Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe eine Mitteilung zu machen: Unser Kollege Abgeordneter Harries feiert heute seinen 60. Geburtstag. Ich möchte ihm gern die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aussprechen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf;
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Antrag der Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil, Dr. Pinger, Feilcke, Frau Fischer, Hedrich, Höffkes, Dr. Kronenberg, Dr. Kunz (Weiden), Frau Männle, Dr. Pohlmeier, Frau Rönsch (Wiesbaden), Schreiber, Scharrenbroich, Schemken, Sauer (Stuttgart), Seesing, Weiß (Kaiserslautern) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau Folz-Steinacker, Hoppe, Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Feldmann, Irmer, Dr.-Ing. Laermann, Dr. Haussmann, Dr. Hoyer, Nolting, Beckmann, Frau Seiler-Albring, Bredehorn, Lüder, Dr. Hitschler, Dr. Solms, Timm, Zywietz, Frau Würfel und der Fraktion der FDP
Der entwicklungspolitische Beitrag zur Lösung von Weltflüchtlingsproblemen
— Drucksachen 11/1954, 11/3455 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Luuk
Graf von Waldburg-Zeil
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat, meine Damen und Herren, ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 21. April des vorigen Jahres hat der Deutsche Bundestag den Antrag „Der entwicklungspolitische Beitrag zur Lösung von Weltflüchtlingsproblemen" in erster Lesung behandelt. Inzwischen haben der Auswärtige Ausschuß, der Innenausschuß, der Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit sowie der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft seine Annahme empfohlen, die beiden letztgenannten mit einer Verbesserung hinsichtlich der Ausbildungschancen, die Kinder und Jugendliche bei uns wahrnehmen können sollten, die aus Flüchtlingsfamilien kommen.Ganz und gar nicht unverändert blieb die Flüchtlingssituation selbst. Auch 1988 haben Verfolgung, Krieg, Bürgerkrieg, Menschenrechtsverletzungen und lebensbedrohende Not Millionen Menschen zur Flucht getrieben, heimatlos gemacht, die Bewegung innerhalb eines Landes gar nicht mitgerechnet. Umgekehrt haben sich Chancen zur Rückkehr eröffnet; beide Veränderungen fordern die Entwicklungshilfe heraus. Insofern ist und bleibt das Anliegen des Antrags hochaktuell.Lassen Sie mich einige Veränderungen in der Weltflüchtlingssituation im Verlauf des letzten Jahres nennen.Die größte zusätzliche Flüchtlingsbewegung hat 1988 mit 800 000 Menschen, in Afrika stattgefunden. Auslösend waren im wesentlichen der Völkermord an Angehörigen des Stammes der Hutu in Burundi, der Bürgerkrieg im Norden Somalias und der Bürgerkrieg im Sudan. Gefragt wäre hier mehr Weltöffentlichkeit. Es ist unerträglich, wenn in Burundi in genau dem Zeitabstand, in dem eine junge Bildungselite heranwächst, diese wieder ermordet wird, um das Machtmonopol des Tutsi-Stammes über die Hutu aufrechtzuerhalten.Unsere Projekte werden in Zukunft dieser besonderen Lage sicher Rechnung tragen müssen. Neben der Beseitigung der Schweigespirale gehören aber auch die Ethnologen an die Entwicklungsfront, die Fachleute für föderative Verwaltungssysteme, die helfen, Konflikte zu lösen, statt sie wie Naturkatastrophen dauernd oder in Intervallen hinzunehmen.Der Menge nach kleiner, den Schicksalen nach nicht weniger tragisch ist die Zahl der kurdischen Flüchtlinge. Die 60 000 Flüchtlinge aus dem Irak im letzten Jahr sind das Spiegelbild einer ansonsten erfreulichen Entwicklung, nämlich des Waffenstillstands zwischen Iran und Irak. Seitdem werden aber leider die freigewordenen militärischen Kapazitäten nicht gegen den äußeren Feind, sondern im Inneren gegen die Kurden eingesetzt. Das gehört wiederum
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Graf von Waldburg-Zeilzum Thema des Einwirkens auf Fluchtursprungsländer.Relativ stabil geblieben sind die Zahlen der Flüchtlinge aus Afghanistan, deren Gesamtzahl aber nach wie vor enorm ist: 2,2 Millionen allein im Iran, 3,1 Millionen in Pakistan. Die sich hier abzeichnende Rückkehrmöglichkeit weist auf ein Aufgabenfeld, das in der Größenordnung dem des Fluchtproblems nicht nachsteht, ja, es mit Sicherheit übertreffen wird. Hier klingen die Themenbereiche aus dem Antrag „Hilfe für Nachbarländer" und „Rückkehrhilfe" an.Ein anderer Wandel in der Flüchtlingssituation: In Südostasien haben im letzten Jahr immer noch etwa 20 000 Flüchtlinge aus Vietnam in Booten und zu Fuß in die Nachbarländer gefunden. Die Situation hat sich aber deshalb besonders angespannt, weil die Nachbarländer mit den Flüchtlingen immer restriktiver verfahren. Am schwierigsten ist die Situation seit langem in den Lagern mit den verbliebenen Flüchtlingen aus Vietnam, den übriggebliebenen Alten, Kranken und Kindern, von denen in den Nachbarländern um Vietnam herum niemand etwas wissen will.Hier werden Ursache-Wirkungs-Ketten sichtbar. Die USA haben die Aufnahme vietnamesischer Flüchtlinge zugunsten anderer Gruppen fast völlig eingestellt; die Europäer verhalten sich reserviert. Die Nachbarländer wollen die Last nun ohne „Abnahmegarantie" — ein sehr unmenschliches Wort in diesem Zusammenhang — nicht mehr tragen. Die Leidtragenden sind die Flüchtlinge. Hier klingt der Dreiklang unseres Antrags auf: Einwirken auf die Fluchtursprungsländer, Hilfe in den Nachbarländern, aber auch Konsequenzen bei uns selbst.Einwirken auf die Fluchtursprungsländer: In Vietnam ändert sich die Situation. Hier gibt es Chancen, etwas zu tun. Hier wäre eine Möglichkeit gegeben, das Tor für die Rückkehr bald zu öffnen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt Flüchtlinge, die im eigenen Kulturraum willkommen sind, wie etwa in Pakistan, und andere Flüchtlinge, die im eigenen Kulturraum unwillkommen sind; das ist der unwillkommene Flüchtling.In schlechten Zeiten und in armen Ländern gibt es viele Bettler. Das Anbringen eines Schildes „Betteln verboten" löst das Problem mit Sicherheit nicht. Sozialpolitik muß dafür sorgen, daß niemand ums nackte Leben betteln muß. Auch die Weltflüchtlingsprobleme lösen sich nicht, wenn die Fluchtursprungsländer — ein somalisches Dekret z. B. verbietet Somaliern unter 40 Jahren, das Land zu verlassen, es sei denn, sie hinterlegen 5 000 Dollar — , wenn die Fluchtnachbarländer — vor nicht zu langer Zeit wurde in Thailand auf vietnamesische Bootsflüchtlinge geschossen — und wenn die hochindustrialisierten Länder einschließlich unserer Bundesrepublik Deutschland im übertragenen Sinne Schilder aufstellen: Flüchten verboten.Unseren Beitrag zu einer Weltsozialpolitik für Flüchtlinge fordert dieser Antrag ein.Nun liegt die Schwierigkeit dieses Antrags weder in seiner Konzeption noch in politischen Auffassungsunterschieden. Auf Fluchtursprungsländer einzuwirken,Fluchtursachen zu bekämpfen, Nachbarländern bei der Bewältigung verdoppelter Entwicklungsschwierigkeiten zu helfen und vorübergehende Aufenthalte von Flüchtlingen bei uns bildend und ausbildend für die vielfältigen Optionen auch der Rückkehr, der Weiterwanderung, des Einsatzes in Entwicklungsländern zu nutzen, das findet weitgehende Zustimmung, wie die Ausschußberatungen ja gezeigt haben. Die Schwierigkeiten liegen zum einen in einer gewissen Skepsis, wie der winzige Klecks Bundesrepublik Deutschland auf dem farbigen Globus der Staaten dieser Welt einen ernsthaften Beitrag zur Lösung eines Weltproblems liefern sollte, und zum anderen in der Sorge, eine Flüchtlingshilfe, die ihren Schwerpunkt dort sieht, wo die meisten Fluchtbewegungen stattfinden, in den Entwicklungsländern, in der Dritten Welt, könnte ablenken oder gar eine Alibifunktion in der Debatte um das Asylrecht und seine Handhabung bei uns erfüllen.Zu beidem eine kurze Anmerkung: Wir sind in dieser Aufgabe ja nicht allein. Wir unterstützen den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. Wir können die empfohlene verstärkte Koordinierung kurzfristiger humanitärer und langfristiger Entwicklungshilfe europaweit verknüpfen. Vor allem aber: Kleine Ursachen können auch große Wirkungen haben.Die große Chance des Rückzugs sowjetischer Truppen aus Afghanistan ist für die Rückkehr von Flüchtlingen vertan, wenn dann ein Bürgerkrieg losgeht. Die Nachrichten, die uns erreichen, sind nicht ermutigend. Rückkehrerstrom und neue Flucht würden sich dann die Waage halten. Vor allem hat Entwicklungshilfe zum Wiederaufbau dann überhaupt keine Chance.Jede Initiative, Kooperation zwischen Exilafghanen zu fördern, ist sinnvoll. Um ein Beispiel zu nennen: Das Projekt Afghanistanforum des Arbeitnehmerzentrums Königswinter zu fördern, ist im Verhältnis zu den zur Debatte stehenden Flüchtlingsmillionen ein minimaler Beitrag, der aber hilfreich sein kann. Geordnete Verhältnisse im Nachkriegsafghanistan sind die Voraussetzung einer wirksamen Wiederaufbauhilfe.Oder: Unsere Bundestagspräsidentin wird im März im Parlament von Zimbabwe an der Feier „10 Jahre Flüchtlingsprogramm im südlichen Afrika" der OttoBeneke-Stiftung teilnehmen. Jeder Aufruf und Ansporn zur Versöhnung rückkehrender Flüchtlinge mit den Daheimgebliebenen schafft mehr Voraussetzung für friedlichen Aufbau als das teuerste Programm, das diese Voraussetzung nicht erfüllt.Damit bin ich bei der Prophylaxe. Die Förderung des Gesprächs aller politischen Kräfte in Namibia z. B. kann eine geordnete Entwicklung einleiten, vielleicht sogar zu einem Musterland einer Einheit in Vielfalt, einer rechtsstaatlichen Demokratie in Afrika führen. Brechen aber tribalistische Gegensätzlichkeiten auf und führen zum Bürgerkrieg, so ist jede Entwicklungshilfe für die Katz — genauso wie zur Zeit im Sudan oder in Somalia —, und den Flüchtlingsrückströmen, die aus Angola zurückkehren, würden neue entgegengesetzt, und von neuem würde ein Exodus beginnen.
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Graf von Waldburg-ZeilDen im Antrag genannten 17 Einwirkungsmöglichkeiten auf Fluchtursprungsländer, Nachbarländer und bei uns selbst in Einzelvorschlägen nachzugehen, verbietet leider die begrenzte Zeit. Wir werden aber, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, mit Sicherheit die Bundesregierung in einiger Zeit abfragen, nicht danach, was sie getan hat — denn sie hat schon sehr viel getan —, sondern danach, was sie mehr getan hat.Nun noch zum Vorwurf der Alibi-Funktion. Daß die Alternative zur Hilfe vor Ort nicht die Aufnahme aller Flüchtlinge bei uns, gleich, warum sie geflohen sind, sein kann, braucht man nicht zu erläutern. Ganz abgesehen von den bei uns entstehenden Problemen, lebt die überwiegende Mehrzahl der Flüchtlinge sehr viel lieber im eigenen Kulturraum, wenn schon nicht zu Hause. Ein gutes Beispiel dafür ist das Projekt von Misereor für Tamilen-Flüchtlinge in Tamil Nadu in Indien.
Ich möchte aber eigentlich auf etwas anderes hinaus. Dieser Antrag geht weg von der Mentalität: „Flüchten verboten" . Er will Flüchtlingshilfe an der Wurzel. Lassen Sie mich deshalb einfach einen Appell an uns alle richten. Ich meine, mit derselben Einmütigkeit, mit der es uns bei diesem Antrag gelungen ist, ein Problem positiv zu diskutieren, sollten wir an die Problematik der Lösung von Flüchtlingsproblemen in der Bundesrepublik Deutschland, in Europa und in den Industrieländern herangehen. Der Kern unseres gemeinsamen Anliegens ist ja, sicherzustellen, daß der, der wirklich politisch verfolgt ist, Asyl bei uns und in ganz Europa haben wird. Unser Anliegen ist genauso, daß diejenigen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention und ihren Zusatzprotokollen ein Recht haben, als Flüchtlinge nicht abgeschoben zu werden, Sicherheit bei uns und in Europa genießen.Darüber hinaus ergibt sich eine Frage ja nur dort, wo die Grenze bei Menschen zu ziehen ist, die aus anderen — sehr verständlichen — Gründen kommen, aber nicht unbegrenzt in diesen Raum einströmen können. Gerade hier bietet unser Antrag den Ansatzpunkt. Das eben ist mein großes Anliegen: daß wir das Thema nach vorn und positiv, aber nicht unter einem negativen Aspekt diskutieren.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Luuk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag beschließt heute über eine innen- und außenpolitisch wichtige Vorlage. Das spiegelt sich auch in dem breiten Konsens wider, den wir im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, aber auch in den anderen Ausschüssen gefunden haben.Es besteht Einigkeit darüber, daß Flüchtlingspolitik zunächst einmal Entwicklungspolitik ist. Flüchtlingspolitik heißt Vorsorge in den Herkunftsländern und den von Flüchtlingsströmen betroffenen Regionen der Welt.Eine solche Feststellung darf aber nicht verdecken, daß Flüchtlingspolitik auch Innenpolitik ist.
Flüchtlingspolitik als Entwicklungspolitik darf nicht die Solidarität mit den Flüchtlingen bei uns ersetzen.
Es handelt sich hier um zwei Seiten einer Medaille: Solidarität in unserem Lande und Unterstützung von Solidarität in der Dritten Welt.Unser Jahrhundert ist von so großen Flüchtlingsbewegungen gekennzeichnet, daß sich schon früh der Begriff „Jahrhundert der Flüchtlinge" geradezu aufgedrängt hat. Schon 1958 haben die Vereinten Nationen ein Weltflüchtlingsjahr ausgerufen, um die Weltöffentlichkeit auf die immer größer werdenden internationalen Flüchtlingsprobleme aufmerksam zu machen.Diese Flüchtlingsströme haben sich seither noch verstärkt. Sie haben sich in ihrer Struktur verändert, und sie haben sich — was das Entscheidende ist —verlagert, verlagert von der Ersten in die Dritte Welt, von den Staaten Mitteleuropas, welche die aus den Weltkriegen resultierenden Flüchtlingsströme zu bewältigen hatten und sie ja letzten Endes auch bewältigt haben, in die Entwicklungsländer hinein. In der Dritten Welt, wo Not und Elend am größten sind, potenzieren Flüchtlingsströme von einer Region in die Nachbarregion die Probleme.170 Kriege und kriegerische Auseinandersetzungen sind seit 1945 weltweit registriert worden. Neun Zehntel davon fanden in der Dritten Welt statt. Nur durch friedliche Konfliktlösung und umfängliche Entwicklungszusammenarbeit kann das Flüchtlingsproblem gelöst werden. Das ist nicht nur, aber auch eine Frage von Geld.In der Diskussion um Ansätze zur Lösung des Weltflüchtlingsproblems ist immer wieder von einem Konzept der Regionalisierung die Rede. Nun bleiben aber bereits 90 % der Flüchtlinge in der Region, aus der sie stammen. Wir müssen klarstellen, welchen Part wir, die westlichen Industriestaaten, übernehmen wollen; denn Regionalisierung darf keine Zauberformel sein, mit der die relativ reichen Länder die Zuwanderung von Flüchtlingen verhindern können. Wenn die Industrieländer die Hauptaufnahmeländer und zugleich sich selbst entlasten wollen, ist das nur über größere Leistungen für Flüchtlinge überhaupt zu haben. Dabei gilt es, zwischen zeitweiligem Asyl und dauerhafter Ansiedlung in der neuen Heimat zu unterscheiden.Hunger, tägliche Sorge um die Erfüllung elementarster Lebensbedürfnisse, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung lassen die Flüchtlingsströme anwachsen. Mittelamerika, Kambodscha, Afghanistan, Iran und Irak sind Beispiele für das Flüchtlingselend unserer Zeit, und weite Regionen Afrikas kommen hinzu.15 Millionen Menschen sind auf der Flucht, vegetieren irgendwo in Lagern und destabilisieren das
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Frau LuukGastland, das unmittelbar an jene Regionen angrenzt, aus denen die Flüchtlinge vertrieben wurden.Während sich die Industrieländer gegenüber den Flüchtlingen abweisend zeigen, während der Ausländerhaß Wasser auf die Mühlen radikaler Gruppierungen hierzulande bedeutet, während sogar ein bayerischer Innenminister von der Gefahr der Durchmischung und Durchrassung bei uns spricht und im Berliner Wahlkampf ein Wahlkampfspot vor der Melodie „Spiel mir das Lied vom Tod" ganz offen Ausländerhaß predigt, ticken anderswo die Zeitbomben — Stichwort: Südafrika, Namibia — , und wir alle ahnen, daß das Jahrhundert der Flüchtlinge seinen Höhepunkt noch vor sich hat.In dieser Situation also verabschiedet der Deutsche Bundestag heute einen Antrag, der als entwicklungspolitischer Beitrag ganz praktische Anstöße zur Lösung von Weltflüchtlingsproblemen geben soll. Wir Sozialdemokraten stimmen diesem Antrag zu, weil wir Kerngedanken dieser Initiative unterstützen können und wollen. Es gilt einmal mehr, durch die Möglichkeiten des politischen Dialogs entwicklungspolitische Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Fluchtursachen zu mindern, d. h. um vor allem präventiv tätig zu werden. Die Suche nach präventiven Maßnahmen ist und bleibt der wichtigste Weg zur Entschärfung der Weltflüchtlingsproblematik.Wir Sozialdemokraten unterstützen — das liegt in der Kontinuität unserer Politik — jeden Einsatz entwicklungspolitischer Möglichkeiten zur präventiven Friedenssicherung und Konflikteingrenzung. Ich füge aber hinzu: Den Export von Waffen und sensitiven Technologien in Spannungsregionen verurteilen wir.
