideen und Vorschläge. – Lasst uns diese Menschenfragen, welche Ideen sie haben, wie weit sie entwickeltsind und was wir in Serie bringen können.Wir müssen davon wegkommen, dass wir Windkraft-anlagen und Solarstromanlagen einfach nur bauen, ohnezu wissen, wie wir den dort produzierten Strom abtrans-portieren können.Wir müssen außerdem zu einer Priorisierung beimNetzausbau kommen. Peter Altmaier hat auch hierzu ei-nen ganz konkreten Vorschlag gemacht. Wir müssen nicht4 000 Kilometer Leitung bauen. Wir haben in Deutsch-land schon 36 000 Kilometer Höchstspannungsleitung,75 000 Kilometer Hochspannungsleitung, 500 000 Kilo-meter Mittelspannungsleitung und 600 000 Transforma-toren. Das ist eine gute Infrastruktur. Wir müssenschauen, ob wir damit nicht auskommen, statt blind aus-zubauen; denn vielleicht brauchen wir das gar nicht. Wirbrauchen Systemintegration, wir brauchen bedarfsge-rechte Stromproduktion. Über all dies müssen wir nach-denken, und das müssen wir ins EEG schreiben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24129
Jens Koeppen
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Ganz wichtig ist noch der Bereich Power to Gas. Was-serstoff spielt eine viel zu geringe Rolle. Wir können aus– in Anführungszeichen – „überschüssigem“ StromWasserstoff produzieren. Den können wir in die Mobili-tät stecken, wir können ihn für die Einspeisung in vor-handene Gasnetze nutzen. Wir können daraus wirklichSpeicher machen. Wir müssen dazu kommen, dass wirdiesen sogenannten erneuerbaren Wasserstoff in Kapazi-tätskraftwerke einspeisen, um die Lücken zu schließen.Das sind alles Punkte, für die es sich lohnt, unserHirnschmalz einzusetzen. Wir sollten nicht an diesen5 Euro pro Monat herumkritteln. Auch wenn die Ener-giewende nicht zum Nulltarif zu haben ist, so bekommenwir letztlich etwas dafür, nämlich eine saubere, eine si-chere und eine autarke Energieversorgung.Vielen herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Rita Schwarzelühr-Sutter.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! HerrKoeppen, schöne neue Welt. Nur klaffen zwischen denReden und Taten sowie den Beschlüssen der Bundesre-gierung Welten. Lieb- und lustlos werden da sogenannteMittelstandsinitiativen zur Energiewende ins Leben geru-fen, Plattformen installiert, Energiegipfel veranstaltet.Dadurch wird mehr als deutlich, dass Sie eigentlich garnicht hinter der Energiewende stehen.Herr Altmaier, Sie haben in der vergangenen WocheIhre eigene Ratlosigkeit zu Protokoll gegeben. Sie wol-len mit allen Seiten reden, aber vor der Bundestagswahlnichts mehr entscheiden.Seitdem die schwarz-gelbe Bundesregierung denAusstieg beschlossen hat, ist die EEG-Umlage zumMaßstab für bezahlbare Strompreise geworden und da-mit für das Gelingen der Energiewende insgesamt. DieKanzlerin selbst versicherte noch 2011, dass die EEG-Umlage auf jeden Fall in der damaligen Größenordnungbestehen bleibt. Damals lag sie bei 3,5 Cent, heute habenwir 5,3 Cent pro Kilowattstunde. Hat sie einen Wort-bruch begangen? Merkel & Co. haben im letzten Jahrdie Anhebung der EEG-Umlage einfach mal aus politi-schen Gründen verschoben. Das wirkt sich jetzt natür-lich doppelt aus.
Hinzu kommt ein Posten, der noch gar nicht auf derStromrechnung zu finden ist, nämlich die Haftungsrege-lung für den Ausschluss von Offshorewindparks. Dashaben Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern nochgar nicht mitgeteilt. Wo bleibt da die ehrliche Informa-tion? Stattdessen schüren Sie Ängste bei den Verbrau-chern, die Energiepreise könnten explodieren, wohl wis-send, dass dem eigentlich nicht so ist.Der Strompreis wird in Deutschland steigen, aber ersteigt nicht in erster Linie wegen der Energiewende.Hinter dem Streit um die EEG-Umlage steckt nämlichtatsächlich viel mehr. Es ist der Machtkampf zwischender Bundesregierung, den Befürwortern und den Geg-nern der Energiewende sowie den neuen Anbietern undden etablierten Stromkonzernen.
Ihnen und Ihren Helfern geht es darum, die Energie-wende zu verzögern, zu blockieren und am liebsten um-zukehren.
Der Strompreis ist dabei nur Mittel zum Zweck. DieEnergiewende der schwarz-gelben Bundesregierung ent-puppt sich als die Fortsetzung der alten Energiepolitikmit neuen Mitteln. Statt der Atomkraftwerke sollen Off-shorewindparks und neue Kohlekraftwerke den größtenTeil des Stroms liefern – unter der Ägide der Energie-konzerne. Der Strom wird dann über Tausende von Kilo-metern neuer Netze zum Verbraucher transportiert.Großkraftwerke und neue Netze sollen eine sichere undpreisgünstige Stromversorgung und den Energiekonzer-nen eine sichere Rendite garantieren. Alles wie gehabt.Die Energiepolitik muss sich aber tatsächlich grundle-gend ändern und sich auf die Anforderungen der erneu-erbaren Energien einstellen. Wir haben heute dezentralfast 25 Prozent erneuerbare Energien beim Strom. EinWeiter-so mit dieser Energiepolitik nur ohne Atom gehtdeshalb gar nicht.Die Mitteldeutsche Zeitung hat in einem Artikel vom12. Oktober 2012 geschrieben – ich zitiere –:Die Verlogenheit der Energiedebatte hat … einenneuen Spitzenwert erreicht. Weil die Ökostromum-lage für private Haushalte Anfang 2013 steigt, ho-len die Gegner der Energiewende zum Gegenschlagaus.Ja, so ist es.Schwarz-Gelb war sich am Mittwoch in der AktuellenStunde noch nicht einmal zu schade, uns den Vorwurf zumachen, wir würden die Energiewende zerreden. Fürdiesen Akt der Verzweiflung muss man der Koalitionschon fast etwas Mitleid zollen.
Wenn Schwarz-Gelb glaubt, so den Ausstieg aus demAusstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg einleitenzu können, dann offenbart die Koalition tatsächlich Rea-litätsferne. Die Wahrheit ist nämlich etwas komplizier-ter.
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24130 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Rita Schwarzelühr-Sutter
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Richtig ist, dass der Abschied von Atomkraft und fossi-len Energieträgern Geld kostet. Ein neues Atomkraft-werk kostet 5 Milliarden Euro.
Wer glaubt denn im Ernst, der Ersatz der deutschenAtomkraftwerke – und auf lange Sicht auch der Kohle-kraftwerke – sei umsonst zu haben?
Auch Gas und Kohle sind teurer geworden. Die Netzbe-treiber haben ja schon lange auf eine Laufzeitverlänge-rung spekuliert. In den letzten zehn Jahren haben sie fastüberhaupt nicht mehr investiert bzw. nur noch das inves-tiert, was unbedingt notwendig war,
weil sie, wie gesagt, auf eine Verlängerung der Laufzeitgesetzt haben.Bei den Ausnahmeregelungen sind Sie nach demGießkannenprinzip vorgegangen. Zwischen Ihnen unduns gibt es da durchaus einen Unterschied: Auch wir ha-ben uns zu den energieintensiven Unternehmen bekannt;wir sind ja nicht betriebsblind. Aber Sie erweitern denUmfang der Ausnahmeregelungen mal eben um denFaktor zehn. Da muss man sich schon die Frage stellenlassen: Tut man das für die eigene Klientel, oder ist manwirklich dem Verbraucher verpflichtet?
Um mehr Sachlichkeit in die Debatte zu bekommen,haben wir bereits im Sommer dieses Jahres eine GroßeAnfrage mit dem Titel „Die Energiewende – Kosten fürVerbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen“ ge-stellt.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Martin Lindner?
Ja, gerne.
Finden Sie es nicht ein bisschen unangemessen, mit
Blick auf uns von „Klientel“ zu reden,
obwohl Sie mittlerweile die dritte Rednerin von EURO-
SOLAR sind, die hier und heute ganz klar Lobbyismus
betreibt, statt sich ernsthaft an dieser Debatte zu beteili-
gen?
Herr Lindner, weil Sie gerade das Thema Lobbyismuserwähnt haben, komme ich gleich einmal auf Nebenein-künfte zu sprechen.
Zur Frage, wer von wem Nebeneinkünfte bezieht, kannich Ihnen sagen: Erstens habe ich keine Nebeneinkünfte.Zweitens ist EUROSOLAR ein Verein.
Drittens muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen:
Wenn Sie Klientelpolitik betreiben, dann ist das nun ein-mal so; das hat jeder gesehen.
Sie haben Ihrer Klientel mehrere Milliarden Euro zu-kommen lassen; ich erinnere nur an die Hoteliers. Hinzukommt, dass Sie in die Sozialkassen gegriffen haben.
Vor diesem Hintergrund war es schon fast schizophren,dass Sie am Mittwoch dieser Woche in einer AktuellenStunde über die Auswirkungen der Strompreise auf dieunteren Einkommensschichten diskutieren wollten. Damüssen Sie sich schon an die eigene Nase fassen.
Es ist doch wirklich ein Armutszeugnis, wenn eineRegierung, die die Energiewende umsetzen will, noch
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Rita Schwarzelühr-Sutter
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nicht einmal in der Lage ist, Fakten zu liefern. Sie wol-len eine sachliche Debatte? Ich frage Sie: Wo sind dieFakten? Wo sind Ihre Antworten auf unsere Fragen? Sieverweisen nur auf den Februar 2013. Wir wollen Faktenstatt Mythen. Wo bleiben die Zahlen?
Wir wollen wissen: Was hätte es uns gekostet, wennwir nicht ausgestiegen und Reinvestitionen auf uns zuge-kommen wären? Sie geben aber keine Antworten, undSie haben keine Zahlen. Wenn Sie aber kein Fundament,keinen Bauplan und keinen Bauleiter haben, dann bleibtdie Energiewende eine ewige Baustelle. Aufgrund IhrerMutlosigkeit, des Fehlens von Entscheidungen und Ihrermangelnden Bereitschaft, Verantwortung zu überneh-men, kommt uns diese Baustelle teuer zu stehen.
Investitionen werden zurückgestellt. Es gibt Men-schen, denen der Strom abgedreht wird und die sichselbst überlassen werden. Außerdem – es wurde schondarauf hingewiesen – hat diese Koalition im Zuge derWohngeldreform die Heizkostenpauschale gestrichen.Die Energiewende ist aber auch eine Frage der sozialenGerechtigkeit. Strom gehört in einem entwickelten Staatzur Daseinsvorsorge. Wir brauchen eine ehrliche De-batte darüber, wie die Kosten innerhalb der Gesellschaftgerechter verteilt werden und wie wir die unteren Ein-kommensschichten unterstützen und vor Stromabschal-tungen schützen können.Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftlicheAufgabe. Aber Sie schüren Angst. Ich finde, dasSchlimmste ist, dass Sie eine große Errungenschaft desbisher verfolgten Weges gefährden, nämlich die Beteili-gung möglichst breiter Bevölkerungskreise. Nichtstunhat bekanntlich schon viel Unheil erspart. Aber in die-sem Fall ist es anders. Die Energiewende erfordert Tat-kraft, Ausdauer und Mut, und die haben Sie nicht.
Wollen Sie noch regieren? Wir sind gerne bereit, dieseAufgabe zu übernehmen.Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Erik
Schweickert das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es geht heute um hoheStrompreise.
Sie sind das Resultat einer verfehlten Energiepolitik vonRot-Grün.
Das muss man hier zu Anfang einmal deutlich betonen;denn die Fehlentwicklungen, die zu dem heute so hohenStrompreis geführt haben, dass wir darüber diskutieren,haben Sie zu verantworten.
Eigentlich müssten Sie in den Keller gehen, Buße tunund dem Verbraucher erklären, dass er heute 5,277 Centpro Kilowattstunde mehr für seinen Strom bezahlenmuss, weil Rot-Grün die Solarlobby mit dem EEG be-glückt hat.
Wir reden heute im Prinzip über den Trittin-Soli. Stattder angestrebten 5 D-Mark für den Liter Benzin habendie Grünen jetzt eine EEG-Umlage von gut 5 Cent proKilowattstunde erreicht. Das ist der Grund dafür, dasswir heute hier zusammen sind.
Sie betreiben hier reine Augenwischerei, indem Sie sotun, als ob Schwarz-Gelb für den Preisanstieg verant-wortlich ist. Nein, Ursache dafür ist Ihr Erneuerbare-Energien-Gesetz aus 2000.Sie haben Traumrenditen über 20 Jahre versprochen,damit Sie das Ganze von den Verbrauchern nehmenkonnten. Das wollen Sie nicht mehr wissen. Es gibt einDokument des Bundesumweltministerium vom 21. Juli.Ich zitiere den Titel:Die wichtigsten Merkmale des Gesetzes für denVorrang Erneuerbarer Energien …Dort heißt es – ich zitiere noch einmal –:Das EEG sorgt für den Ausbau der umweltschonen-den erneuerbaren Energien nicht durch Subventio-nen, sondern durch eine Umlage.
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24132 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Dr. Erik Schweickert
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In der Realität heißt das, dass die Verbraucher das heutedurch ihre Stromrechnung spüren.
– 2004.
Diese Umlage ist nichts anderes als eine Subventiondurch den Verbraucher, die Sie ihm aufladen.Ihr Herr Trittin versucht jetzt, den Verbrauchern Sandin die Augen zu streuen, indem er vom eigenen Versagenablenkt. Sie behaupten, die hohen Strompreise seien derEntlastung der Unternehmen zu verdanken. Schauen wiruns das doch einmal an: Von 3,6 Cent pro Kilowatt-stunde der EEG-Umlage
waren 0,6 Cent Folge der Entlastung der energieintensi-ven Unternehmen. Merken Sie etwas? 0,6 Cent gegen-über 3 Cent!Es ist also klar, wer der wahre Strompreistreiber ist.Es ist ganz sicherlich nicht die Industrie;
denn dieses Gesetz sorgt im Gegensatz zu einem HerrnTrittin für eine Entlastung von Unternehmen, die850 000 Arbeitsplätze in Deutschland zur Verfügungstellen. Das haben Sie früher auch schon einmal bessergewusst, nämlich im Jahre 2003, als Sie eine ÄnderungIhres Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen ha-ben.
Damals haben Sie die Härtefallregelungen eingeführtund geschrieben – ich zitiere wieder –:Ziel der nachstehenden Regelung ist es, eine erheb-liche und nicht nur vorübergehende Beeinträchti-gung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Unterneh-men zu vermeiden.
Also stellen Sie sich doch bitte nicht hin und kritisie-ren das. Sie waren auch schon einmal ehrlicher in die-sem Punkt.
Herr Kollege Schweickert, erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Lenkert?
Ja.
Herr Lenkert, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege
Schweickert, Sie sprachen gerade davon, dass die ener-
gieintensive Industrie nicht beteiligt ist. Nach einer Stu-
die von Arepo Consult wird die energieintensive Indus-
trie durch die Befreiungstatbestände jährlich um
10 Milliarden Euro entlastet – über alles gerechnet. Die
Befreiung von der EEG-Umlage entlastet sie um 3 bis
4 Milliarden Euro, und auch die Stromsteuerbefreiung
und die Netzentgeltbefreiung machen jeweils mehrere
Milliarden Euro aus. All diese Befreiungen sind vom
Verbraucher, von uns, über ihre Stromrechnungen für zu
Hause zu bezahlen.
Um das hier auch einmal zu sagen: Der Industrie-
strompreis beträgt in Deutschland unter 4 Cent je Kilo-
wattstunde bei Direktabnahme. Ich zahle 26 Cent je Ki-
lowattstunde und frage Sie, ob es nicht gerechtfertigt
wäre, dass wenigstens ein Teil dieser Kosten zurückver-
lagert wird. Alleine die Befreiung von den Netzentgelten
macht inzwischen fast 2 Cent je Kilowattstunde des
Strompreises aus, die wir als Verbraucher mitbezahlen.
Ihre Regierung, Ihre Koalition, hat jetzt den Offshore-
betreibern noch ein neues Geschenk gemacht. Die Ver-
braucherinnen und Verbraucher – die Kollegin von der
SPD sprach es an – müssen jetzt nämlich die Anschluss-
kosten für die Offshorewindparks und gleichzeitig auch
noch die Kosten für die Versicherung übernehmen, falls
es nicht rechtzeitig zum Anschluss kommt.
Schon jetzt ist bekannt, dass wir 1 Milliarde Euro da-
für zahlen müssen, was für uns Verbraucherinnen und
Verbraucher drei Jahre lang ein zusätzliches Netzentgelt
von 0,25 Cent pro Kilowattstunde bedeutet. Ist Ihnen das
bekannt, und was wollen Sie dagegen unternehmen?
Bitte schön.
Herr Kollege, das war jetzt sehr viel. Ich hoffe, ichhabe die Frage richtig verstanden. Sie sprechen davon,dass Geschenke gemacht werden. Wer in dieser Situationvon Geschenken spricht, der hat den Schuss nicht richtiggehört;
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24133
Dr. Erik Schweickert
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denn unsere energieintensiven Unternehmen stehen imWettbewerb. Ich habe Ihnen gerade die Zahlen genannt.Angesichts der Kosten von 3 Cent pro Kilowattstundefür die EEG-Umlage, wovon die Ausnahmen für die Un-ternehmen nur 0,6 Cent ausmachen, können Sie nichtvon Geschenken reden. Es bringt auch dem Verbrauchernichts, wenn er nachher seinen Arbeitsplatz verliert, weilwir die Ausnahmetatbestände abgeschafft haben undsein Unternehmen schließen musste. Aber nochmals: Esgab Parteien wie die Grünen, die diese Ausnahmen da-mals in den Gesetzestext hineingeschrieben haben.Sie haben gefragt: Wie kommen wir zu bezahlbaremStrom? Wir alle wissen, dass wir mit den Bestandsgaran-tien leben müssen. Diese sind von der damaligen Regie-rung gegeben worden. Was tun wir? Wir sorgen dafür,dass das weitere Ansteigen des Strompreises gebremstwird. Aber zurzeit ist es so, dass die Opposition im Bun-desrat alles verhindert, was man in diesem Bereich tut.Beim Thema Stromsteuer kann ich nur auf den Kolle-gen Morlok und die vorliegenden Vorschläge verweisen.Diesen Weg können wir gerne gemeinsam gehen und dieWindfall Profits, die dabei entstehen, an die Verbraucherweitergeben. Dafür werden wir uns einsetzen. Aber bittetun Sie hier nicht so, als ob das alles Geschenke seien.Der Verbraucher muss dafür bezahlen.Das EEG ist nicht mehr zukunftsfähig.
Wir müssen umsteuern, um zu einer bürgernahen Ener-giepolitik zu kommen; denn der Strom in Deutschlandmuss bezahlbar bleiben. Die Energiewende darf hiernicht auf dem Rücken der Verbraucher ausgetragen wer-den.
Wir wollen den Umstieg auf die erneuerbaren Energien,aber zu akzeptablen Preisen. Es kann auch nicht sein,dass man dann Sozialtarife und Abwrackprämien fürEnergiefresser fordert. Es ist keine Lösung, Subventio-nen dadurch zu begegnen, dass man immer weitere Sub-ventionstatbestände schafft. Ich weiß auch nicht, wieman das in diesem Bereich rechtfertigen soll.Eine weitere staatliche Überdeckung zulasten derVerbraucher darf es in diesem Bereich nicht geben. Des-wegen werden wir uns diesen Vorschlägen, die weitereAusgaben und weitere Subventionen vorsehen, entschie-den entgegenstellen.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt das Wort der Kollege Johannes Röring von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
die ganze Zeit gedacht, wir würden über die Energie-
wende sprechen, eigentlich ein Erfolgsmodell. Ich bin zu
der Erkenntnis gekommen, nicht nur durch diese De-
batte, sondern auch durch die vorhergegangenen zu ei-
nem ähnlichen Thema: Wenn Sozialpolitiker über Wirt-
schaft reden, dann kann das nur schiefgehen. Ich bin sehr
froh, dass Peter Altmaier
für die Fortentwicklung der Energiewende verantwort-
lich ist, die ein wichtiges Thema für uns als Kolitions-
fraktion ist.
Eigentlich wollten wir über etwas anderes sprechen,
und zwar über den Antrag der Linken, in dem es um eine
soziale Energiewende und um bezahlbare Strompreise
geht. Ich habe in Ihrem Antrag etwas über kostenlose
Stromkontingente gelesen. Dazu stelle ich die Frage:
Sind diese wirklich sozial? Ich sage Ihnen: Sie sind nicht
sozial. Wissen Sie, wer das am Ende bezahlen muss?
Fleißige Handwerker, fleißige Arbeitnehmer, die jeden
Morgen zur Arbeit gehen und ihre Steuern zahlen. Sie
bezahlen dann am Ende mit ihren Abgaben diese Trans-
ferleistungen. Da sage ich Ihnen ganz deutlich: Das ist
nicht sozial.
Arbeitslosigkeit bekämpft man nicht durch das Aufblä-
hen von Transferleistungen, sondern dadurch, dass man
Menschen in Lohn und Arbeit bringt. Das macht die
CDU/CSU sehr deutlich. Sozial ist, was Arbeit schafft.
Die Linke kritisiert die Befreiung der energieintensi-
ven Unternehmen von der EEG-Umlage als Privilegie-
rung der Großindustrie. Ich sage Ihnen sehr deutlich:
Unsere Industrieunternehmen stehen im Wettbewerb mit
Unternehmen in Ländern, in denen es kein EEG gibt. In
Frankreich etwa sind die Stromkosten noch nicht einmal
so hoch wie unsere EEG-Umlage.
Insofern ist es an dieser Stelle mehr als notwendig, diese
Befreiungstatbestände zu gewähren; denn wir wollen in
diesen energieintensiven Wirtschaftszweigen wettbe-
werbsfähige Unternehmen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Kipping?
Ja, bitte.
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Herr Röring, diese Zwischenfrage ist leider notwen-
dig, weil Sie gerade das Modell der Linken zu einem So-
ckeltarif vollkommen falsch und verzerrt wiedergegeben
haben. Sie haben hier – wie im Übrigen schon oft die
Kollegen der Koalition – versucht, Erwerbslose gegen
Handwerker und Beschäftigte auszuspielen. Ich muss
aber sagen: Wie so oft ging dieser Vorwurf bzw. dieser
Versuch an der Sache vorbei. Wenn Sie sich die Mühe
gemacht hätten, das linke Modell genau anzuschauen,
wäre Ihnen das aufgegangen.
