Protokoll:
17199

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 199

  • date_rangeDatum: 19. Oktober 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:26 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/199 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 199. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 I n h a l t : Ausschussüberweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalver- trags (Drucksachen 17/10976, 17/11011) . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 38: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haus- haltsjahr 2012 (Zweites Nachtragshaus- haltsgesetz 2012) (Drucksache 17/10900) . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Bockhahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Peter Friedrich, Minister (Baden-Württemberg) . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: a) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energiewende sozial gestalten – Bezahlbare Strompreise gewährleisten (Drucksache 17/10800) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Bezahlbare Energie sichern durch Einsparung, Er- neuerbare und mehr Verbraucher- rechte (Drucksache 17/11030) . . . . . . . . . . . . . . c) Beratung der Großen Anfrage der Abge- ordneten Rita Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann, Dirk Becker, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: Die Energiewende – Kosten für Verbrau- cherinnen, Verbraucher und Unterneh- men (Drucksache 17/10366) . . . . . . . . . . . . . . 24085 A 24085 B 24085 B 24085 C 24087 C 24088 D 24089 B 24090 D 24091 A 24091 C 24093 A 24094 C 24096 B 24097 C 24099 B 24100 A 24101 A 24102 A 24103 A 24104 B 24105 C 24106 D 24107 A 24107 A Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sven Morlok, Staatsminister (Sachsen) . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der steu- erlichen Förderung der privaten Altersvor- sorge (Altersvorsorge-Verbesserungsge- setz – AltvVerbG) (Drucksache 17/10818) . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Fraktion der SPD: Eine gesetz- liche Obergrenze für verbraucherge- rechte Dispositionszinsen (Drucksache 17/10988) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Begrenzung der Zinssätze für Dispositions- und Überziehungskre- dite (Drucksache 17/10855) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 39: a) Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeord- neten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Rechtsstaatlich- keit in Russland (Drucksachen 17/7541, 17/9521) . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Agnes Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Modernisierung Russlands ohne Rechtsstaatlichkeit (Drucksache 17/11002) . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktion der SPD: Gemeinsam die Modernisierung Russlands voranbrin- gen – Rückschläge überwinden – Neue Im- pulse für die Partnerschaft setzen (Drucksache 17/11005) . . . . . . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 24107 B 24108 D 24111 C 24113 B 24114 D 24115 D 24117 A 24117 C 24118 C 24120 D 24122 B 24123 A 24123 D 24124 C 24125 C 24126 D 24127 C 24129 B 24130 B 24131 C 24132 C 24133 C 24134 A 24134 C 24135 B 24135 B 24136 D 24138 C 24139 D 24141 B 24142 D 24144 C 24145 A 24146 A 24147 A 24148 D 24148 D 24149 A 24149 D 24151 A 24152 A 24153 C 24154 A 24154 D 24156 C 24157 C 24157 C 24157 D 24158 A 24159 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 III Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24161 A 24163 A 24163 D 24165 A 24167 A 24168 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24085 (A) (C) (D)(B) 199. Sitzung Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 24167 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 19.10.2012 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 19.10.2012* Becker, Dirk SPD 19.10.2012 Binder, Karin DIE LINKE 19.10.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 19.10.2012 Burchardt, Ulla SPD 19.10.2012 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 19.10.2012 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 19.10.2012 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 19.10.2012 Funk, Alexander CDU/CSU 19.10.2012 Gruß, Miriam FDP 19.10.2012 Gunkel, Wolfgang SPD 19.10.2012 Dr. Happach-Kasan, Christel FDP 19.10.2012 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 19.10.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 19.10.2012 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.10.2012 Dr. Kaufmann, Stefan CDU/CSU 19.10.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.10.2012 Lanfermann, Heinz FDP 19.10.2012 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine FDP 19.10.2012 Dr. Lotter, Erwin FDP 19.10.2012 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 19.10.2012 Möhring, Cornelia DIE LINKE 19.10.2012 Müller (Erlangen), Stefan CDU/CSU 19.10.2012 Nahles, Andrea SPD 19.10.2012 Nink, Manfred SPD 19.10.2012 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 19.10.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 19.10.2012 Röspel, René SPD 19.10.2012 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.10.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 19.10.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 19.10.2012 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 19.10.2012 Simmling, Werner FDP 19.10.2012 Storjohann, Gero CDU/CSU 19.10.2012 Thomae, Stephan FDP 19.10.2012 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.10.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 19.10.2012 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 19.10.2012 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.10.2012 Weinberg, Harald DIE LINKE 19.10.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 19.10.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 19.10.2012 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 19.10.2012 Ziegler, Dagmar SPD 19.10.2012 Zypries, Brigitte SPD 19.10.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 24168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 199. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2012 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 901. Sitzung am 12. Ok- tober 2012 beschlossen, zu dem am 21. September 2012 zugeleiteten nachstehenden Gesetzentwurf gemäß Arti- kel 76 Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes eine Verlänge- rung der Frist zur Stellungnahme zu verlangen. – Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Re- gulierung im Eisenbahnbereich Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Globalisierung gestalten – Partnerschaften ausbauen – Verantwortung teilen – Drucksache 17/8600 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der NATO 57. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO vom 7. bis 10. Oktober 2011 in Bukarest, Ru- mänien – Drucksachen 17/9603, 17/10707 Nr.1.1 – – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundes- tages in der Ostseeparlamentarierkonferenz 20. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonferenz vom 28. bis 30. August 2011 in Helsinki, Finnland – Drucksachen 17/10498, 17/10707 Nr. 1.10 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit der Westeuropäischen Union für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2011 – Drucksachen 17/10594, 17/10707 Nr. 1.13 – Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesver- triebenengesetzes in den Jahren 2009 und 2010 – Drucksache 17/9401 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/10208 Nr. A.1 Ratsdokument 10186/12 Drucksache 17/10208 Nr. A.2 Ratsdokument 10213/12 Drucksache 17/10208 Nr. A.3 Ratsdokument 10313/12 Haushaltsausschuss Drucksache 17/9797 Nr. A.4 Ratsdokument SEK(2012)270 endg. Drucksache 17/10028 Nr. A.3 Ratsdokument 10717/12 Verteidigungsausschuss Drucksache 17/5822 Nr. A.41 EuB-BReg 154/2011 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 17/6407 Nr. A.23 Ratsdokument 10958/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.60 Ratsdokument 11845/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.61 Ratsdokument 12491/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.62 Ratsdokument 12757/11 Drucksache 17/6985 Nr. A.64 Ratsdokument 13016/11 Drucksache 17/7260 Nr. A.5 Ratsdokument 13683/11 Drucksache 17/7549 Nr. A.9 Ratsdokument 14450/11 Drucksache 17/7713 Nr. A.22 Ratsdokument 15405/11 199. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 34, 38 Umsetzung Fiskalvertrag, Nachtragshaushaltsgesetz TOP 35 Soziale Gestaltung der Energiewende TOP 36 Steuerliche Förderung der privaten Altersvorsorge TOP 13 Obergrenze für Dispo-Kreditzinsen TOP 39, ZP 8 Rechtsstaatlichkeit in Russland Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719900000

Die Sitzung ist eröffnet; nehmen Sie bitte Platz.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte Sie vor Eintritt in unsere Tagesordnung auf die
Vereinbarung der Fraktionen aufmerksam machen, die
Unterrichtung der Bundesregierung zum Beitragssatzge-
setz 2013 auf der Drucksache 17/11059 dem federfüh-
renden Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zur Mit-
beratung dem Haushaltsausschuss, dem Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie sowie dem Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu überweisen.
Können Sie sich damit anfreunden? – Das ist offensicht-
lich der Fall. Dann können wir so verfahren.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 und 38 auf:

34 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur inner-
staatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags

– Drucksachen 17/10976, 17/11011 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

38 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum
Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr
2012 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2012)


– Drucksache 17/10900 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu
stelle ich keine Einwände fest. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen
Kampeter.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


S
Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1719900100


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir treffen uns heute Morgen, nachdem in Brüs-
sel weitere wichtige und aus deutscher Sicht erfreuliche
Festlegungen für die europäische Integration getroffen
worden sind. Die Schlussfolgerungen des Europäischen
Rates aus der vergangenen Nacht machen deutlich,
welch erfreuliche Fortschritte es gegeben hat für mehr
Stabilität in Europa. Dies ist ein Erfolg für die Frau Bun-
deskanzlerin. Es ist ein Erfolg für Europa und damit ein
Erfolg für uns alle, meine sehr verehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was habt ihr denn gemacht?)


Europa zeigt sich weiter handlungsfähig. Die Verein-
barungen zeigen allerdings auch, dass unser Wille zur
Einigung nicht zulasten von Qualität geht. Insbesondere
die Festlegungen zur Bankenunion machen deutlich, wie
wichtig die Inkraftsetzung einer einheitlichen europäi-
schen Aufsicht ist. Wir lassen uns da insoweit auch nicht
in qualitativ schlechtere Lösungen drängen. Deswegen
ist es erfreulich, dass die von uns vorgesehene Schritt-
folge vom Europäischen Rat bestätigt worden ist. Das
entspricht dem, was die Frau Bundeskanzlerin am ver-
gangenen Donnerstag hier in ihrer Regierungserklärung
deutlich gemacht hat.

Damit schlage ich eine Brücke zu einem Teil dessen,
was wir heute in erster Lesung beraten. Es geht um die
Umsetzung der europarechtlichen Regelungen, die wir
in der Vergangenheit getroffen haben, in nationales
Recht. Der Fiskalvertrag und die Reform des Stabilitäts-
und Wachstumspakts haben mehrere Dimensionen. Zum
einen geht es um anständige Haushaltspolitik – dass man
auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben kann, als man hat –,
zum anderen geht es darum, die nationalen Reformkom-
petenzen nicht nur in der Euro-Zone zu stärken und diese
Reformkompetenzen mit dem Ziel von mehr Wettbe-





Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter


(A) (C)



(D)(B)


werbsorientierung fortzuentwickeln. Schließlich geht es
darum, in abgestimmter europäischer Form einzugreifen,
wo sich jemand an europäische Regeln nicht hält. Diese
drei Dimensionen – anständige Haushaltspolitik und
Stärkung der Reformkompetenz bei gleichzeitiger Kon-
trolle –, das ist das, wofür die Bundesregierung und die
christlich-liberale Koalition angetreten sind. Um das na-
tional umzusetzen, haben wir diesen Gesetzentwurf
heute eingebracht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die natio-
nale Umsetzung des Fiskalvertrags macht deutlich, dass
Bund und Länder in der Umsetzung dessen, was haus-
haltspolitisch geboten ist, zusammenarbeiten müssen.
Das darf nicht zulasten einer einzelnen Ebene gehen.
Gleichwohl weiß ich, dass starke Schultern mehr als
schwächere Schultern tragen können. Föderalismus be-
deutet in Deutschland auch Eigenverantwortung. Des-
wegen müssen die Haushaltsprobleme der Länder vor-
dringlich von den Ländern selbst gelöst werden. Jeder
kehre bitte vor seiner eigenen Tür.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Trotzdem ermöglichen wir mit dem hier vorgelegten
Gesetzespaket, dass wir uns über diese Fragen abstim-
men. Man muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass
dies nicht die letzte Diskussion über die Bund-Länder-
Finanzverfassung ist. In der nächsten Legislaturperiode
wird das Thema Föderalismuskommission – unter wel-
cher Überschrift auch immer – zweifelsohne eine grö-
ßere Bedeutung haben.

Wir Deutschen stehen bei der Umsetzung des Fiskal-
vertrages aber auch unter besonderer internationaler Be-
obachtung; denn wer von anderen viel einfordert, muss
bei der Umsetzung der europäischen Regeln in nationa-
les Recht außerordentlich vorbildlich handeln. Deswe-
gen wollen wir unser geltendes Regelwerk um einen
Sicherungs- und Korrekturmechanismus auf gesamt-
staatlicher Ebene ergänzen. Kern dieses Mechanismus
ist, dass wir die nach den europäischen Regeln zulässige
Obergrenze für das gesamtstaatliche strukturelle Defizit
von einem halben Prozent unseres Bruttoinlandsproduk-
tes festschreiben, die Einhaltung dieser Grenze durch
den Stabilitätsrat überwachen lassen und etwaige Sank-
tionszahlungen innerstaatlich aufteilen. Insgesamt schaf-
fen wir so ein finanzpolitisches Regelwerk in europäi-
schem Geist.

Ich will an dieser Stelle festhalten, dass Befürchtun-
gen, dass Schuldenbremsen – seien sie national oder in-
ternational initiiert – das Ende von gestaltender Politik
sind, falsch sind. Das Gegenteil ist richtig: Nur wer da-
rauf achtet, mit seinen Haushaltsmitteln auszukommen,
ist von den Kapitalmärkten unabhängig, ist von steigen-
den Zinsen unabhängig. Die Schuldenbremse des
Grundgesetzes und der Fiskalvertrag auf europäischer
Ebene sind die Rückgewinnung des Gestaltungsraumes
für Politik. Deswegen ist die Schuldenbremse wichtig
und eine notwendige Ergänzung, um aus den Fehlern der
Vergangenheit zu lernen, als man glaubte, nur mit Schul-
den Politik gestalten zu können. Konsolidierung ist ein
Auftrag an Gestaltung, an Priorisierung, und deswegen
auch im Sinne nachfolgender Generationen notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich auf den zweiten Gesetzentwurf ein-
gehen, den wir heute dem Deutschen Bundestag vorle-
gen; er hat mit dem Haushalt zu tun. Ich will nicht ver-
hehlen, dass ich den Eindruck habe, dass die Vorlage
dieses Nachtragshaushaltes dem einen oder anderen
Landesvertreter es etwas leichter macht, dem Fiskalver-
trag im Bundesrat zuzustimmen. Es geht um mehrere
Dinge.

Es geht zum einen um mehr Geld für die unter Drei-
jährigen-Betreuung. Kristina Schröder, die Bundesfami-
lienministerin, hat auf diesem Kompetenzfeld besondere
Verdienste, weil sie nicht nur dafür eingetreten ist, dass
sich der Bund auf diesem Feld engagiert. Vielmehr er-
mahnt sie auch kontinuierlich die Länder, ihre Verant-
wortung wahrzunehmen, die sie bei der unter Dreijähri-
gen-Betreuung verfassungsrechtlich haben.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies ist keine leichte Aufgabe. Vielmehr sollte man ihr
gelegentlich ein bisschen mehr Respekt – statt der Un-
ruhe der Opposition – entgegenbringen. Dies ist nämlich
eine Investition in die Zukunft, die wir absichern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie wird im Einzelnen noch einmal darauf eingehen.

Als Finanzpolitiker will ich auf eine Sache hinweisen:
Es geht nicht – und das werden wir auch nicht durchge-
hen lassen –, dass die Länder kassieren, ohne in diesem
Bereich zu investieren. Wie werden ganz genau hinse-
hen, ob die zusätzlichen Mittel auch dort eingesetzt wer-
den, wofür sie gedacht sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die zweite Botschaft des Nachtragsetats ist: Wir hal-
ten Wort in Europa. Es ist auf dem letzten Gipfel der
Staats- und Regierungschefs im Juni beschlossen wor-
den, dass wir die Europäische Investitionsbank mit mehr
Eigenkapital ausstatten, damit sie mehr Möglichkeiten
hat. Die Europäische Investitionsbank ist ein wichtiges
Instrument unserer Wachstumsförderungsstrategie in
Europa. Deswegen glaube ich, dass die 1,6 Milliarden
Euro, die wir der EIB aus Deutschland bereitstellen, ein
wichtiger Beitrag für mehr Wachstum und Beschäfti-
gung in allen Ländern Europas und sicherlich auch ein
Beitrag zur Linderung der Folgen der Krise in den soge-
nannten Peripherieländern sind. Deutschland steht zu
seinem Wort. Wir übernehmen Führung bei der Einzah-
lung der Kapitalverstärkung der Europäischen Investi-
tionsbank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Schließlich bleibt zu sagen: Der Hauptstadtflughafen
ist sicherlich kein Glanzstück der Landespolitik von Ber-
lin bzw. Brandenburg. Wir stehen aber auch zu unserer
Verantwortung, wenn es schwierig wird.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat die Bundesregierung Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter denn für eine Verantwortung? – Joachim Poß [SPD]: Was macht denn der Ramsauer im Aufsichtsrat?)





(A) (C)


(D)(B)


Es ist für das Ansehen Deutschlands nicht sehr vorteil-
haft, wenn der Eindruck erweckt wird, wir könnten keine
Flughäfen mehr bauen.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Richtig!)


Trotzdem macht es überhaupt keinen Sinn, jetzt in
Klein-Klein zu verfallen und die notwendige Erneuerung
des Hauptstadtflughafens weiter zu verzögern.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Herrn Ramsauer! – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich für die Bundesregierung, die mit zwei Leuten im Aufsichtsrat sitzt!)


Hier sagen wir: Für die notwendige Kapitalerhöhung,
vorbehaltlich weiterer Beschlüsse in der Koalition,
schaffen wir eine haushaltsrechtliche Voraussetzung.
Selbst wenn uns der Wind einmal ins Gesicht bläst und
andere nicht so gehandelt haben, wie man sich das ge-
wünscht hätte,


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Kollege war es!)


steht der Bund auch hier zu seiner Verantwortung. Des-
wegen ist die Entscheidung zum Flughafen Berlin-Bran-
denburg mit Zustimmung des Bundes zweifelsohne rich-
tig.

Nun könnte man sagen: Das sind nur drei Punkte, und
schon wieder steigt die Nettokreditaufnahme. – Das ist
falsch, liebe Freunde, meine sehr verehrten Damen und
Herren. Richtig ist vielmehr, dass es uns durch die er-
freuliche wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland
und das sehr stabile Zinsumfeld möglich wurde,


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind Krisengewinnler!)


diese zusätzlichen Herausforderungen zu schultern. Das
geschieht mit Minderausgaben an anderer Stelle, vor al-
len Dingen im Zinsbereich.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz spitz gerechnet!)


Die europäische Solidarität, die Solidarität für die un-
ter Dreijährigen und das Ermöglichen von Leistungen
auf Landesebene führen eben nicht zu Mehrbelastungen
oder zu Einschränkungen an anderer Stelle. Vielmehr ist
die Haushaltspolitik von Wolfgang Schäuble solide.
Wenn zusätzliche Leistungen einmal nötig sind, können
wir sie auch erbringen.

Das ist ein gutes Signal für Deutschland. Damit ist
deutsche Haushaltspolitik sicherlich auch ein Maßstab
für europäische Stabilität in Haushaltsangelegenheiten.

Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719900200

Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Carsten

Schneider das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1719900300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be-

ginnen möchte ich mit einer kurzen Erwiderung zum eu-
ropäischen Gipfel gestern. Soweit ich es festgestellt
habe, gab es gar keine Ergebnisse, außer der Ankündi-
gung, dass der Termin, zum 1. Januar 2013 eine europäi-
sche Bankenaufsicht einzuführen, auch auf Druck der
Bundesregierung verschoben worden ist.

Warum ist das so? Darauf hat der französische Präsi-
dent gestern hingewiesen. Er sagte, in Deutschland stehe
ein Wahltermin an. Warum ist dieser Wahltermin für
Deutschland so wichtig? Es handelt sich um die Bundes-
tagswahl, es stehen also wichtige Entscheidungen an.

Was hat die Kanzlerin beim letzten Gipfel zugesagt?
Sie hat zugesagt, dass es eine Direktkapitalisierung von
europäischen Banken aus europäischen Steuermitteln
geben soll. Die größten europäischen Banken werden
sich dann, wenn sie Probleme haben, beim deutschen
Steuerzahler bedienen können. Ich finde, das hätten Sie
auch einmal sagen müssen. Diese Direktkapitalisierung
lehnen wir strikt ab.


(Beifall bei der SPD)


Es war ein Fehler, Ende Juni diesen Beschluss zu fas-
sen. Er bedeutet eine Aufhebung des Zusammenhangs
von Risiko und Haftung und führt zu einem direkten Zu-
griff auf deutsches Steuerzahlergeld durch europäische
Banken. Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass der
Stabilitätsmechanismus, der eigentlich für Staaten ge-
dacht ist, auf diese Weise zu einem Selbstbedienungsla-
den für Banken wird. Deswegen werden wir darauf be-
stehen, dass diese Entscheidung korrigiert wird.

Ich komme jetzt zum Nachtragshaushalt. Ja, wir stim-
men den einzelnen Maßnahmen zu, die hier geändert
werden sollen. Nein, wir stimmen der hohen Kreditauf-
nahme nicht zu. Sehr verehrter Herr Kollege Kampeter,
Sie haben nicht gesagt, dass die Zahl von 32 Milliarden
Euro, die Sie jetzt als Kreditaufnahme veranschlagen,
fast doppelt so hoch ist wie die Zahl, die 2011 veran-
schlagt wurde.

Herr Kampeter, Sie haben auch nicht gesagt, dass
Herr Schäuble in seiner Amtszeit 112 Milliarden Euro
Schulden gemacht hat und die Aufnahme weiterer
Schulden plant, wozu die Regierung Ja gesagt hat. Sie
haben auch nicht gesagt, dass es bei den Zinsen Entlas-
tungen in Höhe von über 20 Milliarden Euro gab. Dies
ist kein Ausweis solider Finanzpolitik, das ist das Ge-
genteil.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die SPD hat in den Haushaltsberatungen 2012 Anträge
eingebracht: zum Steuersubventionsabbau, zu Steuerer-
höhungen im Spitzenbereich, zu Ausgabenkürzungen,





Carsten Schneider (Erfurt)



(A) (C)



(D)(B)


um die Kreditaufnahme um 7 Milliarden Euro zu senken.
Sie haben alles abgelehnt.

Im Rahmen der Beratungen zum Nachtragshaushalt
werden wir nach Möglichkeiten suchen – und sie auch
finden –, um die Kreditaufnahme auf ein erträglicheres
Niveau zu senken. Wir wollen Ihnen zumindest verweh-
ren, auf Kosten künftiger Generationen mit dem Geld so
zu schludern, wie Sie es jetzt tun. Deswegen werden wir
dem Nachtragshaushalt, so wie er jetzt vorliegt – mit ei-
ner hohen Kreditaufnahme –, nicht zustimmen.


(Beifall bei der SPD)


Zum Zweiten eine kurze Anmerkung zum Flughafen
Berlin-Brandenburg. Die Entwicklung dort ist sicherlich
kein Ruhmesblatt. Aber ich finde, zur Verantwortung des
Bundes, den Sie vertreten, gehört es ja wohl dazu, darauf
hinzuweisen, dass der Bund mit je einem Staatssekretär
aus dem Finanzministerium und dem Verkehrsministe-
rium ebenso im Aufsichtsrat vertreten war und ebenso
nicht gehandelt hat oder die Fehler mit hingenommen
hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Machen Sie sich da nicht vom Acker. Sie gehören ge-
nauso mit dazu.

Drittens: Fiskalvertrag. Ja, hier geht es um eine wich-
tige Entscheidung für die Europäische Union, aber auch
für uns hier in Deutschland. Der Fiskalvertrag – Sie ha-
ben darauf hingewiesen – setzt weitestgehend auf der
deutschen Schuldenbremse auf; die Möglichkeit der
strukturellen Verschuldung ist sogar noch höher als nach
deutschem Recht. Das Einzige, was wir wirklich ändern
müssen, ist der Korrekturmechanismus, der greift, wenn
es innerhalb eines Jahres zu Veränderungen kommt oder
die vorgegebenen Zahlen nicht eingehalten werden.

Ich finde, man muss sich das ganz genau anschauen.
In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, dass der
Bundestag bei den Entscheidungen, die er tagtäglich,
manchmal auch über Nacht, zu treffen hat, etwa zur Ban-
kenrettung und insbesondere zur Euro-Stabilisierung,
zunehmend Getriebener ist. Oftmals war es so, dass wir
sehr weitgehend von der Expertise der Bundesregierung,
aber auch externem Sachverstand abhängig waren. Ich
finde, dass es richtig ist, in Notsituationen zu entschei-
den. Ich finde aber auch, dass man die notwendigen
Konsequenzen daraus ziehen muss. Eine dieser Konse-
quenzen kann nur sein, den Bundestag als Ort der De-
batte und der Entscheidungen, für die wir alle im End-
effekt geradestehen, institutionell so zu stärken, dass er
diese Aufgabe wahrnehmen kann.

Wenn ich mir einerseits das Gesetz anschaue und an-
dererseits die Vorgabe der Europäischen Union zur
Kenntnis nehme, ein unabhängiges Gremium einzurich-
ten, das die Finanzpolitik begutachtet, evaluiert und
letztendlich Bewertungen abgibt, dann komme ich zu
dem Schluss: So wie Sie es bisher vorgeschlagen haben
– ich vermute, es handelt sich um eine Einigung mit den
Bundesländern –, ist es doch sehr stark auf die Exekutive

orientiert und fixiert. Die Benennung der Mitglieder des
unabhängigen Gremiums erfolgt durch die Bundesregie-
rung und den Bundesrat. Letztendlich sind nur drei von
neun Mitgliedern wirklich unabhängig, und sie berichten
dem Bundestag im Zweifel gar nicht; wir haben auch gar
keinen Einfluss darauf. Da aber die Finanzpolitik – Steu-
ern, Verschuldung – Kernbereich der parlamentarischen
Demokratie und unserer Entscheidungsbefugnisse ist,
muss dieses Gremium mit seiner Kontrollmöglichkeit
beim Bundestag eingerichtet werden, damit der Bundes-
tag letztendlich darüber debattieren kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Otto Fricke [FDP])


Ich sage das wirklich vollkommen wertungsfrei.
Denn es gibt unabhängig davon, wer gerade zur Regie-
rung oder zur Opposition gehört – ich habe lange genug
im Bundestag eine Regierung mitgetragen –, immer De-
batten zwischen Opposition und Regierung. Hier geht es
aber um eine Grundsatzentscheidung – wahrscheinlich
für die nächsten 20 oder 30 Jahre – über die Frage, in
welchem Verhältnis der Bundestag, das Parlament, zur
Regierung steht und inwieweit er langfristig strukturell
in der Lage ist, mit Expertise in die Debatten einzugrei-
fen, die auf europäischer Ebene, in der Wissenschaft und
insbesondere zwischen Bund und Ländern stattfinden.
Ich finde, jetzt ist die Gelegenheit, eine solche Grund-
satzentscheidung zu treffen. Deswegen hoffe ich, dass es
uns allen gelingt, dort eine Veränderung vorzunehmen,
um den Bundestag zu stärken, und zum Beispiel dem
Vorschlag der SPD zu folgen, einen nationalen Rat für
Finanzpolitik einzurichten, der es ermöglicht, dass wir
auch in der Öffentlichkeit kritisch, aber konstruktiv über
eine Finanzpolitik für Deutschland diskutieren, mit der
es in Zukunft gelingt, wirklich glaubwürdig und solide
hauszuhalten.

In diesem Sinne: Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719900400

Florian Toncar ist der nächste Redner für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1719900500

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wir beraten heute über die Umsetzung
des Fiskalvertrags und damit über einen ganz entschei-
denden Baustein unserer neuen europäischen Stabilitäts-
union, eine der Antworten, die die Bundesregierung ge-
meinsam mit den europäischen Partnern auf die aktuelle
Krise im Euro-Raum gegeben hat und die uns weiter-
führt, wenn sie jetzt konsequent umgesetzt wird. In Zu-
kunft dürfen Staaten, die den Euro als Währung haben,
und einige andere europäische Staaten nur noch Schul-
den im Umfang von 0,5 Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts machen. Sie müssen nach diesem Fiskalvertrag





Florian Toncar


(A) (C)



(D)(B)


ihre Gesamtverschuldung kontrolliert auf 60 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts abbauen; man muss die Verschul-
dung also Schritt für Schritt reduzieren. Die europäi-
schen Institutionen, die Kommission und der Gerichts-
hof, können besser durchsetzen, dass das eingehalten
wird. Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt gegen-
über dem, was bisher gegolten hat.

Ich will noch einmal daran erinnern, warum dieser
Fiskalvertrag nötig wurde. Es gab beim Euro eigentlich
von Anfang an Regeln, die besagt haben: Ihr dürft nicht
so viele Schulden machen. – Wer beim Euro Mitglied
werden wollte, der durfte höchstens 60 Prozent Ver-
schuldung haben und durfte nicht mehr als 3 Prozent
neue Schulden pro Jahr machen. Das Problem ist nur,
dass diese Regeln nicht eingehalten worden sind, weil
sie von SPD und Grünen gemeinsam mit Frankreich im
Jahr 2004 politisch ausgehebelt wurden. Die Regeln, die
Sie damals ramponiert haben, stellen wir mit dem Fis-
kalvertrag wieder her.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Legendenbildung!)


Ich finde es übrigens auch ganz interessant, dass man
von Sozialdemokraten und Grünen nie etwas dazu hört,
was sie 2004 gemacht haben.


(Joachim Poß [SPD]: Was? Ständig haben wir was dazu gesagt!)


– Sie können gleich etwas dazu sagen, Kollege Poß. Ei-
gentlich müssten Sie, da Sie sehen, was mit der Europäi-
schen Währungsunion passiert ist, nachdem Sie die Re-
geln deformiert haben, ziemlich demütig sein


(Patrick Döring [FDP]: Schämen Sie sich!)


und sich bei den Bürgern in Deutschland dafür entschul-
digen, was Sie im Jahr 2004 angerichtet haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Was hat denn Waigel vorher gemacht?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719900600

Herr Kollege Toncar, darf Ihnen der Kollege Poß eine

Zwischenfrage stellen?


Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1719900700

Bitte schön.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1719900800

Lieber Herr Kollege, wollen Sie mit diesen Ausfüh-

rungen bestreiten, dass erst durch die Änderung des Ver-
trages die Möglichkeiten eröffnet wurden, die CDU/
CSU und SPD zur Zeit der Großen Koalition genutzt ha-
ben, um das Konzept der Schuldenbremse umzusetzen
und die Philosophie des Stabilitäts- und Wachstumspak-
tes aufzugreifen, und erst dadurch die Voraussetzungen
dafür geschaffen wurden, dass wir in der Krise gemein-
schaftlich erfolgreich arbeiten konnten, indem wir zwei
Krisenpakete mit 80 Milliarden Euro verabschiedet ha-
ben? Ohne die vertraglichen Änderungen hätten wir

diese Möglichkeiten nicht gehabt. Wollen Sie das mit Ih-
ren Ausführungen bestreiten? Oder haben Sie das nicht
mitbekommen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich muss schon feststellen, dass der ehemalige Koali-
tionspartner – bis hin zur Kanzlerin – sein Gedächtnis in
dieser Frage total verloren hat, aber Sie haben es doch
auch aufmerksam verfolgt.


Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1719900900

Kollege Poß, ich bin Ihnen zunächst einmal dankbar,

dass Sie sich auf die Diskussion einlassen.


(Joachim Poß [SPD]: Wir haben uns öfters dazu geäußert!)


– Gut. In Ordnung. – Sie sagten gerade allerdings, dass
der Bruch der Regeln, das Deformieren der Regeln 2004
– das haben Sie politisch zu verantworten – dazu geführt
haben, dass man 2009 Probleme lösen konnte, Probleme,
die man ohne den Bruch dieser Regeln nicht oder nicht
in dieser Form gehabt hätte.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das ist eine ganz bemerkenswerte Argumentation.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist auch totaler Quatsch, weil die Schuldenbremse ja auch von Ihnen gewollt war!)


– Ich hatte das Gefühl, die SPD-Fraktion ist eben schon
einmal zu Wort gekommen, und sie wird im Laufe dieser
Debatte sicherlich noch einmal zu Wort kommen.

Was der Fiskalvertrag jedenfalls beinhaltet, ist, dass
Europa gemeinsam voranschreitet und sagt: Unser
Wohlstand, unser Wirtschaftswachstum dürfen nicht
durch Neuverschuldung erkauft werden. Wohlstand
muss erarbeitet werden und darf nicht über Neuverschul-
dung generiert werden. Es ist für Regierungen zwar
manchmal verführerisch, Schulden zu machen,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Warum machen Sie jetzt in der guten Zeit so viele Schulden?)


aber wir werden mit dem Fiskalvertrag diesem Konzept
von Wirtschaftswachstum und Wohlstand, dem Sie ja of-
fenkundig auch noch anhängen, eine Absage erteilen.
Das wird es in Europa in Zukunft nicht mehr geben.

Wir werden im Zuge der Umsetzung des Fiskalver-
trags auch die aktuellen politischen Themen noch einmal
aufgreifen und wollen die heutige Debatte nutzen, um
die politische Schwerpunktsetzung der Bundesregierung
auf Bildung zu unterstreichen. Sie wissen, in vier Jahren
investieren wir trotz Haushaltskonsolidierung und ohne
dafür zusätzliche Schulden zu machen 12 Milliarden
Euro in alle möglichen Bereiche von Bildung und For-
schung. Dieser Verantwortung kommen wir auch heute
nach, indem wir weitere 580 Millionen Euro in den Aus-
bau der Kinderbetreuung investieren. Für uns ist es eine
wichtige Investition, weil es Bildungseinrichtungen sind,
in denen Kinder eine gute Zukunft haben sollen, und wir





Florian Toncar


(A) (C)



(D)(B)


bekennen uns als Bund dazu, dass wir hier in der Verant-
wortung stehen.

Wir wissen aber auch, dass sich die Länder, die ur-
sprünglich beim Ausbau der Kinderbetreuung mitge-
macht haben, dieses Mal finanziell nicht beteiligen.
Auch das muss man einmal hervorheben: Diese Aufsto-
ckung nimmt der Bund ganz alleine vor. Das muss man
einmal betonen, weil – so finde ich – es eine gesamtge-
sellschaftliche Aufgabe ist. Bund, Länder und Kommu-
nen sollten eigentlich gemeinsam für eine gute Kinder-
betreuung sorgen. Wie gesagt, wir beschließen diese
Aufstockung heute alleine, weil wir meinen, dass es gut
und richtig ist, etwas für die Kinder zu tun.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Im Übrigen werden wir im Zuge der Umsetzung des
Fiskalvertrags auch das Haushaltsrecht in Deutschland
ändern. Was den Bund angeht, werden wir die Regeln im
Haushaltsrecht des Bundes festschreiben. So viel ändert
sich nicht, da wir die Schuldenbremse bereits haben. Die
Größenordnungen sind ähnlich. Es mag kleinere statisti-
sche Unterschiede geben. Im Grunde geht es um die Bot-
schaft der Schuldenbremse, die jetzt im Haushaltsgrund-
sätzegesetz festgeschrieben wird.

Aber wir werden uns natürlich auch darüber unterhal-
ten müssen, wie wir in unserem föderalistischen System
mit unterschiedlichen Haushaltspolitiken in den Ländern
umgehen, wenn wir als Gesamtstaat eine solche Ober-
grenze haben, wenn wir uns als Gesamtstaat verpflich-
ten, nicht mehr als 0,5 Prozent neue Schulden zu ma-
chen. In diesem Zusammenhang muss ich sagen: Die
Haushaltspolitiken der Bundesländer liegen sehr weit
auseinander. Bayern beispielsweise gelingt ein Schul-
denabbau. Bayern tilgt seine Altschulden. Es hat einen
Haushaltsüberschuss erwirtschaftet, während andere
Bundesländer das nicht hinbekommen. In meinem Bun-
desland, Baden-Württemberg


(Otto Fricke [FDP]: Ein Trauerspiel!)


– ein Vertreter dieses Landes wird in der heutigen De-
batte zu Wort kommen –, wurde ein besenreiner Haus-
halt übernommen: ohne Neuverschuldung.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Bis zum Jahr 2020 werden aber 6 bis 8 Milliarden Euro
zusätzliche Schulden gemacht, die bisher nicht einge-
plant waren. Ich glaube, daran kann man erkennen, dass
es einen Unterschied macht, ob man eine bürgerliche
Koalition hat oder Rot-Grün in den Ländern regiert und
dabei die Konsolidierungserfolge, die es gegeben hat,
wieder zurückdreht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Herr Mappus hat es richtig gut gemacht! – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war richtige bürgerliche Tugend von Mappus bei EnBW!)


Um klar zu sagen, was wir hier im Bund machen: Wir
werden die Zielmarke der Schuldenbremse, die 2016 für
uns rechtlich verbindlich ist, nach der derzeitigen Pla-

nung mit dem Haushalt 2013 erreichen, also drei Jahre
früher, als wir das müssten. Das ist ein Erfolg. Wer vor
drei Jahren darauf hätte wetten wollen, hätte nicht viele
gefunden, die eingeschlagen hätten. Wir sind wesentlich
schneller vorangekommen, weil wir zusätzliche Einnah-
men nicht gleich für zusätzliche Ausgaben genutzt ha-
ben, sondern die Höhe der Ausgaben in den letzten zwei-
einhalb Jahren konstant gehalten haben.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, weil die Zinsen um 20 Milliarden niedriger sind!)


Das hat dazu geführt, dass die Neuverschuldung immer
weiter gesunken ist.

Ich will das vergleichen mit dem, was in den Jahren
2005 bis 2008 passiert ist, also – ich sage das ausdrück-
lich – in der Zeit vor der Lehman-Pleite, bevor die Krise
ausgebrochen ist, also in den guten Jahren: In dieser Zeit
sind die Ausgaben des Bundes um knapp 30 Milliar-
den Euro gestiegen. Die Bedingungen waren damals
ähnlich wie heute. Trotz sinkender Arbeitslosenquote
und guter Wachstumszahlen haben Sie es nicht ge-
schafft, die Ausgaben im Griff zu behalten. Die Ausgaben
sind damals in nur drei Jahren um über 10 Prozent gestie-
gen – unter der Verantwortung von Finanzminister
Steinbrück, der uns heute erklärt, wie es besser gehen
könnte. Wenn man Herrn Steinbrück an seinen Taten
misst, dann muss man sagen: Er hat relativ wenig vorge-
legt, was ihn berechtigt, heute hart über andere zu urtei-
len, die sich in dieser Krise in der Haushaltspolitik ziem-
lich gut schlagen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Antje Tillmann [CDU/CSU]: Richtig!)


Wir werden alles tun, damit Deutschland diesen Kon-
solidierungskurs fortsetzen kann, damit der Bund weiter-
hin so gute Haushaltszahlen vorlegen kann wie zurzeit.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Welcher Konsolidierungskurs? Wovon reden Sie eigentlich?)


Die Zahlen lügen, glaube ich, nicht. Sie sind sehr erfreu-
lich. Daran werden wir weiter arbeiten. Das heutige Ge-
setz ist ein erster Schritt. Weitere werden in den nächsten
Wochen folgen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719901000

Der Kollege Poß erhält nun die Möglichkeit zu einer

Kurzintervention.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1719901100

Kollege Toncar, um Ihrer Aufforderung nachzukom-

men, will ich zum wiederholten Male – das haben schon
der Kollege Carsten Schneider, die Kollegin Barbara
Hendricks und andere mehrfach gemacht – auf die Ge-
schichte des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu spre-
chen kommen und meine Verwunderung darüber ausdrü-
cken, dass Sie, der Sie als Einziger der FDP-Fraktion, als
es um die Schuldenbremse ging, eine gewisse Kompe-





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)


tenz gezeigt haben, jetzt Ihre eigene Kompetenz mit die-
sem Beitrag verleugnen.

Sie haben als Einziger das Konzept der Schulden-
bremse akzeptiert, das die Veränderung abbildet, die wir
im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts 2005
vorgenommen haben. Darin besteht die Änderung der
Philosophie: In guten Zeiten vorsorgen, um in schwieri-
gen Zeiten besser handeln zu können. Wir wollten nicht
eine starre 3-Prozent-Grenze haben, die ja auch von an-
deren Staaten missverstanden wurde – ich erinnere auch
an die Diskussion über die 3,0 Prozent, die insbesondere
in der Union Ende der 90er-Jahre geführt wurde – in dem
Sinne: Dann müssen wir auch 3 Prozent ausnutzen. –
Nein, seit der Veränderung des Stabilitäts- und Wachs-
tumspaktes haben wir viel bessere finanzpolitische
Handlungsmöglichkeiten, um mit Krisen umzugehen.
Alles andere ist parteipolitische Feindbildpflege, ange-
fangen bei der Kanzlerin, die leugnet, dass wir an dieser
Stelle eine qualitative Verbesserung bekommen haben,
die nicht versteht, dass es nicht um Aufweichung geht,
sondern um bessere Handhabung, gerade in einer Zeit, in
der wir in Europa Krisen bestehen müssen.


(Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: So ein Gequatsche! – Gegenruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: So ist das, Klaus-Peter!)



Dr. Florian Toncar (FDP):
Rede ID: ID1719901200

Herr Kollege Poß, ich bin dankbar, dass Sie noch ein-

mal klargemacht haben, dass Sie eigentlich keine großen
Schwierigkeiten mit dem haben, was Sie 2004 begonnen
haben. Sie glauben, dass das ein Problem löst. Ich be-
streite, dass das Schuldenmachen in Europa irgendein
Problem löst. Dadurch wurde das Problem von heute ge-
schaffen; es ist überhaupt erst dadurch entstanden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das ist so was von idiotisch, was Sie gerade sagen!)


Sie haben die Schuldenbremse angesprochen. Sie
wissen so gut wie ich, dass sich meine Fraktion in der
Föderalismuskommission für ein vollständiges Verschul-
dungsverbot ausgesprochen hat. Wir haben damals da-
rüber diskutiert, ob man zustimmen soll, obwohl uns
auch 0,35 Prozent zu viel sind, oder nicht. Das sozusa-
gen umzudrehen und zu sagen, die Fraktion sei damals
gegen die Schuldenbremse gewesen, ist verwegen; das
wissen Sie auch.

Ich selber habe mich anders entschieden. Ich habe da-
mals gesagt: besser 0,35 Prozent als die alten Regeln.
Aber es ist trotz allem falsch und auch nicht redlich, da-
raus, dass sich alle anderen damals enthalten haben – es
gab übrigens in Ihrer Fraktion haufenweise Neinstim-
men und Enthaltungen, obwohl Sie damals mitregiert
haben; auch das will ich einmal erwähnen –, den Schluss
zu ziehen, dass die anderen etwas für die Verschuldung
übrighätten. Ganz im Gegenteil: Denen waren Ihre Re-
geln nicht streng genug.


(Joachim Poß [SPD]: Oh!)


Ich bin übrigens jederzeit dafür zu haben, die Schulden-
regel im Grundgesetz weiter zu verschärfen. Das ist
meine ganz persönliche Meinung, aber, ich glaube, auch
die Meinung der Mehrheit meiner Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719901300

Nun erhält das Wort der Kollege Steffen Bockhahn

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Steffen Bockhahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719901400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Es ist schon ein bisschen abenteuer-
lich, was man hier hört. Ich lerne gerade von der FDP,
dass Schulden grundsätzlich schlecht sind. Ich habe aber
einmal gelernt, dass eine gesunde Volkswirtschaft ohne
Schulden gar nicht auskommt. Die FDP sollte sich eini-
gen, was sie machen will. Es gibt Situationen, in denen
Schulden sogar sehr sinnvoll sind. Da braucht man sie.
Auch das gehört zur Wahrheit.


(Otto Fricke [FDP]: Das eine ist Staat, das andere privat!)


Nächster Punkt. Ich kenne mich mit der Landespolitik
in Baden-Württemberg nicht besonders gut aus; es ist
auch sehr weit weg von Mecklenburg-Vorpommern, dem
bekanntlich schöneren Bundesland, dem schönsten der
Welt. Sie sprachen von einem besenreinen Haushalt in
Baden-Württemberg. Ich glaube, Herr Toncar, Sie haben
vergessen, dass Ihr Sportsfreund Mappus dort eine
kleine Hypothek hinterlassen hat, die jetzt zu tilgen ist.
Das mag nur eines der Probleme sein. Aber dass Sie sich
dort redlich verhalten hätten, ist nicht die ganze Wahr-
heit.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde die Entwicklung gerade hochgradig span-
nend. Die FDP, die Union, die Grünen und die SPD
wollten den Fiskalpakt, und jetzt sind sie sich plötzlich
nicht mehr einig, wer mit dem Spielzeug spielen darf.
Das ist mein Eindruck. Letztlich haben Sie alle zusam-
men zugestimmt, dass die gesamtstaatliche Neuver-
schuldung nur noch 0,5 Prozent betragen darf. Das fan-
den Sie alle richtig. Wir haben nicht zugestimmt, weil
wir, wie ich vorhin sagte, glauben, dass man sich – im
gesamtstaatlichen und im volkswirtschaftlichen Inte-
resse – auch andere Regelungen erlauben muss.

Das maximale staatliche Defizit darf 0,5 Prozent aller
in ganz Deutschland erzeugten Waren und Dienstleistun-
gen betragen. Anders als bei der Schuldenbremse geht es
hier jetzt nicht nur um Bund und Länder, sondern auch
um die Kommunen und die Sozialkassen. Von diesen
0,5 Prozent fallen immerhin 0,35 Prozent auf den Bund.
Damit bleiben 0,15 Prozent mögliche Schulden für Län-
der und Kommunen übrig. Das ist, mit Verlaub, eine völ-
lig unrealistische Einschätzung der gegenwärtigen
Finanzlage der Kommunen und ihrer Perspektiven.


(Beifall bei der LINKEN)






Steffen Bockhahn


(A) (C)



(D)(B)


Das ist übrigens auch kein Zufall; denn der Bund
macht sich zulasten der Kommunen immer wieder einen
schlanken Fuß. Ich will Ihnen ein schönes Beispiel nen-
nen: die Entwicklung der Sozialausgaben, die bei den
Kommunen anfallen. Die Zahlen nenne ich Ihnen gleich.
Sie sind nicht von mir, sondern vom Landesrechnungs-
hof Mecklenburg-Vorpommern. Ich habe sie dem jüngst
vorgestellten Kommunalfinanzbericht entnommen. Sie
zeigen die Entwicklung der Sozialausgaben allein in den
Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern; dieses Bun-
desland hat bekanntlich nicht so viele Einwohner. 2001
hatten alle Städte und Gemeinden im Land Sozialausga-
ben in Höhe von insgesamt 600 Millionen Euro. Dann
gab es die von Ihnen allen für richtig befundene Umstel-
lung der Sozialleistungen, auch Hartz-IV-Reform ge-
nannt. Heute, zehn Jahre später, liegt die Belastung pro
Jahr bei fast 1,2 Milliarden Euro.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Da ist aber die Grundsicherung mit drin!)


Das heißt, für die Kommunen hat sich die Last der So-
zialausgaben binnen zehn Jahren verdoppelt. Die Ein-
nahmen der Kommunen haben sich in diesen zehn Jah-
ren alles andere als verdoppelt. Das wissen Sie. Wer
darauf keine Rücksicht nimmt, geht sträflich mit den
Kommunen im Land und damit mit der Wiege der De-
mokratie in der Bundesrepublik um. Da erlebt man im-
mer wieder, was Sozialabbau bedeutet.


(Beifall bei der LINKEN)


Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Arbeitslosen
nach der offiziellen Lesart gesunken. Das heißt, eigent-
lich hätte alles viel besser werden müssen. Die Kommu-
nen bekommen von den Ländern stetig weniger Geld,
weniger Zuweisungen und können ihre Pflichtaufgaben
selbst bei steigender Neuverschuldung kaum noch erfül-
len.

Der Fiskalpakt wird diese Entwicklung weiter ver-
schärfen. Im Ergebnis können die Kommunen dann
kaum noch investieren. Dabei sind sie schon heute eine
der stärksten Stützen der Wirtschaft. Die Kommunen
sind die Investoren in der Bundesrepublik Deutschland.
Wer ihre Finanzkraft schwächt, schadet der Wirtschaft
insgesamt. Zusammengenommen führt genau das in eine
Abwärtsspirale. Hinzu kommt, dass notwendige Aufga-
ben nicht mehr erledigt und „weggekürzt“ werden.

Ich darf Ihnen ein kleines feines Beispiel dafür nen-
nen. In einer Gemeinde in der Nähe von Rostock gibt es
einen Jugendklub, der keine Miete bezahlen muss, weil
die Gemeinde eine Immobilie zur Verfügung gestellt hat.
Das ist schon mal eine gute Sache. Für die Jugendlichen
dieser Gemeinde werden pro Jahr genau 1 000 Euro
Sachmittel zur Verfügung gestellt. Ich weiß nicht, wer
von Ihnen sich damit auskennt; aber 1 000 Euro Sach-
mittel für einen Jugendklub in einer Gemeinde für ein
ganzes Jahr – das kann ich Ihnen verraten – sind zu we-
nig.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Kommune kann aber gar nicht mehr leisten. Das
Problem besteht darin, dass im Umfeld dieser Gemeinde

schon längst fleißig braune Ökologen arbeiten und Dinge
betreiben, die wir als Demokratinnen und Demokraten al-
les andere als richtig finden können. Der Fiskalpakt führt
dazu, dass es einen weiteren Rückzug öffentlicher Institu-
tionen und damit einen weiteren Vertrauensverlust geben
muss.

Die Länder haben dieses Ungemach zweifelsfrei ge-
ahnt, wenngleich sie natürlich selten frei von Eigeninte-
ressen sind. Die Schwierigkeit besteht darin, dass Sie in
Ihrer Haushaltsbetrachtung ausschließlich einer ausga-
benorientierten Denkweise folgen. Das allerdings ver-
nachlässigt, dass man gelegentlich auch Notwendiges
finanzieren muss und dabei nicht zuerst an die Ausga-
ben, sondern an die Notwendigkeiten denken muss.

Wenn man Defizite begrenzen will, wofür ausdrück-
lich auch die Linke ist,


(Zuruf von der FDP: Ha! Ha!)


dann muss man sich Gedanken darüber machen, dass die
Einnahmen stimmen. Insoweit will ich Ihnen nur einige
Möglichkeiten nennen: die Vermögensteuer, den Spit-
zensteuersatz, den Körperschaftsteuersatz, das Ehegat-
tensplitting, die Finanztransaktionsteuer, die Reduzie-
rung der Subvention für energieintensive Unternehmen.
Es gibt so viele Möglichkeiten, die Sie liegen lassen. Sie
verzichten freiwillig auf Einnahmen und beschweren
sich dann, dass Sie kein Geld haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieser Nachtragshaushalt ist ein Offenbarungseid von
schlechter Haushaltspolitik und Planlosigkeit.


(Otto Fricke [FDP]: Welcher Teil denn? EIB?)


Das kann ich Ihnen so knallhart sagen.

Die Zustimmung zum Fiskalpakt haben Sie sich von
den Ländern teuer erkauft. Sie haben sie sich ausschließ-
lich erkauft; Sie haben sie nicht bekommen. Das war
keine Sternstunde der Demokratie. Das war kein Vorbild
für Haushaltspolitik, die transparent und ehrlich ist. Was
empfinden Sie denn dabei, meine Damen und Herren,
wenn sämtliche Zeitungen, egal ob der linken oder der
rechten Ecke zugehörig, schreiben, dass die Verhandlun-
gen über den Fiskalpakt schlicht und ergreifend ein Feil-
schen auf dem Basar waren? Das war keine vernünftige
Haushaltspolitik. Es ging nur um die Frage: Wie viel
müssen wir zahlen, damit die Länder endlich doch zu-
stimmen, obwohl sie wissen, dass es ihnen schaden
wird?

Dieser Nachtragshaushalt braucht keine neuen Kre-
dite – das stimmt –, und ja, die Kindertagesstätten sind
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dann frage ich
mich aber, warum nach wie vor etwa zwei Drittel der
Kosten für einen Kitaplatz bei den Eltern und bei der
Kommune hängen bleiben. Wo ist denn da die gesamtge-
sellschaftliche Beteiligung? Da besteht erheblicher
Nachholbedarf. Da ist es jetzt nicht mit den 580 Millio-
nen Euro getan.

Das, was Sie hier machen, zeigt nicht etwa, dass Sie
gut gewirtschaftet haben, wenn Sie nicht zusätzliche
Schulden brauchen – 32 Milliarden Euro sollen es in die-
sem Jahr werden –, sondern schlicht und ergreifend, dass





Steffen Bockhahn


(A) (C)



(D)(B)


viel Luft im Budget war, die Sie jetzt rauslassen. Gute
Haushaltspolitik hätte darauf anders reagiert.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719901500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält die

Kollegin Priska Hinz nun das Wort.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-
lege Toncar, es ist schon reichlich vergnüglich, wenn Sie
hier so tun, als mache Deutschland eine hervorragende
Sparpolitik, an der sich Europa ein Beispiel nehmen soll.


(Otto Fricke [FDP]: Das sagen aber alle Europäer!)


Uns liegt heute ein zweiter Nachtragshaushalt vor, der
neue Schulden in Höhe von 32 Milliarden Euro festlegt.


(Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: Unsinn! – Otto Fricke [FDP]: Nein! Das stimmt doch nicht! Es sind gar nicht 32 Milliarden Euro neue Schulden!)


– Es sind 32 Milliarden Euro neue Schulden, 32 Milliar-
den Euro, die in diesem Jahr aufgenommen werden sol-
len – natürlich! –, obwohl wir sprudelnde Einnahmen,
obwohl wir historisch geringe Zinsausgaben haben.
Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Das sind 32 Mil-
liarden Euro zu viel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Was die Erhöhung des Kapitals der EIB, die mit dem
Nachtragshaushalt finanziert werden soll, betrifft – die-
sen Aspekt haben übrigens wir in den Verhandlungen
durchgesetzt –, muss man feststellen: Das war, auch
wenn dafür nun Mittel zur Verfügung gestellt werden,
nicht das Glanzstück der FDP,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Oh ja! Das kann man wohl sagen!)


um das einmal deutlich zu sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Aber dann brauchen Sie doch nicht über die Verschuldung zu jammern! Das passt doch nicht zusammen! Mamma Mia!)


– Doch. Wir wollen, dass das finanziert wird.


(Otto Fricke [FDP]: Aha! Jetzt wird es interessant!)


An anderen Stellen könnte man im Haushalt allerdings
tatsächlich einsparen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Aber was machen Sie? Sie rechnen mit spitzem Blei-
stift und kommen zu dem Ergebnis, dass in diesem Jahr
geringere Zinsausgaben anfallen werden. Damit wollen

Sie, sozusagen in Klammern, sagen: Deutschland geht
als Gewinner aus der europäischen Krise hervor.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Erstaunlicherweise sind es 2,2 Milliarden Euro, die wir
weniger für Zinsen ausgeben müssen. Das ist genau der
Betrag, den wir brauchen, um den zweiten Nachtrag zu
finanzieren. Liebe Leute, für so blöd werden Sie uns
doch wohl nicht halten,


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Doch!)


dass wir Ihnen glauben, was Sie uns da vorlegen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Natürlich ist der Nachtragshaushalt, wenn man die
getroffene Vereinbarung umsetzen will, richtig.


(Otto Fricke [FDP]: Aha! Das ist jetzt wichtig! Und weiter?)


Aber schon beim ersten Nachtrag hat Kollege Barthle
behauptet, dass die Einzahlungen in den ESM-Kapital-
stock nicht zu einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme
führen werden.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Nein! Das habe ich nie behauptet! Es ging um die strukturelle Verschuldung!)