Eine Regierung, die eine solche Praxis duldet, bei der deutsche Unternehmer und Banken durch den Export tödlicher Gefahren Bilanzen verbessern, eine Regierungspraxis, die sich durch Duldsamkeit mitschuldig macht am Risikoexport, verurteilen wir. Denn damit wird jede glaubwürdige Politik, gerade auch solche zur Reduzierung des Flüchtlingselends, konterkariert.Wir werden aufmerksam beobachten, welche Kluft sich zwischen der guten politischen Absicht Ihres Antrages, z. B. asylsuchenden Kindern und Jugendlichen in der Bundesrepublik Zugang zu Bildungseinrichtungen nicht zu verwehren, und der aktuellen Asyldebatte im Koalitionslager auftut.Was bedeutet denn eigentlich das Berufs- und Ausbildungsverbot für hier ankommende jugendliche Flüchtlinge? Ist ein deutscher Jugendlicher ein Jahr arbeitslos, dann gilt er als schwer vermittelbar. Hier wird ein jahrelanges Arbeitsverbot durchgesetzt und damit eine Chance vergeben, die Flüchtlinge in ihre Heimatländer wieder zu integrieren und damit für diese Länder wirkliche Hilfe zu leisten. Darum: Schluß mit dem Arbeitsverbot für jugendliche Flüchtlinge!
Die Einengung des Begriffes „politische Verfolgung" des Art. 16 durch die Asylverfahrensgesetzgebung und das Zurück der deutschen Asylpolitik hinter die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention lehnen wir ab. Es geht um einen verbesserten Status der sogenannten De-facto-Flüchtlinge sowie um eine Harmonisierung der Asylpolitik der EG-Staaten jenseits der bloßen Ausgrenzungsdiskussion in der Schengen-Kommission. Unser Antrag dazu liegt diesem Hause vor. Wir werden mit Interesse beobachten, ob auch dann wie bei der Beratung des jetzt vorliegenden Antrags ein Stück politischer Gemeinsamkeit erreicht werden kann.Was wir sofort benötigen, ist eine Abstimmung zwischen den zuständigen Ministerien, dem Außen-, dem Entwicklungs-, dem Bildungs- und dem Innenressort, eine dringende Einbeziehung von EG-Einrichtungen und die Mobilisierung der Forschung für eine schnelle, unbürokratische, aber trotzdem wirksame Hilfe zugunsten der Flüchtlinge hier im Lande und in der Dritten Welt. Die SPD-Fraktion wird dazu ihren Beitrag leisten.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Folz-Steinacker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das weltweite Flüchtlingsproblem hat auf Grund seiner Größenordnung und Komplexität eine Dimension erreicht, die für die internationale Gemeinschaft eine große Herausforderung darstellt. Angesichts der massiven Zunahme der Flüchtlingszahlen, einer Veränderung der Flüchtlingsströme und der daraus resultierenden Notsituation in den betroffenen Entwicklungsländern hatten die Fraktionen von FDP und CDU/CSU die parlamentarische Initiative ergriffen und gemeinsam den im Mittelpunkt dieser Debatte stehenden Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht. Die Beratungen in den zuständigen Fachausschüssen haben gezeigt, daß in der Beurteilung der weltweiten Flüchtlingssituation und der Notwendigkeit, verstärkt entwicklungspolitische Beiträge zur Lösung von Flüchtlingsproblemen zu leisten, zwischen den verschiedenen Fraktionen große Übereinstimmung besteht.Meine Damen und Herren, ich begrüße an dieser Stelle ganz ausdrücklich die einstimmige Annahme des Antrags im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und die damit zum Ausdruck gebrachte Gemeinsamkeit aller Fraktionen.
Ich glaube, das dürfen wir uns auch einmal leisten.Wenn wir Flüchtlingsprobleme bewältigen wollen, müssen wir vor allem die Ursachen für das Entstehen von Flüchtlingsströmen vermindern und nach Möglichkeit beseitigen. Wir sind uns allerdings bewußt, daß hierzu nationale politische Maßnahmen sowie eine regionale und weltweite internationale Zusammenarbeit dringend erforderlich sind.Die Absicht, meine Damen und Herren, der Bundesregierung, weiterhin geduldig und beharrlich im internationalen Rahmen ihren Beitrag zur Lösung äuße-
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Frau Folz-SteinackerI rer und innerer Konflikte zu leisten und dadurch eine aktive Entwicklungszusammenarbeit als Teil einer weltweiten Friedenspolitik den Ursachen der Not von Flüchtlingen und Konfliktopfern entgegenzusetzen, möchte ich an dieser Stelle nochmals ausdrücklich würdigen. Im Interesse einer größeren Wirksamkeit unserer Leistungen müssen jedoch humanitäre Hilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit noch stärker miteinander verbunden werden.Ein entscheidender Beitrag zur Lösung der Weltflüchtlingsprobleme ist und bleibt allerdings die Beseitigung der strukturellen Ursachen von Armut und Unterentwicklung in den Ländern der Dritten Welt. Dies stellt angesichts der weltweiten Verschuldungskrise, wachsender Gefahren durch Umweltzerstörung und eines starken Bevölkerungswachstums gerade in den ärmsten Ländern eine ganz gewaltige Aufgabe dar. Wenn wir, meine Damen und Herren, diese Aufgabe lösen wollen, muß allerdings endlich ein jeder, aber auch wirklich ein jeder von uns begreifen, daß Entwicklung nicht als ein auf Entwicklungshilfe begrenzter Bereich der Politik verstanden werden darf, sondern umfassend alle Wachstumsfaktoren des Entwicklungsprozesses in der Dritten Welt einbeziehen muß. Ich denke, das ist eine ganz wichtige These. Hierzu zählen vor allem die Außenhandels- und Finanzierungsströme im Rahmen des multilateralen Welthandelssystems, die binnenwirtschaftliche Strukturpolitik jedes Landes sowie die Bildung und Ausbildung.Eine Überwindung der Armut in den Entwicklungsländern ist ohne Wirtschaftswachstum und ohne eine nachhaltige Bevölkerungspolitik nicht möglich. In den Entwicklungsländern geht es hier vor allem um die Aktivierung des vorhandenen Wachstumspotentials. Hierzu bedarf es einer Schaffung von Rahmenbedingungen, die der privaten Initiative mehr Raum geben und möglichst breite Bevölkerungsschichten am Entwicklungsprozeß teilhaben lassen. Nur grundlegende wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Reformen werden es den Entwicklungsländern ermöglichen, die vorhandenen menschlichen und natürlichen Ressourcen zum Motor ihrer Entwicklung zu machen.Nach den Erfahrungen der letzten 30 Jahre besteht kein Zweifel mehr daran, daß eine marktwirtschaftliche Orientierung in den Ländern der Dritten Welt eine wesentlich günstigere Voraussetzung für Entwicklung darstellt. Eine Vielzahl von Entwicklungsländern haben dies mittlerweile erkannt und gestehen inzwischen den Marktkräften bei der Entwicklung ihrer Wirtschaft eine wesentlich größere Rolle zu. Damit schaffen sie gleichzeitig mehr Freiräume für private Initiativen und Selbsthilfeprozesse. Diese Länder werden jedoch ihre Wachstums- und Entwicklungschancen nur dann voll wahrnehmen können, wenn dafür gleichzeitig günstige weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen vorhanden sind. Hierbei kommt den Industrieländern des Nordens eine ganz besondere Verantwortung zu.Wachstumsbelebung und Strukturanpassung durch weltweite Zusammenarbeit heißt daher bei uns die zentrale Forderung. Wir müssen vor allem die Bemühungen um eine deutliche Liberalisierung desWelthandels und damit den Kampf gegen den weltweiten Protektionismus verstärkt fortführen. Meine Damen und Herren, Protektionismus ist ebenso wachstumsfeindlich wie die Lähmung der Volkswirtschaften durch Bürokratisierung und staatlichen Dirigismus.
Die Öffnung unserer Märkte für Produkte der Entwicklungsländer ist für eine stärkere Integration dieser Länder in die Weltwirtschaft unerläßlich.Meine Damen und Herren, um diese Ziele erreichen zu können, muß auch bei uns die erforderliche Strukturanpassung vorangetrieben werden. Wir müssen uns mit Entschlossenheit den Herausforderungen eines weltweiten Strukturwandels stellen.
— Herr Kollege, wir können das doch nicht völlig einseitig betrachten.Eine Anpassung an veränderte weltwirtschaftliche Bedingungen wird nur durch Flexibilisierung, Deregulierung und Abbau bürokratischer Hemmnisse zu erreichen sein. Dies erfordert natürlich eine große gemeinsame gesellschaftliche und politische Anstrengung. Ich hoffe, Sie machen da mit.
Alle gesellschaftlichen Gruppen unseres Landes sind hiermit aufgerufen, ihren Beitrag zu leisten. Dies ist gleichermaßen eine Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft wie für die nachhaltige Unterstützung des Entwicklungsprozesses in den Ländern der Dritten Welt.Meine Damen und Herren, Industrie- und Entwicklungsländer müssen allerdings bei ihren Wachstumsanstrengungen dafür sorgen, daß Entwicklung nicht zu einem Faktor der Umweltzerstörung wird.
Ökologie und Ökonomie sind durch kooperative Anstrengungen in ein neues Verhältnis zu bringen, wenn die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit bewahrt werden sollen. Notwendiges Wachstum und Ökologie müssen dabei keine Gegensätze sein.
Wir erwarten von der Bundesregierung, Herr Staatssekretär, daß sie ihre Politik einer weltweiten Sicherung der Menschenrechte sowie zur Überwindung von Armut und Unterentwicklung in den Ländern der Dritten Welt fortsetzt und künftig einen noch stärkeren entwicklungspolitischen Beitrag zur Lösung der Weltflüchtlingsprobleme leistet.
— Wir sind alle lernfähig; ich hoffe, Sie auch.Im Namen der FDP-Bundestagsfraktion bitte ich um Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag.
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9040 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Olms.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zum wiederholten Male und wahrscheinlich zum letztenmal zum Antrag der Koalitionsfraktionen und zur Beschlußempfehlung über den entwicklungspolitischen Beitrag zur Lösung von Weltflüchtlingsproblemen Stellung nehmen.
Die Diagnose, die in diesen Anträgen gegeben wird, ist zutreffend. 17 bis 20 Millionen Menschen fliehen aus Gründen der politischen, rassischen oder religiösen Verfolgung, vor Kriegen und Bürgerkriegen, vor Menschenrechtsverletzungen, aber auch aus der erdrückenden wirtschaftlichen Not.
Richtig ist auch, daß sich die Flüchtlingsströme auf bestimmte Länder und Regionen in der sogenannten Dritten Welt konzentrieren. Das gilt nicht nur für die Flucht-, sondern auch für die Hauptaufnahmeländer.
Aber ansonsten hören sich die Forderungen, die Sie an die Bundesregierung richten, schön an. Das Problem dabei ist nur, daß sie sich ausschließlich auf die entwicklungspolitischen Beiträge reduzieren. Dies ist ein höchst untauglicher Versuch, die Lage der Flüchtlinge in den Aufnahmeländern langfristig verbessern zu helfen oder gar die Fluchtursachen zu vermindern.
Dafür einige Beispiele. Sie fordern Politikdialog und den Einsatz entwicklungspolitischer Möglichkeiten zur präventiven Friedenssicherung und Konflikteingrenzung. Ganze 200 Millionen DM haben Sie für flüchtlingsrelevante Projekte verwendet. Was sind schon 200 Millionen DM, wenn andererseits und erwiesenermaßen bundesdeutsche Firmen Anlagen zur Herstellung von Chemiewaffen an den Irak lieferten, mit denen das dortige Regime irakische Kurden auf grausame Weise tötete oder vertrieb? Was sind 200 Millionen DM, wenn nunmehr bundesdeutsche Firmen beschuldigt werden, nicht nur an C-, sondern auch an B-Waffen-Exporten beteiligt gewesen zu sein? Was sind 200 Millionen DM angesichts der Polizeihilfe an südamerikanische Diktaturen und der Rüstungsexporte an das südafrikanische Apartheidsregime? Hier hätte ihr Beitrag zur Lösung des Weltflüchtlingsproblems anzusetzen gehabt.
Sie fordern weiter langfristige Maßnahmen in den Entwicklungsländern zur Beseitigung der ökonomischen und sozialen Ursachen von Hunger und Not. Wo bitte hat die Bundesregierung im Rahmen des Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank mitgewirkt, den völligen Aderlaß von materiellen und finanziellen Reserven aus der Dritten Welt zu stoppen? Wo haben Sie sich für die Schuldenstreichung eingesetzt? Wo haben Sie Ihre Stimme erhoben, wenn die EG mit Dumpingpreisen für Agrarwaren die ländlichen Subsistenzwirtschaften in den Ländern der Dritten Welt zerstört? Natürlich nirgendwo; denn dieses mächtige ökonomische Land hat überhaupt kein Interesse daran, daß sich an der bestehenden Weltwirtschaftshierarchie irgend etwas ändert; denn dieser Staat profitiert doch in erster Linie von dieser Form der Arbeitsteilung.
Ihre vorgeschlagenen entwicklungspolitischen Beiträge sind doch nichts anderes, als einen kleinen Bruchteil des Schadens und der Probleme, die Sie zusammen mit anderen Industrieländern erst angerichtet haben, mit unzureichenden entwicklungspolitischen Mitteln zu begrenzen.
Solange jedoch die Bundesregierung diese Zusammenhänge von Ursachen und Folgen ignoriert, solange nicht der Gesamtzusammenhang von Ihrer Außenpolitik Außenwirtschaftspolitik, Rüstungsexportpolitik, Finanzpolitik und Innenpolitik mit einfließt, ist und bleibt ein rein entwicklungspolitischer Beitrag ein kleiner Tropfen auf den berühmten heißen Stein.
Die vorliegenden Anträge enthalten interessante Sichtweisen, die der Flüchtlings- und Asylpolitik dieser Regierung widersprechen. Zum einen erkennen Sie die wirtschaftliche und soziale Not als Fluchtursache an. Das ist positiv und steht im krassen Gegensatz zur herrschenden Innenpolitik, wo Flüchtlinge, die aus wirtschaftlicher Not überhaupt zu uns gelangen können, als sogenannte Scheinasylanten oder Wirtschaftsflüchtlinge diffamiert werden.
Zweitens wollen Sie asylsuchenden Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Bildungseinrichtungen nicht verwehren. Auch das ist gut.
Drittens heißt es unter Punkt 2.3, daß vorübergehende Aufenthalte von Flüchtlingen auch zur Vorbereitung auf Rückführung, auf Weiterwanderung oder für den Einsatz in anderen Entwicklungsländern genutzt werden sollen. In der Konsequenz hieße das, daß Sie damit die sogenannten De-facto-Flüchtlinge anerkennen und daß Sie das bestehende fünfjährige Arbeitsverbot für Flüchtlinge aufheben müßten.