Insofern frage ich Sie, warum Sie sich das nicht genau
angeschaut haben. Dann hätten Sie bemerkt, dass von
unserem Modell eben alle – Soloselbstständige, Hand-
werker, Beschäftigte und Hartz-IV-Betroffene – profitie-
ren; denn unser Modell des Gratis-Sockels ist für alle
Haushalte vorgesehen. Finanziert wird es durch eine
stärkere Bepreisung des Stroms, der darüber hinaus ver-
braucht wird. Ich habe es dargelegt. Unser Modell be-
vorteilt all diejenigen Haushalte, die weniger Strom ver-
brauchen, als es der Durchschnitt macht. Das heißt, es
gibt sehr wohl eine soziale Dimension; denn wir wissen,
dass Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen
einen höheren Stromverbrauch haben. Sie könnten aber
gegensteuern, indem sie einfach weniger Strom verbrau-
chen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Ihr
Versuch, Erwerbslose gegen Handwerker auszuspielen,
mal wieder danebengegangen ist?
Ich habe beim Lesen Ihres Antrages nur feststellen
können, dass es ein linkes Modell ist,
das mit Umverteilung arbeitet. Dazu sage ich ganz deut-
lich: Das Umverteilen muss von irgendwem bezahlt wer-
den. Deshalb habe ich die fleißigen Menschen angespro-
chen, die das mit Lohnsteuern bzw. Einkommensteuern
bezahlen müssen. Ich habe deutlich gesagt: Das ist für
mich nicht sozial. Wir müssen, wenn wir über große Un-
ternehmen sprechen, auch die Zulieferer, die kleinen
mittelständischen Unternehmen, die ganz klar von die-
sen Entwicklungen profitieren, sehen.
Ich komme noch einmal ganz kurz auf das EEG ins-
gesamt zurück. Wir in der Koalition haben ganz deutlich
gesagt, dass wir die Einspeisungstarife – gerade bei PV –
herunterfahren müssen. Meine Damen und Herren, ich
schaue in die ersten Reihen der Opposition. Als wir an-
gekündigt haben, die EEG-Umlage bzw. die EEG-Ver-
gütung bei PV, auch gemessen an der Kostensenkung bei
den Anlagen, deutlich abzusenken, standen einige aus
der ersten Reihe der Opposition mit den Solarkönigen
– Sonnenkönige kann man auch sagen – hier vor dem
Bundestag und haben demonstriert.
Uns wurde vorgeworfen, wir machten die gesamte So-
larindustrie kaputt. Das muss man an der Stelle ganz
deutlich sagen.
Wir wissen, dass die EEG-Umlage sehr hoch ist. Ich
bezweifle auch gar nicht, dass es für die Bürger eine sehr
große Anstrengung ist, diese mitzahlen zu müssen. Ich
erkenne aber bei Ihnen kein Konzept, wie wir die Ener-
giewende marktwirtschaftlich gestalten können. Wir ha-
ben jetzt mittlerweile einen 25-prozentigen Anteil rege-
nerativer Energien. Das ist weit über Plan bzw. weit
mehr, als sich jeder von Ihnen hätte erträumen lassen.
Dass wir jetzt bei 25 Prozent angelangt sind, ist im
Grunde eine Erfolgsgeschichte. Sie wollen das im Mo-
ment zerreden.
Herr Kollege Röring, auch der Kollege Kelber hat das
Bedürfnis, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. Ich sage
aber gleich, dass es die letzte Zwischenfrage ist, die ich
zulasse.
Herr Kollege, Sie haben gerade kritisiert, dass die Op-
position die Absenkung der PV-Vergütung verzögert
habe. War es vom Ablauf her nicht vielmehr so, dass
sich die Koalition am 29. März 2012 auf die Absenkung
zum 1. April verständigt hatte und dass dann nach der
gemeinsamen Sitzung im BMU mit der hiesigen Opposi-
tion zum 1. April genau diese Absenkung kam? Die ge-
samte Debatte lief nämlich nur über technische Fragen.
Da ging es zum Beispiel um Überbürokratisierung mit
einem dritten Zähler im Keller etc. Ist es nicht so, dass
kein einziger Cent durch die Opposition verlorenging
und dass kein einziger Tag Verzögerung durch die Oppo-
sition bewirkt wurde?
Herr Kelber, ich habe nicht nur das 2012er-EEG an-gesprochen; beim 2009er ist es ähnlich. Ich habe einfachmeine Beobachtung geschildert, dass bei der notwendi-gen Absenkung, die wir eigentlich noch etwas ehrgeizi-ger wollten, von Ihnen – auch von Ihnen persönlich – zu-sammen mit anderen erheblicher Widerstand kam.
Das hatte einen medialen Druck ausgeübt, der nicht un-bedingt günstig war für die schnelle Absenkung, die wirwollten.
Ich komme zum Schluss. Ich bin froh, dass wir mitPeter Altmaier, Herrn Rösler und vor allen Dingen unse-rer Bundeskanzlerin keine Politiker haben, die ruckartig,schnell und von heute auf morgen vorgehen. Ihnen gehtes vielmehr darum, die Energiewende in langfristigerPerspektive zum Gelingen zu führen. Es ist ein schwieri-ges Manöver. Ich stelle fest: Wenn Rot-Grün das machen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24135
Johannes Röring
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müsste, würde es nur Schiffbruch erleiden. Die Anträgevon Grünen und Linken lehnen wir somit ab.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/10800 und 17/11030 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der
CDU/CSU und FDP wünschen Federführung jeweils
beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wün-
schen Federführung jeweils beim Ausschuss für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Ich lasse zuerst abstimmen über die Überweisungs-
vorschläge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen. Wer stimmt für diese Überweisungsvor-
schläge? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Über-
weisungsvorschläge sind abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustim-
mung der Linken und der Grünen.
Ich lasse nun abstimmen über die Überweisungsvor-
schläge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Techno-
logie. Wer stimmt für diese Überweisungsvorschläge? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Überweisungs-
vorschläge sind mit dem gleichen Stimmenverhältnis nur
in umgekehrter Form angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung der steuerlichen För-
– Drucksache 17/10818 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ZuRecht ist das Thema der Altersvorsorge hier im Parla-ment ein Dauerbrenner, es bleibt eines der wichtigstenThemen auf der Tagesordnung.Die größte Herausforderung in den nächsten 20 Jah-ren ist für uns die demografische Entwicklung, das heißt,der Altersaufbau unserer Gesellschaft. Wir haben derzeitin Deutschland etwa 20,5 Millionen Rentenbezieher, undnach den Prognosen werden wir in 20 Jahren etwa 30 Mil-lionen Rentenbezieher haben. Für die meisten ist diewichtigste Säule nach wie vor die gesetzliche Rentenver-sicherung. 17 Millionen deutsche Arbeitnehmer habenbereits eine betriebliche Altersvorsorge. Inzwischen ha-ben auch etwa 15,6 Millionen einen Riester-Vertrag ab-geschlossen, das heißt, sie sorgen auch privat durch einestaatliche geförderte Altersvorsorge vor.Die Riester-Rente ist inzwischen zehn Jahre alt. Vorzehn Jahren ist diese Rentenform unter Rot-Grün aufge-baut worden. Die Große Koalition hat sie vor wenigenJahren erweitert, beispielsweise durch eine deutlich bes-ser steuerlich geförderte Kinderzulage und auch durchden Einbezug der eigenen Immobilie in den Förderpro-zess.Mit dem Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz wollenwir die bestehende Rechtslage deutlich verbessern undflexibler gestalten; denn der Markt ist für den einzelnenKonsumenten, der später eine Riester-Rente beziehenmöchte, doch sehr komplex und sehr kompliziert: Mankann einen Abschluss tätigen über eine Rentenversiche-rung, man kann ihn tätigen über einen Sparvertrag, einenInvestmentvertrag oder beispielsweise über einen soge-nannten Wohn-Riester-Vertrag, also einen Bausparver-trag.Hier gibt es gute Anbieter, aber auch viele schlechteAnbieter, wie mancher Test, zum Beispiel bei Finanz-test, in den letzten Jahren gezeigt hat. Deswegen ist esunser Ziel, die bestehende Situation transparenter, flexi-bler zu gestalten und bürokratische Hindernisse zu ver-meiden.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dazu möchteich Ihnen fünf Positionen aus dem Entwurf des Alters-vorsorge-Verbesserungsgesetzes vortragen.Die Erste ist das sogenannte Produktinformations-blatt. Für den einzelnen Nutzer des Riester-Sparvertra-ges wird es grundsätzlich ein Produktinformationsblattgeben, in dem gebündelt, leicht verständlich und auchstandardisiert die Leistungen, die Garantien und auch dieKosten dargestellt werden; denn für uns ist einer derwichtigsten Punkte, dass der Wettbewerb durch mehrTransparenz gestärkt wird, dass der Einzelne erkennt,welche Kosten, Leistungen und Garantien im Vertragenthalten sind. Es geht hier auch um eine Kostenreduzie-rung für den Verbraucher, indem er erkennt, welcherVertrag der günstigste für ihn ist.
Wir haben in diesem Gesetzentwurf ausdrücklichfestgehalten, dass für den Einzelnen ein Anbieterwech-sel möglich ist. Es kann sich für den Riester-Sparer eine
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24136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Klaus-Peter Flosbach
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neue persönliche Situation ergeben. Deswegen soll auchein Anbieterwechsel möglich sein.Wir haben allerdings auch erfahren, dass vielfach ver-sucht wird, aus bestehenden Verträgen abzuwerben,möglicherweise aus Provisionsgründen. Deswegen wer-den neue Verträge aufgrund eines Anbieterwechsels nurmaximal mit 50 Prozent der üblichen Abschluss- undVertriebskosten belegt werden können.Meine Damen und Herren, inzwischen hat der soge-nannte Wohn-Riester eine sehr hohe Bedeutung. Diesengab es zu Beginn der Riester-Förderung noch nicht.80 Prozent der Deutschen wünschen sich eine eigeneImmobilie, ein eigenes Haus, eine eigene Wohnung, abernur etwa 40 Prozent können diesen Wunsch verwirkli-chen. Dazu ist die Förderung in diesem Bereich ein sehrwichtiger Baustein; denn wir haben heute nicht mehr dieEigenheimförderung, wie wir sie früher einmal hatten– bekannt unter den §§ 7 b, 10 e Einkommensteuerge-setz –, und andere Fördermöglichkeiten.Bisher gab es nur zwei Möglichkeiten, das Guthabenaus diesem Vertrag zu entnehmen. Eine Möglichkeit be-stand in der Kauf- oder Bauphase. Es musste also einKauf, eine Anschaffung getätigt werden, oder es mussteeine Herstellung vorgenommen werden, indem gebautwurde. Nur in dieser Phase konnte der Sparer sein Gut-haben entnehmen. Eine weitere Möglichkeit bestand,wenn er ins Rentenalter kam. Dann konnte er das Gutha-ben entnehmen, um damit möglicherweise Kredite abzu-bauen.Das entspricht aber nicht dem Wunsch der Riester-Sparer; denn sie möchten jederzeit über das Guthabenverfügen, um möglicherweise zwischendurch Entschul-dungen vornehmen zu können. Deswegen ändern wirdas Gesetz an der Stelle, indem wir sagen: Jederzeitkann der Sparer sein Guthaben entnehmen. Das schafftfür ihn Klarheit und Sicherheit, und er kann seine Finan-zierung in seinem Sinne selbst kalkulieren.
Zum Bereich des Wohn-Riesters gehört auch die Be-steuerung des Wohnförderkontos. Wer eine Förderungbekommt, muss im Alter auch Erträge versteuern. Dasgilt auch für die Wohnimmobilie.Hierzu gab es zwei Möglichkeiten: Man konnte dasratierlich, ausgedehnt bis zum 85. Lebensjahr machenoder sich in einer Einmalzahlung der Steuerpflicht entle-digen. Auch hier sagen wir nun: Jederzeit kann der Spa-rer diese Steuern abführen. Er wird damit auf alle Zeitenvon weiteren Steuerzahlungen befreit. Wenn er die Mög-lichkeit der Einmalzahlung in Anspruch nimmt, erhält er30 Prozent Rabatt auf die Steuerzahlung.Ein weiterer Punkt in diesem Bereich ist folgender:Für uns ist sehr wichtig, dass diese Förderung nicht nurfür den Fall in Anspruch genommen werden kann, dassman baut, kauft oder im Alter das Darlehen ablösen will;denn für viele ist das Guthaben in dem Riester-Vertragoftmals das einzige Guthaben, das sie haben, um bei-spielsweise im Alter das Haus oder die Wohnung alters-gerecht, behindertengerecht oder barrierefrei umzu-bauen. Es war bisher untersagt, das Geld dafür zuverwenden. Auch das ändern wir jetzt. Das ist ein beson-derer Wunsch der Bürger. Ich glaube, diesem Wunschgerecht zu werden, kann nur der richtige Weg sein, liebeKolleginnen und Kollegen.
Ich möchte noch kurz einen weiteren Baustein erwäh-nen. Es geht um die Erwerbsminderungsrente. Bisherkönnen nur 15 Prozent der Beiträge zur Riester-Rentefür die Erwerbsminderung genutzt werden. Wir erhöhendies leicht auf 20 Prozent. Das ist nur ein kleiner Bau-stein. Aber wir haben auch die Möglichkeit geschaffen,in der sogenannten Basisrente die Erwerbsminderungstärker zu fördern. Das heißt, wer einen Vertrag über diesogenannte Basisrente oder Rürup-Rente abschließt,kann beispielsweise seine Beiträge zur Berufsunfähig-keitsversicherung absetzen, wenn neben der Absiche-rung der möglichen Berufsunfähigkeit auch eine Alters-rente gezahlt wird.Wir haben insgesamt für den Aufbau einer eigenenzusätzlichen Altersvorsorge die Förderhöchstgrenze von20 000 Euro auf 24 000 Euro erhöht. Sehr viele Men-schen sind nicht in der gesetzlichen Rentenversicherungund können auch nicht auf eine betriebliche Altersver-sorgung oder auf ein Versorgungswerk zurückgreifen.Ihnen bieten wir die Möglichkeit, Beiträge für eine ei-gene Altersvorsorge anzusammeln.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.Ich denke, diese Bausteine schaffen es, die Riester-Ver-träge deutlich attraktiver zu machen. Ich erinnere dieKollegen der SPD-Fraktion daran, dass immerhin HerrWalter Riester vor wenigen Tagen bei der Hauptstadt-messe der Fonds Finanz in Berlin deutlich gesagt hat,dass dies eine ausgesprochen attraktive Verbesserung derRiester-Rente ist.Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin
Petra Hinz.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Flosbach, Sie ha-ben das alles gerade sehr charmant und gewinnend vor-getragen.
– So ist er halt. Das kann ich in der Tat bestätigen. Aberdas ist das Einzige, das ich heute bestätigen werde.
Was Sie vorgetragen haben, hört sich vielleicht fürden Laien oder den, der an eine private kapitalgedeckteAltersvorsorge denkt, um damit sein Alter abzusichern,
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Petra Hinz
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sehr gut an. Aber jetzt wollen wir einmal zum Kleinge-druckten übergehen. Denn das, was Sie angesprochenhaben, bringt für die Nutzer von Rürup- und Riester-Rente zum Teil eine Ungleichgewichtung. Insofern istdas, was Sie gerade vorgetragen haben, Augenwischerei.
Wir haben vor der Sommerpause den Antrag derFraktion Die Linke „Altersvorsorge von Finanzmärktenentkoppeln“ im Plenum beraten und ihn an den Finanz-ausschuss weitergeleitet. Heute beraten wir in erster Le-sung den Gesetzentwurf der Regierungskoalition.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte über dieAltersvorsorge – das haben wir gerade gehört – beziehtsich eigentlich auf zwei Ebenen. Die eine Ebene ist dieRente im Allgemeinen, und die andere ist die kapitalge-deckte Altersvorsorge. Die erste Ebene wird sicherlichund zu Recht im Ausschuss für Arbeit und Soziales und,wie wir gerade gehört haben, auch in anderen Bereichendiskutiert, und die zweite bei uns im Finanzausschuss.Trotz alledem möchte ich gerne auch auf die ersteEbene eingehen, zumal Herr Flosbach gerade noch ein-mal auf die Bedeutung hingewiesen hat und die Zahlender zukünftigen Rentner bzw. der Nutzer genannt hat,also derjenigen, die bereits Riester- und vergleichbareVerträge abgeschlossen haben. Wir haben in unserer Re-gierungszeit 1998 bis 2009 dafür gesorgt, dass die ge-setzliche Rentenversicherung die zentrale Säule der Al-tersvorsorge bleibt.
Das haben Sie verschwiegen, Herr Flosbach.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union und derFDP, erinnern sich vielleicht an die Diskussionen zurAbschaffung der umlagefinanzierten gesetzlichen Ren-tenversicherung und zum völligen Umstieg auf eine pri-vat finanzierte kapitalgedeckte Altersvorsorge. Das istnoch gar nicht so lange her.In der Zwischenzeit kam die Finanzkrise. Die Finanz-krise hat deutlich gemacht, dass unser Weg der richtigeist: auf einer Seite die gesetzliche Rentenversicherung,auf der anderen Seite die privat durch Kapital gedeckteVorsorge und auf der dritten Seite die betriebliche Al-tersvorsorge. Auch das ist gerade genannt worden. Aberauch hier müssen wir der Deutlichkeit und Ehrlichkeithalber sagen: Nicht jeder hat die Chance und Möglich-keit einer betrieblichen Altersvorsorge.Heute reden wir also über die drei Säulen, die wir So-zialdemokraten gemeinsam mit den Grünen in der Koali-tion auf den Weg gebracht haben: die gesetzliche Rente,die betriebliche Altersvorsorge und die private, kapital-gedeckte Vorsorge. Richtig ist: Wir haben 2008 Wohn-Riester eingeführt und deutlich gemacht, dass alleRiester-Produkte vergleichbar sein müssen und dass kei-nes privilegiert wird. Ihr Gesetz, dessen Entwurf nunvorliegt, bedeutet eine Privilegierung von Wohn-Riester.Man muss in diesem Zusammenhang über die Frage dis-kutieren, ob eine Immobilie immer im klassischen Sinnezur Altersvorsorge taugt. Des Weiteren müssen wir imweiteren Beratungsverlauf über Doppelförderung undDoppelfinanzierung diskutieren.Die von uns mitgetragene Rentenreform und der Aus-bau privater Altersvorsorge als Ergänzung und nicht– ich betone das noch einmal – als Ersatz, wie von CDU/CSU und FDP gefordert, hatten vor allem das Ziel, dienachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversi-cherung zu sichern und die Belastung gerade jüngererGenerationen nicht zu groß werden zu lassen. Liebe Kol-leginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP, wennwir über die Rentenvorsorge diskutieren, dürfen wirnicht den Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt und denArbeitsplätzen aus den Augen verlieren. Menschen, diearbeiten und letzten Endes aufstocken müssen, alsoArbeitslosengeld II beziehen, werden natürlich keineRiester-Verträge abschließen – seien diese noch so opti-mal für die Gruppe der Geringverdiener zugeschnitten –,weil sie mit dem, was sie für ihre Arbeit erhalten, garnicht auskommen. Sie haben also kein auskömmlichesEinkommen. Insofern stellt sich hier die Frage nach derEhrlichkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass Mindest-löhne eingeführt werden, dass für gleiche Arbeit dergleiche Lohn gezahlt wird und dass Frauen bei gleicherQualifikation entsprechend gefördert und berücksichtigtwerden. Das sind Ansätze, die es Menschen ermögli-chen, während ihres Berufslebens für das Alter anzuspa-ren und so nicht in Altersarmut zu geraten.
Über die Erfahrungen, die wir in den letzten zehn Jah-ren mit Riester und seit 2008 mit Rürup gesammelt ha-ben, haben wir bereits vor der Sommerpause hier disku-tiert. Wir haben eingeräumt: Es gibt Optimierungs- undTransparenzbedarf. Genau diesen Punkt Ihres Gesetzent-wurfs greifen wir möglicherweise positiv auf. Aber eshandelt sich nur um einen Punkt. Die Produktinforma-tionsblätter müssen so gestaltet sein, dass die Produktenachvollziehbar, transparent und vergleichbar sind. Demkönnen wir so zustimmen. Bereits in der Debatte vor derSommerpause, als wir uns zum ersten Mal aufgrund ei-nes Antrags der Fraktion Die Linke damit befasst haben,haben wir Sozialdemokraten darauf verwiesen, dassauch Kostentransparenz gegeben sein muss. Die Gebüh-ren müssen gedeckelt werden. Am besten wäre es, wenngar keine Gebühren erhoben würden. Auf jeden Fallmuss das auf den Prüfstand gestellt werden. Die Kosten-transparenz muss optimiert werden.Der Gesetzentwurf geht sicherlich in die richtigeRichtung. Aber gemessen an Ihren großen Ankündigun-gen muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Sie sind als Bett-vorleger gelandet. Sie haben zwar viel Wind gemachtund für Wirbel gesorgt. Aber unter dem Strich haben Sienichts auf den Weg gebracht.Ein anderer Punkt, den wir in der Diskussion über diesteuerliche Förderung der kapitalisierten Altersvorsorgeangesprochen haben, ist die Grundsicherung. Für viele
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Petra Hinz
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Menschen ist ein Grund, keinen Riester-Vertrag abzu-schließen, dass sie sich ausrechnen, aufgrund des gerin-gen Entgelts, das sie für ihre Arbeit bekommen, im Alterin die Grundsicherung zu geraten. Das ist ein großerBaustein; das müssen wir angehen. Es kann nicht sein,dass das, was für das Alter angespart wird, möglicher-weise angerechnet wird. Nein, auch denjenigen, dieGrundsicherung beziehen, müssen die Erlöse derRiester-Rente zur Verfügung gestellt werden.