Am Ende kam es doch zu einer Erhöhung. In Anbetracht
der geringeren Zinsausgaben soll der Deckel dieses Mal
aber gleich bleiben.

Ich will deutlich machen, was wir im Rahmen der
Vereinbarungen zum Fiskalvertrag erreicht haben – das
sage ich auch in Richtung der Linken –: Wir Grünen ha-
ben erreicht, dass die Regierungspolitik eine Wende neh-
men musste.


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Wohin denn?)


Wir haben erreicht, dass Investitionen in Krisenländern
zu einem zweiten Standbein geworden sind. Wir können
die Staaten nicht aus der Krise „heraussparen“. Vielmehr
müssen auch zielgerichtete Investitionen erfolgen, zum
Beispiel in die Netzinfrastruktur, egal ob in den öffentli-
chen Verkehr, die Mediengestaltung oder in erneuerbare
Energien. Das ist der Punkt, den wir Grünen durchge-
setzt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Große Klasse! – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Na ja! Ganz so war es ja nun nicht! Da gehören immer noch zwei zu! Das haben wir ja wohl zusammen gemacht! – Bettina Hagedorn [SPD]: Das waren wir zusammen!)


– Ich rede hier für meine Fraktion. Da manch ein Kanz-
lerkandidat immer wieder gerne darauf hinweist, was die
SPD-Fraktion durchgesetzt hat,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja, ja! Das haben wir trotzdem zusammen gemacht!)






Priska Hinz (Herborn)



(A) (C)



(D)(B)


werde ich heute erklären, was die Grünen durchgesetzt
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben nicht nur Investitionen, sondern auch die
Finanztransaktionsteuer durchgesetzt. Wir sind froh,
dass wir den Widerstand der FDP endlich überwinden
konnten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Durchgesetzt habt ihr schon mal gar nichts!)


Damit konnten wir dem Finanzminister an dieser Stelle
den Rücken stärken. Wir hoffen, dass elf Mitgliedstaaten
der Europäischen Union diesen Weg bald tatsächlich ge-
hen und eine Finanztransaktionsteuer einführen werden.
Wir wissen aber: Es liegt noch ein langer Weg vor uns.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, genau!)


Ich möchte einen Punkt aufgreifen, den Kollege
Schneider angesprochen hat: das unabhängige Kontroll-
gremium. Ich finde, das, was dazu im Ausführungsge-
setz steht, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Um die
Unabhängigkeit eines solchen Gremiums sicherzustel-
len, müsste man erstens gewährleisten, dass es keine
Veranstaltung nur der Exekutive ist, und zweitens, dass
es möglichst frei von politischer Einflussnahme ist, was
die Entstehung seiner Prognosen und Empfehlungen im
Hinblick auf den Abbau der Schulden in den Bundeslän-
dern und im Bund angeht. Vor diesem Hintergrund halte
ich es für erforderlich, dass wir in den weiteren Beratun-
gen noch einmal darüber nachdenken, ob es nicht sinn-
voll und notwendig ist, hier Veränderungen vorzuneh-
men.

Ich komme zum Schluss. Als letzten Punkt möchte
ich darauf hinweisen: Wir haben ja erfahren, dass heute
ein guter Tag für Europa ist, weil sich die Kanzlerin auf
dem EU-Gipfel durchgesetzt hat.


(Heiterkeit des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])


Es ist sicher insofern ein guter Tag, als sich die Kanzle-
rin nicht durchgesetzt hat, als es um den Vorschlag des
Finanzministers ging, einen Währungskommissar einzu-
setzen, der unabhängig vom Europäischen Parlament in
nationale Haushalte eingreifen darf. Es ist sicher auch
insofern ein guter Tag, als deutlich wurde, dass es keinen
Euro-Zonen-Haushalt geben wird, über den das Europäi-
sche Parlament keine Kontrolle hat. Ich muss aber sagen,
dass wir die Regierung in Bezug auf die Bankenunion
weiterhin treiben werden, vor allen Dingen dahin, dass
es nicht nur eine gemeinsame Bankenaufsicht, sondern
auch einen gemeinsamen Bankenrestrukturierungsfonds
gibt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir zittern!)


Der ist nämlich gleichzeitig notwendig, damit die
Steuerzahler nicht dafür zahlen, wenn Banken in die
Krise geraten sind und ihre Geschäftsmodelle ändern
oder sogar abgewickelt werden müssen.

Insofern ist das heute nur ein weiterer Mosaikstein
auf dem Weg aus der Krise heraus, aber ein richtiger

Mosaikstein, und wir werden beraten, wie wir diesen
Mosaikstein in unserem Sinne weiter zurechtfeilen kön-
nen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719901600

Diese Beratungen werden nun durch den Kollegen

Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion fortgesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1719901700

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Worte zur
im Nachtragsetat veranschlagten Verschuldung sagen.
Liebe Frau Kollegin Priska Hinz, Sie wissen ganz genau,
dass sich diese 32 Milliarden Euro strukturell um über
10 Milliarden Euro reduzieren, wenn wir die Zahlungen
an den ESM, 8,7 Milliarden Euro, und die Zahlungen an
die EIB, 1,6 Milliarden Euro, abziehen. Wenn wir dann
auch noch die 1 Milliarde Euro abziehen, die von der
Bank hier links von mir erpresst wurde, sieht die Zahl
schon ganz anders aus. Das zu sagen, gehört auch zur
Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bei der Einbringungsrede hat der Kollege Fricke nicht
zu Unrecht darauf hingewiesen, dass das größte Risiko
für den Bundeshaushalt auf dieser Seite des Plenums
sitzt, auf der Bundesratsbank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)


So viel zum Thema Neuverschuldung. Ohne diese Be-
träge lägen die neuen Schulden in einer Größenordnung
von etwa 21 Milliarden Euro. Wir halten den Pfad der
jährlich sinkenden Nettokreditaufnahmen ein. Im kom-
menden Jahr wird sie bei 18 Milliarden Euro liegen. Ich
darf daran erinnern, dass uns der Kanzlerkandidat der
SPD mit 86 Milliarden Euro zusätzlichen Schulden die
größte Neuverschuldung der Geschichte der Republik
hinterlassen hat. Auch das muss wieder einmal gesagt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Scheinheiligkeit! – Weitere Zurufe von der SPD)


Kommen wir zu den Gesetzentwürfen, die heute bera-
ten werden. Staatssekretär Steffen Kampeter hat ausführ-
lich dargelegt, was heute rechtlich zur Debatte steht. Da
die Haushalts- und Finanzpolitik sehr viel mit Glaub-
würdigkeit zu tun hat, will ich aber nicht über die rechtli-
chen Inhalte, sondern über die Umsetzung dessen reden,
was der Fiskalvertrag vorsieht; denn hier lohnt ein Blick
sowohl auf den Bund als auch auf die Länder.

Vielleicht zunächst einmal zum Bund: Wir setzen die
Schuldenbremse nicht nur Buchstabe für Buchstabe um
– wir haben rechtlich schon alles erledigt, was notwen-
dig ist –, sondern wir unterschreiten die Grenze der ma-





Norbert Barthle


(A) (C)



(D)(B)


ximal möglichen Nettokreditaufnahme Jahr für Jahr
deutlich. Das Ziel der Schuldenbremse, das 2016 er-
reicht werden soll, erreichen wir bereits drei Jahre frü-
her; Kollege Toncar hat darauf hingewiesen. Das ist der
Erfolg dieser Koalition aus CDU/CSU und FDP. Wir
sind besser und schneller, als es uns das Grundgesetz
vorgibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist ja ganz toll!)


Da sich der Fiskalvertrag aber auf die gesamtstaatli-
che Verschuldung bezieht und auch die Länder einbe-
zieht, ist es schon lohnend, sich auch einmal die Situa-
tion in den Ländern anzuschauen, und zwar vor dem
Hintergrund, dass die Haushaltssituation im Bund viel
gravierender ist als in den Ländern. Die durchschnittli-
che Pro-Kopf-Verschuldung ist im Bund höher als in den
Ländern. Dennoch hat der Bund die Länder für die Jahre
2010 bis 2016 um mindestens 55 Milliarden Euro entlas-
tet: durch die Übernahme der Kosten der Grundsiche-
rung im Alter und bei Erwerbsminderung und der Kos-
ten aus dem Hochschulpakt 2020 sowie durch etliche
Steuergesetze, die wir in den letzten Jahren gemacht ha-
ben. Die Länder werden immer wieder durch den Bund
entlastet.

Wie sieht die Schuldenbremse bezogen auf die Län-
der aus? Die Länder müssen sich seit 2011 so aufstellen,
dass sie ab dem Jahre 2020 keine neuen Kredite mehr
aufnehmen müssen.


(Otto Fricke [FDP]: Müssten!)


Wer sich dies bis 2019 auf Wiedervorlage legt, der läuft
Gefahr, dass er dieses Ziel nicht erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb ist es notwendig, dass die Länder die Schulden-
bremse in ihre Landesverfassungen übernehmen.

Einige Länder haben das getan: Schleswig-Holstein,
Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Rheinland-Pfalz.
Andere Länder wiederum haben Änderungen in ihrer je-
weiligen Landeshaushaltsordnung vorgenommen. Das
hat allerdings eine deutlich schwächere Bindewirkung;
denn das kann mit einfacher parlamentarischer Mehrheit
jederzeit umgangen und wieder aufgehoben werden. Ein
Teil der Länder hat bisher noch gar keine Maßnahmen
ergriffen. Die Höflichkeit gebietet es, dass ich die Sün-
der nicht namentlich nenne.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch, bitte!)


Ich nenne nur ein Land, leider mein Heimatland,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Baden-Württemberg.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Dort ist es noch schlimmer. Die grün-rot geführte Lan-
desregierung hat die Landeshaushaltsordnung verän-
dert, um damit die Möglichkeit zu schaffen, in den
kommenden Jahren fast 7 Milliarden Euro zusätzliche
Schulden zu machen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Skandal!)


Dazu sagt sie: Die Neuverschuldung senken wir 2020
auf null, also dann, wenn es notwendig ist. – Das ist eine
Politik zulasten der kommenden Generationen. Dabei
kann es nicht bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Andere Länder zeigen, dass Haushaltskonsolidierung
und -sanierung durchaus gelingen kann. Ich will an die-
ser Stelle ganz bewusst Bayern nennen. Auch Mecklen-
burg-Vorpommern und Sachsen sind gute Beispiele.
Diese Länder haben seit 2006 keine neuen Schulden
mehr gemacht, zum Teil sogar Überschüsse erzielt.
Sachsen hat im Jahr 2011 und Mecklenburg-Vorpom-
mern in den Jahren 2007 und 2008 Haushaltsüber-
schüsse erzielt. Bayern tilgt bereits seine Altschulden.
Daran sehen Sie, dass es gelingen kann, Haushalte zu
konsolidieren.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Nur wie?)


Die sogenannten Konsolidierungshilfeländer, diejeni-
gen, die Bundeshilfen zum Ausgleich ihrer Haushalte
bekommen – das sind Berlin, Bremen, Saarland, Sach-
sen-Anhalt und Schleswig-Holstein –, haben immerhin
Verwaltungsvereinbarungen getroffen, um die Schulden
bis 2020 abzubauen.

Also, was können wir feststellen? Die Lage in den
Ländern ist ausgesprochen heterogen. Während der
Bund mit gutem Beispiel vorangeht,


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ha, ha, ha!)


sind einige Länder sehr zögerlich. Deshalb fordere ich
an dieser Stelle alle Länder in Deutschland auf, die
Schuldenbremse in ihre Landesverfassungen zu über-
nehmen. Wir als Deutschland sind gefordert, ein Stück
weit als gutes Beispiel voranzugehen. Das sind wir unse-
ren europäischen Partnern schuldig.

Gestern hat hier in Antwort auf die Regierungserklä-
rung der Bundeskanzlerin der Kanzlerkandidat der SPD
gemeint,


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Guter Mann!)


wir seien ein schlechtes Vorbild für Europa.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Richtig!)


Ich habe den Verdacht: Er hat die Länder gemeint, in de-
nen seine Parteifreunde regieren. Wir müssen auch in
den Bundesländern als gutes Beispiel vorangehen, ge-
samtstaatlich die Schuldenbremse und den Fiskalvertrag
einhalten und eine Absicherung im Sinne einer rechtli-
chen Bindung in die Landesverfassungen aufnehmen,
damit nicht je nach politischer Mehrheit und Gesinnung
anders agiert werden kann. Eines ist doch deutlich: Dort,
wo Grün oder Rot regiert, hält man vom Sparen nicht
sonderlich viel.


(Zurufe von Abgeordneten der SPD: Ah!)


Da wird lustig der Weg in neue Verschuldung gegan-
gen – immer zulasten kommender Generationen. Das
Ganze nennt sich dann nachhaltige Politik.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn in Niedersachsen?)






Norbert Barthle


(A) (C)



(D)(B)


Nachhaltige Politik heißt für Rot und Grün: Die nachfol-
genden Generationen müssen den Kopf hinhalten für die
Schulden, die andere zuvor gemacht haben. – Das hat
mit Nachhaltigkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb noch mal: Der Fiskalvertrag ist ein Vertrag,
der 25 Länder in Europa bindet, eine Schuldenbremse
nach unserem Beispiel in die entsprechende Landesver-
fassung oder einen rechtsähnlichen Zustand zu überneh-
men. Das ist ein Riesenfortschritt für die Stabilitätskultur
in Europa. Das darf nicht von einzelnen Bundesländern
unterminiert werden, sondern muss von den Bundeslän-
dern mitgetragen werden. Nur dann können wir als bei-
spielgebendes Land vorangehen. Ich bin froh, dass sich
25 von 27 Euro-Ländern verpflichtet haben, die Schul-
denbremse in ihre Landesverfassungen zu übernehmen.

Das ist ein guter Tag für Europa, auch im Blick auf
die Beschlüsse in Brüssel. Die Kanzlerin hat hier gestern
erklärt: Was die Bankenunion und die Bankenaufsicht
angeht, da zählt Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Das ist
ein Ergebnis des Brüsseler Gipfels. Deshalb auch an die-
ser Stelle nochmals Dank für das gute Verhandlungs-
ergebnis unserer Bundeskanzlerin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Euphemismus!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719901800

Das Wort erhält nun der baden-württembergische

Minister für Bundesrat, Europa und internationale Ange-
legenheiten, Peter Friedrich.


(Beifall bei der SPD)



Peter Friedrich (SPD):
Rede ID: ID1719901900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Abgeordneten

des Deutschen Bundestages! Ich danke der SPD-Frak-
tion, dass ich die Möglichkeit habe, in der Debatte zur
Umsetzung des Fiskalvertrags die Position der Länder zu
erläutern.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719902000

Herr Minister, darf ich mir den Hinweis erlauben,

dass Sie diese Möglichkeit auch ohne Genehmigung der
SPD-Fraktion qua Verfassung gehabt hätten?


(Heiterkeit)



Peter Friedrich (SPD):
Rede ID: ID1719902100

Das ist richtig; aber ich möchte nichtsdestoweniger

meinen Dank aussprechen, dass die Fraktion mir dies
ausdrücklich ermöglicht hat. Sie legen ja viel Wert auf
Höflichkeit. Insofern wollte ich Ihren Anforderungen
Genüge tun.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ist das für ein mangelndes Selbstbewusstsein eines großen Landes? Mannomann! So tritt doch kein Minister des Landes Baden-Württemberg auf!)


– Herr Kauder, zu Ihnen komme ich gleich noch.

Gestern hat die Bundeskanzlerin auf die Schwierig-
keit hingewiesen, wie gemeinschaftliche Regeln in
Europa mit Haushaltsautonomie und demokratischer Le-
gitimation zu verbinden sind. Es gab eine differenzierte
und gute Debatte zu diesem Punkt. Deswegen sollten wir
auch bei der Frage der Umsetzung des Fiskalvertrages
auf genau diesen Punkt noch einmal eingehen.

Es ist so, dass die Bundesregierung mit dem Fiskal-
vertrag einen Vertrag unterschrieben hat, der Verände-
rungen auch für die Schuldenbremse des Grundgesetzes
bedeutet. Deswegen war es für die Länder, und zwar für
alle 16 einvernehmlich, wichtig, dass wir mit dem Bund
ein Verhandlungsergebnis erzielen, das die Haushaltsauto-
nomie der Länderhaushalte gewährleistet und dazu führt,
dass wir in Deutschland die gleiche Architektur von de-
mokratischer Legitimation und Haushaltsautonomie in
den Ländern haben, wie wir sie für Europa anstreben. Es
war ein mühsamer und letztlich guter Verhandlungspro-
zess, der dazu geführt hat, dass die Haushaltsautonomie
der Länder auch im Haushaltsgrundsätzegesetz festge-
legt werden soll.


(Beifall bei der SPD)


Die spannende Frage ist nur, warum das – wenn das
in den Eckpunkten für das Haushaltsgrundsätzegesetz so
enthalten war – wieder aus dem Gesetzentwurf ver-
schwunden ist und der Bund sich jetzt sehr wohl eine
Hintertür offenlässt, über die Verpflichtung der Länder
zur Einhaltung der grundgesetzlichen Schuldenbremse
hinaus in die Haushaltsautonomie der Länder einzugrei-
fen. Damit wird man der demokratischen Legitimation
von Haushaltsrecht in den Ländern nicht gerecht. Inso-
fern verstößt der Bund momentan mit dem, was er hier
vorschlägt, gegen das, was die Bundeskanzlerin gestern
für Europa als Zielsetzung formuliert hat. Deswegen
bitte ich dringend, dass wir in den Beratungen genau die-
sen Punkt gemeinsam korrigieren.


(Beifall bei der SPD)


Alle 16 Länder bekennen sich zur Schuldenbremse,
wie im Grundgesetz vereinbart. Das haben wir in den
Verhandlungen festgehalten. Einige Bundesländer brau-
chen da Hilfen. Wir haben, was diese Vereinbarung an-
geht, darüber hinaus einige Punkte besprochen und be-
schlossen, die den Pfad für die Länder festlegen.

Herr Toncar und Herr Barthle, ich will darauf hinwei-
sen: Das einzig Besenreine, das wir in Baden-Württem-
berg übernommen haben, waren die Schatzkammern des
Landes. Das war das Einzige, was wirklich besenrein
war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben in Baden-Württemberg ein strukturelles
Haushaltsdefizit von 2,5 Milliarden Euro übernommen.
Im Haushalt des nächsten Jahres haben wir es auf
1,8 Milliarden Euro reduziert – und im Jahr darauf auf
1,5 Milliarden Euro. Die strukturelle Nullverschuldung
für den Haushalt Baden-Württemberg werden wir 2020
– trotz Länderfinanzausgleich und trotz der Tatsache,
dass der Bund nach wie vor Konnexitätsgrundsätze nicht





Minister Peter Friedrich (Baden-Württemberg)



(A) (C)



(D)(B)


beachtet – erreichen. Das größte Risiko für die Haus-
halte der Länder und Kommunen ist der Bund, der per-
manent Aufgaben auf Länder und Kommunen verlagert,
ohne tatsächlich an allen Stellen die Kosten zu überneh-
men.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Barthle, wir haben der CDU-Fraktion in Baden-
Württemberg angeboten – wir drängen darauf; ich bitte
Sie, uns darin zu unterstützen –, die grundgesetzliche
Schuldenbremse eins zu eins in den Landeshaushalt zu
überführen. Die CDU-Fraktion in Baden-Württemberg
verweigert momentan die verfassungsgebende Mehrheit,
die dafür notwendig ist.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ach, guck mal an!)


Das ist die Wahrheit, die zu erwähnen mit dazu gehört.

Mit Verlaub: Die frühere Landesregierung in Baden-
Württemberg wurde vom Landesgerichtshof wegen Ver-
fassungsbruchs in Bezug auf Haushaltsgrundsätze verur-
teilt, weil man 5 Milliarden Euro neue Schulden am
Haushalt vorbei aufgenommen hatte.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Unglaublich! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen, für Frau Kraft!)


– Herr Barthle, wer in Haushaltsfragen die Verfassung
bricht, dem glaubt man nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will noch einen Punkt ansprechen. Es geht um die
Frage, wie mögliche Sanktionen bei Verstoß gegen den
Fiskalvertrag überwälzt werden. Hier gibt es eine Rege-
lung.


(Unruhe)


– Ich kann verstehen, dass man beim Thema Mappus-
Erbe leicht aus der Haut fahren kann. Wir haben das täg-
lich zu ertragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Länder – auch Baden-Württemberg – leisten ih-
ren Beitrag. Wir geben den Kommunen zusätzlich allein
330 Millionen Euro, um dem Ausbau der Kindergarten-
plätze gerecht zu werden. Wir fordern Sie auf, im Haus-
halt die Mittel einzustellen, die den Ländern zugesagt
wurden, und zwar im Rahmen einer Lösung, die wir,
glaube ich, gemeinsam finden können, bei der nicht zum
Schluss die Berichtspflichten die Soße teurer machen als
den Braten. Das ist nämlich der Effekt, den wir momen-
tan erleben. Sie wollen Berichtspflichten weit über das
hinaus, was Sinn macht, verankern. Zu dem Ausbau ste-
hen wir, auch finanzieren wir unseren Teil mit. Wir ge-
ben den Kommunen das Geld. Lassen Sie uns aber bitte
eine Regelung treffen, die auch funktioniert, und erspa-
ren Sie uns einseitige Schuldzuweisungen. Sie brauchen

die Länder und die Kommunen, um das hinzubekom-
men. Sie bekommen es nicht dadurch hin, dass Sie in
Zukunft – wie Sie sich das momentan vorstellen – zu-
sätzliche Kontrollverpflichtungen auferlegen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1719902200

Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1719902300

Geschätzter Herr Präsident; ich wünsche einen ange-

nehmen Wechsel mit der Vizepräsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Die Rede gerade hat ge-
zeigt, dass der Kollege Barthle mit seiner Aussage ein-
fach recht hatte. Das größte Risiko für den Bundeshaus-
halt sitzt auf der jetzt wieder fast vollkommen leeren
Bundesratsbank.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie peinlich ist denn das!)


Ausdrücklich, Herr Minister Friedrich: Ich finde es gut,
dass Sie gekommen sind, weil das ein Teil dessen ist,
was notwendig ist, damit wir in die Diskussion eintreten.
Das finde ich gut. Ich hätte mir gewünscht, dass Berlin
und Brandenburg ebenfalls hierhergekommen wären;
denn denen helfen wir auch.

Worum geht es in unserer Debatte eigentlich? Es geht
um zwei Gesetze, die im Endeffekt nur deswegen zu-
stande kommen, weil wir den Ländern helfen müssen
und weil wir Europa helfen müssen. Warum müssen wir
Europa helfen? Weil wir als Bundesrepublik Deutsch-
land in Europa eine Verpflichtung haben. Wir können
von unseren europäischen Nachbarn nicht nur verlangen,
dass sie sparen, sondern wir müssen ihnen auch sagen,
dass sie investieren müssen. Dabei müssen wir ihnen
helfen. Deswegen geben wir der Europäischen Investi-
tionsbank das notwendige Eigenkapital, um in Zukunft
entsprechende Investitionen überhaupt zu ermöglichen.

In Richtung Rot und Grün: Es ist immer dasselbe
Spiel, es ist wie in der Schule: Herr Lehrer, ich habe es
aber auch gewusst.


(Lachen bei der SPD – Manfred Zöllmer [SPD]: Otto Fricke hat es gewusst!)


Es geht doch gar nicht darum. Vielmehr geht es darum,
welche Verpflichtung wir als Bundesrepublik Deutsch-
land innerhalb Europas haben.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das war daneben!)


Die erfüllen wir, indem wir 1,6 Milliarden Euro für die
Europäische Investitionsbank zur Verfügung stellen.

Zu Frau Kollegin Hinz – sie ist gerade nicht da –: Die
Aussage, dass wir neue 32 Milliarden Euro Schulden
machen, ist schlichtweg falsch. Ich will das von hier aus





Otto Fricke


(A) (C)



(D)(B)


korrigieren. Mit diesem Nachtragshaushalt macht die
Koalition, macht die Bundesregierung


(Manfred Zöllmer [SPD]: Neue Schulden!)


keinen Cent zusätzliche neue Schulden, keinen einzigen
Cent.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 32 Milliarden! Habt ihr schon vorher gemacht! 32 Milliarden habt ihr neue!)


Warum macht sie das? Sie macht das deswegen, weil sie
Ausgaben hat, durch die sie Europa hilft, und weil sie
Ausgaben hat, die den Ländern helfen, insbesondere
Berlin und Brandenburg; ich komme gleich noch dazu.
Gleichzeitig sagen wir ganz Europa: Wenn ihr so solide
haushaltet, sind wir bereit, euch Geld zu niedrigeren Zin-
sen zur Verfügung zu stellen. Das heißt nicht, dass wir in
Europa kalt abkassieren. Den Vorteil, den wir dadurch
haben, dass wir innerhalb Europas Hort der Stabilität,
Hort der besten Haushalte sind, geben wir als Zinsge-
winn an die Europäische Investitionsbank, damit sich in
anderen Ländern Europas die Wirtschaft wieder erholen
kann. Das verstehe ich auch im Hinblick auf Europa un-
ter gesunder Haushaltspolitik. Das hätten Sie nie hinbe-
kommen, unsere Koalition bekommt das eben hin.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Zu Berlin und Brandenburg. Das muss ich an dieser
Stelle noch einmal klarstellen: Sie bekommen weitere
300 Millionen Euro für den Flughafen, weil sie nicht in
der Lage sind, ein Großprojekt hinzubekommen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bund ist dabei! Der Bund ist Anteilseigner! Was macht denn der Bund im Aufsichtsrat?)


Man kann ja froh sein, dass es nicht wie in Rheinland-
Pfalz ist, dass man erst baut und nachher feststellt, dass
der Ministerpräsident gehen muss. Wir haben hier noch
ein bisschen die Finger drauf.


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Der Bund ist von Anfang an beteiligt!)


– Natürlich ist es so, dass der Bund beteiligt ist, deswe-
gen zahlt er ja auch die 300 Millionen,


(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Dann muss man hier nicht rumprügeln!)


und zwar dann – das will ich ausdrücklich für das Proto-
koll festhalten –, wenn sich der Haushaltsausschuss da-
rüber im Klaren ist, dass die notwendigen Reformen in
Bezug auf den Flughafen erfolgen. Es ist gleichzeitig so
– ich bitte, in den Gesetzentwurf zu gucken –, dass wir
die entsprechenden Vorstandsbeschlüsse der Flughafen-
gesellschaft brauchen, bevor irgendetwas passiert. Wir
geben nicht mal eben einfach so 300 Millionen für den
Flughafen – so wie in den Ländern übrigens –, sondern
wir erwarten einiges mehr.


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Dann sagt das doch einmal eurem Minister!)


Ich will für meine Fraktion ausdrücklich sagen: Was bis-
her in Bezug auf den Flughafen auch im Personalbereich
und bei den Zuständigkeiten passiert ist, reicht meiner
Fraktion nicht, deswegen die entsprechende qualifizierte
Sperre.

Lassen Sie mich zur Bundesratsbank kommen. Die
Bürger draußen im Land glauben immer, dass die armen
kleinen Länder und die armen kleinen Kommunen gar
keine Steuereinnahmen haben. Liebe Bürger, wenn Sie
sich irgend etwas kaufen und Mehrwertsteuer zahlen, ge-
hen Sie davon aus, dass Sie in dem Moment mehr Mehr-
wertsteuer an Länder und Kommunen zahlen als an den
Bund. Vor allen Dingen die Länder tun immer so, als
würden sie von Ihnen gar kein Geld kriegen, dabei müs-
sen Sie wissen, dass mehr als 50 Prozent der Steuerein-
nahmen in Deutschland insgesamt an Länder und Kom-
munen gehen. Die Länder sagen immer wieder: Wir
haben keine Autonomie! Liebe Länder, dann nehmt euch
dem doch an! Sagt doch: Okay, wir sind bereit, selber
über unsere Steuern zu entscheiden, wir sind bereit, in
einen steuerlichen Wettbewerb unter den Ländern einzu-
treten, wir nehmen die Zuständigkeit wahr.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist billig gerade! Das ist unglaublich billig!)


Aber das wollt ihr nicht! Ihr wollt Folgendes haben – das
haben wir gestern im Haushaltsausschuss wieder festge-
stellt –: Ihr wollt, dass der Bund das macht, um dann am
Ende eure Aufgaben zu bezahlen. Was wir jetzt bei der
Kinderbetreuung machen, ist nie originär unsere Auf-
gabe gewesen. Man ist aber gerne bereit, das Geld vom
Bund zu nehmen, um dann zu sagen – Herr Schmid, das
finde ich fast eine Unverschämtheit –: Aber bitte keine
Kontrolle, bitte keine Berichtspflicht und bloß nicht den
Bundesrechnungshof dabei haben.

Für uns Haushälter ist immer wieder die Erkenntnis:
Zahlen soll der Bund, obwohl Länder und Kommunen
mehr Geld haben als der Bund, aber einmischen soll er
sich bloß nicht.

Dann kommen Sie immer wieder damit, dass wir neue
Aufgaben übertragen. Wenn ich frage: „Ja, wo sind die
denn?“, dann kommt im Moment nichts. Der Bund hat
das gemerkt, und wir alle wissen, dass wir dieses Spiel
an der Stelle nicht machen können.

Es ist doch im Endeffekt so: Das, was wir an Entlas-
tung geschaffen haben, beläuft sich inzwischen pro Jahr
auf 10 Milliarden Euro. Wir geben für Länder und Kom-
munen gegenüber den bisherigen Ausgaben 10 Milliar-
den Euro zusätzlich aus. Wir haben es gestern im Bereich
Bildung festgestellt: Das, was für Bildung ausgegeben
wird, wird teilweise direkt durchgeleitet, weil die Länder
aus ihren Aufgaben herausgehen.

Zum Schluss will ich mich noch einmal kurz mit dem
Land Baden-Württemberg beschäftigen, das Sie hier dar-
gestellt haben. Der Bürger hat gerade gehört, es gebe
dort eine strukturelle Neuverschuldung. „Strukturell“
hört sich immer gut an. Aber wenn man einmal fragt,
was die explizite war, dann sind Sie, Herr Minister, doch
mit mir der Meinung, dass die in Baden-Württemberg
bei null war. Die explizite Neuverschuldung war bei
null. Da war sie bei der Übergabe.





Otto Fricke


(A) (C)



(D)(B)



(Peter Friedrich, Minister [Baden-Württemberg]: Nein!)


Dann machen Sie Milliardenschulden, und jetzt
kommt das Allerbeste: Das Land Baden-Württemberg
will eine Schuldenbremse. Man denkt ja, die Schwaben
sind besonders sparsam. Das habe ich bisher immer ge-
dacht. Aber grüne Schwaben scheinen nicht sparsam zu
sein; denn Sie wollen jedes Jahr nur in gleichmäßigen
Schritten davon herunter. Ich sage Ihnen: Wenn man von
einer Null kommt, dann sollte man so schnell wie mög-
lich wieder auf die Null herunterkommen und keine
Pseudoschuldenbremse machen, indem man sagt: Wir
bremsen einmal etwas langsamer und machen das im
Jahre 2020. Sie in Baden-Württemberg wollen bis 2020
6 Milliarden Euro Schulden machen, und zwar – meine
Damen und Herren, halten Sie sich fest – nicht auf Basis
der gegenwärtigen Gesetzgebung, sondern sie machen
6 Milliarden Euro Schulden, obwohl Sie die Steuererhö-
hungen, die Rot-Grün gerne machen will, mit eingerech-
net haben. Das nenne ich nicht mehr schwäbisch, son-
dern das ist nach meiner Meinung südeuropäisch.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich! – Bettina Hagedorn [SPD]: Stammtischniveau!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719902400

Der Kollege Andrej Hunko hat jetzt für die Fraktion

Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719902500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Worüber

reden wir heute? Wir reden über die Umsetzung des Fis-
kalpaktes, der Ende Juni hier im Bundestag zusammen
mit dem ESM von den vier Fraktionen mit Mehrheit be-
schlossen wurde, in nationales Recht.

Was ist der Fiskalpakt? Der Fiskalpakt ist die Institu-
tionalisierung einer völlig verfehlten Krisenpolitik und
Krisenanalyse in der Europäischen Union. Das wird jetzt
sozusagen in dauerhaftes Völkerrecht gegossen und
heute hier im Bundestag in nationales Recht umgesetzt.

Warum ist diese Krisenpolitik verfehlt? Sie basiert auf
einer völlig falschen Analyse der Krise in der Euro-
Zone. Wir haben es heute immer wieder gehört. Auch
bei dem Gesetzentwurf ist es so. Dem liegt die Vorstel-
lung zugrunde, es gäbe eine Staatsschuldenkrise auf-
grund überhöhter Ausgabenpolitik. Wenn man sich aber
einmal die offiziellen Zahlen der Europäischen Zentral-
bank anschaut, so kann man feststellen, dass die Staats-
verschuldung in der Euro-Zone in der Zeit von 2000 bis
2008 im Durchschnitt tendenziell rückläufig war, näm-
lich von etwa 73 Prozent auf 67 Prozent im Jahre 2008
zurückgegangen ist, und erst danach als Folge der Fi-
nanz- und Bankenkrise stark angestiegen ist.

Wir haben einmal nachgefragt: Woher kommt denn
dieser Anstieg? Der Kollege Klaus Ernst hat vor wenigen
Wochen gefragt: Um wie viel ist die Staatsverschuldung
in Deutschland als Folge der Banken- und Rettungspa-

kete 2008 angestiegen? Antwort: 322,5 Milliarden Euro,
kumuliert seit 2008. Das ist die Ursache für den Anstieg
der Staatsverschuldung. Das soll jetzt mit dem Gesetz zur
Umsetzung des Fiskalpakts durch Kürzungen im Sozial-
bereich, im Bildungsbereich, im Gesundheitsbereich, im
öffentlichen Bereich zurückgeführt werden. Deshalb sa-
gen viele Menschen in Südeuropa – das habe ich gerade
erfahren –: Dieser Fiskalpakt ist ein Pakt zum Angriff auf
soziale Rechte, auf Arbeitnehmerrechte. – Wir lehnen das
ab. Wir lehnen diese völlig verfehlte Krisenpolitik ab.


(Beifall bei der LINKEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ich würde dabei einmal ein bisschen abrüsten!)


Es ist auch ein Angriff auf demokratische Rechte der
Haushaltsgesetzgeber, weil die Budgethoheit verlagert
wird. Sie wird zum Teil auf die Ebene der EU-Kommis-
sion verlagert. Ein Beispiel dafür ist das strukturelle De-
fizit. Sie wissen genau, dass die Berechnung des struktu-
rellen Defizits wirtschaftspolitisch sehr umstritten ist. Es
gibt unterschiedliche Schulen; man kommt zu unter-
schiedlichen Ergebnissen.

Wer hat denn die Definitionsmacht für dieses struktu-
relle Defizit? Das werden in Zukunft Wirtschaftswissen-
schaftler der EU-Kommission haben, die nur sehr frag-
würdig demokratisch legitimiert sind. Wir sehen das als
sehr problematisch an: Das ist kein Mehr an Europa,
sondern ein Weniger an Demokratie.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens ist diese Krisenpolitik und Krisenanalyse in
der Konsequenz auch sozial verheerend. Wir sehen das
in Griechenland und Portugal. Griechenland – ich war
letzte Woche dort – ist am Rande einer humanitären Tra-
gödie.


(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Quatsch!)


Diese Politik wird jetzt auch zunehmend in den zentral-
europäischen Staaten bzw. in Deutschland umgesetzt.
Mit dem Fiskalpakt werden jetzt schon die Sachzwänge
geschaffen, auf die sich dann später berufen wird, wenn
es um Kürzungen etwa im kommunalen Bereich oder im
Länderbereich geht. Wir lehnen das eindeutig ab.

Ich will Ihnen ein aktuelles Beispiel aus meiner Hei-
matstadt Aachen nennen. Dort hat gestern der älteste
Waggonbauer, Bombardier, angekündigt, den Standort
mit 600 Arbeitsplätzen zu schließen. Es ist der älteste
Waggonbauer in Deutschland. Ich habe mit dem Ge-
schäftsführer gesprochen. Er sagt, die Bahntechnik und
die Auftragslage seien gut; die Probleme seien der er-
höhte Wettbewerbsdruck und das Wegbrechen der
Märkte in Südeuropa. Das sind schon Konsequenzen
dieser völlig falschen Politik.

Die Linke wird an der Seite der Menschen stehen, die
sich dagegen wehren. Sie können auf unsere Unterstüt-
zung vertrauen.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Anscheinend tun sie das nicht!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719902600

Sven-Christian Kindler hat jetzt das Wort für Bünd-

nis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Vorweg zu Norbert Barthle und Otto
Fricke: Sie haben gesagt, das größte Risiko für den Bun-
deshaushalt säße auf der Bundesratsbank; das seien die
Bundesländer. Das finde ich angesichts der unseriösen
schwarz-gelben Haushaltspolitik eine abenteuerliche Be-
hauptung und Beschimpfung der Länder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was ist denn passiert? Diese Koalition hat die Steuern
für Hoteliers, reiche Erben und Besserverdienende ge-
senkt und damit auch die Steuerbasis in den Ländern
erodieren lassen. Es war auch so, dass vor allen Dingen
innerhalb dieser Wahlperiode, aber auch schon vorher
die CDU und die FDP konsequent Landtagswahl für
Landtagswahl verloren haben. Deshalb sind Sie nei-
disch: Sie haben keine Mehrheit mehr im Bundesrat, und
die nächste Landtagswahl werden Sie auch verlieren. In
Niedersachsen wird Schwarz-Gelb komplett abgelöst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch eine Bemerkung zu Otto Fricke. Unseriöse
Haushaltspolitik hat er pauschal als „südeuropäisch“ be-
zeichnet. Diese Aussage finde ich abenteuerlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Zum Thema Krise: Spanien hatte bis 2007 super
Haushaltszahlen mit einer geringen Gesamtverschul-
dung und einem sehr guten Defizit, übrigens besser als
Deutschland in dieser Zeit. Spanien hatte aber hohe
Bankschulden. Das ist das Problem: Es geht um eine
Bankschuldenkrise. Das hat die FDP nicht verstanden.
Ich finde es diffamierend von der FDP, auf dem Rücken
Europas billigsten Stammtischpopulismus zu machen.
Das geht nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Noch ein paar Anmerkungen zum Nachtragshaushalt
und auch zum Flughafen BER. Dazu wurde schon eini-
ges gesagt. Es wurde gesagt, dass auch der Bund in der
Verantwortung ist. Wir haben im Haushaltsausschuss
und im Verkehrsausschuss viele Fragen dazu gehabt.
Was ist mit dem Baufortschritt und dem Thema Kosten?
Wir haben bisher nur wenige Antworten vom Ministe-
rium zu den Kosten und der Finanzierung bekommen.
Der Bericht zu den Infrastrukturvorhaben, zum Beispiel
zu den Anschlüssen der Deutschen Bahn, liegt immer
noch nicht vor. Wir haben ihn als Haushälterinnen und
Haushälter seit Wochen angefordert; das Verkehrsminis-
terium hat ihn nicht geliefert.

Diese verfehlte Informationspolitik der Bundesregie-
rung muss endlich aufhören. Wir brauchen Klarheit und
Details über die Kosten des BER-Flughafens.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt stellen Sie das mit 312 Millionen Euro in die
Verpflichtungsermächtigungen ein. Dabei ist das Finan-
zierungskonzept noch gar nicht klar. Wir wissen nicht,
um was es nachher wirklich geht. Es wurde bisher kein
Finanzierungskonzept vorgelegt. Wir können das auch in
den aktuellen Haushaltsberatungen besprechen. Wir
müssen es nicht in den Nachtragshaushalt einstellen. Das
ist nicht notwendig.

Zum Aufsichtsrat will ich sagen: Natürlich ist auch
der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Wowereit hier in der
Pflicht. Der Aufsichtsrat hat versagt. Aber auch Minister
Ramsauer und Minister Schäuble haben mit den Staats-
sekretären Bomba und Gatzer Vertreter in diesem Gre-
mium sitzen. Diese Aufsichtsratsmitglieder haben eben-
falls versagt. Der Aufsichtsrat wusste lange Bescheid
über den mangelhaften Brandschutz bzw. die mangel-
hafte Entrauchungsanlage. Dieser Aufsichtsrat hat es
nicht gebacken bekommen; er hat versagt. Er muss aus-
gewechselt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch ein Satz zum Thema Kitaausbau. Es stimmt, wir
brauchen zusätzliche Plätze für die unter Dreijährigen,
um den Rechtsanspruch 2013 zu erfüllen. Aber Kristina
Schröder hat es drei Jahre lang nicht hinbekommen, sich
in dieser schwarz-gelben Koalition gegen Herrn Schäuble
durchzusetzen. Es gab drei Jahre kein Geld mehr für neue
Kitaplätze. Mehr Geld dafür mussten die rot-grün regier-
ten Länder erst in den Verhandlungen über den Fiskalpakt
durchsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wessen Aufgabe ist denn das mit den Kitas?)


Jetzt so zu tun, als ob die Länder das Geld, dessen Be-
willigung sie selber durchgesetzt haben, nicht wollten,
ist absurd. Was die Länder beklagen, ist, dass die Be-
triebsmittel für Erzieherinnen und Erzieher nicht wie ab-
gemacht 2013, sondern erst 2015 fließen sollen. Wir
brauchen diese Mittel aber bereits 2013, um den Rechts-
anspruch zu erfüllen. Pacta sunt servanda – Verträge sind
einzuhalten. Die Bundesregierung muss ihre Zusagen an
die Länder beim Kitaausbau endlich einhalten und dafür
sorgen, dass die vereinbarten Betriebsmittel rechtzeitig
fließen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719902700

Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort die Bun-

desministerin Dr. Kristina Schröder.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute nicht nur über das Gesetz zur inner-
staatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags, sondern auch
darüber, ob es gelingt, den Kitaausbau zu beschleunigen.
Der Bund stellt für 30 000 neue Kitaplätze zusätzlich
580 Millionen Euro zur Verfügung. Damit sollen die
30 000 Plätze eingerichtet werden, die mehr gebraucht
werden als 2007 veranschlagt. Wir alle sind uns sicher-
lich einig, dass es sich kein Land leisten kann, auf dieses
Geld für den Kitaausbau zu verzichten, zumal nur noch
rund neun Monate Zeit bleiben, bis der Rechtsanspruch
auf einen Kitaplatz in Kraft tritt. Trotzdem gab und gibt
es nach der Stellungnahme des Bundesrates einige Irrita-
tionen.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich
machen, was die Bundesregierung mit den Ländern ver-
einbart hat; denn es gab nicht nur umfangreiche Gesprä-
che, Herr Minister Friedrich, sondern eine ausdrückliche
Einigung mit den Ländern. Bereits im August dieses
Jahres haben wir uns auf die Verteilung der 580 Millio-
nen Euro und auf die Förderbedingungen verständigt.
Den Ländern war in diesen Verhandlungen sehr wichtig,
dass das Geld nicht nach dem Maßstab verteilt wird, wo
derzeit noch die meisten Kitaplätze fehlen. Vielmehr be-
standen die Länder auf einer Verteilung nach der Zahl
der unter Dreijährigen in den jeweiligen Ländern. Wir
haben dem zugestimmt, weil wir gesagt haben: Wir kön-
nen nicht monatelang darüber diskutieren. Durch Disku-
tieren entstehen keine Kitaplätze.


(Caren Marks [SPD]: Das merken Sie auch schon!)


Wir haben auch zugestimmt, dass die neuen Gelder so-
gar rückwirkend ab dem 1. Juli 2012 für den Kitaausbau
eingesetzt werden können, damit die Kommunen mög-
lichst sofort mit der Einrichtung weiterer Plätze begin-
nen können. Wir haben dafür aber auch Bedingungen
vereinbart, weil wir aus den Erfahrungen des bisherigen
Ausbaus lernen müssen.


(Caren Marks [SPD]: Sie müssen noch viel lernen!)


Erstens. Wir wollen, dass dort neue Kitaplätze entste-
hen, wo sie von den Familien gebraucht werden. Wir
wollen, dass das Geld des Bundes dort für den Bau von
Kitaplätzen eingesetzt wird, wo Bedarf da ist. Das kann
auch heißen, dass Gelder, die bis zu einem bestimmten
Termin nicht genutzt werden, dann an andere Länder ge-
hen, die sie für den Kitaausbau dringend brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zweitens. Wir wollen Transparenz. Bund, Länder und
Kommunen haben von Anfang an ausgemacht, den Kita-
ausbau gemeinsam zu stemmen, und das, obwohl dafür
verfassungsrechtlich der Bund überhaupt nicht zuständig
ist. „Gemeinsam stemmen“, meine Damen und Herren,
heißt aber, dass man mit offenen Zahlen arbeitet. Jeder
soll wissen können: Wo fehlen wie viele Plätze? Jeder
soll wissen können: Wie viele Plätze sind im Bau?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Jeder soll wissen können: Welches Land hat wie viel von
seinem eigenen Anteil an den Kosten schon erbracht?
Meine Damen und Herren, das ist keine Bürokratie; das
ist eine Selbstverständlichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Bund zahlt übrigens das Geld auch nur aus einem
einzigen Grund an die Länder: Weil wir es aus verfas-
sungsrechtlichen Gründen nicht direkt an die Kommu-
nen zahlen können.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist dafür nun zuständig? Wer hat das Grundgesetz denn so gemacht? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Der Deutsche Bundestag hat das beschlossen mit Zweidrittelmehrheit! Da waren Sie auch dabei!)


Dass wir hier nichts Unmögliches verlangen, das
zeigt der Blick auf ein Land, das für viele hier im Haus
in Sachen Kinderbetreuung der Lieblingsfeind Nummer
eins ist, nämlich Bayern. In Bayern wird nicht nur viel
eigenes Landesgeld für den Kitaausbau in die Hand ge-
nommen, sondern Bayern weist auch ganz genau nach,
was damit gebaut wurde, wie hoch jeweils der Bundes-
anteil ist, wie hoch jeweils der Landesanteil ist. Das
macht kein anderes Land so. Wenn ich eine sozialdemo-
kratische Landesministerin wäre, würde ich mich schä-
men, dass ausgerechnet das vielgescholtene Bayern hier
seriöser und transparenter arbeitet als man selbst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich könnte der Bund das Geld überweisen und
dann den Ländern sagen: Jetzt macht mal schön! – Ver-
fassungsrechtlich wäre das richtig – der Kitaausbau ist
Ländersache –; vielleicht wäre es auch wahltaktisch klü-
ger, zu sagen: Der Bund zahlt und hält sich ansonsten zu-
rück. – Aber das tun wir nicht, und das werden wir nicht
tun, weil es nicht das Selbstverständnis dieser Koalition
ist, zu zahlen und sich dann zurückzulehnen. Wir wollen
für die Eltern etwas erreichen. Deshalb setzen wir alles
daran, dass zum 1. August 2013 in Deutschland jede Fa-
milie, die einen Kitaplatz benötigt, auch einen bekommt;
denn nur dann haben wir in Deutschland Wahlfreiheit für
Familien.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn es dann im Sinne der Sache einmal rumpelt,
dann ist das eben so. Mir ist es lieber, dass es jetzt rum-
pelt, als dass Eltern im August nächsten Jahres keinen
Kitaplatz finden. Die Eltern verlassen sich auf den
Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Der Kitaausbau
wird nur gelingen, wenn alle Beteiligten sich ihrer Ver-
antwortung bewusst sind und sich dementsprechend ver-
halten. Der Bund ist dazu bereit. Ich hoffe, dass alle an-
deren es auch sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719902800

Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Schwanitz für

die SPD-Fraktion.


Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1719902900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede noch einmal da-
ran erinnert und gemahnt, dass alle sich ihrer Verantwor-
tung bewusst sein sollen. Ich sage einmal ausdrücklich:
Was Sie in dieser Woche als medialen Rundumschlag
gegen die Länder gemacht haben, ist absolut verantwor-
tungslos. Sie sind Ihrer Verantwortung überhaupt nicht
gerecht geworden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/ CSU]: Es kann nicht nur in eine Richtung gehen!)


Also meine Bitte: Legen Sie bitte an sich selbst diesel-
ben Maßstäbe an!


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Umgekehrt ist das in Ordnung, ja?)


Ich will mich als Allererstes beim Bundesrat recht
herzlich bedanken; denn ohne die Länder, ohne die Ver-
knüpfung des Themas Kitaausbau mit dem Thema Fis-
kalpakt – vorhin ist vom Kollegen Barthle von Erpres-
sung geredet worden – wäre es überhaupt nicht möglich
gewesen, zu erreichen, dass zusätzliche Bundesmittel für
den Kitaausbau bereitgestellt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ohne diese Rettungsaktion der Länder im Vermitt-
lungsausschuss wäre der Rechtsanspruch der Kinder
quasi gescheitert, meine Damen und Herren.


(Bettina Hagedorn [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Das liegt in Ihrer Verantwortung!)


Nachdem Sie das stets abgelehnt haben, wäre gar keine
Möglichkeit mehr gewesen, das Ausbauprogramm be-
darfsgerecht, so wie die Bedarfszahlen tatsächlich sind,
aufzustocken. Deshalb mein herzlicher Dank an die Län-
derseite! Das kommt spät, aber, wie ich hoffe, nicht zu
spät.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hat auch etwas damit zu tun, dass die Bundesminis-
terin diesen zusätzlichen Ausbaubedarf jahrelang igno-
riert hat. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir – ich
hoffe es nicht; aber es sieht leider anders aus – eine Bun-
desfamilienministerin haben, die momentan den letzten
Rest an familienpolitischer Gemeinsamkeit, die wir mit
den Ländern haben, zertrampelt. Ich glaube, dass das ein
großer Fehler ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will noch einmal daran erinnern: Drei Jahre lang
hat diese Ministerin jede Forderung nach einem Krip-
pengipfel abgelehnt. Drei Jahre lang wurde bestritten,

dass es in diesem Land einen höheren Bedarf an Kitaaus-
bau gibt, um den Rechtsanspruch zu retten.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Drei Jahre lang haben die Länder die Mittel gar nicht abgerufen!)


Erst im Mai 2012 wurde eingeräumt, dass ein Zusatzbe-
darf von 30 000 Plätzen existiert. Aber selbst dann war
diese Bundesregierung nicht bereit dazu, das Ausbaupro-
gramm aufzustocken. Erst im Juni – über den Bundesrat,
über den Vermittlungsausschuss – ist es gelungen, diesen
Teil noch in das Ausbauprogramm aufzunehmen. Meine
Damen und Herren, das hat nichts mit Frau Schröder zu
tun, es hat überhaupt nichts mit Frau Schröder zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nachdem Sie darauf eingegangen sind, will auch ich
einen Blick in den Gesetzentwurf selbst werfen. Ich will
ausdrücklich sagen: Ich habe nichts gegen Kontrolle.
Aber was Sie hier an Kontrollpflichten aufbauen wollen,
das ist schon das bürokratische Monster, das in diesem
Plenarsaal oft zitiert wird. Sie wollen die Länder zu
neuen monatlichen, neuen halbjährlichen Berichten ver-
pflichten, die bis weit nach 2008 hinein zurückgehen.
Anstatt die Zahl der Kitaplätze auszubauen, wollen Sie
die Bürokratie ausbauen. Das kann nicht sinnvoll sein,
und das ist nicht das, was hier gemacht werden muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zum Zweiten fällt auf, dass die Verstärkungsmittel für
den Zusatzausbau gestreckt werden: Sie sollen nicht bis
2013 laufen, sondern bis Ende 2014, bei den Betriebs-
kosten sogar bis Ende 2015. Es ist also schon im Gesetz
selber angelegt, dass zum August 2013 der Rechtsan-
spruch auf Kitabetreuung wegen des Zusatzbedarfs nicht
abgesichert werden kann. Also machen Sie sich ein
Stück ehrlich, Frau Ministerin, und erzählen Sie hier
nicht solche Sachen!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Dritten fällt auf, dass der Gesetzentwurf bezo-
gen auf den Zusatzbedarf keine richtige Hilfe für den
Kitaausbau bringt. In dem Gesetzentwurf wird eine Me-
chanik aufgebaut – ich hoffe, wir können sie in den Be-
ratungen noch verändern –, die so aussieht, dass ein
Land, wenn es bis Ende 2012 beim Kitaausbau hinter der
Planung zurückbleibt, faktisch gar keine zusätzlichen
Mittel zur Deckung des Zusatzbedarfs bekommt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig! Ist ja logisch!)


Das heißt, ausgerechnet dort, wo der größte Nachholbe-
darf besteht, wird quasi zuerst der Geldhahn zugedreht.
Das ist, als ob in einem Krankenhaus die leichten Fälle
wunderbar mit Medikamenten versorgt, die schweren
Fälle aber vor die Tür gesetzt würden. Das kann keine
sinnvolle Verstärkungsstrategie sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Rolf Schwanitz


(A) (C)



(D)(B)


Sie können das, was ich sage, ja für falsch halten.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Das tun wir auch!)


Deswegen will ich Ihnen auch sagen, was der Minister-
präsident des Landes Sachsen-Anhalt, Herr Haseloff – er
gehört nicht zu den Sozialdemokraten, sondern zu Ihrer
Parteicouleur –, dazu gesagt hat: Was jetzt zur Voraus-
setzung für Zahlungen des Bundes genannt werde, ent-
spreche nicht der Geschäftsgrundlage. – Weiter hat er
gesagt: „Frau Schröder sollte nachdenklich machen, dass
dies von allen Bundesländern übereinstimmend so gese-
hen wird.“ – Meine Hoffnung auf die Nachdenklichkeit
der Ministerin ist allerdings begrenzt.


(Caren Marks [SPD]: Da fehlt eine Grundvoraussetzung!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719903000

Andreas Mattfeldt hat jetzt das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Andreas Mattfeldt (CDU):
Rede ID: ID1719903100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Mit dem zweiten Nachtragshaushalt
2012 schaffen wir heute die Voraussetzungen dafür, dass
Deutschland die Erhöhung des Eigenkapitals der Euro-
päischen Investitionsbank in Höhe von 1,6 Milliarden
Euro wird leisten können.

Darüber hinaus enthält dieser Nachtrag Verpflich-
tungsermächtigungen in Höhe von 312 Millionen Euro,
damit die jetzt notwendigen Beschlüsse zur Deckung des
zusätzlichen Kapitalbedarfs der Flughafen Berlin Bran-
denburg GmbH getätigt werden können. Die immensen
Verfehlungen beim Flughafenbau sind sowohl für uns
Abgeordnete als auch für die Bevölkerung nicht mehr
nachzuvollziehen. Ich sage hier deutlich: Für eine Indus-
trienation wie Deutschland mit großartigen Leistungen
ist das Thema Flughafen Berlin Brandenburg schon sehr
demütigend.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist das!)


Darüber hinaus stellen wir in diesem Nachtrag dar,
dass durch die Bund-Länder-Verpflichtung 30 000 zu-
sätzliche Plätze für die Betreuung von Kindern unter drei
Jahren finanziert werden. Insgesamt wird der Bund dem
Sondervermögen Kinderbetreuungsausbau noch einmal
580,5 Millionen Euro zuweisen. Damit handelt die Bun-
desregierung erneut zugunsten von Kommunen und Län-
dern und stellt weitere Gelder für den Kinderbetreuungs-
ausbau zur Verfügung


(Bettina Hagedorn [SPD]: Weil wir Sie zum Jagen getragen haben!)