Interessant daran ist, daß Sie offenbar von der entwicklungspolitischen Betrachtungsweise her zu anderen Schlußfolgerungen gelangen als Ihre Fraktionskollegen aus dem Innenausschuß. Denn Ihr zaghaftes Pflänzchen, das Sie im Bereich der hiesigen Flüchtlingspolitik gezogen haben, steht im eklatanten Widerspruch zum Hause Zimmermann. Insgesamt gilt jedoch auch hier: Was nützen ein paar vorgeschlagene Maßnahmen zugunsten eines Teils der hier lebenden Flüchtlinge, wenn Flüchtlinge mit fünfjährigem Arbeitsverbot und der Unterbringung in Sammelunterkünften abgeschreckt und menschenunwürdig behandelt werden? Was nützen solche Beschlußempfehlungen, wenn die Bundesregierung die wenigen Flüchtlinge aus den Ländern der Dritten Welt durch eine ganze Reihe von Maßnahmen daran hindert, überhaupt hiesigen Boden zu betreten, um Asyl zu beantragen?
Allein von der entwicklungspolitischen Seite läßt sich dem Weltflüchtlingsproblem nicht beikommen, solange diese Regierung an der bestehenden Weltwirtschaftsordnung festhält und von ihr in hohem Maße profitiert.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Herr Dr. Köhler.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9041
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies war zweifellos ein besonders interessanter Beitrag für die vorgesehene Einstimmige Annahme dieses Antrags, die ja bisher auf allen Ebenen erfolgt ist.
Ich kann leider nicht anders, als zur Tagesordnung zu sprechen. Das Thema lautet: der entwicklungspolitische Beitrag zur Lösung der Weltflüchtlingsprobleme; nicht mehr, aber auch nicht weniger ist gefordert.Seit wir vor gut zehn Monaten in diesem Hause über das Thema gesprochen haben, hat sich die Problematik nur zum Schlimmeren hin verändert. Im Antrag steht noch die Zahl von 12 Millionen Flüchtlingen weltweit. Wir müssen heute von einer Zahl von 15 Millionen Flüchtlingen ausgehen. Wir sollten dabei keine Sekunde vergessen, daß das nicht ein Sammelbegriff und eine Zahl ist, sondern daß das unendlich viele Menschen sind, die in Lagern unter schwierigsten Umständen vegetieren müssen, im Nahen Osten, in Pakistan, in Thailand, in der Türkei, in Mittelamerika. Das ist ein Thema von so großem Ernst und so unübersehbarer Tragweite, daß es sich wirklich nicht zur kleinlichen Parteienpolemik bei uns eignet.Daß die Parteien des Bundestages in gemeinsamen Beratungen in den Ausschüssen nunmehr eine gemeinsame Beschlußempfehlung erarbeitet haben, hält die Bundesregierung für besonders erfreulich. Man kann es wohl auch als ein Zeichen doch weitgehender Übereinstimmung aller Fraktionen des Hauses in vielen entwicklungspolitischen Fragen deuten, wie das auch in der Diskussion über die Problematik des Tropenwaldes letzte Woche hier zum Ausdruck gekommen ist. Wir sollten hier nicht künstlich so tun, als wäre diese Einigkeit nicht vorhanden.Es ist viel über die Ursache der Flüchtlingsbewegung und Flüchtlingsströme geschrieben und gesprochen worden. Wir haben in der Tat gelernt, den klassischen Flüchtlingsbegriff, die Flucht vor Bedrohung, um den Begriff des Flüchtlings vor wirtschaftlicher und sozialer Not zu erweitern. In jüngster Zeit ist auch der Begriff des Umweltflüchtlings geprägt worden. Das sind diejenigen Menschen, die auf Grund von Verwüstung und Naturkatastrophen aus ihren angestammten Heimatgebieten vertrieben werden. Wer die Sahelländer kennt, weiß, wovon die Rede ist.Die miteinander verflochtenen Problemkreise von Hunger und Elend, von Armut und Umweltzerstörung, von Kriegen und Katastrophen erfordern einen die klassischen Ressortgrenzen übergreifenden Ansatz. Die Außenpolitik — mit dem Ziel, den internationalen Frieden zu fördern, regionale Zusammenarbeit zu verbessern, um Vertrauen zwischen den Staaten herzustellen — muß politische Fluchtursachen mindern und endlich zu beseitigen helfen. Die Innenpolitk, ist aufgerufen, das grundgesetzlich garantierte Asylrecht auch faktisch zu garantieren, die daraus entstehenden Lasten gleichmäßig auf die einheimische Bevölkerung zu verteilen und den Flüchtlingen Hilfestellung bei der Vorbereitung der Rückkehr in ihrHeimatland zu geben. Aber zu dieser Aufgabe gehört dann auch, durch Abwehr des Mißbrauchs diese Möglichkeiten zu erhalten.
Die Flüchtlingsfrage ist aber auch ein entwicklungspolitisches Problem. Es genügt wohl, daran zu erinnern, daß die Entstehung von Flüchtlingsströmen oftmals in Unterentwicklung ihre Ursache hat.Ich habe in der ersten Debatte über dieses Thema im April auf die Maßnahmen der Bundesregierung in diesem Bereich ausführlich hingewiesen. Ich erinnere daran, daß die Befriedigung von Grundbedürfnissen in Entwicklungsländern traditionell ein Schwerpunkt deutscher Entwicklungshilfe ist. Mehr als 40 % unserer Mittel sind diesem Zweck gewidmet. Die Grundbedürfnisbefriedigung trägt zu einer sozial gerechteren Einkommensverteilung bei und kann so auch soziale Spannungen entschärfen, die oft eine Ursache von kriegerischen Konflikten sind. Dieser Aspekt, den ich hier heraushebe, steht nicht im Widerspruch zu der eben hier zu Recht vertretenen Ansicht, daß die Gesamtheit der Rahmenbedingungen nicht aus dem Auge verloren werden darf.Wir müssen uns aber auch darüber im klaren sein, daß der Versuch, mit diesen Mitteln Spannungen zu entschärfen, nur eine langfristige Perspektive ergibt.Wir sollten weiter daran denken, daß die Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, in der Regel selbst zu den ärmsten Ländern dieser Erde gehören. Ihnen Hilfeleistung bei der Überwindung der mit der massenhaften Aufnahme von Menschen verbundenen Probleme zu geben ist deshalb vordringlich. Die trostlose Situation in den Flüchtlingslagern dieser Welt, wo vorwiegend Frauen und Kinder in äußerster Armut und oft ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft leben müssen, erfordert unmittelbar wirkende Maßnahmen in den Aufnahmeländern. Die etwa 125 Millionen DM, die die Bundesregierung für Maßnahmen zugunsten von Flüchtlingen im Jahr 1988 bereitgestellt hat — das ist eine vorläufige Zahl — , dienen ganz besonders eben diesem Zweck.Wir bemühen uns, bei der Konzeption und Durchführung von Projekten für Flüchtlinge die einheimische Bevölkerung einzubeziehen und die Maßnahmen auch zu ihrem Vorteil zu gestalten, damit Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Flüchtlingen in Grenzen gehalten werden. Vieles liegt gleichermaßen im Interesse der einheimischen Bevölkerung und der Flüchtlinge, ob es sich nun um die Verbesserung der Infrastruktur, den Bau von Schulen und Krankenstationen oder um Maßnahmen zur Wasserversorgung handelt.Die Weltflüchtlingsfrage ist ein die Staaten übergreifendes Problem. Die internationale, die multilaterale Zusammenarbeit hat hier ihre besondere Berechtigung. Die Zusammenarbeit mit dem Hohen Kommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen ist daher besonders wichtig. Die Bundesregierung wird die gute Zusammenarbeit mit dem UNHCR vor allen Dingen im Bereich der Treuhandprojekte und der Nahrungsmittelhilfe noch weiter intensivieren.
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9042 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Parl. Staatssekretär Dr. KöhlerDie freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatländer — wann immer sie möglich ist — ist das beste Mittel zur Lösung der Problematik. Dies setzt natürlich zuallererst stabile und berechenbare wirtschaftliche und politische Bedingungen in den Fluchtländern voraus. Maßnahmen der Reintegrationsförderung, wie sie von der Bundesregierung konzipiert worden sind, können ergänzend bei der Wiedereingliederung von Flüchtlingen helfen. Wir bemühen uns auch, in der Bundesrepublik lebende Fachkräfte, die selber Flüchtlinge aus der Dritten Welt sind, in anderen Entwicklungsländern in Flüchtlingsprogrammen einzusetzen.Es ist sicher, daß die Bundesregierung auch in Zukunft ihre Möglichkeiten voll nutzen wird, um wirksam und schnell, aber auch nachhaltig zu helfen. Trotzdem muß ich vor Illusionen warnen. Das Weltflüchtlingsproblem entzieht sich einer kurzfristigen Lösung.Aber das ist kein Grund, auch nur eine Minute mutlos zu sein oder in den Anstrengungen nachzulassen. Wir alle — in den Industrieländern, aber auch in den Entwicklungsländern — müssen uns tatkräftig dieser Frage annehmen und mit langem Atem und Geduld zur Verbesserung der Situation beitragen.Das Flüchtlingsproblem ist ein uraltes Problem dieser Menschheit. Vielleicht ist es gar nicht verkehrt, sich von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, daß wir alle Jahre wieder erfahren, daß Gottes Sohn selber sein Leben als Flüchtling beginnen mußte.Im Mittelpunkt dieses Problems steht immer die Not des einzelnen und das Mitempfinden anderer. Deswegen ist zu Recht gesagt worden: Wo Flüchtlinge leben, lebt mit ihnen und in ihnen der Gedanke der Menschenwürde. Sich für Menschenwürde einzusetzen, das ist eine der höchsten Aufgaben, die unsere Verfassung uns allen hier gemeinsam gesetzt hat.Wenn dieses Haus diesen Beschluß heute einstimmig fassen wird,
wäre das ein gutes Zeichen, daß wir bei allen unterschiedlichen Auffassungen in Einzelfragen gewillt sind, diese Aufgabe als gemeinsame Herausforderung anzunehmen und nach besten Kräften zu ihrer Lösung beizutragen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Bindig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir die erschreckend hohe Zahl von 15 Millionen Flüchtlingen hören, dann ist es gut, sich zu vergegenwärtigen, daß hinter dieser großen Zahl so viele schreckliche Einzelschicksale stehen. Es ist gut, sich daran zu erinnern und immer im Kopf zu behalten, daß es die einzelne Frau ist, die sich aufmachen muß, ihre zwei Kinder nehmen und vielleicht einen langen Weg durch die Wüste antreten muß, um dann schließlich irgendwo in der Fremde den Versuch zu unternehmen unterzukommen. Ich glaube, daß dies die Motivkraft war, daß wir diesen Antrag hier einbringen und daß wir ihn hier weitgehend einmütig beraten und wohl verabschieden können.Es sind als Fluchtgrund im Antrag genannt: Verfolgung, Krieg, Bürgerkrieg, Menschenrechtsverletzungen und lebensbedrohende Not. Ich fand es gut, daß in den letzten beiden Reden der Blick auch auf die Ursachen hinter den Ursachen gerichtet worden ist, die im Antrag genannt sind.Da ist einmal die wachsende Problematik im Umweltbereich. Neuere Untersuchungen haben ergeben, daß etwa eine gleiche Zahl von Menschen, die durch die zuerst genannten Gründe auf der Flucht sind, bereits aus Umweltgründen auf die Flucht gehen mußten, teilweise im eigenen Land. Umweltkatastrophen und die Verödung ganzer Landstriche haben bereits mehr als 10 Millionen Menschen zu Flüchtlingen werden lassen, wobei als Umweltflüchtlinge sowohl diejenigen anzusehen sind, die vor plötzlichen Katastrophen, z. B. Überschwemmungen, außer Landes gehen müssen, als auch solche, die von langanhaltenden Umweltveränderungen durch den Vormarsch der Wüste in Afrika betroffen sind und deswegen fliehen.Eine weitere Ursache hinter den Ursachen ist — ich finde, daß mit Recht darauf hingewiesen worden ist — die ganze Problematik um Waffen, Bürgerkriege, Waffenhandel und Waffenexport. Das weist auch auf Probleme zurück, die es hier bei uns in der Bundesrepublik gibt.Der Antrag sagt etwas dazu, daß es erforderlich ist, humanitäre Hilfsmaßnahmen und Entwicklungsmaßnahmen möglichst organisch miteinander zu koppeln, um zu vermeiden, daß ein Zwischenbereich besteht, wo wenig an Hilfe geleistet werden kann. Ich glaube, daß hier ein echtes Problem aufgezeigt ist und daß es trotz vielfältiger positiver Bemühungen immer noch Schwierigkeiten gibt, es rein organisationstechnisch hinzubekommen; denn die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit unterliegen unterschiedlichen haushaltsrechtlichen und verfahrensmäßigen Bestimmungen.Humanitäre Hilfe soll Hilfe zum Überleben sein, also ad hoc in bestimmten Krisensituationen. Sie soll über private Träger und Regierungen kurzfristig realisierbar sein, während Mittel der Entwicklungszusammenarbeit grundsätzlich über Regierungen gehen, gegebenenfalls auch über private Träger, für Maßnahmen zur Förderung der Selbsthilfe.Typische Projekte, die es im Bereich der humanitären Hilfe gibt, sind Medikamentenlieferungen, Transportleistungen, Übernahme von Transportkosten, Ersatzteillieferungen, Zelte, Decken, Bekleidung und spezifische Nahrungsmittelhilfen während bei Entwicklungshilfemaßnahmen, die einen humanitären Charakter haben, besonders solche im Nahrungsmittelbereich, bei Ernährungssicherungsprogrammen, bei Agrarhilfen, bei der Trinkwasserversorgung und bei spezifischen Vorhaben zur Dorfentwicklung, aber auch im Berufsbildungswesen und bei arbeitsplatzschaffenden Vorhaben für Flüchtlinge in Entwicklungsländer zu nennen sind.Man bemüht sich, vieles miteinander abzustimmen. Trotzdem haben, als wir uns damit vor einigen Jahren im Ausschuß beschäftigt haben, die Nicht-Regie-
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Bindigrungsorganisation gesagt, sie spürten immer wieder, daß bestimmte Vorhaben zwischen die verschiedenen Bestimmungen fielen, nämlich dann, wenn sich Flüchtlinge längerfristig in einem Land aufhalten müßten und dort über eine längere Zeit — fünf, acht Jahre — versorgt werden müßten. Da gibt es keinen Partner, weil das Land, in dem sich die Flüchtlinge aufhalten, natürlich kein Regierungsabkommen über sie abschließen möchte. Es gibt nicht den traditionellen Entwicklungspartner, und für die Soforthilfemaßnahmen der humanitären Hilfe sind die Flüchtlinge zu lange in einem solchen Land.Deshalb werden wir an dem Punkt weiterarbeiten müssen: ob in die Bestimmungen, die wir haben, nicht noch etwas mehr Beweglichkeit kommen kann, zumal das eben auch von den Nicht-Regierungsorganisationen dringend gewünscht wird.
Ich habe mir dann noch einmal das Gesamtverhältnis angesehen: das, was in der Bundesrepublik für Flüchtlinge an Geld aufgewendet wird, und das, was insgesamt für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt wird. Die Entwicklungsleistungen aus dem Bundesetat machen, wenn wir alles zusammen nehmen, 8 Milliarden DM aus. Dann überlegen wir einmal, was für die 15 Millionen Flüchtlinge getan wird. Aus der humanitären Hilfe sind es zusammengenommen rund 100 Millionen DM, aus dem BMZ rund 125 Millionen DM. Nehmen wir die privaten Spenden noch dazu, dann kommen wir auf eine Größenordnung von immerhin 300 Millionen DM. Aber wenn man diese 300 Millionen DM in Beziehung setzt zu den 8 Milliarden DM in der Entwicklungshilfe, dann ist das nur rund der dreißigste Teil. Das liegt also bei knapp 3 %. Ob das richtig verteilt ist, ist angesichts der großen Notlagen eine Frage, über die wir wirklich nachdenken müssen.Man kann auch anders rechnen. Man kann fragen: Welchen Bedarf haben 15 Millionen Flüchtlinge eigentlich? 300 DM Monatsbedarf etwa. Das macht für alle Flüchtlinge, wenn man sie versorgen will, einen Bedarf von 54 Milliarden DM im Jahr. Davon decken wir aus der Bundesrepublik Deutschland — wenn ich das mit der ersten Berechnung verkoppele — rund den einhundertachtzigsten Teil. Von dem wirklichen Bedarf, den es auf der Welt für die Versorgung von Flüchtlingen gibt, übernimmt die Bundesrepublik den einhundertachtzigsten Teil, obwohl wir eine leistungsstarke Industrienation sind. Deshalb müssen wir prüfen, ob wir nicht mehr in diesen Bereich umschichten können, sei es, daß wir es im Entwicklungsetat machen, sei es, daß wir den Mut haben zu sagen, wir machen es im Etat für humanitäre Hilfe.Hier möchte ich dann gleich darauf hinweisen, daß der Etat im Bereich humanitäre Hilfe in diesem Jahr — das ist bereits jetzt vorhersehbar — in ausgesprochene Engpässe kommt. Im Zusammenhang mit Afghanistan stellt sich das große Problem, dort schwerpunktmäßig tätig zu werden. International sind 30 Millionen DM versprochen, aber im Haushalt sind nur 20 Millionen DM mehr eingestellt worden. Also müssen schon einmal 10 Millionen DM von dem üblichen Betrag genommen werden.Wenn man dann bedenkt, daß die 5%ige Kürzung im Haushaltsansatz, die alle Maßnahmen betrifft, greifen soll, daß für die Armenienhilfe bereits viel Geld ausgegeben worden ist, daß für die hohe Zahl der vietnamesischen Flüchtlinge etliches aufzuwenden ist, dann zeichnet sich jetzt schon ab, daß diese Gelder dort nicht reichen werden.Hinzu kommt noch das Namibia-Programm, kommen Versorgungsprogramme im Südsudan, kommen die Probleme des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz im Zusammenhang mit den Vietnamesen, kommen die Flüchtlingsprobleme der Kurden. Alles das macht es erforderlich, im Bereich der humanitären Hilfe mindestens 20 Millionen DM mehr zu mobilisieren. Wir müssen uns alle klarwerden — es ist ja schon angedeutet worden, daß es vielleicht einen Nachtragshaushalt geben wird, nicht zuletzt wegen des Bildungsbereichs — , daß wir hier tätig werden müssen, um eine entsprechende Ausstattung zu schaffen, um für die Flüchtlinge etwas tun zu können.