Wir sind jetzt im parlamentarischen Prozess und wer-den über den Gesetzentwurf diskutieren, ihn beraten.Unsere Verbesserungsvorschläge werden wir einbringen.Ich kann Ihnen nochmals bestätigen und auch zusa-gen: Die Punkte, in denen Sie uns gefolgt sind, nämlichim Bereich der Transparenz und der Gebührendecke-lung, werden wir gern mittragen.Warum Sie bei der Basisrente im Alter die Förder-höchstgrenze von 20 000 Euro auf 24 000 Euro erhöhenund damit eine einseitige Förderung vornehmen wollen,die Förderhöchstgrenze bei der Riester-Rente aber bei2 100 Euro belassen wollen, das müssen Sie uns schonnoch erklären. Es sind einige Fragen, die geklärt werdenmüssen. In diesem Zusammenhang ist das, wie eben ge-sagt, die Frage, warum Sie die Förderhöchstgrenze ohneNot auf 24 000 Euro erhöhen wollen, obwohl doch bei20 000 Euro die Abschöpfung noch nicht erreicht ist.
Das sind die Fragen, die wir im Rahmen der Beratungennoch ansprechen werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinnewünsche ich uns eine gute Beratung. Vielen Dank fürIhre Aufmerksamkeit. Wie wir im Ruhrgebiet sagen:Glück auf!Ich hoffe, Ihnen ist bei meinen Ausführungen deutlichgeworden, lieber Herr Flosbach, dass wir über die steu-erlichen Fragen reden können, aber Ursache und Wir-kung nicht verwechseln dürfen.
Faire Löhne und ein auskömmliches Einkommen sindsehr wichtig, wenn man eine Altersvorsorge aufnehmenwill. Nur wer faire Löhne bekommt, kann auch für seinAlter vorsorgen.Wir haben eine Verantwortung für die junge Genera-tion. Wir können ihr nicht immer mehr aufbürden. Wirsollten deutlich ansprechen, ob wir mit Ihrem Gesetzent-wurf Klientelpolitik betreiben oder ob wir gleiche Förde-rung für alle, Riester- und Rürup-Verträge, gewährenwollen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von
der FDP-Fraktion.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsi-dent! Frau Hinz, bevor Sie hier Vermutungen äußern,sollten Sie sich über die Sachlage informieren.
Schon heute ist es so, dass auf die Grundsicherung dieRürup-Rente, also die Basisrente, wie auch die Riester-Rente nicht angerechnet werden.
– Nein, das ist schon heute der Fall.Das Gesetz trägt den richtigen Namen, nämlich „Al-tersvorsorge-Verbesserungsgesetz“; denn darum geht es.Wir wollen letztendlich die Flexibilität und den Spiel-raum für die individuelle Altersvorsorge verbessern– das ist das Ziel dieses Gesetzes –, und das machen wirauch; das machen wir sehr konkret.Was wir zum Beispiel beim Wohn-Riester einführen,ist letztendlich nichts anderes als die Schaffung des Ka-pitalwahlrechts, damit die Menschen selbst entscheidenkönnen, was sie mit ihrem Geld machen, ob sie es ver-renten lassen, ob sie es in ihre Immobilie investierenoder in der Rentenphase zur Tilgung für ihre Immobilienutzen. Das ist mehr Freiheit, die die Menschen durchdas Gesetz bekommen.Das Gesetz folgt auch, finde ich, steuerpolitisch ei-nem richtigen Ansatz; denn steuerpolitisch muss es egalsein, ob man heute konsumiert oder im Alter konsumiert.Aber das ist in unserem Steuerrecht leider nicht so. Wernormal spart, dem nimmt der Staat von den Zinsen, vonder Ernte, jedes Jahr etwas weg.
Wenn man das über einen langfristigen Sparprozess be-trachtet, erkennt man: Der Staat nimmt nicht nur 25 Pro-zent plus Soli plus Kirchensteuer weg, sondern er wirddem Normalverdiener am Ende 50 bis 60 Prozent weg-genommen haben.Deshalb hat Rot-Grün das damals geschaffen. Sie vonRot-Grün haben nämlich Anreize dafür geschaffen, dassSparen nicht diskriminiert wird, sondern dass Sparen ge-nauso behandelt wird wie der Konsum heute. Das iststeuerpolitisch aus meiner Sicht genau richtig.
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Frank Schäffler
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– Das ist kein Skandal,
sondern das ist genau richtig.Aber was falsch ist, ist das, was Ihr Parteivorsitzendervorgeschlagen hat, nämlich dass man aus individuellemfreiwilligen Sparen eine Pflicht zum Sparen macht. Dasist genau der falsche Ansatz. Wir wollen die Menschennicht zu ihrem Glück zwingen, ihnen nicht vorschreiben,ob sie heute sparen oder morgen sparen, ob sie heutekonsumieren oder morgen konsumieren, sondern wirwollen, dass die Menschen das selbst entscheiden, auchentscheiden, woraufhin sie sparen. Das ist entscheidend.
Was Ihr Parteivorsitzender vorgeschlagen hat, ist imKern ein Angriff auf das Eigentum der Bürger. Er hatvorgeschlagen, dass 2 Prozent des Einkommens in einebetriebliche Altersvorsorge eingezahlt werden müssen.Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Jemand,der monatlich 2 000 Euro verdient, soll nach dem Vor-schlag Ihres Parteivorsitzenden jedes Jahr zwangsweise480 Euro in eine betriebliche Altersvorsorge einzahlen.Das kann doch keine vernünftige Forderung sein. WennMenschen für eine Immobilie sparen, haben sie viel-leicht gar nicht die Möglichkeit, zusätzlich etwas füreine betriebliche Altersvorsorge beiseitezulegen.
– Von Ihrem Parteivorsitzenden rede ich.
Er hat das vorgeschlagen, das ist sein Papier „Altersar-mut bekämpfen – Lebensleistung honorieren – FlexibleÜbergange in die Rente schaffen“.
Ihr Parteivorsitzender hat vorgeschlagen, dass jeder Ar-beitnehmer, der 2 000 Euro Einkommen hat, 480 Euro ineine betriebliche Rente einzahlen soll.Das ist keine soziale Politik, sondern Gängelung desSparers; geben Sie es doch zu!
– Doch, das ist soziale Politik: weil wir die Menschen indie Lage versetzen, so vorzusorgen, wie sie es für richtigempfinden,
ob durch Vorsorge für die Ausbildung der Kinder, obdurch Sparen auf eine Immobilie, ob durch eigene Al-tersvorsorge. Das ist eine Entscheidung, die jeder Ein-zelne höchstpersönlich treffen können muss.
Das darf Herr Gabriel den Menschen nicht vorgeben.Das ist nicht unsere Vorstellung von vernünftiger Politik.Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wirauf diese Krise, die ja eine Verschuldungskrise ist,
anders reagieren als Sie. Auf eine Verschuldungskrisemuss man mit einer Sparkultur reagieren. Das heißt, mandarf Sparen nicht diskriminieren. Zur Wahrheit gehört:Inflation und finanzielle Repression führen dazu, dassSparen unterminiert wird, dass Sparen unattraktiv wird.Deshalb müssen wir alle darauf achten, dass das, was dieMenschen in die Altersvorsorge stecken, durch Inflationoder finanzielle Repression nicht aufgezehrt wird.
Das wusste Ludwig Erhard, als er sagte:Die Inflation muß vielmehr als das hingestellt wer-den, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug amStaatsbürger, der um einen Teil seines Einkom-mens, aber noch mehr um seine Ersparnisse ge-bracht wird.Wir sollten alle darauf achten, dass das nicht stattfindet.Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege
Matthias Birkwald das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mit dem Entwurf des Altersvorsorge-Verbes-serungsgesetzes soll die Riester-Rente transparenter undvergleichbarer werden. Das hört sich für all jene, die sichschon mit dem Dickicht der privaten Altersvorsorge be-schäftigen mussten, gut an. Wer im Dunkeln steht, kanneine Taschenlampe gut gebrauchen.Auch wir Linken wollen, dass jene Menschen, die be-reits Riester-Verträge abgeschlossen haben, nicht allein-
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Matthias W. Birkwald
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gelassen werden. Doch die Linke will keineswegs zuse-hen, wie immer mehr Menschen in das Gestrüpp derprivaten Altersvorsorge geschickt werden; denn eine Ta-schenlampe ändert am Dickicht nichts. Die Linke willdas Dickicht roden, statt es nur ein wenig auszuleuchten.
Das ist dringend nötig, das wäre verantwortungsvoll,und das wäre auch machbar.Doch Union und FDP wollen die kapitalgedeckte Al-tersvorsorge stärken – so steht es im Gesetzentwurf –und dazu die Riester-Rente ein wenig aufhübschen. DieBundesregierung will uns glaubhaft machen, dass mitein wenig Nachhilfe die Riester-Rente sich so entwi-ckeln könnte wie das hässliche Entlein, das nach undnach zu einem prächtigen Schwan heranwächst. Daswäre eine gewaltige Entwicklung; doch daran zu glau-ben, würde in einer ebenso gewaltigen Enttäuschung en-den. Deswegen sollten wir darauf verzichten.
Meine Damen und Herren, in der Alterssicherungbrauchen wir keine Märchen, sondern Wahrhaftigkeit.Wir brauchen keine diffuse Hoffnung, sondern Sicher-heit. Wie schon Helmut Kohl sagte: „Entscheidend ist,was hinten rauskommt.“Wir brauchen keine milliardenschwere Riester-Förde-rung, sondern jeden Cent, damit die gesetzliche Rentewieder den Lebensstandard sichern und vor Altersarmutschützen kann. Das muss heute das Thema sein.
Darüber müssen wir reden. Dazu müssen wir die richti-gen Entscheidungen treffen.Union und FDP wollen mit dem Gesetzentwurf dieRiester-Vorsorge von einer ganz schlechten Leistung zueiner nur noch ein bisschen schlechten Leistung ummo-deln. Das reicht nicht.
Die unter SPD und Grünen beschlossene Rasur dergesetzlichen Rente war – das wissen wir heute alle – einevollkommen falsche Entscheidung. Die Altersarmutsteigt. Gestern stand es wieder in den Zeitungen. Mit derRiester-Rente sollte die politisch gerissene Rentenlückegeschlossen werden. Das – das ist heute klar – wirdvorne und hinten nicht hinhauen. Das weiß auch dieBundesregierung. In ihrem eigenen Rentenversiche-rungsbericht aus dem Jahr 2011 weist sie eindeutig nach:Früher, als es noch keine Riester-Einkünfte gab, hat diegesetzliche Rente allein mehr eingebracht als morgen diegesetzliche Rente und die Riester-Vorsorge zusammen-genommen. – Eine gesetzliche Rente, Frau Hinz, dienoch im Jahr 2009 1 000 Euro wert gewesen wäre, wirdselbst mit Riester im Jahr 2025 nur noch 987 Euro wertsein, und das trotz all der Milliarden, die der Staat dazu-gibt. Aber es kommt noch schlimmer. Diese Rechnungstimmt nämlich nur, wenn man durch eine rosarote Brilleauf die Kapitalmärkte blickt, so wie der KollegeSchäffler eben; denn die Regierung rechnet im Renten-versicherungsbericht mit 4 Prozent Verzinsung. Das istvollkommen unrealistisch.
Die ganze Riesterei ist sozialpolitisch – und das heißt:vor allem für die Versicherten – ein Riesenflop. Deshalbmuss Schluss damit sein.
Die Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre zeigensehr deutlich, dass die Altersvorsorge nicht dem Treibender Finanzmärkte und der Versicherungswirtschaft aus-gesetzt werden darf. Das Riester-Problem kann mit denInstrumenten des Verbraucherschutzes nicht gelöst wer-den. Mehr Transparenz bei Riester wird nicht zu mehrVernunft auf den Finanzmärkten führen, liebe Kollegin-nen und Kollegen von der FDP.Herr Schäffler, noch einmal an Ihre Adresse: Wer bis-her kein Geld für eine Riester-Vorsorge hatte, wird nichtplötzlich welches haben, nur weil die Riester-Angeboteleichter zu verstehen sind. Mehr Transparenz führt auchnicht dazu, dass die Menschen das notwendige biblischeAlter erreichen, um eine vernünftige Rendite aus derRiester-Vorsorge zu erhalten. Ich erinnere noch einmaldaran: Eine Frau, die vor zehn Jahren im Alter von35 Jahren eine Riester-Rente abgeschlossen hat, mussknapp 80 Jahre alt werden, um ihre eingezahlten Bei-träge wieder herauszubekommen. Will sie eine kleineRendite von 2,5 Prozent erhalten, muss sie 90 Jahre, bei5 Prozent Rendite muss sie 20 Jahre älter werden alsHerr Heesters, also 128 Jahre leben. Das heißt doch:Nicht allein die Umsetzung der Riester-Rente ist falsch,sondern das ganze Konzept ist falsch.
Letztendlich erweist sich die Teilprivatisierung der Al-tersvorsorge als ein gigantisches Förderungsprogrammfür die Versicherungswirtschaft. Deswegen verstehe ichauch, warum die FDP sich so sehr dafür einsetzt. Seit2002 brachte das Riester-Geschäft den Versicherern mehrals 36 Milliarden Euro ein. Angesichts der Finanzmarkt-krise ist eine weitere staatliche Subvention von privaterVorsorge bei gleichzeitigem Abbau der gesetzlichenRente unverantwortlich.
Allein an die sechs größten Anbieter von Riester-Ver-trägen sind mehr als 4 Milliarden Euro an Zulagen undrund 14 Milliarden Euro an Beiträgen geflossen. Trotzdieser immensen Summen weiß die Bundesregierungnicht, wie hoch die Rentenansprüche der Versichertensind. Sie weiß auch nicht, wie viel Kapital zur Deckungder Rentenansprüche zur Verfügung steht. Das haben wirabgefragt. Die Riester-Rente gaukelt Sicherheit vor, wokeine ist. Sie ist also nicht nur sozialpolitisch unsinnig,sie ist sogar gefährlich.
Union, FDP, aber auch SPD und Grüne nehmen das ein-fach so hin. Die Linke macht da nicht mit. Deswegenwollen wir das grundsätzlich ändern.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24141
Matthias W. Birkwald
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Die Linke fordert: Vorrang für die gesetzliche Rente!Die für die Riester-Rente ausgegebenen Steuersubven-tionen in Milliardenhöhe müssen endlich in die gesetzli-che Rente umgeleitet werden. Das Drei-Säulen-Prinzipvon gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvor-sorge ist gescheitert. Das müssen Sie doch endlich ein-mal zur Kenntnis nehmen. Wenn die Rente basierend aufdiesen drei Säulen hinterher niedriger ist als die früheregesetzliche Rente, dann kann man sagen: Sechs, setzen!
Das sagt übrigens nicht nur die Linke. Was ich sage,hat jüngst – natürlich viel freundlicher und wissenschaft-licher formuliert – das Institut für Makroökonomie undKonjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung mit derStudie „Auf dem Weg in die Altersarmut. Bilanz derEinführung der kapitalgedeckten Riester-Rente“ noch-mals eindrucksvoll dargelegt.Deswegen sage ich: Wir müssen jetzt die gesetzlicheRentenversicherung so wiederherstellen, dass sie denLebensstandard sichert und vor Altersarmut schützt.Ohne ein ausreichendes Rentenniveau von 53 Prozentvor Steuern werden nämlich auch Menschen mit gutenLöhnen keine guten Renten erhalten. Denn nur die ge-setzliche Rente bietet wirkliche Sicherheit und echte So-lidarität.Herzlichen Dank.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort derKollege Dr. Gerhard Schick.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Birkwald, das war jetzt nicht nur „Licht insDickicht bringen“, sondern Sie schlagen ja nichts ande-res als einen Kahlschlag vor.
In der deutschen Sprache gibt es hierfür noch ein an-deres Bild: das Kind mit dem Bade ausschütten. Nurweil es im Riester-Bereich Defizite gibt, heißt das dochnicht, dass man gleich alles abschaffen muss. Vielmehrgeht es darum, die vorhandenen Probleme konkret anzu-gehen. Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt.
Man kann nicht nur aus der momentanen Situation anden Finanzmärkten heraus argumentieren, das reichtnicht. Vielmehr sollte man grundsätzlich überlegen, obes nicht sinnvoll ist, eine Kombination aus umlagefinan-zierter Rente und kapitalgedeckter Rente anzustreben,weil beide unterschiedliche Stärken und Schwächen ha-ben.Unser grüner Weg lautet: Schwerpunkt der Altersvor-sorge bleibt die gesetzliche umlagefinanzierte Rente, esist jedoch richtig, eine ergänzende kapitalgedeckte Vor-sorge zu haben. Jetzt geht es darum, das Ganze optimalumzusetzen.Es gibt ein entscheidendes Problem: Wir stellen fest,dass eine Reihe von Produkten, die am Markt sind, fürsich genommen nicht attraktiv sind, sondern erst durchdie steuerliche Förderung attraktiv werden. Das heißt:Der Staat subventioniert mit Steuergeld Produkte, die ansich keine guten Produkte sind. Das können wir denSteuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht zumuten.Hier muss korrigiert werden.
Von daher ist die Grundintention, die Sie mit den Zie-len in Ihrem Gesetzentwurf niederschreiben, zunächsteinmal nicht falsch: Stärkung der Verbraucher im Marktund Verbesserung des Anlegerschutzes. Die Frage ist al-lerdings: Was machen Sie daraus? Setzen Sie diese Zielewirklich um, oder bleiben Sie auf halbem Wege stecken?Bei einem Blick auf die vorgetragene Kritik wird klar,dass der Reformbedarf insgesamt groß ist und man dahermit halben Schritten die Kernprobleme nicht wird lösenkönnen. Ein Kernproblem liegt im Vertrieb; dort bleibtviel zu viel Geld stecken. Viele müssen nach einigenJahren feststellen, dass sie zwar für eine Beratungsleis-tung mehr oder minder guter Qualität gezahlt haben,dass sie aber de facto nur sehr wenig Kapitel für ihre Al-tersvorsorge haben ansparen können. An dieses Problemmüssen wir herangehen.Wir müssen überdies darauf hinwirken, dass die Men-schen eine klare Vorstellung davon erhalten, wie vielGeld sie eigentlich ansparen. Es ist aufgrund der vorhan-denen Informationen bisher nur schwer möglich, zu er-kennen, welche Ansprüche im gesetzlichen umlagefi-nanzierten Rentensystem gesammelt und wie vieleGelder in der privaten und betrieblichen Vorsorge ange-spart wurden.Erst wenn man alle Ansprüche sinnvoll zusammen-rechnen kann, kommt man zu einer realistischen Ge-samtvorstellung und fühlt sich nicht mehr Vertretern soausgesetzt, die mit einer Altersarmutslücke argumentie-ren und Menschen damit möglicherweise zu falschenFormen der Vorsorge überreden.Deswegen ist uns wichtig, dass der Informationsflussverbessert wird. Das Produktinformationsblatt ist in die-sem Zusammenhang eine gute Idee. Es ist auch gut, dasses gesetzliche Vorgaben zu Aufbau, Optik und Inhaltdieses Informationsblattes geben soll. Hier sollten inter-nationale Erfahrungen aufgegriffen und einbezogen wer-den.Aber warum soll das nur für Neuverträge gelten undnicht für bereits abgeschlossene Verträge? Wir müssenaußerdem darauf achten, dass die Informationen in demProduktinformationsblatt nicht ihrerseits irreführend
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24142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Dr. Gerhard Schick
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sind, weil beispielsweise die Berechnungsmethodennicht klar sind.Zweiter wichtiger Punkt beim Thema Information:Wir wollen, dass die Menschen die Ansprüche aus denverschiedenen Systemen „zusammendenken“ können.Das ist in Ihrem Gesetzentwurf bisher nicht vorgesehen.Da ist eine Lücke; da werden wir nachhaken.
Sie schaffen eine Produktinformationsstelle Alters-vorsorge. Nun muss man sich fragen: Was wird das hierbringen? Die Stelle soll die Simulationsverfahren festle-gen und die Berechnungen durchführen, deren Ergeb-nisse in die Produktinformationsblätter einfließen sollen.Aber warum braucht es denn neben der Zentralen Zula-genstelle für Altersvermögen und der Zertifizierungs-stelle eine dritte Institution? – Das ist in Sachen Büro-kratieabbau schon ein sehr interessanter Vorschlag ausIhren Reihen. Zudem muss man sich fragen: Werden dieErgebnisse wirklich offengelegt? Ich glaube, es ist not-wendig, die Berechnungsmethoden offenzulegen, umwirkliche Transparenz und Kontrolle zu ermöglichen.Denn wir stellen fest, dass es in der Branche eine heftigeAuseinandersetzung darüber gibt, wie man die einzelnenKennziffern berechnet, weil sich die verschiedenen An-bieter Vorteile versprechen: Je nachdem, wie es berech-net wird, können sie das eine oder andere Produkt besseram Markt platzieren. – Wir müssen schauen, dass hierkeine Blackbox entsteht, sondern ein öffentlich über-prüfbares Simulationsverfahren, um wirklich gute Infor-mationen für die Menschen sicherzustellen.
Es ist richtig, dass Sie die Kosten beim Anbieter-wechsel angehen. Der Wechsel ist schwierig, deswegender Wettbewerb nicht gut. Aber warum bleiben Sie wie-der auf halbem Weg stehen? Sie begrenzen die Kosten,die der bisherige Anbieter in Rechnung stellen darf, auf150 Euro. Eine kurze Frage, die wir im Gesetzgebungs-prozess klären müssen: Wie kommt man eigentlich aufdiese Zahl? – Die Begrenzung der Kosten bezieht sichaber nur auf das Unternehmen, von dem man wegwech-selt, also auf die sogenannten Goodbye-Kosten. Aber beiden Hello-Kosten, also den Kosten, die entstehen, wennman zu einem Anbieter hinwechselt, fehlt eine klare Be-grenzung. Deswegen wäre der Anbieterwechsel, wennman Ihrem Gesetzentwurf folgte, nach wie vor zu teuer.Wir meinen, dass man da noch nachlegen muss.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Es gibtmeines Erachtens einen interessanten Vorschlag derDeutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Esgeht um die Frage: Soll es ein staatlich bereitgestelltesBasisprodukt geben?
Ich glaube, wir sollten sehr ernsthaft darüber nachden-ken. Es geht nicht darum, hier ein Obligatorium, etwasVerpflichtendes zu schaffen, sondern darum, ernst zunehmen, was viele Menschen sagen, nämlich: Ich willmich damit nicht beschäftigen müssen, weil es für michzu kompliziert ist.
Meine feste Überzeugung ist: Der Staat sollte die pri-vate, kapitalgedeckte Vorsorge für die Menschen so ein-fach wie möglich gestalten.