– und das, obwohl Kinderbetreuung in die originäre Zu-
ständigkeit der Kommunen und der Länder fällt. Dies
wird leider von vielen rot-grün regierten Bundesländern,
aber auch von den Kommunen, schnell vergessen und
unter den Tisch gekehrt.


(Zuruf des Abg. Steffen Bockhahn [DIE LINKE])


– Wissen Sie, Herr Bockhahn, es ärgert mich schon,
wenn lautstark, wie in den vergangenen Monaten, von
gewissen Kreisen nach mehr Geld vom Bund geschrien
und mitgeteilt wurde, der Bund würde seine Zusagen
zum Ausbau von Kindertagesstätten nicht einhalten.
Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. – Deshalb möchte
ich gemeinsam mit Ihnen auf den Krippengipfel 2007
zurückblicken, auf dem die Schaffung von Krippenplät-
zen vereinbart wurde. Seinerzeit haben sich auf Initiative
von Ursula von der Leyen Bund, Länder und Kommu-
nen in einem gemeinsamen Kraftakt, weil alle Beteilig-
ten die Notwendigkeit erkannt haben, darauf geeinigt,
bis 2013 ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungs-
plätzen für Kinder unter drei Jahren zu schaffen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ihr habt das Konzept erfolgreich abgeschrieben!)


Der Bund, Frau Hagedorn, hat seinerzeit seine Verpflich-
tung direkt umgesetzt und insgesamt 4 Milliarden Euro
bereitgestellt: 2,15 Milliarden Euro für Investitionen und
sogar – darüber haben wir seinerzeit lange verhandelt –
1,85 Milliarden Euro für Unterhalt und Betriebskosten.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das war Bestandteil der Einigung!)


Bei Kommunen und Ländern sah eine sofortige Um-
setzung leider in einigen Teilen anders aus. Hier konnten
wir vielfach eine sehr abwartende Haltung beobachten.
Ich weiß aus eigener Erfahrung als seinerzeitiger Haupt-
verwaltungsbeamter, dass viele Kommunen das Problem
zum Teil vor sich hergeschoben haben. Diese Haltung
hat zu der Verzögerung geführt, vor der wir heute stehen,
und hat die Lücken entstehen lassen, die wir nun erneut
in einem enormen Kraftakt werden füllen müssen.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Wir stocken auf!)


An diesem Nachtrag von 580 Millionen Euro für Kin-
dertagesstätten sehen Sie auch, welch eine große Bedeu-
tung die Familienpolitik in dieser Koalition hat. Damit
unterscheiden wir uns fundamental von dem, was die
rot-grüne Koalition in ihrer Amtszeit geschafft hat.


(Rolf Schwanitz [SPD]: Das ist ja lächerlich!)


– Das ist nicht lächerlich.

Während in Ihrer Zeit, Herr Poß, unter Gerhard
Schröder, Familienpolitik als Gedöns bezeichnet wurde


(Joachim Poß [SPD]: Aufgeblasenes Pathos ist das!)


und bestenfalls stiefmütterlich, wenn überhaupt, behan-
delt wurde, hat Kristina Schröder in ihrer Amtszeit den
Etat um mehr als eine halbe Milliarde Euro angehoben.
Beispielhaft möchte ich die insgesamt rund 400 Millio-
nen Euro nennen, die von 2011 bis 2014 in die Verbesse-





Andreas Mattfeldt


(A) (C)



(D)(B)


rung der Qualität der frühkindlichen Sprachförderung
durch qualifiziertes Personal in 4 000 Schwerpunktkitas
investiert werden. Noch einmal: Auch dies ist eigentlich
originäre Aufgabe der Kommunen. Mit der Finanzierung
durch den Bund bieten wir den Kommunen die Entlas-
tung, die sie immer wieder vom Bund fordern.

Gerade vor diesem Hintergrund ist es für mich der
Gipfel der Unverschämtheit, dass Frau Schwesig der
Ministerin Schröder vorwirft, sie würde immer neue
Forderungen an die Vergabe der Mittel knüpfen und
würde auf der Bremse stehen. Nach den gemachten Er-
fahrungen kann ich nur sagen, es ist absolut notwendig,
dass die Mittelvergabe an zu erfüllende Pflichten und
vor allen Dingen auch an Fristen gebunden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Ministerin vorzuwerfen, sie würde den Kitaaus-
bau ausbremsen, ist nahezu ungeheuerlich. Das ist an
Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten und dient nur dem
eigentlichen Zweck, von eigenen Verfehlungen in zahl-
reichen Bereichen abzulenken.

Meine Damen und Herren, Kitakostenübernahme und
vor allem auch die Kostenübernahme für die Grund-
sicherung im Alter entlasten die Kommunen erheblich.
Diese Entlastungen und die durch eine kluge Wirt-
schaftspolitik ausgelösten Steuermehreinnahmen haben
per 30. Juni dieses Jahres bereits zu einer erheblichen
Verbesserung der finanziellen Situation der Kommunen
geführt.

Durch die Verschiebung im Bundeshaushalt zuguns-
ten der Kommunen entlastet diese christlich-liberale Re-
gierung


(Zurufe von der SPD: Oh!)


die Kommunen finanziell in einer noch nie dagewesenen
Höhe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition,
verbitte ich mir Ihren Vorwurf, wir würden die Kommu-
nen vernachlässigen. Dieser Vorwurf entbehrt jeglicher
Grundlage.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das sind die Fakten, Andreas! – Zurufe von der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719903200

Die Kollegin Bettina Hagedorn hat das Wort für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Bettina Hagedorn (SPD):
Rede ID: ID1719903300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Ich muss schon sagen: Was für einen Eindruck
müssen die Zuschauer auf der Tribüne gewinnen! Was
Sie als Regierungsfraktionen angesichts dieser Debatte
– wir reden über die Umsetzung des Fiskalpakts und

über den Nachtragshaushalt – an kleinkariertem Pepita
bieten, das ist unter der Würde dieses Hauses.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist nämlich so – das wissen vielleicht nicht alle Zu-
hörer –, dass der Fiskalpakt in diesem Haus mit der Zu-
stimmung von vier Fraktionen eine große Mehrheit ge-
funden hat und dass es in Deutschland – übrigens im
Gegensatz zu vielen Nachbarländern – eine breite parla-
mentarische Mehrheit für ganz wesentliche Weichenstel-
lungen auf europäischer Ebene gibt, weil Rot-Grün ge-
meinsam mit der Regierung eine große europäische
Verantwortung übernimmt.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das ist ja das Problem!)


Der von Ihnen eingebrachte Nachtragshaushalt ent-
hält drei wesentliche Maßgaben, die damit in einem un-
mittelbaren Sinnzusammenhang stehen; hierüber ist
schon diskutiert worden. Dabei geht es sowohl um die
Zustimmung der Länder zum Fiskalpakt, die richtig ist,
als auch um die Zustimmung von Rot-Grün.

Nur aufgrund dessen können jetzt ein Wachstumspa-
ket und ein Paket gegen die Jugendarbeitslosigkeit auf
europäischer Ebene verabschiedet werden, was die Auf-
stockung der Mittel der Europäischen Investitionsbank
erforderlich macht. Nur aufgrund dessen werden in
Deutschland 30 000 neue Kitaplätze geschaffen, was die
Bereitstellung von 580 Millionen Euro erforderlich
macht.

Weil wir in diesem Hause das gemeinsam wollen,
wäre es jetzt eigentlich angemessen, auch gemeinsam
darüber nachzudenken, wie wir das Ganze zu einem gu-
ten Ende führen können. Diese Chance auf eine gemein-
same Linie verpassen Sie jedoch mit Ihrem Klein-Klein,
dem Parteiengezänk und Ihrem Kleinmut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu Recht ist bereits gesagt worden, dass es auf euro-
päischer Ebene jetzt endlich einen Kurswechsel gibt –
weg von den neoliberalen Rezepten der Regierungen in
ganz Europa unter der Federführung von Frau Merkel,
weg von falschen Kürzungsorgien, die ursächlich zu ei-
ner einbrechenden Binnennachfrage, zu einer erlahmen-
den Wirtschaft und damit letzten Endes zu der hohen Ju-
gendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern
geführt haben.

Es ist gut und richtig, dass diese Änderungen erfol-
gen. Zu diesen Maßnahmen erhalten Sie unsere Zustim-
mung. Dass Sie aber auf der anderen Seite Ihre eigenen
Schularbeiten nicht machen und jetzt nicht durch struk-
turelle Kürzungen im eigenen Haushalt zu einer soliden
Gegenfinanzierung gelangen, dass Sie sich in Europa als
Sparkommissar gerieren, im eigenen Land aber nichts
davon wissen wollen, das ist ja das Drama.


(Beifall bei der SPD)


Die Gegenfinanzierung – das haben sowohl Frau
Hinz als auch Carsten Schneider und andere schon zu





Bettina Hagedorn


(A) (C)



(D)(B)


Recht gesagt – nehmen Sie sozusagen im Schlafwagen
mit, indem Sie für 2012 komischerweise exakt 2,2 Mil-
liarden Euro geringere Zinsausgaben veranschlagen.

In welchem gesamtpolitischen Umfeld bewegen wir
uns denn? Es ist durchaus so, dass wir uns über eine
brummende Konjunktur hier immer gemeinsam gefreut
haben. Es reicht für eine Regierung jedoch nicht aus,
sich lediglich darin zu gefallen. Es ist vielmehr Verant-
wortung dieser Regierung, Vorsorge für die Zukunft zu
tragen, auch bei sich eintrübenden Aussichten.

Genau dies soll mit der Schuldenbremse erreicht wer-
den, die übrigens von uns gemeinsam beschlossen
wurde. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Was
tun Sie? Über den Nachtragshaushalt und die geringeren
Zinszahlungen habe ich schon gesprochen. Wir haben es
in dieser Woche aber auch mit der Vorstellung der
Wachstumsprognose für das Jahr 2013 zu tun gehabt. Ich
will nur darauf hinweisen: Sie haben öffentlich so getan,
als sei alles im grünen Bereich;


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Im grünen nicht, aber im guten Bereich!)


tatsächlich ist es so, dass Sie in dem Haushaltsent-
wurf 2013, den wir in diesem Parlament gerade parallel
beraten, von einem Wachstum von 1,6 Prozent im
Jahr 2013 ausgeht. Aber wo sind wir jetzt? Bei 1 Prozent
Wachstum.

Sie gehen in Ihrem Haushaltsentwurf von 2,78 Mil-
lionen Arbeitslosen im Jahr 2013 aus. Und wo sind wir
jetzt? Seit dieser Woche haben wir es schwarz auf weiß:
bei 2,94 Millionen Arbeitslosen; das sind 150 000 Ar-
beitslose mehr.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: 2 Millionen weniger als zu Ihrer Zeit!)


Was bedeutet das? Das bedeutet notwendige Ausga-
ben im Haushalt 2013, und Sie nehmen das nicht zur
Kenntnis. Sie treffen keine Vorsorge, sondern rechnen
sich alles schön,


(Beifall bei der SPD)


um den Menschen letzten Endes Sand in die Augen zu
streuen, und das, obwohl Sie es in Deutschland mit zwei
verantwortungsbewussten Oppositionsparteien zu tun
haben,


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das ist mir neu!)


die im Grunde bereit sind, bei den Dingen, die für die
Menschen in dieser Lage wichtig sind, mit Ihnen an ei-
nem Strang zu ziehen und in eine Richtung zu gehen.
Aber Sie ergreifen nicht die Hand, und damit werden Sie
der Verantwortung nicht gerecht.

Ich fordere Sie auf: Greifen Sie die wesentlichen
Punkte auf, die wir Ihnen vorschlagen, insbesondere was
das Expertengremium anbelangt. Stärken Sie dieses Par-
lament und schaffen Sie ein Gremium, das gegenüber
dem Bundestag rechenschaftspflichtig ist. Lassen Sie
das Gremium nicht zu einem einfachen Instrument ver-

kommen, das der Regierung und auf europäischer Ebene
nur in irgendwelchen Hinterzimmern berichtet.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719903400

Für die Unionsfraktion hat die Kollegin Antje

Tillmann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1719903500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben 2009 als ei-
nes der ersten Länder in Europa eine Schuldenbremse in
der Verfassung, im Grundgesetz, verankert und ein Jahr
später den Stabilitätsrat mit Kompetenzen ausgestattet,
wie sie heute im Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung
des Fiskalvertrags verlangt werden.

Der Steinbrück-Entwurf für den Haushalt 2010 sah
noch eine Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro vor,
wir aber werden vermutlich schon im nächsten Jahr die
Vorgaben der Schuldenbremse, die eigentlich erst 2016
eingehalten werden müssen, unterschreiten. Wir sind auf
einem guten Weg. Da ist die Verabschiedung des Fiskal-
paktumsetzungsgesetzes heute ein weiterer Schritt, und
zwar ein entscheidender Schritt in einem Bereich, in
dem wir noch nicht gut waren: Die Länder sahen sich bei
der deutschen Schuldenbremse nicht in der Verantwor-
tung für die Kommunen. In unserer Verfassung steht,
dass die Länder in ihren Haushalten bis 2020 eine Neu-
verschuldung von null erreichen müssen, und die Länder
interpretieren das so, dass sie keine Verantwortung für
die Verschuldung der Kommunen haben. Mit dem heuti-
gen Beschluss ändert sich das. Im Umsetzungsgesetz
steht nämlich eindeutig:

Die Länder tragen im Rahmen des Fiskalvertrags
die Verantwortung für ihre Kommunen.

Das ist ein Meilenstein im Hinblick auf die Haushalts-
sicherheit der Kommunen.

Ich möchte nur kurz daran erinnern, dass es die SPD-
Länder sind, in denen es den Kommunen am schlechtes-
ten geht. Die Kommunen mit der höchsten Verschuldung
befinden sich gerade in den SPD-Ländern.

Heute machen wir einen Riesenschritt zum Vorteil der
Kommunen. Neben der finanziellen Entlastung durch
Übernahme der Kosten der Grundsicherung und des Bil-
dungspakets profitieren sie nun auch von Rechtsklarheit
hinsichtlich der Verschuldung.

Der zweite Grund, warum das Gesetz ein Meilenstein
im Hinblick auf die Beteiligung der Kommunen ist, ist
die direkte Beteiligung der Kommunen am Beirat beim
Stabilitätsrat. Das heißt, diejenigen, die von Sparmaß-
nahmen der Länder betroffen sind, dürfen mitberaten;
sie können mitbestimmen und öffentlich ihre Position
darstellen.





Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)


Viele der Äußerungen zu den Kommunen, die hier ge-
macht worden sind, sind schlichtweg unwahr. Es ist
diese Regierung, die in dieser Legislaturperiode die
größte Entlastung für die Kommunen überhaupt be-
schlossen hat.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Das war auch unter Druck! Auch da haben wir Sie zum Jagen getragen!)


Auch die Äußerung von Herrn Minister Friedrich, dass
wir durch Übertragung von Aufgaben die Kommunen
belasten würden, ist einfach nur unwahr. Der Bundesprä-
sident dürfte ein solches Gesetz gar nicht unterzeichnen,
weil es verfassungswidrig wäre. Bleiben Sie bei der
Wahrheit. Diese Regierungskoalition von CDU/CSU
und FDP steht hinter unseren Kommunen. Wir entlasten
die Kommunen, binden sie ein und stellen sicher, dass
die Kommunen bei Haushaltsdiskussionen mitberaten
dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das tun wir über den Beirat auch deswegen, weil der
Stabilitätsrat Sanierungsvorschläge für Länderhaushalte
sofort an die Landesregierungen weitergibt, und natür-
lich müssen an den Beratungen der Landesregierungen
alle Kommunen teilhaben dürfen, denn sie sind von die-
sen Einsparmaßnahmen betroffen. Insofern werden wir
sicherstellen, dass nicht nur eine betroffene Kommune,
sondern alle betroffenen Kommunen an diesen Beratun-
gen teilnehmen.

Ich freue mich sehr, Herr Minister Friedrich, dass Sie
jetzt wieder anwesend sind; denn ich finde es beim zwei-
ten Thema, dem Kindergartenausbau, entlarvend, dass
ausgerechnet ein Vertreter des Landes heute hier spricht,
das beim alten Kindergartenausbauprogramm zum 24. Sep-
tember den niedrigsten Mittelabruf aufweist. Erst 55 Pro-
zent der Mittel sind von Baden-Württemberg abgerufen
worden. Insofern erachte ich es als schwierig, sich hier-
hin zu stellen und zu fordern, dass man bei einem neuen
Programm keinen Nachweis erbringen muss. Ihr Auftritt
führt bei mir erst recht dazu, der Ministerin den Rücken
zu stärken, denn wir wollen wissen, was die Länder mit
den Geldern machen. Darüber hinaus sind es nicht
zuletzt SPD-Kollegen in den Kommunen, die uns auffor-
dern, sicherzustellen, dass die Länder das Geld auch tat-
sächlich für den Kindergartenausbau nutzen. Die Erfah-
rungen aus der Vergangenheit sind nämlich schlecht.

Der Evaluationsbericht zeigt ganz deutlich, dass nicht
nachweisbar ist, ob die Länder ihrer Verpflichtung aus
dem alten Programm nachkommen. Auch da zeigt der
Bericht ganz deutlich: Es sind bis zum 24. September
nur 73 Prozent der Mittel abgerufen worden.

Die zweite Forderung der Länder finde ich noch bi-
zarrer. Sie wollen nämlich Betriebskostenerstattungen
für Kindergärten bekommen, die noch gar nicht in Be-
trieb sind. Das müssen sie erst einmal erklären.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn ich 2013 Mittel für einen Kindergartenbau abrufe,
dann kann dieser Kindergarten 2013 noch gar nicht in
Betrieb sein. Deshalb hat die Ministerin völlig recht,

dass die Betriebskosten erst dann erstattet werden, wenn
sie tatsächlich anfallen.


(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Richtig!)


Auch hier glaube ich, dass die Länder über ihre Position
noch einmal nachdenken müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Alles andere ist Beschiss!)


– Danke für den freundlichen Zwischenruf.

Ich wundere mich schon, denn Frau Haderthauer hätte
die Position der Länder hier sehr viel besser darstellen
können. Einerseits hat sie die Mittel in voller Höhe abge-
rufen, andererseits ist sie interessanterweise gleichzeitig
dafür, dass nachgewiesen wird, wie die Mittel verwendet
werden.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist nicht da!)


Bayern hat nämlich im Gegensatz zu anderen Ländern
nichts zu verstecken. Daher, Herr Minister Friedrich,
werden Sie hier noch einiges hinsichtlich des Mittelab-
rufs zu erklären haben.

Wir werden nicht auf Kosten der Eltern zocken. Die
Länder, die bereits im Vermittlungsausschuss das Gesetz
zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger von der kal-
ten Progression sowie das Gesetz zur energetischen Ge-
bäudesanierung blockieren, blockieren jetzt den Kitaaus-
bau. Dann ist es aber auch ihre Aufgabe, den Eltern 2013
zu erklären, warum wir noch nicht so weit fortgeschrit-
ten sind, wie wir es uns eigentlich wünschten.

Die Eltern können sich auf uns verlassen. Wir werden
den Kitaausbau beschleunigen. Wir sind unseren Ver-
pflichtungen nachgekommen und werden mit diesem
Gesetz unsere Aufgaben erfüllen. Wir werden diese Mit-
tel zur Verfügung stellen, damit die Eltern Sicherheit ha-
ben, was die Betreuung ihrer Kinder angeht. Ich hoffe,
bis zum Vermittlungsausschuss ändern die Länder ihre
Position.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719903600

Ich schließe die Aussprache.

Es ist verabredet, die Gesetzentwürfe auf den Druck-
sachen 17/10976, 17/11011 und 17/10900 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-
sen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so be-
schlossen.

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 35 a bis c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Energiewende sozial gestalten – Bezahlbare
Strompreise gewährleisten
– Drucksache 17/10800 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)






Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Federführung strittig

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Bezahlbare Energie sichern durch Einspa-
rung, Erneuerbare und mehr Verbraucher-
rechte
– Drucksache 17/11030 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Federführung strittig

c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Rita Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann,
Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Die Energiewende – Kosten für Verbrauche-
rinnen, Verbraucher und Unternehmen
– Drucksache 17/10366 –

Es ist verabredet, anderthalb Stunden darüber zu de-
battieren. – Auch dazu sehe und höre ich keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Katja Kipping für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719903700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Strompreise steigen. Seit dem Jahr 2000 sind sie um
70 Prozent gestiegen, und für Menschen mit geringem
Einkommen und für kleine Unternehmen ist damit oft
die Schmerzgrenze erreicht. Ja, für viele ist die Schmerz-
grenze sogar überschritten. Davon zeugen bis zu
800 000 Stromsperrungen.

Jedem, der diese Stromsperrungen auf die leichte
Schulter nimmt, empfehle ich den Selbsttest. Versuchen
Sie doch einmal, mehrere Tage ohne Strom zu leben.
Man kann das Handy nicht aufladen. Man hat keinen Zu-
gang zum Internet. Wenn man keinen Gasherd hat, kann
man sich nicht einmal eine Tasse Tee kochen. Familien
mit Kleinkindern können nicht einmal die Babynahrung
aufwärmen.

Wir können hier nicht tatenlos zusehen, wenn sich die
Energiearmut in diesem Land ausbreitet. Die Stromrech-
nung darf keine Schuldenfalle werden.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Da hilft nur: Rechnung bezahlen!)


Deswegen müssen wir sozial nachsteuern, und zwar mit
einer sozialen Energiewende.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen schlägt Ihnen die Linke ein Konzept für
eine soziale Energiewende vor. Dieses Konzept ist ein-
gebettet in ein größeres Konzept für einen sozialökologi-
schen Umbau. Das ist unser „Plan B“.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Oh! Den Plan B haben wir schon vierzig Jahre erlebt!)


Über diesen diskutieren wir auch im Internet mit allen
Interessierten.

Zu einer sozialen Energiewende gehört unter anderem
ein Stromsockeltarif. Dieser besteht aus zwei Kompo-
nenten: aus einem Gratissockel von 300 Kilowattstun-
den pro Haushalt zuzüglich eines Gratissockels von
200 Kilowattstunden pro Person. Für eine vierköpfige
Familie macht das einen Gratissockel von 1 100 Kilo-
wattstunden. Um diesen Gratissockel zu finanzieren,
wird der darüber hinausgehende Strom teurer. Davon
profitieren Haushalte, die weniger verbrauchen als der
Durchschnitt. Wer weniger verbraucht als der Durch-
schnitt, zahlt zukünftig deutlich weniger. Wer mehr ver-
braucht, zahlt deutlich mehr. Es gibt also einen Anreiz
zum Stromsparen.

Gleichzeitig hat dieses Modell eine soziale Dimen-
sion; denn wir wissen – laut Statistischem Bundesamt –,
dass mit steigendem Einkommen auch der Stromver-
brauch steigt. Genau darum geht es uns. Wir wollen so-
zialen Ausgleich und Anreize zum Stromsparen zusam-
men denken; denn soziale und ökologische Komponenten
gehören immer zusammen gedacht und dürfen niemals
gegeneinander ausgespielt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem schlagen wir eine Abwrackprämie für
stromfressende Kühlschränke und Waschmaschinen vor.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ökodiktatur!)


Ja, wer ein altes, stromfressendes Modell durch ein be-
sonders stromsparendes ersetzen möchte, der soll von
der öffentlichen Hand einen Zuschuss in Höhe von
200 Euro bekommen. Ich freue mich sehr, dass die Grü-
nen dieses Modell, das ich im Sommer vorgeschlagen
habe, übernommen haben.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das macht es nicht besser!)


So macht Cross-over Spaß.

Zudem will die Linke die wirklichen Ursachen für die
Strompreisexplosion angehen. Schwarz-Gelb behauptet,
die erneuerbaren Energien bzw. deren Förderung sei da-
ran schuld. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
schlägt in dieselbe Kerbe und plakatiert flächendeckend:
Subventionen lassen Strompreise explodieren! EEG
– also das Erneuerbare-Energien-Gesetz – abschaffen!
Nur zum Hintergrund, für diejenigen, die diese Organi-
sation noch nicht kennen: Hierbei handelt es sich um
eine Organisation, die von der Wirtschaft finanziert wird
und den Auftrag hat, die gesellschaftliche Stimmung im
Interesse der Wirtschaft zu beeinflussen. Hier wird uns
also ein sehr interessantes Schauspiel geboten: Wirt-





Katja Kipping


(A) (C)



(D)(B)


schaftslobbyisten und Schwarz-Gelb entdecken ihre so-
ziale Ader und ziehen in vermeintlich tiefer Sorge um
die Armen in diesem Land gegen die erneuerbaren Ener-
gien zu Felde. Wenn es diesen Kräften so wichtig ist, ge-
gen Armut vorzugehen, dann frage ich mich, warum ge-
rade sie alles, aber auch wirklich alles getan haben, um
einen Mindestlohn, der wirklich vor Armut schützt, zu
verhindern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind also gut beraten, Ihr Deutungsmuster zu hin-
terfragen. Ist die Förderung des Bereichs der erneuerba-
ren Energien wirklich daran schuld? Wenn man sich die
Zahlen genau anschaut, entsteht ein ganz anderes Bild:
Die Förderung des Bereichs der erneuerbaren Energien
ist nur zu einem Drittel für den Preisanstieg verantwort-
lich. Das heißt, zwei Drittel, also der viel größere Teil,
gehen auf andere Ursachen zurück. Ich frage Sie, meine
Damen und Herren von Schwarz-Gelb: Warum ver-
schweigen Sie diese Tatsache permanent? Ich meine, Ih-
nen geht es überhaupt nicht um die Energiearmut. Sie
wollen einfach nur die erneuerbaren Energien in Miss-
kredit bringen, und das ist schäbig.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es spricht sich inzwischen herum, dass in den
schwarz-gelben Hinterzimmern daran gearbeitet wird,
die Energiewende auszubremsen, womöglich den Atom-
ausstieg sogar wieder rückgängig zu machen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wir machen es erst möglich!)


Das ist ein verheerendes Vorhaben; denn eine Energie-
wende ist, wenn sie sozial ausgewogen ist, finanzierbar.
Atomstrom aber kostet Leben!


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Oh! Das ist wieder ein Spruch!)


Deswegen darf es nie wieder ein Zurück zum gesell-
schaftlichen russischen Roulette mit Atomstrom geben;
denn damit spielen wir mit unser aller Leben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zudem will Schwarz-Gelb vom eigentlichen Haupt-
verursacher ablenken, von den sprudelnden Gewinnen
der großen Stromkonzerne. Es ist schon auffällig: Wäh-
rend die Preise an der Strombörse sinken, steigen die
Preise für die Privathaushalte. Das muss mir einmal je-
mand erklären. Da gibt es eine Differenz, und diese Dif-
ferenz stecken sich die Stromversorger in die Tasche.
Die Linke meint: Sprudelnde Gewinne der Stromkon-
zerne auf der einen Seite und wachsende Energiearmut
auf der anderen Seite – das ist nicht länger hinnehmbar.
Es muss Schluss sein mit dieser Preistreiberei. Deswe-
gen brauchen wir endlich wieder eine funktionierende
Strompreisaufsicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber womöglich wollen Sie Ihren Kumpels von den
Stromkonzernen gar nicht so genau auf die Finger
schauen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Jetzt komm!)


Halten wir fest: Die Hetze gegen erneuerbare Ener-
gien nützt wem? Der Atom- und Kohlelobby und den
großen Stromkonzernen. Sie nützt aber mitnichten den
Menschen, die von Stromsperren betroffen sind. Alles in
allem ist diese Debatte über steigende Strompreise und
erneuerbare Energien ein wunderbares Lehrstück; denn
hieran lässt sich ganz hervorragend beobachten, wie die
Herrschenden den Eindruck erwecken,


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Herrschenden!)


es ginge ihnen um die Armen in diesem Land. Dabei ma-
chen sie vor allen Dingen bloß eines: Sie machen das
Geschäft der Stromkonzerne. Das ist wirklich schäbig.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Grüne und SPD verteidigen nun das Erneuerbare-
Energien-Gesetz. Ich finde, an dieser Stelle sollte man
einen Namen erwähnen. Ohne diesen Mann bzw. ohne
seinen beharrlichen Einsatz hätte es dieses Gesetz wahr-
scheinlich nie gegeben: Hermann Scheer, der Träger des
alternativen Nobelpreises, der vor zwei Jahren leider viel
zu früh verstorben ist.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, das EEG ist zu Recht ein Exportschlager gewor-
den. Allerdings hat Rot-Grün damals einen ganz zentra-
len Aspekt vernachlässigt: den sozialen Ausgleich. Sie
waren auf dem sozialen Auge leider blind. Diese Unter-
lassungssünde rächt sich jetzt; denn die Kohle- bzw.
Atomlobby nutzt jetzt die steigenden Strompreise, um
die erneuerbaren Energien schlechtzumachen. Gerade
wenn einem die Energiewende wichtig ist – ich bin wirk-
lich eine leidenschaftliche Kämpferin für eine Energie-
wende hin zu erneuerbaren Energien und dezentraler
Stromerzeugung –, muss das Soziale mitgedacht werden.
Ökologische Fortschritte dürfen nie mit dem kollektiven
Frieren der Ärmsten erkauft werden. Genau deswegen
heißt es ganz klar: Die Energiewende muss sozial sein,
damit sie nicht scheitert. Dazu unterbreitet Ihnen die
Linke hier Vorschläge.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719903800

Jetzt hat Thomas Bareiß das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1719903900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Verehrte Frau Kipping, unter Ihrem Plan B, den





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)


Sie gerade beschreiben, haben 15 Millionen Menschen
über vierzig Jahre lang in diesem Land schwer gelitten.
Das ist die Wahrheit.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Jetzt werden Sie mal nicht uncharmant! Ich war elf Jahre alt, als die Wende kam!)


Sozialismus war immer teurer für die Menschen. Auch
wenn bei Ihnen Hopfen und Malz verloren sind, auch
wenn Sie bei all dem Unglück und Leid, den der Sozia-
lismus über das Land gebracht hat, immer noch an den
Sozialismus glauben, sage ich Ihnen:


(Katja Kipping [DIE LINKE]: So was Langweiliges!)


Markt und Wettbewerb sind immer noch die besten Steu-
erungselemente, um neue Technologien anzureizen. Da-
rauf setzen wir bei unserer Energiewende; denn darum
geht es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719904000

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulas-

sen?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1719904100

Nein. – Es geht um neue Technologien in unserem

Land. Es geht darum, wie wir Wachstum und Wohlstand
für unser Land generieren. Das ist der zentrale Bestand-
teil unseres Energiekonzepts. Ich verfolge jetzt die dritte
Debatte in dieser Woche zu diesem Thema. Ich frage
mich manchmal, ob Rot-Grün unser Energiekonzept
überhaupt jemals gelesen und gesehen hat, was alles da-
rin steht.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welches denn? Welches Konzept?)


Es gab unter Ihrer Ägide in sieben Jahren Rot-Grün
kein Energiekonzept. Wir haben nicht nur wie Sie aus-
schließlich den Ausstieg organisiert, sondern wir haben
auch den Einstieg in erneuerbare Energien, in Energieef-
fizienz und in Kraft-Wärme-Kopplung organisiert. Diese
Punkte gehen wir Stück für Stück an, nachdem Sie sie-
ben Jahre lang nichts gemacht haben.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie gestern schon fälschlich behauptet!)


Das Problem, das wir jetzt haben, beruht darauf, dass Sie
nichts gemacht haben. Dafür müssen wir jetzt teuer zah-
len. Wir müssen die Energiewende umso schneller ge-
stalten und die Energieeffizienz steigern.

Ich will in meinem Beitrag auf den Fragenkatalog der
SPD eingehen: 14 Seiten, 137 Fragen, großer Respekt.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie die Exeku-
tive durch Ihre Fragen lahmlegen und die Beamten vor
neue Herausforderungen stellen wollen. Aber auch da-
mit können wir umgehen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So sehen Sie parlamentarische Rechte? Was sind Sie für ein Abgeordneter? – Gegenruf des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ein guter!)


– Wenn Sie das Energiekonzept lesen würden, würden
sich Ihnen viele Fragen beantworten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Welches Konzept?)


– Das Konzept, das wir vor einem Jahr vorgelegt haben,
Herr Heil.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Energiewendeversager sind Sie!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719904200

Herr Kollege, möchten Sie jetzt eine Zwischenfrage

zulassen?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1719904300

Nein.


(Ulrich Kelber [SPD]: Der Bareiß traut sich nie, Zwischenfragen zuzulassen!)


Mein erster Eindruck war, dass die Fragen in einem
sozialistischen Zentralbüro gestellt werden. Lieber Herr
Kelber, Sie fragen, wie sich die Energiepreise in den
nächsten Jahren entwickeln werden. Sie wollen wissen,
wie sich der CO2-Preis im Emissionshandel in den
nächsten Jahren entwickeln wird. Sie wollen wissen, was
das Betreiben von Kraftwerken kosten wird und wie sich
die Rohstoffpreise entwickeln werden. Sie haben Fragen
zur Entwicklung der Volllaststunden in den nächsten
Jahren.

Auch hier sage ich: Im Energiebereich wird es in den
nächsten Jahren Markt und Wettbewerb geben müssen.
Wir brauchen eher mehr Markt, als wir derzeit haben.
Wir können nicht alles am Reißbrett planen, wie Sie sich
das vorstellen. Wir brauchen jetzt Zeit. Die Energie-
wende ist ein Marathonlauf, der die nächsten 30, 40 Jahre
lang andauern wird. Wir haben erst 2 oder 3 Kilometer
hinter uns. Wir können heute noch nicht sagen, welche
Technologiesprünge es in den nächsten Jahren geben
wird und wo wir die Wachstums- und Wohlstands-
impulse, die wir brauchen, erzielen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben
in Ihren Fragen den Emissionshandel angesprochen. Sie
bemängeln, dass hierfür kein funktionierendes Markt-
instrument geschaffen wurde. Entgegen dem, was Sie
behaupten, bestimmen Angebot und Nachfrage den
CO2-Preis. Der geringe CO2-Preis hat nachvollziehbare
Gründe:

Erstens wurde in den letzten Jahren erheblich weniger
CO2 emittiert. Industrie und Verkehr haben ihre Emissio-
nen Stück für Stück reduziert. Wir wollten die Nachfrage
und damit auch den Preis reduzieren.

Zweitens – das müssen wir eingestehen; das ist ein
Problem, das wir noch aus rot-grünen Zeiten mit uns he-
rumschleppen –: Die Grundpfeiler des Emissionshandels
und des EEG passen nicht zusammen. Deshalb müssen
wir uns auch in den nächsten Jahren überlegen, wie wir





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)


diese beiden Pfeiler zusammenbekommen, um eine ein-
zige Strategie zu entwickeln und nicht zwei verschie-
dene Strategien zu verfolgen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer regiert denn hier eigentlich? – Ulrich Kelber [SPD]: Hört sich an wie ein Oppositionssprecher, der über eine fremde Regierung spricht!)


Wenn Sie in Frage 53 Ihrer Großen Anfrage unterstel-
len, dass der Emissionshandel nicht funktioniert, wenn
Sie schreiben, wir bräuchten einen Preis von mehr als
25 Euro je CO2-Tonne, dann entgegne ich Ihnen: Man
kann die Spielregeln des Marktes nicht außer Kraft set-
zen, auch wenn man sich dies wünscht. Wir setzen auf
den Markt und treiben damit die Energiewende und die
CO2-Reduktion voran.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist schon der Oppositionsmodus! Diese Rede können Sie nächstes Jahr halten! Dann sind wir dran!)


Kein Land hat ein so hohes CO2-Reduktionsziel wie
wir. Ich glaube, auch das muss man heute wieder einmal
sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Alles ist falsch! Dass Herr Schweickert klatscht, zeigt, dass der Redner schwach ist! Er klatscht, um ihn zu unterstützen!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
aber auch gerne auf andere Fragen eingehen. Beispiels-
weise behandeln Sie in Ihrer Frage 4 die EEG-Umlage.
Da schreiben Sie:

Welche Maßnahmen hat sie

– die Bundesregierung –

zur Begrenzung der Umlagenhöhe ergriffen, und
welche Effekte ergeben sich aus diesen Maßnah-
men für den Aufwuchs der erneuerbaren Energien?

Die bessere Frage wäre vielleicht gewesen, warum
Sie uns daran gehindert haben und warum Sie versucht
haben, das entsprechend zu unterbinden. Wir haben mit
dem Abbau der rot-grünen Überforderung nämlich Ernst
gemacht. Den Förderbauch der Solarbranche beispiels-
weise, der aus Ihrer Zeit kommt, müssen wir jetzt vor
uns herschieben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hallo?)


Diesen Bauch, der von Herrn Kelber und Herrn Gabriel
kommt, schieben wir, wie gesagt, vor uns her, und er be-
lastet die Verbraucher in besonderer Weise.

Sie behaupten heute noch, die Sonne schicke uns
keine Rechnung. Aber das Gegenteil ist der Fall.


(Ulrich Kelber [SPD]: Der Anstieg hat doch mit der Entscheidung aus dem Jahre 2005 gar nichts zu tun!)


Auch hier müssen wir uns die Zahlen genau anschauen.
Der Verbraucher zahlt im kommenden Jahr 5,2 Cent je
Kilowattstunde Umlage.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht an die Sonne, Herr Bareiß!)


– Herr Fell, hören Sie ruhig zu. – Davon kommen
2,2 Cent je Kilowattstunde aus der Photovoltaik, also
aus der Solarbranche.


(Ulrich Kelber [SPD]: Und in welchen Jahren ist das entstanden?)


Dabei bekommen wir gerade einmal 3 Prozent unseres
Stroms aus der Solarbranche. Das zeigt, dass hier eine
unglaubliche Fehlsteuerung vorhanden ist, die wir in den
letzten Monaten Stück für Stück gegen Ihren Widerstand
abgebaut haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Der 1,8-Prozent-Lindner ist auch da!)


Wir haben den sogenannten atmenden Deckel einge-
führt,


(Ulrich Kelber [SPD]: Habt ihr nicht!)


haben versucht, einen Korridor für die nächsten Jahre zu
definieren.


(Zuruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Jetzt hören Sie einmal zu, Herr Fell. Sie können noch
etwas lernen. – Wir haben die Vergütung der Solarbran-
che bis zum Jahr 2012 erheblich heruntergefahren. Sie
betrug im Jahr 2000, also in Ihrer Zeit, noch 50 Cent je
Kilowattstunde und im Jahr 2009 noch 43 Cent je Kilo-
wattstunde. Sie haben also in neun Jahren gerade einmal
eine Reduktion um 7 Cent je Kilowattstunde geschafft,
während wir in nur drei Jahren eine Reduktion auf
19,5 Cent je Kilowattstunde erreicht haben. Das zeigt,
dass wir Schritt für Schritt vorangehen und die Solar-
branche auch wirklich marktfähig machen. Damit entlas-
ten wir den Verbraucher massiv. Bei der Freifläche ge-
hen wir sogar herunter auf 13,5 Cent je Kilowattstunde,
und zwar immer gegen Ihren entschiedenen Widerstand.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Branche hat die Kostensenkungen über Innovationen geschafft! Das war doch nicht Schwarz-Gelb!)


Wir haben dank Peter Altmaier einen Fördervolumen-
deckel eingeführt und haben gesagt: Ab 52 Gigawatt
werden wir keine weiteren Subventionen mehr gewäh-
ren. Dann ist die Solarbranche marktfähig und kann sich
dem Wettbewerb stellen. Auch das geht in die richtige
Richtung. Im Rahmen des Marktintegrationsmodells be-
ginnen wir ebenfalls damit, die erneuerbaren Energien
Stück für Stück in den Markt zu bringen. Das ist der
richtige Weg, den wir konsequent beschreiten werden.

All diese Maßnahmen – ich habe es schon gesagt –
wurden von der Opposition massiv bekämpft. Das hat
dazu geführt, dass der Zubau der Solarpellets sich ganz
vernünftig entwickelt. Im letzten Jahr hatten wir noch
1 800 Megawatt Zubau monatlich; jetzt sind wir bei





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)


540 Megawatt. Das ist ein Maß, das verkraftbar ist und
in die richtige Richtung weist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
noch einige Sätze zum Thema EEG-Ausnahmen sagen
– damit haben Sie ja ein großes Problem; wir haben in
dieser Woche schon viel darüber gesprochen –: Mit der
Neuregelung des EEG sorgen wir dafür, dass nur für Un-
ternehmen des produzierenden Gewerbes Ausnahme-
regelungen vorgesehen werden.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie diskreditieren die notwendigen Ausnahmen!)


All die Ausnahmeregelungen, die es noch während Ihrer
Regierungszeit gab – Sie haben sie genannt; es gab unter
anderem Ausnahmen für Imbissbuden und Golfplätze –,
haben wir gestrichen. In Zukunft ist die Befreiung von
der EEG-Umlage nur noch für Unternehmen des produ-
zierenden Gewerbes möglich. Auch diese Maßnahme
zielt in die richtige Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das EEG mutwillig zerstört!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt viele
weitere Fragen, die ich jetzt beantworten könnte. Ein
wichtiger Aspekt sind die Ausnahmen für die energie-
intensive Industrie. Sie behaupten, dass die großen Un-
ternehmen von der EEG-Umlage komplett befreit wer-
den. Ich sage Ihnen: ThyssenKrupp zahlt in diesem Jahr
rund 4 500 Euro EEG-Umlage pro Arbeitsplatz, lieber
Herr Fell.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niemand verlangt das!)


4 500 Euro pro Arbeitsplatz! Wenn ThyssenKrupp die
volle EEG-Umlage zahlen müsste, wären es 20 000 Euro
je Arbeitsplatz.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niemand hat das verlangt!)


Das würde den Industriestandort Deutschland gefährden.
Ich kämpfe gerne für die 5,7 Millionen Menschen, die in
der Industrie beschäftigt sind. Die Industrie wird näm-
lich auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Wettbe-
werbsfähigkeit Deutschlands leisten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben von Industriepolitik doch keine Ahnung!)


Deshalb ist die Befreiung von der EEG-Umlage für die
Industrie enorm wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: ThyssenKrupp ist der Solarlobby doch völlig egal!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre ei-
gentlich noch viel zu sagen, zum Beispiel zu den The-
men Energieeffizienz und Kraft-Wärme-Kopplung.

Wir haben ein in sich schlüssiges Energiekonzept. Ich
fordere Sie noch einmal auf: Lesen Sie unser Energie-
konzept! Dann könnten wir uns die eine oder andere De-
batte im Deutschen Bundestag ersparen. Wir sollten die-

ses große Projekt, bei dem es um ein Mehr an Wohlstand
und Wachstum geht, gemeinsam und konstruktiv ange-
hen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Erst alle beschimpfen und dann Gemeinsamkeiten einfordern! Das ist eine interessante Vorgehensweise!)


Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Akzeptanz der
Menschen für dieses Projekt nicht verlieren. Ich finde,
dass Sie an diesem Projekt engagiert mitwirken sollten.
Ich fordere Sie noch einmal auf – wie immer –: Machen
Sie mit!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719904400

Jetzt erteile ich Hubertus Heil das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1719904500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Sehr geehrter Herr Bareiß, Sie sind ja schon
richtig im Oppositionsmodus. Sie beklagen eine Situa-
tion, obwohl Sie noch an der Regierung sind. In gewisser
Weise kann ich das verstehen. Angesichts des Zickzack-
kurses Ihrer Bundeskanzlerin in der Energiepolitik der
letzten vier Jahre ist es selbst für ausgewiesene Energie-
politiker ganz schön schwer, dem zu folgen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Drei Jahre!)


Wir erinnern uns: Wir haben in den letzten vier Jahren
in der Energiepolitik drei Bundeskanzlerinnen Merkel
erlebt.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die Geschichte kennen wir schon, Herr Heil! Sie brauchen sie nicht in jeder Rede zu erzählen!)


Zunächst war da die Klimakanzlerin, die von Gipfel zu
Gipfel geeilt ist und ehrgeizige Klimaschutzziele ver-
kündet hat. Das haben wir gut gefunden; wir waren ja
damals in der Großen Koalition. Nach der Finanzkrise
und nach dem Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb war
Frau Merkel die Laufzeitenverlängerungskanzlerin. Ein
halbes Jahr später, nach Fukushima, war sie dann die
Ausstiegskanzlerin.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist langsam echt langweilig! Denken Sie sich doch mal etwas Neues aus!)


Meine Damen und Herren, die Pirouetten, die Sie in
den letzten vier Jahren gedreht haben,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Es waren nur drei Jahre, keine vier!)


haben in der Energiewirtschaft dafür gesorgt, dass es
keine Planungs- und Investitionssicherheit mehr gibt.
Nicht die Energiewende ist das Problem. Vielmehr treibt
das grottenschlechte Management der Energiewende





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


durch diese Bundesregierung die Preise von Strom und
Energie nach oben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Drei Jahre, Herr Heil! Nicht vier!)


Ich will Ihnen eines sagen, Herr Bareiß – das kommt
in Ihren Reden nämlich gar nicht mehr vor –: Als je-
mand, der sich als Industriepolitiker versteht, bin ich
nach wie vor der festen Überzeugung, dass die Energie-
wende eine Riesenchance für die Industrienation Bun-
desrepublik Deutschland ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Exakt!)


In einer Welt mit Energiehunger, aufstrebenden Ländern
und Bevölkerungswachstum haben Deutschland und
Europa die Chance, Ausrüster der Welt zu sein, wenn es
um moderne erneuerbare Energien und Energieeffizienz-
technik geht. Wenn wir es gut machen, gilt das übrigens
auch hinsichtlich der Frage, wie man eine Energiewende
intelligent managt.

Nur, meine Damen und Herren, genau das ist das Pro-
blem. Sie haben gerade gesagt, wir sollten Ihr Energie-
konzept lesen. Ich frage Sie: Welches Energiekonzept?
Meinen Sie das Energiekonzept, von dem Herr Altmaier
gestern in einer Talkshow behauptet hat, es gebe es gar
nicht?


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Altmaier hat gestern bei Herrn Beckmann beklagt,
dass es, als er ins Amt kam, keine entsprechenden Pläne
gegeben habe. Das war ja wohl eine Kritik an Herrn
Röttgen, wenn ich das richtig verstanden habe. Wenn ich
mir vor Augen führe, wie widersprüchlich die Aussagen
von Herrn Rösler und Herrn Altmaier sind, schwant mir
Schlimmes. Das ist leider nicht besser, als es bei Röttgen
und Rösler war.

Diese Koalition hat nicht die Kraft, die Energiewende
umzusetzen. Die Koalitionäre blockieren sich gegensei-
tig. Das treibt die Preise für Verbraucher und Wirtschaft
in diesem Land nach oben. Sie haben auf die wesentli-
chen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Ener-
giewende stellen, keine schlüssigen Konzepte und Ant-
worten. Ihnen geht es nur noch darum, den Schwarzen
Peter für Ihr Versagen anderen in die Schuhe zu schie-
ben.

Jetzt sage ich Ihnen einmal, worum es im Einzelnen
geht. Wir haben eine extremistische Diskussion über das
EEG auf der einen Seite und über Ausnahmen für ener-
gieintensive Betriebe auf der anderen Seite. Wir haben
auf der einen Seite einen Bundeswirtschaftsminister, der
so tut, als sei das EEG der Untergang des Abendlandes,
und wir haben auf der anderen Seite politische Kräfte in
diesem Land, die sagen: Alle Ausnahmen für die ener-
gieintensiven Betriebe müssen weg. Das ist nicht unsere
Position.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen natürlich, dass Vorstellungen von einem
zukünftigen Strommarktdesign, die Sie nicht haben, um-
gesetzt werden. Wir wollen, dass der Ausbau der erneu-
erbaren Energien nicht gebremst, sondern vorangetrie-
ben wird und dass er mit dem Netzausbau in diesem
Land stärker synchronisiert wird.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Und wer bezahlt das?)


Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Es geht schon darum,
eine Vorstellung vom Strommarktdesign der Zukunft,
die Sie nicht haben, zu entwickeln. Das schaffen Peter
Altmaier und Philipp Rösler aber offensichtlich nicht.

Herr Bareiß, Sie haben damals mit Herrn zu
Guttenberg und Herrn Glos in der Großen Koalition
beim Unbundling verhindert, dass es eine Deutsche
Netz AG geben kann. Das rächt sich jetzt beim Ausbau
der Leitungen bitterlich, weil die notwendige Investi-
tionskraft nicht da ist. Sie müssen sich schon zuschrei-
ben lassen, dass Sie keine Ideen dafür haben, wie man
Energieeffizienz in diesem Land wirklich voranbringen
kann. Sie haben keine Vorstellung davon, wie wir Ver-
sorgungssicherheit außerhalb der planwirtschaftlichen
Notinstrumente, die Sie diesen Winter einführen müs-
sen, langfristig sichern können.

Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Wir wollen das
Erneuerbare-Energien-Gesetz vernünftig weiterentwi-
ckeln und Stück für Stück dafür sorgen, dass die Erneu-
erbaren als stabiler Teil der Energieversorgung auch
marktfähiger werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz
ist kein Fehler gewesen, sondern es hat dafür gesorgt,
dass wir mittlerweile bei einem Anteil der erneuerbaren
Energien von 25 Prozent angelangt sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt politische Kräfte, die alle Ausnahmen für die
energieintensiven Betriebe „weghauen“ wollen. Ich sage
Ihnen: Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die not-
wendigen Ausnahmen für energieintensive Betriebe in
diesem Land so diskreditiert wurden, weil Sie diese Aus-
nahmen ohne Sinn und Verstand ausgeweitet haben. Das
ist die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es war die rot-grüne Regierung, die zu Recht dafür
gesorgt hat, dass Unternehmen, die im internationalen
Wettbewerb stehen, an dieser Stelle nicht über Gebühr
belastet werden. Es ist nämlich ganz klar, dass wir eine
Industrienation sind und bleiben wollen. Aber Sie haben
ausgeweitet.


(Dr. Matthias Miersch [SPD]: So ist es! – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Für den industriellen Mittelstand haben wir ausgeweitet! Das gehört auch dazu! Das sind auch Arbeitsplätze! Es gibt nicht nur die Industrie, sondern auch den Mittelstand!)






Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


Herr Altmaier sagt jetzt, er sei gerne bereit, über diese
Ausnahmen noch einmal zu reden. Selbst Philipp Rösler
und Herr Bareiß stellen sich hin und sagen: Alles in Ord-
nung. Das passt bei Ihnen vorne und hinten nicht.


(Beifall bei der SPD)


Ich sage an dieser Stelle: Wir wollen eine saubere,
eine sichere und eine bezahlbare Energieversorgung für
die Wirtschaft und die Verbraucher in diesem Land. Es
macht uns keiner etwas vor. Natürlich ist die Energie-
wende eine Riesenherausforderung. Aber die Tatsache,
dass Sie keinen Masterplan haben,


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Haben wir doch! – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil!)


führt dazu, dass 16 Bundesländer eigene Energiekon-
zepte haben, die an dieser Stelle zum Teil nicht zusam-
menpassen; es fehlt nämlich eine politische Führung.
Die Tatsache, dass sich das Wirtschafts- und das Um-
weltministerium gegenseitig blockieren und das Bundes-
kanzleramt tatenlos zuguckt, ist das eigentliche Problem
für die Umsetzung der Energiewende.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719904600

Herr Kollege Heil, Herr Lindner würde Ihnen gerne

eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das zulassen?


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1719904700

Ach, der Herr Lindner. Gerne! Bitte schön. – Ich ver-

misse übrigens den anderen Lindner, wenn ich Sie sehe.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist besser als er!)



Dr. Martin Lindner (FDP):
Rede ID: ID1719904800

Sie bekommen noch mehr Lindner, als Ihnen in der

SPD guttun wird; das kann ich Ihnen sagen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Lieber Herr Heil, ich möchte Ihnen durch eine leichte
Verlängerung Ihrer Redezeit einfach die Gelegenheit ge-
ben, nun einmal selber eine Antwort zu geben.

Sie behaupten, auch ökonomisch „unterwegs“ zu
sein. Wir wissen, dass es eigentlich immer nur zwei
Möglichkeiten gibt, nämlich entweder die Ausgaben zu
kürzen oder die Einnahmen zu erhöhen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Sie brauchen unser Konzept!)


Sie sagen jetzt hier, dass Sie auf der einen Seite den Zu-
bau erneuerbarer Energien sogar noch verstärken möch-
ten. Auf der anderen Seite beklagen Sie, dass wir gerade
für mittelständische Unternehmen Ausnahmen haben,
damit sie ihren Industriestandort hier erhalten können.

Sagen Sie mir einmal, wer die Rechnung für den wei-
teren Ausbau regenerativer Energien bezahlen soll. Auf
der einen Seite beklagen Sie hier die Ausnahmen für die
Industrie, und auf der anderen Seite wollen Sie weiter
ausbauen. Was gilt denn nun eigentlich, Herr Heil? Wer
soll die Rechnung bezahlen?


(Rolf Hempelmann [SPD]: Lasst uns doch einmal die Kostensenkungsrechnung bei den Erneuerbaren anschauen!)


Setzen Sie sich doch einmal mit der IG Metall aus-
einander, die uns schreibt.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1719904900

Ja, sicher.


Dr. Martin Lindner (FDP):
Rede ID: ID1719905000

Nein, das tun Sie nicht. – Sie hat natürlich Sorge um

die Arbeitsplätze der Menschen, die in diesen Betrieben
arbeiten. Erklären Sie uns doch einmal, wer diese Rech-
nung aus Ihrer Sicht bezahlen soll.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Erneuerbaren senken die Stromkosten!)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1719905100

Gerne, Herr Lindner. – Bleiben Sie bitte stehen, damit

ich Ihnen antworten kann. – Ich danke Ihnen für diese
Gelegenheit.

Ich habe eben davon gesprochen, dass mir zwei extre-
mistische Debatten wirklich gegen den Strich gehen,
weil sie mit der Sache nicht viel zu tun haben. Sie kön-
nen mir glauben: Ich habe einen Wahlkreis mit ener-
gieintensiven Unternehmen. In meiner Heimatstadt
Peine gibt es ein Elektrostahlwerk, das im internationa-
len Wettbewerb steht. Für solche Unternehmen sind
diese Ausnahmen zu Recht gedacht. Aber es ist nicht in
Ordnung, dass Sie ohne Sinn und Verstand die Zahl der
Ausnahmen auf Unternehmen ausgeweitet haben, die
nicht im internationalen Wettbewerb stehen,


(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Industrieller Mittelstand!)


und dem Rest der Verbraucher dann die steigenden EEG-
Umlagekosten aufgebürdet haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Ich bin für Ausnahmen für energie-
intensive Unternehmen, weil wir deren Arbeitsplätze
wirklich brauchen. Wir brauchen die ganze Wertschöp-
fungskette, angefangen bei der Grundstoffindustrie über
die kleinen und mittleren Unternehmen bis zu den High-
techschmieden. Aber die Ausweitung der Ausnahmen
führt dazu, dass andere die Lasten schultern müssen.