Die ganze Problematik geht noch mit der Tatsache einher, daß der Spendenmarkt, weil eben für Armenien und bestimmte herausragende Themen so viel Geld mobilisiert worden ist, zurückgeht. Ich meinte, daß ich auch das unter dem Gesichtspunkt der Beiträge der Entwicklungshilfe zum Weltflüchtlingsproblem hier erwähnen sollte, weil dies von der Willensbildung, die wir vom Programmatischen her haben, auf die praktischen Probleme führt, die sich haushaltstechnisch und bei der Umsetzung hier bei uns ergeben. Wir müssen — das ist ja unsere ganze Zielsetzung — die von uns hier breit mitgetragenen Ziele dann auch wirklich technisch umsetzen, damit das geschieht, was wir wünschen.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Ich habe jetzt noch zwei Wortmeldungen zu Geschäftsordnungsparagraphen. Zuerst möchte Professor Holtz nach § 29 — zur Geschäftsordnung — einen Antrag begründen.
Danke schön, Herr Präsident.
Die Zahl der Flüchtlinge steigt und steigt. Auch wir in der Bundesrepublik sind davon betroffen.
Ich möchte deshalb einen Änderungsantrag stellen, was die Zahl der Flüchtlinge angeht, die in der Beschlußempfehlung genannt ist. Dort ist von 12 Millionen Flüchtlingen die Rede. Bitte, lassen Sie uns dies — wir haben das ja auch von der Bundesregierung eben gehört — auf 15 Millionen Flüchtlinge korrigieren.
Ich bitte deshalb, Herr Präsident, daß Sie dies in Abschnitt I gleich bei der Abstimmung mit berücksichtigen, und ich bitte die Kolleginnen und Kollegen um Zustimmung. — Danke schön.
Danke schön.
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9044 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Vizepräsident WestphalDann habe ich noch den Wunsch zu einer Wortmeldung von Frau Olms zu § 31, Erklärung zur Abstimmung.
Der hier vorliegende Antrag ist in unserer Fraktion sehr unterschiedlich beurteilt worden. Das wirkte sich auch im Abstimmungsverhalten in den Ausschüssen aus. Außer im Innenausschuß haben unsere Fraktionsmitglieder diesem Antrag zugestimmt. Ich selbst als Mitglied des Innenausschusses — ich glaube, ich habe es in meiner Rede auch dargelegt — kann diesem Antrag nicht zustimmen. Aber das soll nicht als Meinung der Fraktion gewertet werden.
Wir kommen dann zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Drucksache 11/3455. Ich frage zunächst, ob der Änderungsantrag den der Abgeordnete Holtz begründet hat, die Zahl 12 in der dritten Zeile von Abschnitt I in die Zahl 15 zu ändern, gebilligt wird. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig vereinbart.
Dann stelle ich die Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/3455 selbst zur Abstimmung. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit gegen eine Stimme und bei zwei Enthaltungen aus der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis 1987
— Drucksache 11/2215 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Beginnen soll Herr Kollege Nolting.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung behandelt die Entwicklung seit Anfang Juli 1986 und schließt mit dem Stand 31. Dezember 1987 ab. In diesen 18 Monaten hat es entscheidende Fortschritte im Rüstungskontrolldialog gegeben, die gleichzeitig Ausdruck und Folge einer positiven Wende im WestOst-Verhältnis insgesamt sind, wie es in dem vorliegenden Bericht heißt. Für die SPD-Fraktion kann ich diese Entwicklung ausdrücklich und nachhaltig begrüßen.
Meine Damen und Herren, vier entscheidende Termine, die zu dieser Entwicklung beigetragen haben, möchte ich hier heute nennen.Erstens. Am 19. September 1986 konnte in Stockholm die Konferenz für vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa erfolgreich abgeschlossen werden. Die Bundesregierung hat mit besonderer Verantwortung zu dem Erfolg dieser Konferenz beigetragen. Ich erinnere hier auch an die richtungsweisende Rede von Bundesaußenminister Genscher am 28. Januar 1986, in der er u. a. gefordert hatte, die konventionelle Rüstungskontrolle müsse in ganz Europa, nämlich vom Atlantik bis zum Ural erfolgen. Erinnern will ich auch daran, daß Generalsekretär Gorbatschow erst drei Monate später positiv auf diese Forderung einging, wie auch viele andere westliche Vorschläge erst später von der Sowjetunion aufgegriffen wurden.Zweitens. Im November 1986 kam es zur amerikanisch-sowjetischen Gipfelbegegnung in Reykjavik, die sich — ich zitiere — „als eine Wasserscheide auf dem Weg zu einem kooperativen, auf konkrete Ergebnisse abzielenden Verhandlungsdialog" erwies; so der amerikanische Außenminister Shultz.Drittens. Am 11. und 12. Juni 1987 hatte das NATOBündnis in Reykjavik ein umfassendes westliches Konzept zur Rüstungskontrolle und Abrüstung beschlossen. Es sieht im einzelnen folgende dringliche Abrüstungsschritte vor: a) eine 50%ige Beseitigung der strategischen nuklearen Offensivwaffen der USA und der Sowjetunion, b) die weltweite Beseitigung aller chemischen Waffen — ich bedanke mich bei Außenminister Genscher, daß er die weltweite Beseitigung und Ächtung der C-Waffen auf der Pariser Konferenz für das Verbot chemischer Waffen am 9. Januar 1989 noch einmal ausdrücklich und nachhaltig gefordert hat —,
c) die Herstellung eines stabilen Gleichgewichts bei den konventionellen Waffen in ganz Europa und schließlich d) die Vorbereitung von Verhandlungen über die amerikanischen und sowjetischen bodengestützten nuklearen Flugkörpersysteme kürzerer Reichweite.Meine Damen und Herren, dieses Gesamtkonzept muß weiterentwickelt werden, wozu der Ständige NATO-Rat beauftragt wurde. Ich gehe davon aus, daß dieses neue Gesamtkonzept spätestens im Sommer dieses Jahres vorliegen wird.„Die Bundesregierung ist stets dafür eingetreten, die erklärte sowjetische Abrüstungsbereitschaft am Verhandlungstisch zu testen", heißt es im vorliegenden Bericht. Dies wiederhole ich auch gerade im Hinblick auf die kürzlich erfolgten Abrüstungsankündigungen der Sowjetunion und der DDR. Wir begrüßen diese Vorschläge ausdrücklich, denen wir positiv optimistisch, aber gleichzeitig auch nüchtern und realitätsbezogen gegenüberstehen, denn jetzt ist die Sowjetunion gefordert, ihre Vorschläge in Verhandlungen einzubringen, damit sie nachvollziehbar und vor allen Dingen überprüfbar werden.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9045
NoltingAbrüstung erfordert zähe Sachlichkeit. Abrüstung vollzieht sich in einem komplizierten und langen Prozeß, der keine schnellen Ergebnisse hervorbringt und mit dem sich leichte Lösungen, die nur Illusionen von Sicherheit, aber keine echte Sicherheit erzeugen, nicht vertragen. Diejenigen, die leichtfertig und schnell vermeintliche Patentrezepte anbieten oder gar für einseitige unbedachte westliche Abrüstung plädieren, erinnern bei aller möglichen Lauterkeit der Motive an einen Wolf, der den Schafen einzureden versucht, daß es zweckvoll sei, den Hund abzuschaffen.Damit komme ich zum vierten entscheidenden Datum des Zeitraums Juli 1986 bis Dezember 1987. Am 8. Dezember 1987 unterzeichneten, wie Sie alle wissen, Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Washington das INF-Abkommen. Dies war aus unserer Sicht ein historischer Tag, denn erstmalig in der Geschichte wird nicht nur über Waffen verhandelt, sondern es wird eine gesamte Waffengattung abgebaut und verschrottet, und das kontrolliert.
Wir Liberalen haben einen doppelten Grund, über den Abschluß des INF-Abkommens erfreut zu sein. Das Ergebnis entspricht zum einen unseren wehrpolitischen Vorstellungen von der Sicherung des Friedens und der Verhinderung eines jeden Kriegs, eines nuklearen ebenso wie eines konventionellen, denn, meine Damen und Herren, wenn wir im nuklearen Zeitalter den Frieden verspielen, wird es keine Chance des Wiederaufbaus geben.Der zweite Grund für unsere Zufriedenheit liegt klar auf der Hand. Nur wir Liberalen können als einzige politische Kraft in der Bundesrepublik Deutschland den langen Weg vom NATO-Doppelbeschluß vom 12. Dezember 1979 bis zur Unterzeichnung des INF-Abkommens am 8. Dezember 1987 konsequent verfolgen.
Das gilt sowohl für die Umsetzung des Nachrüstungsbeschlusses als auch für den Willen zur Verwirklichung der doppelten Null-Lösung. Es hat sich gezeigt, daß der Wille zur Verteidigung und der Wille zur Abrüstung notwendig waren.Ich will an dieser Stelle daran erinnern, daß sich die SPD mit Beginn der Verwirklichung des Stationierungsteils des Doppelbeschlusses aus der Gemeinsamkeit verabschiedete und u. a. davon sprach, die Großmächte würden sich nie wieder an einem Tisch zu Verhandlungen zusammenfinden. Viele sprachen schon von einer neuen Eiszeit, und viele der Kollegen werden sich an die „Mahnwachen" und den psychischen Druck erinnern, dem sie ausgesetzt waren.Doch, meine Damen und Herren — dies sage ich vor allen Dingen in Richtung der SPD — , unser folgerichtiges, standfestes und berechenbares Handeln hat letztlich zum Erfolg des INF-Vertrages geführt.
Damit ist ein wichtiger Schritt getan worden. Die INFVereinbarung darf aber kein isoliertes Ereignis bleiben. Ich habe vorhin auf das Gesamtkonzept hingewiesen. Ich hoffe, daß wir beim nächsten Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung über weitere Erfolge sprechen können.Meine Damen und Herren, das Ziel westlicher Sicherheitspolitik ist die umfassende Sicherung des Friedens. Um diese Aufgabe zu erfüllen, entwickelte das Atlantische Bündnis schon 1967 im Harmel-Bericht eine Doppelstrategie von militärischer Sicherheit und Zusammenarbeit. Es lag schon damals in der Logik dieser Strategie, das Bemühen um Abrüstung und Rüstungskontrolle zu einem unverzichtbaren integralen Bestandteil unserer Sicherheitspolitik zu machen. Verteidigung einerseits und Abrüstung und Entspannung andererseits stehen danach in einer Wechselbeziehung.Nur die konsequente Anwendung der Harmel-Strategie in ihren beiden Elementen garantiert unsere Sicherheit. Sie verpflichtet uns gleichermaßen zu Verteidigungsanstrengungen wie auch zur ernsthaften Suche nach Wegen, die politischen Spannungen der Ost-West-Auseinandersetzungen zu verringern. Eine solche Strategie will dauerhafte Sicherheit für alle schaffen. Dazu gehört es, Rüstungen in allmählichen Schritten zu beschränken und dadurch das Risiko eines jeden Krieges — eines nuklearen, aber auch eines konventionellen — abzubauen.
Meine Damen und Herren, Fortschritte sind möglich, wenn bei allen Verhandlungspartnern die echte Bereitschaft zu einer kooperativen Sicherheitspolitik besteht. Kooperative Sicherheitspolitik verlangt unserer Meinung nach:Erstens. Abrüstungsschritte, die Überlegenheiten abbauen und Gleichheit auf einem niedrigeren Niveau in allen Bereichen des militärischen Kräfteverhältnisses herstellen. Hier ist der Osten gefragt, denn hier gilt der einfache Satz: Wer mehr hat, muß auch mehr abbauen.Zweitens. Damit jeder Krieg mit Waffen jeder Art künftig ausgeschlossen wird, darf es beim Verzicht auf Überlegenheit und bei der Bereitschaft zur Rüstungskontrolle keine Ausnahmen geben.Drittens qualitative Veränderungen der Struktur von Streitkräften.Viertens. Auf keiner Seite darf es die Fähigkeit zur Invasion geben, so wie das bei uns heute schon der Fall ist.Fünftens. Wirksame Mechanismen eines weltweiten politischen Krisenmanagements werden gebraucht.Sechstens. Das Netz von vertrauensbildenden Maßnahmen muß weiterentwickelt und immer dichter werden.Siebtens. Feindbilder müssen abgebaut, Friedensgesinnung zur Achtung vor den anderen müssen gefördert werden.Achtens. Schließlich muß die Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen in allen Bereichen verbreitert und vertieft werden.
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9046 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
NoltingMeine Damen und Herren, wir werden die vor uns liegenden Aufgaben der Abrüstung mit Entschlossenheit, aber auch mit Verantwortung weiterverfolgen und, dessen bin ich sicher, auch bewältigen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, daß wir zu Beginn des Jahres 1989 den Abrüstungsbericht der Bundesregierung aus dem Zeitraum von Mitte 1986 bis Ende 1987 diskutieren. Die Bundesregierung hat 1987 keinen der jährlichen Abrüstungsberichte vorgelegt und damit den Auftrag des Bundestages ignoriert. Der Grund: Sie konnte sich nicht auf einen Abrüstungsbericht verständigen. Zu tiefgreifend waren offenbar die internen Auseinandersetzungen über die damals anstehende doppelte Null-Lösung. Noch in guter Erinnerung sind die Reisen von CDU/CSUPolitikern nach Washington zur Verhinderung dieses Abrüstungsvertrages, und erst in letzter Minute ließ Bundeskanzler Kohl im August 1987 die Position fallen, lieber diesen Vertrag zu torpedieren als auf die Pershing I a der Bundeswehr zu verzichten. Daß war die damalige Situation.Zum heutigen Abrüstungsbericht ist zu sagen, daß das überkommene Sicherheitsdenken offenbar immer noch allzu viele auch innerhalb der Bundesregierung, aber sicherlich auch darüber hinaus, unschlüssig oder gar unfähig macht, auch kritisch zur eigenen Strategie und zur eigenen Rüstungsentwicklung zu stehen. Dies führt unverändert zu äußerst zurückhaltenden und auch widersprüchlichen Abrüstungspositionen. Das ist eine Halbherzigkeit, mit der die überfällige historische Wende nicht zu vollziehen ist, die uns aus den Sackgassen herausführen soll.Dazu einige Beispiele. Die Bundesregierung weckt große Erwartungen an die im Frühjahr in Wien beginnende Konferenz zur Reduzierung konventioneller Rüstung, aber das westliche Verhandlungskonzept, dem die Bundesregierung zugestimmt hat, enthält einen zentralen Mangel: Obwohl das Ziel die Beseitigung der Fähigkeit zu Überraschungsangriffen ist, soll über eine Abrüstung der Luftwaffe nicht einmal verhandelt werden.Ein zweiter Punkt. Die Bundesregierung hält sich zugute, weltweit an der Spitze der Bemühungen um ein weltweites Verbot der C-Waffen zu stehen, aber es ist mittlerweile unbestreitbar, daß der Giftgaskrieg des Irak den Bemühungen um eine weltweite Ächtung der C-Waffen einen empfindlichen und, wie zu fürchten ist, vielleicht sogar dauerhaften Rückschlag versetzt hat. Unbestreitbar ist, daß die Bundesregierung seit den ersten Hinweisen auf eine Mitwirkung deutscher Firmen an der irakischen Giftgasproduktion im Jahr 1984 drei Jahre lang nichts unternommen hat, diesen Hinweisen nachzugehen.