– Das eine ist die gesetzliche Rentenversicherung. Aberauch zur ergänzenden Vorsorge kann man, wenn mandem schwedischen Beispiel folgt, ein Basisprodukt an-bieten und den Menschen die Wahlmöglichkeit lassen,andere Wege zu gehen, wenn ihnen das Angebot nichtausreicht. Ich glaube, das ist ein guter Vorschlag, undwir werden ihn in die Beratungen einbringen.Ich finde, da sollte man nicht so ideologisch reagie-ren, wie Sie von der FDP es gerade tun, sondern sicheinmal fragen: Was ist eigentlich gut für die Menschenin unserem Lande? – Die Menschen sind bereit, Vor-sorge zu leisten. Sie haben aber keine Lust, sich durchkomplizierte Verträge zu wühlen oder sich mit dem Ge-fühl, vielleicht doch über den Tisch gezogen zu werden,in ein Beratungsgespräch zu begeben. Ich finde, wir soll-ten den Menschen eine Wahlmöglichkeit geben, ihnenalso ermöglichen, eine Variante auswählen. Gleichzeitigsollten wir von staatlicher Seite aus Informationen be-reitstellen und einen möglichst einfachen Weg der priva-ten Altersvorsorge ermöglichen. Dafür werden wir Grü-nen streiten. Das wird viel Licht bringen. Man muss abernicht gleich einen Kahlschlag machen, sondern kanndas, was Sie auf den Weg gebracht wurde, optimierenund voranbringen.Danke schön.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Dr. Mathias Middelberg das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kollegen! Da hier über dieRente generell, also auch über die gesetzliche Rente, ge-sprochen und behauptet wurde, wir, die CDU/CSU, stell-ten die gesetzliche Rente infrage, möchte ich sagen: Dasist völliger Unsinn; das haben wir zu keinem Zeitpunktgetan. Wenn man sehr sorgfältig betrachtet, wer die bes-ten Beiträge zum Thema Stabilisierung der gesetzlichenRente leistet, dann erkennt man: Es ist die momentaneRegierung mit ihrer guten Wirtschafts- und Arbeits-marktpolitik.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24143
Dr. Mathias Middelberg
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Ich will Sie einmal an die Worte eines bekannten underfahrenen Politikers erinnern:Wenn man sich die Rentenversicherungssystematikinsgesamt anschaut, weiß man: Das Wichtigste, dasman tun kann, ist, für … Arbeit zu sorgen. … Diespätere Entwicklung hängt davon ab, wie sich dieArbeitslosigkeit … entwickeln werden.Dies ist ein, wie ich finde, völlig richtiges und zutreffen-des Zitat Ihres früheren Bundesarbeitsministers FranzMüntefering. Daran wollen wir uns orientieren, wennwir heute feststellen, dass wir damals, als diese Wortegefallen sind, nämlich 2006, 5 Millionen Arbeitslose indiesem Land hatten und diese Zahl bis heute auf 2,7 Mil-lionen gedrückt haben.
Wir hatten 2006 26 Millionen sozialversicherungspflich-tig Beschäftigte, also Einzahler in die sozialen Siche-rungssysteme. Wir sind heute bei fast 29 Millionen. Dasheißt, wir haben diese Zahl um 3 Millionen gesteigert.
3 Millionen mehr Einzahler in die gesetzlichen Versi-cherungssysteme – das ist der beste Beitrag, den man zurStabilisierung dieser Systeme leisten kann.
Fakt ist aber, dass das Rentenniveau dennoch stetigsinken wird.
Das liegt am Verhältnis der Zahl jüngerer Menschen zuder älterer Menschen, der Bezieher aus diesem Systemund derer, die einzahlen. An diesen Fakten werden wirleider nichts ändern können. 1960 hatten wir noch vierErwerbstätige, die einen Rentner finanzierten. Im Jahre2050 werden es nur noch zwei Erwerbstätige sein, die ei-nen Rentner zu finanzieren haben. Darauf müssen wirreagieren.Ich bin froh über große Teile des Beitrags des Kolle-gen Schick von den Grünen. Ich begrüße auch Ihr Be-kenntnis zu einer zusätzlichen Säule der kapitalgedeck-ten Alterssicherung. Darüber sollten wir uns in großenTeilen des Hauses einig sein. Wir sehen es aber nicht so,wie Herr Birkwald es für die Linken hier gerade darge-stellt hat. Es geht jetzt darum, dieses System zu stabili-sieren und die Produkte besser und attraktiver zu ma-chen.Es stimmt, was Herr Schick gesagt hat – auch dastimme ich ihm ausdrücklich zu –: Zu viele Kosten blei-ben im Vertrieb hängen. Wir setzen gerade an diesemPunkt an – das Stichwort „Produktinformationsblatt“ isthier schon gefallen; mein Kollege Klaus-Peter Flosbachhat dazu Ausführungen gemacht –, um die Vertriebskos-ten, also die Vermittlerprovision, und am Ende auch dieRendite des Produkts für die Interessenten transparenterund vergleichbarer zu machen. Wenn man das Ergebnisin einem auch optisch gut gestalteten Produktinforma-tionsblatt einheitlich und übersichtlich darstellt, wird dasdazu führen, dass auch der Normalverbraucher die ver-schiedenen Produkte miteinander vergleichen und fest-stellen kann, welches das für ihn geeignete Produkt istund mit welchem Produkt er die beste Rendite erzielt.Es kann vielleicht sogar staatliche Anbieter geben.Das würde ich nicht generell ausschließen; aber die Kos-ten müssen auch dort glasklar und sauber ausgewiesensein. Ich habe immer meine Bedenken, wenn wir zu vielBeteiligung des Staates beschließen. Wir haben das beiden Landesbanken sehr schön gesehen. Ich bin vorsich-tig bei staatlicher Betätigung im wirtschaftlichen Be-reich, aber ich würde dazu nicht generell Nein sagen.Dann müssen allerdings gleiche Spielregeln für alle gel-ten, und dann wollen wir – ich wiederhole mich – abso-lute Vergleichbarkeit der verschiedenen Produkte. Daswird ohne Frage auch zu mehr Wettbewerb zwischenden Anbietern führen, und das ist letztlich gut, um dieVertriebskosten zu drücken.
Ich will auf andere Punkte nur kurz eingehen. EinigePunkte, die Sie angesprochen haben, Herr Schick – Ent-schuldigung, dass ich Sie gerade im Gespräch mit IhrenKollegen stören muss –,
sind diskutabel, so etwa zum Stichwort „Anbieterwech-sel“. Ich möchte Ihnen und Frau Hinz signalisieren: Wirhaben einige Punkte, über die wir sehr sachlich und of-fen miteinander sprechen könnten. Das sollten wir posi-tiv mit in die Gespräche nehmen, die vor uns stehen. Wiegesagt, es gibt durchaus diskutable Ansätze.Unterm Strich möchte ich feststellen: Es ist vielleichtkein ganz großer Wurf; aber es sind technisch ganzwichtige Punkte, an denen wir ansetzen: mehr Transpa-renz, Vergleichbarkeit, mehr Wettbewerb im System.Mit den Verbesserungen beim sogenannten Wohn-Riester sorgen wir nicht für Schlagseite.
Wir tun damit wirklich etwas für die Menschen. Der al-tersgerechte Umbau, um nur dieses Stichwort zu nennen,ist für viele, auch für viele, die heute hier sind, ein wich-tiges Thema. Das Thema „altersgerechter Umbau“ be-schäftigt viele Menschen. Dass wir den sogenanntenWohn-Riester diesbezüglich nutzbar machen, ist, um nurein Beispiel zu nennen, ein wirklich wichtiger Fort-schritt.
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24144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Dr. Mathias Middelberg
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Da wir uns heute unter Finanzpolitikern unterhalten,will ich mit folgendem Hinweis abschließen – das ist mirnicht unwichtig in diesem Zusammenhang –: Ihr Hono-rarredner und jetziger Kanzlerkandidat, Herr Steinbrück,
hat neulich in der Sendung Günther Jauch seine Ideenzur Steuerpolitik vorgestellt. In der Sendung ging es umseine „Honorarreden“. Bei dieser Gelegenheit wurdeziemlich zum Schluss gefragt: Was wollen Sie eigentlichsteuerpolitisch machen? Dann kam die Ansage: DerSpitzensteuersatz steigt auf 49 Prozent. 7 Prozent mehr!Die Abgeltungsteuer steigt auch um 7 Prozentpunkte,von 25 auf 32 Prozent. Die Vermögensteuer kommt nochoben drauf. – Was Sie machen, ist ein Generalangriff aufden Mittelstand, auch auf den betrieblichen Mittelstand.
Sie sagen, dass Sie den betrieblichen Mittelstand außenvor lassen wollen. Das wird Ihnen nicht gelingen.Das wird so laufen, wie es bei der SPD immer läuft:Sie nehmen den Leuten erst einmal das Geld aus der Ta-sche.
Wenn Sie den Spitzensteuersatz nach oben ziehen – dasverschweigen Sie; viele Leute meinen, das würde nur dieSpitzenverdiener treffen –, dann verläuft die ganze Steu-erkurve steiler.
Das heißt, auch all diejenigen, die sich im mittleren Be-reich befinden, werden kräftig zur Kasse gebeten.
Jeder Handwerker, jeder Facharbeiter zahlt drauf. Sienehmen den Leuten erst das Geld aus der Tasche, undnachher kommt der liebe Honoraronkel Steinbrück undsagt: Ich gebe euch jetzt einen netten Zuschuss zu eurerbetrieblichen Altersvorsorge. – Das ist Ihr Plan.
Dazu kann ich nur sagen: So können wir das nicht ma-chen. Das ist gar keine Alternative. Man kann den Leu-ten nicht erst das Geld aus der Tasche ziehen und es ih-nen nachher mit gönnerhafter SPD-Geste wiederzurückgeben.
Herr Middelberg, erlauben Sie zum Abschluss eine
Zwischenfrage des Kollegen Sieling?
Gerne.
Bitte.
Weil ich den Eindruck habe, dass die Dinge hier ein
bisschen durcheinandergebracht werden, möchte ich Sie
fragen, ob Sie vielleicht noch nicht wahrgenommen ha-
ben, dass die SPD im Zusammenhang mit dem hier vor-
getragenen Einkommensteuerkonzept plant, die Ein-
kommensgrenze, ab der der Spitzensteuersatz zu zahlen
ist, von jetzt 53 000 Euro auf 100 000 Euro zu erhöhen,
wodurch ein ganz anderer Kurvenverlauf entsteht als
der, den Sie hier unterstellen.
Betroffen wären nur Menschen, die mindestens
6 500 Euro und als Verheiratete mindestens 13 000 Euro
im Monat verdienen. Haben Sie das zur Kenntnis ge-
nommen, und können Sie mir bestätigen, dass der Spit-
zensteuersatz unter Kanzler Helmut Kohl in diesem
Land bei 53 Prozent lag?
Letzteres will ich Ihnen gerne bestätigen. Da war dieBemessungsgrundlage aber eine ganz andere. Sie warnämlich viel enger.Ad zwei: Ihr Kanzlerkandidat hat in der Jauch-Sen-dung gerade dies nicht genannt, woraus ich entnehme,dass das für ihn gar nicht so klar ist. Wir sind ganz ge-spannt, ob Sie diese Untergrenze, wenn Sie in der Regie-rungsverantwortung sind, einhalten werden.
Was ich im Übrigen zum Thema Abgeltungsteuerfestgestellt habe, trifft zu. Auch mit der Vermögensteuertreffen Sie letzten Endes in der Breite die mittelständi-schen Betriebe. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein.Es bleibt dabei: Sie nehmen den Leuten erst das Geldaus der Tasche und wollen nachher großzügig staatlicheZuschüsse verteilen.
Das ist immer Ihr Modell gewesen. Das preisen Sie unsauch jetzt als Lösung an. Ich kann nur jedem raten, dasabzulehnen.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24145
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer
von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am liebstenwürde ich meine Redezeit damit verbringen, meinemVorredner zu widersprechen,
aber ich widerstehe dieser Versuchung. Er wird das imnächsten Jahr schon erleben. Dann hat er einen gewissenLerneffekt, und das ist ja auch okay.Ich habe hier gestern einer Besuchergruppe von mirerzählt, dass ich heute eine Rede halten werde. Sie frag-ten mich natürlich sofort, zu welchem Thema ich redenwerde. Ich antwortete: Altersvorsorge-Verbesserungsge-setz. Daraufhin begann eine Diskussion. Sie fragtenmich sofort: Oh, worüber redest du? Wirst du etwas zuFrau von der Leyens Zuschussrente und zur Bekämp-fung der Altersarmut sagen? Wirst du etwas zur Genera-tionengerechtigkeit, zum Vorschlag der jungen Abgeord-neten sagen? Wirst du etwas zum Vorschlag von HerrnLaumann – wir kommen ja aus dem Münsterland –, alsozum Vorschlag des Arbeitnehmerflügels, sagen? Findestdu nicht auch toll, welche Rentenvorschläge die CSUhat? – Ich musste die Diskussion leider abwürgen undhabe gesagt: Nein, es geht nur um die steuerliche Förde-rung der privaten Altersvorsorge. Alles andere regeltdiese Regierungskoalition leider immer noch nicht.
Herr Flosbach hat in seiner Rede gesagt, er greife fünfPunkte heraus. Leider enthält der Gesetzentwurf auchnur fünf Ziele. Ich weiß nicht, ob wir in der zweiten unddritten Lesung noch zehn weitere nachgeliefert bekom-men. Bei manchen Zielen kann man sagen: Okay, das istvielleicht eine kleine Verbesserung. Aber hier eineStunde lang darüber zu diskutieren und so zu tun, als obwir mit diesen fünf Zielen in der Bundesrepublik etwasgrundlegend verbessern, ist schon ein bisschen unred-lich.
Ich möchte meinen Kollegen von den Linken ein biss-chen widersprechen. Wir hatten einen guten Grund fürdas Drei-Säulen-Modell. Ich denke, wir sollten es weiter-entwickeln und fortführen. Die gesetzliche Rentenversi-cherung ist natürlich die Grundlage. Sie muss lebensfähigbleiben. Obwohl wir immer weniger Beitragszahler ha-ben, müssen wir uns überlegen, wie wir das schaffen. Dasist schwierig genug. Deswegen muss sie mit der betrieb-lichen Rente ergänzt werden. Das sehe ich genauso wiemein Parteivorsitzender, dessen Name meinem Vorrednergar nicht über die Lippen kam. Ich kann gerne sagen, dasser Sigmar Gabriel heißt.
Die Idee, so viele wie möglich in eine Betriebsrente alszweite Säule einzahlen zu lassen, finde ich sehr löblich.Ich bin auch der Meinung, dass die dritte Säule, die pri-vate Altersvorsorge, sinnvoll ist.Die Riester-Rente haben wir aus guten Gründen ein-geführt. Vom System her ist sie so angelegt gewesen,dass Menschen, die relativ wenig Einkommen haben,mit Förderanteilen in die Lage versetzt werden, etwasfür ihre Rente zurückzulegen. Dieses Zurücklegen kannman durchaus wörtlich nehmen. Es war eigentlich nichtso gedacht, dass man permanent etwas herausnimmt undsich Häuser davon baut. Diese Erweiterung auf Wohn-Riester geht an dem ursprünglichen Modell vorbei. Ichweiß nicht, ob man das so stark privilegieren sollte. Ichbin da sehr skeptisch.
Ich komme zur nächsten von Ihnen geplanten Verbes-serung: Thema Rürup. Sie haben bei der Versicherungvon Selbstständigen eine offene Flanke. Gegen das Kon-zept von Frau von der Leyen, Selbstständige zwangszu-versichern, gibt es eine Petition, die 80 000 Menschenunterzeichnet haben. Ich denke, das ist eine große Zahl,und das zeigt, dass Sie für diese Personengruppe keineLösung anbieten. Es reicht, glaube ich, nicht aus, Rürupetwas transparenter zu machen. Wir müssen für dieSelbstständigen sorgen. Mir wäre es am liebsten, wenndie Selbstständigen in der gesetzlichen Rentenversiche-rung wären.
Darüber sollten Sie vielleicht einmal nachdenken. DerSprung von 20 000 auf 24 000 Euro ist keine Revolu-tion. Ich habe grundsätzlich nichts dagegen; aber Siesollten zur Kenntnis nehmen, dass das System an denMenschen, die es brauchen, ein Stück weit vorbeigeht.
So gut es den heutigen Rentnern auch geht, dürfen wirnicht verkennen, dass wir momentan 4,2 Millionen Be-schäftigte haben, die weniger als 1 500 Euro verdienen.Das liegt daran, dass es keinen flächendeckenden gesetz-lichen Mindestlohn gibt, dass es prekäre Arbeitsverhält-nisse und sehr viele 400-Euro-Jobs gibt.
– Gut. – In dieser Situation befinden wir uns. DieseMenschen haben weder Riester- noch Rürup-Verträge.Um diese Menschen müssen wir uns kümmern; denn siewerden von Altersarmut betroffen sein.
Ich möchte Sie daher bitten, Ihr Konzept grundlegendzu überarbeiten und in ein Gesamtkonzept einzubindenund die Baustellen, die Sie in anderen Bereichen haben,endlich anzugehen, ob mit Zuschüssen wie beim Kon-
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24146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Ingrid Arndt-Brauer
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zept von Frau von der Leyen, ob mit Pflegeanrechnungs-zeiten oder anders. Einigen Sie sich bitte auf ein Kon-zept, damit die Menschen Klarheit haben und sehen, wassie im Alter erwartet. Das wissen sie nämlich nicht, weilnicht klar ist, welche Ihrer Vorschläge umgesetzt wer-den. Machen Sie ein Gesamtkonzept! Dann sehen dieMenschen, wie große ihre persönliche Lücke sein wird,und können mit Riester oder Rürup darauf reagieren.Überarbeiten Sie diese fünf Ziele! Ich würde sie um zehnweitere Ziele ergänzen. Es kann nur besser werden.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Daniel Volk von
der FDP-Fraktion.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehr-ten Damen und Herren! Es ist sehr auffällig, Frau Arndt-Brauer, dass Sie durch Ihren eigenen Redebeitrag imGrunde gezeigt haben, dass auch Sie das Thema privateAltersvorsorge offenbar viel zu gering einschätzen. Diesist vor allem deswegen auffällig, weil es ja gerade IhrePartei war, die einige dieser Modelle eingeführt hat. Dasist ein weiterer Punkt, bei dem sich die SPD von Projek-ten, die gerade einmal vor zehn Jahren eingeführt wor-den sind, verabschiedet.
Das ist tatsächlich ein auffälliger und aufmerksam zu be-obachtender Prozess.
Ich denke schon, dass wir den Bürgerinnen und Bür-gern, den Steuerzahlern, auch die Bedeutung und dieWichtigkeit einer privaten Altersvorsorge deutlich ma-chen müssen. Insofern ist es, glaube ich, kein guter Bei-trag in dieser Diskussion, die private Altersvorsorge aus-drücklich als weniger wichtig darzustellen. Man solltesie eher als viel wichtiger darstellen.
Deswegen ist es gut, dass hier ein Gesetzentwurf vorge-legt worden ist, mit dem die Bürgerinnen und Bürgerdazu gebracht werden, privat für ihre Altersvorsorge zusorgen.
Den Beitrag des Kollegen Schick von den Grünenfand ich demgegenüber in einzelnen Punkten recht hilf-reich. Es ist sicherlich der eine oder andere Punkt ange-sprochen worden, über den man während der Beratungdiskutieren sollte. Ich meine aber, dass die Idee einesstaatlich angebotenen Vorsorgeproduktes oberflächlichbetrachtet sehr attraktiv klingt, sich aber bei Lichte, beigenauerer Betrachtung, durchaus die Frage stellt: Wersoll eigentlich wissen, dass dieses eine staatlich organi-sierte Vorsorgeprodukt das effizienteste ist?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dort, wo derStaat in die Wirtschaft eingreift, die Effizienz schlicht-weg eher leidet. Deswegen habe ich Probleme, diesemVorschlag zu folgen.Bezeichnend war allerdings der Beitrag vonseiten derLinksfraktion. Herr Birkwald, dass Sie sich hier nichthingestellt und einen ehemaligen Sozialminister, näm-lich Norbert Blüm, zitiert haben, der „Eines ist sicher:die Rente“, gesagt hat, wunderte mich.
Eines ist doch mittlerweile klar geworden, nämlich dasswir die zwei weiteren Säulen neben der gesetzlichenRentenversicherung deswegen etablieren und stärken,weil ein Vertrauen allein auf die gesetzliche Rentenversi-cherung schlicht nicht ausreicht. Das ist doch wohl je-dem klar geworden.
Sich vor diesem Hintergrund hier hinzustellen und zu sa-gen: „Alles andere weg, alles in die gesetzliche Renten-versicherung“, ist wider besseres Wissen und wider jeg-liche Erfahrung aus der Vergangenheit.
Im Übrigen wurde hier angesprochen: Na ja, das mitdem Wohn-Riester ist eigentlich nicht der richtige An-satzpunkt.
Ich möchte es genau andersherum betonen. Ich glaube,wir sollten viel stärker das Wohneigentum der einzelnenBürger in den Vordergrund stellen.
Wenn man sieht, wohin momentan die Geldströme flie-ßen,
dann sollte man diese Bedeutung wachsen lassen, unddas machen wir mit dem Wohn-Riester.Sie haben die Frage gestellt: Wer kann sich das dennleisten? Ich kann Ihnen sagen: Das kann sich derjenigeleisten, der einen Arbeitsplatz hat. Entscheidend ist, dasswir wieder eine solch gute wirtschaftliche Entwicklung
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24147
Dr. Daniel Volk
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haben, auch auf dem Arbeitsmarkt, dass sich die Leutedas wieder leisten können.
Für die private Altersvorsorge wäre es ein Problem,wenn die Arbeitslosenzahlen wieder in die Höhe schnel-len würden.
Wir haben für eine gute Entwicklung gesorgt. Insofernist es nur konsequent, dass wir in einem zweiten Schrittden Entwurf eines Altersvorsorge-Verbesserungsgeset-zes vorlegen.Ich freue mich auf die Beratungen. Ich denke, Siesollten noch einmal darüber nachdenken, ob Sie diesemGesetzentwurf nicht doch uneingeschränkt zustimmen.
Vielen Dank.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat jetzt die Kollegin Bettina Kudla das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Lassen Sie mich die Debatte zusammenfas-sen:
Die Sozialversicherungssysteme zukunftsfest zu ma-chen, ist eine der größten politischen Herausforderun-gen, jetzt und in den kommenden Jahren.
Funktionierende Sozialversicherungssysteme sind eineenorme Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft.Die Sozialversicherungssysteme tragen sich schon seitvielen Jahren nicht mehr allein durch die Beitragszah-lungen, sondern müssen durch erhebliche Steuerzu-schüsse mitfinanziert werden.