Ein anderer Punkt. Wir haben uns doch auf den
Atomausstieg verständigt. Zumindest hoffe ich, dass
diese Einigung noch steht. Bei Ihnen weiß ich das nicht
so genau. Sie trauern der Atomkraft manchmal vielleicht
noch hinterher.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja!)






Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


– Gut, dass Sie das an dieser Stelle einmal zugeben.
Aber Sie haben mit zugestimmt, dass wir in einem rela-
tiv knappen Zeitraum aus der Atomkraft aussteigen.
Vielleicht stellen Sie es auch wieder infrage. Das kann ja
sein. Ich weiß es nicht, Herr Lindner.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein!)


Gleichzeitig haben Sie sich auf sehr ehrgeizige Klima-
schutzziele verständigt. Das ist eine doppelte Energie-
wende, die Sie im Hinblick auf die Ziele mit unterschrie-
ben haben.

Es behauptet niemand, dass diese Herausforderung
einfach zu bewältigen ist. Aber wir haben 2000 damit
begonnen, den Umbau in der Energieversorgung zu voll-
ziehen. Sie haben an diesem Punkt erst eine Rolle rück-
wärts gemacht.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Geben Sie mal eine Antwort!)


Jetzt wird es mit der Umsetzung zeitlich knapp. Wenn
man soziale und ökonomische Belange im Kopf hat,
dann muss man sich nicht darum kümmern, die Energie-
wende schlechtzureden, sondern man muss sich darum
kümmern, sie besser zu machen, als Sie es vorhaben,
und die Lasten gerecht zu verteilen.

Frau Merkel hat an einem Punkt vollkommen recht
– Zitat –: Die Energiewende gibt es nicht zum Nulltarif. –
Das werden auch Sie nicht bestreiten. Machen Sie sich
Gedanken darüber, dass die Energiewende gut und effi-
zient umgesetzt wird und die Lasten gerecht verteilt wer-
den.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ich habe Sie etwas gefragt!)


Das ist die Aufgabe, vor der Sie stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Keine Antwort!)


Was Sie machen, ist doch ein Schwarzer-Peter-Spiel. Sie
sind noch an der Regierung; das wird nächstes Jahr Gott
sei Dank vorbei sein. Setzen Sie sich einmal durch und
machen Sie eine vernünftige Energiepolitik.

Sie und die CDU/CSU beschimpfen sich gegenseitig:
Herr Altmaier gegen Herrn Rösler. Herr Altmaier macht ei-
nen Vorschlag, angeblich einen Verfahrensvorschlag – das
ist nicht einmal ein Konzept, etwas, was in Ihren Reihen
nicht einmal mehrheitsfähig ist –, und Herr Rösler wi-
derspricht. Dabei geht es auch um Profilbildung einer
schwächelnden FDP vor den Landtagswahlen in Nieder-
sachsen und der Bundestagswahl. Ihnen geht es um die
FDP und nicht um eine vernünftige Energiepolitik, Herr
Lindner. Genau das scheint das Problem zu sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wieder keine Antwort der SPD!)


Herr Lindner, das ist eine große Herausforderung.
Das ist eine ganz anstrengende Aufgabe. Auch in unse-
rer Regierungszeit – das sage ich deutlich – gab es unter-
schiedliche Auffassungen zwischen Wirtschafts- und

Umweltministerium. Es ist ganz legitim, dass es ver-
schiedene Ressortinteressen und unterschiedliche Heran-
gehensweisen gibt. Der Unterschied ist nur: Es gab da-
mals zwischen Werner Müller und Jürgen Trittin zwar
nicht jeden Tag eitel Sonnenschein, aber am Ende des
Tages sind sie zu gemeinsamen Lösungen gekommen,
weil beispielsweise Frank-Walter Steinmeier im Bundes-
kanzleramt dafür gesorgt hat. Wo sind eigentlich Herr
Pofalla und Frau Merkel in dieser Debatte? Sie schauen
tatenlos zu, wie diese Jungs die Energiewende vergei-
gen. Das treibt die Kosten in die Höhe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen einen Masterplan für die Energiewende in
diesem Land. Wir wollen dafür sorgen, dass Bund, Län-
der und Kommunen an einem Strang ziehen und nicht
auseinanderdriften. Auch zwischen den Bundesländern
gibt es sehr unterschiedliche Interessen.


(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Allerdings! 16 verschiedene Konzepte!)


Das ist legitim. Aber für eine Energiepolitik aus einem
Guss, für eine gelungene Energiewende brauchen wir ei-
nen nationalen Masterplan.

Sie reden so, als seien Sie gar nicht in der Regierung.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist alles Geschwätz!)


Ich sage Ihnen: Das wird nächstes Jahr der Fall sein.
Energiewendeversager wie Röttgen, Rösler, Altmaier
und Merkel


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Und Trittin!)


kann das Industrieland Bundesrepublik Deutschland und
können auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in
diesem Land nicht weiter gebrauchen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Auf eine konkrete Frage keine Antwort!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719905200

Das Wort hat der Kollege Klaus Breil für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1719905300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Herr Kollege Heil, bitte beachten Sie bei Ihren
Schimpfkanonaden einfach einmal, dass wir erst die
überbordenden Kosten für die Förderung der Erneuerba-
ren auffangen und in den Griff bekommen mussten, Kos-
ten, für die Rot-Grün die Grundsteine gelegt hat.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich war im Vermittlungsausschuss!)






Klaus Breil


(A) (C)



(D)(B)


Verwechseln Sie als Wirtschaftsexperte – ich nehme an,
dass Sie diesen Anspruch erheben –


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Absurderweise!)


nicht Anträge und ergangene Bescheide.

Anfang 2010, in einer meiner ersten Reden zum
Thema Energie vor diesem Hohen Haus, war es mein
zentrales Anliegen, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
über die mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz verbun-
denen Kosten aufzuklären. Damals ging es um 8,2 Mil-
liarden Euro. Ich warnte vor einem Anstieg auf 10 Mil-
liarden Euro für das darauffolgende Jahr 2011. Heute, im
Jahr 2012, sprechen wir über eine andere Zahl. Wir spre-
chen davon, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher
im kommenden Jahr für die Förderung erneuerbarer
Energien fast das Doppelte, nämlich rund 20 Milliarden
Euro, zahlen müssen. Damit ist die Schmerzgrenze deut-
lich überschritten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Daher muss es in den kommenden Wochen darum ge-
hen, durch entschiedenes Handeln weitere Belastungen
erstens für die Verbraucher und zweitens für die Indus-
trie bzw. die Wirtschaft in Deutschland zu verhindern.

Meine Damen und Herren, bloße Verfahrensschritte
bringen uns an dieser Stelle nicht weiter. Wenn wir bis
Mai nächsten Jahres nur diskutieren, schaffen wir in die-
ser Legislaturperiode keine Gesetzesänderung mehr. Wir
Liberalen haben daher als kurzfristige und konkrete
Maßnahme vorgeschlagen, die Stromsteuer so schnell
wie möglich anzupassen, und zwar mindestens um die
Höhe der Mehrwertsteuer, die auf den Betrag der Erhö-
hung der Umlage gezahlt werden muss. Noch besser
wäre es natürlich, die Stromsteuer um die gesamte
Mehrwertsteuer zu ermäßigen. Der Staat darf sich nicht
auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher an der
Umlagenerhöhung bereichern. In der Wirtschaft nennt
man so etwas Windfall Profits.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Aber die Unternehmen dürfen es!)


Für wen dieser Betrag pro Haushalt und Monat nur
ein kleiner Fisch ist und wer diese Entlastung um im-
merhin rund 500 Millionen Euro mit dem Argument ab-
tut, es sei nicht gerecht, der nimmt die Sache nicht ernst.
Wer uns an dieser Stelle die Zustimmung verweigert,
soll den Verbraucherinnen und Verbrauchern ins Gesicht
sagen: Stellt euch 2013 und 2014 weiter auf steigende
Stromkosten ein. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Wenn
wir nicht bald handeln, erreichen wir eine wirksame Ge-
setzesänderung erst Mitte 2014. Das ist schlichtweg zu
spät.

Lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt anspre-
chen, der schon in der Aktuellen Stunde am Mittwoch
diskutiert wurde: Das sind die Ausnahmen für unsere im
internationalen Wettbewerb stehende Industrie. In ihrem
Antrag sprechen die Grünen von den gesamten Entlas-
tungen für die Industrie und nicht von jenen im Rahmen
des EEG. Im Rahmen des EEG nämlich machen die Ent-
lastungen der besonderen Ausgleichsregelung rund ein

Fünftel der Umlage bzw. rund 1 Euro-Cent aus; das ent-
spricht 2,5 Milliarden Euro. Diese Summe ist nur die
Hälfte dessen, was die Bundesnetzagentur schon heute
für 2012 als Zulagen allein für die hinzugekommenen
neuen Anlagen der Photovoltaik errechnet hat, nämlich
5 Milliarden Euro.

Dabei sichern die energieintensiven Industrien, deren
Entlastung 2,5 Milliarden Euro kosten wird, über
850 000 Arbeitsplätze am Industriestandort. Mit Multi-
plikatorwirkung bedeutet es – das ist für Sie vielleicht
neu – sicherlich weit über 2 Millionen Arbeitsplätze.
2,5 Milliarden Euro für 850 000 Arbeitsplätze. 7 Milliar-
den Euro plus wahrscheinlich 5 Milliarden Euro für we-
niger als 100 000 Arbeitsplätze aktuell. Meine Damen
und Herren der Opposition – insbesondere möchte ich
Herrn Heil als gerade selbsternannten Industriepolitiker
ansprechen; hören Sie gut zu –, bitte, nehmen Sie sich
am Wochenende ein paar Minuten Zeit und lassen Sie
dieses Verhältnis auf sich einwirken.

Danke.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719905400

Hans-Josef Fell hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die

Grünen.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Jetzt kommt Solarlobby, die Erste! – Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Also, Lindner, mach mal Transparenz auf deiner Website, anstatt das Maul aufzureißen! Ich sage nur Stufe 3!)



Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719905500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Energiepreise steigen wegen der erneuerba-
ren Energien. – So lauteten die Schlagzeilen vieler Me-
dien in den letzten Tagen und Wochen. Schuld sei die
EEG-Umlage. Besonnene Kommentare und differen-
zierte Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung, der
Zeit oder in der Financial Times Deutschland gehen un-
ter in der von der Initiative Neue Soziale Marktwirt-
schaft organisierten Hetzkampagne gegen die erneuerba-
ren Energien, die Sie von Schwarz-Gelb auch noch
unterstützen. Doch damit werden Sie nicht durchkom-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns die Energiewelt doch ein bisschen
genauer an, meine Damen und Herren von Union und
FDP. Trotz aller Erfolge des Ausbaus der erneuerbaren
Energien wird die Energie immer noch von den klima-
schädlichen fossilen Rohstoffen Erdöl, Erdgas und
Kohle plus ein wenig Atomkraft dominiert. Sie behaup-
ten vielfach, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien
teuer sei, was im Umkehrschluss bedeuten müsste, dass
die Beibehaltung der konventionellen Energien weniger
teuer sei. Genau das aber ist Ihr Trugschluss.

Betrachten wir die makroökonomische Ebene, so
wird exakt das Gegenteil klar. Die fossilen Energien sind





Hans-Josef Fell


(A) (C)



(D)(B)


heute schon viel zu teuer, sie destabilisieren unsere Wirt-
schaft und gefährden unseren Wohlstand. Die Europäi-
sche Union ist in besonderem Maße abhängig vom Im-
port fossiler Rohstoffe. So betrug im letzten Jahr die
europäische Importrechnung für Erdöl, Erdgas und
Kohle über 400 Milliarden Euro. Wenn man nun weiß,
dass die EU der 27 ein Außenhandelsdefizit von
120 Milliarden Euro hat, so wird klar, dass die europäi-
sche Wirtschafts- und die Euro-Krise auch mit den im-
mer teureren Energieimporten zusammenhängen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das treibt die Staatsverschuldung und die Wirtschafts-
krise voran, das steckt hinter der Massenarbeitslosigkeit
in vielen europäischen Ländern, und das ist auch die
Hauptursache für Armut vieler Menschen, die sich schon
heute nicht mehr die Güter für den täglichen Bedarf so-
wie Energie in ausreichendem Maße leisten können.

Schon jetzt rächt sich, dass Europa in der Vergangen-
heit nicht auf erneuerbare Energien umgestiegen ist und
das Thema Energieeinsparung sträflich vernachlässigt
hat. Denn genau das sind die Strategien, um unsere
Volkswirtschaften vor der Bedrohung durch die inzwi-
schen kaum mehr bezahlbaren Energieimporte zu erlö-
sen. In der vor gut zwei Jahren aufgelegten Sicherheits-
analyse der Bundeswehr zu Peak Oil hätten Sie das
längst nachlesen können; doch Sie ignorieren konse-
quent die Zusammenhänge. In Ihren Energiedebatten
kommt dieser Zusammenhang nie vor. Sie versäumen es
damit vollständig, diesen großen Zusammenhang in den
Mittelpunkt zu stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dabei würde der konsequente Umstieg auf erneuerbare
Energien im Zuge der Energiewende Deutschland bis
2050 um etwa 570 Milliarden Euro entlasten.


(Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Woher haben Sie denn die Zahl?)


– Die können Sie nachlesen in


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Dem Blättchen für Solarwirtschaft!)


der Leitstudie des BMU. Sie können das dort in den Stu-
dien nachlesen.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Bei Herrn Kelber! Bei EUROSOLAR!)


Aber das Schlimmste ist, dass ausgerechnet Sie die
erneuerbaren Energien immer noch kampagnenartig als
Energiepreistreiber diffamieren


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ist doch so!)


und so eine Lösung verhindern. Sie versuchen perma-
nent, der Bevölkerung einzureden, dass die erneuerbaren
Energien zu teuer seien.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ist doch so!)


Schauen wir uns doch einmal die Energiepreise, die
die Privathaushalte zahlen müssen, etwas differenzierter
an. Gemäß einer kürzlich im Landeskabinett Schleswig-

Holstein vorgestellten Analyse stiegen die Heizölpreise
von 1998 bis 2012 um fast 300 Prozent, die Erdgaspreise
um über 100 Prozent, die Strompreise dagegen nur um
50 Prozent. Selbst die Spritpreise sind wesentlich stärker
gestiegen als die Strompreise. Sie aber reiten nur auf der
Höhe der Strompreise herum und übersehen dabei völlig
den sozialen Sprengstoff, der sich aus den übrigen, we-
sentlich höheren Energiepreisen ergibt. Das belastet un-
sere Haushalte schon heute massiv.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Strompreis steigt weniger wegen des Ausbaus der
erneuerbaren Energien, sondern vielmehr wegen des An-
stiegs der Preise für fossile Rohstoffe, wegen der hohen
Gewinne der Konzerne und vor allem wegen Ihrer im-
mensen Fehler, die Sie von Schwarz-Gelb in jede EEG-
Novelle eingebaut haben. Das haben wir gestern aus-
führlich diskutiert. Sie konnten nichts dagegensetzen.

Wenn wir gerade einkommensschwache Haushalte
vor steigenden Energiepreisen schützen wollen, müssen
wir alles tun, um sie sehr schnell durch Energiesparmaß-
nahmen zu unterstützen. Damit beschleunigen wir auch
den Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie von
Schwarz-Gelb tun gerade das völlige Gegenteil, indem
sie die Begrenzung des Ausbaus erneuerbarer Energien
durchsetzen wollen. Sie schalten Windkraftanlagen ab,
wenn zu viel Windstrom im Netz ist, und wollen sogar
den weiteren Ausbau der Windkraft begrenzen. Machen
wir es doch lieber wie die Dänen, die bei fast kostenlo-
sem überschüssigem Windstrom Windkraftanlagen nicht
abschalten, sondern diesen Strom in Nah- und Fernwär-
menetze geben, damit teures Erdöl und Erdgas ersetzt
werden.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Da sind wir jetzt dabei!)


So können wir Einkommensschwachen helfen, Heizkos-
ten zu sparen, und gleichzeitig die erneuerbaren Ener-
gien ausbauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Durch die Umstellung auf erneuerbare Energien fal-
len natürlich Investitionskosten an, die aber sozial ge-
recht verteilt werden müssen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719905600

Herr Fell.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719905700

In unserem heute vorgelegten Antrag werden Sie vie-

les finden. Mein Kollege Markus Kurth wird dieses noch
verdeutlichen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719905800

Genau. – Herr Fell!


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719905900

Frau Präsidentin, zum Schluss fordere ich Union und

FDP auf, unserem Antrag zuzustimmen und endlich die





Hans-Josef Fell


(A) (C)



(D)(B)


Hetzkampagne gegen den Ausbau erneuerbarer Energien
zu beenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719906000

Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1719906100

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir

diskutieren dieses Thema – immer ein bisschen unter-
schiedlich akzentuiert – nun zum dritten Mal in dieser
Sitzungswoche.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie lernen nichts dazu!)


Wenn man etwas dreimal diskutiert, muss man sich na-
türlich schon fragen: Was bringt die Debatte?


(Zuruf von der FDP: Nichts!)


Meiner Meinung nach bringt sie Folgendes: Ich glaube,
man kann nicht mehr leugnen, dass diese Energiewende
richtig Geld kostet


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir haben das nie geleugnet!)


und dass die Union und die FDP recht hatten mit dem
Hinweis, dass das teuer wird.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wussten Sie das vor einem Jahr schon?)


Das muss man einmal in der Klarheit sagen. Das ist hier
nicht einmal von der Linken bestritten worden;


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Vor allem kosten die Konzerngewinne!)


denn man müsste keine Verteilungsdiskussionen führen,
wenn man nicht genau wüsste, dass diese ganze Ge-
schichte teuer wird.

Nun wäre es richtig und angemessen, man würde sich
an dieser Stelle darüber unterhalten, was man tun kann,
damit es nicht zu teuer wird, statt Verteilungskämpfe und
Schwarzer-Peter-Diskussionen – das Wort hat der Kol-
lege Heil vorhin gebraucht – zu führen und sich zu über-
legen, wer denn an der ganzen Misere schuld sein
könnte. Ich sage Ihnen ganz offen: Mich ärgert es, dass
man das nicht tut; denn ich glaube, es wäre schon not-
wendig, dass wir hier Lösungen präsentieren und nicht
ständig dieselbe problemorientierte Debatte führen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719906200

Herr Nüßlein, auch das ist wie gestern: Herr Lenkert

würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1719906300

Okay, wunderbar.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719906400

Bitte schön.


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719906500

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege

Nüßlein, Sie sind ja nun in einer Partei, die die Markt-
wirtschaft fordert und fördert.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie nicht!)


Nach dem, was ich gelernt habe – ich habe es in den letz-
ten 22 Jahren gelernt –, richtet sich der Preis nach Ange-
bot und Nachfrage. Da stelle ich jetzt die Frage: Wo ha-
ben wir in Deutschland viel Stromangebot, und wo
haben wir wenig Stromangebot? Ich stelle die zweite
Frage dazu: Wo ist der Preis des Stromes höher, und wo
ist er niedriger?

Ich gebe Ihnen schon einmal die Antworten vor: In
Norddeutschland und in Ostdeutschland haben wir sehr
viel Strom im Angebot, in Bayern und Baden-Württem-
berg sehr wenig. Trotzdem ist der Strompreis in Bayern
und in Baden-Württemberg deutlich niedriger als in
Norddeutschland und in Ostdeutschland. Es ist also erst
einmal nicht marktwirtschaftlich.

Jetzt möchte ich von Ihnen wissen: Was tun Sie, um
dieses Missverhältnis auszugleichen? Denn es verstärkt
sich ja noch dadurch, dass energieintensive Unterneh-
men oder Unternehmen, die einen relativ hohen Strom-
verbrauch haben, sich gezielt in Süddeutschland ansie-
deln, wo wir zwar wenig Strom haben, er aber weniger
kostet, und, wenn wir Pech haben, aus Norddeutschland
oder Ostdeutschland abwandern, weil es sich nicht rech-
net, weil der Strom so teuer ist. Was tun Sie gegen dieses
Missverhältnis? Möchten Sie da nicht unseren Vorschlä-
gen folgen, die besagen: „Wir brauchen bundeseinheitli-
che Netzentgelte“?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Brauchen Sie jetzt nicht den Telefonjoker, Herr Nüßlein? – Heiterkeit bei der SPD)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1719906600

Ich bin in der Tat ratlos und frage mich, wie man eine

solche Frage an der Stelle beantworten soll. Das Einzige,
was man dieser Frage zunächst einmal entnehmen kann,
ist die spannende Abgrenzung, dass wir für die Markt-
wirtschaft sind und Sie dagegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


– Das haben Sie selber so formuliert. Das muss man erst
einmal vorab festhalten, damit man den Unsinn, der da-
nach kommt, irgendwo einordnen kann; denn ich muss
Ihnen ganz offen sagen: Ich habe nicht verstanden, was
Sie mit dieser Frage letztendlich sagen wollen. Wollen
Sie sagen, dass sich Unternehmen sinnvollerweise im
Norden ansiedeln sollen? Die werden einen Grund ha-
ben, lieber Kollege Lenkert, warum sie das im Süden
tun. Vielleicht liegt es auch an der einen oder anderen
politischen Ausrichtung und daran, dass wir insbeson-
dere im Süden ordentliche Rahmenbedingungen haben,





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


nämlich in Bayern, wo die CSU regiert, und nicht da, wo
Sie umeinanderfuchteln. Das mag auch ein Grund dafür
sein, dass die Unternehmen sich so entscheiden. Ich
kann also nicht nachvollziehen, was diese Frage mit dem
Thema zu tun hat und was Sie mir damit gerade eben si-
gnalisieren wollten.

Wir sind auch nicht in der von Ihnen favorisierten
Planwirtschaft, in der man dem Unternehmen, das viel
Strom verbraucht, sagt: Du gehst bitte nicht in den Sü-
den, sondern in den Norden, weil dort überschüssiger
Strom vorhanden ist. – Das hat es vielleicht in der DDR
gegeben.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das sind ja olle Kamellen!)


Aber funktioniert hat es auch da nicht.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht das Thema! – Ulrich Kelber [SPD]: Warum müssen sich die Blockparteien eigentlich immer streiten?)


Wenn Sie das nach so vielen Jahren einmal verstehen
würden, in denen Sie es selbst miterlebt haben, dann
wäre das schon eine ganz gute Geschichte. Aber ich ent-
nehme dieser Frage auch, dass Sie mit solchen Haltet-
den-Dieb-Debatten nach dem Motto „Wer ist denn jetzt
an der ganzen Misere schuld?“ fröhlich weiter Schwar-
zer Peter spielen wollen. Sie zwingen einen mit dieser
Diskussion dazu, mitzumachen. Das finde ich bedauer-
lich, weil man in den zehn Minuten auch andere Dinge
darstellen könnte. Aber ich mache dann natürlich mit
und sage: Ja gut, dann müssen Sie sich an die eigene
Nase fassen.

Der Kollege Heil bemängelt fehlendes Management.
Sie nehmen für sich in Anspruch, diese Energiewende
angestoßen zu haben. Ich kann mich aber überhaupt
nicht daran erinnern, dass Sie irgendwo einen Schritt ge-
macht hätten, der von dem Aufbau erneuerbarer Kapazi-
täten in Richtung Aufbau der Versorgung geführt hätte.
Dazu gibt es nichts; es gibt keinen Ansatz bei dem, was
Sie damals gemacht haben. Also haben Sie entweder
nicht an den Erfolg des EEG geglaubt, oder Sie haben
gedacht: Die schwierigen Dinge sollen die machen, die
nach uns kommen. – Dass es bei einem volatilen Auf-
kommen schwierig ist, eine entsprechende Versorgung
aufzubauen, werden Sie uns doch zumindest zubilligen.

Wenn wir über die Frage diskutieren wollen, wo noch
Fehler gemacht worden sind, dann muss sich die grüne
Seite auch an die eigene Nase fassen und zugeben: Ja-
wohl, wir sind mit dem Thema PV zu früh und zu teuer
an den Markt gegangen.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Überhaupt nicht zu früh! Sonst wären wir doch heute gar nicht so weit!)


Alles, was danach gekommen ist, nämlich das mühselige
Bremsen in diesem Bereich, lag daran, dass Sie mit fast
50 Cent an das Thema herangegangen sind, was jenseits
von Gut und Böse war. Sie haben gesagt: Das ist ein For-
schungsthema, aber weil wir gerade einen Hebel in der

Hand haben, wollen wir jetzt diesem Forschungsthema
einen Markt zuweisen. – Das hat letztendlich nicht dazu
geführt, dass es vorangeht, sondern es hat dazu geführt,
dass wir einen riesigen Kostenberg vor uns herschieben,
der jetzt auch am Image des EEG kratzt. Sie wissen, dass
mir das auch persönlich wehtut.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719906700

Herr Kollege, möchten Sie auch die Frage von Herrn

Heil zulassen?


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1719906800

Ja.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719906900

Bitte schön.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1719907000

Herr Nüßlein, auf die Gefahr hin, dass Sie Zwischen-

fragen einfach nicht beantworten, die Ihnen gestellt wer-
den, versuche ich, Ihnen zwei Gedanken in Frageform
näherzubringen.

Erstens. Können Sie sich erinnern, dass der rot-grüne
Ausstiegsbeschluss – er war aus meiner Sicht übrigens
intelligenter als das, was Sie gemacht haben – mit dem
Konzept der Übertragung von Reststrommengen in der
damaligen Zeit – es geht übrigens um den Zeitraum 2000
bis 2025 – die Möglichkeit eröffnet hätte, anders mit
dem Thema Versorgungssicherheit und Planbarkeit um-
zugehen, als es mit Ihrem Ausstiegsbeschluss der Fall
ist?

Sie haben die Jahre definiert. Wir haben damals an
dieser Stelle bewusst gesagt: Wir brauchen für die Ver-
sorgungssicherheit den Ausgleich durch flexible Instru-
mente. Sei’s drum, es ist jetzt anders entschieden wor-
den. Aber ich will auf den Fakt hinweisen, dass wir uns
durchaus Gedanken gemacht haben, wie wir Versor-
gungssicherheit hinbekommen.

Zweitens. Wenn es Ihnen nicht nur darum geht, ande-
ren Schuld in die Schuhe zu schieben, interessiert mich
beim Thema Reservekapazitäten, die wir alle für not-
wendig halten – Stichwort Volatilität –, die Frage, wann
Sie mit einem Konzept für strategische Reserve, Kapazi-
tätsmärkte oder wie auch immer Sie es nennen wollen,
herauskommen. Denn Sie sind immer noch in einer Re-
gierungsfraktion, Herr Nüßlein. Das wird zwar nächstes
Jahr vorbei sein,


(Lachen bei der FDP – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Träum weiter!)


aber Sie können doch nicht immer nur auf andere zeigen,
sondern müssen auch sagen, wie Sie das Problem lösen
wollen. Das ist der Punkt. Wann kommt das Konzept zu
Kapazitätsmärkten und Reservestrategien, und wie sieht
es nach Ihrer Vorstellung aus, Herr Nüßlein?


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1719907100

Ich finde den ersten Teil Ihrer Einlassung hochspan-

nend. Darüber sollten Sie sich auch einmal mit Ihrem





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


früheren Koalitionspartner auseinandersetzen. Denn da-
mit sprechen Sie implizit zwei Punkte an, nämlich ers-
tens: Wir haben fest damit gerechnet, dass die Kernener-
gie über das Jahr 2022 hinaus nach unserem Konzept
läuft. – Das ist die Quintessenz dessen, was Sie gerade
formuliert haben. Sonst wäre der Hinweis auf diese Fle-
xibilität Makulatur. Das ist doch klar.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben ihn nicht verstanden! – Gegenruf der Abg. Gabriele Groneberg [SPD]: Er will dich nicht verstehen!)


– Genau das haben Sie an der Stelle formuliert. Ich finde
das spannend.

Sie implizieren bei der Gelegenheit noch etwas ande-
res, nämlich dass die Kernenergie in der Tat eine sinn-
volle Ausgleichskapazität gewesen wäre, was die Ener-
giewende vereinfacht hätte. Nur so kann man diese
Einlassung verstehen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Sie haben es nicht verstanden! Das ist wirklich ein intellektuelles Problem!)


Wenn man es verständig würdigt, was Sie gerade gesagt
haben, geben Sie implizit der rechten Seite des Hauses
recht, die damals gesagt hat: Wir schaffen mit Laufzeit-
verlängerungen eine Voraussetzung dafür, die Energie-
wende auch finanziell und hinsichtlich der Versorgungs-
sicherheit abzufedern. – Genau das sagen Sie jetzt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!)


Jetzt ziehen Sie das, was Sie selber gerade formuliert ha-
ben, wieder in Zweifel. Was soll ich dazu sagen?

Was den Punkt Reservekapazitäten angeht, werden
wir zu gegebener Zeit etwas organisieren


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ah! Zu gegebener Zeit! Wann ist das denn?)


– zeitnah –, um auch in den kommenden Wintern – es
geht jetzt nicht um diesen Winter, sondern um die kom-
menden Winter –


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es geht nicht um Winter! Es geht um 2020!)


dagegen gewappnet zu sein, dass es bei uns einen Black-
out gibt und wir Schwierigkeiten bekommen. Ich pro-
phezeie Ihnen, dass die Diskussion über die Energie-
wende in der Bevölkerung, wenn es zu einem solchen
Ausfall käme, komplett anders verlaufen würde. Dann
hätten wir alle wieder den Schwarzen Peter, und es
hieße: „Die Politik kann es nicht“, weil wir manchmal
geneigt sind, das eine oder andere zu machen, was ris-
kant ist. Ich gebe ganz offen zu: Die Energiewende birgt,
so wie wir sie uns in zeitlicher Hinsicht und unter dem
Druck, kein Industrieunternehmen aus dem Land vertrei-
ben zu wollen, vorgenommen haben, gewisse Risiken.
Deshalb sollten wir nicht leichtfertig und vor allen Din-
gen nicht jenseits der Wahrheit darüber diskutieren.

Ich möchte Folgendes ganz deutlich sagen: Was in
den letzten Tagen von der grünen Seite – insbesondere
von Herrn Özdemir und Herrn Trittin; Sie können auch

Herrn Baake mit dazu nehmen – über die Presse verlaut-
bart wurde, ist unterirdisch; das sage ich Ihnen ganz
offen. Zu einem Erstsemester in Jura sagt man in der
Regel: Ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechts-
findung. – Zumindest von einem ehemaligen Minister
müsste man erwarten können, dass er in der Lage ist, ei-
nen Gesetzestext wenigstens anzulesen. Im Gesetz steht
im Hinblick auf Befreiungen: produzierendes Gewerbe
und Schienenverkehr. Mir soll einmal jemand erklären,
wie man selbst bei weitestgehender Auslegung und bös-
artigstem Vorgehen Golfplätze als produzierendes Ge-
werbe verstehen kann.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ihnen braucht man nichts zu erklären, Sie verstehen sowieso nichts! – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Schmarren! Das hat doch keiner gemacht!)


Wenn man das tut, dann gibt es nur zwei Varianten: Es
handelt sich entweder um – ich hätte beinahe Dummheit
gesagt – fahrlässiges Vernachlässigen oder um Vorsatz.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Oder eine Mischung aus beidem!)


Nachdem die Diskussion für Sie so schön verlaufen ist
und die falsch behaupteten Ausnahmen permanent wie-
derholt wurden, unterstelle ich Ihnen mittlerweile Vor-
satz. Sie hören ja nicht auf. In drei Debatten hat niemand
von Ihnen den Mumm gefunden, sich hier hinzustellen
und zu sagen: Jawohl, da wurde etwas Falsches behaup-
tet; das war nicht wahr. Das tut uns leid.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Mindeste, was Sie hätten machen müssen, wäre ge-
wesen, zu sagen: Wir haben – ob boshaft oder nicht – et-
was Falsches behauptet und versucht, etwas zu diskredi-
tieren, was wir nicht hätten diskreditieren sollen.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Ablenkung! Das ändert doch nichts an der Tatsache, dass Sie Ausnahmen machen!)


Besser wäre es gewesen, wenn wir darüber diskutiert
hätten, wie wir auf die Erhöhung der EEG-Umlage re-
agieren sollen.

Angesichts einer EEG-Umlage in Höhe von
5,277 Cent pro Kilowattstunde muss man die Frage stel-
len, wie es weitergehen soll und wie wir das verteilen
wollen.


(Ulrich Kelber wir das? Die Frage haben Sie sich gestellt! Die Linke sagt: Freibier bzw. Freistrom sowie kostenlos zur Verfügung gestellte effizientere Kühlschränke für alle. – Darüber kann man nicht ernsthaft diskutieren. Wir dagegen haben damals sehr überlegt gesagt: Wir erweitern angesichts der Tatsache, dass sich die EEG-Umlage vervielfacht hat, den Kreis derjenigen, die eine Befreiung in Anspruch nehmen können, etwas, um die Betreffenden nicht in ökonomische Schwierigkeiten zu bringen. – Ich persönlich halte das für nicht verwerflich. Dr. Georg Nüßlein Wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann glauben Sie vielleicht eher Herrn Trittin. Ich lese Ihnen einmal vor, was er am 13. November 2003 in der Diskussion über die Novelle des EEG gesagt hat: Deswegen haben wir dafür Sorge getragen, dass beispielsweise nicht nur große, sondern auch mittlere Unternehmen von der Härtefallregelung profitieren … Wenn das der Leitsatz ist, haben wir richtig gehandelt. Dass man natürlich besonders sensibel sein muss, wenn es nicht um 0,2 Cent, sondern um 5,277 Cent geht, ist doch klar; das leuchtet doch jedem ein. Was Sie wollen, ist etwas ganz anderes. Sie wollen die Teuerung, die Sie immer bestritten haben, der rechten Seite in die Schuhe schieben (Rolf Hempelmann [SPD]: Was heißt denn „in die Schuhe schieben“? – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn hier?)





(A) (C)


(D)(B)


und behaupten, dass wir maßlos Befreiungen bewilligt
hätten. Da ist die Landesregierung in Nordrhein-Westfa-
len ein ganzes Stück weiter. Dort wurde vorgeschlagen,
im Zusammenhang mit den Offshoreanlagen eine Kom-
plettbefreiung bei den Netzentgelten vorzunehmen. Fra-
gen Sie einmal nach, wie man dort auf einen solchen
– aus Ihrer Sicht – abwegigen Vorschlag gekommen ist.
Das wäre hochspannend. Noch spannender wäre es aller-
dings, hier bei uns darüber ein bisschen mehr lösungs-
orientiert und weniger problemorientiert zu diskutieren.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre wirklich gut, wenn Sie das in der Union so machen würden!)


Ich bin der festen Überzeugung, dass wir über die Be-
rechnung der EEG-Umlage noch einmal diskutieren
müssen. Dazu muss man Vorschläge machen. Da ist in
der Tat eine Art Zirkelschluss enthalten. Die Mehrein-
speisung an erneuerbaren Energien führt am Spotmarkt
zu niedrigeren Preisen, was uns eine höhere EEG-Um-
lage und mit einem gewissen Automatismus den Unter-
nehmen höhere Gewinne beschert. Das ist etwas, wor-
über wir sicher nachdenken müssen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ja, aber Sie machen doch nichts!)


– Wir kommen ja nicht dazu, das hier zu debattieren,
weil Sie hier letztendlich immer dieselbe Story vortra-
gen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ihr redet alle, als wärt ihr in der Opposition!)


Ein weiterer Punkt. Wir haben seitens der CSU einen
sinnvollen Vorschlag gemacht, wie man die EEG-Um-
lage nicht nur auf 20 Jahre berechnet, was mit der zuge-
sagten Planungssicherheit zusammenhängt, sondern wie
man diese Umlage auch auf die verteilt, die danach kom-
men.


(Ulrich Kelber [SPD]: Genau! Wieder die nächste Generation! Das ist eine tolle Idee! Wie bisher!)


– Nein, nicht die nächste Generation. Das ist eine Verun-
glimpfung.


(Ulrich Kelber [SPD]: Genau! Wir konsumieren heute, und die nächste Generation soll es bezahlen! Was für eine tolle Politik!)


– Denken Sie einfach darüber nach und handeln Sie
nicht so fahrlässig, wie Sie es hier sonst immer tun! Es
geht nicht um die nächste Generation; es geht darum,
dass wir jetzt endlich einen Kapitalstock aufbauen müs-
sen, um in Windräder, in Anlagen zu investieren,


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist doch da! Die privaten Leute machen das doch längst! Die wollen das weitermachen!)


die Fixkosten verursachen, die aber dann den Vorzug ha-
ben, keine variablen Kosten zu verursachen. Das heißt,
wenn wir das jetzt machen, wird es welche geben, die
– das können auch noch wir sein; das ist jedenfalls
meine Hoffnung – dann davon profitieren, dass erneuer-
bare Energien ohne variable Kosten Strom produzieren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Unglaublich! Verschuldungspolitik!)


Denken Sie einfach darüber nach! Man kann sich Ge-
danken darüber machen, ob man die 5,27 Cent nicht ein
bisschen anders verteilt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wir machen keine neuen Schulden!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719907200

Herr Nüßlein, jetzt ist das Ende Ihrer Redezeit über-

schritten.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1719907300

Dann höre ich an der Stelle auf. Ich weiß, dass der

Reflex parteipolitisch motiviert ist.

Ich bedanke mich trotzdem fürs Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719907400

Der Kollege Ulrich Kelber hat das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1719907500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Vor drei Monaten hat die SPD-Bundestagsfrak-
tion der Regierung 135 Fragen gestellt


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: 137!)


zu den Grundlagen der Energieversorgung, zu den Kos-
ten von Alternativen in der Energieversorgung. Eine sol-
che Große Anfrage muss die Regierung normalerweise
innerhalb von sechs Wochen beantworten. Wir bekamen
ein Schreiben: Die Regierung kann diese Große Anfrage
Mitte Februar 2013 beantworten.





Ulrich Kelber


(A) (C)



(D)(B)


Zwei Beispiele: Welche Maßnahmen will die Regie-
rung gegen den Anstieg der EEG-Umlage zum 1. Januar
2013 ergreifen? Beantworten wird das die Regierung im
Februar 2013.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hört! Hört!)


Von welcher Preisentwicklung bei Öl-, Gas- und Kohle-
importen geht die Regierung aus? Antwort: Wir müssen
recherchieren. Wir werden antworten im Februar 2013. –
Herr Minister, wenn man noch nicht einmal die Grundla-
gen kennt, wie will man dann verantwortliche Entschei-
dungen in der Energiepolitik treffen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir erleben drei Jahre chaotische Energiepolitik. Das
sagt nicht nur die Opposition. Der frühere CDU-Minis-
terpräsident Oettinger, jetzt europäischer Energiekom-
missar, antwortet auf die Frage „Was sagen Sie zur Ener-
giepolitik in Deutschland?“: Welche Energiepolitik?

Ich komme von einem Treffen mit dem Deutsch-Nor-
wegischen Netzwerk. Die sagen: Wir investieren nicht
mehr in Deutschland – nicht in Netze, nicht in Gas, nicht
in Erneuerbare; wir wissen nicht, ob irgendeine Rah-
menbedingung in Deutschland länger als drei Monate
hält.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Aber es gibt doch den Einspeisevorrang!)


2009 haben Sie eine Politik vorgefunden, die – als ein
Beispiel – aus dem Ausstieg aus der Atomenergie be-
stand. Innerhalb von einem Jahr haben Sie den Ausstieg
aus dem Ausstieg gemacht, ein halbes Jahr später den
Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Jetzt sa-
gen CDU-Politiker wie Vaatz, wie Bareiß, wie Pfeiffer:
Eigentlich bräuchten wir doch den Ausstieg aus dem
Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. – Wer soll
denn da noch investieren in diesem Land?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Natürlich ist eine sichere Energieversorgung nicht
umsonst zu haben, übrigens auch dann nicht, wenn man
nicht in Erneuerbare geht. Auch ein auf fossile Kraft-
werke ausgerichtetes Netz muss ab und zu erneuert wer-
den. Aber was es teuer macht, ist diese schwarz-gelbe
Konzeptionslosigkeit, der Zickzackkurs an dieser Stelle.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Phrasendrescherei!)


Ich will Ihnen auch dafür Beispiele nennen: Es gibt
die Umlagen für Netzentgelte und für das Erneuerbare-
Energien-Gesetz. Einige werden von der Zahlung be-
freit; deswegen zahlen andere mehr. Ich habe am Mitt-
woch in der Fragestunde die Bundesregierung gefragt:
Wie viel von den 1,7 Cent Anhebung der EEG-Umlage
wird benötigt, weil mehr Vergütung gezahlt wird für zu-
sätzliche Anlagen der erneuerbaren Energien? Die Ant-

wort – nachlesbar im Protokoll –: 1,415 Cent der
1,7 Cent haben damit nichts, aber auch gar nichts zu tun.

Bundesumweltminister Altmaier und Frau Bundes-
kanzlerin Merkel haben gesagt: Wir werden diese Be-
freiungen prüfen. Daher war meine zweite Frage:

Bis wann genau will der Bundesminister für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit … die
Ausnahmeregelungen für die Industrie zur Befrei-
ung von der EEG-Umlage prüfen …?

Die Antwort:

Das Bundesumweltministerium hat hierzu ein For-
schungsvorhaben in Auftrag gegeben.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Was?)


Das Vorhaben … wird bis zum 31. Juli 2014 abge-
schlossen sein.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die Realität in diesem Land, ebenfalls nachlesbar
im Protokoll vom Mittwoch, das bereits online ist.

Wir müssen damit rechnen, dass zusätzlich zur EEG-
Umlage 0,5 bis 0,8 Cent weitere Umlagen – für die Off-
shorehaftungsbefreiung, für weitere Netzentgeltbefrei-
ungen – hinzukommen. Inklusive Mehrwertsteuer unter-
halten wir uns also über 3 Cent, die auf den Strompreis
umgelegt werden. Wenn Sie meinen Ausführungen ge-
rade gefolgt sind, haben Sie gesehen, dass 2,5 Cent da-
von unnötig sind. Ich fand den Begriff, den Bärbel Höhn
dafür geprägt hat, treffend: Das ist die Merkel-Umlage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schwarz-Gelb mobbt die erneuerbaren Energien, da-
mit keiner merkt, dass man drei Jahre chaotische Ener-
giepolitik gemacht hat. Allein die zwei größten Energie-
konzerne in Deutschland haben angekündigt, 2012 einen
Gewinn von 19 Milliarden Euro machen zu wollen. Das
ist ein deutliches Plus gegenüber 2011 und übrigens fast
das Achtfache des Betrages von vor über zehn Jahren.

Wo sind die Stimmen aus der schwarz-gelben Regie-
rung, die das Doppelabkassieren bei den CO2-Zertifika-
ten kritisieren? Erst werden die kostenlos zugeteilten
Zertifikate in den Strompreis eingepreist, und jetzt, wo
die Zertifikate bezahlt werden müssen, sollen die Strom-
kunden noch einmal dafür bezahlen.

Wie kann man auf die Idee kommen, für Netzinvesti-
tionen eine sichere, feste Rendite von 9 Prozent zuzusi-
chern und für den Fall, dass ein Risiko entsteht, den Ver-
braucherinnen und Verbrauchern auch noch eine
Risikobefreiungsumlage aufzulasten, damit die 9 Pro-
zent auf keinen Fall geschmälert werden?

Und warum führt der Bundeswirtschaftsminister nicht
Gespräche mit dem Bundeskartellamt? Es gibt immerhin
§ 29 GWB. Warum prüfen wir nicht einmal, warum die
sinkenden Großhandelspreise bei Strom und Gas nicht
an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden?





Ulrich Kelber


(A) (C)



(D)(B)


Das wäre Regierungshandeln. Stattdessen reden Sie, als
wären Sie schon in der Opposition.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Altmaier, wir brauchen endlich eine konzeptio-
nelle Energiepolitik. Da reicht nicht das Reden über das
EEG. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um in Süd- und
Südwestdeutschland, wo die Atomkraftwerke nun schnel-
ler abgeschaltet werden, Energieversorgungssicherheit
zu garantieren. Dazu brauchen die Länder natürlich eine
konsistente Politik der Bundesebene.

Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir System-
stabilität gewährleisten können. Natürlich müssen die
Erneuerbaren mehr Systemverantwortung übernehmen;
aber sie müssen sie auch übernehmen dürfen. Wir müs-
sen uns fragen, ob das nicht Dinosauriertechnologie ist,
wenn in Deutschland immer 20 bis 30 Megawatt von
fossilen Kraftwerken bereitgestellt werden müssen, ohne
dass der Strom benötigt wird, nur um Systemdienstleis-
tungen zu erbringen.

Wir müssen den Strommarkt neu regeln, weil seine
Regeln heute weder für Investitionen in Gaskraftwerke
noch für eine Marktfähigkeit der erneuerbaren Energien
reichen.

Und, ja, wir müssen uns über Maßnahmen zur Sen-
kung der Preise und – unideologisch – auch über Sozial-
tarife unterhalten.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Aha!)


Dazu gehört die Debatte über ein EEG 2.0, das nicht de-
ckelt, sondern hilft, von 25 Prozent Anteil der erneuerba-
ren Energien auf 50 Prozent zu kommen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wer soll das bezahlen?)


Darüber darf man nicht ein weiteres Jahr reden. Wir bie-
ten Ihnen an, das auch heute zu machen.

Dieses Wursteln in der Energiepolitik, diese Flick-
schusterei, dieser Aktionismus, diese Schaufensterpoli-
tik mit der Beschränkung auf ein oder zwei Teilaspekte
muss aufhören; sonst bekommen wir alle von Schwarz-
Gelb eine teure Rechnung präsentiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719907600

Für den Bundesrat erteile ich jetzt Herrn Minister

Sven Morlok das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1719907700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Um es vorwegzuschicken: Der Freistaat Sachsen, die
Staatsregierung, von CDU und FDP getragen, will einen
weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Dies wird
uns in Deutschland nur dann gelingen, wenn wir die Ak-

zeptanz durch die Bevölkerung auf diesem Weg nicht
gefährden.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es!)


Mit Akzeptanz meine ich das Landschaftsbild. Wir müs-
sen darauf achten, dass wir die Landschaft nicht über das
Maß hinaus mit Windkraftanlagen verspargeln.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit der Braunkohle?)


Und wir müssen darauf achten, dass die Strompreise auf
einem Niveau bleiben, auf dem sie für die Verbraucher
akzeptabel und bezahlbar sind, auf dem sie die Wettbe-
werbsfähigkeit unserer Unternehmen nicht gefährden,
auf dem sie die Arbeitsplätze nicht gefährden. Das ist
wichtig, wenn wir die Menschen in unserem Land bei
dieser Politik mitnehmen wollen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Woher kommen die Strompreissteigerungen? Bis
2009 waren es Erzeugung, Transport und Vertrieb. Frau
Kipping, Sie müssen zur Kenntnis nehmen: Ab 2010
gibt es dort keine Steigerung mehr. Die Kosten Trans-
port, Vertrieb und Erzeugung blieben konstant. Der
Preistreiber sind die staatlichen Abgaben. Der Preistrei-
ber ist die Steuer. Insbesondere die EEG-Umlage ist der
Preistreiber.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ein Drittel!)


Ich sage es noch einmal deutlicher formuliert: Preistrei-
ber beim Strom ist der Staat.


(Beifall bei der FDP – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber Sie wissen schon, dass der Staat von einer schwarz-gelben Regierung geführt wird?)


Wir brauchen, sehr geehrte Damen und Herren, einen
Strompreisstopp, wie ihn Ministerpräsident Tillich am
Mittwoch im Landtag gefordert hat. Die Strompreise
dürfen für die Verbraucher nicht weiter steigen. CDU
und FDP sind sich in dieser Sache einig, zumindest in
Sachsen.


(Lachen bei der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Ehrliche Rede!)


Das EEG wurde geschaffen in einer Zeit, als die er-
neuerbaren Energien einen Anteil von 3 Prozent hatten.
Der Anteil beträgt jetzt ungefähr 25 Prozent. Es wird
doch jedem deutlich, dass ein System, das damals ge-
passt hat, heute die Anforderungen nicht mehr erfüllen
kann. Wir brauchen endlich Effizienz bei den erneuerba-
ren Energien. 20-jährige Vergütungsgarantien mit Ein-
speisevorrang sind der falsche Weg für die Zukunft.


(Beifall bei der FDP – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Investitionssicherheit interessiert Sie nicht!)


Wir wollen, dass erneuerbare Energien an dem Ort
produziert werden, der am günstigsten ist, und dass sie
mit einem Verfahren produziert werden, das ebenfalls
am günstigsten ist.





Staatsminister Sven Morlok (Sachsen)



(A) (C)



(D)(B)



(Ulrich Kelber [SPD]: Netzkosten sind egal! Das ist das mit der Einzelbetrachtung, was ich meinte!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719907800

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von

Frau Kipping zulassen?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1719907900

Gerne.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719908000

Bitte.


Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719908100

Lieber Herr Morlok, wenn Sie hier zur großen Staats-

kritik ausholen und sagen, der Staat ist der Preistreiber,
dann will ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass der
Bund von einer schwarz-gelben Regierung geführt wird,
und ob Sie die Kritik an der Regierung und die Kritik an
Ihrer eigenen Partei auf Bundesebene tatsächlich so mei-
nen.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wer hat es denn im Bundesrat blockiert?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1719908200

Sehr geehrte Frau Kipping, ich bin als Landesminister

Mitglied im Bundesrat. Wenn ich mir die Debatten im
Bundesrat anschaue, dann werde ich das Gefühl nicht
los, dass wir bei der Energiepolitik, der Energieeffizienz
von Gebäuden und bei vielen anderen Fragen schon
deutlich weiter sein könnten, wenn die Bundestagsoppo-
sition den Bundesrat nicht ständig blockieren würde.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Die Bundestagsopposition kann nicht blockieren, sie ist in der Minderheit!)


Sehr geehrte Damen und Herren, wir müssen die er-
neuerbaren Energien in den Markt integrieren. Zur
Marktintegration bedarf es einer Mengensteuerung. Wir
als Freistaat Sachsen schlagen Ihnen in diesem Zusam-
menhang ein Quotenmodell vor. Wir brauchen dieses
Quotenmodell schnell. Zum 1. Januar 2014 muss
Schluss sein mit dem Kostentreiber EEG. Wir brauchen
eine Änderung noch vor der Bundestagswahl.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als Sofortmaßnahme muss die Stromsteuer zum
1. Januar 2013 reduziert werden, und zwar auf das euro-
päische Mindestniveau.


(Beifall bei der FDP)


Das ist genau der Betrag, der durch die EEG-Umlage
obendrauf kommt. Ich kann nicht einsehen, warum man
die Verbraucher im nächsten Jahr mit diesen zusätzli-
chen Kosten belasten soll. Wir brauchen keine Sozial-
tarife, wir brauchen eine Senkung der Stromsteuer.


(Beifall bei der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die können Sie doch beschließen! Ohne Bundesrat sogar! Sie können das alleine machen! Sie sind sich darüber nicht einig! Sprücheklopfer! Machen Sie es doch! Sie sind doch ein Schwätzer!)


– Ich bin überhaupt kein Schwätzer, weil ich nämlich
Politik für die Menschen im Freistaat Sachsen mache
und mich für die Interessen der Menschen im Freistaat
Sachsen einsetze. Deswegen, Herr Heil, bin ich nach
Berlin gefahren, um heute hier eine Rede zu halten. Das
ist der Punkt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Dann sollen doch die sächsischen FDP-Abgeordneten einen Antrag stellen! Die sächsischen FDP-Abgeordneten können das doch hier einbringen!)


Lassen Sie mich bitte fortfahren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben 1,8 Prozent bekommen für Ihre Politik!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719908300

Herr Morlok, möchten Sie die Zwischenfrage von

Herrn Heil zulassen?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1719908400

Wenn es der Erkenntnis von Herrn Heil dient.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719908500

Bitte schön.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1719908600

Herr Morlok, Sie sind ja Staatsminister des Freistaats

Sachsen. In Sachsen gab es einmal einen großen deut-
schen Schriftsteller, der später in München gelebt hat.
Die Rede ist von Erich Kästner. Er hat den schönen Satz
geprägt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Deshalb sage ich Ihnen zum Thema Stromsteuer: Sie
von der schwarz-gelben Koalition dort drüben könnten
ohne Zustimmung des Bundesrates morgen die Strom-
steuer senken, wenn Sie denn das Geld haben. Dafür
brauchen Sie keine Opposition, da brauchen Sie keine
Blockaden von den von Rot-Grün oder Rot-Rot geführ-
ten Ländern zu befürchten. Wenn Sie das gegenfinanzie-
ren können, dann sollten Sie es einfach machen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Nein, nein!)


Das meinte ich vorhin. Ich entschuldige mich für das
leicht ungebührliche, aber im Schwäbischen gebräuchli-
che Wort „Schwätzer“. Wenn Sie an dieser Stelle etwas
fordern, dann fordern Sie das bitte von Ihren eigenen
Leuten, aber beschimpfen Sie nicht die Opposition. Das
meinte ich damit.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fensterreden helfen überhaupt nicht, weder in der sozia-
len noch in der ökologischen noch in der ökonomischen
Debatte. Sie führen Selbstgespräche zur Energiepolitik
mit Ihren eigenen Leuten: Man müsste mal, man sollte





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


mal, man könnte mal. So etwas hält uns in Deutschland
auf.

An dieser Stelle bitte ich Sie um Ihren Beitrag: Wann
rechnen Sie mit dem Beschluss Ihrer schwarz-gelben
Freunde hier in Berlin zur Senkung der Stromsteuer? In
diesem oder im nächsten Jahr? Das ist meine Frage an
Sie.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1719908700

Sehr geehrter Herr Heil, im Gegensatz zur Bundes-

tagsopposition, zur SPD, handelt die Sächsische Staats-
regierung. Wir haben einen entsprechenden Antrag im
Bundesrat eingebracht, die Stromsteuer zu senken.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir reden jetzt über Ihre Partei im Bund!)


– Ich rede als Minister für die Staatsregierung im Frei-
staat Sachsen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie reden hier für die sächsischen FDP-Bundestagsabgeordneten! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie reden für den Bundesrat und nicht für die Landesregierung!)


Wir haben im Bundesrat einen Antrag zur Senkung
der Stromsteuer eingebracht, und zwar um den Betrag,
um den der Strom aufgrund der erhöhten EEG-Umlage
teurer wird.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie können sich in Ihrer eigenen Partei nicht durchsetzen!)


Das haben wir getan, sehr geehrter Herr Heil, und dabei
haben wir eine parteiübergreifende Unterstützung gefun-
den, allerdings keine Mehrheit. Wir haben Unterstützung
erhalten vonseiten der CSU und der FDP in Bayern; wir
haben auch Unterstützung von Ihren Parteifreunden, von
der SPD, gefunden, nämlich vom Bundesland Hamburg,
von Olaf Scholz.