Das bedeutet, die Bundesregierung hat eine faktischeMitschuld am Stillstand der Genfer Verhandlungen,die bei näherem Hinsehen schwerer wiegt als die vielen hehren Bekenntnisse zur C-Waffen-Abrüstung.
Ein dritter Punkt. Die Bundesregierung sagt in ihrem Abrüstungsbericht — ich zitiere — : „Die Umgehung getroffener Rüstungskontrollvereinbarungen durch Ausnutzung neuer Grauzonen muß verhindert werden. " Aber den atomaren Rüstungsvorhaben der NATO, mit denen eine Umgehung des Mittelstrekkenraketenvertrages möglich wird, hat sie bisher keinen definitiven Riegel vorzuschieben versucht, und sie wirkt sogar in den Planungsgruppen bei den Vorbereitungen mit. In diesem Zusammenhang ist besonders gravierend, daß kein Konzept der NATO und kein Engagement der Bundesregierung, das erkennbar wäre, für Verhandlungen über eine Abrüstung atomarer Kurzstreckenwaffen zu sehen ist, obwohl noch Anfang 1988 aus den Reihen der Regierungsparteien laute Reden dafür geschwungen wurden.Ins Zentrum meines heutigen Debattenbeitrages will ich deshalb aus Anlaß des Abrüstungsberichts die Frage stellen, die meines Erachtens die Kernfrage sowohl innenpolitischer wie internationaler Auseinandersetzungen um die Abrüstungspolitik in den 90er Jahren sein wird: Soll an der Atomabschreckung festgehalten werden, oder soll sie überwunden werden? Wer zur Fortführung der Atomabschreckung ja sagt, der wird über kurz oder lang auch atomare Neurüstungen wollen — oder sich diesen nicht entziehen können. Wer dagegen die atomare Abschreckung wirklich überwinden will, der muß weitere atomare Abrüstungsverhandlungen auch bei atomaren Kurzstreckenwaffen unverzüglich anstreben.Die Bundesregierung erklärt jedoch, daß es zur atomaren Abschreckung — Zitat — „auf absehbare Zeit keine Alternative" gebe.
Noch deutlicher sind Äußerungen etwa des stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Rühe, der im vergangenen Jahr eine Grundsatzposition der CDU/CSU zu atomaren Kurzstreckenwaffen vorlegte. In dieser hieß es, daß eine Abrüstung atomarer Kurzstreckenwaffen nur bis zu einem zu vereinbarenden beiderseitigen Potential gehen dürfe, das dann aber definitiv — wörtlich — „nicht mehr verhandelbar" sei. Mit anderen Worten: An der Atomabschreckung soll eisern und offensichtlich auf Dauer festgehalten werden.Diese Position klingt vordergründig realpolitisch, weil sie zweifellos auch mit der weit überwiegenden Mehrheit der Sicherheitspolitiker in der NATO übereinstimmt — das stelle ich gar nicht in Abrede — , am Problem ändert es nichts. Die Atomabschreckung ist der oberste Glaubenssatz der Sicherheits- und Abrüstungspolitik der NATO. Der Abrüstungsvertrag über Mittelstreckenraketen gilt vielen als unerwarteter Sündenfall, der nun ein einmaliger bleiben soll. Deshalb wird — statt einer Fortsetzung des atomaren Abrüstungsprozesses in Europa — die Notwendigkeit atomarer Waffen seitdem häufiger und intensiver beschworen denn je. Doch ist es diese Atomabschrek-
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Dr. Scheerkung, die zunehmend anachronistischer und sicherheitspolitisch illusionärer wird.
Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Atomabschreckung ist überfällig. — Wenn Sie sagen, man müsse erst einmal die Spannungsursachen beseitigen, Herr Friedmann
— ja, das Argument kenne ich —, dann möchte ich darauf einen kurzen Zwischeneinwand machen. Der Satz, daß zunächst einmal die Ursachen für Spannungen beseitigt werden müßten und dann erst die Rüstungen beseitigt werden könnten, ist im Grunde genommen heute so banal, daß er keine Richtigkeit mehr beanspruchen kann. Es ist unbezweifelbar, um ein Beispiel zu nennen, daß die Entspannung in den letzten drei Jahren entscheidende Fortschritte gemacht hat; dies bestreitet keiner. Ebenso unbezweifelbar ist, daß die Rüstungsausgaben von NATO und Warschauer Pakt in den letzten drei Jahren um ca. 15 bis 20 % gestiegen sind. Wo ist da noch zu erkennen, daß Spannungen die Ursache für Rüstungen sind? Die Rüstungsentwicklung hat sich verselbständigt!
Wenn Sie sich dem nicht endlich stellen, werden Sie an das Problem nicht herankommen.
Ich möchte fortfahren und betonen, daß eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Atomabschreckung überfällig ist. Es ist unbeweisbar, ob es das Verdienst der Atomabschreckung war, daß in den vergangenen Jahrzehnten kein Ost-West-Krieg stattfand. Aber immer unübersehbarer wird: Wer wegen der vermeintlichen oder der tatsächlichen Vorzüge der Atomabschreckung in der Vergangenheit auch in der Zukunft an ihr festhalten will, der untergräbt — gewollt oder ungewollt — die Chancen einer langfristig angelegten Friedenssicherung und legt damit heute die Ursachen für eine uferlose sicherheitspolitische Destabiliserung in globalem Maßstab.Grundsätzlich sprechen folgende — alles andere als nur spekulative — Entwicklungen gegen das Festhalten an der Atomabschreckung.Der erste Punkt: Bereits in den 90er Jahren wird die widersprüchliche Position nicht mehr durchhaltbar sein, daß die NATO die Atomabschreckung als einzigartiges friedensstiftendes Instrument bezeichnet — bisweilen sogar mit dem Etikett „segensreich" versehen — , gleichzeitig aber die Weiterverbreitung der Atomwaffen in andere Länder verhindern will. Die Gefahr der weltweiten Verbreitung von Atomwaffen ist keineswegs geringer als die der chemischen Waffen. Irak hat parallel zur Realisierung einer eigenen C-Waffen-Produktion den Zugang zu Atomwaffen versucht und Israel zu einer gewaltsamen Unterbrechung dieses Versuchs provoziert. Auch Libyen hat den Zugang zu Atomwaffen versucht und ist dann den technologisch und politisch einfacheren Weg zu einer C-Waffen-Produktion gegangen. Andere Länder sind schon wesentlich weiter und können schon heute als potentielle Atomwaffenbesitzer gelten. Ob der Atomwaffensperrvertrag das nächste Jahrzehnt überdauert, hängt also nicht in erster Linie von Konferenzen ab, sondern von der politischen Bereitschaft zur Denuklearisierung.Selbst wenn es so wäre, daß Atomwaffen Stabilitätsvorteile im Ost-West-Verhältnis vermitteln, stehen diese in keinem verantwortbaren Verhältnis zu den schier uferlosen Gefahren einer atomaren Aufrüstung in der Dritten Welt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Todenhöfer?
Ja, bitte ; wenn sie mir nicht angerechnet wird.
Na ja!
Herr Kollege Scheer, wird denn Ihre Forderung nach Abschaffung der nuklearen Abschreckung von der gesamten Fraktion der SPD geteilt?
Ich spreche hier von einem Diskussionsprozeß, der hoffentlich parteiübergreifend und auch länderübergreifend ist, weil dies zwingend erforderlich ist. Das Ziel einer Überwindung der Abschreckung finden Sie in den Beschlüssen der SPD.
Ich möchte hervorheben: Selbst wenn es so wäre, daß Atomwaffen Stabilitätsvorteile im Ost-West-Verhältnis vermitteln, ist jeder ein Traumtänzer, der sich der Hoffnung hingibt, das derzeitige Atomwaffenmonopol aufrechterhalten zu können. Vor uns steht die Entscheidung: Entweder machen wir uns schleunigst auf den Weg zum völligen Verzicht auf Atomwaffen und Atomabschreckung, oder die Welt wird mit immer mehr Atomwaffenstaaten und damit drastisch gesteigerten Risiken von Atomkriegen gepflastert.Wer sich der Entscheidung gegen die Atomwaffen verweigert, vergeht sich deshalb an der Zukunft. Wer vor den politischen Schwierigkeiten einer vollständigen Atomabrüstung kapituliert und diese für nicht machbar erklärt, lastet der Zukunft noch sehr viel größere und politisch endgültig nicht mehr beherrschbare Schwierigkeiten auf.Diejenigen, die aus vorgeblich realpolitischen Gründen bereits die Zielsetzung einer vollständigen atomaren Abrüstung verleugnen, sind deshalb in meiner Sicht Fatalisten und Pessimisten und die eigentlichen Hasardeure und Phantasten unserer Zeit.
Zweitens. Die Fortsetzung der wechselseitigen Abschreckung bedeutet zwangsläufig die Weiterführung hochtechnologischen Wettrüstens. Der Unterschied zwischen den Atomwaffen und allen anderen Waffen ist, daß es bei Atomwaffen um die Gefährdung der gesamten Existenz von Staaten, wenn nicht gar der
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9048 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Dr. Scheermenschlichen Zivilisation insgesamt geht. Diese Maßlosigkeit des Gefahrenpotentials führt zu maßlosen politischen Ansprüchen an die Weiterentwicklung der Atomrüstung.Weil es um totale Existenzfragen geht, können, wollen und dürfen die Abschreckungskontrahenten NATO und Warschauer Pakt, USA und Sowjetunion nicht eine Entwicklung riskieren, bei der die jeweilige Gegenseite über eine atomare Einsatz- bzw. Abwehrtechnologie verfügt, die ihr einen deutlichen strategischen Vorteil verschafft. Das bedeutet: die Abschrekkung zwingt mit innerer Automatik dazu, nicht nur immer neue Gegenmittel gegen die bereits eingeführte atomare Technologie bereitzustellen, sie zwingt auch dazu, Gegenmittel gegen solche Technologie vorzubereiten, die die Gegenseite eventuell einführen könnte.Dies erstreckt sich nicht nur auf Raketen und Bomben, sondern immer mehr auf Einsatz-, Kommunikations- und Aufklärungssysteme. Da es sich dabei um immer komplexere und kostspieligere Technologien handelt, führt dies zu einer wirtschaftlich immer ruinöser werdenden Rüstungsdynamik.Ohne Atomwaffen wäre diese Entwicklung in dieser Dramatik und Beschleunigung nicht denkbar. Sie ist nur durch einen generellen Verzicht auf Atomwaffen zu unterbrechen.Drittens. Atomabschreckung heißt, daß im Eventualfall nicht allein die Vernichtung der Gegenseite, sondern auch die Selbstvernichtung in Kauf genommen wird. Dies bedeutet aber, daß es in der Werteordnung der Atomabschreckung noch etwas Schlimmeres als die Selbstvernichtung gibt. Atombewaffnung ist gleichbedeutend mit einem fundamentalistischen Feindbild. Atomwaffen zwingen dazu, ein solches Feindbild zu pflegen, selbst wenn es nicht mehr der Realität entspricht. Wenn es der Realität nicht mehr entspricht, dann verlangt die Betriebspsychologie der Atomabschreckung, das Feindbild künstlich aufrechterhalten zu wollen. Das ist aber mit einer langfristig angelegten Friedenspolitik nicht vereinbar. Die Anhänger des Abschreckungsprinzpis sind deshalb die hartnäckigsten ideologischen Fundamentalisten unserer Zeit — manche, ohne es zu merken.Selbst eine Minimalabschreckung, die als Ziel einer atomaren Rüstungskontrolle vielfach verlangt wird, würde an den aufgezeigten drei prinzipiellen Gegenargumenten gegen Atomabschreckung wenig ändern. Minimalabschreckung wäre als erklärter Zwischenschritt zu vollständiger Atomabrüstung vielleicht noch tolerabel, aber als künftiger Dauerzustand nicht weniger fragwürdig als der jetzige Zustand.Prinzipiellen Absagen an die Abschreckungsdoktrin wird nun das scheinbar einleuchtende Argument entgegengehalten, Atomwaffen ließen sich gar nicht mehr vollständig abschaffen, weil das Wissen um die Herstellung solcher Waffen nie wieder zu löschen sein wird, und deshalb müsse die Menschheit lernen, mit der Bombe zu leben. Ich bin der Meinung: Sie muß lernen, mit dem Wissen über die Atomwaffen zu leben, und das ist etwas anderes. Mit der Bombe zu leben bedeutet im nächsten Jahrhundert die Horrorvision von weltweit verbreiteter Atomrüstung und dann wirklich auch von Atomkriegen. Mit dem Wissen zu leben bedeutet, einen den Möglichkeiten und Gefahren unserer Zeit entsprechenden internationalen Rahmen zu schaffen. Wer deshalb meint, die Atomwaffen ließen sich nie wieder beseitigen, offenbart damit eigentlich nur Abgebrühtheit, Einfallslosigkeit und Kleinmut.
Wir brauchen statt dessen politische Kreativität und sehr viel mehr Mut zu einer den Problemen entsprechenden Zukunftsgestaltung.Natürlich weiß ich, daß keine Atommacht auf Atomwaffen verzichten wird, solange andere Staaten diese Waffen haben. Es geht ja auch nicht um den einseitigen Verzicht auf Atomwaffen, sondern um einen allseitigen.Natürlich weiß ich, daß die vollständige Beseitigung aller Atomwaffen schwer zu kontrollieren ist. Aber ein vollständiges Verbot aller Chemiewaffen ist deutlich schwerer zu kontrollieren, und dennoch steht die Bundesregierung ganz offiziell dazu.Natürlich kenne ich die Diskussionen um die Gefahren von Atomwaffen in der Hand von Terroristen. Aber ich sehe nicht, daß ein atomares Gegenschlagspotential ein Rezept gegen einen künftigen unsichtbaren Feind wäre. Es dürfte auch einleuchtend sein, daß sich Atomterrorismus in einer kontrolliert atomwaffenfreien Welt eher verhindern läßt als in einer mit Atomwaffen bestückten Welt.Natürlich weiß ich, daß sich kein Staat einer Situation aussetzen möchte, in der ein einzelner Staat heimlich atomar rüstet und die übrigen erpressen könnte. Aber ich weiß auch, daß eine atomar und chemisch entwaffnete Staatenwelt eine Weltinstitution in Form der Vereinten Nationen braucht, die ein Gewaltmonopol hat und es notfalls auch weltpolizeilich gegen Verbrechen an der Menschheit ausübt. Dafür zu wirken ist allemal den Problemen angemessener und realistischer. Wir erreichen dies aber nicht, wenn wir zur Atomabrüstung mit all ihren Konsequenzen prinzipiell erst dann bereit sind, wenn eine solche Weltordnung existiert. Wir können diese Weltordnung nur herbeiführen, indem wir die Atomabrüstung forcieren.Die Behauptung derer, die im Falle eines Abschieds von der Abschreckung befürchten, Kriege könnten dann wieder möglich werden, ist eigentlich auch immer weniger nachvollziehbar. Wer realistisch die Verhältnisse entwickelter Industriegesellschaften auch unter sicherheitspolitischen Vorzeichen betrachtet, weiß, daß Kriege auf jeden Fall in Europa nicht mehr führbar sind, auch wenn es sich um konventionelle handelt. Ob man an Angriffe auf ein Kernkraftwerk, auf chemische Werke mit den heutigen Stoffen, die dort produziert werden, oder nur auf große Umspannwerke der hochzentralisierten Elektrizitätsversorgung denkt; bisher unvorstellbare Umweltkatastrophen, der Stromausfall in ganzen Regionen und damit der vollständige Stillstand von Produktion und Kommunikation wären die unausweichliche akute Folge. Die beste Abschreckung zur Kriegsverhütung, die beste
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Dr. ScheerMöglichkeit zum Abhalten von Kriegen ist, wenn wir uns dies endlich klarmachen und neben der drastischen Reduzierung konventioneller Rüstung die Atomabrüstung beschleunigen. Vorhandene Atomwaffen dürfen heutzutage deshalb nur eine Funktion haben: Material zu sein, das zur Sicherstellung einer allseitigen Atomabrüstung eingesetzt wird, durch amerikanisch-sowjetische Verträge, durch Abrüstung atomarer Kurzstreckenwaffen, Abrüstungsverhandlungen aller fünf Atomwaffenstaaten, durch eine Stärkung des Nichtverbreitungsregimes, eine völkerrechtlich verbindliche Ächtung der Atomwaffen und die Schaffung eines Sanktionssystems bei Verstößen gegen dieses Völkerrecht.