Am größten ist der Zuschuss zur Rentenversicherung,dann folgt der zur Arbeitslosenversicherung und alsDrittes der Zuschuss zur Krankenversicherung. Für dieCDU/CSU- und die FDP-Fraktion steht dabei immer imVordergrund, eine sinnvolle Balance zu finden zwischendem, was die Beitragszahler leisten können, und dem,was aus der Versicherung für die Bürger bezahlt werdenmuss.Die Rentenversicherung hat, gerade vor dem Hinter-grund der demografischen Entwicklung, die mit Abstandgrößte Bedeutung. Von fast jedem Redner wurde dasDreisäulenmodell angesprochen. Das Dreisäulenmodellhat sich gerade deswegen bewährt, weil die drei Säulenunterschiedlich sind. Die gesetzliche Rentenversiche-rung ist umlagefinanziert.
Das ist ein einmaliges System, das es nicht in jedem an-deren europäischen Land gibt. Es hat sich bewährt, weiles davon abhängig ist, was die Bevölkerung erwirtschaf-tet.
– Es gibt nicht überall umlagefinanzierte Systeme.
Umso wichtiger ist, dass das Rentenversicherungssys-tem auf drei Säulen steht. Drei Säulen bieten nämlicheine größere Sicherheit als zwei Säulen oder gar nur eineSäule.
Die Bedeutung der privaten Vorsorge steigt vor demHintergrund der demografischen Entwicklung; ichwerde gleich noch auf sie eingehen.Ferner wurde in der Debatte dargelegt, wie wichtigdas Wirtschaftswachstum ist. Die Senkung des Beitrags-satzes zur Rentenversicherung um immerhin 0,7 Pro-zentpunkte im kommenden Jahr wäre ohne Wirtschafts-wachstum nicht möglich.
Von den Kollegen der Linken wurde angesprochen,dass es, bedingt durch die staatliche Förderung derRiester-Rente, zu Marktverzerrungen gekommen ist.Hier muss man allerdings berücksichtigen: StaatlicheAnreize haben immer Auswirkungen auf bestimmteBranchen; das gilt für die Versicherungsbranche genausowie für die Solarbranche. Für mich zumindest wiegt dieTatsache, dass man etwas Positives tut, wenn man dieprivate Vorsorge fördert, schwerer als irgendwelcheMarktverzerrungen. Ich beurteile es auch nicht als nega-tiv, wenn dies dazu führt, dass eine bestimmte Branchedann wirtschaftlich tätig werden kann. Das darf natürlichnicht zu Verwerfungen und Nachteilen führen. Aber esist ja gerade die Intention des Gesetzentwurfes, dieDinge transparenter zu gestalten, um eventuelle Verwer-fungen zu vermeiden.
Kaum ein Redner hat angesprochen, dass der Staat beider Riester-Rente eine ganze Menge drauflegt.
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24148 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Bettina Kudla
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Eine Familie mit zwei Kindern kann pro Jahr fast1 000 Euro vom Staat dazubekommen.
– Moment! – Für ein Kind, das nach 2008 geborenwurde, bekommt man eine Zulage von immerhin300 Euro pro Jahr. Das ist eine ganze Menge. Auf IhreFrage: „Was kommt dabei heraus?“ antworte ich Ihnen:Bei einem Sparvorgang kommt nichts heraus, wenn manein schlechtes Produkt wählt, das an Wert verliert. DasProduktinformationsblatt ist ja gerade dazu da, die Dingetransparenter zu machen und die Bürger davor zu schüt-zen, dass sie von der Finanzbranche quasi über den Tischgezogen werden.
Transparenz und Durchschaubarkeit: Das muss das Zielsein,
und nur das sollte der Staat fördern.Ich denke, hier sollte man auch stärker an die Finanz-branche appellieren, dass sie die Anleger entsprechendseriös berät. Hier sehe ich nicht nur die Privatbanken,sondern genauso die Sparkassen und die Volksbanken inder Pflicht.
– Es bleibt nicht bei Appellen, Herr Schick, sondern esbleibt ganz konkret bei dem Produktinformationsblatt,das auch veröffentlicht werden muss,
und der Vertrag kann auch drei Jahre lang widerrufenwerden, falls die Angaben in diesem Produktinforma-tionsblatt unrichtig waren.Es wurde ferner eine sogenannte Privilegierung vonWohn-Riester angesprochen. Das ist nicht richtig. Es be-steht ein Wahlrecht. Man kann entweder eine normaleRente erhalten oder ein Wohn-Riester-Angebot nutzen.Ich denke, man sollte auch den Bürgern mit einem ge-ringen Einkommen die Möglichkeit geben, mit staatli-cher Unterstützung auf eine Eigentumswohnung oder einEigenheim anzusparen. Sicherlich wird das nicht bei je-dem möglich sein, aber ich denke, man sollte nicht soüberheblich sein, kategorisch zu sagen: Die Eigentums-bildung wird bei geringen Einkommen nicht möglichsein.
Außerdem ist der ganze Gesetzentwurf behinderten-freundlich.
Es werden auch Umbaumaßnahmen für Barrierefreiheitgefördert.
Insofern kann man festhalten: Der Entwurf des Al-tersvorsorge-Verbesserungsgesetzes ist eine gute Sache.Übrigens: Es zeugt von einer kontinuierlichen Politik,dass die Bundesregierung auch etwas fortsetzt, was eineVorgängerregierung eingeführt hat,
dass sie es mitträgt und dass sie es positiv weiterentwi-ckelt, indem sie die Instrumente flexibler gestaltet.Die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion sorgen mit ih-rer Initiative dafür, dass die Menschen mit einem gerin-gen Einkommen im Alter neben der Rente aus der ge-setzlichen Rentenversicherung auch noch eine privateRente erhalten können und damit im Alter besser abgesi-chert sind.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 17/10818 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPDEine gesetzliche Obergrenze für verbraucher-gerechte Dispositionszinsen– Drucksache 17/10988 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzb) Beratung des Antrags der Abgeordneten CarenLay, Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEBegrenzung der Zinssätze für Dispositions-und Überziehungskredite– Drucksache 17/10855 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
FinanzausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24149
Vizepräsidentin Petra Pau
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Carsten Sieling für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden hier in diesem Hause heute nicht das erste Mal
über das Thema Dispozinsen. Der Grund dafür ist, dass
das Problem nicht gelöst ist und die Rezepte der Bundes-
regierung nicht helfen.
Was ist das Problem? Auf Tausenden von Kontoaus-
zügen finden sich in dieser Republik regelmäßig über-
höhte Dispozinsen wieder. Die Stiftung Warentest hat
gerade in dieser Woche veröffentlicht und bekannt ge-
macht, dass der Durchschnitt der Dispozinsen in
Deutschland bei 11,8 Prozent liegt – und das in einer Si-
tuation, in der sich die Banken mit 0,12 Prozent bei der
EZB refinanzieren können. Das riecht verdammt nach
Wucher.
Ich möchte Ihnen gerne diese Entwicklung grafisch
zeigen, damit man genau sieht, was stattgefunden hat.
Man sieht sehr genau, wie der Zinssatz von 2003 bis
2010 – das ist die grüne Linie –, insbesondere nach der
Finanzkrise, nach unten gegangen ist, während die Dis-
pozinsen nach oben gegangen sind, also genau gegenläu-
fig. Man sieht fast die Figur eines Krokodils, das das
Maul weit aufreißt, und mittendrin steht der Verbraucher.
Dagegen müssen wir etwas machen.
– Mit blauem Dach. Das Schlimmste daran ist das Blaue.
Wahrscheinlich ist auch noch ein bisschen Gelb dabei,
lieber Kollege; denn das Schlimme kann in diesem
Hause immer nur von rechts kommen.
Ich will sagen: Unser Konzept ist es jetzt, gesetzlich
vorzugehen, weil es nicht mehr ausreicht, zu Kaffee-
kränzchen einzuladen und die Branche zu bitten. Wir ha-
ben vier Eckpunkte. Wir stellen in den Vordergrund: ers-
tens das Kundeninteresse, zweitens den Grundsatz der
Vertragsfreiheit – dazu sage ich gleich etwas, weil wir
keine starre Obergrenze vorsehen; auch solche Vor-
schläge gab es –, drittens die Berücksichtigung der Ar-
gumente und Sorgen der Banken, dass ihre Verwaltungs-
kosten nicht gedeckt sein könnten, und viertens die
Tatsache, dass es europarechtskonform ist.
Ich darf Ihnen noch einmal mein schönes Krokodil
zeigen. Anhand dieser Grafik leiten wir unseren Vor-
schlag ab.
Sie erkennen hier an der roten Linie – das ist über die
Jahre die Differenz zwischen dem Leitzins und den Dis-
pozinsen –, dass bis zum Ende des Jahres 2008 der Auf-
schlag auf den Leitzins bei etwa 8 Prozentpunkten gele-
gen hat. Man kann das als Indiz dafür auffassen, dass
sich hierin die Kostensituation im Durchschnitt der
Branche widerspiegelt. Unvertretbar ist eben, dass diese
Linie nach oben geht.
Wir schlagen deshalb vor, durchaus und bewusst als
sehr marktreagibles Instrumentarium, dass wir auf den
jeweils gültigen Leitzins einen Aufschlag von 8 Prozent-
punkten als Obergrenze zulassen. Das bedeutet in der
aktuellen Situation: Der höchste Dispozins, der genom-
men werden dürfte, läge bei 8,12 Prozent und nicht bei
11,8 Prozent, wie es zurzeit Realität ist.
Darum ist das, was wir hier vorschlagen, eine deutliche
Verbesserung.
Ich darf auch sagen, dass die Dispozinsen dann, wenn
darüber gegangen wird, also bei geduldeter höherer In-
anspruchnahme, höchstens doppelt so hoch sein dürfen.
Das ist die Wuchergrenze nach BGB. Damit würde das
hohe Niveau insgesamt gesenkt, ohne dass man für die
Branche unvertretbare Zustände schafft, aber für den
Verbraucher viel Gutes erreicht. Ein solches Gesetz soll-
ten wir machen. Das schlagen wir als SPD vor.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Marco
Wanderwitz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Kollege von der Sozialdemokratie hat hier geraderichtigerweise gesagt: Wir widmen uns hier im Plenumdes Deutschen Bundestages mittlerweile das dritte Malin dieser Legislaturperiode demselben Thema.
– Hören Sie doch erst einmal zu, bevor Sie dazwischen-rufen. – Es kann nicht falsch sein, sich Themen regelmä-ßig anzuschauen, die wichtig sind. Allerdings haben wiruns die letzten Jahre mit einem durchschnittlich höherenDispozins auseinandergesetzt, als das derzeit der Fall ist.
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24150 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Marco Wanderwitz
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Die Zahlen, Herr Kollege, die Sie hier zitieren, kenneich auch. Ich kenne aber auch die Zahlen, die das Bun-desfinanzministerium im ersten Halbjahr veröffentlichthat. Der Unterschied zwischen den Zahlen des Bundes-finanzministeriums und den Zahlen, die jetzt Finanztestveröffentlicht hat, ist, dass die des Bundesfinanzministe-riums wirklich alle Banken umfassen, während Finanz-test natürlich nur die Zahlen aufnehmen konnten, vondenen sie erfahren haben. Nach den Zahlen des Finanz-ministeriums liegt der durchschnittliche Dispozins bei10 Prozent und nicht bei 11,8 Prozent.
– Hören Sie einmal weiter zu, ich erkläre es Ihnen.Der europäische Durchschnitt liegt bei 8,8 Prozent.Wir in Deutschland liegen im Durchschnitt bei 10 Pro-zent, also in der Tat immer noch etwas oberhalb des eu-ropäischen Durchschnitts, aber eben bei weitem nichtmehr so weit darüber wie in den letzten Jahren.Als wir das letzte Mal hier darüber gesprochen haben,haben wir auf eine Studie verwiesen, die Bundesministe-rin Aigner in Auftrag gegeben hat. Mittlerweile kennenwir die Ergebnisse dieser Studie des Instituts für Finanz-dienstleistungen und des Zentrums für EuropäischeWirtschaftsforschung. Des Weiteren gibt es – das meineich zumindest – interessante Zahlen einer Forsa-Um-frage zu diesem Thema aus dem Juli 2012. Forsa sagt:80 Prozent der deutschen Haushalte verfügen über einenDispozinsrahmen. Jeder vierte nutzt ihn jährlich, und nurjeder sechste nimmt ihn regelmäßig in Anspruch. Ichsage das, damit wir ein bisschen ein Gefühl für die Zah-len bekommen. Manchmal wird in der Debatte so getan,als ob 100 Prozent der deutschen Bevölkerung regelmä-ßig mit hohen Summen im Dispo wären.
– Hier im Haus hat es jetzt wohl niemand gesagt; aberdie Debatte wird teilweise so geführt.Wenn man bedenkt – wir liegen ein wenig oberhalbdes europäischen Schnitts –, dass wir in Deutschland inder Fläche ein breites Angebot an klassischen Filialban-ken – Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken – haben,dann ist das einer der Punkte, durch den für mich einStück weit schlüssig wird, warum die Kosten höher sind.Kundennähe kostet Geld. „Mittelwert“ heißt auch – dasist, denke ich, leider in Ihrem Redebeitrag absolut zukurz gekommen –, dass es einen Durchschnitt gibt. Na-türlich gibt es Banken und Sparkassen, die günstigersind, und es gibt welche, die teurer sind. So entsteht einDurchschnittssatz. Es gibt welche, die teilweise erheb-lich günstiger sind.Die Forsa-Umfrage sagt dazu Folgendes: Überhauptnur 43 Prozent der Verbraucher kennen ihren Dispozins-satz. Es ist relativ einfach: Man guckt auf seinen Konto-auszug, dann kennt man ihn. Aus solchen Zahlen, meineich, kann man Rückschlüsse ziehen. 13 Prozent würdenlaut dieser Forsa-Umfrage allein aufgrund eines deutlichgünstigeren Dispozinssatzes ihre Bank wechseln.In dieser von mir genannten Studie fällt der wichtigeSatz:… greift es zu kurz, die Zinsdifferenz zwischenGeldmarktzinsen … und dem Dispozinssatz als Ge-winnmarge der Bank darzustellen, wie dies biswei-len in der öffentlichen Diskussion geschieht.Ich meine, dass genau das der entscheidende Punktist. Es ist nicht so, dass wir das alles hier nicht schon de-battiert hätten. Zumindest ist es eine zu einfache Darstel-lung, zu sagen: Das ist der Refinanzierungszins, und dasist der Dispozins.Für die Bildung der Zinshöhe gibt es natürlich nochweitere Faktoren. Das sind neben den Refinanzierungs-kosten zum Beispiel die Eigenkapitalkosten. Wir habenhier politisch mit breitem Konsens gesagt: Die Eigenka-pitalquoten der Banken sind uns zu niedrig. Wenn wirdie, was richtig ist, erhöhen, bedeutet das aber auch, dassfür jeden Kredit höheres Eigenkapital hinterlegt werdenmuss.
– Wenn Sie mir bis zum Ende zugehört hätten, hätten Siesich auch diesen Zwischenruf ersparen können.Verschiedene Instrumente der Banken – beispiels-weise der klassische Ratenkredit, der Dispokredit oderdie Bürgschaft – werden zweifellos zum einen einzelnkalkuliert. Zum anderen aber haben wir die Situation,dass ein Gesamtpaket schlüssig gebildet werden muss.Jetzt sage ich einfach mal ganz offen: Wenn eine Bankoder Sparkasse einen Dispositionskredit auf den Marktbringt, den schon die Filiale einer Bank nebenan günsti-ger anbieten kann, und der Verbraucher das nicht wahr-nimmt, dann stelle ich mir doch – wenn ich einen funk-tionierenden Preiswettbewerb habe; der ist offensichtlichin Deutschland vorhanden – die Frage: Warum soll ichdann als Gesetzgeber mit den von Ihnen vorgeschlage-nen scharfen Eingriffen regulieren?
Darf ich überhaupt regulieren? Darf ich solche Eingriffein Eigentum vornehmen? Ich meine, dass wir das in An-betracht der Preis- und Wettbewerbssituation, wie wir siehaben, jedenfalls nicht dürfen.Des Weiteren ist die Situation so, dass wir überhauptkeine validen Zahlen haben, ob und, wenn ja, wie vieleVerbraucher die teuersten der Dispokredite – die gern alsdie Preisprobleme angeführt werden, welche sie zuRecht darstellen – überhaupt in Anspruch nehmen. Esgibt keine belegbare Zahl, ob die teuersten der Dispokre-dite am Markt überhaupt von irgendwelchen Verbrau-chern in Anspruch genommen werden. Insofern kannauch das aus meiner Sicht kein Argument sein, diese Re-gulierung vorzunehmen.Es gäbe eine ganze Menge milderer Möglichkeiten. InIhrem Antrag ist ein Beispiel enthalten, für das ich
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Marco Wanderwitz
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durchaus Sympathie empfinde. Da geht es um diePflicht, auf günstigere Kredite hinzuweisen. Ich seheaber auch da momentan noch nicht die Notwendigkeit,gesetzgeberisch tätig zu werden. Unsere MinisterinAigner hat vor kurzem auf der Ebene der Banken undSparkassen ein Gespräch geführt, bei dem insbesonderedie Thematik „Mehr Transparenz bei den Dispokredit-zinsen“ behandelt wurde. Der Finanztest weist zu Rechtdarauf hin, dass sich manche Banken wegducken. Trans-parenz ist, glaube ich, ein wichtiges Thema. Für gesetzli-che Regulierungen sehen wir aber derzeit überhauptkeine Notwendigkeit.
Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion
Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ja, Herr Wanderwitz, Sie haben recht: Wir dis-kutieren in dieser Legislaturperiode das dritte Mal überdie Deckelung von Dispozinsen. Leider haben Sie ver-gessen, zu erwähnen, dass wir das dritte Mal auf Grund-lage eines Antrages der Linken über die Deckelung derDispozinsen diskutieren. Ich möchte Sie an dieser Stellefragen: Wo ist eigentlich der Antrag der Koalition zudiesem Thema?
Aktuell liegt der durchschnittliche Dispozinssatz inDeutschland laut Stiftung Warentest – diese Zahl habenwir – bei fast 12 Prozent, lassen Sie es meinetwegen10 Prozent sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache,dass es Banken gibt, die Dispozinsen von über 15 Pro-zent verlangen. Es ändert auch nichts an der Tatsache,dass sich die Banken ihr Geld für gerade einmal0,75 Prozent leihen. Das heißt, da liegt eine Gewinn-spanne von 11 Prozentpunkten – oder lassen Sie es9 sein – dazwischen. Das ist viel zu viel. Das geht zulas-ten der Verbraucherinnen und Verbraucher, und deswe-gen muss der Gesetzgeber endlich handeln.
Die Frage ist: Wen trifft das eigentlich? Das trifft vorallen Dingen Geringverdiener, das betrifft Menschen, diekeinen Kleinkredit bekommen würden, das heißt, dieBanken verdienen ihre Milliarden an den Geringverdie-nern, die sowieso schon nichts zu verschenken haben.Das sind diejenigen Menschen, die nicht von heute aufmorgen ihre Bank wechseln können, das sind Menschen,die vielleicht froh sind, dass sie überhaupt ein Girokontohaben – Sie stehen immer noch in der Pflicht, das Rechtauf ein Girokonto festzuschreiben –, und deswegen zie-len Ihre Argumente völlig ins Leere.
Wir als Linke bringen jetzt zum dritten Mal einen An-trag zu diesem Thema in den Deutschen Bundestag ein.Wir fordern nach wie vor die Begrenzung der Dispo-und Überziehungszinsen. Wir sagen: 5 Prozent über demBasiszinssatz sind genug für einen Dispokredit. Was tutdie Bundesregierung? Es ist schon erwähnt worden: Sielädt zu Kaffeekränzchen ein, und es werden dauerndGutachten in Auftrag gegeben,
in denen interessante Sachen festgestellt werden – ichdarf zitieren –:… dass die Erträge aus dem Dispokreditgeschäftdie Kosten, die dem Kreditinstitut … entstehen,deutlich übersteigen, …Das heißt doch übersetzt nichts anderes: Die Bankenzocken ab und sanieren sich auf Kosten ihrer ärmstenKundinnen und Kunden.
Das gern bemühte Argument, dass die Banken dieseGewinnspannen brauchen, um beispielsweise das hoheAusfallrisiko bei der Kreditvergabe aufzufangen, stimmteinfach nicht. Das belegt übrigens auch das Gutachtender Ministerin. Die Bearbeitungskosten haben sich inden vergangenen Jahren überhaupt nicht erhöht, und dasAusfallrisiko bei Dispokrediten liegt gerade einmal bei0,3 Prozent. Es gibt also keinen einzigen Grund, sich mitdiesen Argumenten die Untätigkeit der Regierungschönzureden.
Sie selber wissen genau, dass die Schutzbehauptun-gen der Banken nicht stimmen. Trotzdem weigern Siesich, zu handeln. Da wird auf diskrete Ansprache undfreiwillige Maßnahmen gesetzt. Sie bitten die Bankinsti-tute höflich um ein Gespräch, damit sie vielleicht daseine oder andere tun, aber welche Bank würde, ohnedass der Gesetzgeber eingreift, freiwillig auf Milliarden-gewinne verzichten wollen? Das Ergebnis des Ge-spräches der Ministerin mit den Banken und Verbrau-cherverbänden Anfang Oktober ist mehr als dürftig. DieDispozinsen dürfen weiter völlig überhöht bleiben, aberdie Banken versprechen, ihre abgezockten Kunden künf-tig besser zu informieren. Schönen Dank auch!Wissen Sie, das ist genau der Unterschied zwischender schwarz-gelben Verbraucherpolitik und der linkenVerbraucherpolitik. Sie wollen, dass die Kunden besten-falls im Kleingedruckten darüber informiert werden, inwelcher Höhe sie abgezockt werden. Wir Linke sagenganz klar: Wo den Verbraucherinnen und Verbrauchernso in die Tasche gegriffen wird, da muss der Gesetzgebereinfach handeln. Es wird höchste Zeit, dies endlich zutun.
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Caren Lay
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Wir haben es ausgerechnet: Würde das Hohe Haus unse-rem Vorschlag folgen, dann würden die Verbraucherin-nen und Verbraucher alleine bei den Dispozinsen über2 Milliarden Euro weniger an die Banken abdrücken.Wenn das kein Argument ist, dem Antrag der Linken zu-zustimmen!Ich freue mich auf die Debatte, und ich freue mich,dass hier im Hohen Hause endlich einmal eine Mehrheitfür die Deckelung der Dispozinsen entstehen wird. DieSPD ist – anders als beim letzten Mal – unserem Anlie-gen schon gefolgt.