Ich sage ganz klar: Wir werben für diesen Antrag, und
die Zahl der Unterstützer wächst. Deswegen bin ich
heute hierhergekommen. Wir wollen, dass die Zahl der
Unterstützer noch größer wird und dass wir möglichst
bald zu einer entsprechenden gesetzlichen Änderung
kommen können.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Dann bringt es doch endlich ein, wenn ihr da klatscht! Maulhelden!)


An die Adresse der Bundesregierung möchte ich fol-
gende Worte richten: Herr Altmaier, ich habe Ihren Maß-
nahmenplan gelesen. Ich muss jedoch deutlich sagen:
Verschonen Sie uns mit neuen Gutachten auf Kosten der
Steuerzahler. Diese brauchen wir nicht mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung leidet nicht an einem Mangel an
Gutachten, sondern an einem Mangel an Einsicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Hört! Hört! – Bravo!)


Deswegen fordere ich Sie auf, zügig zu handeln. Da
ich nicht weiß, ob das Ganze tatsächlich funktioniert,
Herr Kollege Heil, bereiten wir im Wirtschaftsministe-
rium in Sachsen – dies zum Thema Handeln – gerade
eine Bundesratsinitiative zu diesem Thema vor. Sicher
ist sicher.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber Sie sind noch in einer Partei, oder? – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt gibt es aber kaum noch Applaus für den Herrn Landesminister! – Ulrich Kelber [SPD]: Das sind die Absetzbewegungen schon ein Jahr vor der Wahl!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719908800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Caren Lay von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD])



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719908900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich freue mich, dass inzwischen auch die Koali-
tion begriffen hat, dass es beim Thema Strompreise um
eine soziale Schieflage geht. Als wir vor anderthalb Jah-
ren einen ähnlichen Antrag diskutiert haben, ist kaum je-
mand von Ihnen auf die soziale Frage eingegangen.
Auch heute sind sich die Redner der CDU nicht zu
schade, die Vorschläge der Linken als „DDR-Planwirt-
schaft“ abzutun.

Ich muss Ihnen jedoch eines sagen: Angesichts der
Tatsache, dass die vier großen Energiekonzerne immer
noch fast 80 Prozent des Marktes beherrschen und die
Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher perma-
nent steigen, kann die FDP doch nicht von einem funk-
tionierenden Markt sprechen.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Das haben wir nicht getan!)


– Das haben Sie nicht getan? Ich habe das sehr wohl im
Ohr, und deswegen ist die Debatte, so wie Sie sie hier
aufmachen, völlig falsch angelegt.

Ich muss einmal sagen: Sie hören nicht auf, die
Schuld permanent auf die erneuerbaren Energien zu
schieben. Ich finde das einfach unredlich. Sie schieben
die Schuld auf das EEG und verschweigen die Milliar-
dengewinne der Energiekonzerne. Ich will Ihnen einmal
ein Beispiel nennen: Allein die Gewinne von Eon, RWE
und EnBW seit dem Jahre 2002 betragen weit über
100 Milliarden Euro.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Innerhalb von sieben Jahren haben sich die Gewinne der
Energiekonzerne vervierfacht. Ich habe hier von den
Rednern der Koalition kein einziges kritisches Wort
dazu gehört. Das werden wir Linke Ihnen nun wirklich
nicht durchgehen lassen.


(Beifall bei der LINKEN)






Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)


Was tut die Koalition angesichts dieser Situation? Sie
verteilt weiter Milliardengeschenke an die Großindus-
trie: bei den Netzentgelten, bei der EEG-Umlage und
beim Ökostrom. Das kann es doch wirklich nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Wer es mit der
sozialen Energiewende ernst meint, der darf über die
Milliardengewinne der Konzerne und die Industrie-
rabatte nun wirklich nicht schweigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, über die Festlegung der
Strompreise für Privathaushalte organisieren sich die
Versorger zulasten der Haushaltskunden hemmungslos
Sonderprofite. Deswegen fordern wir Linke hier eine
staatliche Preisaufsicht. Ich muss sagen, dass das keine
Vorstellung aus Zeiten der DDR ist; denn wir hatten die
staatliche Preisaufsicht bis zum Jahre 2007. Damals, als
sie abgeschafft wurde, hat sich leider auch die SPD nicht
mit Ruhm bekleckert. Nun habe auch ich noch sehr gut
in Erinnerung, dass die staatliche Preisaufsicht damals
nicht das schärfste Schwert war; aber wir müssen fest-
stellen, dass die Strompreise seit ihrer Abschaffung kon-
tinuierlich weiter angestiegen sind. Deswegen ist die
Abschaffung der staatlichen Preisaufsicht nun wirklich
auch keine Lösung.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen sie wieder einführen; wir wollen sie an-
ders einführen. Wir wollen, dass die Verbraucherver-
bände hier ein ordentliches Wort mitzureden haben;
denn wir vertrauen nicht darauf, dass beispielsweise ein
Minister der FDP oder der CDU wirklich wagen würde,
den Rotstift bei den Konzerngewinnen anzusetzen.

Meine Damen und Herren, auch zum Thema Energie-
armut habe ich von der Koalition kein Wort gehört, und
das vor dem Hintergrund, dass 800 000 Haushalten im
Jahr der Strom abgestellt wird. Das ist eine stille soziale
Katastrophe, zu der wir wirklich nicht schweigen dürfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine Stromsperre ist nach nur einer Ankündigung und
ohne Gerichtsbeschluss möglich. Am Ende bekommt
man noch eine satte Rechnung präsentiert, die man ge-
wiss nicht bezahlen kann, wenn man ohnehin schon Gast
bei der Schuldnerberatung ist. Deswegen fordern wir,
dass die Versorgung mit Strom ein Grundrecht wird und
Stromsperren endlich verboten werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Einen letzten Punkt werde ich angesichts der Kürze
der Zeit nicht ausführen können; aber ich möchte ihn zu-
mindest einmal in dieser Debatte erwähnen. Die Strom-
netze erfüllen eine öffentliche Aufgabe, sie sind Teil der
öffentlichen Infrastruktur, und deswegen gehören sie
endlich wieder in öffentliche Hand.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Und dann wird es besser?)


Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Die Linke legt mit ihrem Antrag Instrumente auf den

Tisch, mit denen Verbraucherinnen und Verbraucher
4 Cent pro Kilowattstunde sparen können. Es wird
höchste Zeit, die Energiewende ökologisch und sozial zu
gestalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719909000

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege

Markus Kurth.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719909100

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin schon verwundert: Wir debattieren hier unter
dem Titel „Soziale Gestaltung der Energiewende“, aber
reden jetzt ausschließlich über einen Bereich, nämlich
über den Strom. Nur rund ein Fünftel der gesamten
Energieausgaben eines durchschnittlichen Haushaltes
entfällt auf den Bereich Strom, der Rest zu etwa gleichen
Teilen auf den Bereich Mobilität und den Bereich Hei-
zung.

Einzig und allein mein Kollege Hans-Josef Fell ist in
seiner Rede in dieser Debatte auf den Preisanstieg bei
den fossilen Energieträgern eingegangen


(Ulrich Kelber [SPD]: Bitte?)


– stimmt, Herr Kelber, auch Sie haben über fossile Ener-
gien gesprochen – und hat damit die Grundlage dafür
gelegt, sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Belas-
tungen im Wärmebereich auf ärmere, einkommens-
schwächere Haushalte zukommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Folge haben aber auch Sie von der SPD sich le-
diglich – das muss man sagen – auf den Strompreis kon-
zentriert. Dabei geht selbst die Bundesregierung in einer
Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die
Grünen davon aus, dass der Ölpreis auf 124 US-Dollar
pro Barrel ansteigen wird.

Innerhalb des Strombereichs konzentrieren Sie sich
dann wiederum lediglich auf einen ganz kleinen Aus-
schnitt, nämlich auf das EEG, und das stellen Sie dann
auch noch falsch dar. Als Sozialpolitiker bin ich ohnehin
erschüttert, in einer energiepolitischen Debatte, die sich
über drei Tage erstreckt, sehen zu müssen, dass sich bei
Ihrer Lernkurve anscheinend nichts bewegt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn es Ihnen wirklich um die gesamte Situation im
Energiebereich und um die ärmeren Haushalte gehen
würde, dann würden Sie auch die Bereiche Mobilität und
Heizkosten mit in den Blick nehmen und diese in dieser
Debatte wenigstens einmal erwähnen. Wer über soziale
Energiesparpolitik, die Energiewende und deren sozial-
verträgliche Gestaltung redet, muss sich mit Instrumen-
ten auseinandersetzen, die alle Energieträger und alle
Bereiche umfassen und vor allen Dingen zielgenau sind.





Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)


Sie von der FDP hingegen wollen mit der großen
Gießkanne herangehen. Sie sprechen von der Strom-
steuer. Das ist überhaupt nicht zielgenau. Das trifft nicht
diejenigen, die es am nötigsten haben.

Wir von Bündnis 90/Die Grünen machen Vorschläge,
zum Beispiel die Einrichtung eines Energiesparfonds,
aus dem dann gezielt die Gebäudesanierung und der
Austausch von Geräten bezahlt werden könnte.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Und wer bezahlt das?)


Wir wollen die Mittel aus diesem Energiesparfonds
– und das ist der große Vorteil – vorwiegend für die
Haushalte einsetzen, die am stärksten auf Unterstützung
angewiesen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wo kommt das Geld her?)


Wir hätten damit ein Instrument, mit dem man eine
sozialräumliche Steuerung vornehmen und das Geld
zielgenau einsetzen könnte.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wo kommt es her?)


Wissen Sie, was das auch bewirken würde? Das
würde zusätzlich eine erhebliche Entlastung bei den
kommunalen Kassen bewirken. Denn diese müssen über
die Kosten der Unterkunft, etwa bei den Hartz-IV-Bezie-
henden, die Heizkosten mittragen. Es käme also zu ei-
nem positiven Folgeeffekt für unsere Kommunen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass Sie kein Interesse daran haben, wie es ärmeren
und einkommensschwächeren Haushalten geht,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sagen Sie mal, wo das Geld herkommt!)


lässt sich auch daran ablesen, dass Sie es waren, die den
Heizkostenzuschuss im Wohngeld gestrichen haben.


(Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: So ist es!)


Wir hingegen schlagen vor, einen Klimazuschuss an
das Wohngeld anzudocken, damit die Wohngeldbezieher
mit steigenden Energiepreisen im Wärmebereich zu-
rechtkommen.

Wir schlagen darüber hinaus Folgendes vor: Wenn
Standards bei Gebäuden nicht eingehalten werden, dann
steht den Mietern ein Mietminderungsrecht zu. Das
heißt, wir favorisieren ein Bonus-Malus-System, um die
Immobilienbesitzer dazu zu bringen, ihre Wohnungen zu
sanieren und in den besten Stand zu versetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Des Weiteren ist es unser Anliegen, Licht ins Dunkel
zu bringen. Wir wollen, dass Untersuchungen durchge-
führt werden: Was ist das Energieexistenzminimum?
Was ist Energiearmut? Denn auch wir schlagen vor, ei-
nen Tarif einzuführen, der ein gewisses Grundkontingent
enthält. Dieses soll zwar nicht kostenlos sein – wie bei

den Linken –, aber zu einem vergünstigten Preis angebo-
ten werden. Dann soll mit einem progressiv steigenden
Tarif eine Anreizwirkung ausgelöst werden. Um dieses
Grundkontingent allerdings genau bestimmen zu kön-
nen, müssten Forschungs- und Untersuchungsaufträge
vergeben werden. Das wäre übrigens schon deshalb nö-
tig, um auch Ihren Erkenntnisgewinn zu befördern. Dann
würden Sie nicht im Nebel herumstochern


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist eure Spezialität!)


und in Bezug auf das EEG Dinge behaupten, die jeder
Grundlage entbehren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend – das muss ich als Sozialpolitiker wirk-
lich sagen –: Sie hätten noch und nöcher Gelegenheiten,
Einkommensschwächere zu unterstützen, zum Beispiel
durch den gesetzlichen Mindestlohn, wie Frau Kipping
es schon richtig angesprochen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dann könnte man die EEG-Umlage fünfmal bezahlen.

Ich selbst habe in der Unterarbeitsgruppe zur Ver-
handlung des Hartz-IV-Regelsatzes im Jahr 2011 mitdis-
kutiert


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Oh, das ist lange her!)


und kann mich noch genau daran erinnern, wie da um
jeden Cent gerungen worden ist. Da hätte es ausreichend
Gelegenheit gegeben, für die Transferbeziehenden im
Rahmen einer vernünftigen Berechnung der Bedarfe die
Spielräume zu berechnen, die notwendig sind, um die
Energiekosten zu bezahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Solange Sie das nicht erledigen, möchte ich in Diskus-
sionen zur Energiewende nicht mehr von Ihnen hören,
dass Sie besonders besorgt um die Einkommensschwä-
cheren sind.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Immer noch mehr Geld ausgeben! Das könnt ihr!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719909200

Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Koeppen von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1719909300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach Fukushima war der gesellschaftliche Konsens für
die Energiewende sehr groß. Es gab eine breite Mehrheit
dafür in der Bevölkerung, in der Gesellschaft. Es gab





Jens Koeppen


(A) (C)



(D)(B)


eine sehr breite Mehrheit dafür im Deutschen Bundes-
tag. Ich muss sagen, dass das sehr angenehm war.


(Ulrich Kelber [SPD]: Besser als zehn Jahre zuvor!)


Es ist umso erstaunlicher, dass Sie, Herr Kelber, jetzt,
da die Strompreise ansteigen, alles infrage stellen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Unnötig ansteigen!)


In den drei Debatten dieser Woche zu diesem Thema
sind Sie teilweise wie eine Dampframme gegen die
Energiewende zu Werke gegangen. Das finde ich uner-
träglich; denn ich habe nach wie vor die Vision – die
sollten wir alle haben – von einer sauberen, bezahlbaren,
sicheren und immer verfügbaren Energieversorgung.
Wenn wir diesen Konsens herausstellen, wenn wir die-
sen Konsens weiterverfolgen und nicht nur Nebelkerzen
schmeißen, dann können wir, glaube ich, unseren Kin-
dern und Enkelkindern irgendwann ein Energieversor-
gungssystem ohne Risikotechnologien übergeben, ein
dezentrales und vor allen Dingen ein autarkes Energie-
versorgungssystem.

Dazu müssen wir unser Denken aber wahrscheinlich
ändern. Wir können es uns nicht leisten, uns nicht zu
verändern. Schon Einstein hat gesagt: „Wir müssen um-
denken, um zu überleben.“ Damit hat er recht. Ich
glaube, das gilt auch für die Energieversorgung. Die
ganzen verkrusteten Strukturen, nicht nur in Deutsch-
land, sondern weltweit, führen dazu, dass Energie teurer
wird. Sie führen in die Abhängigkeit. Deswegen müssen
wir uns von diesen alten Strukturen trennen. Wir müssen
uns auch von der einen oder anderen Überlegung tren-
nen, die im EEG steht – ich komme noch darauf zu spre-
chen –; denn nur wenn wir komplett umdenken, wird das
Projekt Energieversorgung gelingen, aber auch nur dann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP])


Ich bin fest davon überzeugt: Wenn ein Land das
schaffen kann, dann Deutschland. Wenn wir weiterhin
Vorreiter sein wollen, dann müssen wir die Energie-
wende beherzt angehen, aber auf Basis eines gesell-
schaftlichen Konsenses.

Ich komme zum Anstieg der Energiepreise. Ja, die
Energiepreise sind gestiegen. Sie sind nach einer neuen
Erhebung von Eurostat im Euro-Raum um bis zu 27 Pro-
zent gestiegen. In Deutschland sind die Preise – in An-
führungsstrichen – „sehr moderat“ gestiegen: nur um
knappe 4 Prozent. Strom ist in Deutschland aber trotz-
dem hinter Dänemark am teuersten.

Wir müssen uns natürlich fragen: Warum ist das so?
Weltweit ist die Nachfrage gestiegen. Allein im vergan-
genen Jahr wurden fossile Energien für 87 Milliar-
den Euro importiert. Diesen 87 Milliarden Euro steht
aber keine entsprechende Wertschöpfung in Deutschland
gegenüber. Natürlich sind dadurch auch die Heizkosten
gestiegen. Natürlich sind dadurch auch die Kraftstoff-
preise und der Strompreis gestiegen. Der Strompreis ist
– das muss ich sagen – nicht allein aufgrund der EEG-
Umlage gestiegen; das ist ganz klar. Er ist gestiegen auf-
grund von Preissteigerungen in den Bereichen Erzeu-

gung, Transport und Vertrieb, aufgrund der Konzessions-
abgabe an die Gemeinden usw., aber eben auch aufgrund
der EEG-Umlage, die infolge des Ausbaus im Bereich der
erneuerbaren Energien gestiegen ist.

Herr Kelber, Sie haben in der gestrigen Debatte ge-
fragt, warum die EEG-Umlage bei Ihnen so niedrig ge-
wesen sei und bei uns so hoch. Weil der Ausbau im Be-
reich der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren
vorangeschritten ist. Das ist doch ganz logisch. Deswe-
gen musste die EEG-Umlage steigen. Das ist doch ganz
klar.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719909400

Herr Koeppen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kelber?


Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1719909500

Bitte schön.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719909600

Bitte schön, Herr Kelber.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1719909700

Herzlichen Dank. – Genau zu diesem Punkt, zu der

Frage von gestern, möchte ich drei Zahlen aus diesem
Jahr nennen, die das Problem ein Stück weit deutlich
machen. Wir haben jetzt die Prognose für 2013 erhalten,
auf deren Grundlage die Höhe der EEG-Umlage festge-
legt wurde. Wenn man sich diese Prognose anschaut,
stellt man fest, dass von 2009 bis 2013 die Menge des er-
zeugten EEG-Stroms um 60 Prozent gestiegen ist. Die
dafür benötigte, die ausgeschüttete Vergütung stieg um
100 Prozent. Hier fließt natürlich der Aspekt Solarstrom
ein. Das ist ein Grund, warum der Strom pro Kilowatt-
stunde teurer geworden ist. Die EEG-Umlage steigt aber
nicht um 100 Prozent, sondern um 290 Prozent. Und da
liegt der Konstruktionsfehler, der in den letzten vier Jah-
ren begangen wurde: Man hat zusätzliche Dinge hinein-
genommen, die mit dem Ausbau der Erneuerbaren nichts
zu tun haben.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Drei Jahre!)


– Ich habe doch die Prognose für 2013 genommen. Da-
her sind es vier Jahre.


Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1719909800

Herr Kelber, da Sie von Konstruktionsfehler spre-

chen, will ich sagen, dass ich glaube, dass dies auf einen
Konstruktionsfehler des Erneuerbare-Energien-Geset-
zes generell zurückzuführen ist. Ich komme nachher
noch dazu.

Aber es ist doch klar: Wenn ich zum Beispiel die Pho-
tovoltaik, die am teuersten ist, aber auf dem Markt am
wenigstens zur Stromversorgung beiträgt, auf dem
Markt hinzunehme, dann führt dies zu einem steilen An-
stieg der Preise. Das ist doch logisch nachvollziehbar im
EEG beschrieben.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das waren aber die 100 Prozent!)






Jens Koeppen


(A) (C)



(D)(B)


Wir können daran arbeiten – da bin ich komplett bei Ih-
nen –, das EEG umzuschreiben und diesen Konstrukti-
onsfehler, wie Sie es nennen, auszumerzen. Das hat aber
nichts mit den letzten drei Jahren zu tun. Ich gehe aber
gleich noch auf das EEG ein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich war beim Thema Strompreise. Die Erhöhung der
EEG-Umlage führt zu einer Strompreiserhöhung von
etwa 5 Euro pro Monat. Natürlich ist ein solcher Preisan-
stieg für die Menschen, die sich dies vielleicht nicht leis-
ten können, nicht schön.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um die geht es Ihnen doch gar nicht!)


Ich glaube aber, dass diese 5 Euro verträglich sind.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie einmal diesen Menschen!)


Durch den Anstieg der EEG-Umlage gibt es natürlich
Handlungsbedarf. Deswegen haben wir in dieser Woche
drei Debatten darüber geführt.

Die Akzeptanz der Energiewende fängt beim eigenen
Portemonnaie an; das ist doch ganz klar. Wir müssen da-
für sorgen, dass Energie kein Luxusgut für die Menschen
wird, aber wir müssen genauso dafür sorgen, dass Energie
kein Luxusgut für die Industrie wird. Deswegen haben
Rot-Grün, die Große Koalition und wir in der christlich-
liberalen Koalition durch Ausnahmen für Standortsiche-
rung und Arbeitsplatzsicherung gesorgt.

Herr Kelber, ich möchte darauf hinweisen, dass das
keine Industriebegünstigungen sind. Wir begünstigen
dadurch niemanden, sondern wir stellen damit klar, dass
wir keine Schwächung unseres Industriemarktes, aber
auch keine Schwächung – es wird immer auf die vielen
Ausnahmen hingewiesen – des industriellen Mittelstan-
des zulassen. Deutschland geht es zurzeit gut. Wir lassen
700 Ausnahmen zu; diese haben auch Sie zugelassen.
Dabei sollten wir bleiben. Wir sollten das nicht zerreden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Es waren bei uns eben nicht so viele!)


Die Betriebe können Anträge stellen. 2 000 Anträge sind
gestellt worden. Diese 2 000 Anträge sind bisher nicht
bewilligt, sondern wurden bisher nur gestellt.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen wir einmal, was daraus wird!)


Es gibt drei Bedingungen: Der Betrieb muss ener-
gieintensiv sein, der Betrieb muss zum produzierenden
Gewerbe gehören, und er sollte im internationalen Wett-
bewerb stehen. Das wird geprüft.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Braunkohle ist befreit und steht nicht im internationalen Wettbewerb! – Ulrich Kelber [SPD]: Die Hähnchenmäster sind schon befreit!)


Peter Altmaier hat mehrfach versprochen, dass das ge-
prüft wird. Wenn ein Antrag bestätigt wird, schauen wir
uns das genau an. Wenn einer das macht, was er ver-
spricht, dann ist es dieser Umweltminister. Er wird das
einhalten. Er wird genau darauf achten, dass das nicht
ausartet. Das ist keine Begünstigung, sondern Standort-
sicherung und Arbeitskräftesicherung. Diesen Weg soll-
ten Sie mit uns gemeinsam gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich hoffe, ich habe noch Zeit, um noch etwas zum
EEG zu sagen. Wir brauchen hier einen Systemwandel.
Ich habe es schon oft gesagt: Das EEG hat in einer au-
ßergewöhnlichen und hervorragenden Art und Weise
seinen Dienst erfüllt, und es hat weltweit Anerkennung
gefunden. Aber das EEG hat aus meiner Sicht etwas in
den Markt gebracht, das schon zur Genüge vorhanden
war, nämlich Strom. Jetzt hat es seine Aufgabe erfüllt.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Längst nicht, Herr Kollege!)


– Natürlich, Herr Fell, das ist so. – Wir müssen es jetzt
endlich gemeinsam zu einem Innovationsgesetz umge-
stalten. Das ist kein Abschlachten oder Abschalten, son-
dern eine Reform.

Ich sagte ja am Anfang: Wir können es uns nicht leis-
ten, uns nicht zu verändern. Wir müssen dafür sorgen,
dass das EEG umgeschrieben wird. Wir müssen wieder
dazu kommen, dass es um Energieversorgung geht und
nicht um Rendite. Wir müssen dazu kommen, dass wir
intelligent einspeisen und nicht blind.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es doch endlich! Das haben wir doch schon immer gefordert!)


Wir müssen zu dezentraler und zu autarker Energiever-
sorgung kommen, und wir müssen neue Technologien
belohnen. Dazu brauchen wir die Ingenieure und die
Wissenschaftler. Ich bin Techniker. Ich weiß, dass viele
sagen: Hört uns doch einfach einmal an, wir haben so
viele Ideen und Vorschläge. – Lasst uns diese Menschen
fragen, welche Ideen sie haben, wie weit sie entwickelt
sind und was wir in Serie bringen können.

Wir müssen davon wegkommen, dass wir Windkraft-
anlagen und Solarstromanlagen einfach nur bauen, ohne
zu wissen, wie wir den dort produzierten Strom abtrans-
portieren können.

Wir müssen außerdem zu einer Priorisierung beim
Netzausbau kommen. Peter Altmaier hat auch hierzu ei-
nen ganz konkreten Vorschlag gemacht. Wir müssen nicht
4 000 Kilometer Leitung bauen. Wir haben in Deutsch-
land schon 36 000 Kilometer Höchstspannungsleitung,
75 000 Kilometer Hochspannungsleitung, 500 000 Kilo-
meter Mittelspannungsleitung und 600 000 Transforma-
toren. Das ist eine gute Infrastruktur. Wir müssen
schauen, ob wir damit nicht auskommen, statt blind aus-
zubauen; denn vielleicht brauchen wir das gar nicht. Wir
brauchen Systemintegration, wir brauchen bedarfsge-
rechte Stromproduktion. Über all dies müssen wir nach-
denken, und das müssen wir ins EEG schreiben.





Jens Koeppen


(A) (C)



(D)(B)


Ganz wichtig ist noch der Bereich Power to Gas. Was-
serstoff spielt eine viel zu geringe Rolle. Wir können aus
– in Anführungszeichen – „überschüssigem“ Strom
Wasserstoff produzieren. Den können wir in die Mobili-
tät stecken, wir können ihn für die Einspeisung in vor-
handene Gasnetze nutzen. Wir können daraus wirklich
Speicher machen. Wir müssen dazu kommen, dass wir
diesen sogenannten erneuerbaren Wasserstoff in Kapazi-
tätskraftwerke einspeisen, um die Lücken zu schließen.

Das sind alles Punkte, für die es sich lohnt, unser
Hirnschmalz einzusetzen. Wir sollten nicht an diesen
5 Euro pro Monat herumkritteln. Auch wenn die Ener-
giewende nicht zum Nulltarif zu haben ist, so bekommen
wir letztlich etwas dafür, nämlich eine saubere, eine si-
chere und eine autarke Energieversorgung.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Endlich mal eine besonnene Rede! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Immerhin eine nachdenkliche Rede!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719909900

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin

Rita Schwarzelühr-Sutter.


(Beifall bei der SPD)



Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1719910000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr

Koeppen, schöne neue Welt. Nur klaffen zwischen den
Reden und Taten sowie den Beschlüssen der Bundesre-
gierung Welten. Lieb- und lustlos werden da sogenannte
Mittelstandsinitiativen zur Energiewende ins Leben geru-
fen, Plattformen installiert, Energiegipfel veranstaltet.
Dadurch wird mehr als deutlich, dass Sie eigentlich gar
nicht hinter der Energiewende stehen.

Herr Altmaier, Sie haben in der vergangenen Woche
Ihre eigene Ratlosigkeit zu Protokoll gegeben. Sie wol-
len mit allen Seiten reden, aber vor der Bundestagswahl
nichts mehr entscheiden.

Seitdem die schwarz-gelbe Bundesregierung den
Ausstieg beschlossen hat, ist die EEG-Umlage zum
Maßstab für bezahlbare Strompreise geworden und da-
mit für das Gelingen der Energiewende insgesamt. Die
Kanzlerin selbst versicherte noch 2011, dass die EEG-
Umlage auf jeden Fall in der damaligen Größenordnung
bestehen bleibt. Damals lag sie bei 3,5 Cent, heute haben
wir 5,3 Cent pro Kilowattstunde. Hat sie einen Wort-
bruch begangen? Merkel & Co. haben im letzten Jahr
die Anhebung der EEG-Umlage einfach mal aus politi-
schen Gründen verschoben. Das wirkt sich jetzt natür-
lich doppelt aus.


(Beifall bei der SPD)


Hinzu kommt ein Posten, der noch gar nicht auf der
Stromrechnung zu finden ist, nämlich die Haftungsrege-
lung für den Ausschluss von Offshorewindparks. Das
haben Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern noch
gar nicht mitgeteilt. Wo bleibt da die ehrliche Informa-
tion? Stattdessen schüren Sie Ängste bei den Verbrau-

chern, die Energiepreise könnten explodieren, wohl wis-
send, dass dem eigentlich nicht so ist.

Der Strompreis wird in Deutschland steigen, aber er
steigt nicht in erster Linie wegen der Energiewende.
Hinter dem Streit um die EEG-Umlage steckt nämlich
tatsächlich viel mehr. Es ist der Machtkampf zwischen
der Bundesregierung, den Befürwortern und den Geg-
nern der Energiewende sowie den neuen Anbietern und
den etablierten Stromkonzernen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihnen und Ihren Helfern geht es darum, die Energie-
wende zu verzögern, zu blockieren und am liebsten um-
zukehren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Strompreis ist dabei nur Mittel zum Zweck. Die
Energiewende der schwarz-gelben Bundesregierung ent-
puppt sich als die Fortsetzung der alten Energiepolitik
mit neuen Mitteln. Statt der Atomkraftwerke sollen Off-
shorewindparks und neue Kohlekraftwerke den größten
Teil des Stroms liefern – unter der Ägide der Energie-
konzerne. Der Strom wird dann über Tausende von Kilo-
metern neuer Netze zum Verbraucher transportiert.
Großkraftwerke und neue Netze sollen eine sichere und
preisgünstige Stromversorgung und den Energiekonzer-
nen eine sichere Rendite garantieren. Alles wie gehabt.

Die Energiepolitik muss sich aber tatsächlich grundle-
gend ändern und sich auf die Anforderungen der erneu-
erbaren Energien einstellen. Wir haben heute dezentral
fast 25 Prozent erneuerbare Energien beim Strom. Ein
Weiter-so mit dieser Energiepolitik nur ohne Atom geht
deshalb gar nicht.

Die Mitteldeutsche Zeitung hat in einem Artikel vom
12. Oktober 2012 geschrieben – ich zitiere –:

Die Verlogenheit der Energiedebatte hat … einen
neuen Spitzenwert erreicht. Weil die Ökostromum-
lage für private Haushalte Anfang 2013 steigt, ho-
len die Gegner der Energiewende zum Gegenschlag
aus.

Ja, so ist es.

Schwarz-Gelb war sich am Mittwoch in der Aktuellen
Stunde noch nicht einmal zu schade, uns den Vorwurf zu
machen, wir würden die Energiewende zerreden. Für
diesen Akt der Verzweiflung muss man der Koalition
schon fast etwas Mitleid zollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Schwarz-Gelb glaubt, so den Ausstieg aus dem
Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg einleiten
zu können, dann offenbart die Koalition tatsächlich Rea-
litätsferne. Die Wahrheit ist nämlich etwas komplizier-
ter.


(Patrick Döring [FDP]: Oh! Sie kennen die Wahrheit? Ich bin gespannt!)






Rita Schwarzelühr-Sutter


(A) (C)



(D)(B)


Richtig ist, dass der Abschied von Atomkraft und fossi-
len Energieträgern Geld kostet. Ein neues Atomkraft-
werk kostet 5 Milliarden Euro.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wir wollen keine neuen bauen! Das haben wir nicht vor! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wer redet denn davon?)


Wer glaubt denn im Ernst, der Ersatz der deutschen
Atomkraftwerke – und auf lange Sicht auch der Kohle-
kraftwerke – sei umsonst zu haben?


(Patrick Döring [FDP]: Sie kämpfen im vorletzten Jahrhundert!)


Auch Gas und Kohle sind teurer geworden. Die Netzbe-
treiber haben ja schon lange auf eine Laufzeitverlänge-
rung spekuliert. In den letzten zehn Jahren haben sie fast
überhaupt nicht mehr investiert bzw. nur noch das inves-
tiert, was unbedingt notwendig war,


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Was sagt denn EUROSOLAR dazu?)


weil sie, wie gesagt, auf eine Verlängerung der Laufzeit
gesetzt haben.

Bei den Ausnahmeregelungen sind Sie nach dem
Gießkannenprinzip vorgegangen. Zwischen Ihnen und
uns gibt es da durchaus einen Unterschied: Auch wir ha-
ben uns zu den energieintensiven Unternehmen bekannt;
wir sind ja nicht betriebsblind. Aber Sie erweitern den
Umfang der Ausnahmeregelungen mal eben um den
Faktor zehn. Da muss man sich schon die Frage stellen
lassen: Tut man das für die eigene Klientel, oder ist man
wirklich dem Verbraucher verpflichtet?


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Also wirklich! Jetzt reicht es aber!)


Um mehr Sachlichkeit in die Debatte zu bekommen,
haben wir bereits im Sommer dieses Jahres eine Große
Anfrage mit dem Titel „Die Energiewende – Kosten für
Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen“ ge-
stellt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719910100

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Martin Lindner?


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein!)



Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1719910200

Ja, gerne.


Dr. Martin Lindner (FDP):
Rede ID: ID1719910300

Finden Sie es nicht ein bisschen unangemessen, mit

Blick auf uns von „Klientel“ zu reden,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


obwohl Sie mittlerweile die dritte Rednerin von EURO-
SOLAR sind, die hier und heute ganz klar Lobbyismus
betreibt, statt sich ernsthaft an dieser Debatte zu beteili-
gen?


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Hört! Hört! So ist es! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da spricht der Träger des Bundesnebenverdienstkreuzes!)



Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1719910400

Herr Lindner, weil Sie gerade das Thema Lobbyismus

erwähnt haben, komme ich gleich einmal auf Nebenein-
künfte zu sprechen.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein! Es geht mir um Lobbyismus! – Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind einfach peinlich, Herr Lindner!)


Zur Frage, wer von wem Nebeneinkünfte bezieht, kann
ich Ihnen sagen: Erstens habe ich keine Nebeneinkünfte.
Zweitens ist EUROSOLAR ein Verein.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ja, und? – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein ehrenamtlich arbeitender Verein!)


Drittens muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen:


(Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP] nimmt wieder Platz – Ulrich Kelber [SPD]: Stehen bleiben! Bleiben Sie mal stehen, solange Ihre Frage beantwortet wird!)


Wenn Sie Klientelpolitik betreiben, dann ist das nun ein-
mal so; das hat jeder gesehen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Stehen bleiben, bitte! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlechtes Benehmen, Herr Lindner!)


Sie haben Ihrer Klientel mehrere Milliarden Euro zu-
kommen lassen; ich erinnere nur an die Hoteliers. Hinzu
kommt, dass Sie in die Sozialkassen gegriffen haben.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Peinlich, diese Antwort! – Gegenruf des Abg. HansJosef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind peinlich!)


Vor diesem Hintergrund war es schon fast schizophren,
dass Sie am Mittwoch dieser Woche in einer Aktuellen
Stunde über die Auswirkungen der Strompreise auf die
unteren Einkommensschichten diskutieren wollten. Da
müssen Sie sich schon an die eigene Nase fassen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: An Ihrer Stelle würde ich mich da mal ganz stark zurückhalten! Das ist doch purer Klientelismus, was Sie hier machen!)


Es ist doch wirklich ein Armutszeugnis, wenn eine
Regierung, die die Energiewende umsetzen will, noch





Rita Schwarzelühr-Sutter


(A) (C)



(D)(B)


nicht einmal in der Lage ist, Fakten zu liefern. Sie wol-
len eine sachliche Debatte? Ich frage Sie: Wo sind die
Fakten? Wo sind Ihre Antworten auf unsere Fragen? Sie
verweisen nur auf den Februar 2013. Wir wollen Fakten
statt Mythen. Wo bleiben die Zahlen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Die Preissteigerungen stehen doch auf jeder Stromrechnung! Sie müssen nur hingucken! Lesen können Sie doch wohl!)


Wir wollen wissen: Was hätte es uns gekostet, wenn
wir nicht ausgestiegen und Reinvestitionen auf uns zuge-
kommen wären? Sie geben aber keine Antworten, und
Sie haben keine Zahlen. Wenn Sie aber kein Fundament,
keinen Bauplan und keinen Bauleiter haben, dann bleibt
die Energiewende eine ewige Baustelle. Aufgrund Ihrer
Mutlosigkeit, des Fehlens von Entscheidungen und Ihrer
mangelnden Bereitschaft, Verantwortung zu überneh-
men, kommt uns diese Baustelle teuer zu stehen.


(Beifall bei der SPD)


Investitionen werden zurückgestellt. Es gibt Men-
schen, denen der Strom abgedreht wird und die sich
selbst überlassen werden. Außerdem – es wurde schon
darauf hingewiesen – hat diese Koalition im Zuge der
Wohngeldreform die Heizkostenpauschale gestrichen.
Die Energiewende ist aber auch eine Frage der sozialen
Gerechtigkeit. Strom gehört in einem entwickelten Staat
zur Daseinsvorsorge. Wir brauchen eine ehrliche De-
batte darüber, wie die Kosten innerhalb der Gesellschaft
gerechter verteilt werden und wie wir die unteren Ein-
kommensschichten unterstützen und vor Stromabschal-
tungen schützen können.

Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe. Aber Sie schüren Angst. Ich finde, das
Schlimmste ist, dass Sie eine große Errungenschaft des
bisher verfolgten Weges gefährden, nämlich die Beteili-
gung möglichst breiter Bevölkerungskreise. Nichtstun
hat bekanntlich schon viel Unheil erspart. Aber in die-
sem Fall ist es anders. Die Energiewende erfordert Tat-
kraft, Ausdauer und Mut, und die haben Sie nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wollen Sie noch regieren? Wir sind gerne bereit, diese
Aufgabe zu übernehmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719910500

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Erik

Schweickert das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1719910600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um hohe
Strompreise.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, um die Energiewende!)


Sie sind das Resultat einer verfehlten Energiepolitik von
Rot-Grün.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Richtig!)


Das muss man hier zu Anfang einmal deutlich betonen;
denn die Fehlentwicklungen, die zu dem heute so hohen
Strompreis geführt haben, dass wir darüber diskutieren,
haben Sie zu verantworten.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts gelernt aus der Debatte! Immer das Gleiche!)


Eigentlich müssten Sie in den Keller gehen, Buße tun
und dem Verbraucher erklären, dass er heute 5,277 Cent
pro Kilowattstunde mehr für seinen Strom bezahlen
muss, weil Rot-Grün die Solarlobby mit dem EEG be-
glückt hat.


(Beifall bei der FDP – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, weil Sie die Fehler eingebaut haben! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beschäftigen Sie sich besser mit der Weinwirtschaft! – Ulrich Kelber [SPD]: Lesen Sie sich einmal die Antwort der Bundesregierung dazu durch!)


Wir reden heute im Prinzip über den Trittin-Soli. Statt
der angestrebten 5 D-Mark für den Liter Benzin haben
die Grünen jetzt eine EEG-Umlage von gut 5 Cent pro
Kilowattstunde erreicht. Das ist der Grund dafür, dass
wir heute hier zusammen sind.


(Ulrich Kelber [SPD]: Es ist zum ersten Mal, dass ich Sie bei einer bewussten Unwahrheit erwische! Sonst ist er fachbezogen, aber heute erzählt er die Unwahrheit!)


Sie betreiben hier reine Augenwischerei, indem Sie so
tun, als ob Schwarz-Gelb für den Preisanstieg verant-
wortlich ist. Nein, Ursache dafür ist Ihr Erneuerbare-
Energien-Gesetz aus 2000.

Sie haben Traumrenditen über 20 Jahre versprochen,
damit Sie das Ganze von den Verbrauchern nehmen
konnten. Das wollen Sie nicht mehr wissen. Es gibt ein
Dokument des Bundesumweltministerium vom 21. Juli.
Ich zitiere den Titel:

Die wichtigsten Merkmale des Gesetzes für den
Vorrang Erneuerbarer Energien …

Dort heißt es – ich zitiere noch einmal –:

Das EEG sorgt für den Ausbau der umweltschonen-
den erneuerbaren Energien nicht durch Subventio-
nen, sondern durch eine Umlage.


(Ulrich Kelber [SPD]: Welches Jahr?)






Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)


In der Realität heißt das, dass die Verbraucher das heute
durch ihre Stromrechnung spüren.


(Ulrich Kelber [SPD]: 21. Juli welchen Jahres?)


– 2004.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das haben Sie nicht gesagt!)


Diese Umlage ist nichts anderes als eine Subvention
durch den Verbraucher, die Sie ihm aufladen.

Ihr Herr Trittin versucht jetzt, den Verbrauchern Sand
in die Augen zu streuen, indem er vom eigenen Versagen
ablenkt. Sie behaupten, die hohen Strompreise seien der
Entlastung der Unternehmen zu verdanken. Schauen wir
uns das doch einmal an: Von 3,6 Cent pro Kilowatt-
stunde der EEG-Umlage


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht zugehört?)


waren 0,6 Cent Folge der Entlastung der energieintensi-
ven Unternehmen. Merken Sie etwas? 0,6 Cent gegen-
über 3 Cent!

Es ist also klar, wer der wahre Strompreistreiber ist.
Es ist ganz sicherlich nicht die Industrie;


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die Industrie nicht! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja nicht gesagt!)


denn dieses Gesetz sorgt im Gegensatz zu einem Herrn
Trittin für eine Entlastung von Unternehmen, die
850 000 Arbeitsplätze in Deutschland zur Verfügung
stellen. Das haben Sie früher auch schon einmal besser
gewusst, nämlich im Jahre 2003, als Sie eine Änderung
Ihres Erneuerbare-Energien-Gesetzes beschlossen ha-
ben.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie doch einmal auf die Vorredner ein, anstatt Ihr Konzept vorzulesen!)


Damals haben Sie die Härtefallregelungen eingeführt
und geschrieben – ich zitiere wieder –:

Ziel der nachstehenden Regelung ist es, eine erheb-
liche und nicht nur vorübergehende Beeinträchti-
gung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Unterneh-
men zu vermeiden.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, auf die wollen wir es auch begrenzt sehen!)


Also stellen Sie sich doch bitte nicht hin und kritisie-
ren das. Sie waren auch schon einmal ehrlicher in die-
sem Punkt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719910700

Herr Kollege Schweickert, erlauben Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Lenkert?


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1719910800

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719910900

Herr Lenkert, bitte.


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719911000

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege

Schweickert, Sie sprachen gerade davon, dass die ener-
gieintensive Industrie nicht beteiligt ist. Nach einer Stu-
die von Arepo Consult wird die energieintensive Indus-
trie durch die Befreiungstatbestände jährlich um
10 Milliarden Euro entlastet – über alles gerechnet. Die
Befreiung von der EEG-Umlage entlastet sie um 3 bis
4 Milliarden Euro, und auch die Stromsteuerbefreiung
und die Netzentgeltbefreiung machen jeweils mehrere
Milliarden Euro aus. All diese Befreiungen sind vom
Verbraucher, von uns, über ihre Stromrechnungen für zu
Hause zu bezahlen.

Um das hier auch einmal zu sagen: Der Industrie-
strompreis beträgt in Deutschland unter 4 Cent je Kilo-
wattstunde bei Direktabnahme. Ich zahle 26 Cent je Ki-
lowattstunde und frage Sie, ob es nicht gerechtfertigt
wäre, dass wenigstens ein Teil dieser Kosten zurückver-
lagert wird. Alleine die Befreiung von den Netzentgelten
macht inzwischen fast 2 Cent je Kilowattstunde des
Strompreises aus, die wir als Verbraucher mitbezahlen.

Ihre Regierung, Ihre Koalition, hat jetzt den Offshore-
betreibern noch ein neues Geschenk gemacht. Die Ver-
braucherinnen und Verbraucher – die Kollegin von der
SPD sprach es an – müssen jetzt nämlich die Anschluss-
kosten für die Offshorewindparks und gleichzeitig auch
noch die Kosten für die Versicherung übernehmen, falls
es nicht rechtzeitig zum Anschluss kommt.


(Patrick Döring [FDP]: Wie lang soll die Frage denn werden?)


Schon jetzt ist bekannt, dass wir 1 Milliarde Euro da-
für zahlen müssen, was für uns Verbraucherinnen und
Verbraucher drei Jahre lang ein zusätzliches Netzentgelt
von 0,25 Cent pro Kilowattstunde bedeutet. Ist Ihnen das
bekannt, und was wollen Sie dagegen unternehmen?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719911100

Bitte schön.


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1719911200

Herr Kollege, das war jetzt sehr viel. Ich hoffe, ich

habe die Frage richtig verstanden. Sie sprechen davon,
dass Geschenke gemacht werden. Wer in dieser Situation
von Geschenken spricht, der hat den Schuss nicht richtig
gehört;


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)


denn unsere energieintensiven Unternehmen stehen im
Wettbewerb. Ich habe Ihnen gerade die Zahlen genannt.
Angesichts der Kosten von 3 Cent pro Kilowattstunde
für die EEG-Umlage, wovon die Ausnahmen für die Un-
ternehmen nur 0,6 Cent ausmachen, können Sie nicht
von Geschenken reden. Es bringt auch dem Verbraucher
nichts, wenn er nachher seinen Arbeitsplatz verliert, weil
wir die Ausnahmetatbestände abgeschafft haben und
sein Unternehmen schließen musste. Aber nochmals: Es
gab Parteien wie die Grünen, die diese Ausnahmen da-
mals in den Gesetzestext hineingeschrieben haben.

Sie haben gefragt: Wie kommen wir zu bezahlbarem
Strom? Wir alle wissen, dass wir mit den Bestandsgaran-
tien leben müssen. Diese sind von der damaligen Regie-
rung gegeben worden. Was tun wir? Wir sorgen dafür,
dass das weitere Ansteigen des Strompreises gebremst
wird. Aber zurzeit ist es so, dass die Opposition im Bun-
desrat alles verhindert, was man in diesem Bereich tut.

Beim Thema Stromsteuer kann ich nur auf den Kolle-
gen Morlok und die vorliegenden Vorschläge verweisen.
Diesen Weg können wir gerne gemeinsam gehen und die
Windfall Profits, die dabei entstehen, an die Verbraucher
weitergeben. Dafür werden wir uns einsetzen. Aber bitte
tun Sie hier nicht so, als ob das alles Geschenke seien.
Der Verbraucher muss dafür bezahlen.

Das EEG ist nicht mehr zukunftsfähig.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind nicht mehr zukunftsfähig!)


Wir müssen umsteuern, um zu einer bürgernahen Ener-
giepolitik zu kommen; denn der Strom in Deutschland
muss bezahlbar bleiben. Die Energiewende darf hier
nicht auf dem Rücken der Verbraucher ausgetragen wer-
den.


(Beifall bei der FDP)


Wir wollen den Umstieg auf die erneuerbaren Energien,
aber zu akzeptablen Preisen. Es kann auch nicht sein,
dass man dann Sozialtarife und Abwrackprämien für
Energiefresser fordert. Es ist keine Lösung, Subventio-
nen dadurch zu begegnen, dass man immer weitere Sub-
ventionstatbestände schafft. Ich weiß auch nicht, wie
man das in diesem Bereich rechtfertigen soll.

Eine weitere staatliche Überdeckung zulasten der
Verbraucher darf es in diesem Bereich nicht geben. Des-
wegen werden wir uns diesen Vorschlägen, die weitere
Ausgaben und weitere Subventionen vorsehen, entschie-
den entgegenstellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719911300

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

jetzt das Wort der Kollege Johannes Röring von der
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1719911400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe

die ganze Zeit gedacht, wir würden über die Energie-
wende sprechen, eigentlich ein Erfolgsmodell. Ich bin zu
der Erkenntnis gekommen, nicht nur durch diese De-
batte, sondern auch durch die vorhergegangenen zu ei-
nem ähnlichen Thema: Wenn Sozialpolitiker über Wirt-
schaft reden, dann kann das nur schiefgehen. Ich bin sehr
froh, dass Peter Altmaier


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht da ist!)


für die Fortentwicklung der Energiewende verantwort-
lich ist, die ein wichtiges Thema für uns als Kolitions-
fraktion ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eigentlich wollten wir über etwas anderes sprechen,
und zwar über den Antrag der Linken, in dem es um eine
soziale Energiewende und um bezahlbare Strompreise
geht. Ich habe in Ihrem Antrag etwas über kostenlose
Stromkontingente gelesen. Dazu stelle ich die Frage:
Sind diese wirklich sozial? Ich sage Ihnen: Sie sind nicht
sozial. Wissen Sie, wer das am Ende bezahlen muss?
Fleißige Handwerker, fleißige Arbeitnehmer, die jeden
Morgen zur Arbeit gehen und ihre Steuern zahlen. Sie
bezahlen dann am Ende mit ihren Abgaben diese Trans-
ferleistungen. Da sage ich Ihnen ganz deutlich: Das ist
nicht sozial.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


Arbeitslosigkeit bekämpft man nicht durch das Aufblä-
hen von Transferleistungen, sondern dadurch, dass man
Menschen in Lohn und Arbeit bringt. Das macht die
CDU/CSU sehr deutlich. Sozial ist, was Arbeit schafft.

Die Linke kritisiert die Befreiung der energieintensi-
ven Unternehmen von der EEG-Umlage als Privilegie-
rung der Großindustrie. Ich sage Ihnen sehr deutlich:
Unsere Industrieunternehmen stehen im Wettbewerb mit
Unternehmen in Ländern, in denen es kein EEG gibt. In
Frankreich etwa sind die Stromkosten noch nicht einmal
so hoch wie unsere EEG-Umlage.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)


Insofern ist es an dieser Stelle mehr als notwendig, diese
Befreiungstatbestände zu gewähren; denn wir wollen in
diesen energieintensiven Wirtschaftszweigen wettbe-
werbsfähige Unternehmen.


(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719911500

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Kipping?


Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1719911600

Ja, bitte.






(A) (C)



(D)(B)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719911700

Herr Röring, diese Zwischenfrage ist leider notwen-

dig, weil Sie gerade das Modell der Linken zu einem So-
ckeltarif vollkommen falsch und verzerrt wiedergegeben
haben. Sie haben hier – wie im Übrigen schon oft die
Kollegen der Koalition – versucht, Erwerbslose gegen
Handwerker und Beschäftigte auszuspielen. Ich muss
aber sagen: Wie so oft ging dieser Vorwurf bzw. dieser
Versuch an der Sache vorbei. Wenn Sie sich die Mühe
gemacht hätten, das linke Modell genau anzuschauen,
wäre Ihnen das aufgegangen.

Insofern frage ich Sie, warum Sie sich das nicht genau
angeschaut haben. Dann hätten Sie bemerkt, dass von
unserem Modell eben alle – Soloselbstständige, Hand-
werker, Beschäftigte und Hartz-IV-Betroffene – profitie-
ren; denn unser Modell des Gratis-Sockels ist für alle
Haushalte vorgesehen. Finanziert wird es durch eine
stärkere Bepreisung des Stroms, der darüber hinaus ver-
braucht wird. Ich habe es dargelegt. Unser Modell be-
vorteilt all diejenigen Haushalte, die weniger Strom ver-
brauchen, als es der Durchschnitt macht. Das heißt, es
gibt sehr wohl eine soziale Dimension; denn wir wissen,
dass Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen
einen höheren Stromverbrauch haben. Sie könnten aber
gegensteuern, indem sie einfach weniger Strom verbrau-
chen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Ihr
Versuch, Erwerbslose gegen Handwerker auszuspielen,
mal wieder danebengegangen ist?


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1719911800

Ich habe beim Lesen Ihres Antrages nur feststellen

können, dass es ein linkes Modell ist,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja, ein soziales! Danke!)


das mit Umverteilung arbeitet. Dazu sage ich ganz deut-
lich: Das Umverteilen muss von irgendwem bezahlt wer-
den. Deshalb habe ich die fleißigen Menschen angespro-
chen, die das mit Lohnsteuern bzw. Einkommensteuern
bezahlen müssen. Ich habe deutlich gesagt: Das ist für
mich nicht sozial. Wir müssen, wenn wir über große Un-
ternehmen sprechen, auch die Zulieferer, die kleinen
mittelständischen Unternehmen, die ganz klar von die-
sen Entwicklungen profitieren, sehen.

Ich komme noch einmal ganz kurz auf das EEG ins-
gesamt zurück. Wir in der Koalition haben ganz deutlich
gesagt, dass wir die Einspeisungstarife – gerade bei PV –
herunterfahren müssen. Meine Damen und Herren, ich
schaue in die ersten Reihen der Opposition. Als wir an-
gekündigt haben, die EEG-Umlage bzw. die EEG-Ver-
gütung bei PV, auch gemessen an der Kostensenkung bei
den Anlagen, deutlich abzusenken, standen einige aus
der ersten Reihe der Opposition mit den Solarkönigen
– Sonnenkönige kann man auch sagen – hier vor dem
Bundestag und haben demonstriert.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht gegen die Senkung, sondern gegen die anderen Fehler!)


Uns wurde vorgeworfen, wir machten die gesamte So-
larindustrie kaputt. Das muss man an der Stelle ganz
deutlich sagen.

Wir wissen, dass die EEG-Umlage sehr hoch ist. Ich
bezweifle auch gar nicht, dass es für die Bürger eine sehr
große Anstrengung ist, diese mitzahlen zu müssen. Ich
erkenne aber bei Ihnen kein Konzept, wie wir die Ener-
giewende marktwirtschaftlich gestalten können. Wir ha-
ben jetzt mittlerweile einen 25-prozentigen Anteil rege-
nerativer Energien. Das ist weit über Plan bzw. weit
mehr, als sich jeder von Ihnen hätte erträumen lassen.
Dass wir jetzt bei 25 Prozent angelangt sind, ist im
Grunde eine Erfolgsgeschichte. Sie wollen das im Mo-
ment zerreden.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollen wir ausweiten!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719911900

Herr Kollege Röring, auch der Kollege Kelber hat das

Bedürfnis, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. Ich sage
aber gleich, dass es die letzte Zwischenfrage ist, die ich
zulasse.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1719912000

Herr Kollege, Sie haben gerade kritisiert, dass die Op-

position die Absenkung der PV-Vergütung verzögert
habe. War es vom Ablauf her nicht vielmehr so, dass
sich die Koalition am 29. März 2012 auf die Absenkung
zum 1. April verständigt hatte und dass dann nach der
gemeinsamen Sitzung im BMU mit der hiesigen Opposi-
tion zum 1. April genau diese Absenkung kam? Die ge-
samte Debatte lief nämlich nur über technische Fragen.
Da ging es zum Beispiel um Überbürokratisierung mit
einem dritten Zähler im Keller etc. Ist es nicht so, dass
kein einziger Cent durch die Opposition verlorenging
und dass kein einziger Tag Verzögerung durch die Oppo-
sition bewirkt wurde?


Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1719912100

Herr Kelber, ich habe nicht nur das 2012er-EEG an-

gesprochen; beim 2009er ist es ähnlich. Ich habe einfach
meine Beobachtung geschildert, dass bei der notwendi-
gen Absenkung, die wir eigentlich noch etwas ehrgeizi-
ger wollten, von Ihnen – auch von Ihnen persönlich – zu-
sammen mit anderen erheblicher Widerstand kam.


(Ulrich Kelber [SPD]: CSU, ja!)