Herr Abgeordneter — — Dr. Scheer : Ich bin sofort fertig.
Den jetzigen fünf offiziellen Atomwaffenstaaten, die gleichzeitig die fünf Ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats sind, kommen dabei besondere Verantwortungen zu. Sie haben und behalten aber Vorrechte, die sie zur politischen Gewährleistung einer nachatomaren Ordnung der Völkergemeinschaft einsetzen müssen. Politischer Realismus zwingt dazu, diese Herausforderungen anzunehmen.
Der Abrüstungsbericht der Bundesregierung, der sich jedoch eher um die Atomabschreckung müht als um Atomabrüstung — so sehe ich den Leitfaden —, ist deshalb aus unserer Sicht kein Dokument der Zukunftssicherung, sondern eher eines bloßer Gegenwartsbeschönigung.
Das Wort hat der Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Scheer, der Zwang unseres Parlamentsbetriebs erlaubt es mir nicht, auf Ihre Ausführungen so grundsätzlich einzugehen, wie Sie es angelegt haben. Ich will nur einen Satz sagen. Weder im Aktuellen noch im Grundsätzlichen messe ich der atomaren Abrüstung die Bedeutung bei, wie Sie das getan haben.
Ich will mich, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, da mit dem bevorstehenden Beginn der Wiener Verhandlungen die Abrüstung für Europa in die entscheidende Phase eintritt, hier nicht darauf beschränken, das Übliche und von einem Redner der Koalition zu Recht Erwartete zu sagen, indem ich die bisherigen Erfolge der Abrüstung preise und die Regierung dafür lobe. Beides tue ich natürlich aus Überzeugung. Denn wir haben unstreitig Erfolge erzielt, die wir vor einigen Jahren noch für ganz ausgeschlossen gehalten haben.
Ganz unbestritten hat die Regierung daran einen entscheidenden Anteil. Ich will vielmehr die Gelegenheit nutzen, um nach den politischen Grundbedingungen für einen schlußendlichen Erfolg in Wien zu fragen, d. h. die fundamentalen Interessen der dort Hauptbeteiligten untersuchen.Was eigentlich steht in Wien zur Diskussion und zur Disposition? Es geht nicht nur um Waffenarsenale, sondern es geht um die in ihnen zum Ausdruck gelangte politische Ordnung, d. h. die politische Nachkriegsordnung in Europa, die auf der Teilung unseres Kontinents und auf der Teilung Deutschlands beruht und die sich in der Anwesenheit sowjetischer Streitkräfte im anderen Teil Europas und vor allem in der DDR und vornehmlich amerikanischer Streitkräfte auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland niederschlägt.
Damit ist zugleich klar, daß mit dieser Ordnung fundamentale Interessen aller europäischen Nationen, der Sowjetunion und der USA verbunden sind. Wenn es in Wien und generell bei dem Abrüstungs- und Entspannungsprozeß um die Ablösung dieser Ordnung geht, dann werden wir befriedigende Ergebnisse bei der Abrüstung nur erreichen, wenn wir eine für alle Beteiligten befriedigende Vorstellung von dem entwickeln, was danach kommen soll.
Es ist ganz offensichtlich, daß wir wissen müssen, wie die Welt morgen aussehen könnte und sollte, wenn wir wissen wollen, auf welche Mittel wir verzichten können, die heute notwendig sind, um den heutigen Zustand zu erhalten. Das heißt zunächst und zuvörderst, daß wir eine Zielvorstellung entwickeln müssen, die für unsere europäischen Partner und die Vereinigten Staaten erstrebenswerter erscheint als die derzeitige Situation. Diese zu überwinden habe wir Deutsche mit Abstand das größte Interesse im Westen. Für uns geht es eigentlich um unsere Möglichkeiten als Staat und unsere Aussichten als Nation.
Daß die Sichtweise dieser Situation, die auf der geographischen Lage, auf Tradition und Interessen beruht, anderswo in Europa und in den Vereinigten Staaten etwas anders ist, erscheint als eine Selbstverständlichkeit. Ich erwähne es nur, weil es die eigentliche Erklärung für die offensichtlichen Schwierigkeiten ist, die sich bei der Entwicklung eines umfassenden Abrüstungskonzeptes gezeigt haben. Sie werden sich jedoch in ihrer eigentlichen Bedeutung erst in den Verhandlungen in der Substanz zeigen, wenn es nicht gelingt, diese unterschiedlichen Interessen in einem politischen, ich betone: politischen Neuordnungskonzept zu vermitteln.Bei dem, was wir uns angewöhnt haben als Gesamtkonzept zu bezeichnen, geht es eigentlich um den Entwurf für Europa, um eine Strategie für ein neues Europa. Ich will dazu einige, notwendigerweise stichwortartige Anmerkungen machen.Der politische Zweck der sowjetischen Streitkräfte ist ein doppelter. Einmal dienen sie der Kontrolle der sowjetischen Herrschaft in Ost- und Zentraleuropa, wobei ihrer Anwesenheit in einem Teil Deutschlands eine Schlüsselrolle zukommt. Zum anderen sind sie so ausgestattet, daß sie gegenüber Westeuropa überlegen sind, was der Aufgabe dient, die weltweite Unterlegenheit der Sowjetunion gegenüber den Vereinigten Staaten auszugleichen. Offensichtlich will die So-
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Lamerswjetunion die bisherige Form ihrer Herrschaftsausübung und Interessenwahrnehmung ändern. Aber bislang läßt nichts die Erwartung zu, sie wolle sie als solche aufgeben.Da wir heute eine Abrüstungs- und keine allgemein außenpolitische Debatte führen, will ich mich auf die Frage beschränken, wie denn unsere diesbezüglichen Vorschläge aussehen müßten, um die Aussicht zu eröffnen, von der Sowjetunion akzeptiert zu werden. Dabei gehe ich davon aus, daß unser westliches Interesse auf die Forderung nach eben einer solchen grundlegenden Veränderung hinauslaufen müßte und auch tatsächlich hinausläuft; denn wenn wir verlangen, daß die Sowjetunion die Sicherheit Westeuropas nicht länger als eine Funktion ihres Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten betrachten soll, wenn wir verlangen, daß das Prinzip der gleichen Sicherheit auf Westeuropa für sich genommen und nicht nur als einen Teil des Westens angewendet werden soll, dann verlangen wir im Grunde nichts Geringeres, als daß die Sowjetunion auf einen wesentlichen Teil ihrer Weltmachtrolle verzichten soll. Das aber werden wir realistischerweise nur erwarten können, wenn wir bereit sind, zuzugestehen, daß dann, d. h. danach, Westeuropa in sowjetischen Augen nicht gewissermaßen nur als eine Fortsetzung der Vereinigten Staaten in Europa zwecks Potenzierung ihrer Macht erscheint.Das Gemeinte läßt sich anschaulich an der Überlegung deutlich machen, welche Folgen denn die sowohl aus sicherheits- wie aus allgemein außenpolitischen Gründen in unserem Interesse liegende Forderung hätte, die sowjetischen Truppen sollten fremdes Territorium in ganz Europa verlassen. Genau dies hat der sowjetische Außenminister übrigens soeben in Wien als — ich zitiere — „fundamentales Ziel der Sowjetunion" behauptet. Woran liegt es, daß wir diese doch so offenkundig im Interesse der Völker im sowjetischen Machtbereich, vor allem der Deutschen in der DDR, liegende Behauptung nicht aufgegriffen und sie uns zu eigen gemacht haben? Die Erklärung, weshalb wir das nicht können, liegt auf der Hand. Aber es ist gewiß keine bösartige Unterstellung, wenn man annimmt, daß die Sowjetunion im Wissen um diese ausbleibende Reaktion solche kühnen Behauptungen aufstellt; denn es gibt andererseits eindeutige Anzeichen dafür, daß sie nicht nur, wenn auch mit verminderter Präsenz, ihre Streitkräfte im anderen Teil Europas belassen will, auch weil sie weiß, daß sich dies wechselseitig bedingt, sondern auch mit der Präsenz der Vereinigten Staaten in Europa einverstanden ist. Auch wenn ich natürlich sofort bereit bin, zuzugeben, daß niemand an sofortigen totalen Veränderungen interessiert sein kann, die zu Eruptionen führten, und wenn ich natürlich sofort hinzufüge, daß für die absehbare Zukunft in jedem Fall eine gewisse Präsenz der Vereinigten Staaten in Europa unerläßlich ist, so ist es doch höchst unbefriedigend, daß wir keine Vorstellung anzubieten haben, wie denn der derzeitig für ganz Europa und vor allem für die Deutschen äußerst unbefriedigende Zustand der sowjetischen Militärpräsenz außerhalb ihres Territoriums stabilitätsgerecht und im Interesse aller zu überwinden ist.Wenn wir uns die amerikanische Position und Sichtweise ansehen, so fällt als erstes ins Auge, daß sie von einer geradezu gegenteiligen Erfahrung in den vergangenen acht Jahren bestimmt sind, und zwar in Beziehung zu der sowjetischen Erfahrung: statt Bankrott des Systems Bestätigung seiner Regenerationskraft, statt Niedergang und Niederlagen Erfolge und Aufstieg.Daß die USA nichtsdestotrotz zur Abrüstung bereit sind, haben sie eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Aber natürlich ist der Druck nicht vergleichbar mit dem auf sowjetischer Seite und auch nicht mit dem — aus ganz anderen Gründen — in der Bundesrepublik. Die Erwartung, die USA würden bereit sein, um der Sowjetunion allenthalben Parität zuzugestehen, auf das von dieser vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen gewünschte Niveau herunterzurüsten oder z. B. ihre Seestreitkräfte essentiell zu verändern, ist nicht eben sehr realistisch. In Europa sind die Vereinigten Staaten unverändert aus geostrategischen Gründen an der Kontrolle der Gegenküste interessiert.Von unseren europäischen Verbündeten will ich aus einsichtigen Gründen nur Frankreich kurz erörtern, da es für jede grundlegende Veränderung der sicherheitspolitischen Lage in Europa eine Schlüsselrolle besitzt. Es ist ganz offenkundig, daß die derzeitige französische Sicherheitspolitik der Unabhängigkeit neben den eigenen beachtlichen Anstrengungen auf der konventionellen Stärke der Bundeswehr und der konventionellen und nuklearen Rolle, welche die Vereinigten Staaten vornehmlich in der Bundesrepublik Deutschland spielen, beruht. Beide Faktoren aber sind nun diejenigen, die in Wien zur Diskussion und möglicherweise auch zur Disposition stehen.Frankreich ist sich dessen bewußt, daß wegen dieser seiner Interessenlage der sicherheitspolitische Status quo in Europa nicht einfach perpetuiert werden kann. Es ist sich dessen um so mehr bewußt, als es den mächtigen Wunsch der Deutschen nach Veränderung früher erkannt und richtiger analysiert hat als andere. Deswegen ist Frankreich einerseits immer für Abrüstungsverhandlungen eingetreten, jedoch in einem nicht im wesentlichen auf den deutschen Raum beschränkten Gebiet wie bei MBFR, weil dies seinen grundlegenden Interessen einsichtigerweise widerspricht. Andererseits ist es angesichts eines eben erwähnten Dilemmas zugleich eingetreten für eine gemeinsame europäische, aúf der deutsch-französischen Kooperation beruhende neue militärische Struktur.In der Tat kann auch nach meiner Überzeugung nur das Zugleich und Zusammen einer Neuordnung der militärischen Strukturen in der Allianz und abrüstungspolitischer Maßnahmen die unterschiedlichen Interessen im Westen vermitteln. Dabei ist einerseits dieser Bau des europäischen Pfeilers Voraussetzung, um überhaupt eine weitreichende Abrüstung zu erreichen, die das Prädikat „neue Friedensordnung in Europa" verdient; andererseits ist Abrüstung — vor allem der sowjetischen Überlegenheit — Voraussetzung dafür, daß die Europäer eine eigenständige Rolle bei der Gewährleistung ihrer Sicherheit innerhalb der Allianz spielen können. Wenn diese Argumentation richtig ist, haben wir Deutsche das größte Interesse, diesen doppelten Prozeß zu fördern.
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LamersDazu ist, glaube ich, folgendes notwendig:Erstens. Sicherheit wird auch in Zukunft nicht nur durch Abrüstung, Vertrauen und Kooperation mit der Sowjetunion gewährleistet, sondern auch durch militärische Anstrengungen.Zweitens. Die nukleare Komponente, Herr Kollege Scheer, muß dabei für die absehbare Zukunft eine Rolle spielen. In der Bundesrepublik Deutschland stationierte atomare Waffen sind mehr aus politischen denn aus militärischen Gründen notwendig. Notabene: Wir können und müssen sie im Rahmen einer Neustrukturierung wesentlich verringern. Wenn wir in Wien erfolgreich sind, können wir das Ziel einer Minimalabschreckung verwirklichen. Aber die wachsende nukleare Aversion der Bundesrepublik Deutschland, meine Kollegen von der SPD — vor allem Herr Kollege Scheer — , steht in einem paradoxen Verhältnis zu der doch unbestreitbaren Tatsache, daß wir schon heute wesentlich weniger Nuklearwaffen auf unserem Boden haben als vor einigen Jahren, daß wir demnächst noch weniger haben werden und daß vor allem die schon immer geringe Gefahr ihres Einsatzes durch die allseits unbestrittene Entspannung noch weiter drastisch gesunken ist.Nein, diese nukleare Aversion erklärt sich nicht aus den harten Fakten, sondern offensichtlich nur aus einer Art nationalen Aufbegehrens, das zwar verständlich, aber irrational ist und ebenso in den aufgeregten Diskussionen etwa über die Tiefflüge und in der merkwürdigen Souveränitätsdebatte seinen Ausdruck findet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Scheer?
Bitte sehr.
Herr Lamers, ist Ihnen bewußt, daß ich eben nicht von Atomkriegsszenarien gesprochen habe, sondern daß ich von den sich tatsächlich bereits jetzt entwickelnden Folgen der Atomrüstung und den Gefahren gesprochen habe, die nicht unbedingt damit zusammenhängen, daß man die Gefahr eines Atomkrieges beschwören muß?
Diese Gefahren, Herr Kollege Scheer, sieht jedermann. Sie wissen, daß es Anstrengungen gibt — gottlob auch solche von Ost und West gemeinsam —, sie zu bannen. Sie sind aber mit der Frage etwa der Entfernung von atomaren Waffen in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt nicht gelöst. Ich bitte Sie zu bemerken, daß ich gesagt habe: Für die absehbare Zeit muß die nukleare Abschrekkung eine Rolle spielen. Über die mehr philosophische Frage, ob und wann die atomare Abschreckung zu überwinden ist, ob die atomaren Waffen überhaupt jemals verschwinden werden — was wiederum noch eine andere Frage ist — , darüber zu diskutieren, haben wir hier leider keine Zeit.
Ich möchte ein drittes sagen. Weil das so ist, wie ich gesagt habe, müssen wir unsere nationalen Hoffnungen so definieren, daß sie nicht auf den Widerstand der anderen Europäer stoßen, sondern daß sie ihre Unterstützung finden. Das heißt, wir müssen sie so definieren, wie der Bundeskanzler das immer getan hat und tut.
Viertens, meine Freunde, müssen wir uns vor allem in ruhiger Selbstgewißheit unserer eigenen Stärke bewußt sein. Sie beruht einmal auf unserer Lage, die natürlich exponiert und daher gefährdet ist und besondere Abhängigkeiten einschließt. Aber das ist doch nichts anderes als die Kehrseite der Tatsache, daß nichts in Europa, weder im Westen noch im Osten noch in Gesamteuropa gewissermaßen um uns herum, ohne uns geschehen kann. Weder kann es ein freies starkes Westeuropa ohne die Bundesrepublik geben noch eine gesamteuropäische Lösung ohne eine Lösung der deutschen Frage.
Weiter beruht unsere Stärke auf unserer Wirtschaft. Dazu brauche ich heute nichts zu sagen.
Schließlich beruht sie aber doch auch und nicht zum letzten auf der Bundeswehr. Deswegen ist es mit den Interessen unseres Landes unvereinbar, wenn sie von manchen wie ein Übel, von anderen wie ein unvermeidliches, aber dennoch wie ein Übel behandelt wird, das man so schnell wie möglich und gleich wie loswerden will. Das hat diese Bundeswehr nicht nur nicht verdient, das liegt auch nicht im Interesse unseres Landes.
Es liegt im Interesse unseres Landes, mit diesem Pfund zu wuchern, bei den Abrüstungsverhandlungen so gut wie bei der Entwicklung neuer militärischer Strukturen in Europa, welche die notwendige Voraussetzung sind, um auch die Abrüstung zu einem schlußendlichen Erfolg zu führen.