Ich hoffe, dass wir hier am Ende eine entsprechendeRegelung hinbekommen können.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Professor
Dr. Erik Schweickert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die hohenDispozinsen sind für die Verbraucherinnen und Verbrau-cher weiterhin ein Ärgernis. Es ist auch schwer zu erklä-ren, wenn der Leitzins der Europäischen Zentralbankderzeit bei 0,75 Prozent steht und der durchschnittlicheDispozins nach den neuesten Erkenntnissen der StiftungWarentest jedoch bei 11,76 Prozent liegt. Während sichdie Banken also sehr günstig Geld bei der EZB leihenkönnen, blutet der in den Dispozins gerutschte Verbrau-cher umso mehr. Das ist ärgerlich. Auch dass ein klam-mer Verbraucher hohe Zinsen zahlt, während der spar-same Verbraucher im Moment für sein Guthaben nursehr wenig bekommt, ist ein Ärgernis.Beim Geld hört der Spaß auf. Das gilt auch für denvorgezogenen Wahlkampf der SPD. Das führt zu wenigdifferenzierten Betrachtungen des vorliegenden Pro-blems. Reflexartige Rufe nach einem Eingreifen desStaates, wie sie im Moment zum Standardrepertoire derlinken Parteien gehören, sind hier jedoch fehl am Platze.Wir sind der Meinung, dass nicht jeder Eingriff desStaates für die Bürgerinnen und Bürger auch eine Ver-besserung bringt, ganz im Gegenteil.
– Sie haben doch die Studien zitiert. Das Institut fürFinanzdienstleistungen, das Zentrum für EuropäischeWirtschaftsförderung haben das Ganze begutachtet. AmEnde des Tages müssen wir alle uns daran messen las-sen, ob wir beim Verbraucherschutz Verbesserungen er-zielt haben. Da sind unangemessene Schnellschüsse, diedazu beitragen, dass wir an anderer Stelle Kollate-ralschäden aufreißen, nicht geeignet.
Die angesprochene Studie hat gezeigt, dass es keineeinfachen Lösungen gibt und dass eine Zinsdeckelung,wie es die Fraktionen der Linken und der SPD vorschla-gen, gerade keine effiziente Lösung des Problems dar-stellt.
Ich möchte Ihnen sechs Gründe nennen, warum dasnicht der Fall ist.Erstens. Es gibt heute schon eine Grenze der Zins-höhe, nämlich dort, wo wir den Bereich des Wuchers er-reichen. Dort können Gerichte darüber entscheiden, obder Tatbestand des Wuchers erreicht ist oder nicht, undsomit auch entsprechende Maßnahmen einleiten.
– Hören Sie zu.Zweitens. Dispozinsen sind für die kurzfristige Über-brückung von Zahlungsschwierigkeiten der Verbrauchergedacht. Sie sind also kein dauerhafter Kredit und auchnicht als solcher zu verstehen.
Hier liegt übrigens der schwere Verständnisfehler imAntrag von Frau Lay. Sie schreiben, dass es sich beimDispokredit um einen Kleinkredit handeln würde, denviele Menschen dauerhaft nutzen. Aber genau das ist derFehler; denn der Dispositionskredit ist eben kein aufdauerhafte Nutzung angelegter Kredit. Er ist ein kurz-fristiger Schutzschirm.
Der Dispo- und Überziehungsbereich eines Kontos istnur ein Notpuffer. Manche Verbraucher – da bin ich beiIhnen – nutzen den im Moment regelmäßig, so als wärees ein Guthabenbereich. Aber dafür zahlen sie natürlichauch mehr Zinsen. Es gibt kein Recht auf billige Schul-den in diesem Bereich.
Da trägt jeder Verbraucher für sich selbst Verantwor-tung. Das heißt, er muss schauen, dass er sein Kontonicht überzieht. Man kann es sich bei der Bank auch soeinrichten, dass das geht. Darüber hinaus gibt es Alterna-tiven: Es gibt den Kleinkredit. Es gibt den Ratenkredit.Es gibt für Studenten günstige Kreditformen, bei denenman diese Probleme nicht hat. Da sind die Zinsen gerin-ger als beim Dispokredit.
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Dr. Erik Schweickert
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Außerdem wird er deswegen gern genutzt, weil er un-bürokratisch ist, weil man ihn einfach einmal in An-spruch nehmen kann. Es gibt einen schnelleren Zugang,mehr Flexibilität bei der Aus- und Rückzahlung undkeine festen Raten. Aber deshalb ist er halt auch teurer.Drittens. Dispokredite bedeuten für die Banken mehrAufwand. Der höhere Aufwand rechtfertigt auch höhereKosten.
Viertens. Hier funktioniert der Markt; denn es gibtbeim Dispozins nicht nur die Negativbeispiele mit Zins-sätzen jenseits der 13 Prozent, sondern es gibt auch eineganze Reihe von Banken, die unter dem von der SPDvorgeschlagenen Deckelungswert von 8 Prozent liegen.
Das muss man auch einmal zur Kenntnis nehmen. Esgibt also die Möglichkeit, die kontoführende Bank zuwechseln, wenn einem die Dispozinsen zu hoch erschei-nen. Nur, es wird viel zu wenig gewechselt. Der Ver-braucher nutzt in diesem Bereich seine Marktmacht ein-fach nicht.
Somit wird sich der Wettbewerb auch nicht zum Wohleder Verbraucher entwickeln.Fünftens. Das Beispiel wirft eine andere Frage auf:Was ist denn ein angemessener Zinssatz für Dispokre-dite? Sollen wir uns als Staat anmaßen, zu entscheiden,was hier gerecht ist? Sollen wir als Staat das tun?
Sollen wir die besseren Banker spielen? Ich glaube, dieFinanzkrise hat uns gezeigt, dass der Staat auf gar keinenFall der bessere Banker ist, meine Damen und Herren.
Nicht nur der EZB-Leitzins spielt für die Berechnungdes Dispozinssatzes für die Banken eine wichtige Rolle.Daneben sind auch die Refinanzierungskosten, die Risi-kokosten und die operativen Kosten wichtige Kompo-nenten des Dispozinssatzes. Die große Spannbreite deram Markt verfügbaren Dispozinsen zeigt: Es gibt nichtnur Auswahl; es gibt auch keinen objektiv bestimmbarenEinheitszins.Was würde passieren, wenn wir Ihrem Antrag folgen?Die 2 Milliarden Euro hat Frau Lay uns gerade vorge-rechnet. Was würde passieren, wenn wir trotz der ge-schilderten Bedenken eine Deckelung vornehmen? Eswäre schlecht für den Verbraucher, weil, wie ich bereitsbeschrieben habe, der Dispozins eine von mehreren be-triebswirtschaftlichen Entscheidungen einer Bank imBereich des Kontos ist. Wenn wir als Staat in diese Ent-scheidungen eingreifen, dann werden die Banken dieGebührenstrukturen neu ordnen.
Gestatten Sie eine Frage der Kollegin Lay?
Von Frau Lay immer.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Schweickert, für die
Möglichkeit zu einer Zwischenfrage. Sie haben gesagt,
dass es aus Ihrer Sicht völlig ungerechtfertigt sei, wenn
sich der Staat einmischen und den Banken sozusagen
ihre Zinsen vorschreiben würde. Aber wodurch ist es
dann gerechtfertigt, dass wir an anderen Stellen, bei-
spielsweise im BGB, durchaus eine Deckelung von Zin-
sen vorsehen? Bei den Verzugszinsen beispielsweise gibt
es das auch wie bei dem Vorschlag, den wir als Linke
eingebracht haben: 5 Prozentpunkte über dem Basiszins-
satz. Warum kann das, was jetzt schon im BGB bei Ver-
zugszinsen gilt und was auch die Koalition offensicht-
lich nicht abgeschafft hat, bei den Dispozinsen nicht
eingeführt werden? Das müssen Sie mir bitte einmal er-
klären.
Vielen Dank für die Frage, Frau Lay. – Wir haben indiesem Zusammenhang zwei Bereiche, die man unter-scheiden muss. Es gibt zwar die Berechnung eines Ver-zugszinssatzes durch ein Unternehmen, das sich zu ver-schiedenen Zinssätzen bei seiner Bank refinanziert.Dabei wird, wie Sie richtig gesagt haben, genau dieseRegelung angewandt. Es ist aber nicht so, dass der Bür-ger ein Konto bei dem Unternehmen führt. Das ist derPunkt, um den es mir geht. Denn wenn wir eine betriebs-wirtschaftliche Entscheidung der Bank an einer Stelle re-geln, dann werden – das zeigt auch das von Ihnengenannte Gutachten – die Abhebegebühren und die Kon-toführung teurer.
Die Frage ist, ob wir das wollen. Ich sage Ihnen ganzklar: Das trifft dann die Verbraucher, die den Dispo undÜberziehungszins gar nicht nutzen. Sie zahlen dann dasmit, was die anderen, die in der Kreide stehen, mit demDispo und Überziehungszins nutzen. Genau das Problemlösen wir dann aus. Somit wäre eine Regelung in diesemBereich, wie Sie sie vorschlagen, definitiv nicht positivfür die Verbraucher.Es wäre also nicht effizient, weil es genügend Men-schen gibt, die verantwortungsvoll mit dem in Anspruchgenommenen Dispokredit umgehen. Über 80 Prozent al-ler Haushalte in Deutschland verfügen über einen Dispo-kredit. Ich bin mir sicher: Wenn wir das große Angeboterhalten wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen,dass es die Möglichkeit der unterschiedlichen Zinssätzegibt.Alles in allem komme ich zum Schluss: Wir, dieschwarz-gelbe Regierungskoalition, werden den Dispo-kredit nicht deckeln. Wir setzen vielmehr darauf, wie Siegesagt haben, dass wir zu Gesprächen und freiwilligenLösungen in dem Bereich kommen.
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Dr. Erik Schweickert
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– Herr Sieling, auch der Bundesrat hat sich letzte Wocheaus guten Gründen dagegen ausgesprochen, und dort ha-ben Sie, die Oppositionsfraktionen, sogar die Mehrheit.Ihre eigenen Leute lehnen also die von Ihnen gemachtenVorschläge ab, und ich sage: zu Recht.
Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Abzocke mit den Dispozinsen ist ein verbraucher-
politisches Dauerärgernis. Deshalb beschäftigt es uns
auch zu Recht dauerhaft im Parlament. Wir könnten die
dauernden Debatten hier verkürzen, wenn Schwarz-Gelb
aktiv werden würde. Deshalb verstehe ich auch den Un-
mut, dass wir immer und immer wieder darüber reden
müssen, nicht.
Denn es ist doch so: Während sich die Kreditinstitute ihr
Geld zu niedrigsten Zinsen beschaffen und den daraus
resultierenden Vorteil an die Menschen weitergeben, die
etwas auf der hohen Kante haben, werden die Menschen,
die in der Kreide stehen, ordentlich geschröpft. Es gibt
keine Begründung dafür, 12, 13, 14 oder sogar 15 Pro-
zent für einen Dispositionskredit zu verlangen. Das ist,
wie ich finde, an Wucher grenzende Bereicherung; denn
der Dispo weist im Vergleich zu anderen Kreditformen
eine sehr geringe Ausfallquote auf – das haben Studien
des Verbraucherministeriums belegt – und muss von den
Banken nicht mit Eigenkapital hinterlegt werden, Herr
Wanderwitz. Eine Hinterlegung mit Eigenkapital kann
man also nicht als Argument für höhere Zinssätze gelten
lassen.
Das Problem ist: Obwohl die Zinsen in absoluten
Zahlen gesunken sind – sie liegen im Durchschnitt nicht
mehr bei 13 oder 14, sondern bei 12 Prozent –, ist die
Schere – die SPD hat von einem Krokodil gesprochen –
zwischen Leitzins und Dispozinsen weiter auseinander-
gegangen; denn die Zinsen, zu denen sich die Banken
das Geld beschaffen, sind in den letzten Monaten weiter
gesunken. Wir haben es hier also mit mangelndem Wett-
bewerb und Marktversagen zu tun. Herr Schweickert,
ich habe hier einen Dissens mit Ihnen. Sie sagen, man
könne die Bank wechseln. Machen Sie sich einmal den
Spaß, in Ihrem Wahlkreis zu schauen, wo man einen
günstigen Dispo bekommt, wenn man eine Filialbank
haben will. Die Deutsche Skatbank beispielsweise und
andere Kreditinstitute mögen tolle Zinsen geben, wenn
man Internetbanking betreibt. Wenn man aber so wie ich
konservativ ist
und einen realen Menschen als Gegenüber in der Bank
haben möchte, dann ist die Auswahl geringer. Es gibt so-
gar Regionen, in denen man keinen Dispo zu einem
Zinssatz von unter 12 Prozent bekommt. Ich habe mir
notiert, dass Sie beim letzten Mal die Idee hatten, das
Kartellamt einzuschalten. Mich interessiert, was die FDP
zu dem mangelnden Wettbewerb in diesem Bereich sagt.
Wir sind jedenfalls der Meinung, dass wir hier politisch
handeln müssen.
Handeln bedeutet nicht, dass man die Banken zum Kaf-
fee einlädt; das hat Frau Aigner gemacht, und das ist
sehr höflich von ihr. Aber das wird auf Dauer nichts
bringen.
Sie haben den Bundesrat angesprochen. Die Union
hat hier eine Entscheidung zugunsten der Kundinnen
und Kunden blockiert. Das finde ich sehr schade. Einer-
seits macht Frau Aigner tolle Pressemitteilungen und
geistert mit dem Thema Dispoabzocke durch die Schlag-
zeilen. Andererseits werden Lösungen im Bundesrat blo-
ckiert. Das finde ich nicht korrekt.
Dass die Opposition Schwarz-Gelb bei der Program-
matik einiges voraus hat, zeigen nicht nur die beiden An-
träge der SPD und der Linken sowie der Antrag meiner
Fraktion – dieser wurde bereits abschließend behan-
delt –, sondern auch die relativ ausführlichen Gegenargu-
mente. So wurde gefragt: Kann denn der Staat sich anma-
ßen, einen Deckel einzuziehen? – Frau Lay hat darauf
hingewiesen, dass sich der Staat beim Zahlungsverzug
sehr wohl angemaßt hat, einen konkreten Deckel einzu-
ziehen. Darüber, ob 5 Prozent die richtige Größenord-
nung sind, können wir diskutieren. Sobald ein von
Schwarz-Gelb eingebrachter Gesetzentwurf vorliegt,
können wir im Verbraucherausschuss eine Anhörung
durchführen. Wenn Sie eine Größenordnung von 6,5 Pro-
zent für richtig halten, werden bestimmt weder die Linke
noch die SPD noch wir Grüne sagen: Nein, das kann man
nicht machen. – Legen Sie also etwas vor, und präsentie-
ren Sie uns bessere Lösungen! Ich habe zwar Ihre Kritik
vernommen – darüber kann man diskutieren –, aber eine
bessere Lösung haben Sie bisher nicht vorgelegt. Das
finde ich sehr wenig angesichts der Tatsache, dass wir
nun im dritten Jahr in diesem Parlament über dieses
Thema sprechen.
Die Kollegin Mechthild Heil hat nun für die Unions-
fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenKolleginnen und Kollegen! Und jährlich grüßt das Mur-
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Mechthild Heil
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meltier! Heute debattieren wir wieder einmal über dieDispozinsen. SPD und Linke haben Anträge vorgelegt,in denen sie Zinsobergrenzen fordern, die sich am Basis-zinssatz orientieren. Das klingt – das gebe ich zu – beimersten Hören gut, entpuppt sich aber schnell als wenigdurchdacht und im Detail völlig inkonsequent.
So verlangt die SPD nur eine Obergrenze für den verein-barten Überziehungskredit, aber keine für die darüber hi-nausgehenden Überziehungen.
Sie haben wieder unsauber gearbeitet.
Die Linke hat sich gleich die ganze Arbeit gespart undden wortgleichen Antrag aus dem Jahr 2010 vorgelegt,als ob sich in der Zwischenzeit überhaupt nichts verän-dert hätte.
Aber es hat sich etwas verändert. Der durchschnittlicheZinssatz ist gesunken. Lag er 2010 bei 12,5 Prozent, soliegt er heute – wir haben es eben gehört – bei knapp10 Prozent.
Übrigens, Frau Maisch, zum Stichwort „ländlicherRaum“ – wir kommen ja aus der gleichen Gegend –:Meine Hausbank, eine Filialbank, verlangt 9 Prozent.Das ist also auch möglich.Aber wir müssen noch einmal der Frage nachgehen:Was denken Sie eigentlich, welche Höhe der Zinsendenn angemessen ist? Sie machen sich das in Ihren An-trägen wirklich sehr einfach. Klar; bei Ihnen geht es umStimmungsmache, um die Öffentlichkeit
und nicht um eine saubere und praktikable Lösung desProblems.
Sosehr ich mich auch darüber freue, dass Sie mit Ih-ren Anträgen eine plakative Zeitungsüberschrift bekom-men und damit natürlich in der Öffentlichkeit auch denDruck ein wenig erhöhen: Es ist unsere Aufgabe als Par-lamentarier, auch der Komplexität dieses Problems ge-recht zu werden. Davon sind Sie leider ganz weit ent-fernt.
Tatsache ist: Den Kunden erscheinen die hohen Zin-sen als Wucher. Es besteht ein empfundenes Missver-hältnis zwischen den Zinsen, die die Kunden zu zahlenhaben, und den Zinsen, die die Banken zahlen, wenn siesich Geld leihen. Aber wie kommt es zu der Differenz?Die Kollegen haben schon darauf hingewiesen: DieHöhe der Dispozinsen hat nur bedingt mit der Refinan-zierung der Banken zu tun. Andere Faktoren spielen eineReihe, zum Beispiel die betriebswirtschaftliche Risiko-einschätzung, Eigenkapital- und Betriebskosten sowieBearbeitungskosten. Und, meine sehr verehrten Damenund Herren von SPD und Linken: Nicht alle Banken sindgleich. Es gibt verschiedene Bankmodelle; die Bankenhaben natürlich unterschiedliche Kostenstrukturen undkommen damit auch zu unterschiedlichen Kosten für dieKunden. So kann eine Direktbank günstiger sein als eineFilialbank, weil sie zum Beispiel weniger Miet- und Per-sonalkosten hat.
Sie kann diese Kostenvorteile an die Kunden weiterge-ben und günstigere Disposätze anbieten.Sie fordern eine einheitliche Obergrenze für die Zin-sen. Damit scheren Sie alle Banken, die wir auf demMarkt haben, über einen Kamm.
Das ist Gleichmacherei auf mittlerem Niveau, frei nachdem sozialistischen Motto: Wenn alles gleich ist, dannist es auch gut. Aber so funktioniert unsere Welt nichtund schon gar nicht unsere Bankenwelt.
Eine Zinsobergrenze, auch eine, die an den Basiszins-satz gekoppelt ist, wird dazu führen, dass sich die Ban-ken bequem daran orientieren.
Banken, die jetzt günstig sind, werden ihren Dispozins-satz nach oben anpassen mit dem Argument: Das istdoch staatlich empfohlen; das ist der gerechte Zinssatz.Außerdem: Andere Leistungen der Banken könnenteurer werden. Zum Beispiel kann die Kontoführungsge-bühr steigen, weil die Leistung nicht mehr durch dieÜberschüsse aus den Zinsmargen querfinanziert werdenkann.Ihre Vorschläge sind wirklich nicht durchdacht. Sielösen das Problem nicht.
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Mechthild Heil
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Deshalb lehnen wir sie auch ab.Unser Weg ist ein anderer.
Das Verbraucherministerium hat eine Studie zu Dispo-zinsen und Ratenkrediten in Auftrag gegeben, um unteranderem auch die Frage zu klären: Wen trifft denn dieserhohe Zinssatz?
Die Studie sagt, dass vor allem Arbeitslose und Alleiner-ziehende betroffen seien. Allerdings gehört zur Wahr-heit, dass diejenigen, von denen die Banken erwarten,dass sie ihr Konto überziehen, aber nicht ausgleichenkönnen, meist überhaupt keinen Zugang zu Dispokredi-ten erhalten. Dieser wird ihnen von den Banken vonvornherein verweigert. Das Ausfallrisiko ist zu hoch,selbst bei hohen Zinsen.An dieser Stelle kämpfen wir gemeinsam für einKonto für jedermann.
Dispokredite spielen dabei überhaupt keine Rolle.Eine Gruppe, die von den hohen Dispozinsen beson-ders betroffen ist, wird in dieser Diskussion regelmäßigignoriert: Das ist der Mittelstand. Das sind die Handwer-ker, die Selbstständigen, die Dienstleister, die Unterneh-mer. Eigentlich ist bei ihnen die Geschichte immer diegleiche: Es gibt einen Liquiditätsengpass beim Unter-nehmen, weil ein Kunde nicht im geplanten Zeitraumgezahlt hat oder weil es außerplanmäßige Ausgabengibt. Dann wird schon einmal der Spielraum zwischeneingeräumter und geduldeter Überziehung überschritten,und dann kommen hohe und als ungerechtfertigt emp-fundene Zinsen auf das Unternehmen zu. Umschuldengeht nicht so einfach. Beim Wechsel der Bank würdenerst einmal alle Sicherheiten neu bewertet. Weitere Zeitund weiteres Geld würden so verbrannt. Die Unterneh-men sitzen dann in einer Zwickmühle.Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieHöhe der Dispozinsen gehört auf den Prüfstand. Ich binfroh, dass, nachdem im Juli das Gutachten erschienenist, ein Spitzengespräch mit Bankenvertretern stattgefun-den hat.
– Meinetwegen gab es auch Kaffee dabei; ich weißnicht, wie Sie Ihre Gäste empfangen.
Die Banken beginnen, sich unter dem politischen und öf-fentlichen Druck zu bewegen. Die Banken fangen an, dieDispozinsen zu senken, und das freiwillig. Informationenwerden transparenter gemacht. Viele Banken sind kun-denfreundlich, sie erkennen den Wettbewerbsvorteil, denes bietet, im Bereich der Dispozinsen transparent, günstigund serviceorientiert zu sein. Das ist der richtige Weg. Ichsetze deshalb auf eine freiwillige Selbstverpflichtung derBanken statt auf staatlichen Zwang, wie ihn die linkeSeite dieses Hauses immer will.
Kollegin Heil, achten Sie bitte auf die Zeit.