Das hatte einen medialen Druck ausgeübt, der nicht un-
bedingt günstig war für die schnelle Absenkung, die wir
wollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich komme zum Schluss. Ich bin froh, dass wir mit
Peter Altmaier, Herrn Rösler und vor allen Dingen unse-
rer Bundeskanzlerin keine Politiker haben, die ruckartig,
schnell und von heute auf morgen vorgehen. Ihnen geht
es vielmehr darum, die Energiewende in langfristiger
Perspektive zum Gelingen zu führen. Es ist ein schwieri-
ges Manöver. Ich stelle fest: Wenn Rot-Grün das machen





Johannes Röring


(A) (C)



(D)(B)


müsste, würde es nur Schiffbruch erleiden. Die Anträge
von Grünen und Linken lehnen wir somit ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719912200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/10800 und 17/11030 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der
CDU/CSU und FDP wünschen Federführung jeweils
beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wün-
schen Federführung jeweils beim Ausschuss für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Ich lasse zuerst abstimmen über die Überweisungs-
vorschläge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen. Wer stimmt für diese Überweisungsvor-
schläge? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Über-
weisungsvorschläge sind abgelehnt mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustim-
mung der Linken und der Grünen.

Ich lasse nun abstimmen über die Überweisungsvor-
schläge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Techno-
logie. Wer stimmt für diese Überweisungsvorschläge? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Überweisungs-
vorschläge sind mit dem gleichen Stimmenverhältnis nur
in umgekehrter Form angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Verbesserung der steuerlichen För-

(Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz – AltvVerbG)


– Drucksache 17/10818 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach von
der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1719912300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu

Recht ist das Thema der Altersvorsorge hier im Parla-

ment ein Dauerbrenner, es bleibt eines der wichtigsten
Themen auf der Tagesordnung.

Die größte Herausforderung in den nächsten 20 Jah-
ren ist für uns die demografische Entwicklung, das heißt,
der Altersaufbau unserer Gesellschaft. Wir haben derzeit
in Deutschland etwa 20,5 Millionen Rentenbezieher, und
nach den Prognosen werden wir in 20 Jahren etwa 30 Mil-
lionen Rentenbezieher haben. Für die meisten ist die
wichtigste Säule nach wie vor die gesetzliche Rentenver-
sicherung. 17 Millionen deutsche Arbeitnehmer haben
bereits eine betriebliche Altersvorsorge. Inzwischen ha-
ben auch etwa 15,6 Millionen einen Riester-Vertrag ab-
geschlossen, das heißt, sie sorgen auch privat durch eine
staatliche geförderte Altersvorsorge vor.

Die Riester-Rente ist inzwischen zehn Jahre alt. Vor
zehn Jahren ist diese Rentenform unter Rot-Grün aufge-
baut worden. Die Große Koalition hat sie vor wenigen
Jahren erweitert, beispielsweise durch eine deutlich bes-
ser steuerlich geförderte Kinderzulage und auch durch
den Einbezug der eigenen Immobilie in den Förderpro-
zess.

Mit dem Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz wollen
wir die bestehende Rechtslage deutlich verbessern und
flexibler gestalten; denn der Markt ist für den einzelnen
Konsumenten, der später eine Riester-Rente beziehen
möchte, doch sehr komplex und sehr kompliziert: Man
kann einen Abschluss tätigen über eine Rentenversiche-
rung, man kann ihn tätigen über einen Sparvertrag, einen
Investmentvertrag oder beispielsweise über einen soge-
nannten Wohn-Riester-Vertrag, also einen Bausparver-
trag.

Hier gibt es gute Anbieter, aber auch viele schlechte
Anbieter, wie mancher Test, zum Beispiel bei Finanz-
test, in den letzten Jahren gezeigt hat. Deswegen ist es
unser Ziel, die bestehende Situation transparenter, flexi-
bler zu gestalten und bürokratische Hindernisse zu ver-
meiden.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dazu möchte
ich Ihnen fünf Positionen aus dem Entwurf des Alters-
vorsorge-Verbesserungsgesetzes vortragen.

Die Erste ist das sogenannte Produktinformations-
blatt. Für den einzelnen Nutzer des Riester-Sparvertra-
ges wird es grundsätzlich ein Produktinformationsblatt
geben, in dem gebündelt, leicht verständlich und auch
standardisiert die Leistungen, die Garantien und auch die
Kosten dargestellt werden; denn für uns ist einer der
wichtigsten Punkte, dass der Wettbewerb durch mehr
Transparenz gestärkt wird, dass der Einzelne erkennt,
welche Kosten, Leistungen und Garantien im Vertrag
enthalten sind. Es geht hier auch um eine Kostenreduzie-
rung für den Verbraucher, indem er erkennt, welcher
Vertrag der günstigste für ihn ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben in diesem Gesetzentwurf ausdrücklich
festgehalten, dass für den Einzelnen ein Anbieterwech-
sel möglich ist. Es kann sich für den Riester-Sparer eine





Klaus-Peter Flosbach


(A) (C)



(D)(B)


neue persönliche Situation ergeben. Deswegen soll auch
ein Anbieterwechsel möglich sein.

Wir haben allerdings auch erfahren, dass vielfach ver-
sucht wird, aus bestehenden Verträgen abzuwerben,
möglicherweise aus Provisionsgründen. Deswegen wer-
den neue Verträge aufgrund eines Anbieterwechsels nur
maximal mit 50 Prozent der üblichen Abschluss- und
Vertriebskosten belegt werden können.

Meine Damen und Herren, inzwischen hat der soge-
nannte Wohn-Riester eine sehr hohe Bedeutung. Diesen
gab es zu Beginn der Riester-Förderung noch nicht.
80 Prozent der Deutschen wünschen sich eine eigene
Immobilie, ein eigenes Haus, eine eigene Wohnung, aber
nur etwa 40 Prozent können diesen Wunsch verwirkli-
chen. Dazu ist die Förderung in diesem Bereich ein sehr
wichtiger Baustein; denn wir haben heute nicht mehr die
Eigenheimförderung, wie wir sie früher einmal hatten
– bekannt unter den §§ 7 b, 10 e Einkommensteuerge-
setz –, und andere Fördermöglichkeiten.

Bisher gab es nur zwei Möglichkeiten, das Guthaben
aus diesem Vertrag zu entnehmen. Eine Möglichkeit be-
stand in der Kauf- oder Bauphase. Es musste also ein
Kauf, eine Anschaffung getätigt werden, oder es musste
eine Herstellung vorgenommen werden, indem gebaut
wurde. Nur in dieser Phase konnte der Sparer sein Gut-
haben entnehmen. Eine weitere Möglichkeit bestand,
wenn er ins Rentenalter kam. Dann konnte er das Gutha-
ben entnehmen, um damit möglicherweise Kredite abzu-
bauen.

Das entspricht aber nicht dem Wunsch der Riester-
Sparer; denn sie möchten jederzeit über das Guthaben
verfügen, um möglicherweise zwischendurch Entschul-
dungen vornehmen zu können. Deswegen ändern wir
das Gesetz an der Stelle, indem wir sagen: Jederzeit
kann der Sparer sein Guthaben entnehmen. Das schafft
für ihn Klarheit und Sicherheit, und er kann seine Finan-
zierung in seinem Sinne selbst kalkulieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zum Bereich des Wohn-Riesters gehört auch die Be-
steuerung des Wohnförderkontos. Wer eine Förderung
bekommt, muss im Alter auch Erträge versteuern. Das
gilt auch für die Wohnimmobilie.

Hierzu gab es zwei Möglichkeiten: Man konnte das
ratierlich, ausgedehnt bis zum 85. Lebensjahr machen
oder sich in einer Einmalzahlung der Steuerpflicht entle-
digen. Auch hier sagen wir nun: Jederzeit kann der Spa-
rer diese Steuern abführen. Er wird damit auf alle Zeiten
von weiteren Steuerzahlungen befreit. Wenn er die Mög-
lichkeit der Einmalzahlung in Anspruch nimmt, erhält er
30 Prozent Rabatt auf die Steuerzahlung.

Ein weiterer Punkt in diesem Bereich ist folgender:
Für uns ist sehr wichtig, dass diese Förderung nicht nur
für den Fall in Anspruch genommen werden kann, dass
man baut, kauft oder im Alter das Darlehen ablösen will;
denn für viele ist das Guthaben in dem Riester-Vertrag
oftmals das einzige Guthaben, das sie haben, um bei-
spielsweise im Alter das Haus oder die Wohnung alters-
gerecht, behindertengerecht oder barrierefrei umzu-

bauen. Es war bisher untersagt, das Geld dafür zu
verwenden. Auch das ändern wir jetzt. Das ist ein beson-
derer Wunsch der Bürger. Ich glaube, diesem Wunsch
gerecht zu werden, kann nur der richtige Weg sein, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte noch kurz einen weiteren Baustein erwäh-
nen. Es geht um die Erwerbsminderungsrente. Bisher
können nur 15 Prozent der Beiträge zur Riester-Rente
für die Erwerbsminderung genutzt werden. Wir erhöhen
dies leicht auf 20 Prozent. Das ist nur ein kleiner Bau-
stein. Aber wir haben auch die Möglichkeit geschaffen,
in der sogenannten Basisrente die Erwerbsminderung
stärker zu fördern. Das heißt, wer einen Vertrag über die
sogenannte Basisrente oder Rürup-Rente abschließt,
kann beispielsweise seine Beiträge zur Berufsunfähig-
keitsversicherung absetzen, wenn neben der Absiche-
rung der möglichen Berufsunfähigkeit auch eine Alters-
rente gezahlt wird.

Wir haben insgesamt für den Aufbau einer eigenen
zusätzlichen Altersvorsorge die Förderhöchstgrenze von
20 000 Euro auf 24 000 Euro erhöht. Sehr viele Men-
schen sind nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
und können auch nicht auf eine betriebliche Altersver-
sorgung oder auf ein Versorgungswerk zurückgreifen.
Ihnen bieten wir die Möglichkeit, Beiträge für eine ei-
gene Altersvorsorge anzusammeln.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Ich denke, diese Bausteine schaffen es, die Riester-Ver-
träge deutlich attraktiver zu machen. Ich erinnere die
Kollegen der SPD-Fraktion daran, dass immerhin Herr
Walter Riester vor wenigen Tagen bei der Hauptstadt-
messe der Fonds Finanz in Berlin deutlich gesagt hat,
dass dies eine ausgesprochen attraktive Verbesserung der
Riester-Rente ist.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719912400

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin

Petra Hinz.


(Beifall bei der SPD)



Petra Hinz (SPD):
Rede ID: ID1719912500

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Flosbach, Sie ha-
ben das alles gerade sehr charmant und gewinnend vor-
getragen.


(Zuruf von der FDP: So ist er halt!)


– So ist er halt. Das kann ich in der Tat bestätigen. Aber
das ist das Einzige, das ich heute bestätigen werde.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das kenne ich auch!)


Was Sie vorgetragen haben, hört sich vielleicht für
den Laien oder den, der an eine private kapitalgedeckte
Altersvorsorge denkt, um damit sein Alter abzusichern,





Petra Hinz (Essen)



(A) (C)



(D)(B)


sehr gut an. Aber jetzt wollen wir einmal zum Kleinge-
druckten übergehen. Denn das, was Sie angesprochen
haben, bringt für die Nutzer von Rürup- und Riester-
Rente zum Teil eine Ungleichgewichtung. Insofern ist
das, was Sie gerade vorgetragen haben, Augenwischerei.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben vor der Sommerpause den Antrag der
Fraktion Die Linke „Altersvorsorge von Finanzmärkten
entkoppeln“ im Plenum beraten und ihn an den Finanz-
ausschuss weitergeleitet. Heute beraten wir in erster Le-
sung den Gesetzentwurf der Regierungskoalition.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte über die
Altersvorsorge – das haben wir gerade gehört – bezieht
sich eigentlich auf zwei Ebenen. Die eine Ebene ist die
Rente im Allgemeinen, und die andere ist die kapitalge-
deckte Altersvorsorge. Die erste Ebene wird sicherlich
und zu Recht im Ausschuss für Arbeit und Soziales und,
wie wir gerade gehört haben, auch in anderen Bereichen
diskutiert, und die zweite bei uns im Finanzausschuss.

Trotz alledem möchte ich gerne auch auf die erste
Ebene eingehen, zumal Herr Flosbach gerade noch ein-
mal auf die Bedeutung hingewiesen hat und die Zahlen
der zukünftigen Rentner bzw. der Nutzer genannt hat,
also derjenigen, die bereits Riester- und vergleichbare
Verträge abgeschlossen haben. Wir haben in unserer Re-
gierungszeit 1998 bis 2009 dafür gesorgt, dass die ge-
setzliche Rentenversicherung die zentrale Säule der Al-
tersvorsorge bleibt.


(Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihr habt sie massakriert!)


Das haben Sie verschwiegen, Herr Flosbach.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Leben Sie mal schön weiter in der Vergangenheit! Wir kümmern uns um die Zukunft!)


Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union und der
FDP, erinnern sich vielleicht an die Diskussionen zur
Abschaffung der umlagefinanzierten gesetzlichen Ren-
tenversicherung und zum völligen Umstieg auf eine pri-
vat finanzierte kapitalgedeckte Altersvorsorge. Das ist
noch gar nicht so lange her.

In der Zwischenzeit kam die Finanzkrise. Die Finanz-
krise hat deutlich gemacht, dass unser Weg der richtige
ist: auf einer Seite die gesetzliche Rentenversicherung,
auf der anderen Seite die privat durch Kapital gedeckte
Vorsorge und auf der dritten Seite die betriebliche Al-
tersvorsorge. Auch das ist gerade genannt worden. Aber
auch hier müssen wir der Deutlichkeit und Ehrlichkeit
halber sagen: Nicht jeder hat die Chance und Möglich-
keit einer betrieblichen Altersvorsorge.

Heute reden wir also über die drei Säulen, die wir So-
zialdemokraten gemeinsam mit den Grünen in der Koali-
tion auf den Weg gebracht haben: die gesetzliche Rente,
die betriebliche Altersvorsorge und die private, kapital-
gedeckte Vorsorge. Richtig ist: Wir haben 2008 Wohn-
Riester eingeführt und deutlich gemacht, dass alle
Riester-Produkte vergleichbar sein müssen und dass kei-
nes privilegiert wird. Ihr Gesetz, dessen Entwurf nun

vorliegt, bedeutet eine Privilegierung von Wohn-Riester.
Man muss in diesem Zusammenhang über die Frage dis-
kutieren, ob eine Immobilie immer im klassischen Sinne
zur Altersvorsorge taugt. Des Weiteren müssen wir im
weiteren Beratungsverlauf über Doppelförderung und
Doppelfinanzierung diskutieren.

Die von uns mitgetragene Rentenreform und der Aus-
bau privater Altersvorsorge als Ergänzung und nicht
– ich betone das noch einmal – als Ersatz, wie von CDU/
CSU und FDP gefordert, hatten vor allem das Ziel, die
nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversi-
cherung zu sichern und die Belastung gerade jüngerer
Generationen nicht zu groß werden zu lassen. Liebe Kol-
leginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP, wenn
wir über die Rentenvorsorge diskutieren, dürfen wir
nicht den Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt und den
Arbeitsplätzen aus den Augen verlieren. Menschen, die
arbeiten und letzten Endes aufstocken müssen, also
Arbeitslosengeld II beziehen, werden natürlich keine
Riester-Verträge abschließen – seien diese noch so opti-
mal für die Gruppe der Geringverdiener zugeschnitten –,
weil sie mit dem, was sie für ihre Arbeit erhalten, gar
nicht auskommen. Sie haben also kein auskömmliches
Einkommen. Insofern stellt sich hier die Frage nach der
Ehrlichkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass Mindest-
löhne eingeführt werden, dass für gleiche Arbeit der
gleiche Lohn gezahlt wird und dass Frauen bei gleicher
Qualifikation entsprechend gefördert und berücksichtigt
werden. Das sind Ansätze, die es Menschen ermögli-
chen, während ihres Berufslebens für das Alter anzuspa-
ren und so nicht in Altersarmut zu geraten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über die Erfahrungen, die wir in den letzten zehn Jah-
ren mit Riester und seit 2008 mit Rürup gesammelt ha-
ben, haben wir bereits vor der Sommerpause hier disku-
tiert. Wir haben eingeräumt: Es gibt Optimierungs- und
Transparenzbedarf. Genau diesen Punkt Ihres Gesetzent-
wurfs greifen wir möglicherweise positiv auf. Aber es
handelt sich nur um einen Punkt. Die Produktinforma-
tionsblätter müssen so gestaltet sein, dass die Produkte
nachvollziehbar, transparent und vergleichbar sind. Dem
können wir so zustimmen. Bereits in der Debatte vor der
Sommerpause, als wir uns zum ersten Mal aufgrund ei-
nes Antrags der Fraktion Die Linke damit befasst haben,
haben wir Sozialdemokraten darauf verwiesen, dass
auch Kostentransparenz gegeben sein muss. Die Gebüh-
ren müssen gedeckelt werden. Am besten wäre es, wenn
gar keine Gebühren erhoben würden. Auf jeden Fall
muss das auf den Prüfstand gestellt werden. Die Kosten-
transparenz muss optimiert werden.

Der Gesetzentwurf geht sicherlich in die richtige
Richtung. Aber gemessen an Ihren großen Ankündigun-
gen muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Sie sind als Bett-
vorleger gelandet. Sie haben zwar viel Wind gemacht
und für Wirbel gesorgt. Aber unter dem Strich haben Sie
nichts auf den Weg gebracht.

Ein anderer Punkt, den wir in der Diskussion über die
steuerliche Förderung der kapitalisierten Altersvorsorge
angesprochen haben, ist die Grundsicherung. Für viele





Petra Hinz (Essen)



(A) (C)



(D)(B)


Menschen ist ein Grund, keinen Riester-Vertrag abzu-
schließen, dass sie sich ausrechnen, aufgrund des gerin-
gen Entgelts, das sie für ihre Arbeit bekommen, im Alter
in die Grundsicherung zu geraten. Das ist ein großer
Baustein; das müssen wir angehen. Es kann nicht sein,
dass das, was für das Alter angespart wird, möglicher-
weise angerechnet wird. Nein, auch denjenigen, die
Grundsicherung beziehen, müssen die Erlöse der
Riester-Rente zur Verfügung gestellt werden.


(Beifall bei der SPD)


Wir sind jetzt im parlamentarischen Prozess und wer-
den über den Gesetzentwurf diskutieren, ihn beraten.
Unsere Verbesserungsvorschläge werden wir einbringen.

Ich kann Ihnen nochmals bestätigen und auch zusa-
gen: Die Punkte, in denen Sie uns gefolgt sind, nämlich
im Bereich der Transparenz und der Gebührendecke-
lung, werden wir gern mittragen.

Warum Sie bei der Basisrente im Alter die Förder-
höchstgrenze von 20 000 Euro auf 24 000 Euro erhöhen
und damit eine einseitige Förderung vornehmen wollen,
die Förderhöchstgrenze bei der Riester-Rente aber bei
2 100 Euro belassen wollen, das müssen Sie uns schon
noch erklären. Es sind einige Fragen, die geklärt werden
müssen. In diesem Zusammenhang ist das, wie eben ge-
sagt, die Frage, warum Sie die Förderhöchstgrenze ohne
Not auf 24 000 Euro erhöhen wollen, obwohl doch bei
20 000 Euro die Abschöpfung noch nicht erreicht ist.


(Frank Schäffler [FDP]: Weil die Beitragsbemessungsgrenze gestiegen ist!)


Das sind die Fragen, die wir im Rahmen der Beratungen
noch ansprechen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne
wünsche ich uns eine gute Beratung. Vielen Dank für
Ihre Aufmerksamkeit. Wie wir im Ruhrgebiet sagen:
Glück auf!

Ich hoffe, Ihnen ist bei meinen Ausführungen deutlich
geworden, lieber Herr Flosbach, dass wir über die steu-
erlichen Fragen reden können, aber Ursache und Wir-
kung nicht verwechseln dürfen.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Höhe der Arbeitslosigkeit, die wir heute haben! Funktionierende Wirtschaft! Lokomotive in Europa!)


Faire Löhne und ein auskömmliches Einkommen sind
sehr wichtig, wenn man eine Altersvorsorge aufnehmen
will. Nur wer faire Löhne bekommt, kann auch für sein
Alter vorsorgen.

Wir haben eine Verantwortung für die junge Genera-
tion. Wir können ihr nicht immer mehr aufbürden. Wir
sollten deutlich ansprechen, ob wir mit Ihrem Gesetzent-
wurf Klientelpolitik betreiben oder ob wir gleiche Förde-
rung für alle, Riester- und Rürup-Verträge, gewähren
wollen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719912600

Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von

der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Frank Schäffler (FDP):
Rede ID: ID1719912700

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsi-

dent! Frau Hinz, bevor Sie hier Vermutungen äußern,
sollten Sie sich über die Sachlage informieren.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Ein wichtiger Hinweis! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Arroganz! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: 1 Prozent bei den Sympathiewerten haben Sie jetzt! Das passt zu dem Auftritt!)


Schon heute ist es so, dass auf die Grundsicherung die
Rürup-Rente, also die Basisrente, wie auch die Riester-
Rente nicht angerechnet werden.


(Zuruf)


– Nein, das ist schon heute der Fall.

Das Gesetz trägt den richtigen Namen, nämlich „Al-
tersvorsorge-Verbesserungsgesetz“; denn darum geht es.
Wir wollen letztendlich die Flexibilität und den Spiel-
raum für die individuelle Altersvorsorge verbessern
– das ist das Ziel dieses Gesetzes –, und das machen wir
auch; das machen wir sehr konkret.

Was wir zum Beispiel beim Wohn-Riester einführen,
ist letztendlich nichts anderes als die Schaffung des Ka-
pitalwahlrechts, damit die Menschen selbst entscheiden
können, was sie mit ihrem Geld machen, ob sie es ver-
renten lassen, ob sie es in ihre Immobilie investieren
oder in der Rentenphase zur Tilgung für ihre Immobilie
nutzen. Das ist mehr Freiheit, die die Menschen durch
das Gesetz bekommen.

Das Gesetz folgt auch, finde ich, steuerpolitisch ei-
nem richtigen Ansatz; denn steuerpolitisch muss es egal
sein, ob man heute konsumiert oder im Alter konsumiert.
Aber das ist in unserem Steuerrecht leider nicht so. Wer
normal spart, dem nimmt der Staat von den Zinsen, von
der Ernte, jedes Jahr etwas weg.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Beim Ernten muss man säen, hier kriegt man das Geld so einfach!)


Wenn man das über einen langfristigen Sparprozess be-
trachtet, erkennt man: Der Staat nimmt nicht nur 25 Pro-
zent plus Soli plus Kirchensteuer weg, sondern er wird
dem Normalverdiener am Ende 50 bis 60 Prozent weg-
genommen haben.

Deshalb hat Rot-Grün das damals geschaffen. Sie von
Rot-Grün haben nämlich Anreize dafür geschaffen, dass
Sparen nicht diskriminiert wird, sondern dass Sparen ge-
nauso behandelt wird wie der Konsum heute. Das ist
steuerpolitisch aus meiner Sicht genau richtig.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Skandal!)






Frank Schäffler


(A) (C)



(D)(B)


– Das ist kein Skandal,


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Doch! Das ist die Privilegierung einer Einkommensart!)


sondern das ist genau richtig.

Aber was falsch ist, ist das, was Ihr Parteivorsitzender
vorgeschlagen hat, nämlich dass man aus individuellem
freiwilligen Sparen eine Pflicht zum Sparen macht. Das
ist genau der falsche Ansatz. Wir wollen die Menschen
nicht zu ihrem Glück zwingen, ihnen nicht vorschreiben,
ob sie heute sparen oder morgen sparen, ob sie heute
konsumieren oder morgen konsumieren, sondern wir
wollen, dass die Menschen das selbst entscheiden, auch
entscheiden, woraufhin sie sparen. Das ist entscheidend.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann geraten sie millionenfach in die Altersarmut! Das ist die Konsequenz!)


Was Ihr Parteivorsitzender vorgeschlagen hat, ist im
Kern ein Angriff auf das Eigentum der Bürger. Er hat
vorgeschlagen, dass 2 Prozent des Einkommens in eine
betriebliche Altersvorsorge eingezahlt werden müssen.
Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. Jemand,
der monatlich 2 000 Euro verdient, soll nach dem Vor-
schlag Ihres Parteivorsitzenden jedes Jahr zwangsweise
480 Euro in eine betriebliche Altersvorsorge einzahlen.
Das kann doch keine vernünftige Forderung sein. Wenn
Menschen für eine Immobilie sparen, haben sie viel-
leicht gar nicht die Möglichkeit, zusätzlich etwas für
eine betriebliche Altersvorsorge beiseitezulegen.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Menschen, die keinen Mindestlohn haben, haben auch keine Immobilie! Von welchen Menschen reden Sie?)


– Von Ihrem Parteivorsitzenden rede ich.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Sie reden gerade über Menschen, die nicht den Mindestlohn bekommen!)


Er hat das vorgeschlagen, das ist sein Papier „Altersar-
mut bekämpfen – Lebensleistung honorieren – Flexible
Übergange in die Rente schaffen“.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Reden Sie über Ihren Gesetzentwurf!)


Ihr Parteivorsitzender hat vorgeschlagen, dass jeder Ar-
beitnehmer, der 2 000 Euro Einkommen hat, 480 Euro in
eine betriebliche Rente einzahlen soll.

Das ist keine soziale Politik, sondern Gängelung des
Sparers; geben Sie es doch zu!


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was Sie machen, ist auch keine soziale Politik! Sie treiben die Menschen in die Altersarmut!)


– Doch, das ist soziale Politik: weil wir die Menschen in
die Lage versetzen, so vorzusorgen, wie sie es für richtig
empfinden,


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Betreuungsgeld!)


ob durch Vorsorge für die Ausbildung der Kinder, ob
durch Sparen auf eine Immobilie, ob durch eigene Al-
tersvorsorge. Das ist eine Entscheidung, die jeder Ein-
zelne höchstpersönlich treffen können muss.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber nur wer das Geld hat! Millionen haben das nicht!)


Das darf Herr Gabriel den Menschen nicht vorgeben.
Das ist nicht unsere Vorstellung von vernünftiger Politik.

Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wir
auf diese Krise, die ja eine Verschuldungskrise ist,


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist keine Verschuldungskrise! – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist eine Finanzund Bankenkrise!)


anders reagieren als Sie. Auf eine Verschuldungskrise
muss man mit einer Sparkultur reagieren. Das heißt, man
darf Sparen nicht diskriminieren. Zur Wahrheit gehört:
Inflation und finanzielle Repression führen dazu, dass
Sparen unterminiert wird, dass Sparen unattraktiv wird.
Deshalb müssen wir alle darauf achten, dass das, was die
Menschen in die Altersvorsorge stecken, durch Inflation
oder finanzielle Repression nicht aufgezehrt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Wir brauchen erst einen Mindestlohn! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die müssen erst mal was haben, was sie reinstecken können!)


Das wusste Ludwig Erhard, als er sagte:

Die Inflation muß vielmehr als das hingestellt wer-
den, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am
Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkom-
mens, aber noch mehr um seine Ersparnisse ge-
bracht wird.

Wir sollten alle darauf achten, dass das nicht stattfindet.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gut, dass das nur noch 4 Prozent der Wählerinnen und Wähler so sehen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719912800

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege

Matthias Birkwald das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719912900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mit dem Entwurf des Altersvorsorge-Verbes-
serungsgesetzes soll die Riester-Rente transparenter und
vergleichbarer werden. Das hört sich für all jene, die sich
schon mit dem Dickicht der privaten Altersvorsorge be-
schäftigen mussten, gut an. Wer im Dunkeln steht, kann
eine Taschenlampe gut gebrauchen.

Auch wir Linken wollen, dass jene Menschen, die be-
reits Riester-Verträge abgeschlossen haben, nicht allein-





Matthias W. Birkwald


(A) (C)



(D)(B)


gelassen werden. Doch die Linke will keineswegs zuse-
hen, wie immer mehr Menschen in das Gestrüpp der
privaten Altersvorsorge geschickt werden; denn eine Ta-
schenlampe ändert am Dickicht nichts. Die Linke will
das Dickicht roden, statt es nur ein wenig auszuleuchten.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist dringend nötig, das wäre verantwortungsvoll,
und das wäre auch machbar.

Doch Union und FDP wollen die kapitalgedeckte Al-
tersvorsorge stärken – so steht es im Gesetzentwurf –
und dazu die Riester-Rente ein wenig aufhübschen. Die
Bundesregierung will uns glaubhaft machen, dass mit
ein wenig Nachhilfe die Riester-Rente sich so entwi-
ckeln könnte wie das hässliche Entlein, das nach und
nach zu einem prächtigen Schwan heranwächst. Das
wäre eine gewaltige Entwicklung; doch daran zu glau-
ben, würde in einer ebenso gewaltigen Enttäuschung en-
den. Deswegen sollten wir darauf verzichten.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, in der Alterssicherung
brauchen wir keine Märchen, sondern Wahrhaftigkeit.
Wir brauchen keine diffuse Hoffnung, sondern Sicher-
heit. Wie schon Helmut Kohl sagte: „Entscheidend ist,
was hinten rauskommt.“

Wir brauchen keine milliardenschwere Riester-Förde-
rung, sondern jeden Cent, damit die gesetzliche Rente
wieder den Lebensstandard sichern und vor Altersarmut
schützen kann. Das muss heute das Thema sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Darüber müssen wir reden. Dazu müssen wir die richti-
gen Entscheidungen treffen.

Union und FDP wollen mit dem Gesetzentwurf die
Riester-Vorsorge von einer ganz schlechten Leistung zu
einer nur noch ein bisschen schlechten Leistung ummo-
deln. Das reicht nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Die unter SPD und Grünen beschlossene Rasur der
gesetzlichen Rente war – das wissen wir heute alle – eine
vollkommen falsche Entscheidung. Die Altersarmut
steigt. Gestern stand es wieder in den Zeitungen. Mit der
Riester-Rente sollte die politisch gerissene Rentenlücke
geschlossen werden. Das – das ist heute klar – wird
vorne und hinten nicht hinhauen. Das weiß auch die
Bundesregierung. In ihrem eigenen Rentenversiche-
rungsbericht aus dem Jahr 2011 weist sie eindeutig nach:
Früher, als es noch keine Riester-Einkünfte gab, hat die
gesetzliche Rente allein mehr eingebracht als morgen die
gesetzliche Rente und die Riester-Vorsorge zusammen-
genommen. – Eine gesetzliche Rente, Frau Hinz, die
noch im Jahr 2009 1 000 Euro wert gewesen wäre, wird
selbst mit Riester im Jahr 2025 nur noch 987 Euro wert
sein, und das trotz all der Milliarden, die der Staat dazu-
gibt. Aber es kommt noch schlimmer. Diese Rechnung
stimmt nämlich nur, wenn man durch eine rosarote Brille
auf die Kapitalmärkte blickt, so wie der Kollege
Schäffler eben; denn die Regierung rechnet im Renten-

versicherungsbericht mit 4 Prozent Verzinsung. Das ist
vollkommen unrealistisch.


(Beifall bei der LINKEN)


Die ganze Riesterei ist sozialpolitisch – und das heißt:
vor allem für die Versicherten – ein Riesenflop. Deshalb
muss Schluss damit sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre zeigen
sehr deutlich, dass die Altersvorsorge nicht dem Treiben
der Finanzmärkte und der Versicherungswirtschaft aus-
gesetzt werden darf. Das Riester-Problem kann mit den
Instrumenten des Verbraucherschutzes nicht gelöst wer-
den. Mehr Transparenz bei Riester wird nicht zu mehr
Vernunft auf den Finanzmärkten führen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der FDP.

Herr Schäffler, noch einmal an Ihre Adresse: Wer bis-
her kein Geld für eine Riester-Vorsorge hatte, wird nicht
plötzlich welches haben, nur weil die Riester-Angebote
leichter zu verstehen sind. Mehr Transparenz führt auch
nicht dazu, dass die Menschen das notwendige biblische
Alter erreichen, um eine vernünftige Rendite aus der
Riester-Vorsorge zu erhalten. Ich erinnere noch einmal
daran: Eine Frau, die vor zehn Jahren im Alter von
35 Jahren eine Riester-Rente abgeschlossen hat, muss
knapp 80 Jahre alt werden, um ihre eingezahlten Bei-
träge wieder herauszubekommen. Will sie eine kleine
Rendite von 2,5 Prozent erhalten, muss sie 90 Jahre, bei
5 Prozent Rendite muss sie 20 Jahre älter werden als
Herr Heesters, also 128 Jahre leben. Das heißt doch:
Nicht allein die Umsetzung der Riester-Rente ist falsch,
sondern das ganze Konzept ist falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Letztendlich erweist sich die Teilprivatisierung der Al-
tersvorsorge als ein gigantisches Förderungsprogramm
für die Versicherungswirtschaft. Deswegen verstehe ich
auch, warum die FDP sich so sehr dafür einsetzt. Seit
2002 brachte das Riester-Geschäft den Versicherern mehr
als 36 Milliarden Euro ein. Angesichts der Finanzmarkt-
krise ist eine weitere staatliche Subvention von privater
Vorsorge bei gleichzeitigem Abbau der gesetzlichen
Rente unverantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Allein an die sechs größten Anbieter von Riester-Ver-
trägen sind mehr als 4 Milliarden Euro an Zulagen und
rund 14 Milliarden Euro an Beiträgen geflossen. Trotz
dieser immensen Summen weiß die Bundesregierung
nicht, wie hoch die Rentenansprüche der Versicherten
sind. Sie weiß auch nicht, wie viel Kapital zur Deckung
der Rentenansprüche zur Verfügung steht. Das haben wir
abgefragt. Die Riester-Rente gaukelt Sicherheit vor, wo
keine ist. Sie ist also nicht nur sozialpolitisch unsinnig,
sie ist sogar gefährlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Union, FDP, aber auch SPD und Grüne nehmen das ein-
fach so hin. Die Linke macht da nicht mit. Deswegen
wollen wir das grundsätzlich ändern.





Matthias W. Birkwald


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke fordert: Vorrang für die gesetzliche Rente!
Die für die Riester-Rente ausgegebenen Steuersubven-
tionen in Milliardenhöhe müssen endlich in die gesetzli-
che Rente umgeleitet werden. Das Drei-Säulen-Prinzip
von gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvor-
sorge ist gescheitert. Das müssen Sie doch endlich ein-
mal zur Kenntnis nehmen. Wenn die Rente basierend auf
diesen drei Säulen hinterher niedriger ist als die frühere
gesetzliche Rente, dann kann man sagen: Sechs, setzen!


(Beifall bei der LINKEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Früher war alles besser!)


Das sagt übrigens nicht nur die Linke. Was ich sage,
hat jüngst – natürlich viel freundlicher und wissenschaft-
licher formuliert – das Institut für Makroökonomie und
Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung mit der
Studie „Auf dem Weg in die Altersarmut. Bilanz der
Einführung der kapitalgedeckten Riester-Rente“ noch-
mals eindrucksvoll dargelegt.

Deswegen sage ich: Wir müssen jetzt die gesetzliche
Rentenversicherung so wiederherstellen, dass sie den
Lebensstandard sichert und vor Altersarmut schützt.
Ohne ein ausreichendes Rentenniveau von 53 Prozent
vor Steuern werden nämlich auch Menschen mit guten
Löhnen keine guten Renten erhalten. Denn nur die ge-
setzliche Rente bietet wirkliche Sicherheit und echte So-
lidarität.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719913000

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der

Kollege Dr. Gerhard Schick.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Birkwald, das war jetzt nicht nur „Licht ins
Dickicht bringen“, sondern Sie schlagen ja nichts ande-
res als einen Kahlschlag vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur bei Riester zugunsten der gesetzlichen Rente!)


In der deutschen Sprache gibt es hierfür noch ein an-
deres Bild: das Kind mit dem Bade ausschütten. Nur
weil es im Riester-Bereich Defizite gibt, heißt das doch
nicht, dass man gleich alles abschaffen muss. Vielmehr
geht es darum, die vorhandenen Probleme konkret anzu-
gehen. Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das klappt nur nicht!)


Man kann nicht nur aus der momentanen Situation an
den Finanzmärkten heraus argumentieren, das reicht
nicht. Vielmehr sollte man grundsätzlich überlegen, ob
es nicht sinnvoll ist, eine Kombination aus umlagefinan-

zierter Rente und kapitalgedeckter Rente anzustreben,
weil beide unterschiedliche Stärken und Schwächen ha-
ben.

Unser grüner Weg lautet: Schwerpunkt der Altersvor-
sorge bleibt die gesetzliche umlagefinanzierte Rente, es
ist jedoch richtig, eine ergänzende kapitalgedeckte Vor-
sorge zu haben. Jetzt geht es darum, das Ganze optimal
umzusetzen.

Es gibt ein entscheidendes Problem: Wir stellen fest,
dass eine Reihe von Produkten, die am Markt sind, für
sich genommen nicht attraktiv sind, sondern erst durch
die steuerliche Förderung attraktiv werden. Das heißt:
Der Staat subventioniert mit Steuergeld Produkte, die an
sich keine guten Produkte sind. Das können wir den
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht zumuten.
Hier muss korrigiert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Von daher ist die Grundintention, die Sie mit den Zie-
len in Ihrem Gesetzentwurf niederschreiben, zunächst
einmal nicht falsch: Stärkung der Verbraucher im Markt
und Verbesserung des Anlegerschutzes. Die Frage ist al-
lerdings: Was machen Sie daraus? Setzen Sie diese Ziele
wirklich um, oder bleiben Sie auf halbem Wege stecken?

Bei einem Blick auf die vorgetragene Kritik wird klar,
dass der Reformbedarf insgesamt groß ist und man daher
mit halben Schritten die Kernprobleme nicht wird lösen
können. Ein Kernproblem liegt im Vertrieb; dort bleibt
viel zu viel Geld stecken. Viele müssen nach einigen
Jahren feststellen, dass sie zwar für eine Beratungsleis-
tung mehr oder minder guter Qualität gezahlt haben,
dass sie aber de facto nur sehr wenig Kapitel für ihre Al-
tersvorsorge haben ansparen können. An dieses Problem
müssen wir herangehen.

Wir müssen überdies darauf hinwirken, dass die Men-
schen eine klare Vorstellung davon erhalten, wie viel
Geld sie eigentlich ansparen. Es ist aufgrund der vorhan-
denen Informationen bisher nur schwer möglich, zu er-
kennen, welche Ansprüche im gesetzlichen umlagefi-
nanzierten Rentensystem gesammelt und wie viele
Gelder in der privaten und betrieblichen Vorsorge ange-
spart wurden.

Erst wenn man alle Ansprüche sinnvoll zusammen-
rechnen kann, kommt man zu einer realistischen Ge-
samtvorstellung und fühlt sich nicht mehr Vertretern so
ausgesetzt, die mit einer Altersarmutslücke argumentie-
ren und Menschen damit möglicherweise zu falschen
Formen der Vorsorge überreden.

Deswegen ist uns wichtig, dass der Informationsfluss
verbessert wird. Das Produktinformationsblatt ist in die-
sem Zusammenhang eine gute Idee. Es ist auch gut, dass
es gesetzliche Vorgaben zu Aufbau, Optik und Inhalt
dieses Informationsblattes geben soll. Hier sollten inter-
nationale Erfahrungen aufgegriffen und einbezogen wer-
den.

Aber warum soll das nur für Neuverträge gelten und
nicht für bereits abgeschlossene Verträge? Wir müssen
außerdem darauf achten, dass die Informationen in dem
Produktinformationsblatt nicht ihrerseits irreführend





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)


sind, weil beispielsweise die Berechnungsmethoden
nicht klar sind.

Zweiter wichtiger Punkt beim Thema Information:
Wir wollen, dass die Menschen die Ansprüche aus den
verschiedenen Systemen „zusammendenken“ können.
Das ist in Ihrem Gesetzentwurf bisher nicht vorgesehen.
Da ist eine Lücke; da werden wir nachhaken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie schaffen eine Produktinformationsstelle Alters-
vorsorge. Nun muss man sich fragen: Was wird das hier
bringen? Die Stelle soll die Simulationsverfahren festle-
gen und die Berechnungen durchführen, deren Ergeb-
nisse in die Produktinformationsblätter einfließen sollen.
Aber warum braucht es denn neben der Zentralen Zula-
genstelle für Altersvermögen und der Zertifizierungs-
stelle eine dritte Institution? – Das ist in Sachen Büro-
kratieabbau schon ein sehr interessanter Vorschlag aus
Ihren Reihen. Zudem muss man sich fragen: Werden die
Ergebnisse wirklich offengelegt? Ich glaube, es ist not-
wendig, die Berechnungsmethoden offenzulegen, um
wirkliche Transparenz und Kontrolle zu ermöglichen.
Denn wir stellen fest, dass es in der Branche eine heftige
Auseinandersetzung darüber gibt, wie man die einzelnen
Kennziffern berechnet, weil sich die verschiedenen An-
bieter Vorteile versprechen: Je nachdem, wie es berech-
net wird, können sie das eine oder andere Produkt besser
am Markt platzieren. – Wir müssen schauen, dass hier
keine Blackbox entsteht, sondern ein öffentlich über-
prüfbares Simulationsverfahren, um wirklich gute Infor-
mationen für die Menschen sicherzustellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist richtig, dass Sie die Kosten beim Anbieter-
wechsel angehen. Der Wechsel ist schwierig, deswegen
der Wettbewerb nicht gut. Aber warum bleiben Sie wie-
der auf halbem Weg stehen? Sie begrenzen die Kosten,
die der bisherige Anbieter in Rechnung stellen darf, auf
150 Euro. Eine kurze Frage, die wir im Gesetzgebungs-
prozess klären müssen: Wie kommt man eigentlich auf
diese Zahl? – Die Begrenzung der Kosten bezieht sich
aber nur auf das Unternehmen, von dem man wegwech-
selt, also auf die sogenannten Goodbye-Kosten. Aber bei
den Hello-Kosten, also den Kosten, die entstehen, wenn
man zu einem Anbieter hinwechselt, fehlt eine klare Be-
grenzung. Deswegen wäre der Anbieterwechsel, wenn
man Ihrem Gesetzentwurf folgte, nach wie vor zu teuer.
Wir meinen, dass man da noch nachlegen muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Es gibt
meines Erachtens einen interessanten Vorschlag der
Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Es
geht um die Frage: Soll es ein staatlich bereitgestelltes
Basisprodukt geben?


(Frank Schäffler [FDP]: Den Trabi!)


Ich glaube, wir sollten sehr ernsthaft darüber nachden-
ken. Es geht nicht darum, hier ein Obligatorium, etwas
Verpflichtendes zu schaffen, sondern darum, ernst zu
nehmen, was viele Menschen sagen, nämlich: Ich will

mich damit nicht beschäftigen müssen, weil es für mich
zu kompliziert ist.


(Frank Schäffler [FDP]: Vater Staat macht das schon!)


Meine feste Überzeugung ist: Der Staat sollte die pri-
vate, kapitalgedeckte Vorsorge für die Menschen so ein-
fach wie möglich gestalten.


(Beifall der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deswegen gesetzliche Rentenversicherung!)


– Das eine ist die gesetzliche Rentenversicherung. Aber
auch zur ergänzenden Vorsorge kann man, wenn man
dem schwedischen Beispiel folgt, ein Basisprodukt an-
bieten und den Menschen die Wahlmöglichkeit lassen,
andere Wege zu gehen, wenn ihnen das Angebot nicht
ausreicht. Ich glaube, das ist ein guter Vorschlag, und
wir werden ihn in die Beratungen einbringen.

Ich finde, da sollte man nicht so ideologisch reagie-
ren, wie Sie von der FDP es gerade tun, sondern sich
einmal fragen: Was ist eigentlich gut für die Menschen
in unserem Lande? – Die Menschen sind bereit, Vor-
sorge zu leisten. Sie haben aber keine Lust, sich durch
komplizierte Verträge zu wühlen oder sich mit dem Ge-
fühl, vielleicht doch über den Tisch gezogen zu werden,
in ein Beratungsgespräch zu begeben. Ich finde, wir soll-
ten den Menschen eine Wahlmöglichkeit geben, ihnen
also ermöglichen, eine Variante auswählen. Gleichzeitig
sollten wir von staatlicher Seite aus Informationen be-
reitstellen und einen möglichst einfachen Weg der priva-
ten Altersvorsorge ermöglichen. Dafür werden wir Grü-
nen streiten. Das wird viel Licht bringen. Man muss aber
nicht gleich einen Kahlschlag machen, sondern kann
das, was Sie auf den Weg gebracht wurde, optimieren
und voranbringen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist widersprüchlich, Herr Kollege, sehr widersprüchlich!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719913100

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege

Dr. Mathias Middelberg das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1719913200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kollegen! Da hier über die
Rente generell, also auch über die gesetzliche Rente, ge-
sprochen und behauptet wurde, wir, die CDU/CSU, stell-
ten die gesetzliche Rente infrage, möchte ich sagen: Das
ist völliger Unsinn; das haben wir zu keinem Zeitpunkt
getan. Wenn man sehr sorgfältig betrachtet, wer die bes-
ten Beiträge zum Thema Stabilisierung der gesetzlichen
Rente leistet, dann erkennt man: Es ist die momentane
Regierung mit ihrer guten Wirtschafts- und Arbeits-
marktpolitik.





Dr. Mathias Middelberg


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will Sie einmal an die Worte eines bekannten und
erfahrenen Politikers erinnern:

Wenn man sich die Rentenversicherungssystematik
insgesamt anschaut, weiß man: Das Wichtigste, das
man tun kann, ist, für … Arbeit zu sorgen. … Die
spätere Entwicklung hängt davon ab, wie sich die
Arbeitslosigkeit … entwickeln werden.

Dies ist ein, wie ich finde, völlig richtiges und zutreffen-
des Zitat Ihres früheren Bundesarbeitsministers Franz
Müntefering. Daran wollen wir uns orientieren, wenn
wir heute feststellen, dass wir damals, als diese Worte
gefallen sind, nämlich 2006, 5 Millionen Arbeitslose in
diesem Land hatten und diese Zahl bis heute auf 2,7 Mil-
lionen gedrückt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Aber dazu haben Sie nichts beigetragen!)


Wir hatten 2006 26 Millionen sozialversicherungspflich-
tig Beschäftigte, also Einzahler in die sozialen Siche-
rungssysteme. Wir sind heute bei fast 29 Millionen. Das
heißt, wir haben diese Zahl um 3 Millionen gesteigert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Machen Sie mal die Augen zu! Was Sie dann sehen, das haben Sie gemacht!)


3 Millionen mehr Einzahler in die gesetzlichen Versi-
cherungssysteme – das ist der beste Beitrag, den man zur
Stabilisierung dieser Systeme leisten kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die Rentenzahlbeträge sinken von Jahr zu Jahr, Herr Kollege! Das müssen Sie mal zur Kenntnis nehmen!)


Fakt ist aber, dass das Rentenniveau dennoch stetig
sinken wird.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eben!)


Das liegt am Verhältnis der Zahl jüngerer Menschen zu
der älterer Menschen, der Bezieher aus diesem System
und derer, die einzahlen. An diesen Fakten werden wir
leider nichts ändern können. 1960 hatten wir noch vier
Erwerbstätige, die einen Rentner finanzierten. Im Jahre
2050 werden es nur noch zwei Erwerbstätige sein, die ei-
nen Rentner zu finanzieren haben. Darauf müssen wir
reagieren.

Ich bin froh über große Teile des Beitrags des Kolle-
gen Schick von den Grünen. Ich begrüße auch Ihr Be-
kenntnis zu einer zusätzlichen Säule der kapitalgedeck-
ten Alterssicherung. Darüber sollten wir uns in großen
Teilen des Hauses einig sein. Wir sehen es aber nicht so,
wie Herr Birkwald es für die Linken hier gerade darge-
stellt hat. Es geht jetzt darum, dieses System zu stabili-
sieren und die Produkte besser und attraktiver zu ma-
chen.

Es stimmt, was Herr Schick gesagt hat – auch da
stimme ich ihm ausdrücklich zu –: Zu viele Kosten blei-

ben im Vertrieb hängen. Wir setzen gerade an diesem
Punkt an – das Stichwort „Produktinformationsblatt“ ist
hier schon gefallen; mein Kollege Klaus-Peter Flosbach
hat dazu Ausführungen gemacht –, um die Vertriebskos-
ten, also die Vermittlerprovision, und am Ende auch die
Rendite des Produkts für die Interessenten transparenter
und vergleichbarer zu machen. Wenn man das Ergebnis
in einem auch optisch gut gestalteten Produktinforma-
tionsblatt einheitlich und übersichtlich darstellt, wird das
dazu führen, dass auch der Normalverbraucher die ver-
schiedenen Produkte miteinander vergleichen und fest-
stellen kann, welches das für ihn geeignete Produkt ist
und mit welchem Produkt er die beste Rendite erzielt.

Es kann vielleicht sogar staatliche Anbieter geben.
Das würde ich nicht generell ausschließen; aber die Kos-
ten müssen auch dort glasklar und sauber ausgewiesen
sein. Ich habe immer meine Bedenken, wenn wir zu viel
Beteiligung des Staates beschließen. Wir haben das bei
den Landesbanken sehr schön gesehen. Ich bin vorsich-
tig bei staatlicher Betätigung im wirtschaftlichen Be-
reich, aber ich würde dazu nicht generell Nein sagen.
Dann müssen allerdings gleiche Spielregeln für alle gel-
ten, und dann wollen wir – ich wiederhole mich – abso-
lute Vergleichbarkeit der verschiedenen Produkte. Das
wird ohne Frage auch zu mehr Wettbewerb zwischen
den Anbietern führen, und das ist letztlich gut, um die
Vertriebskosten zu drücken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich will auf andere Punkte nur kurz eingehen. Einige
Punkte, die Sie angesprochen haben, Herr Schick – Ent-
schuldigung, dass ich Sie gerade im Gespräch mit Ihren
Kollegen stören muss –,


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reflektieren gerade Ihre Äußerungen! – Heiterkeit)


sind diskutabel, so etwa zum Stichwort „Anbieterwech-
sel“. Ich möchte Ihnen und Frau Hinz signalisieren: Wir
haben einige Punkte, über die wir sehr sachlich und of-
fen miteinander sprechen könnten. Das sollten wir posi-
tiv mit in die Gespräche nehmen, die vor uns stehen. Wie
gesagt, es gibt durchaus diskutable Ansätze.

Unterm Strich möchte ich feststellen: Es ist vielleicht
kein ganz großer Wurf; aber es sind technisch ganz
wichtige Punkte, an denen wir ansetzen: mehr Transpa-
renz, Vergleichbarkeit, mehr Wettbewerb im System.
Mit den Verbesserungen beim sogenannten Wohn-
Riester sorgen wir nicht für Schlagseite.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist das! Ganz genau!)


Wir tun damit wirklich etwas für die Menschen. Der al-
tersgerechte Umbau, um nur dieses Stichwort zu nennen,
ist für viele, auch für viele, die heute hier sind, ein wich-
tiges Thema. Das Thema „altersgerechter Umbau“ be-
schäftigt viele Menschen. Dass wir den sogenannten
Wohn-Riester diesbezüglich nutzbar machen, ist, um nur
ein Beispiel zu nennen, ein wirklich wichtiger Fort-
schritt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)






Dr. Mathias Middelberg


(A) (C)



(D)(B)


Da wir uns heute unter Finanzpolitikern unterhalten,
will ich mit folgendem Hinweis abschließen – das ist mir
nicht unwichtig in diesem Zusammenhang –: Ihr Hono-
rarredner und jetziger Kanzlerkandidat, Herr Steinbrück,


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Kein Neid!)


hat neulich in der Sendung Günther Jauch seine Ideen
zur Steuerpolitik vorgestellt. In der Sendung ging es um
seine „Honorarreden“. Bei dieser Gelegenheit wurde
ziemlich zum Schluss gefragt: Was wollen Sie eigentlich
steuerpolitisch machen? Dann kam die Ansage: Der
Spitzensteuersatz steigt auf 49 Prozent. 7 Prozent mehr!
Die Abgeltungsteuer steigt auch um 7 Prozentpunkte,
von 25 auf 32 Prozent. Die Vermögensteuer kommt noch
oben drauf. – Was Sie machen, ist ein Generalangriff auf
den Mittelstand, auch auf den betrieblichen Mittelstand.


(Widerspruch bei der SPD – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das hatten wir unter Helmut Kohl auch schon!)


Sie sagen, dass Sie den betrieblichen Mittelstand außen
vor lassen wollen. Das wird Ihnen nicht gelingen.

Das wird so laufen, wie es bei der SPD immer läuft:
Sie nehmen den Leuten erst einmal das Geld aus der Ta-
sche.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das tun Sie doch!)


Wenn Sie den Spitzensteuersatz nach oben ziehen – das
verschweigen Sie; viele Leute meinen, das würde nur die
Spitzenverdiener treffen –, dann verläuft die ganze Steu-
erkurve steiler.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Nein! Das stimmt nicht! – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist nicht richtig!)


Das heißt, auch all diejenigen, die sich im mittleren Be-
reich befinden, werden kräftig zur Kasse gebeten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Jeder Handwerker, jeder Facharbeiter zahlt drauf. Sie
nehmen den Leuten erst das Geld aus der Tasche, und
nachher kommt der liebe Honoraronkel Steinbrück und
sagt: Ich gebe euch jetzt einen netten Zuschuss zu eurer
betrieblichen Altersvorsorge. – Das ist Ihr Plan.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dazu kann ich nur sagen: So können wir das nicht ma-
chen. Das ist gar keine Alternative. Man kann den Leu-
ten nicht erst das Geld aus der Tasche ziehen und es ih-
nen nachher mit gönnerhafter SPD-Geste wieder
zurückgeben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719913300

Herr Middelberg, erlauben Sie zum Abschluss eine

Zwischenfrage des Kollegen Sieling?


Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1719913400

Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719913500

Bitte.


Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1719913600

Weil ich den Eindruck habe, dass die Dinge hier ein

bisschen durcheinandergebracht werden, möchte ich Sie
fragen, ob Sie vielleicht noch nicht wahrgenommen ha-
ben, dass die SPD im Zusammenhang mit dem hier vor-
getragenen Einkommensteuerkonzept plant, die Ein-
kommensgrenze, ab der der Spitzensteuersatz zu zahlen
ist, von jetzt 53 000 Euro auf 100 000 Euro zu erhöhen,
wodurch ein ganz anderer Kurvenverlauf entsteht als
der, den Sie hier unterstellen.


(Frank Schäffler [FDP]: Aber völlig abmildern werden Sie es trotzdem nicht können!)


Betroffen wären nur Menschen, die mindestens
6 500 Euro und als Verheiratete mindestens 13 000 Euro
im Monat verdienen. Haben Sie das zur Kenntnis ge-
nommen, und können Sie mir bestätigen, dass der Spit-
zensteuersatz unter Kanzler Helmut Kohl in diesem
Land bei 53 Prozent lag?


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Bei einer engeren Bemessungsgrundlage! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Stimmen Sie doch dem Gesetzentwurf zur kalten Progression zu!)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1719913700

Letzteres will ich Ihnen gerne bestätigen. Da war die

Bemessungsgrundlage aber eine ganz andere. Sie war
nämlich viel enger.

Ad zwei: Ihr Kanzlerkandidat hat in der Jauch-Sen-
dung gerade dies nicht genannt, woraus ich entnehme,
dass das für ihn gar nicht so klar ist. Wir sind ganz ge-
spannt, ob Sie diese Untergrenze, wenn Sie in der Regie-
rungsverantwortung sind, einhalten werden.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das will keiner ausprobieren! – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde, das probieren wir einmal aus! Regierungswechsel! Das war ein guter Vorschlag!)