Ich danke für Ihre geneigte Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beer.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freunde und Freundinnen! Seit dem Jahr 1982 legt die Bundesregierung dem Bundestag jährlich einen Abrüstungsbericht vor, den sogenannten Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis. Der jüngste Bericht, den wir heute zum erstenmal diskutieren, ist am 28. April 1988 erschienen und behandelt das Jahr 1987. Der Bundestag ist in Form und Inhalt hinter der Zeit zurück,
denn dieser Bericht ist heute schon komplett überholt.Ein neues Prinzip beherrscht die Diskussion über Rüstungskontrolle, die Politik der einseitigen Abrüstungsschritte.Die Sowjetunion praktiziert heute eine solche Politik. Sie macht nicht mehr nur Vorschläge für Verhandlungen, sie kündigt eigene Taten an. Die Sowjetunion wird ihre Streitkräfte um über 500 000 Mann verringern. Sie wird 10 000 Panzer, 8 500 Artilleriege-
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9052 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Frau Beerschütze und 800 Kampfflugzeuge ersatzlos zerstören.Sie wird in den nächsten zwei Jahren in erheblichem Umfang Truppen aus Osteuropa und übrigens auch aus der Mongolei abziehen. Sie hat die eigene Produktion von chemischen Waffen bereits im letzten Jahr beendet und wird in diesem Jahr mit der Vernichtung ihres chemischen Waffenpotentials beginnen.Sie wird die laufende Modernisierung ihrer nuklearen Kurzstreckenwaffen beenden und nicht wieder aufnehmen, solange die NATO nicht modernisiert. Sie wird ihren Verteidigungshaushalt um 14,3 % verringern. All dies geschieht einseitig, ohne Bedingungen, ohne direkte Beziehungen zu Verhandlungen.Ungarn verringert seine Rüstungsbeschaffungen um gut 40 %. Die DDR verringert ihre Streitkräfte und Rüstungsausgaben um immerhin 10 %.
Frau Kollegin, akzeptieren Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Hamm-Brücher?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, wären Sie auch bereit, hier einmal die Zahlen zu nennen, die, falls diese Abrüstung zustande kommt, danach im Ostblock an Vorrüstung und Überrüstung noch übrigbleiben?
Frau Kollegin, ich würde das gerne machen, wenn das der Schwerpunkt der Debatte wäre. Da aber unsere Fraktion, die als einzige ein Konzept zur Abrüstung vorlegt, leider nur zehn Minuten Zeit zu dieser Debatte zur Verfügung hat — im Gegensatz zu den großen Parteien —,
möchte ich auf die Zahlen jetzt nicht eingehen.
Der Osten rüstet ab, von der Gefahr eines Überraschungsangriffes eines vom Osten ausgehenden Krieges kann keine Rede mehr sein.
Was tut der Westen? — Ja, was tut der Westen eigentlich? — Jeder normal denkende Mensch sollte annehmen, daß der Westen jetzt endlich mit ähnlichen Schritten antwortet, daß man ähnliches tut wie der Osten und zugleich noch mehr Abrüstung vorschlägt, daß man versucht, mit der Abrüstung auf beiden Seiten so weit wie nur irgend möglich zu kommen. Das würde doch jeder normal denkende Mensch so tun.
Liebe Freundinnen und Freunde, irgendwie sind die NATO-Bosse nicht ganz normal. Helle Panik herrscht im Hauptquartier. Die Abrüstung des Ostens wird als Bedrohung gesehen, Abblocken ist angesagt. Nichts, möglichst gar nichts, will die NATO in Antwort auf Gorbatschow tun, außer reden.
Sehen wir auf die Hände: Kein einziges Waffenbeschaffungsprogramm der NATO ist gestoppt oder auch nur verlangsamt worden. In keinem einzigen Punkt zeichnet sich eine Umkehr ab. Die Bundesrepublik erhöht ihren Rüstungsetat vom letzten auf dieses Jahr um 2 Milliarden DM. Die NATO erhöht ihren Infrastrukturhaushalt um etwa ein Viertel auf ca. 25 Milliarden DM für die nächsten sechs Jahre. Die skandalgeschüttelte Bundeswehr bringt es immerhin fertig, die Wehrpflichtverlängerung auf 18 Monate durchzusetzen.
Wie bei den Taten sieht es auch bei den Worten der NATO nicht gut aus. Sehen wir uns die verschiedenen laufenden Rüstungskontrollverhandlungen an:
Die START-Verhandlungen stoppen daran, daß die USA gern viele seegestützte Cruise Missiles mit großer Reichweite produzieren möchten. Die USA weigern sich bisher, diese Cruise Missiles den Beschränkungen des START-Abkommens zu unterwerfen.
Frau Abgeordnete, ich muß Sie noch einmal unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nolting?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, Sie haben gerade die Zahlen der Bundesrepublik und der NATO genannt. Sind Sie bereit und in der Lage, auch einmal die Zahlen der Sowjetunion und des Warschauer Paktes zu nennen?
Ich hatte Ihnen eben schon gesagt, daß ich die angebliche Abrüstungspolitik der Bundesregierung kritisieren werde; dies ist der Schwerpunkt meiner Rede und wird es bleiben. — Ich möchte jetzt in meinem Konzept gerne fortfahren.Verhandlungen über nukleare Kurzstreckenwaffen lehnt die NATO nach wie vor eindeutig ab, während sie gleichzeitig Aufrüstung in diesem Bereich plant: neue landgestützte Raketen, Raketen an Bord von Flugzeugen, Erhöhung der Stückzahl dieser Flugzeuge, neue Munition für die atomare Artillerie.Verhandlungen über Seestreitkräfte lehnt die NATO ebenso energisch ab; denn da ist man ja weit überlegen. Und da, wo der Westen weit überlegen ist, von Obergrenzen reden, das will sie nicht. Selbst in vertrauensbildende Maßnahmen will die NATO die Seestreitkräfte nicht einbeziehen.Die Verhandlungen über das Verbot der chemischen Waffen stagnieren seit Anfang 1986, weil die USA und Frankreich offenbar das Interesse an einem solchen Abkommen verloren haben. Die USA produzieren seit Dezember 1987 neue binäre chemische Waffen, die bei Einsätzen auf dem Schlachtfeld günstiger sind.Die Pariser Konferenz in Frankreich: Ein Erfolg? Ein Erfolg für die USA und für die Sowjetunion, weil sie es geschafft haben, von ihrer Verantwortung für das Nichtzustandekommen des weltweiten Verbotes abzulenken.Bei den biologischen Waffen, die durch den Genfer Vertrag von 1972 verboten sind, hat die NATO verhindert, daß zu diesem Vertrag endlich Verifikations-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9053
Frau Beerregelungen erarbeitet werden. Das ist auf der zweiten Überprüfungskonferenz zum Verbotsabkommen im Jahre 1986 am Widerspruch des Westens gescheitert.Die jüngsten beängstigenden Meldungen über B-Waffen-Einsätze im Irak, meine Damen und Herren — da hören Sie bitte zu —, machen nicht nur uns, sondern sicher auch sehr vielen anderen ganz erhebliche Angst und machen deutlich, wie völlig unbefriedigend die Situation in diesem Bereich ist. Wir brauchen dringend eine Stärkung des Verbotsabkommens durch eindeutige Kontrollmaßnahmen, damit solche Verstöße, auch wenn die Bundesregierung involviert ist, eindeutig festgestellt und unterbunden werden können.Bei den konventionellen Waffen schließlich sollen die Verhandlungen fast drei Jahre nach Gorbatschows entsprechendem Vorschlag nun endlich am 9. März anfangen. Erst im letzten Dezember konnte sich die NATO wenigstens auf die Umrisse eines Verhandlungsvorschlages einigen. Ost und West sollen bei einigen Waffensystemen auf gleiche Obergrenzen abrüsten. Diese Obergrenzen werden so gewählt, daß der Westen seine heutigen Bestände um maximal 10 % reduzieren müßte. Bis dieser Vertrag fertig ist, werden wir aber ohnehin weniger Panzer, Schützenpanzer und Geschütze haben, die dafür bedeutend teurer sein und sehr viel gefährlicher wirken werden.Das ist die Durchsetzung des Montebello-Beschlusses; das ist das faktische Gesicht der Modernisierung seitens der NATO. Also, keine Abrüstung des Westens, kein Stück, so stellt sich die NATO das vor.Welche Perspektive ergibt sich daraus? Es ist sehr einfach: Abrüstung in Europa ist möglich. Einseitige Abrüstungsschritte sind der richtige Weg, damit anzufangen, Verträge der richtige Weg, erzielte Fortschritte abzusichern. Das vertreten die GRÜNEN bereits seit Jahren. Wir können und müssen die Bundeswehr verkleinern, auf Beschaffung neuer Waffen verzichten, die atomaren und chemischen Waffen aus der Bundesrepublik beseitigen usw. Unbegrenzte Zeit haben wir hierzu leider nicht; denn eine solche Politik einseitiger Schritte, wie der Osten sie heute macht, ist nur begrenzte Zeit durchhaltbar, wenn keine Antwort vom Westen kommt.Die Friedensbewegung hat eine historische Chance, und sie hat eine historische Pflicht. Wenn wir uns noch einmal ein Jahrzehnt Wenderegierung erlauben, wird die sowjetische Politik in dieser Form scheitern müssen. Die Bevölkerung in den Ländern Osteuropas wird einseitige Abrüstung auf Dauer nicht mittragen, wenn der Westen weiter aufrüstet und immer überlegener und bedrohlicher wird.Liebe Freundinnen und Freunde, gebt euch nicht der Illusion hin, die inneren Widersprüche dieser Koalition würden doch noch irgendwelche Abrüstungsschritte möglich machen. Laßt euch von dem unglaublichen Durcheinander im Regierungslager nicht verwirren. Diese Leute wollen nicht abrüsten, und sie werden es verhindern, mit allen Mitteln.
Aber warum, warum wollen diese Leute keine Abrüstung? Warum klammern sie sich an der Präsenzstärke der Bundeswehr fest, obwohl das unpopulär ist, obwohl die vielen Wehrübungen sogar ihre eigene Klientel, die Wirtschaft, langsam ernstlich zu belasten beginnen? Die Bedrohung aus dem Osten verschwindet, und trotzdem wollen diese Leute nicht abrüsten. Warum nicht?
Herr Kollege Duve hat kürzlich einen Flottenoffizier kritisiert, der gesagt hat, die Aufgabe der Bundesmarine sei nicht allein die Verteidigung der Nordseezugänge. Die Bundesmarine diene der außenpolitischen Weltgeltung der Bundesrepublik, sei ein außenpolitisches Instrument. Herr Kollege Duve hat das vollkommen zu Recht als Kanonenbootpolitik bezeichnet. Nur war dieser kleine Offizier nichts weiter als die vorlaute Stimme seines Herrn.Bitte hören Sie aufmerksam, was jemand am 23. Januar in der „FAZ" gesagt hat:Es sei falsch gewesen, in der Argumentation für die Bundeswehr in den vergangenen Jahrzehnten vor allem das Bedrohungspotential der Sowjetunion voranzustellen und „zu wenig" darüber zu sprechen, „daß zu einem souveränen Staat— auf einmal! —in der extremen geopolitischen Lage, in der sich die Bundesrepublik Deutschland befindet, selbstverständlich auch eine eigene Verteidigungsmacht ... gehört". Das Ansehen der Bundesrepublik hänge neben vielem anderen nicht zuletzt von der Wirtschaftskraft und von der Bundeswehr ab. Das werde in der ganzen Welt so gesehen.Also für die Weltgeltung, für das weltweite Ansehen, ihren Einfluß, ihre Macht braucht die Bundesrepublik ihre Truppen und nicht für die Verteidigung gegen den Osten. Der Mann, der das gesagt hat, der Mann, der die Bundesrepublik hier ganz einfach wieder zur militärischen Weltmacht erklärt, ist der Herr Bundeskanzler Kohl.Liebe Freundinnen und Freunde, es geht so nicht weiter. Diese Regierung muß weg. Diese Regierung muß fallen. Es liegt nicht nur an einem Verteidigungsminister Scholz, dem die Angriffserprobung im Tiefflug wichtiger ist als der Schutz des Lebens. Es ist nicht dieser Herr Scholz, sondern die Regierung, die nicht bereit ist, diese lebensgefährliche angebliche Verteidigungspolitik im Regen stehen zu lassen.Wenn die Regierung nicht dazu bereit ist, gut, dann soll sie gehen. Die Friedensbewegung wird das Ihre dazu tun. Es ist ausgezeichnet, daß wir jetzt gemeinsam in der Friedensbewegung für einseitige Schritte der Bundesrepublik kämpfen. Wir werden gemeinsam auch die nukleare Modernisierung an der unsere NATO-Partner so sehr hängen, durch massive außerparlamentarische Aktionen aller Art verhindern.Wer glaubt, die Abrüstung komme von allein, es bedürfe dazu keiner besonderen Aktivität mehr, wird rasch belehrt sein, wie groß dieser Irrtum ist. Gebt dieser Bundesregierung, gebt dieser Koalition um
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9054 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Frau BeerGorbatschows, des Friedens und der Abrüstung willen eine Abfuhr.Denkt daran, daß vor zwei Tagen, am 25. Januar 1989, im Rahmen von Wintex Cimex das Kriegsszenario angefangen hat, das davon ausgeht, daß Gorbatschow seine Abrüstung nicht durchhalten kann und daß es zu massiven militärischen Ausschreitungen gen BRD kommt. Denkt daran, daß es das ist, was den Frieden nicht nur hier, sondern auch in der Dritten Welt und weit darüber hinaus bedroht.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Genscher.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Außen- und Sicherheitspolitik ist Friedenspolitik.
Unser oberstes Ziel ist, jede Art von Krieg, ob konventionell oder nuklear, zu verhindern und eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung in ganz Europa zu schaffen.
Frau Kollegin Beer, gefährlich sind nicht Anstrengungen der Verteidigung mit dem Ziel der Kriegsverhinderung, sondern vernichtend für uns wäre, wenn diese Anstrengungen fehlschlügen und es zu einem Kriege käme.
Die Diskussion über die nukleare Abschreckung, Herr Kollege Scheer, kann doch immer nur eine Diskussion über die wirksamste Form der Kriegsverhinderung sein. Wir waren uns bisher einig, daß die nukleare Abschreckung für die absehbare Zukunft unentbehrlich ist, und zwar deshalb,weil wir als Realisten wissen, daß wir die Sicherheit von heute nicht auf Visionen und Erwartungen für morgen stützen können. Aber als Handelnde, die sich ihrer Verantwortung für die Zukunft stellen, wissen wir auch, daß wir heute Fundamente für künftige Sicherheit schaffen müssen, die breiter und stärker sind.
Das heißt, wir müssen über das Netz der Abschrekkung mit nuklearen und konventionellen Mitteln, also das Auffangnetz der Ultima ratio, ein zusätzliches Netz spannen, das die Risiken reduziert, die sich bei einer ausschließlichen Abstützung auf militärische Abschreckung ergeben.
Herr Bundesminister Genscher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scheer?
Ich darf noch einen Satz sagen. Dann gern.
Das setzt verläßliche kooperative Strukturen der Sicherheit voraus. Es setzt auch voraus, daß wir bei der Beseitigung der Ursachen von Spannungen und Mißtrauen erfolgreich sind.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Außenminister, meine Zwischenfrage bezieht sich jetzt nicht auf irgendwelche möglichen oder tatsächlichen Unzulänglichkeiten der Regierungspraxis. Aber das, was vor Weihnachten mit Nuklearexporten und jetzt mit C-Waffenmaterial-Exporten geschehen ist und worüber jetzt diskutiert wird, läßt ja Alarmglocken klingen, gleich, von welchem Land diese Exporte ausgehen.
Die Frage ist: Könnten Sie diese Position wirklich ernsthaft noch aufrechterhalten, wenn sich in den vor uns liegenden Jahren — das können weniger sein, als eine Hand Finger hat — eine Situation herauskristallisiert, bei der eine ganze Reihe von Ländern und eine schier unübersehbare weitere Anzahl sagen: Wir fangen mit Atomrüstung an, wenn ihr nicht sofort aufhört? Was heißt dann „auf absehbare Zeit"?