Der Verbraucher, der Kunde hat die Macht. Er ist es,
der entscheidet, und das wissen auch die Banken.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen!Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Banken sicheinerseits bei der Zentralbank billiges Geld be-schaffen, andererseits aber ausgerechnet jene Kun-den mit hohen Zinsen abkassieren, die am wenigs-ten haben.Das war ein Zitat von Frau Verbraucherministerin IlseAigner vom Februar 2012.
Frau Aigner hat im Frühjahr dieses Jahres keine Gele-genheit ausgelassen, der geneigten Öffentlichkeit gegen-über ihre Empörung darüber zum Ausdruck zu bringen,wie schlimm sie es findet, was die Banken den Verbrau-cherinnen und Verbrauchern mit überhöhten Dispozin-sen antun. Keine Schlagzeile war ihr groß genug. Siewerde das jetzt anpacken, hat sie gesagt.
Dann nahm die Show wie immer ihren Lauf: Mit Steuer-geldern ist ein Gutachten finanziert worden, dessen Aus-fluss mitnichten irgendeine Konsequenz für politischesHandeln der Bundesregierung hat.
Als das Gutachten im Juli vorgelegt wurde, war FrauAigners bekannte Reaktion: Lassen Sie uns freund-schaftlich darüber reden, damit wir der Öffentlichkeit ir-gendetwas präsentieren können. – Regeln wolle sie abernichts.Das ist, finde ich, schon ein bisschen Verarsche derer,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24157
Kerstin Tack
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die sich darauf verlassen haben, dass, wie es vor einemhalben Jahr angekündigt worden ist, gegen zu hohe Dis-pozinsen etwas getan wird. Da hätte ich es ehrlicher ge-funden, wenn man von Anfang an – wie Frau Heil dashier für die CDU/CSU-Fraktion formuliert hat – gesagthätte, dass man findet, dass alles bleiben könne, wie esist, und dass man keinen Regelungsbedarf sehe.
Zuerst verkünden, man sehe großen Handlungsbedarf,dann aber nichts tun, das ist für jemanden, der zumSchutze der Verbraucherinnen und Verbraucher ein Mi-nisteramt bekleidet, eindeutig zu wenig.
Frau Heil, wir schlagen gar nicht vor, dass jede Bankeinen identischen Zinssatz nehmen soll. Um Gottes wil-len! Was wir vorschlagen, ist ein Prozentsatz, über dendie Banken beim Dispozins nicht hinausgehen können.Das heißt nicht, dass jede Bank einen identischen Zins-satz nehmen müsste. Wir schlagen vor, dass für darüberhinausgehende Zinsen der Wucherparagraf, wie im BGBgeregelt – Stichwort „doppelter Zinssatz“ –, greift. Dasmuss man nicht erst regeln, das ist schon Bestandteil desBGB.
Vorgestern hat die Welt das System der Banken mitdem Dispokredit ziemlich gut analysiert. „Über Geldspricht man nicht“, beginnt der Artikel. Dann wird ge-fragt: Ist es Tugend oder ist es Unverschämtheit von denBanken, zu meinen, dass man an der Stelle aus eigenemHandeln heraus keinerlei Gesprächs- und Regelungsbe-darf sieht?Wir wissen, dass das Versprechen von Transparenzund Selbstverpflichtungen, insbesondere von Banken,uns bei allen anderen Themen nicht wirklich weiterge-bracht hat. Das Girokonto für jedermann, Frau Heil, dasSie gerade angesprochen haben, ist das allerbeste Bei-spiel dafür, dass uns genau diese Selbstverpflichtung, diesich die Banken auferlegen, nicht weiterhilft. Hier habenwir genau die Situation: 600 000 Menschen in Deutsch-land haben kein Konto – trotz Selbstverpflichtung –, undSie wollen nicht regeln. Jetzt warten Sie darauf, dass dasEuropa regelt, weil Sie auch hier wieder einmal keinenHandlungsbedarf sehen. Wir sagen: Der Handlungsbe-darf ist nicht nur da, er ist groß, er ist unmittelbar, er istakut.Deshalb bitten wir darum: Überdenken Sie im weite-ren Verlauf der Debatten Ihre Position! Wir würden unsfreuen, wenn wir ein gemeinsames Ergebnis erzielenwürden.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenauf den Drucksachen 17/10988 und 17/10855 an die inder Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b so-wie den Zusatzpunkt 8 auf:39 a) Beratung der Antwort der Bundesregierung aufdie Große Anfrage der Abgeordneten MarieluiseBeck , Volker Beck (Köln), SylviaKotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENRechtsstaatlichkeit in Russland– Drucksachen 17/7541, 17/9521 –b) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarieluiseBeck , Volker Beck (Köln), AgnesBrugger, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKeine Modernisierung Russlands ohneRechtsstaatlichkeit– Drucksache 17/11002 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der SPDGemeinsam die Modernisierung Russlands vo-ranbringen – Rückschläge überwinden – NeueImpulse für die Partnerschaft setzen– Drucksache 17/11005 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Marieluise Beck für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen.
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Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Jede Russlanddebatte in Deutschland mussdie unauflösbare historische Verbindung unserer beidenLänder im Blick haben. Die im Zweiten Weltkrieg anund in Russland begangenen Verbrechen legen uns eineVerpflichtung auf, und deswegen gilt es für uns, die Ent-wicklung in Russland engagiert und kritisch zu beglei-ten, ohne jegliche Rhetorik des Kalten Krieges, aberauch ohne ein vorauseilendes Verständnis für deutlicheFehlentwicklungen in dem Land.
Ich möchte hier sehr offen bekennen: Ich würde michsehr freuen, wenn der Ost-Ausschuss der deutschenWirtschaft nicht nur auf die erfreulichen Marktchancenin Russland schauen würde, sondern sich mit dieserGrundhaltung beherzt an die Seite der Demokraten undder Politik, an unsere Seite, stellen würde.
Aus den bitteren Erfahrungen des politischen Totalita-rismus des 20. Jahrhunderts erwächst uns die Verpflich-tung, uns an die Seite derjenigen zu stellen, die gegenUnterdrückung und Bevormundung durch den Staatkämpfen, die für mehr Pluralismus stehen, die für denVorrang des Rechts vor der Machtwillkür ihre Stimmeerheben. Solche engagierten Bürgerinnen und Bürgersind es, die erst ein modernes Staatswesen begründenkönnen. Transparenz, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlich-keit – das sind die Ingredienzen eines modernen Staates.Nur eine aktive Bürgergesellschaft ist in der Lage, diesePrinzipien mit Leben zu erfüllen.
Dies verkennt die russische Führung seit vielen Jah-ren. Auch die Hoffnung, die wir mit PräsidentMedwedew verbunden haben, hat sich faktisch in Luftaufgelöst.Zwar wird seit vielen Jahren von der russischen Füh-rung erklärt, sie wolle einen modernen Staat aufbauen– das wurde zum politischen Ziel erklärt –, aber miss-traut wird gerade denen, die der Motor für die durchgrei-fende Modernisierung des Landes sein könnten.Anstatt die Kräfte der Gesellschaft sich entfalten zulassen, wird konsequent die erstarrte und korrupteMachtvertikale weiter ausgebaut. Der Kreml sorgt dafür,dass die Justiz willfährig ist, wenn es politisch gewolltist. Das haben wir erlebt beim Fall Chodorkowski, wirhaben es auch erlebt beim dramatischen Fall Magnitskij.In russischen Lagern gibt es viele Namenlose, die ebendieser Willkür auch aus Korruptionsgründen ausgesetztsind.Im Winter des vergangenen Jahres keimte die Hoff-nung auf, dass sich das Land aus der Erstarrung befreienkönne. Die russische Gesellschaft meldete sich zurück.Friedlich und kreativ forderten die Protestierenden eindemokratisches und rechtsstaatliches Russland. Anstattdiese gesellschaftliche Bewegung als große Chance zubegreifen und mit ihr eine Politik der Öffnung zu begin-nen, sagte der Kreml der eigenen Gesellschaft denKampf an.Seit Putins Amtsantritt kam der Abbau von Bürger-rechten Schlag auf Schlag: zuerst die Verschärfung desDemonstrationsrechts, dann die drastische Erhöhung derStrafen für Verleumdung, das Internetgesetz, das eineBedrohung für die freie Kommunikation im Internet dar-stellt, ein NGO-Gesetz, das politisch tätige NGOs, dieZuwendungen aus dem Ausland erhalten, dazu zwingensoll, sich selbst als ausländische Agenten zu bezeichnen.Es war Ludmilla Alexejewa, die große alte Dame derrussischen Bürgerrechtsbewegung, die gesagt hat: Ichwerde mich nicht ein zweites Mal in meinem Leben alsausländische Agentin bezeichnen.Wir alle wissen, dass dieser Ansatz vor allen Dingenauf Golos zielt, die wunderbare, in Russland selbst auf-gebaute Wahlbeobachtungsbewegung, die allerdings vonZuwendungen der EU abhängig ist und die offensicht-lich seitens des Kreml als die gefährlichste Bewegungangesehen wird, weil es sonst echte Wahlen in Russlandgeben könnte.Wir alle haben die skandalöse Urteilsfindung im Fall„Pussy Riot“ verfolgt. Ja, Blasphemie ist auch inDeutschland verboten, ebenso ist unsittliches und unan-gemessenes Verhalten in deutschen Kirchen strafbe-wehrt. Aber hier geht dafür niemand für zwei Jahre ineine Strafkolonie.
Deswegen darf es für die deutsche und europäischeRusslandpolitik kein Weiter-so geben. Wir müssen end-lich neu nachdenken. Der Kreml in seiner jetzigen Ver-fassung ist kein verlässlicher Partner und kein Partnerfür die Modernisierung. Adressat unserer Bemühungenum eine Modernisierung Russlands muss die Zivilgesell-schaft sein. Dafür brauchen wir einen langen Atem undpolitische Fantasie.Ein Instrument haben wir jedoch selber in der Hand,und das ist die Visumfreiheit. Die Erfahrung einer offe-nen Gesellschaft, die Begegnung mit Freiheit, freier Kul-tur und Vielfalt sind das süßeste Gift, das wir gegen au-toritäre Regierungen im Köcher haben. Es ist einfriedliches Mittel, und wir sollten endlich den Innenpoli-tikern die Macht nehmen, diesen wunderbaren Weg, denwir zur Stärkung der russischen Zivilgesellschaft anbie-ten könnten, zu versperren. Sie machen mit dem vereng-ten Blick der Innenpolitiker Außenpolitik. Das gesamteHaus sollte sich dem endlich entgegenstellen.Schönen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für die
Unionsfraktion.
Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen undKollegen! Frau Beck, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür,dass Sie damit begonnen haben, auf die unauflösbarehistorische Verbindung hinzuweisen. In der Tat solltenwir zu Beginn zunächst einmal würdigen, was sich inRussland schon gebessert hat, bevor wir auf das zu spre-chen kommen, was zu kritisieren ist. Dabei reichenmeine zehn Finger gar nicht aus, um all das aufzuzählen,was kritikwürdig ist. Ohne diese Wertschätzung wirdRussland – ich habe das so ähnlich auch in einem IhrerAnträge gelesen – nur noch nationalistischer und patriar-chalischer entscheiden. Ich finde, erfolgreiche Kritik –wir wollen, dass die Kritik nicht um der Rechthabereiwillen im Raum steht, sondern am Schluss tatsächlicheine Veränderung bewirkt – kann es am Ende nur unterPartnern und Freunden geben, und zu einem gewissenMaß lässt sich das auf unsere Beziehung zu Russlandübertragen. Für mich gibt es zwei Dinge, die eine besteFreundschaft ausmachen. Die erste Bedingung ist: EinFreund darf mich kritisieren und mir wirklich alles sa-gen. Die zweite Bedingung ist, dass er es dann auch tut.Ein Stück weit gehört es zu unserer Partnerschaft mitRussland, dass wir die Kritik offen aussprechen.Ich zitiere aus dem Antrag der SPD:Hinzu kommt, dass Russland sich seit langem nichtmehr als gleichberechtigter Partner anerkannt fühlt.Weiter unten heißt es:Russlands Verlangen, wieder als vollwertiger Part-ner akzeptiert zu werden, ist daher nachvollziehbar.Wenn wir es mit der Partnerschaft und der Freundschafternst meinen, dann müssen wir auch vor Augen haben,was uns das bedeutet – und wir müssen es auch benen-nen. Deshalb möchte ich mit positiven Aspekten begin-nen.Einige Stichworte: Wir konnten von Russland nichtnur einige kulturelle Dinge lernen; wir haben die russi-sche Geschichte und Kultur insgesamt zu schätzen ge-lernt. Ich erinnere auch an die Rolle, die Russland beiunserer Wiedervereinigung gespielt hat. Ein weitererPunkt: die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Bezie-hungen dürfen nicht allein darauf aufbauen, aber es istfestzuhalten, dass Deutschland einen Anteil von 8,7 Pro-zent am russischen Außenhandelsvolumen hat. EinStichwort dazu: die Ostseepipeline. Inzwischen sind6 300 deutsche Unternehmen in Russland tätig.Sie haben die Modernisierungspartnerschaft ange-sprochen – ich komme gleich noch darauf –, die es seitletztem Jahr zwischen der EU und Russland gibt. Es giltanzuerkennen, dass es unter Putin eine gewisse Stabili-sierung Russlands gegeben hat. Ich zitiere aus dem An-trag der Grünen:Der Deutsche Bundestag ist sich der Tatsache be-wusst, dass die Transformation Russlands als Teilder früheren Sowjetunion in einen Rechtsstaat miteiner offenen und pluralistischen Gesellschaft einegewaltige Herausforderung darstellt.Das ist also nichts, was man gerade einmal so an einemWochenende macht; ich glaube, das ist uns bewusst.Russland ist heute Mitglied im Europarat und hat mitdem Beitritt die Europäische Menschenrechtskonventionanerkannt; jetzt können wir uns darauf beziehen. UnsereRolle dabei ist: Wir müssen uns mit dem gerade genann-ten Europarat, aber auch mit der EU und dem Europäi-schen Gerichtshof für Menschenrechte – er hat Kritik-punkte benannt – abstimmen. Es ist auch zu erwähnen,dass wir gerade mit Russland bei der Korruptionsbe-kämpfung zusammenarbeiten. Eine darüber hinausge-hende Zusammenarbeit ist möglich, weil Russland indiesem Jahr der WTO, der Welthandelsorganisation, bei-getreten ist.Jetzt die Missstände. Ich habe gesagt, dass ich zehnMissstände nennen will – obwohl ich länger als Sie re-den darf, kann ich sie nur anreißen –:Erstens. Da ist das Defizit an Rechtsstaatlichkeit. Inder Antwort der Bundesregierung auf die 87 Fragen derGroßen Anfrage der Grünen – Sie haben sie bekommen –heißt es sehr deutlich:Die Bundesregierung ist besorgt über fortbeste-hende Defizite an Rechtsstaatlichkeit in der Russi-schen Föderation.Trotzdem:Die Bundesregierung begrüßt, dass PräsidentDmitri Medwedew– der ehemalige Präsident –die Mängel offen benannt und Maßnahmen zur Be-kämpfung der Defizite angekündigt hat. Die Bun-desregierung wird Russland auch in Zukunft bei derStärkung der Rechtsstaatlichkeit unterstützen.Das heißt nicht, dass wir die Mängel nicht immer wiederbetonen müssten.Der zweite Bereich ist der politische Einfluss auf dieJustiz. Sie haben den Fall der Band Pussy Riot genannt,aber auch den Fall der Oppositionellen Taisia Osipowa.Es gibt so viele Einzelfälle, die zusammengenommenein deutliches Bild des Einflusses auf die Justiz ver-schaffen. Hier wieder ein Zitat:Die Bundesregierung teilt die Einschätzung, dassbei der Gewährleistung der richterlichen Unabhän-gigkeit in Russland Defizite fortbestehen.Es gibt dort also Stagnation, und das darf so nicht blei-ben. Ich glaube, Sie haben es so ausgedrückt: Das kön-nen wir nicht weiter so laufen lassen.Drittens: die Einschränkung der Pressefreiheit.Viertens: die Zustände in den Gefängnissen. Da gibtes allerdings zwei Seiten; da muss man fair sein. DieBundesregierung hat zur Kenntnis genommen, dass
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Medwedew einige Initiativen zur Humanisierung desrussischen Strafsystems angestoßen und zum Teil durchGesetzesänderungen umgesetzt hat. Zugleich teilt aberdie Bundesregierung die Einschätzung, dass in den russi-schen Untersuchungsgefängnissen gravierende Defizitebei den Haftbedingungen fortbestehen. Der EuropäischeGerichtshof für Menschenrechte hat das in seiner Ent-scheidung im Fall Ananiew gegen die Russische Födera-tion vom Anfang dieses Jahres sehr deutlich angemahnt.Fünftens: das repressive Demonstrationsrecht.Sechstens: die Behinderung der Opposition, zuletztbei den Gouverneurswahlen, bei denen viele Kandidatenentweder nicht zugelassen oder behindert wurden. DieParlamentswahlen letztes Jahr im Dezember fanden un-ter massiven Behinderungen von Wahlbeobachterorgani-sationen, unter anderem von Golos, statt.Seit dem Amtsantritt von Präsident Putin sind zahlrei-che Gesetze, die gegen die politische Opposition und dierussische Zivilgesellschaft gerichtet sind, oft in einemHauruckverfahren in Kraft gesetzt worden. Die Bundes-regierung bedauert, dass PARNAS, die Partei der Volks-freiheit „Für ein Russland ohne Willkür und Korrup-tion“, nicht als Partei registriert wurde und an denDumawahlen nicht teilnehmen durfte.Siebtens: der starke Einfluss der Geheimdienste.Achtens: Ich habe selber als Pastor in der Heilsarmeeeiner Freikirche mitbekommen, dass Religionsgemein-schaften, die nicht russisch-orthodox sind, anders behan-delt und benachteiligt werden.Neuntens: das NGO-Gesetz von 2005. Darin werdenden Organisationen kostenaufwendige bürokratischePflichten auferlegt, sodass manche Organisationen ein-fach nicht arbeitsfähig sind.Zehntens – das ist nicht der letzte Punkt, aber derletzte Punkt, den ich aufzähle –: die Verschleierung undNichtaufklärung politisch motivierter Straftaten, wie siezum Beispiel der Fall Magnitskij sehr deutlich vor Au-gen führt.Ihre Frage 23 möchte ich kurz vorlesen:Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregie-rung aus der Tatsache, dass es trotz des Einsetzensspezieller Sonderkommissionen und vielfacher Be-teuerungen konsequenten Engagements nach wievor keine Verurteilungen der Mörder von Anna Po-litkowskaja und Natalja Estemirowa und ihrer Auf-traggeber gibt?Die Antwort der Bundesregierung ist eindeutig – ichdenke, sie darf heute so im Raum stehen bleiben und siemuss von uns unterstützt werden –:Die Bundesregierung erwartet, dass diese und an-dere Fälle rückhaltlos aufgeklärt werden, undmacht dies gegenüber der russischen Seite deutlich.Auch ich möchte es hiermit noch einmal verdeutlichen.Das sind nicht irgendwelche zehn Fälle, sondern dassind zehn für uns existenziell wichtige Hinweise auf ge-sellschaftliches Engagement und das Fehlen von Rechts-staatlichkeit in diesem Land. Es geht um Dinge, die füruns in Mitteleuropa selbstverständlich sind. Insofern giltes, Schlussfolgerungen zu ziehen
und Forderungen gen Osten zu richten.Wir fordern die russische Regierung auf, sich an diefreiwillig eingegangenen Verpflichtungen – ich habe dasschon vorhin am Ende meiner Ausführungen zu Punkt 1gesagt –, die aus der Ratifikation der Europäischen Men-schenrechtskonvention erwachsen, zu halten und diesevollständig umzusetzen, die Hintergründe, die zum Todvon Sergej Magnitskij geführt haben, in einem rechts-staatlichen Verfahren rückhaltlos und transparent aufzu-klären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zuziehen, die Unabhängigkeit von Richtern sicherzustellensowie die Unabhängigkeit und Transparenz der Justizbe-hörden zu erhöhen und uns das auch deutlich zu machen,die Arbeit von Verteidigern sicherzustellen, sie alsonicht vom Zugang zu notwendigen Dokumenten auszu-schließen oder sie politisch unter Druck zu setzen, dieUnabhängigkeit der Medien zu garantieren und gegenden politisch motivierten Missbrauch der Strafjustiz vor-zugehen.Das waren die Forderungen, die wir nach Osten schi-cken. Das heißt für uns als Parlamentarier, dass wir uns– jetzt greife ich ein Zitat aus dem Antrag der SPD auf –dafür einsetzen, „den neugewählten russischen Präsiden-ten Putin an seine Zusagen hinsichtlich der Stärkung derMeinungs- und Pressefreiheit, des Aufbaus einer unab-hängigen Justiz sowie der Modernisierung der Wirt-schaft, der staatlichen Verwaltung und des Bildungssys-tems zu erinnern und ihm umfassende Unterstützung beider Umsetzung dieser Projekte anzubieten“, wie es sichfür Freunde und Partner – dann auf unserer Seite – ge-hört.Das heißt, den Fall Magnitskij weiterhin in bilateralenGesprächen mit Russland, also nicht nur hier von einemPodium aus, zu thematisieren und auf umfassende Auf-klärung zu drängen. Weiterhin bedeutet das, der russi-schen Seite in bilateralen Gesprächen, vor allem bei denbevorstehenden Deutsch-Russischen Regierungskonsul-tationen, deutlich zu machen, dass eine gemeinsameModernisierungspartnerschaft nicht auf wirtschaftlicheThemen beschränkt werden darf, sondern nur als ein um-fassender gesellschaftlicher Prozess unter Einschluss ei-ner Entwicklung hin zu mehr Demokratie und – Themavon heute – Rechtsstaatlichkeit gelingen kann.Die dritte Forderung lautet, Russland im bilateralenRahmen und seitens der EU weiterhin zu drängen, dasses seine eingegangenen Verpflichtungen aus der Euro-päischen Menschenrechtskonvention und dem Interna-tionalen Pakt über bürgerliche und soziale Rechte tat-sächlich einhält.