Was ich im Übrigen zum Thema Abgeltungsteuer
festgestellt habe, trifft zu. Auch mit der Vermögensteuer
treffen Sie letzten Endes in der Breite die mittelständi-
schen Betriebe. Darüber müssen Sie sich im Klaren sein.
Es bleibt dabei: Sie nehmen den Leuten erst das Geld
aus der Tasche und wollen nachher großzügig staatliche
Zuschüsse verteilen.


(Frank Schäffler [FDP]: Sehr gut! Das könnte von mir sein!)


Das ist immer Ihr Modell gewesen. Das preisen Sie uns
auch jetzt als Lösung an. Ich kann nur jedem raten, das
abzulehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719913800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer

von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ingrid Arndt-Brauer (SPD):
Rede ID: ID1719913900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am liebsten
würde ich meine Redezeit damit verbringen, meinem
Vorredner zu widersprechen,


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: War alles richtig!)


aber ich widerstehe dieser Versuchung. Er wird das im
nächsten Jahr schon erleben. Dann hat er einen gewissen
Lerneffekt, und das ist ja auch okay.

Ich habe hier gestern einer Besuchergruppe von mir
erzählt, dass ich heute eine Rede halten werde. Sie frag-
ten mich natürlich sofort, zu welchem Thema ich reden
werde. Ich antwortete: Altersvorsorge-Verbesserungsge-
setz. Daraufhin begann eine Diskussion. Sie fragten
mich sofort: Oh, worüber redest du? Wirst du etwas zu
Frau von der Leyens Zuschussrente und zur Bekämp-
fung der Altersarmut sagen? Wirst du etwas zur Genera-
tionengerechtigkeit, zum Vorschlag der jungen Abgeord-
neten sagen? Wirst du etwas zum Vorschlag von Herrn
Laumann – wir kommen ja aus dem Münsterland –, also
zum Vorschlag des Arbeitnehmerflügels, sagen? Findest
du nicht auch toll, welche Rentenvorschläge die CSU
hat? – Ich musste die Diskussion leider abwürgen und
habe gesagt: Nein, es geht nur um die steuerliche Förde-
rung der privaten Altersvorsorge. Alles andere regelt
diese Regierungskoalition leider immer noch nicht.


(Beifall bei der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ein Skandal ist das!)


Herr Flosbach hat in seiner Rede gesagt, er greife fünf
Punkte heraus. Leider enthält der Gesetzentwurf auch
nur fünf Ziele. Ich weiß nicht, ob wir in der zweiten und
dritten Lesung noch zehn weitere nachgeliefert bekom-
men. Bei manchen Zielen kann man sagen: Okay, das ist
vielleicht eine kleine Verbesserung. Aber hier eine
Stunde lang darüber zu diskutieren und so zu tun, als ob
wir mit diesen fünf Zielen in der Bundesrepublik etwas
grundlegend verbessern, ist schon ein bisschen unred-
lich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Mathias Middelberg [CDU/ CSU]: Da war Herr Schick aber anderer Auffassung!)


Ich möchte meinen Kollegen von den Linken ein biss-
chen widersprechen. Wir hatten einen guten Grund für
das Drei-Säulen-Modell. Ich denke, wir sollten es weiter-
entwickeln und fortführen. Die gesetzliche Rentenversi-
cherung ist natürlich die Grundlage. Sie muss lebensfähig
bleiben. Obwohl wir immer weniger Beitragszahler ha-
ben, müssen wir uns überlegen, wie wir das schaffen. Das
ist schwierig genug. Deswegen muss sie mit der betrieb-
lichen Rente ergänzt werden. Das sehe ich genauso wie
mein Parteivorsitzender, dessen Name meinem Vorredner

gar nicht über die Lippen kam. Ich kann gerne sagen, dass
er Sigmar Gabriel heißt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Idee, so viele wie möglich in eine Betriebsrente als
zweite Säule einzahlen zu lassen, finde ich sehr löblich.
Ich bin auch der Meinung, dass die dritte Säule, die pri-
vate Altersvorsorge, sinnvoll ist.

Die Riester-Rente haben wir aus guten Gründen ein-
geführt. Vom System her ist sie so angelegt gewesen,
dass Menschen, die relativ wenig Einkommen haben,
mit Förderanteilen in die Lage versetzt werden, etwas
für ihre Rente zurückzulegen. Dieses Zurücklegen kann
man durchaus wörtlich nehmen. Es war eigentlich nicht
so gedacht, dass man permanent etwas herausnimmt und
sich Häuser davon baut. Diese Erweiterung auf Wohn-
Riester geht an dem ursprünglichen Modell vorbei. Ich
weiß nicht, ob man das so stark privilegieren sollte. Ich
bin da sehr skeptisch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zur nächsten von Ihnen geplanten Verbes-
serung: Thema Rürup. Sie haben bei der Versicherung
von Selbstständigen eine offene Flanke. Gegen das Kon-
zept von Frau von der Leyen, Selbstständige zwangszu-
versichern, gibt es eine Petition, die 80 000 Menschen
unterzeichnet haben. Ich denke, das ist eine große Zahl,
und das zeigt, dass Sie für diese Personengruppe keine
Lösung anbieten. Es reicht, glaube ich, nicht aus, Rürup
etwas transparenter zu machen. Wir müssen für die
Selbstständigen sorgen. Mir wäre es am liebsten, wenn
die Selbstständigen in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung wären.


(Frank Schäffler [FDP]: Das befürchte ich auch!)


Darüber sollten Sie vielleicht einmal nachdenken. Der
Sprung von 20 000 auf 24 000 Euro ist keine Revolu-
tion. Ich habe grundsätzlich nichts dagegen; aber Sie
sollten zur Kenntnis nehmen, dass das System an den
Menschen, die es brauchen, ein Stück weit vorbeigeht.


(Beifall bei der SPD)


So gut es den heutigen Rentnern auch geht, dürfen wir
nicht verkennen, dass wir momentan 4,2 Millionen Be-
schäftigte haben, die weniger als 1 500 Euro verdienen.
Das liegt daran, dass es keinen flächendeckenden gesetz-
lichen Mindestlohn gibt, dass es prekäre Arbeitsverhält-
nisse und sehr viele 400-Euro-Jobs gibt.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Dass wir viele schlecht ausgebildete Menschen haben!)


– Gut. – In dieser Situation befinden wir uns. Diese
Menschen haben weder Riester- noch Rürup-Verträge.
Um diese Menschen müssen wir uns kümmern; denn sie
werden von Altersarmut betroffen sein.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte Sie daher bitten, Ihr Konzept grundlegend
zu überarbeiten und in ein Gesamtkonzept einzubinden
und die Baustellen, die Sie in anderen Bereichen haben,
endlich anzugehen, ob mit Zuschüssen wie beim Kon-





Ingrid Arndt-Brauer


(A) (C)



(D)(B)


zept von Frau von der Leyen, ob mit Pflegeanrechnungs-
zeiten oder anders. Einigen Sie sich bitte auf ein Kon-
zept, damit die Menschen Klarheit haben und sehen, was
sie im Alter erwartet. Das wissen sie nämlich nicht, weil
nicht klar ist, welche Ihrer Vorschläge umgesetzt wer-
den. Machen Sie ein Gesamtkonzept! Dann sehen die
Menschen, wie große ihre persönliche Lücke sein wird,
und können mit Riester oder Rürup darauf reagieren.
Überarbeiten Sie diese fünf Ziele! Ich würde sie um zehn
weitere Ziele ergänzen. Es kann nur besser werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719914000

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Daniel Volk von

der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1719914100

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehr-

ten Damen und Herren! Es ist sehr auffällig, Frau Arndt-
Brauer, dass Sie durch Ihren eigenen Redebeitrag im
Grunde gezeigt haben, dass auch Sie das Thema private
Altersvorsorge offenbar viel zu gering einschätzen. Dies
ist vor allem deswegen auffällig, weil es ja gerade Ihre
Partei war, die einige dieser Modelle eingeführt hat. Das
ist ein weiterer Punkt, bei dem sich die SPD von Projek-
ten, die gerade einmal vor zehn Jahren eingeführt wor-
den sind, verabschiedet.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Woher nehmen Sie das denn?)


Das ist tatsächlich ein auffälliger und aufmerksam zu be-
obachtender Prozess.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist eine unwahre Tatsachenbehauptung, die Sie da vom Rednerpult tätigen!)


Ich denke schon, dass wir den Bürgerinnen und Bür-
gern, den Steuerzahlern, auch die Bedeutung und die
Wichtigkeit einer privaten Altersvorsorge deutlich ma-
chen müssen. Insofern ist es, glaube ich, kein guter Bei-
trag in dieser Diskussion, die private Altersvorsorge aus-
drücklich als weniger wichtig darzustellen. Man sollte
sie eher als viel wichtiger darstellen.


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Ich habe gesagt: eine Säule!)


Deswegen ist es gut, dass hier ein Gesetzentwurf vorge-
legt worden ist, mit dem die Bürgerinnen und Bürger
dazu gebracht werden, privat für ihre Altersvorsorge zu
sorgen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Den Beitrag des Kollegen Schick von den Grünen
fand ich demgegenüber in einzelnen Punkten recht hilf-
reich. Es ist sicherlich der eine oder andere Punkt ange-
sprochen worden, über den man während der Beratung
diskutieren sollte. Ich meine aber, dass die Idee eines
staatlich angebotenen Vorsorgeproduktes oberflächlich

betrachtet sehr attraktiv klingt, sich aber bei Lichte, bei
genauerer Betrachtung, durchaus die Frage stellt: Wer
soll eigentlich wissen, dass dieses eine staatlich organi-
sierte Vorsorgeprodukt das effizienteste ist?


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss niemand wissen! Das kann jeder aussuchen!)


Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dort, wo der
Staat in die Wirtschaft eingreift, die Effizienz schlicht-
weg eher leidet. Deswegen habe ich Probleme, diesem
Vorschlag zu folgen.

Bezeichnend war allerdings der Beitrag vonseiten der
Linksfraktion. Herr Birkwald, dass Sie sich hier nicht
hingestellt und einen ehemaligen Sozialminister, näm-
lich Norbert Blüm, zitiert haben, der „Eines ist sicher:
die Rente“, gesagt hat, wunderte mich.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er war rentenpolitisch fortschrittlicher als ihr!)


Eines ist doch mittlerweile klar geworden, nämlich dass
wir die zwei weiteren Säulen neben der gesetzlichen
Rentenversicherung deswegen etablieren und stärken,
weil ein Vertrauen allein auf die gesetzliche Rentenversi-
cherung schlicht nicht ausreicht. Das ist doch wohl je-
dem klar geworden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ein Irrtum!)


Sich vor diesem Hintergrund hier hinzustellen und zu sa-
gen: „Alles andere weg, alles in die gesetzliche Renten-
versicherung“, ist wider besseres Wissen und wider jeg-
liche Erfahrung aus der Vergangenheit.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Fragen Sie mal die Menschen!)


Im Übrigen wurde hier angesprochen: Na ja, das mit
dem Wohn-Riester ist eigentlich nicht der richtige An-
satzpunkt.


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das war nicht unsere Idee!)


Ich möchte es genau andersherum betonen. Ich glaube,
wir sollten viel stärker das Wohneigentum der einzelnen
Bürger in den Vordergrund stellen.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Wer kann sich das denn leisten? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist nur die eine Hälfte der Bevölkerung!)


Wenn man sieht, wohin momentan die Geldströme flie-
ßen,


(Zuruf von der LINKEN: Vor allem in die eigene Tasche!)


dann sollte man diese Bedeutung wachsen lassen, und
das machen wir mit dem Wohn-Riester.

Sie haben die Frage gestellt: Wer kann sich das denn
leisten? Ich kann Ihnen sagen: Das kann sich derjenige
leisten, der einen Arbeitsplatz hat. Entscheidend ist, dass
wir wieder eine solch gute wirtschaftliche Entwicklung





Dr. Daniel Volk


(A) (C)



(D)(B)


haben, auch auf dem Arbeitsmarkt, dass sich die Leute
das wieder leisten können.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Also kein Niedriglohn mehr?)


Für die private Altersvorsorge wäre es ein Problem,
wenn die Arbeitslosenzahlen wieder in die Höhe schnel-
len würden.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ein faires und gerechtes Auskommen ist wichtig!)


Wir haben für eine gute Entwicklung gesorgt. Insofern
ist es nur konsequent, dass wir in einem zweiten Schritt
den Entwurf eines Altersvorsorge-Verbesserungsgeset-
zes vorlegen.

Ich freue mich auf die Beratungen. Ich denke, Sie
sollten noch einmal darüber nachdenken, ob Sie diesem
Gesetzentwurf nicht doch uneingeschränkt zustimmen.


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das kann ich wirklich nicht zusagen!)


Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1719914200

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat jetzt die Kollegin Bettina Kudla das Wort.


Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1719914300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Lassen Sie mich die Debatte zusammenfas-
sen:


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Oh ja!)

Die Sozialversicherungssysteme zukunftsfest zu ma-
chen, ist eine der größten politischen Herausforderun-
gen, jetzt und in den kommenden Jahren.


(Beifall des Abg. Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU] – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Funktionierende Sozialversicherungssysteme sind eine
enorme Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft.
Die Sozialversicherungssysteme tragen sich schon seit
vielen Jahren nicht mehr allein durch die Beitragszah-
lungen, sondern müssen durch erhebliche Steuerzu-
schüsse mitfinanziert werden.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: So ist es!)


Am größten ist der Zuschuss zur Rentenversicherung,
dann folgt der zur Arbeitslosenversicherung und als
Drittes der Zuschuss zur Krankenversicherung. Für die
CDU/CSU- und die FDP-Fraktion steht dabei immer im
Vordergrund, eine sinnvolle Balance zu finden zwischen
dem, was die Beitragszahler leisten können, und dem,
was aus der Versicherung für die Bürger bezahlt werden
muss.

Die Rentenversicherung hat, gerade vor dem Hinter-
grund der demografischen Entwicklung, die mit Abstand
größte Bedeutung. Von fast jedem Redner wurde das
Dreisäulenmodell angesprochen. Das Dreisäulenmodell

hat sich gerade deswegen bewährt, weil die drei Säulen
unterschiedlich sind. Die gesetzliche Rentenversiche-
rung ist umlagefinanziert.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Nur?)

Das ist ein einmaliges System, das es nicht in jedem an-
deren europäischen Land gibt. Es hat sich bewährt, weil
es davon abhängig ist, was die Bevölkerung erwirtschaf-
tet.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt nirgendwo ein nur kapitalgedecktes System! Es gibt überall nur umlagefinanzierte Systeme! Überall auf der ganzen Welt!)


– Es gibt nicht überall umlagefinanzierte Systeme.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)

Umso wichtiger ist, dass das Rentenversicherungssys-

tem auf drei Säulen steht. Drei Säulen bieten nämlich
eine größere Sicherheit als zwei Säulen oder gar nur eine
Säule.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 60 Prozent haben keine sichere Rente! Aber der Beitragssatz wird trotzdem abgesenkt!)


Die Bedeutung der privaten Vorsorge steigt vor dem
Hintergrund der demografischen Entwicklung; ich
werde gleich noch auf sie eingehen.

Ferner wurde in der Debatte dargelegt, wie wichtig
das Wirtschaftswachstum ist. Die Senkung des Beitrags-
satzes zur Rentenversicherung um immerhin 0,7 Pro-
zentpunkte im kommenden Jahr wäre ohne Wirtschafts-
wachstum nicht möglich.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist auch falsch!)


Von den Kollegen der Linken wurde angesprochen,
dass es, bedingt durch die staatliche Förderung der
Riester-Rente, zu Marktverzerrungen gekommen ist.
Hier muss man allerdings berücksichtigen: Staatliche
Anreize haben immer Auswirkungen auf bestimmte
Branchen; das gilt für die Versicherungsbranche genauso
wie für die Solarbranche. Für mich zumindest wiegt die
Tatsache, dass man etwas Positives tut, wenn man die
private Vorsorge fördert, schwerer als irgendwelche
Marktverzerrungen. Ich beurteile es auch nicht als nega-
tiv, wenn dies dazu führt, dass eine bestimmte Branche
dann wirtschaftlich tätig werden kann. Das darf natürlich
nicht zu Verwerfungen und Nachteilen führen. Aber es
ist ja gerade die Intention des Gesetzentwurfes, die
Dinge transparenter zu gestalten, um eventuelle Verwer-
fungen zu vermeiden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da klatscht noch nicht mal die eigene Fraktion!)


Kaum ein Redner hat angesprochen, dass der Staat bei
der Riester-Rente eine ganze Menge drauflegt.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Ich habe das angesprochen!)






Bettina Kudla


(A) (C)



(D)(B)


Eine Familie mit zwei Kindern kann pro Jahr fast
1 000 Euro vom Staat dazubekommen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja! Aber was kommt denn hinten raus, Frau Kollegin? Darauf kommt es doch an!)


– Moment! – Für ein Kind, das nach 2008 geboren
wurde, bekommt man eine Zulage von immerhin
300 Euro pro Jahr. Das ist eine ganze Menge. Auf Ihre
Frage: „Was kommt dabei heraus?“ antworte ich Ihnen:
Bei einem Sparvorgang kommt nichts heraus, wenn man
ein schlechtes Produkt wählt, das an Wert verliert. Das
Produktinformationsblatt ist ja gerade dazu da, die Dinge
transparenter zu machen und die Bürger davor zu schüt-
zen, dass sie von der Finanzbranche quasi über den Tisch
gezogen werden.


(Frank Schäffler [FDP]: Die Wahl hat man bei der Rentenversicherung nicht! Das ist immer ein schlechtes Produkt!)


Transparenz und Durchschaubarkeit: Das muss das Ziel
sein,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


und nur das sollte der Staat fördern.

Ich denke, hier sollte man auch stärker an die Finanz-
branche appellieren, dass sie die Anleger entsprechend
seriös berät. Hier sehe ich nicht nur die Privatbanken,
sondern genauso die Sparkassen und die Volksbanken in
der Pflicht.


(Beifall des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU] – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie wollen es bei Appellen belassen! Das ist ja interessant!)


– Es bleibt nicht bei Appellen, Herr Schick, sondern es
bleibt ganz konkret bei dem Produktinformationsblatt,
das auch veröffentlicht werden muss,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben keine Zahl genannt, was herauskommt!)


und der Vertrag kann auch drei Jahre lang widerrufen
werden, falls die Angaben in diesem Produktinforma-
tionsblatt unrichtig waren.

Es wurde ferner eine sogenannte Privilegierung von
Wohn-Riester angesprochen. Das ist nicht richtig. Es be-
steht ein Wahlrecht. Man kann entweder eine normale
Rente erhalten oder ein Wohn-Riester-Angebot nutzen.

Ich denke, man sollte auch den Bürgern mit einem ge-
ringen Einkommen die Möglichkeit geben, mit staatli-
cher Unterstützung auf eine Eigentumswohnung oder ein
Eigenheim anzusparen. Sicherlich wird das nicht bei je-
dem möglich sein, aber ich denke, man sollte nicht so
überheblich sein, kategorisch zu sagen: Die Eigentums-
bildung wird bei geringen Einkommen nicht möglich
sein.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist nicht überheblich, das ist die Realität!)


Außerdem ist der ganze Gesetzentwurf behinderten-
freundlich.


(Petra Hinz [Essen] [SPD]: Nein, eben nicht!)


Es werden auch Umbaumaßnahmen für Barrierefreiheit
gefördert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insofern kann man festhalten: Der Entwurf des Al-
tersvorsorge-Verbesserungsgesetzes ist eine gute Sache.

Übrigens: Es zeugt von einer kontinuierlichen Politik,
dass die Bundesregierung auch etwas fortsetzt, was eine
Vorgängerregierung eingeführt hat,


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das hätte sie bei mehr Punkten machen sollen!)


dass sie es mitträgt und dass sie es positiv weiterentwi-
ckelt, indem sie die Instrumente flexibler gestaltet.

Die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion sorgen mit ih-
rer Initiative dafür, dass die Menschen mit einem gerin-
gen Einkommen im Alter neben der Rente aus der ge-
setzlichen Rentenversicherung auch noch eine private
Rente erhalten können und damit im Alter besser abgesi-
chert sind.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719914400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/10818 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Eine gesetzliche Obergrenze für verbraucher-
gerechte Dispositionszinsen

– Drucksache 17/10988 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Dr. Axel Troost, Dr. Kirsten Tackmann, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Begrenzung der Zinssätze für Dispositions-
und Überziehungskredite

– Drucksache 17/10855 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Carsten Sieling für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1719914500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir reden hier in diesem Hause heute nicht das erste Mal
über das Thema Dispozinsen. Der Grund dafür ist, dass
das Problem nicht gelöst ist und die Rezepte der Bundes-
regierung nicht helfen.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Blödsinn!)


Was ist das Problem? Auf Tausenden von Kontoaus-
zügen finden sich in dieser Republik regelmäßig über-
höhte Dispozinsen wieder. Die Stiftung Warentest hat
gerade in dieser Woche veröffentlicht und bekannt ge-
macht, dass der Durchschnitt der Dispozinsen in
Deutschland bei 11,8 Prozent liegt – und das in einer Si-
tuation, in der sich die Banken mit 0,12 Prozent bei der
EZB refinanzieren können. Das riecht verdammt nach
Wucher.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte Ihnen gerne diese Entwicklung grafisch
zeigen, damit man genau sieht, was stattgefunden hat.


(Der Redner zeigt ein Schaubild)


Man sieht sehr genau, wie der Zinssatz von 2003 bis
2010 – das ist die grüne Linie –, insbesondere nach der
Finanzkrise, nach unten gegangen ist, während die Dis-
pozinsen nach oben gegangen sind, also genau gegenläu-
fig. Man sieht fast die Figur eines Krokodils, das das
Maul weit aufreißt, und mittendrin steht der Verbraucher.
Dagegen müssen wir etwas machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ein rot-grünes Krokodil!)


– Mit blauem Dach. Das Schlimmste daran ist das Blaue.
Wahrscheinlich ist auch noch ein bisschen Gelb dabei,
lieber Kollege; denn das Schlimme kann in diesem
Hause immer nur von rechts kommen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will sagen: Unser Konzept ist es jetzt, gesetzlich
vorzugehen, weil es nicht mehr ausreicht, zu Kaffee-
kränzchen einzuladen und die Branche zu bitten. Wir ha-
ben vier Eckpunkte. Wir stellen in den Vordergrund: ers-
tens das Kundeninteresse, zweitens den Grundsatz der
Vertragsfreiheit – dazu sage ich gleich etwas, weil wir
keine starre Obergrenze vorsehen; auch solche Vor-
schläge gab es –, drittens die Berücksichtigung der Ar-
gumente und Sorgen der Banken, dass ihre Verwaltungs-

kosten nicht gedeckt sein könnten, und viertens die
Tatsache, dass es europarechtskonform ist.

Ich darf Ihnen noch einmal mein schönes Krokodil
zeigen. Anhand dieser Grafik leiten wir unseren Vor-
schlag ab.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich bin dagegen, dass wir hier über Krokodile reden!)


Sie erkennen hier an der roten Linie – das ist über die
Jahre die Differenz zwischen dem Leitzins und den Dis-
pozinsen –, dass bis zum Ende des Jahres 2008 der Auf-
schlag auf den Leitzins bei etwa 8 Prozentpunkten gele-
gen hat. Man kann das als Indiz dafür auffassen, dass
sich hierin die Kostensituation im Durchschnitt der
Branche widerspiegelt. Unvertretbar ist eben, dass diese
Linie nach oben geht.

Wir schlagen deshalb vor, durchaus und bewusst als
sehr marktreagibles Instrumentarium, dass wir auf den
jeweils gültigen Leitzins einen Aufschlag von 8 Prozent-
punkten als Obergrenze zulassen. Das bedeutet in der
aktuellen Situation: Der höchste Dispozins, der genom-
men werden dürfte, läge bei 8,12 Prozent und nicht bei
11,8 Prozent, wie es zurzeit Realität ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darum ist das, was wir hier vorschlagen, eine deutliche
Verbesserung.

Ich darf auch sagen, dass die Dispozinsen dann, wenn
darüber gegangen wird, also bei geduldeter höherer In-
anspruchnahme, höchstens doppelt so hoch sein dürfen.
Das ist die Wuchergrenze nach BGB. Damit würde das
hohe Niveau insgesamt gesenkt, ohne dass man für die
Branche unvertretbare Zustände schafft, aber für den
Verbraucher viel Gutes erreicht. Ein solches Gesetz soll-
ten wir machen. Das schlagen wir als SPD vor.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719914600

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Marco

Wanderwitz das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1719914700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Kollege von der Sozialdemokratie hat hier gerade
richtigerweise gesagt: Wir widmen uns hier im Plenum
des Deutschen Bundestages mittlerweile das dritte Mal
in dieser Legislaturperiode demselben Thema.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Auf Antrag von der Linken jeweils! – Kerstin Tack [SPD]: Es wäre gut, wenn Sie das auch täten!)


– Hören Sie doch erst einmal zu, bevor Sie dazwischen-
rufen. – Es kann nicht falsch sein, sich Themen regelmä-
ßig anzuschauen, die wichtig sind. Allerdings haben wir
uns die letzten Jahre mit einem durchschnittlich höheren
Dispozins auseinandergesetzt, als das derzeit der Fall ist.





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


Die Zahlen, Herr Kollege, die Sie hier zitieren, kenne
ich auch. Ich kenne aber auch die Zahlen, die das Bun-
desfinanzministerium im ersten Halbjahr veröffentlicht
hat. Der Unterschied zwischen den Zahlen des Bundes-
finanzministeriums und den Zahlen, die jetzt Finanztest
veröffentlicht hat, ist, dass die des Bundesfinanzministe-
riums wirklich alle Banken umfassen, während Finanz-
test natürlich nur die Zahlen aufnehmen konnten, von
denen sie erfahren haben. Nach den Zahlen des Finanz-
ministeriums liegt der durchschnittliche Dispozins bei
10 Prozent und nicht bei 11,8 Prozent.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Selbst das ist unfair!)


– Hören Sie einmal weiter zu, ich erkläre es Ihnen.

Der europäische Durchschnitt liegt bei 8,8 Prozent.
Wir in Deutschland liegen im Durchschnitt bei 10 Pro-
zent, also in der Tat immer noch etwas oberhalb des eu-
ropäischen Durchschnitts, aber eben bei weitem nicht
mehr so weit darüber wie in den letzten Jahren.

Als wir das letzte Mal hier darüber gesprochen haben,
haben wir auf eine Studie verwiesen, die Bundesministe-
rin Aigner in Auftrag gegeben hat. Mittlerweile kennen
wir die Ergebnisse dieser Studie des Instituts für Finanz-
dienstleistungen und des Zentrums für Europäische
Wirtschaftsforschung. Des Weiteren gibt es – das meine
ich zumindest – interessante Zahlen einer Forsa-Um-
frage zu diesem Thema aus dem Juli 2012. Forsa sagt:
80 Prozent der deutschen Haushalte verfügen über einen
Dispozinsrahmen. Jeder vierte nutzt ihn jährlich, und nur
jeder sechste nimmt ihn regelmäßig in Anspruch. Ich
sage das, damit wir ein bisschen ein Gefühl für die Zah-
len bekommen. Manchmal wird in der Debatte so getan,
als ob 100 Prozent der deutschen Bevölkerung regelmä-
ßig mit hohen Summen im Dispo wären.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sagt keiner!)


– Hier im Haus hat es jetzt wohl niemand gesagt; aber
die Debatte wird teilweise so geführt.

Wenn man bedenkt – wir liegen ein wenig oberhalb
des europäischen Schnitts –, dass wir in Deutschland in
der Fläche ein breites Angebot an klassischen Filialban-
ken – Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken – haben,
dann ist das einer der Punkte, durch den für mich ein
Stück weit schlüssig wird, warum die Kosten höher sind.
Kundennähe kostet Geld. „Mittelwert“ heißt auch – das
ist, denke ich, leider in Ihrem Redebeitrag absolut zu
kurz gekommen –, dass es einen Durchschnitt gibt. Na-
türlich gibt es Banken und Sparkassen, die günstiger
sind, und es gibt welche, die teurer sind. So entsteht ein
Durchschnittssatz. Es gibt welche, die teilweise erheb-
lich günstiger sind.

Die Forsa-Umfrage sagt dazu Folgendes: Überhaupt
nur 43 Prozent der Verbraucher kennen ihren Dispozins-
satz. Es ist relativ einfach: Man guckt auf seinen Konto-
auszug, dann kennt man ihn. Aus solchen Zahlen, meine
ich, kann man Rückschlüsse ziehen. 13 Prozent würden
laut dieser Forsa-Umfrage allein aufgrund eines deutlich
günstigeren Dispozinssatzes ihre Bank wechseln.

In dieser von mir genannten Studie fällt der wichtige
Satz:

… greift es zu kurz, die Zinsdifferenz zwischen
Geldmarktzinsen … und dem Dispozinssatz als Ge-
winnmarge der Bank darzustellen, wie dies biswei-
len in der öffentlichen Diskussion geschieht.

Ich meine, dass genau das der entscheidende Punkt
ist. Es ist nicht so, dass wir das alles hier nicht schon de-
battiert hätten. Zumindest ist es eine zu einfache Darstel-
lung, zu sagen: Das ist der Refinanzierungszins, und das
ist der Dispozins.

Für die Bildung der Zinshöhe gibt es natürlich noch
weitere Faktoren. Das sind neben den Refinanzierungs-
kosten zum Beispiel die Eigenkapitalkosten. Wir haben
hier politisch mit breitem Konsens gesagt: Die Eigenka-
pitalquoten der Banken sind uns zu niedrig. Wenn wir
die, was richtig ist, erhöhen, bedeutet das aber auch, dass
für jeden Kredit höheres Eigenkapital hinterlegt werden
muss.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist nicht richtig! Dispozinsen müssen nicht mit Eigenkapital unterlegt werden! Machen Sie sich klug, Herr Kollege!)


– Wenn Sie mir bis zum Ende zugehört hätten, hätten Sie
sich auch diesen Zwischenruf ersparen können.

Verschiedene Instrumente der Banken – beispiels-
weise der klassische Ratenkredit, der Dispokredit oder
die Bürgschaft – werden zweifellos zum einen einzeln
kalkuliert. Zum anderen aber haben wir die Situation,
dass ein Gesamtpaket schlüssig gebildet werden muss.
Jetzt sage ich einfach mal ganz offen: Wenn eine Bank
oder Sparkasse einen Dispositionskredit auf den Markt
bringt, den schon die Filiale einer Bank nebenan günsti-
ger anbieten kann, und der Verbraucher das nicht wahr-
nimmt, dann stelle ich mir doch – wenn ich einen funk-
tionierenden Preiswettbewerb habe; der ist offensichtlich
in Deutschland vorhanden – die Frage: Warum soll ich
dann als Gesetzgeber mit den von Ihnen vorgeschlage-
nen scharfen Eingriffen regulieren?


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was ist da funktionierender Markt?)


Darf ich überhaupt regulieren? Darf ich solche Eingriffe
in Eigentum vornehmen? Ich meine, dass wir das in An-
betracht der Preis- und Wettbewerbssituation, wie wir sie
haben, jedenfalls nicht dürfen.

Des Weiteren ist die Situation so, dass wir überhaupt
keine validen Zahlen haben, ob und, wenn ja, wie viele
Verbraucher die teuersten der Dispokredite – die gern als
die Preisprobleme angeführt werden, welche sie zu
Recht darstellen – überhaupt in Anspruch nehmen. Es
gibt keine belegbare Zahl, ob die teuersten der Dispokre-
dite am Markt überhaupt von irgendwelchen Verbrau-
chern in Anspruch genommen werden. Insofern kann
auch das aus meiner Sicht kein Argument sein, diese Re-
gulierung vorzunehmen.

Es gäbe eine ganze Menge milderer Möglichkeiten. In
Ihrem Antrag ist ein Beispiel enthalten, für das ich





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)


durchaus Sympathie empfinde. Da geht es um die
Pflicht, auf günstigere Kredite hinzuweisen. Ich sehe
aber auch da momentan noch nicht die Notwendigkeit,
gesetzgeberisch tätig zu werden. Unsere Ministerin
Aigner hat vor kurzem auf der Ebene der Banken und
Sparkassen ein Gespräch geführt, bei dem insbesondere
die Thematik „Mehr Transparenz bei den Dispokredit-
zinsen“ behandelt wurde. Der Finanztest weist zu Recht
darauf hin, dass sich manche Banken wegducken. Trans-
parenz ist, glaube ich, ein wichtiges Thema. Für gesetzli-
che Regulierungen sehen wir aber derzeit überhaupt
keine Notwendigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kerstin Tack [SPD]: Das ist das Problem!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719914800

Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719914900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ja, Herr Wanderwitz, Sie haben recht: Wir dis-
kutieren in dieser Legislaturperiode das dritte Mal über
die Deckelung von Dispozinsen. Leider haben Sie ver-
gessen, zu erwähnen, dass wir das dritte Mal auf Grund-
lage eines Antrages der Linken über die Deckelung der
Dispozinsen diskutieren. Ich möchte Sie an dieser Stelle
fragen: Wo ist eigentlich der Antrag der Koalition zu
diesem Thema?


(Beifall bei der LINKEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Genau das ist der Punkt! Es braucht ja keinen, wenn nichts zu regulieren ist!)


Aktuell liegt der durchschnittliche Dispozinssatz in
Deutschland laut Stiftung Warentest – diese Zahl haben
wir – bei fast 12 Prozent, lassen Sie es meinetwegen
10 Prozent sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache,
dass es Banken gibt, die Dispozinsen von über 15 Pro-
zent verlangen. Es ändert auch nichts an der Tatsache,
dass sich die Banken ihr Geld für gerade einmal
0,75 Prozent leihen. Das heißt, da liegt eine Gewinn-
spanne von 11 Prozentpunkten – oder lassen Sie es
9 sein – dazwischen. Das ist viel zu viel. Das geht zulas-
ten der Verbraucherinnen und Verbraucher, und deswe-
gen muss der Gesetzgeber endlich handeln.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Frage ist: Wen trifft das eigentlich? Das trifft vor
allen Dingen Geringverdiener, das betrifft Menschen, die
keinen Kleinkredit bekommen würden, das heißt, die
Banken verdienen ihre Milliarden an den Geringverdie-
nern, die sowieso schon nichts zu verschenken haben.
Das sind diejenigen Menschen, die nicht von heute auf
morgen ihre Bank wechseln können, das sind Menschen,
die vielleicht froh sind, dass sie überhaupt ein Girokonto
haben – Sie stehen immer noch in der Pflicht, das Recht
auf ein Girokonto festzuschreiben –, und deswegen zie-
len Ihre Argumente völlig ins Leere.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Linke bringen jetzt zum dritten Mal einen An-
trag zu diesem Thema in den Deutschen Bundestag ein.
Wir fordern nach wie vor die Begrenzung der Dispo-
und Überziehungszinsen. Wir sagen: 5 Prozent über dem
Basiszinssatz sind genug für einen Dispokredit. Was tut
die Bundesregierung? Es ist schon erwähnt worden: Sie
lädt zu Kaffeekränzchen ein, und es werden dauernd
Gutachten in Auftrag gegeben,


(Marco Wanderwitz mus hätten Sie schon reguliert, das ist klar!)


in denen interessante Sachen festgestellt werden – ich
darf zitieren –:

… dass die Erträge aus dem Dispokreditgeschäft
die Kosten, die dem Kreditinstitut … entstehen,
deutlich übersteigen, …

Das heißt doch übersetzt nichts anderes: Die Banken
zocken ab und sanieren sich auf Kosten ihrer ärmsten
Kundinnen und Kunden.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Sie zocken nicht ab, sie machen Gewinn! Ganz schlimm!)


Das gern bemühte Argument, dass die Banken diese
Gewinnspannen brauchen, um beispielsweise das hohe
Ausfallrisiko bei der Kreditvergabe aufzufangen, stimmt
einfach nicht. Das belegt übrigens auch das Gutachten
der Ministerin. Die Bearbeitungskosten haben sich in
den vergangenen Jahren überhaupt nicht erhöht, und das
Ausfallrisiko bei Dispokrediten liegt gerade einmal bei
0,3 Prozent. Es gibt also keinen einzigen Grund, sich mit
diesen Argumenten die Untätigkeit der Regierung
schönzureden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie selber wissen genau, dass die Schutzbehauptun-
gen der Banken nicht stimmen. Trotzdem weigern Sie
sich, zu handeln. Da wird auf diskrete Ansprache und
freiwillige Maßnahmen gesetzt. Sie bitten die Bankinsti-
tute höflich um ein Gespräch, damit sie vielleicht das
eine oder andere tun, aber welche Bank würde, ohne
dass der Gesetzgeber eingreift, freiwillig auf Milliarden-
gewinne verzichten wollen? Das Ergebnis des Ge-
spräches der Ministerin mit den Banken und Verbrau-
cherverbänden Anfang Oktober ist mehr als dürftig. Die
Dispozinsen dürfen weiter völlig überhöht bleiben, aber
die Banken versprechen, ihre abgezockten Kunden künf-
tig besser zu informieren. Schönen Dank auch!

Wissen Sie, das ist genau der Unterschied zwischen
der schwarz-gelben Verbraucherpolitik und der linken
Verbraucherpolitik. Sie wollen, dass die Kunden besten-
falls im Kleingedruckten darüber informiert werden, in
welcher Höhe sie abgezockt werden. Wir Linke sagen
ganz klar: Wo den Verbraucherinnen und Verbrauchern
so in die Tasche gegriffen wird, da muss der Gesetzgeber
einfach handeln. Es wird höchste Zeit, dies endlich zu
tun.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD)






Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)


Wir haben es ausgerechnet: Würde das Hohe Haus unse-
rem Vorschlag folgen, dann würden die Verbraucherin-
nen und Verbraucher alleine bei den Dispozinsen über
2 Milliarden Euro weniger an die Banken abdrücken.
Wenn das kein Argument ist, dem Antrag der Linken zu-
zustimmen!

Ich freue mich auf die Debatte, und ich freue mich,
dass hier im Hohen Hause endlich einmal eine Mehrheit
für die Deckelung der Dispozinsen entstehen wird. Die
SPD ist – anders als beim letzten Mal – unserem Anlie-
gen schon gefolgt.


(Kerstin Tack [SPD]: Das stimmt nicht!)


Ich hoffe, dass wir hier am Ende eine entsprechende
Regelung hinbekommen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719915000

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Professor

Dr. Erik Schweickert das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1719915100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die hohen
Dispozinsen sind für die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher weiterhin ein Ärgernis. Es ist auch schwer zu erklä-
ren, wenn der Leitzins der Europäischen Zentralbank
derzeit bei 0,75 Prozent steht und der durchschnittliche
Dispozins nach den neuesten Erkenntnissen der Stiftung
Warentest jedoch bei 11,76 Prozent liegt. Während sich
die Banken also sehr günstig Geld bei der EZB leihen
können, blutet der in den Dispozins gerutschte Verbrau-
cher umso mehr. Das ist ärgerlich. Auch dass ein klam-
mer Verbraucher hohe Zinsen zahlt, während der spar-
same Verbraucher im Moment für sein Guthaben nur
sehr wenig bekommt, ist ein Ärgernis.

Beim Geld hört der Spaß auf. Das gilt auch für den
vorgezogenen Wahlkampf der SPD. Das führt zu wenig
differenzierten Betrachtungen des vorliegenden Pro-
blems. Reflexartige Rufe nach einem Eingreifen des
Staates, wie sie im Moment zum Standardrepertoire der
linken Parteien gehören, sind hier jedoch fehl am Platze.

Wir sind der Meinung, dass nicht jeder Eingriff des
Staates für die Bürgerinnen und Bürger auch eine Ver-
besserung bringt, ganz im Gegenteil.


(Zuruf von der SPD)


– Sie haben doch die Studien zitiert. Das Institut für
Finanzdienstleistungen, das Zentrum für Europäische
Wirtschaftsförderung haben das Ganze begutachtet. Am
Ende des Tages müssen wir alle uns daran messen las-
sen, ob wir beim Verbraucherschutz Verbesserungen er-
zielt haben. Da sind unangemessene Schnellschüsse, die
dazu beitragen, dass wir an anderer Stelle Kollate-
ralschäden aufreißen, nicht geeignet.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Sie haben zwei Jahre Zeit gehabt! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Schlafen Sie weiter!)


Die angesprochene Studie hat gezeigt, dass es keine
einfachen Lösungen gibt und dass eine Zinsdeckelung,
wie es die Fraktionen der Linken und der SPD vorschla-
gen, gerade keine effiziente Lösung des Problems dar-
stellt.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Einfach besser machen! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ja, für die Banken!)


Ich möchte Ihnen sechs Gründe nennen, warum das
nicht der Fall ist.

Erstens. Es gibt heute schon eine Grenze der Zins-
höhe, nämlich dort, wo wir den Bereich des Wuchers er-
reichen. Dort können Gerichte darüber entscheiden, ob
der Tatbestand des Wuchers erreicht ist oder nicht, und
somit auch entsprechende Maßnahmen einleiten.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Was ist denn Ihr Vorschlag? Oder nur Philosophie?)


– Hören Sie zu.

Zweitens. Dispozinsen sind für die kurzfristige Über-
brückung von Zahlungsschwierigkeiten der Verbraucher
gedacht. Sie sind also kein dauerhafter Kredit und auch
nicht als solcher zu verstehen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dann kann man die Zinsen ruhig niedrig machen!)


Hier liegt übrigens der schwere Verständnisfehler im
Antrag von Frau Lay. Sie schreiben, dass es sich beim
Dispokredit um einen Kleinkredit handeln würde, den
viele Menschen dauerhaft nutzen. Aber genau das ist der
Fehler; denn der Dispositionskredit ist eben kein auf
dauerhafte Nutzung angelegter Kredit. Er ist ein kurz-
fristiger Schutzschirm.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Aber manchen Menschen bleibt keine andere Wahl! Keine Ahnung von der Realität!)


Der Dispo- und Überziehungsbereich eines Kontos ist
nur ein Notpuffer. Manche Verbraucher – da bin ich bei
Ihnen – nutzen den im Moment regelmäßig, so als wäre
es ein Guthabenbereich. Aber dafür zahlen sie natürlich
auch mehr Zinsen. Es gibt kein Recht auf billige Schul-
den in diesem Bereich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Aber das Recht auf gute Löhne!)


Da trägt jeder Verbraucher für sich selbst Verantwor-
tung. Das heißt, er muss schauen, dass er sein Konto
nicht überzieht. Man kann es sich bei der Bank auch so
einrichten, dass das geht. Darüber hinaus gibt es Alterna-
tiven: Es gibt den Kleinkredit. Es gibt den Ratenkredit.
Es gibt für Studenten günstige Kreditformen, bei denen
man diese Probleme nicht hat. Da sind die Zinsen gerin-
ger als beim Dispokredit.





Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)


Außerdem wird er deswegen gern genutzt, weil er un-
bürokratisch ist, weil man ihn einfach einmal in An-
spruch nehmen kann. Es gibt einen schnelleren Zugang,
mehr Flexibilität bei der Aus- und Rückzahlung und
keine festen Raten. Aber deshalb ist er halt auch teurer.

Drittens. Dispokredite bedeuten für die Banken mehr
Aufwand. Der höhere Aufwand rechtfertigt auch höhere
Kosten.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Die Studie widerlegt diese Aussage!)


Viertens. Hier funktioniert der Markt; denn es gibt
beim Dispozins nicht nur die Negativbeispiele mit Zins-
sätzen jenseits der 13 Prozent, sondern es gibt auch eine
ganze Reihe von Banken, die unter dem von der SPD
vorgeschlagenen Deckelungswert von 8 Prozent liegen.


(Kerstin Tack [SPD]: Das sei ihnen auch gegönnt! Warum auch nicht?)


Das muss man auch einmal zur Kenntnis nehmen. Es
gibt also die Möglichkeit, die kontoführende Bank zu
wechseln, wenn einem die Dispozinsen zu hoch erschei-
nen. Nur, es wird viel zu wenig gewechselt. Der Ver-
braucher nutzt in diesem Bereich seine Marktmacht ein-
fach nicht.


(Kerstin Tack [SPD]: Jetzt ist der Verbraucher schuld!)


Somit wird sich der Wettbewerb auch nicht zum Wohle
der Verbraucher entwickeln.

Fünftens. Das Beispiel wirft eine andere Frage auf:
Was ist denn ein angemessener Zinssatz für Dispokre-
dite? Sollen wir uns als Staat anmaßen, zu entscheiden,
was hier gerecht ist? Sollen wir als Staat das tun?


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die Banker aber auch nicht!)


Sollen wir die besseren Banker spielen? Ich glaube, die
Finanzkrise hat uns gezeigt, dass der Staat auf gar keinen
Fall der bessere Banker ist, meine Damen und Herren.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber die Deutsche Bank!)


Nicht nur der EZB-Leitzins spielt für die Berechnung
des Dispozinssatzes für die Banken eine wichtige Rolle.
Daneben sind auch die Refinanzierungskosten, die Risi-
kokosten und die operativen Kosten wichtige Kompo-
nenten des Dispozinssatzes. Die große Spannbreite der
am Markt verfügbaren Dispozinsen zeigt: Es gibt nicht
nur Auswahl; es gibt auch keinen objektiv bestimmbaren
Einheitszins.

Was würde passieren, wenn wir Ihrem Antrag folgen?
Die 2 Milliarden Euro hat Frau Lay uns gerade vorge-
rechnet. Was würde passieren, wenn wir trotz der ge-
schilderten Bedenken eine Deckelung vornehmen? Es
wäre schlecht für den Verbraucher, weil, wie ich bereits
beschrieben habe, der Dispozins eine von mehreren be-
triebswirtschaftlichen Entscheidungen einer Bank im
Bereich des Kontos ist. Wenn wir als Staat in diese Ent-
scheidungen eingreifen, dann werden die Banken die
Gebührenstrukturen neu ordnen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719915200

Gestatten Sie eine Frage der Kollegin Lay?


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1719915300

Von Frau Lay immer.


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719915400

Herzlichen Dank, Herr Kollege Schweickert, für die

Möglichkeit zu einer Zwischenfrage. Sie haben gesagt,
dass es aus Ihrer Sicht völlig ungerechtfertigt sei, wenn
sich der Staat einmischen und den Banken sozusagen
ihre Zinsen vorschreiben würde. Aber wodurch ist es
dann gerechtfertigt, dass wir an anderen Stellen, bei-
spielsweise im BGB, durchaus eine Deckelung von Zin-
sen vorsehen? Bei den Verzugszinsen beispielsweise gibt
es das auch wie bei dem Vorschlag, den wir als Linke
eingebracht haben: 5 Prozentpunkte über dem Basiszins-
satz. Warum kann das, was jetzt schon im BGB bei Ver-
zugszinsen gilt und was auch die Koalition offensicht-
lich nicht abgeschafft hat, bei den Dispozinsen nicht
eingeführt werden? Das müssen Sie mir bitte einmal er-
klären.


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1719915500

Vielen Dank für die Frage, Frau Lay. – Wir haben in

diesem Zusammenhang zwei Bereiche, die man unter-
scheiden muss. Es gibt zwar die Berechnung eines Ver-
zugszinssatzes durch ein Unternehmen, das sich zu ver-
schiedenen Zinssätzen bei seiner Bank refinanziert.
Dabei wird, wie Sie richtig gesagt haben, genau diese
Regelung angewandt. Es ist aber nicht so, dass der Bür-
ger ein Konto bei dem Unternehmen führt. Das ist der
Punkt, um den es mir geht. Denn wenn wir eine betriebs-
wirtschaftliche Entscheidung der Bank an einer Stelle re-
geln, dann werden – das zeigt auch das von Ihnen
genannte Gutachten – die Abhebegebühren und die Kon-
toführung teurer.


(Kerstin Tack [SPD]: Wieso das denn?)


Die Frage ist, ob wir das wollen. Ich sage Ihnen ganz
klar: Das trifft dann die Verbraucher, die den Dispo und
Überziehungszins gar nicht nutzen. Sie zahlen dann das
mit, was die anderen, die in der Kreide stehen, mit dem
Dispo und Überziehungszins nutzen. Genau das Problem
lösen wir dann aus. Somit wäre eine Regelung in diesem
Bereich, wie Sie sie vorschlagen, definitiv nicht positiv
für die Verbraucher.

Es wäre also nicht effizient, weil es genügend Men-
schen gibt, die verantwortungsvoll mit dem in Anspruch
genommenen Dispokredit umgehen. Über 80 Prozent al-
ler Haushalte in Deutschland verfügen über einen Dispo-
kredit. Ich bin mir sicher: Wenn wir das große Angebot
erhalten wollen, dann müssen wir auch dafür sorgen,
dass es die Möglichkeit der unterschiedlichen Zinssätze
gibt.

Alles in allem komme ich zum Schluss: Wir, die
schwarz-gelbe Regierungskoalition, werden den Dispo-
kredit nicht deckeln. Wir setzen vielmehr darauf, wie Sie
gesagt haben, dass wir zu Gesprächen und freiwilligen
Lösungen in dem Bereich kommen.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Kaffeekränzchen!)






Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)


– Herr Sieling, auch der Bundesrat hat sich letzte Woche
aus guten Gründen dagegen ausgesprochen, und dort ha-
ben Sie, die Oppositionsfraktionen, sogar die Mehrheit.
Ihre eigenen Leute lehnen also die von Ihnen gemachten
Vorschläge ab, und ich sage: zu Recht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Das stimmt allerdings! Das ist richtig! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Blockade durch die CDU in der großen Koalition!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719915600

Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1719915700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Abzocke mit den Dispozinsen ist ein verbraucher-
politisches Dauerärgernis. Deshalb beschäftigt es uns
auch zu Recht dauerhaft im Parlament. Wir könnten die
dauernden Debatten hier verkürzen, wenn Schwarz-Gelb
aktiv werden würde. Deshalb verstehe ich auch den Un-
mut, dass wir immer und immer wieder darüber reden
müssen, nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Denn es ist doch so: Während sich die Kreditinstitute ihr
Geld zu niedrigsten Zinsen beschaffen und den daraus
resultierenden Vorteil an die Menschen weitergeben, die
etwas auf der hohen Kante haben, werden die Menschen,
die in der Kreide stehen, ordentlich geschröpft. Es gibt
keine Begründung dafür, 12, 13, 14 oder sogar 15 Pro-
zent für einen Dispositionskredit zu verlangen. Das ist,
wie ich finde, an Wucher grenzende Bereicherung; denn
der Dispo weist im Vergleich zu anderen Kreditformen
eine sehr geringe Ausfallquote auf – das haben Studien
des Verbraucherministeriums belegt – und muss von den
Banken nicht mit Eigenkapital hinterlegt werden, Herr
Wanderwitz. Eine Hinterlegung mit Eigenkapital kann
man also nicht als Argument für höhere Zinssätze gelten
lassen.

Das Problem ist: Obwohl die Zinsen in absoluten
Zahlen gesunken sind – sie liegen im Durchschnitt nicht
mehr bei 13 oder 14, sondern bei 12 Prozent –, ist die
Schere – die SPD hat von einem Krokodil gesprochen –
zwischen Leitzins und Dispozinsen weiter auseinander-
gegangen; denn die Zinsen, zu denen sich die Banken
das Geld beschaffen, sind in den letzten Monaten weiter
gesunken. Wir haben es hier also mit mangelndem Wett-
bewerb und Marktversagen zu tun. Herr Schweickert,
ich habe hier einen Dissens mit Ihnen. Sie sagen, man
könne die Bank wechseln. Machen Sie sich einmal den
Spaß, in Ihrem Wahlkreis zu schauen, wo man einen
günstigen Dispo bekommt, wenn man eine Filialbank
haben will. Die Deutsche Skatbank beispielsweise und
andere Kreditinstitute mögen tolle Zinsen geben, wenn
man Internetbanking betreibt. Wenn man aber so wie ich
konservativ ist


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Aha!)


und einen realen Menschen als Gegenüber in der Bank
haben möchte, dann ist die Auswahl geringer. Es gibt so-
gar Regionen, in denen man keinen Dispo zu einem
Zinssatz von unter 12 Prozent bekommt. Ich habe mir
notiert, dass Sie beim letzten Mal die Idee hatten, das
Kartellamt einzuschalten. Mich interessiert, was die FDP
zu dem mangelnden Wettbewerb in diesem Bereich sagt.
Wir sind jedenfalls der Meinung, dass wir hier politisch
handeln müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Handeln bedeutet nicht, dass man die Banken zum Kaf-
fee einlädt; das hat Frau Aigner gemacht, und das ist
sehr höflich von ihr. Aber das wird auf Dauer nichts
bringen.

Sie haben den Bundesrat angesprochen. Die Union
hat hier eine Entscheidung zugunsten der Kundinnen
und Kunden blockiert. Das finde ich sehr schade. Einer-
seits macht Frau Aigner tolle Pressemitteilungen und
geistert mit dem Thema Dispoabzocke durch die Schlag-
zeilen. Andererseits werden Lösungen im Bundesrat blo-
ckiert. Das finde ich nicht korrekt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Dass die Opposition Schwarz-Gelb bei der Program-
matik einiges voraus hat, zeigen nicht nur die beiden An-
träge der SPD und der Linken sowie der Antrag meiner
Fraktion – dieser wurde bereits abschließend behan-
delt –, sondern auch die relativ ausführlichen Gegenargu-
mente. So wurde gefragt: Kann denn der Staat sich anma-
ßen, einen Deckel einzuziehen? – Frau Lay hat darauf
hingewiesen, dass sich der Staat beim Zahlungsverzug
sehr wohl angemaßt hat, einen konkreten Deckel einzu-
ziehen. Darüber, ob 5 Prozent die richtige Größenord-
nung sind, können wir diskutieren. Sobald ein von
Schwarz-Gelb eingebrachter Gesetzentwurf vorliegt,
können wir im Verbraucherausschuss eine Anhörung
durchführen. Wenn Sie eine Größenordnung von 6,5 Pro-
zent für richtig halten, werden bestimmt weder die Linke
noch die SPD noch wir Grüne sagen: Nein, das kann man
nicht machen. – Legen Sie also etwas vor, und präsentie-
ren Sie uns bessere Lösungen! Ich habe zwar Ihre Kritik
vernommen – darüber kann man diskutieren –, aber eine
bessere Lösung haben Sie bisher nicht vorgelegt. Das
finde ich sehr wenig angesichts der Tatsache, dass wir
nun im dritten Jahr in diesem Parlament über dieses
Thema sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719915800

Die Kollegin Mechthild Heil hat nun für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1719915900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Kolleginnen und Kollegen! Und jährlich grüßt das Mur-





Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)


meltier! Heute debattieren wir wieder einmal über die
Dispozinsen. SPD und Linke haben Anträge vorgelegt,
in denen sie Zinsobergrenzen fordern, die sich am Basis-
zinssatz orientieren. Das klingt – das gebe ich zu – beim
ersten Hören gut, entpuppt sich aber schnell als wenig
durchdacht und im Detail völlig inkonsequent.


(Beifall der Abg. Beatrix Philipp [CDU/CSU] – Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es besser!)


So verlangt die SPD nur eine Obergrenze für den verein-
barten Überziehungskredit, aber keine für die darüber hi-
nausgehenden Überziehungen.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Natürlich!)


Sie haben wieder unsauber gearbeitet.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie haben es nicht gelesen!)


Die Linke hat sich gleich die ganze Arbeit gespart und
den wortgleichen Antrag aus dem Jahr 2010 vorgelegt,
als ob sich in der Zwischenzeit überhaupt nichts verän-
dert hätte.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie haben nicht zugehört!)


Aber es hat sich etwas verändert. Der durchschnittliche
Zinssatz ist gesunken. Lag er 2010 bei 12,5 Prozent, so
liegt er heute – wir haben es eben gehört – bei knapp
10 Prozent.


(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, 11,7!)


Übrigens, Frau Maisch, zum Stichwort „ländlicher
Raum“ – wir kommen ja aus der gleichen Gegend –:
Meine Hausbank, eine Filialbank, verlangt 9 Prozent.
Das ist also auch möglich.

Aber wir müssen noch einmal der Frage nachgehen:
Was denken Sie eigentlich, welche Höhe der Zinsen
denn angemessen ist? Sie machen sich das in Ihren An-
trägen wirklich sehr einfach. Klar; bei Ihnen geht es um
Stimmungsmache, um die Öffentlichkeit


(Widerspruch des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD])


und nicht um eine saubere und praktikable Lösung des
Problems.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie sitzen es aus!)


Sosehr ich mich auch darüber freue, dass Sie mit Ih-
ren Anträgen eine plakative Zeitungsüberschrift bekom-
men und damit natürlich in der Öffentlichkeit auch den
Druck ein wenig erhöhen: Es ist unsere Aufgabe als Par-
lamentarier, auch der Komplexität dieses Problems ge-
recht zu werden. Davon sind Sie leider ganz weit ent-
fernt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Ganz weit weg, Kilome ter! – Gegenruf der Abg. Kerstin Tack [SPD]: Gott sei Dank haben wir euch!)


Tatsache ist: Den Kunden erscheinen die hohen Zin-
sen als Wucher. Es besteht ein empfundenes Missver-
hältnis zwischen den Zinsen, die die Kunden zu zahlen
haben, und den Zinsen, die die Banken zahlen, wenn sie
sich Geld leihen. Aber wie kommt es zu der Differenz?
Die Kollegen haben schon darauf hingewiesen: Die
Höhe der Dispozinsen hat nur bedingt mit der Refinan-
zierung der Banken zu tun. Andere Faktoren spielen eine
Reihe, zum Beispiel die betriebswirtschaftliche Risiko-
einschätzung, Eigenkapital- und Betriebskosten sowie
Bearbeitungskosten. Und, meine sehr verehrten Damen
und Herren von SPD und Linken: Nicht alle Banken sind
gleich. Es gibt verschiedene Bankmodelle; die Banken
haben natürlich unterschiedliche Kostenstrukturen und
kommen damit auch zu unterschiedlichen Kosten für die
Kunden. So kann eine Direktbank günstiger sein als eine
Filialbank, weil sie zum Beispiel weniger Miet- und Per-
sonalkosten hat.


(Kerstin Tack [SPD]: Niemand will das verändern!)


Sie kann diese Kostenvorteile an die Kunden weiterge-
ben und günstigere Disposätze anbieten.

Sie fordern eine einheitliche Obergrenze für die Zin-
sen. Damit scheren Sie alle Banken, die wir auf dem
Markt haben, über einen Kamm.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sie schieben es auf die lange Bank! – Zuruf von der SPD: Quatsch!)


Das ist Gleichmacherei auf mittlerem Niveau, frei nach
dem sozialistischen Motto: Wenn alles gleich ist, dann
ist es auch gut. Aber so funktioniert unsere Welt nicht
und schon gar nicht unsere Bankenwelt.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Gott sei Dank! – Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Da haben Sie völlig recht! – Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist allerdings richtig!)


Eine Zinsobergrenze, auch eine, die an den Basiszins-
satz gekoppelt ist, wird dazu führen, dass sich die Ban-
ken bequem daran orientieren.


(Kerstin Tack [SPD]: Sie haben ja ein tolles Bild von den Banken!)


Banken, die jetzt günstig sind, werden ihren Dispozins-
satz nach oben anpassen mit dem Argument: Das ist
doch staatlich empfohlen; das ist der gerechte Zinssatz.

Außerdem: Andere Leistungen der Banken können
teurer werden. Zum Beispiel kann die Kontoführungsge-
bühr steigen, weil die Leistung nicht mehr durch die
Überschüsse aus den Zinsmargen querfinanziert werden
kann.

Ihre Vorschläge sind wirklich nicht durchdacht. Sie
lösen das Problem nicht.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Was sind denn Ihre Vorschläge? Sie haben keine eigenen Vorschläge!)






Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)


Deshalb lehnen wir sie auch ab.

Unser Weg ist ein anderer.


(Zuruf: Jetzt bin ich gespannt!)


Das Verbraucherministerium hat eine Studie zu Dispo-
zinsen und Ratenkrediten in Auftrag gegeben, um unter
anderem auch die Frage zu klären: Wen trifft denn dieser
hohe Zinssatz?


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Die armen Banken bestimmt!)


Die Studie sagt, dass vor allem Arbeitslose und Alleiner-
ziehende betroffen seien. Allerdings gehört zur Wahr-
heit, dass diejenigen, von denen die Banken erwarten,
dass sie ihr Konto überziehen, aber nicht ausgleichen
können, meist überhaupt keinen Zugang zu Dispokredi-
ten erhalten. Dieser wird ihnen von den Banken von
vornherein verweigert. Das Ausfallrisiko ist zu hoch,
selbst bei hohen Zinsen.

An dieser Stelle kämpfen wir gemeinsam für ein
Konto für jedermann.


(Kerstin Tack [SPD]: Aha! – Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist ja ganz was Neues! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wann kommt das Gesetz? Wann kommt der Vorschlag?)


Dispokredite spielen dabei überhaupt keine Rolle.

Eine Gruppe, die von den hohen Dispozinsen beson-
ders betroffen ist, wird in dieser Diskussion regelmäßig
ignoriert: Das ist der Mittelstand. Das sind die Handwer-
ker, die Selbstständigen, die Dienstleister, die Unterneh-
mer. Eigentlich ist bei ihnen die Geschichte immer die
gleiche: Es gibt einen Liquiditätsengpass beim Unter-
nehmen, weil ein Kunde nicht im geplanten Zeitraum
gezahlt hat oder weil es außerplanmäßige Ausgaben
gibt. Dann wird schon einmal der Spielraum zwischen
eingeräumter und geduldeter Überziehung überschritten,
und dann kommen hohe und als ungerechtfertigt emp-
fundene Zinsen auf das Unternehmen zu. Umschulden
geht nicht so einfach. Beim Wechsel der Bank würden
erst einmal alle Sicherheiten neu bewertet. Weitere Zeit
und weiteres Geld würden so verbrannt. Die Unterneh-
men sitzen dann in einer Zwickmühle.

Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, die
Höhe der Dispozinsen gehört auf den Prüfstand. Ich bin
froh, dass, nachdem im Juli das Gutachten erschienen
ist, ein Spitzengespräch mit Bankenvertretern stattgefun-
den hat.


(Ulrich Kelber [SPD]: Kaffeekränzchen!)


– Meinetwegen gab es auch Kaffee dabei; ich weiß
nicht, wie Sie Ihre Gäste empfangen.


(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Bei uns passiert dann was!)


Die Banken beginnen, sich unter dem politischen und öf-
fentlichen Druck zu bewegen. Die Banken fangen an, die
Dispozinsen zu senken, und das freiwillig. Informationen
werden transparenter gemacht. Viele Banken sind kun-
denfreundlich, sie erkennen den Wettbewerbsvorteil, den

es bietet, im Bereich der Dispozinsen transparent, günstig
und serviceorientiert zu sein. Das ist der richtige Weg. Ich
setze deshalb auf eine freiwillige Selbstverpflichtung der
Banken statt auf staatlichen Zwang, wie ihn die linke
Seite dieses Hauses immer will.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719916000

Kollegin Heil, achten Sie bitte auf die Zeit.


Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1719916100

Der Verbraucher, der Kunde hat die Macht. Er ist es,

der entscheidet, und das wissen auch die Banken.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719916200

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1719916300

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen!

Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Banken sich
einerseits bei der Zentralbank billiges Geld be-
schaffen, andererseits aber ausgerechnet jene Kun-
den mit hohen Zinsen abkassieren, die am wenigs-
ten haben.

Das war ein Zitat von Frau Verbraucherministerin Ilse
Aigner vom Februar 2012.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Frau Aigner hat im Frühjahr dieses Jahres keine Gele-
genheit ausgelassen, der geneigten Öffentlichkeit gegen-
über ihre Empörung darüber zum Ausdruck zu bringen,
wie schlimm sie es findet, was die Banken den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern mit überhöhten Dispozin-
sen antun. Keine Schlagzeile war ihr groß genug. Sie
werde das jetzt anpacken, hat sie gesagt.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Alles Schauspiel!)


Dann nahm die Show wie immer ihren Lauf: Mit Steuer-
geldern ist ein Gutachten finanziert worden, dessen Aus-
fluss mitnichten irgendeine Konsequenz für politisches
Handeln der Bundesregierung hat.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wie immer!)


Als das Gutachten im Juli vorgelegt wurde, war Frau
Aigners bekannte Reaktion: Lassen Sie uns freund-
schaftlich darüber reden, damit wir der Öffentlichkeit ir-
gendetwas präsentieren können. – Regeln wolle sie aber
nichts.

Das ist, finde ich, schon ein bisschen Verarsche derer,





Kerstin Tack


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Das ist aber hart! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein schlimmer Ausreißer! – Zuruf von der FDP: Sie sind unmöglich!)


die sich darauf verlassen haben, dass, wie es vor einem
halben Jahr angekündigt worden ist, gegen zu hohe Dis-
pozinsen etwas getan wird. Da hätte ich es ehrlicher ge-
funden, wenn man von Anfang an – wie Frau Heil das
hier für die CDU/CSU-Fraktion formuliert hat – gesagt
hätte, dass man findet, dass alles bleiben könne, wie es
ist, und dass man keinen Regelungsbedarf sehe.


(Dr. Thomas Gebhart [CDU/CSU]: Das hat sie doch gar nicht gesagt!)


Zuerst verkünden, man sehe großen Handlungsbedarf,
dann aber nichts tun, das ist für jemanden, der zum
Schutze der Verbraucherinnen und Verbraucher ein Mi-
nisteramt bekleidet, eindeutig zu wenig.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Heil, wir schlagen gar nicht vor, dass jede Bank
einen identischen Zinssatz nehmen soll. Um Gottes wil-
len! Was wir vorschlagen, ist ein Prozentsatz, über den
die Banken beim Dispozins nicht hinausgehen können.
Das heißt nicht, dass jede Bank einen identischen Zins-
satz nehmen müsste. Wir schlagen vor, dass für darüber
hinausgehende Zinsen der Wucherparagraf, wie im BGB
geregelt – Stichwort „doppelter Zinssatz“ –, greift. Das
muss man nicht erst regeln, das ist schon Bestandteil des
BGB.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Vorgestern hat die Welt das System der Banken mit
dem Dispokredit ziemlich gut analysiert. „Über Geld
spricht man nicht“, beginnt der Artikel. Dann wird ge-
fragt: Ist es Tugend oder ist es Unverschämtheit von den
Banken, zu meinen, dass man an der Stelle aus eigenem
Handeln heraus keinerlei Gesprächs- und Regelungsbe-
darf sieht?

Wir wissen, dass das Versprechen von Transparenz
und Selbstverpflichtungen, insbesondere von Banken,
uns bei allen anderen Themen nicht wirklich weiterge-
bracht hat. Das Girokonto für jedermann, Frau Heil, das
Sie gerade angesprochen haben, ist das allerbeste Bei-
spiel dafür, dass uns genau diese Selbstverpflichtung, die
sich die Banken auferlegen, nicht weiterhilft. Hier haben
wir genau die Situation: 600 000 Menschen in Deutsch-
land haben kein Konto – trotz Selbstverpflichtung –, und
Sie wollen nicht regeln. Jetzt warten Sie darauf, dass das
Europa regelt, weil Sie auch hier wieder einmal keinen
Handlungsbedarf sehen. Wir sagen: Der Handlungsbe-
darf ist nicht nur da, er ist groß, er ist unmittelbar, er ist
akut.

Deshalb bitten wir darum: Überdenken Sie im weite-
ren Verlauf der Debatten Ihre Position! Wir würden uns

freuen, wenn wir ein gemeinsames Ergebnis erzielen
würden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719916400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/10988 und 17/10855 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b so-
wie den Zusatzpunkt 8 auf:

39 a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Marieluise
Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Sylvia
Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechtsstaatlichkeit in Russland

– Drucksachen 17/7541, 17/9521 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise
Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Agnes
Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Modernisierung Russlands ohne
Rechtsstaatlichkeit

– Drucksache 17/11002 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Gemeinsam die Modernisierung Russlands vo-
ranbringen – Rückschläge überwinden – Neue
Impulse für die Partnerschaft setzen

– Drucksache 17/11005 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Marieluise Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.






(A) (C)



(D)(B)


Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Jede Russlanddebatte in Deutschland muss
die unauflösbare historische Verbindung unserer beiden
Länder im Blick haben. Die im Zweiten Weltkrieg an
und in Russland begangenen Verbrechen legen uns eine
Verpflichtung auf, und deswegen gilt es für uns, die Ent-
wicklung in Russland engagiert und kritisch zu beglei-
ten, ohne jegliche Rhetorik des Kalten Krieges, aber
auch ohne ein vorauseilendes Verständnis für deutliche
Fehlentwicklungen in dem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte hier sehr offen bekennen: Ich würde mich
sehr freuen, wenn der Ost-Ausschuss der deutschen
Wirtschaft nicht nur auf die erfreulichen Marktchancen
in Russland schauen würde, sondern sich mit dieser
Grundhaltung beherzt an die Seite der Demokraten und
der Politik, an unsere Seite, stellen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aus den bitteren Erfahrungen des politischen Totalita-
rismus des 20. Jahrhunderts erwächst uns die Verpflich-
tung, uns an die Seite derjenigen zu stellen, die gegen
Unterdrückung und Bevormundung durch den Staat
kämpfen, die für mehr Pluralismus stehen, die für den
Vorrang des Rechts vor der Machtwillkür ihre Stimme
erheben. Solche engagierten Bürgerinnen und Bürger
sind es, die erst ein modernes Staatswesen begründen
können. Transparenz, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlich-
keit – das sind die Ingredienzen eines modernen Staates.
Nur eine aktive Bürgergesellschaft ist in der Lage, diese
Prinzipien mit Leben zu erfüllen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Dies verkennt die russische Führung seit vielen Jah-
ren. Auch die Hoffnung, die wir mit Präsident
Medwedew verbunden haben, hat sich faktisch in Luft
aufgelöst.

Zwar wird seit vielen Jahren von der russischen Füh-
rung erklärt, sie wolle einen modernen Staat aufbauen
– das wurde zum politischen Ziel erklärt –, aber miss-
traut wird gerade denen, die der Motor für die durchgrei-
fende Modernisierung des Landes sein könnten.

Anstatt die Kräfte der Gesellschaft sich entfalten zu
lassen, wird konsequent die erstarrte und korrupte
Machtvertikale weiter ausgebaut. Der Kreml sorgt dafür,
dass die Justiz willfährig ist, wenn es politisch gewollt
ist. Das haben wir erlebt beim Fall Chodorkowski, wir
haben es auch erlebt beim dramatischen Fall Magnitskij.
In russischen Lagern gibt es viele Namenlose, die eben
dieser Willkür auch aus Korruptionsgründen ausgesetzt
sind.

Im Winter des vergangenen Jahres keimte die Hoff-
nung auf, dass sich das Land aus der Erstarrung befreien

könne. Die russische Gesellschaft meldete sich zurück.
Friedlich und kreativ forderten die Protestierenden ein
demokratisches und rechtsstaatliches Russland. Anstatt
diese gesellschaftliche Bewegung als große Chance zu
begreifen und mit ihr eine Politik der Öffnung zu begin-
nen, sagte der Kreml der eigenen Gesellschaft den
Kampf an.

Seit Putins Amtsantritt kam der Abbau von Bürger-
rechten Schlag auf Schlag: zuerst die Verschärfung des
Demonstrationsrechts, dann die drastische Erhöhung der
Strafen für Verleumdung, das Internetgesetz, das eine
Bedrohung für die freie Kommunikation im Internet dar-
stellt, ein NGO-Gesetz, das politisch tätige NGOs, die
Zuwendungen aus dem Ausland erhalten, dazu zwingen
soll, sich selbst als ausländische Agenten zu bezeichnen.
Es war Ludmilla Alexejewa, die große alte Dame der
russischen Bürgerrechtsbewegung, die gesagt hat: Ich
werde mich nicht ein zweites Mal in meinem Leben als
ausländische Agentin bezeichnen.

Wir alle wissen, dass dieser Ansatz vor allen Dingen
auf Golos zielt, die wunderbare, in Russland selbst auf-
gebaute Wahlbeobachtungsbewegung, die allerdings von
Zuwendungen der EU abhängig ist und die offensicht-
lich seitens des Kreml als die gefährlichste Bewegung
angesehen wird, weil es sonst echte Wahlen in Russland
geben könnte.

Wir alle haben die skandalöse Urteilsfindung im Fall
„Pussy Riot“ verfolgt. Ja, Blasphemie ist auch in
Deutschland verboten, ebenso ist unsittliches und unan-
gemessenes Verhalten in deutschen Kirchen strafbe-
wehrt. Aber hier geht dafür niemand für zwei Jahre in
eine Strafkolonie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)


Deswegen darf es für die deutsche und europäische
Russlandpolitik kein Weiter-so geben. Wir müssen end-
lich neu nachdenken. Der Kreml in seiner jetzigen Ver-
fassung ist kein verlässlicher Partner und kein Partner
für die Modernisierung. Adressat unserer Bemühungen
um eine Modernisierung Russlands muss die Zivilgesell-
schaft sein. Dafür brauchen wir einen langen Atem und
politische Fantasie.

Ein Instrument haben wir jedoch selber in der Hand,
und das ist die Visumfreiheit. Die Erfahrung einer offe-
nen Gesellschaft, die Begegnung mit Freiheit, freier Kul-
tur und Vielfalt sind das süßeste Gift, das wir gegen au-
toritäre Regierungen im Köcher haben. Es ist ein
friedliches Mittel, und wir sollten endlich den Innenpoli-
tikern die Macht nehmen, diesen wunderbaren Weg, den
wir zur Stärkung der russischen Zivilgesellschaft anbie-
ten könnten, zu versperren. Sie machen mit dem vereng-
ten Blick der Innenpolitiker Außenpolitik. Das gesamte
Haus sollte sich dem endlich entgegenstellen.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719916500

Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1719916600

Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und

Kollegen! Frau Beck, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür,
dass Sie damit begonnen haben, auf die unauflösbare
historische Verbindung hinzuweisen. In der Tat sollten
wir zu Beginn zunächst einmal würdigen, was sich in
Russland schon gebessert hat, bevor wir auf das zu spre-
chen kommen, was zu kritisieren ist. Dabei reichen
meine zehn Finger gar nicht aus, um all das aufzuzählen,
was kritikwürdig ist. Ohne diese Wertschätzung wird
Russland – ich habe das so ähnlich auch in einem Ihrer
Anträge gelesen – nur noch nationalistischer und patriar-
chalischer entscheiden. Ich finde, erfolgreiche Kritik –
wir wollen, dass die Kritik nicht um der Rechthaberei
willen im Raum steht, sondern am Schluss tatsächlich
eine Veränderung bewirkt – kann es am Ende nur unter
Partnern und Freunden geben, und zu einem gewissen
Maß lässt sich das auf unsere Beziehung zu Russland
übertragen. Für mich gibt es zwei Dinge, die eine beste
Freundschaft ausmachen. Die erste Bedingung ist: Ein
Freund darf mich kritisieren und mir wirklich alles sa-
gen. Die zweite Bedingung ist, dass er es dann auch tut.
Ein Stück weit gehört es zu unserer Partnerschaft mit
Russland, dass wir die Kritik offen aussprechen.

Ich zitiere aus dem Antrag der SPD:

Hinzu kommt, dass Russland sich seit langem nicht
mehr als gleichberechtigter Partner anerkannt fühlt.

Weiter unten heißt es:

Russlands Verlangen, wieder als vollwertiger Part-
ner akzeptiert zu werden, ist daher nachvollziehbar.

Wenn wir es mit der Partnerschaft und der Freundschaft
ernst meinen, dann müssen wir auch vor Augen haben,
was uns das bedeutet – und wir müssen es auch benen-
nen. Deshalb möchte ich mit positiven Aspekten begin-
nen.

Einige Stichworte: Wir konnten von Russland nicht
nur einige kulturelle Dinge lernen; wir haben die russi-
sche Geschichte und Kultur insgesamt zu schätzen ge-
lernt. Ich erinnere auch an die Rolle, die Russland bei
unserer Wiedervereinigung gespielt hat. Ein weiterer
Punkt: die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Bezie-
hungen dürfen nicht allein darauf aufbauen, aber es ist
festzuhalten, dass Deutschland einen Anteil von 8,7 Pro-
zent am russischen Außenhandelsvolumen hat. Ein
Stichwort dazu: die Ostseepipeline. Inzwischen sind
6 300 deutsche Unternehmen in Russland tätig.

Sie haben die Modernisierungspartnerschaft ange-
sprochen – ich komme gleich noch darauf –, die es seit
letztem Jahr zwischen der EU und Russland gibt. Es gilt
anzuerkennen, dass es unter Putin eine gewisse Stabili-
sierung Russlands gegeben hat. Ich zitiere aus dem An-
trag der Grünen:

Der Deutsche Bundestag ist sich der Tatsache be-
wusst, dass die Transformation Russlands als Teil
der früheren Sowjetunion in einen Rechtsstaat mit
einer offenen und pluralistischen Gesellschaft eine
gewaltige Herausforderung darstellt.

Das ist also nichts, was man gerade einmal so an einem
Wochenende macht; ich glaube, das ist uns bewusst.

Russland ist heute Mitglied im Europarat und hat mit
dem Beitritt die Europäische Menschenrechtskonvention
anerkannt; jetzt können wir uns darauf beziehen. Unsere
Rolle dabei ist: Wir müssen uns mit dem gerade genann-
ten Europarat, aber auch mit der EU und dem Europäi-
schen Gerichtshof für Menschenrechte – er hat Kritik-
punkte benannt – abstimmen. Es ist auch zu erwähnen,
dass wir gerade mit Russland bei der Korruptionsbe-
kämpfung zusammenarbeiten. Eine darüber hinausge-
hende Zusammenarbeit ist möglich, weil Russland in
diesem Jahr der WTO, der Welthandelsorganisation, bei-
getreten ist.

Jetzt die Missstände. Ich habe gesagt, dass ich zehn
Missstände nennen will – obwohl ich länger als Sie re-
den darf, kann ich sie nur anreißen –:

Erstens. Da ist das Defizit an Rechtsstaatlichkeit. In
der Antwort der Bundesregierung auf die 87 Fragen der
Großen Anfrage der Grünen – Sie haben sie bekommen –
heißt es sehr deutlich:

Die Bundesregierung ist besorgt über fortbeste-
hende Defizite an Rechtsstaatlichkeit in der Russi-
schen Föderation.

Trotzdem:

Die Bundesregierung begrüßt, dass Präsident
Dmitri Medwedew

– der ehemalige Präsident –

die Mängel offen benannt und Maßnahmen zur Be-
kämpfung der Defizite angekündigt hat. Die Bun-
desregierung wird Russland auch in Zukunft bei der
Stärkung der Rechtsstaatlichkeit unterstützen.

Das heißt nicht, dass wir die Mängel nicht immer wieder
betonen müssten.

Der zweite Bereich ist der politische Einfluss auf die
Justiz. Sie haben den Fall der Band Pussy Riot genannt,
aber auch den Fall der Oppositionellen Taisia Osipowa.
Es gibt so viele Einzelfälle, die zusammengenommen
ein deutliches Bild des Einflusses auf die Justiz ver-
schaffen. Hier wieder ein Zitat:

Die Bundesregierung teilt die Einschätzung, dass
bei der Gewährleistung der richterlichen Unabhän-
gigkeit in Russland Defizite fortbestehen.

Es gibt dort also Stagnation, und das darf so nicht blei-
ben. Ich glaube, Sie haben es so ausgedrückt: Das kön-
nen wir nicht weiter so laufen lassen.

Drittens: die Einschränkung der Pressefreiheit.

Viertens: die Zustände in den Gefängnissen. Da gibt
es allerdings zwei Seiten; da muss man fair sein. Die
Bundesregierung hat zur Kenntnis genommen, dass





Frank Heinrich


(A) (C)



(D)(B)


Medwedew einige Initiativen zur Humanisierung des
russischen Strafsystems angestoßen und zum Teil durch
Gesetzesänderungen umgesetzt hat. Zugleich teilt aber
die Bundesregierung die Einschätzung, dass in den russi-
schen Untersuchungsgefängnissen gravierende Defizite
bei den Haftbedingungen fortbestehen. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte hat das in seiner Ent-
scheidung im Fall Ananiew gegen die Russische Födera-
tion vom Anfang dieses Jahres sehr deutlich angemahnt.

Fünftens: das repressive Demonstrationsrecht.

Sechstens: die Behinderung der Opposition, zuletzt
bei den Gouverneurswahlen, bei denen viele Kandidaten
entweder nicht zugelassen oder behindert wurden. Die
Parlamentswahlen letztes Jahr im Dezember fanden un-
ter massiven Behinderungen von Wahlbeobachterorgani-
sationen, unter anderem von Golos, statt.

Seit dem Amtsantritt von Präsident Putin sind zahlrei-
che Gesetze, die gegen die politische Opposition und die
russische Zivilgesellschaft gerichtet sind, oft in einem
Hauruckverfahren in Kraft gesetzt worden. Die Bundes-
regierung bedauert, dass PARNAS, die Partei der Volks-
freiheit „Für ein Russland ohne Willkür und Korrup-
tion“, nicht als Partei registriert wurde und an den
Dumawahlen nicht teilnehmen durfte.

Siebtens: der starke Einfluss der Geheimdienste.

Achtens: Ich habe selber als Pastor in der Heilsarmee
einer Freikirche mitbekommen, dass Religionsgemein-
schaften, die nicht russisch-orthodox sind, anders behan-
delt und benachteiligt werden.

Neuntens: das NGO-Gesetz von 2005. Darin werden
den Organisationen kostenaufwendige bürokratische
Pflichten auferlegt, sodass manche Organisationen ein-
fach nicht arbeitsfähig sind.

Zehntens – das ist nicht der letzte Punkt, aber der
letzte Punkt, den ich aufzähle –: die Verschleierung und
Nichtaufklärung politisch motivierter Straftaten, wie sie
zum Beispiel der Fall Magnitskij sehr deutlich vor Au-
gen führt.

Ihre Frage 23 möchte ich kurz vorlesen:

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregie-
rung aus der Tatsache, dass es trotz des Einsetzens
spezieller Sonderkommissionen und vielfacher Be-
teuerungen konsequenten Engagements nach wie
vor keine Verurteilungen der Mörder von Anna Po-
litkowskaja und Natalja Estemirowa und ihrer Auf-
traggeber gibt?

Die Antwort der Bundesregierung ist eindeutig – ich
denke, sie darf heute so im Raum stehen bleiben und sie
muss von uns unterstützt werden –:

Die Bundesregierung erwartet, dass diese und an-
dere Fälle rückhaltlos aufgeklärt werden, und
macht dies gegenüber der russischen Seite deutlich.

Auch ich möchte es hiermit noch einmal verdeutlichen.

Das sind nicht irgendwelche zehn Fälle, sondern das
sind zehn für uns existenziell wichtige Hinweise auf ge-
sellschaftliches Engagement und das Fehlen von Rechts-

staatlichkeit in diesem Land. Es geht um Dinge, die für
uns in Mitteleuropa selbstverständlich sind. Insofern gilt
es, Schlussfolgerungen zu ziehen


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dann ziehen Sie mal!)


und Forderungen gen Osten zu richten.

Wir fordern die russische Regierung auf, sich an die
freiwillig eingegangenen Verpflichtungen – ich habe das
schon vorhin am Ende meiner Ausführungen zu Punkt 1
gesagt –, die aus der Ratifikation der Europäischen Men-
schenrechtskonvention erwachsen, zu halten und diese
vollständig umzusetzen, die Hintergründe, die zum Tod
von Sergej Magnitskij geführt haben, in einem rechts-
staatlichen Verfahren rückhaltlos und transparent aufzu-
klären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu
ziehen, die Unabhängigkeit von Richtern sicherzustellen
sowie die Unabhängigkeit und Transparenz der Justizbe-
hörden zu erhöhen und uns das auch deutlich zu machen,
die Arbeit von Verteidigern sicherzustellen, sie also
nicht vom Zugang zu notwendigen Dokumenten auszu-
schließen oder sie politisch unter Druck zu setzen, die
Unabhängigkeit der Medien zu garantieren und gegen
den politisch motivierten Missbrauch der Strafjustiz vor-
zugehen.

Das waren die Forderungen, die wir nach Osten schi-
cken. Das heißt für uns als Parlamentarier, dass wir uns
– jetzt greife ich ein Zitat aus dem Antrag der SPD auf –
dafür einsetzen, „den neugewählten russischen Präsiden-
ten Putin an seine Zusagen hinsichtlich der Stärkung der
Meinungs- und Pressefreiheit, des Aufbaus einer unab-
hängigen Justiz sowie der Modernisierung der Wirt-
schaft, der staatlichen Verwaltung und des Bildungssys-
tems zu erinnern und ihm umfassende Unterstützung bei
der Umsetzung dieser Projekte anzubieten“, wie es sich
für Freunde und Partner – dann auf unserer Seite – ge-
hört.

Das heißt, den Fall Magnitskij weiterhin in bilateralen
Gesprächen mit Russland, also nicht nur hier von einem
Podium aus, zu thematisieren und auf umfassende Auf-
klärung zu drängen. Weiterhin bedeutet das, der russi-
schen Seite in bilateralen Gesprächen, vor allem bei den
bevorstehenden Deutsch-Russischen Regierungskonsul-
tationen, deutlich zu machen, dass eine gemeinsame
Modernisierungspartnerschaft nicht auf wirtschaftliche
Themen beschränkt werden darf, sondern nur als ein um-
fassender gesellschaftlicher Prozess unter Einschluss ei-
ner Entwicklung hin zu mehr Demokratie und – Thema
von heute – Rechtsstaatlichkeit gelingen kann.

Die dritte Forderung lautet, Russland im bilateralen
Rahmen und seitens der EU weiterhin zu drängen, dass
es seine eingegangenen Verpflichtungen aus der Euro-
päischen Menschenrechtskonvention und dem Interna-
tionalen Pakt über bürgerliche und soziale Rechte tat-
sächlich einhält.


(Beifall bei der FDP)


Ich komme zum Schluss und nehme Bezug auf meine
Eingangsbemerkung zum Thema Freund/Partner. Ich bin
der festen Überzeugung, dass gute Freunde beim Wort





Frank Heinrich


(A) (C)



(D)(B)


genommen werden sollten. Wenn nötig, müssen wir sie
an ihr Wort erinnern. Hier und heute tun wir das ganz of-
fiziell gemeinsam. Wir müssen aber auch in Zukunft, in
jeder weiteren Begegnung, daran erinnern. Dabei han-
delt es sich teilweise um Begegnungen auf Regierungs-
ebene, teilweise um Begegnungen von einzelnen Parla-
mentariern und teilweise um Kommunikation über die
Medien.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719916700

Das Wort hat der Kollege Franz Thönnes für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1719916800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist gut, dass wir heute hier, im Plenum des Deutschen
Bundestages, über das Verhältnis Deutschlands zu Russ-
land diskutieren. Nicht gut ist – das ist ganz offensicht-
lich; das ist klar und deutlich zu erkennen; das konnten
wir in den vergangenen Tagen in den Medien verfol-
gen –, dass es innerhalb der Koalitionsfraktionen keine
gemeinsame Auffassung zu diesem Themenkomplex
gibt. Es liegt kein Antrag der Koalitionsfraktionen zu
diesem Thema vor.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Darüber reden wir jetzt ja auch nicht!)


Die Einzigen, die heute einen Antrag eingebracht haben,
sind die Grünen und die SPD. Eine gemeinsame Russ-
land-Politik findet bei Ihnen nicht statt. Das ist Fakt.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen ist es ganz wichtig, darauf hinzuweisen,
dass in den Broschüren für das Deutschlandjahr in Russ-
land und das Russlandjahr in Deutschland dankenswer-
terweise steht: „Deutschland und Russland – gemeinsam
die Zukunft gestalten“. So lautet das Motto beider Län-
der in dieser Zeit. In beiden Ländern findet in den nächs-
ten zwölf Monaten eine Vielzahl von Veranstaltungen
statt. In den offiziellen Druckschriften heißt es dazu
sinngemäß, dass es, aufbauend auf den historisch ge-
wachsenen, engen deutsch-russischen Beziehungen, das
Ziel ist, mit vielfältigen Aktivitäten das partnerschaftli-
che Verhältnis zwischen Deutschland und Russland zu
stärken und nicht zuletzt neue Wege in eine gemeinsame
Zukunft unserer Länder aufzuzeigen.

In der Tat, Geschichte, Kunst und Kultur unserer bei-
den Länder verbinden uns seit gut 1 000 Jahren. Dazu
gehören viele Tage mit viel Sonnenschein, wie das heute
der Fall ist. Dazu gehört aber auch eine lange Zeit mit
vielen dunklen Tagen und mit Nächten in tiefster Dun-
kelheit. Die dunkle Zeit haben wir gemeinsam überwun-
den, und wir haben neue Fundamente für die Zukunft ge-
legt: Abkommen, Verträge, Konsultationen, Dialoge,
Austausch, ein dichtes Netz wirtschaftlicher, kultureller

und wissenschaftlicher Verpflichtungen und gesell-
schaftlicher Beziehungen.

Dazu gehören auch die Begriffe „Modernisierungs-
partnerschaft“ und „strategische Partnerschaft“. Diese
Begriffe sollten und dürfen nicht nur auf den Bereich der
wirtschaftlichen Kooperation begrenzt werden; sie rei-
chen in einem geeinten Europa nicht zuletzt vor dem
Hintergrund unserer geschichtlichen Entwicklung viel
weiter.

Natürlich haben wir eine breite gemeinsame ökono-
mische Basis. Deutschland ist Russlands zweitgrößter
Handelspartner weltweit, und Russland ist unser viert-
größter Handelspartner außerhalb der EU. Sie haben auf
die 6 300 Unternehmen hingewiesen, die in Russland ak-
tiv sind. Das Volumen deutscher Direktinvestitionen in
Russland beträgt 22 Milliarden Euro. Diese Werte der
Entwicklung sind aber nicht nur das Resultat wirtschaft-
licher Leistung, sondern sie hängen auch eng mit den
Strukturen und den bestehenden Werten in Westeuropa
zusammen; denn vor diesem Hintergrund sind sie ent-
standen.

Dann sprechen wir über Freiheit, über Rechtsstaat-
lichkeit, über Unabhängigkeit der Justiz, über Menschen-
würde, über soziale Verfasstheit, über Pressefreiheit und
über Demokratie. Auf dieser Basis haben wir in den letz-
ten Jahren gearbeitet, und auf dieser Basis haben wir mit
Engagement die Entwicklung in Russland nach dem Fall
des Eisernen Vorhangs vor gut 20 Jahren begleitet und
mit Aufmerksamkeit beobachtet.

Die Entwicklungen in den letzten zwölf Monaten ha-
ben einerseits Hoffnungen geweckt, haben andererseits
aber auch zu großen Sorgen geführt. Der Parteitag von
„Einiges Russland“ im September 2011, auf dem der
Wechsel von Medwedew zu Putin bekannt gemacht
wurde, hat bei vielen Menschen Enttäuschung und Pro-
test hervorgerufen. Die Dumawahlen mit offensichtli-
chen Manipulationen – es gab eine erhebliche Kritik der
OSZE – haben das verstärkt. Rund um die Präsident-
schaftswahlen im März dieses Jahres ist es zu den größ-
ten und umfassendsten Massendemonstrationen nach
dem Zerfall der Sowjetunion gekommen. Zumeist ver-
liefen sie friedlich.

Am Anfang wusste der Staat nicht so ganz, wie er da-
mit umgehen sollte. Stück für Stück gab es aber auch ein
gewisses Maß an Demonstrationsfreiheit. Einige haben
gehofft, das könnten Schritte in Richtung Entwicklung
einer Bürgergesellschaft sein; denn dahinter stand die
Aufkündigung eines vielleicht stillschweigend akzep-
tierten Vertrages: Wir sorgen aus dem Kreml heraus für
Wohlstand und Stabilität, und ihr haltet euch aus der
Politik heraus. Dieser „Vertrag“ hat nicht gehalten, son-
dern er ist aufgekündigt worden.

Präsident Putin hat mit seinen Ankündigungen, Russ-
land zu einer der führenden Industrienationen der Welt
zu machen, hohe Erwartungen geweckt. Doch die ersten
Monate der neuen Amtszeit zeigen eine anhaltende Ner-
vosität der politischen Führung des Landes und machen
deutlich, dass wohl eher wieder Repressionen und Zu-
rückdrängung von Freiheiten auf der Tagesordnung ste-





Franz Thönnes


(A) (C)



(D)(B)


hen. Das NGO-Gesetz, das vorsieht, dass sich NGOs als
ausländische Agenten registrieren lassen müssen, ist ge-
nannt worden. Das ist eine Geste des Misstrauens, die
auch weiteres Misstrauen schafft.

Es gibt weitere Einschränkungen der bürgerlichen
Freiheiten: Sperrung von Internetseiten, Verschärfung
des Demonstrations- und Versammlungsrechts, restrik-
tive Gesetze gegen sexuelle Minderheiten, unverhältnis-
mäßige Urteile wie im Fall von Pussy Riot, gerade in
den letzten Tagen intensiveres Vorgehen der Sicherheits-
kräfte mit Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und kurz-
fristigen Festnahmen. Ein weiterer Punkt ist der Aus-
schluss des Kollegen Gennadij Gudkow der Fraktion
„Gerechtes Russland“ mit Mehrheitsbeschluss der
Duma. Das alles betrachten wir mit Sorge. Gerade jetzt
wäre es notwendig, dass ein vernünftiger Dialog zwi-
schen Präsident, Regierung und Opposition geführt wird.
An diesem Wochenende wird ein Koordinationsrat der
russischen Opposition gewählt. Ich setze darauf, dass
sich führende Köpfe herausbilden und dass Potenzial
vorhanden ist, um gemeinsam über Zukunftsvorstellun-
gen für Russland zu diskutieren.

Natürlich gibt es auch einige Lichtblicke: den Beitritt
zur WTO, ein Stückchen Freiheit bei den Gouverneurs-
wahlen – es ist immer noch zu wenig –, die Zulassung
von mehr Parteien und die Vereinfachung dabei. Aber
das reicht noch nicht. Für uns, für Deutschland, für die
Europäische Union, stellen sich daher Verantwortlich-
keiten für die Bewältigung der zukünftigen Aufgaben.
Die Modernisierungspartnerschaft ist dafür eine gute
Grundlage. Aber sie darf nicht nur verwaltet werden,
sondern sie muss auch mit neuem Leben erfüllt werden.
Normen wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Men-
schenrechte, die in unserer Wertegemeinschaft eine
Rolle spielen, müssen im gemeinsamen Dialog auch auf
Russland übergehen.

Dabei müssen wir ein Stück weit unsere eigene Ge-
schichte bedenken: Kaiserreich, Zerfall der Weimarer
Republik, Hitlerdiktatur und Diktatur in der DDR. Unse-
ren Weg gehen wir nun seit über 60 Jahren. Auch das ist
nicht alles von heute auf morgen passiert. Auch in Russ-
land ist es ein historischer Prozess. Insofern muss man
manchmal vielleicht einen langen Atem haben.

Wir müssen Wandel durch Annährung anstreben und
einen partnerschaftlich-kritischen Dialog betreiben; aber
dabei darf es nie an Nachdruck fehlen. Also ist es wich-
tig, das zu machen, was der Kollege Heinrich aus unse-
rem Antrag schon zitiert hat; ich muss das nicht wieder-
holen. Wenn wir über Rechtsstaatlichkeit reden, wenn
wir über Rechtssicherheit reden, wenn wir über den
Kampf gegen die Korruption reden, dann müssen wir
auch deutlich sagen: Das Recht des Stärkeren gilt es
durch die Stärke des Rechts zu ersetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Folglich ist auf der obersten Ebene darüber zu spre-
chen, wie die Umsetzung der Inhalte der Charta des Eu-
roparates gewährleistet wird. Wir brauchen mehr Dialog,
wir brauchen mehr Zusammenkünfte. Die im Rahmen

der russischen Ostseeratspräsidentschaft beabsichtigte
NGO-Konferenz in Sankt Petersburg, die unter deut-
scher Leitung stattfinden soll, ist zu nutzen, um darüber
zu diskutieren. Wir brauchen mehr gemeinsame Pro-
jekte, die aber auch gemeinsam evaluiert werden und bei
denen über die gemeinsame Erwartungshaltung disku-
tiert wird. Es ist auch wichtig, mehr Austausch der So-
zialpartner zu organisieren, um die soziale Kultur, die
Sozialpartnerschaft über die viele Ebenen umfassende
wirtschaftliche Präsenz in Russland zu verbreitern.

Wir sollten darüber nachdenken, ein deutsch-russi-
sches Jugendwerk zu initiieren, das den deutsch-russi-
schen Jugendaustausch verstärkt. Wir brauchen Partner-
schaften zwischen Kommunalpolitikern und zwischen
Regionen. Wir brauchen auch – das ist ganz zentral; das
unterstreiche ich – eine Visaliberalisierung. Langfristi-
ges Ziel sollte, natürlich unter Wahrung unserer Sicher-
heitsinteressen, Visafreiheit sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich muss daran erinnern, dass Frau Merkel vor einem
Jahr beim Petersburger Dialog gesagt hat, dass Deutsch-
land auf der Bremse steht. Man kann der Regierung von
hier aus nur zurufen: Frau Merkel, gehen Sie von der
Bremse herunter und lassen Sie auch die Handbremse
los. Wir brauchen mehr Freiheit, damit die Menschen
häufiger zusammenkommen können und miteinander re-
den können.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist denn aus eurer AG geworden?)


– Ich habe das ja benannt. Es war nicht „eure“, sondern
unsere AG, unsere Arbeitsgruppe, in der die Koalitions-
fraktionen bis heute nicht in der Lage waren, einen ge-
meinsamen Antrag vorzubereiten und vorzulegen. Das
ist schade, und das ist bedauerlich. Wir werden weiter
darüber streiten und weiter darüber diskutieren müssen.

Ich möchte noch etwas hinzufügen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719916900

Kollege Thönnes, das werden Sie vertagen müssen.

Schauen Sie bitte auf das Signal.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1719917000

Ich formuliere meine letzten Sätze. Frau Präsidentin,

danke für den Hinweis. – Ich will sagen, dass man auch
im sicherheitspolitischen Bereich, bei der Raketenab-
wehr, Vertrauen schaffen muss, um in guter Partner-
schaft die anderen Probleme zu lösen. Insofern ist es
wichtig, dass wir zusammenkommen und in einem part-
nerschaftlichen Verhältnis an der Erreichung unserer
Ziele arbeiten, sodass das, was in den Broschüren zum
Deutschlandjahr in Russland und zum Russlandjahr in
Deutschland steht, verwirklicht wird. Es gilt, dafür zu
sorgen, dass Wege in eine gemeinsame gute Zukunft
auch wirklich gemeinsam gegangen werden können.

Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719917100

Das Wort hat der Kollege Patrick Kurth für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Patrick Kurth (FDP):
Rede ID: ID1719917200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Russland ist sowohl innen- als auch außenpoli-
tisch unser größter Nachbar in der Europäischen Union.
Besonders für uns Deutsche muss die Entwicklung be-
sorgniserregend sein. Die Partnerschaft zwischen Russ-
land und der Europäischen Union, aber auch die Partner-
schaft zwischen Russland und Deutschland basiert
derzeit offensichtlich auf unterschiedlichen Konzepten.
Putins Bereitschaft zu Reformen hin zur Moderne ist nur
schwerlich zu erkennen: Gesetze wurden verschärft.
Teilnehmern illegaler Demonstrationen drohen hohe
Strafen. Auslandsfinanzierte Nichtregierungsorganisa-
tionen werden gezwungen, sich quasi als ausländische
Agenten zu bezeichnen und in ein spezielles Register
einzutragen zu lassen. Prominente Oppositionelle und
Regierungsgegner werden verfolgt, angeklagt und oft-
mals auch zu hohen Haftstrafen verurteilt. Der Straftat-
bestand der Verleumdung wurde wieder ins Strafgesetz-
buch aufgenommen. Einschüchterung und Kontrolle
sind oftmals an der Tagesordnung. Immer wieder wer-
den Menschenrechte auch in den Regionen, vor allem im
Nordkaukasus, verletzt. Über die Wahlen muss man we-
nig sagen. Möglicherweise ist Genosse Putin doch nicht
der lupenreine Demokrat, als der er in diesem Hause
schon einmal bezeichnet worden ist.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch bekannt!)


Diese Probleme sind bekannt; aber wir dürfen nicht
müde werden, darauf hinzuweisen. Das russische Ver-
halten an diesen Stellen ist völlig inakzeptabel. Russland
muss sich auch unserer Kritik stellen.

Einige Fragen an uns sind berechtigt: Wer hat in der
westlichen Welt das größte Vertrauen bei den Russen?
Wer hat den größten Zugang zu Russland? Was und vor
allem wem hilft es, wenn wir uns von Russland viel-
leicht sogar abwenden? Sind ein manchmal sehr hart for-
muliertes Urteil und derart klar vorgetragene Vorhaltun-
gen mit Blick auf die Transformationsherausforderungen
ausgewogen? Ist unsere scharfe Kritik auch im Vergleich
zu anderen Ländern und unserem Umgang mit ihnen an-
gemessen?

So richtig und so notwendig diese Kritik ist: Sie muss
verhältnismäßig bleiben. Es ist unerlässlich, Missstände
offen und konsequent anzusprechen. Aber wir sind nicht
der dominante Erziehungsberechtigte Russlands. Koope-
ration, Zusammenarbeit und Einbindung sind die richti-
gen Schlagwörter. Es geht um die Verfolgung gemeinsa-
mer Interessen und um die Minimierung gemeinsamer
Risiken. Viele in Europa definieren ihren Umgang mit
Russland im Sinne von Sicherheit vor Russland. Für uns
gilt: Sicherheit mit Russland ist das Entscheidende.


(Beifall bei der FDP)


Für jeden Staat und jede Gesellschaft ist der Weg in
eine Demokratie kein leichter. Auch Deutschland fiel
und fällt der Transformationsprozess gar nicht so ein-
fach, wie man manchmal denkt. Hierfür hatten wir trotz-
dem sehr günstige Voraussetzungen: gleiche Sprache,
gleiche Geschichte, eine, wenn man so möchte, Informa-
tion über das andere Land, zumindest was den Osten be-
traf; man hat ja fast überall im Osten Westfernsehen ge-
habt. Die Währungsumstellung kam sehr schnell, die
Vereinigung auch. Trotzdem haben wir im Jahr 22 nach
der Einheit diktaturbedingt immer noch Differenzen.
Angesichts dieser Transformationsherausforderungen im
eigenen Land sollten wir uns vorstellen können, was in
anderen Ländern ohne diese Vorbedingungen los ist.
Auch darum geht es, wenn wir über Russland sprechen.

Meine Damen und Herren, wir wollen diesen Trans-
formationsprozess fördern. Wir wollen ihn unterstützen.
Wir wollen Kritik deutlich machen. Wir wollen eine
gleichberechtigte Modernisierungspartnerschaft. Wir
wollen sie erhalten. Wir wollen sie ausbauen. Es muss
eine Balance zwischen Kritik und Zusammenarbeit er-
reicht werden. Außerdem wollen wir uns davor hüten,
die Brücken zu Russland abzubrechen. Zu einer solchen
Brücke gehört auch das Visaregime. Wenn das Visare-
gime weiterhin so restriktiv wie gegenüber uns Deut-
schen gehandhabt wird, dann wird eine weitere Brücke
abgebrochen. Auch wir appellieren an unsere Innenpoli-
tiker, noch einmal darüber nachzudenken, wie man das
Visaregime weiter verbessern kann, sodass es uns insge-
samt hilft.

Ein positives Signal für ein Miteinander findet zurzeit
statt: Deutschland feiert das Russlandjahr, Russland pa-
rallel dazu das Deutschlandjahr; zahlreiche Projekte ver-
gegenwärtigen die deutsch-russischen Beziehungen der
Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Dieses
Jahr steht unter dem Motto „Deutschland und Russland:
gemeinsam die Zukunft gestalten“. Das ist eine Auffor-
derung an uns und die Russen. Diesen Weg sollten wir
gehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719917300

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege

Wolfgang Gehrcke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist Beifall aus Solidarität!)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719917400

Das finde ich toll. Schönen Dank. Wenn es notwendig

ist, setze ich mich auch zwischendurch hin und klatsche
mir selber Beifall. Das kann man sicherlich im Wechsel
machen. Das kriegt man schon hin. – Frau Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mir sehr
wünschen, dass wir in dieser Debatte deutlicher zum
Ausdruck bringen, dass wir die Diskussion mit Russland





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)


in der Absicht führen, dazu beizutragen, dass Russland
den Weg hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, weniger
Armut, mehr Demokratie und zur Rechtsstaatlichkeit
geht. Dies sollte auch als Faktor des Friedens politisch
wirksam werden. Ich würde den russischen Bürgerinnen
und Bürgern gerne nahebringen, dass dies unsere Ab-
sicht in dieser Debatte ist. Zumindest meine ist es.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich füge hinzu, dass man diese Debatte nicht von
oben herab und belehrend führen darf. Man sollte ande-
ren gegenüber nicht so tun, als könnten sie aus unseren
Erfahrungen alle notwendigen Schlussfolgerungen für
sich selbst ableiten. Ich betrachte diese Diskussion viel-
mehr als eine sehr gleichberechtigte Debatte. Auch wir
sollten die Bereitschaft zeigen, von der Entwicklung in
Russland zu lernen; auch das ist nämlich möglich.

Ich finde, es ist gut, darauf aufmerksam zu machen,
dass das unverschämte Benehmen und das unverschämte
Agieren der Neureichen in Russland völlig inakzeptabel
sind. Die eigentlich Betroffenen finden Sie in den Me-
trostationen, wo sie um Schutz und Obdach ersuchen.
Die soziale Frage in Russland wird sich zu einem unge-
heuren Sprengsatz entwickeln, wenn man nicht an einer
Lösung der bestehenden Probleme arbeitet.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt muss ich dem Gehrcke doch glatt mal zustimmen!)


– Ja. Auch so etwas gibt es.

Ich möchte gern, dass in Russland begriffen wird,
dass eine demokratische Entwicklung auf sozialer Ge-
rechtigkeit aufbaut und dass Rechtsstaatlichkeit für alle
Teile der Gesellschaft ungeheuer wichtig ist. Schließlich
will man weder der Willkür einer Staatsverwaltung noch
der Willkür eines Parteisekretärs ausgesetzt sein. Ich
finde, das ist eine Schlussfolgerung, die man aus der
Vergangenheit ziehen kann.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Klimke [CDU/CSU]: Das hätten Sie sich mal früher überlegen sollen!)


Das alles sage ich nicht belehrend.


(Jürgen Klimke [CDU/CSU]: Beachtlich!)


Ich möchte, dass wir endlich damit aufhören, über die
Russland-Politik konjunkturabhängig zu diskutieren.
Sprünge zwischen „lupenrein“ bzw. „hosianna!“ und
„Kreuzigt sie!“ passen mir überhaupt nicht. Russland-
Politik und Außenpolitik sind für mich beständige und
wichtige Angelegenheiten.

Ich habe übrigens nicht mit dem Thema angefangen,
das bei euch in der Regierungskoalition ein Problem dar-
stellt.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nein! Das ist kein Problem!)


Aber auch mir ist natürlich aufgefallen, dass zu den In-
halten, die debattiert worden sind, aus der Richtung von
Schwarz-Gelb nichts Substanzielles gekommen ist. Da-
mit kommt man nicht durch. Ich möchte stabile Bezie-
hungen zu Russland und Stabilität in Europa. Blickt man
auf den Balkan, nach Moldawien oder in Richtung Kau-
kasus, stellt man fest: Kaum ein europäisches Problem
ist ohne Russland lösbar. Auch die Nahostprobleme sind
nur gemeinsam mit Russland lösbar, nicht gegen Russ-
land.

Hinzu kommt, dass die Abrüstungsfragen endlich auf
die Tagesordnung kommen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin gegen die Einrichtung eines Raketenabwehrsys-
tems. Eigentlich ist das nämlich ein System, das zweier-
lei Sicherheit in Europa etabliert. Das können wir nicht
tolerieren, und wir müssen dagegen argumentieren. Ich
denke, dass man, auch was das Verhältnis zu Russland
angeht, einen Weg gehen sollte, den man mit „Wandel
durch Annäherung“ umschreiben kann.

Derzeit finden ja deutsch-russische Regierungskon-
sultationen statt. Wenn ich für die Tagesordnung dieser
Gespräche verantwortlich wäre, würde ich entscheiden:
Tagesordnungspunkt 1 – Visafreiheit. Das, was wir
Richtung Russland und anderen Ländern signalisieren,
ist: Ihr seid uns nicht willkommen. Ich möchte, dass wir
signalisieren: Ihr seid uns willkommen.

Ihre Fraktionen und Ihre Parteien haben doch Lei-
tungsgremien. Appellieren Sie doch nicht hier an Ihre
Außenpolitiker, dafür einzutreten, dass sich dort etwas
ändert, sondern setzen Sie in Ihrer Fraktion durch, dass
man dafür eintritt, dass sich dort etwas ändert. Es ist
doch beschämend, was hier geschieht.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte gerne, dass über eine Energiepartnerschaft
und eine Demokratiepartnerschaft debattiert wird. Zei-
gen Sie einmal ein bisschen Kreuz und treten Sie für
politische Veränderungen ein. Wenn Sie nach Moskau
fahren, wird Ihnen gesagt: Fassen Sie sich an die eigene
Nase. Wenn ich mir ansehe, wie mit dieser Frage hier
umgegangen wird, muss ich sagen: Ich finde diese Aus-
sage berechtigt.

Schönen Dank.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Für das Protokoll vermerkt: Von der Mehrheit des Hauses Beifall!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1719917500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/11002 und 17/11005 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 24. Oktober 2012, 13 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen zum
kommenden Wochenende auch ein wenig Erholung.