Ich komme zum Schluss und nehme Bezug auf meineEingangsbemerkung zum Thema Freund/Partner. Ich binder festen Überzeugung, dass gute Freunde beim Wort
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genommen werden sollten. Wenn nötig, müssen wir siean ihr Wort erinnern. Hier und heute tun wir das ganz of-fiziell gemeinsam. Wir müssen aber auch in Zukunft, injeder weiteren Begegnung, daran erinnern. Dabei han-delt es sich teilweise um Begegnungen auf Regierungs-ebene, teilweise um Begegnungen von einzelnen Parla-mentariern und teilweise um Kommunikation über dieMedien.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Franz Thönnes für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist gut, dass wir heute hier, im Plenum des DeutschenBundestages, über das Verhältnis Deutschlands zu Russ-land diskutieren. Nicht gut ist – das ist ganz offensicht-lich; das ist klar und deutlich zu erkennen; das konntenwir in den vergangenen Tagen in den Medien verfol-gen –, dass es innerhalb der Koalitionsfraktionen keinegemeinsame Auffassung zu diesem Themenkomplexgibt. Es liegt kein Antrag der Koalitionsfraktionen zudiesem Thema vor.
Die Einzigen, die heute einen Antrag eingebracht haben,sind die Grünen und die SPD. Eine gemeinsame Russ-land-Politik findet bei Ihnen nicht statt. Das ist Fakt.
Deswegen ist es ganz wichtig, darauf hinzuweisen,dass in den Broschüren für das Deutschlandjahr in Russ-land und das Russlandjahr in Deutschland dankenswer-terweise steht: „Deutschland und Russland – gemeinsamdie Zukunft gestalten“. So lautet das Motto beider Län-der in dieser Zeit. In beiden Ländern findet in den nächs-ten zwölf Monaten eine Vielzahl von Veranstaltungenstatt. In den offiziellen Druckschriften heißt es dazusinngemäß, dass es, aufbauend auf den historisch ge-wachsenen, engen deutsch-russischen Beziehungen, dasZiel ist, mit vielfältigen Aktivitäten das partnerschaftli-che Verhältnis zwischen Deutschland und Russland zustärken und nicht zuletzt neue Wege in eine gemeinsameZukunft unserer Länder aufzuzeigen.In der Tat, Geschichte, Kunst und Kultur unserer bei-den Länder verbinden uns seit gut 1 000 Jahren. Dazugehören viele Tage mit viel Sonnenschein, wie das heuteder Fall ist. Dazu gehört aber auch eine lange Zeit mitvielen dunklen Tagen und mit Nächten in tiefster Dun-kelheit. Die dunkle Zeit haben wir gemeinsam überwun-den, und wir haben neue Fundamente für die Zukunft ge-legt: Abkommen, Verträge, Konsultationen, Dialoge,Austausch, ein dichtes Netz wirtschaftlicher, kulturellerund wissenschaftlicher Verpflichtungen und gesell-schaftlicher Beziehungen.Dazu gehören auch die Begriffe „Modernisierungs-partnerschaft“ und „strategische Partnerschaft“. DieseBegriffe sollten und dürfen nicht nur auf den Bereich derwirtschaftlichen Kooperation begrenzt werden; sie rei-chen in einem geeinten Europa nicht zuletzt vor demHintergrund unserer geschichtlichen Entwicklung vielweiter.Natürlich haben wir eine breite gemeinsame ökono-mische Basis. Deutschland ist Russlands zweitgrößterHandelspartner weltweit, und Russland ist unser viert-größter Handelspartner außerhalb der EU. Sie haben aufdie 6 300 Unternehmen hingewiesen, die in Russland ak-tiv sind. Das Volumen deutscher Direktinvestitionen inRussland beträgt 22 Milliarden Euro. Diese Werte derEntwicklung sind aber nicht nur das Resultat wirtschaft-licher Leistung, sondern sie hängen auch eng mit denStrukturen und den bestehenden Werten in Westeuropazusammen; denn vor diesem Hintergrund sind sie ent-standen.Dann sprechen wir über Freiheit, über Rechtsstaat-lichkeit, über Unabhängigkeit der Justiz, über Menschen-würde, über soziale Verfasstheit, über Pressefreiheit undüber Demokratie. Auf dieser Basis haben wir in den letz-ten Jahren gearbeitet, und auf dieser Basis haben wir mitEngagement die Entwicklung in Russland nach dem Falldes Eisernen Vorhangs vor gut 20 Jahren begleitet undmit Aufmerksamkeit beobachtet.Die Entwicklungen in den letzten zwölf Monaten ha-ben einerseits Hoffnungen geweckt, haben andererseitsaber auch zu großen Sorgen geführt. Der Parteitag von„Einiges Russland“ im September 2011, auf dem derWechsel von Medwedew zu Putin bekannt gemachtwurde, hat bei vielen Menschen Enttäuschung und Pro-test hervorgerufen. Die Dumawahlen mit offensichtli-chen Manipulationen – es gab eine erhebliche Kritik derOSZE – haben das verstärkt. Rund um die Präsident-schaftswahlen im März dieses Jahres ist es zu den größ-ten und umfassendsten Massendemonstrationen nachdem Zerfall der Sowjetunion gekommen. Zumeist ver-liefen sie friedlich.Am Anfang wusste der Staat nicht so ganz, wie er da-mit umgehen sollte. Stück für Stück gab es aber auch eingewisses Maß an Demonstrationsfreiheit. Einige habengehofft, das könnten Schritte in Richtung Entwicklungeiner Bürgergesellschaft sein; denn dahinter stand dieAufkündigung eines vielleicht stillschweigend akzep-tierten Vertrages: Wir sorgen aus dem Kreml heraus fürWohlstand und Stabilität, und ihr haltet euch aus derPolitik heraus. Dieser „Vertrag“ hat nicht gehalten, son-dern er ist aufgekündigt worden.Präsident Putin hat mit seinen Ankündigungen, Russ-land zu einer der führenden Industrienationen der Weltzu machen, hohe Erwartungen geweckt. Doch die erstenMonate der neuen Amtszeit zeigen eine anhaltende Ner-vosität der politischen Führung des Landes und machendeutlich, dass wohl eher wieder Repressionen und Zu-rückdrängung von Freiheiten auf der Tagesordnung ste-
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hen. Das NGO-Gesetz, das vorsieht, dass sich NGOs alsausländische Agenten registrieren lassen müssen, ist ge-nannt worden. Das ist eine Geste des Misstrauens, dieauch weiteres Misstrauen schafft.Es gibt weitere Einschränkungen der bürgerlichenFreiheiten: Sperrung von Internetseiten, Verschärfungdes Demonstrations- und Versammlungsrechts, restrik-tive Gesetze gegen sexuelle Minderheiten, unverhältnis-mäßige Urteile wie im Fall von Pussy Riot, gerade inden letzten Tagen intensiveres Vorgehen der Sicherheits-kräfte mit Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und kurz-fristigen Festnahmen. Ein weiterer Punkt ist der Aus-schluss des Kollegen Gennadij Gudkow der Fraktion„Gerechtes Russland“ mit Mehrheitsbeschluss derDuma. Das alles betrachten wir mit Sorge. Gerade jetztwäre es notwendig, dass ein vernünftiger Dialog zwi-schen Präsident, Regierung und Opposition geführt wird.An diesem Wochenende wird ein Koordinationsrat derrussischen Opposition gewählt. Ich setze darauf, dasssich führende Köpfe herausbilden und dass Potenzialvorhanden ist, um gemeinsam über Zukunftsvorstellun-gen für Russland zu diskutieren.Natürlich gibt es auch einige Lichtblicke: den Beitrittzur WTO, ein Stückchen Freiheit bei den Gouverneurs-wahlen – es ist immer noch zu wenig –, die Zulassungvon mehr Parteien und die Vereinfachung dabei. Aberdas reicht noch nicht. Für uns, für Deutschland, für dieEuropäische Union, stellen sich daher Verantwortlich-keiten für die Bewältigung der zukünftigen Aufgaben.Die Modernisierungspartnerschaft ist dafür eine guteGrundlage. Aber sie darf nicht nur verwaltet werden,sondern sie muss auch mit neuem Leben erfüllt werden.Normen wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Men-schenrechte, die in unserer Wertegemeinschaft eineRolle spielen, müssen im gemeinsamen Dialog auch aufRussland übergehen.Dabei müssen wir ein Stück weit unsere eigene Ge-schichte bedenken: Kaiserreich, Zerfall der WeimarerRepublik, Hitlerdiktatur und Diktatur in der DDR. Unse-ren Weg gehen wir nun seit über 60 Jahren. Auch das istnicht alles von heute auf morgen passiert. Auch in Russ-land ist es ein historischer Prozess. Insofern muss manmanchmal vielleicht einen langen Atem haben.Wir müssen Wandel durch Annährung anstreben undeinen partnerschaftlich-kritischen Dialog betreiben; aberdabei darf es nie an Nachdruck fehlen. Also ist es wich-tig, das zu machen, was der Kollege Heinrich aus unse-rem Antrag schon zitiert hat; ich muss das nicht wieder-holen. Wenn wir über Rechtsstaatlichkeit reden, wennwir über Rechtssicherheit reden, wenn wir über denKampf gegen die Korruption reden, dann müssen wirauch deutlich sagen: Das Recht des Stärkeren gilt esdurch die Stärke des Rechts zu ersetzen.
Folglich ist auf der obersten Ebene darüber zu spre-chen, wie die Umsetzung der Inhalte der Charta des Eu-roparates gewährleistet wird. Wir brauchen mehr Dialog,wir brauchen mehr Zusammenkünfte. Die im Rahmender russischen Ostseeratspräsidentschaft beabsichtigteNGO-Konferenz in Sankt Petersburg, die unter deut-scher Leitung stattfinden soll, ist zu nutzen, um darüberzu diskutieren. Wir brauchen mehr gemeinsame Pro-jekte, die aber auch gemeinsam evaluiert werden und beidenen über die gemeinsame Erwartungshaltung disku-tiert wird. Es ist auch wichtig, mehr Austausch der So-zialpartner zu organisieren, um die soziale Kultur, dieSozialpartnerschaft über die viele Ebenen umfassendewirtschaftliche Präsenz in Russland zu verbreitern.Wir sollten darüber nachdenken, ein deutsch-russi-sches Jugendwerk zu initiieren, das den deutsch-russi-schen Jugendaustausch verstärkt. Wir brauchen Partner-schaften zwischen Kommunalpolitikern und zwischenRegionen. Wir brauchen auch – das ist ganz zentral; dasunterstreiche ich – eine Visaliberalisierung. Langfristi-ges Ziel sollte, natürlich unter Wahrung unserer Sicher-heitsinteressen, Visafreiheit sein.
Ich muss daran erinnern, dass Frau Merkel vor einemJahr beim Petersburger Dialog gesagt hat, dass Deutsch-land auf der Bremse steht. Man kann der Regierung vonhier aus nur zurufen: Frau Merkel, gehen Sie von derBremse herunter und lassen Sie auch die Handbremselos. Wir brauchen mehr Freiheit, damit die Menschenhäufiger zusammenkommen können und miteinander re-den können.
– Ich habe das ja benannt. Es war nicht „eure“, sondernunsere AG, unsere Arbeitsgruppe, in der die Koalitions-fraktionen bis heute nicht in der Lage waren, einen ge-meinsamen Antrag vorzubereiten und vorzulegen. Dasist schade, und das ist bedauerlich. Wir werden weiterdarüber streiten und weiter darüber diskutieren müssen.Ich möchte noch etwas hinzufügen.
Kollege Thönnes, das werden Sie vertagen müssen.
Schauen Sie bitte auf das Signal.
Ich formuliere meine letzten Sätze. Frau Präsidentin,danke für den Hinweis. – Ich will sagen, dass man auchim sicherheitspolitischen Bereich, bei der Raketenab-wehr, Vertrauen schaffen muss, um in guter Partner-schaft die anderen Probleme zu lösen. Insofern ist eswichtig, dass wir zusammenkommen und in einem part-nerschaftlichen Verhältnis an der Erreichung unsererZiele arbeiten, sodass das, was in den Broschüren zumDeutschlandjahr in Russland und zum Russlandjahr inDeutschland steht, verwirklicht wird. Es gilt, dafür zusorgen, dass Wege in eine gemeinsame gute Zukunftauch wirklich gemeinsam gegangen werden können.Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Patrick Kurth für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Russland ist sowohl innen- als auch außenpoli-
tisch unser größter Nachbar in der Europäischen Union.
Besonders für uns Deutsche muss die Entwicklung be-
sorgniserregend sein. Die Partnerschaft zwischen Russ-
land und der Europäischen Union, aber auch die Partner-
schaft zwischen Russland und Deutschland basiert
derzeit offensichtlich auf unterschiedlichen Konzepten.
Putins Bereitschaft zu Reformen hin zur Moderne ist nur
schwerlich zu erkennen: Gesetze wurden verschärft.
Teilnehmern illegaler Demonstrationen drohen hohe
Strafen. Auslandsfinanzierte Nichtregierungsorganisa-
tionen werden gezwungen, sich quasi als ausländische
Agenten zu bezeichnen und in ein spezielles Register
einzutragen zu lassen. Prominente Oppositionelle und
Regierungsgegner werden verfolgt, angeklagt und oft-
mals auch zu hohen Haftstrafen verurteilt. Der Straftat-
bestand der Verleumdung wurde wieder ins Strafgesetz-
buch aufgenommen. Einschüchterung und Kontrolle
sind oftmals an der Tagesordnung. Immer wieder wer-
den Menschenrechte auch in den Regionen, vor allem im
Nordkaukasus, verletzt. Über die Wahlen muss man we-
nig sagen. Möglicherweise ist Genosse Putin doch nicht
der lupenreine Demokrat, als der er in diesem Hause
schon einmal bezeichnet worden ist.
Diese Probleme sind bekannt; aber wir dürfen nicht
müde werden, darauf hinzuweisen. Das russische Ver-
halten an diesen Stellen ist völlig inakzeptabel. Russland
muss sich auch unserer Kritik stellen.
Einige Fragen an uns sind berechtigt: Wer hat in der
westlichen Welt das größte Vertrauen bei den Russen?
Wer hat den größten Zugang zu Russland? Was und vor
allem wem hilft es, wenn wir uns von Russland viel-
leicht sogar abwenden? Sind ein manchmal sehr hart for-
muliertes Urteil und derart klar vorgetragene Vorhaltun-
gen mit Blick auf die Transformationsherausforderungen
ausgewogen? Ist unsere scharfe Kritik auch im Vergleich
zu anderen Ländern und unserem Umgang mit ihnen an-
gemessen?
So richtig und so notwendig diese Kritik ist: Sie muss
verhältnismäßig bleiben. Es ist unerlässlich, Missstände
offen und konsequent anzusprechen. Aber wir sind nicht
der dominante Erziehungsberechtigte Russlands. Koope-
ration, Zusammenarbeit und Einbindung sind die richti-
gen Schlagwörter. Es geht um die Verfolgung gemeinsa-
mer Interessen und um die Minimierung gemeinsamer
Risiken. Viele in Europa definieren ihren Umgang mit
Russland im Sinne von Sicherheit vor Russland. Für uns
gilt: Sicherheit mit Russland ist das Entscheidende.
Für jeden Staat und jede Gesellschaft ist der Weg in
eine Demokratie kein leichter. Auch Deutschland fiel
und fällt der Transformationsprozess gar nicht so ein-
fach, wie man manchmal denkt. Hierfür hatten wir trotz-
dem sehr günstige Voraussetzungen: gleiche Sprache,
gleiche Geschichte, eine, wenn man so möchte, Informa-
tion über das andere Land, zumindest was den Osten be-
traf; man hat ja fast überall im Osten Westfernsehen ge-
habt. Die Währungsumstellung kam sehr schnell, die
Vereinigung auch. Trotzdem haben wir im Jahr 22 nach
der Einheit diktaturbedingt immer noch Differenzen.
Angesichts dieser Transformationsherausforderungen im
eigenen Land sollten wir uns vorstellen können, was in
anderen Ländern ohne diese Vorbedingungen los ist.
Auch darum geht es, wenn wir über Russland sprechen.
Meine Damen und Herren, wir wollen diesen Trans-
formationsprozess fördern. Wir wollen ihn unterstützen.
Wir wollen Kritik deutlich machen. Wir wollen eine
gleichberechtigte Modernisierungspartnerschaft. Wir
wollen sie erhalten. Wir wollen sie ausbauen. Es muss
eine Balance zwischen Kritik und Zusammenarbeit er-
reicht werden. Außerdem wollen wir uns davor hüten,
die Brücken zu Russland abzubrechen. Zu einer solchen
Brücke gehört auch das Visaregime. Wenn das Visare-
gime weiterhin so restriktiv wie gegenüber uns Deut-
schen gehandhabt wird, dann wird eine weitere Brücke
abgebrochen. Auch wir appellieren an unsere Innenpoli-
tiker, noch einmal darüber nachzudenken, wie man das
Visaregime weiter verbessern kann, sodass es uns insge-
samt hilft.
Ein positives Signal für ein Miteinander findet zurzeit
statt: Deutschland feiert das Russlandjahr, Russland pa-
rallel dazu das Deutschlandjahr; zahlreiche Projekte ver-
gegenwärtigen die deutsch-russischen Beziehungen der
Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Dieses
Jahr steht unter dem Motto „Deutschland und Russland:
gemeinsam die Zukunft gestalten“. Das ist eine Auffor-
derung an uns und die Russen. Diesen Weg sollten wir
gehen.
Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Wolfgang Gehrcke das Wort.
Das finde ich toll. Schönen Dank. Wenn es notwendigist, setze ich mich auch zwischendurch hin und klatschemir selber Beifall. Das kann man sicherlich im Wechselmachen. Das kriegt man schon hin. – Frau Präsidentin!Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mir sehrwünschen, dass wir in dieser Debatte deutlicher zumAusdruck bringen, dass wir die Diskussion mit Russland
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24164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012
Wolfgang Gehrcke
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in der Absicht führen, dazu beizutragen, dass Russlandden Weg hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, wenigerArmut, mehr Demokratie und zur Rechtsstaatlichkeitgeht. Dies sollte auch als Faktor des Friedens politischwirksam werden. Ich würde den russischen Bürgerinnenund Bürgern gerne nahebringen, dass dies unsere Ab-sicht in dieser Debatte ist. Zumindest meine ist es.
Ich füge hinzu, dass man diese Debatte nicht vonoben herab und belehrend führen darf. Man sollte ande-ren gegenüber nicht so tun, als könnten sie aus unserenErfahrungen alle notwendigen Schlussfolgerungen fürsich selbst ableiten. Ich betrachte diese Diskussion viel-mehr als eine sehr gleichberechtigte Debatte. Auch wirsollten die Bereitschaft zeigen, von der Entwicklung inRussland zu lernen; auch das ist nämlich möglich.Ich finde, es ist gut, darauf aufmerksam zu machen,dass das unverschämte Benehmen und das unverschämteAgieren der Neureichen in Russland völlig inakzeptabelsind. Die eigentlich Betroffenen finden Sie in den Me-trostationen, wo sie um Schutz und Obdach ersuchen.Die soziale Frage in Russland wird sich zu einem unge-heuren Sprengsatz entwickeln, wenn man nicht an einerLösung der bestehenden Probleme arbeitet.
– Ja. Auch so etwas gibt es.Ich möchte gern, dass in Russland begriffen wird,dass eine demokratische Entwicklung auf sozialer Ge-rechtigkeit aufbaut und dass Rechtsstaatlichkeit für alleTeile der Gesellschaft ungeheuer wichtig ist. Schließlichwill man weder der Willkür einer Staatsverwaltung nochder Willkür eines Parteisekretärs ausgesetzt sein. Ichfinde, das ist eine Schlussfolgerung, die man aus derVergangenheit ziehen kann.
Das alles sage ich nicht belehrend.
Ich möchte, dass wir endlich damit aufhören, über dieRussland-Politik konjunkturabhängig zu diskutieren.Sprünge zwischen „lupenrein“ bzw. „hosianna!“ und„Kreuzigt sie!“ passen mir überhaupt nicht. Russland-Politik und Außenpolitik sind für mich beständige undwichtige Angelegenheiten.Ich habe übrigens nicht mit dem Thema angefangen,das bei euch in der Regierungskoalition ein Problem dar-stellt.
Aber auch mir ist natürlich aufgefallen, dass zu den In-halten, die debattiert worden sind, aus der Richtung vonSchwarz-Gelb nichts Substanzielles gekommen ist. Da-mit kommt man nicht durch. Ich möchte stabile Bezie-hungen zu Russland und Stabilität in Europa. Blickt manauf den Balkan, nach Moldawien oder in Richtung Kau-kasus, stellt man fest: Kaum ein europäisches Problemist ohne Russland lösbar. Auch die Nahostprobleme sindnur gemeinsam mit Russland lösbar, nicht gegen Russ-land.Hinzu kommt, dass die Abrüstungsfragen endlich aufdie Tagesordnung kommen müssen.
Ich bin gegen die Einrichtung eines Raketenabwehrsys-tems. Eigentlich ist das nämlich ein System, das zweier-lei Sicherheit in Europa etabliert. Das können wir nichttolerieren, und wir müssen dagegen argumentieren. Ichdenke, dass man, auch was das Verhältnis zu Russlandangeht, einen Weg gehen sollte, den man mit „Wandeldurch Annäherung“ umschreiben kann.Derzeit finden ja deutsch-russische Regierungskon-sultationen statt. Wenn ich für die Tagesordnung dieserGespräche verantwortlich wäre, würde ich entscheiden:Tagesordnungspunkt 1 – Visafreiheit. Das, was wirRichtung Russland und anderen Ländern signalisieren,ist: Ihr seid uns nicht willkommen. Ich möchte, dass wirsignalisieren: Ihr seid uns willkommen.Ihre Fraktionen und Ihre Parteien haben doch Lei-tungsgremien. Appellieren Sie doch nicht hier an IhreAußenpolitiker, dafür einzutreten, dass sich dort etwasändert, sondern setzen Sie in Ihrer Fraktion durch, dassman dafür eintritt, dass sich dort etwas ändert. Es istdoch beschämend, was hier geschieht.
Ich möchte gerne, dass über eine Energiepartnerschaftund eine Demokratiepartnerschaft debattiert wird. Zei-gen Sie einmal ein bisschen Kreuz und treten Sie fürpolitische Veränderungen ein. Wenn Sie nach Moskaufahren, wird Ihnen gesagt: Fassen Sie sich an die eigeneNase. Wenn ich mir ansehe, wie mit dieser Frage hierumgegangen wird, muss ich sagen: Ich finde diese Aus-sage berechtigt.Schönen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenauf den Drucksachen 17/11002 und 17/11005 an die inder Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24165
Vizepräsidentin Petra Pau
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amSchluss unserer heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf Mittwoch, den 24. Oktober 2012, 13 Uhr,ein.Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen zumkommenden Wochenende auch ein wenig Erholung.