Herr Kollege, die Proliferation bei chemischen und bei nuklearen Waffen zu verhindern, ist immer unser gemeinsames Ziel gewesen, wobei die gänzliche Beseitigung aller chemischen Waffen nach meiner Überzeugung der beste Weg ist, um auch ihre Verbreitung zu verhindern.Meine Damen und Herren, im Zuge sich stetig verbessernder West-Ost-Beziehungen werden wir kooperative Strukturen der Sicherheit zwischen West und Ost schaffen. Der erfolgreiche Abschluß der Stockholmer Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und die mit dem INF-Vertrag eingeleitete Verschrottung aller amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenraketen markieren eine fundamentale Wende im Abrüstungs- und Vertrauensbildungsprozeß. Wir wollen, daß diese Abkommen zum Wegbereiter für weitere Rüstungskontrollvereinbarungen werden. Es darf deshalb auch keine Brandmauern gegen weitere Abrüstungsschritte geben.Der erfolgreiche Abschluß der Wiener Konferenz hat den Weg für Verhandlungen über konventionelle Stabilität freigemacht. Hier geht es in der Tat um das Kernproblem der Sicherheit in Europa.Das nunmehr vereinbarte Mandat für diese Verhandlungen entspricht weitgehend den westlichen Vorschlägen. Es war unser Vorschlag, daß es die vorrangige Aufgabe der Verhandlungen sein soll, die Fähigkeit zum Überraschungsangriff und zur großräumigen Offensive zu beseitigen. Außernminister Schewardnadse hat in Wien von wechselseitig akzeptablen Obergrenzen für konventionelle Streitkräfte gesprochen; er hat damit unseren Ansatz aufgegriffen. Wir wollen Gleichgewicht auf einem deutlich niedrigeren Niveau durch asymmetrische Abrüstung. Wir wollen die für die Offensivfähigkeit ausschlaggebenden Waffensysteme auf ein niedrigeres Niveau reduzieren und für beide Seiten auf gleicher Höhe begrenzen.Der Abbau der gefährlichsten Disparitäten ist aber nur ein erster Schritt zur Herstellung konventioneller Stabilität. Im Zuge eines etappenweisen Verhandlungsprozesses wollen wir weitere Reduzierungen und Begrenzungen konventioneller Waffen vereinbaren. Wir wollen die Streitkräfte so umstrukturieren,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9055
Bundesminister Genscherdaß offensive Fähigkeiten abgebaut und defensive gestärkt werden.
Die NATO-Außenminister haben am 8. Dezember 1988 neben konkreten Vorschlägen für die bevorstehende erste Phase auch ihre Vorstellungen bezüglich einer solchen Perspektive dargelegt, die schrittweise zum Ziel konventioneller Stabilität in Europa führt.Die einseitigen Reduzierungsschritte, die die Sowjetunion und in ihrem Gefolge auch die DDR und Polen angekündigt haben, vermindern die bestehenden Überlegenheiten, aber sie beseitigen sie nicht.
Sie sind trotzdem militärisch bedeutsam, und sie sind wichtige politische Signale.
— Frau Kollegin, ich habe nur eine begrenzte Zeit; ich bitte um Nachsicht.Sie bestätigen meine Auffassung, daß auch die Staaten des Warschauer Paktes daran interessiert sind, konventionelle Stabilität auf einem niedrigeren Niveau zu erreichen. Sie bestätigen auch, daß der Warschauer Pakt im Prinzip unser Konzept akzeptiert, nämlich die Fähigkeit für den Überraschungsangriff und für die raumgreifende Offensive zu beseitigen.Deshalb ist es jetzt notwendig, die Verhandlungen mit dem Ziel zu führen, daß wir zu Vereinbarungen kommen. Denn nur Vereinbarungen machen Abrüstungsschritte auch unumkehrbar, d. h. nicht revidierbar.
Abrüstung setzt Vertrauen voraus; dies ist das Ergebnis von Offenheit und Berechenbarkeit. Deshalb muß auch die Transparenz der militärischen Organisationen und Aktivitäten erhöht werden. Die Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen dienen diesem Ziel.Das gleiche wollen wir auch weltweit erreichen. Deshalb unsere Initiative in der Generalversammlung, die im Dezember 1988 verabschiedet wurde. Die Reduzierung von Waffen allein kann Frieden und Stabilität nicht garantieren. Dauerhafte Sicherheit setzt auch voraus, daß sich beide Seiten über die der Verteidigung zugrunde liegende Philosophie verständigen. Deren ausschließlich defensive Ausrichtung muß sich in dem Umfang, in der Dislozierung und der Struktur der Streitkräfte niederschlagen, wie das im Westen heute schon der Fall ist. Bei den neuen vertrauensbildenden Maßnahmen und den Verhandlungen darüber werden wir zusammen mit unseren Bündnispartnern einen Meinungsaustausch mit der anderen Seite über Sicherheitskonzepte, Militärstrategie und -doktrin und ihrem Verhältnis zu den real vorhandenen Potentialen vorschlagen.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Inkrafttreten des INF-Vertrags war eine historische Wende in der Geschichte der Rüstungskontrolle. Frau Kollegin Beer, unbestreitbar ist das das erste wirksame Abrüstungsabkommen der Nachkriegsgeschichte. Das haben wir erreicht.
Die dabei durchzuführenden Vor-Ort-Inspektionen haben gezeigt: Die verläßliche Überprüfung der Einhaltung von Vertragsverpflichtungen ist möglich. Wir unterstützen die Bemühungen der beiden Großmächte, ihre strategischen Potentiale um 50 % zu reduzieren. Wir wollen aber außerdem die verbleibenden Lücken schließen, die im Bereich der nuklearen Rüstungskontrolle vorhanden sind. Das ist die wichtigste Aufgabe bei der Weiterentwicklung des Gesamtkonzepts für Rüstungskontrolle und Abrüstung.Dazu gehört die Erarbeitung eines westlichen Verhandlungsmandats für die landgestützten nuklearen Kurzstreckensysteme. Sie sind, wie in Reykjavik vorgeschlagen, auf gleiche Obergrenzen mit niedrigerem Niveau anzulegen. Der Warschauer Pakt besitzt bei diesen Raketen eine erdrückende und das Bündnis bedrohende Überlegenheit. Deshalb sind Verhandlungen über diese Nuklearwaffen im Interesse der gemeinsamen unteilbaren Sicherheit des Bündnisses vordringlich. Einseitige östliche Maßnahmen zum Abbau dieser Überlegenheit verbessern die Voraussetzungen für künftige Verhandlungen. Deshalb ist die Ankündigung von Außenminister Schewardnadse, zusammen mit den sowjetischen Streitkräften auch nukleare Kurzstreckensysteme aus der DDR, der CSSR und Ungarn abzuziehen, ein — wenn auch begrenzter — positiver Schritt.Frau Präsidentin, Aufgabe verantwortlicher Abrüstungspolitik bleibt die weltweite Achtung chemischer Waffen. In Paris haben am 11. Januar 149 Staaten in einer gemeinsamen Erklärung das Genfer Protokoll von 1925 über das Verbot des Einsatzes chemischer Waffen bekräftigt. Sie haben zugleich ein baldiges umfassendes und weltweites Verbot dieser Waffen gefordert. Die Anwendung chemischer Waffen ist verläßlich und auf Dauer nur durch den Stopp ihrer Entwicklung und Herstellung sowie durch die Vernichtung aller Bestände und Herstellungsanlagen zu verhindern.
Das muß sich unter zuverlässiger internationaler Kontrolle vollziehen. Deshalb sind Verdachtskontrollen unverzichtbar, die es ermöglichen, kurzfristig zu jeder Zeit an jedem Ort jede Art von mutmaßlichen Vertragsverstößen zu überprüfen. Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Die Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz über ein Abkommen zur Ächtung chemischer Waffen müssen endlich erfolgsorientiert zu Ende geführt werden. Bei gutem Willen aller Beteiligten ist das noch im Jahr 1989 möglich.Frau Präsidentin, die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, die Bilanz unserer Abrüstungsbemühungen ist positiv. Wir werden diese Politik fortsetzen.Nach dem, was hier heute zur Bundeswehr gesagt worden ist, möchte ich ein Wort an die Soldaten der Bundeswehr richten. In der Friedensarchitektur Europas, die wir anstreben, wird unsere Bundeswehr auch
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9056 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Bundesminister Genscherin Zukunft einen für unsere Sicherheit unverzichtbaren Platz haben.
Sie dient ausschließlich der Selbstverteidigung und der Kriegsverhinderung. Der Dienst unserer Soldaten ist Friedens- und Freiheitsdienst. Als Wehrpflichtarmee in unserem freiheitlichen Rechtsstaat ist die Bundeswehr ein Teil unserer demokratischen Gesellschaft. Die Soldaten der Bundeswehr wollen wie alle Bürger unseres Staates das große Ziel des Harmel-Berichts des westlichen Bündnisses erreichen: eine Friedensordnung für ganz Europa, in der alle Menschen und alle Völker ohne Angst voreinander und im friedlichen Wettbewerb miteinander leben können.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Frau Präsidentin! Es ist für mich eine besondere Freude, heute zum erstenmal unter Ihrer Regentschaft zu sprechen.
Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute einen Bericht mit sehr erfreulichen Perspektiven, aber es ist leider noch zu früh für eine Entwarnung. Dieser Bericht zeigt auch, daß die Koalition dann, wenn sie Geschlossenheit demonstriert hat, große Erfolge im außen- und sicherheitspolitischen Bereich zu verzeichnen hatte.
Trotzdem kann noch nicht Entwarnung gegeben werden, denn die Wirklichkeit zeigt, daß auch vier Jahre Gorbatschow bislang eben noch nicht zur Rüstungskontrolle geführt haben, sondern daß die Sowjetunion besonders im konventionellen Bereich, der für uns in Deutschland, in Mitteleuropa, große Bedeutung hat, kontinuierlich aufgerüstet und modernisiert hat. Denken Sie daran, daß im letzten halben Jahr über 6 000 modernste sowjetische Panzer in Deutschland mit Reaktivpanzerung versehen wurden, modernisiert wurden, der gegenüber wir im Augenblick überhaupt nichts zu bieten haben. Denken Sie an die SS 24 und SS 25 im Bereich der nuklearen Systeme. Dem hat der Westen nichts entgegenzusetzen.
Wenn jetzt kleinere Abrüstungsschritte in Aussicht gestellt werden, sollten wir, meine sehr verehrten Kollegen von der Opposition, das noch lange nicht zum Anlaß nehmen, um hurra zu schreien. Sie haben in den letzten Monaten mehr und mehr die Funktion von Hurra-Schreiern vom Dienst übernommen, wenn der Osten irgendwelche Offerten gemacht hat.
Das, was wir im Augenblick erleben, erinnert mich ein kleines bißchen an die Situation, die wir beispielsweise auch in Angola erleben: Zuerst werden 12 000 Soldaten zusätzlich ins Land geholt, und hinterher wird für die Weltöffentlichkeit mit großem Aufwand der Abzug von 400 Soldaten gefeiert. Diese Art von Politik können wir uns nicht gefallen lassen.
Herr Abgeordneter Lowack, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?
Eine Zwischenfrage des Kollegen Klejdzinski immer. — Bitte sehr.
Verehrter Kollege Lowack, Sie haben gerade erklärt, die Panzer drüben, die mit einer Reaktivpanzerung versehen worden seien, seien so gut, daß wir dem nichts entgegensetzen könnten. Darf ich daraus schließen, daß wir unsere Leo 2 ohne weiteres reduzieren können, weil sie Muster ohne Wert sind?
Lieber Kollege Klejdzinski, Gott sei Dank haben wir auf Grund einer hohen Motivation und einer guten Ausbildung unserer Soldaten immerhin die Möglichkeit, noch eine bedeutende Abschreckung darzustellen. Ich glaube, schon deshalb lohnt es sich, an der Weiterentwicklung unserer Panzer festzuhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wir uns eigentlich klar darüber, weshalb im Augenblick eine Reihe von Ankündigungen aus dem Ostblock zum Thema Abrüstung kommen? Die anstehenden Verhandlungen über die konventionelle Rüstungskontrolle in Wien waren ja die große Chance der Westeuropäer, darzustellen, welche Kräfteverhältnisse tatsächlich bestehen. Wir konnten auf die Überlegenheit des Ostens hinweisen. Diese Debatte ist leider besonders befürchtet worden. Im Grunde genommen haben wir bei unserer Reaktion auf die Vorschläge des Ostblocks damit zu kämpfen, daß wir unserer Öffentlichkeit endlich einmal bewußt machen müssen, wie groß die Überlegenheit des Warschauer Pakts im konventionellen Bereich ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Beer?
Wenn es mir nicht auf die Redezeit angerechnet wird, Frau Beer, bitte schön.
Nein, es wird nicht angerechnet.
Herr Kollege Lowack, ich habe vorhin — trotz Protests oder Zwischenfragen — die Potentiale genannt, die auf seiten der Sowjetunion abgebaut werden sollen, u. a. 500 000 Soldaten. Sie sagen dauernd, das sei der Beweis dafür, daß die Sowjetunion massiv überlegen sei. Ich beziehe mich demgegenüber auf eine Aussage in einem NATOBriefing vom 7. Dezember. Es enthält eine Aussage des Weißen Hauses: Die NATO hat ungefähr 2,4 Millionen aktive Soldaten, der Warschauer Pakt 2,3 Millionen. Bei den Reserven ist das Verhältnis ungefähr 4,4 Millionen zu 4,35 Millionen. — Wollen Sie jetzt offizielle NATO-Angaben des Weißen Hauses in Frage stellen, oder möchten Sie dem eine andere Zahl entgegenstellen? Das würde mich wirklich einmal interessieren.
Bitte, Frau Beer, machen wir es doch ganz einfach: Lesen Sie den vorliegenden Bericht, über den wir heute debattieren, durch! Dort
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Lowacksind die Zahlenverhältnisse ganz klar aufgeführt. Wir können darüber debattieren, und Sie können das in Frage stellen. Aber Sie haben das nicht getan; Sie haben mit keinem Wort in dieser Debatte irgendeine Zahl die in dem Bericht erscheint, in Frage gestellt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, immerhin liegt ein erfreuliches Ergebnis vor. Ich möchte besonders das Ergebnis der Verhandlungen in Stockholm über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen erwähnen und betonen, daß wir im Augenblick bei Manövern auf beiden Seiten dabei sind, daß Beobachter gestellt werden, daß diese Manöver anzumelden sind.Es ist nun die trostlose Situation der Opposition, vor allen Dingen der Sozialdemokraten, daß man mit der großen unterwürfigen Geste, mit der man jeden sowjetischen Vorschlag angegangen ist, keinen Erfolg hatte. Die Erfolge haben wir, weil wir klargestellt haben, daß wir nur mit Maßnahmen, die auch durchgeführt werden, zufrieden sind, daß wir uns nicht auf irgendwelche Offerten, Ankündigungen des Ostens einlassen.
Meine sehr verehrten Kollegen von der Sozialdemokratie, wir haben im Augenblick z. B. eine Diskussion, die uns allen sehr weh tut — ich sage es ganz offen —, die sehr viel Unruhe in die Bundeswehr hineingebracht hat. Ich meine die Diskussion über die Tiefflüge. Ich weise Sie immer wieder darauf hin, daß es Ihre Konzeption war — ob es nun Brandt, Schmidt oder Apel war — , Flugzeuge zu konstruieren und bei der Bundeswehr einzuführen, mit denen man gegnerisches Radar unterfliegen kann. Es war Ihre Konzeption, diese Flugzeugtypen einzuführen. Heute verlangen Sie aber in einer Umkehrung dessen, was Sie selber als richtig erkannt haben, auf einmal ihre Abschaffung. Das zeigt genau, wohin Sie sich in der Zwischenzeit bewegt haben.Es wäre sicher ein großer Fehler, wenn wir uns nur auf Gorbatschow und die Hoffnungen, die er bei unseren Menschen weckt, verlassen würden. Gorbatschow wird dann die notwendigen Abrüstungsschritte vornehmen, wenn er erkennt, daß der Westen in der Lage ist, seine sicherheitspolitischen Ziele auch gemeinsam darzustellen und durchzusetzen. Wenn man heute Sacharow hört, der sagt, er habe Sorge, daß Gorbatschow auch die Zukunft der Sowjetunion bestimmen werde, dann müssen wir uns darüber klar-werden, daß nur die objektiven Voraussetzungen, der Erhalt der Abschreckung, es ermöglichen werden, wirklich zu vernünftigen Sicherheitskontrollmaßnahmen zu kommen. Nur dann werden wir wirklich zu Ergebnissen und Abrüstungsschritten kommen.
Erlauben Sie mir ein paar Worte zum Kollegen Scheer. Kollege Scheer, Sie haben sich bemerkenswerterweise mit diesem Bericht, der heute zur Diskussion ansteht, überhaupt nicht auseinandergesetzt,
— das beweist letztlich, daß Sie gegen den Bericht überhaupt nichts vorzutragen haben — , sondern Sie sind ausgewichen, Sie haben sich auf andere Dinge kapriziert. Sie haben die Öffentlichkeit nicht richtig informiert,
wenn Sie behaupten, daß bei den Wiener Verhandlungen die Luftwaffe auf alle Fälle ausgeschlossen wäre. Es gibt eine westliche Verhandlungsposition, aber der Text läßt das auch für die Zukunft ausdrücklich offen.
— Bitte jetzt nicht mehr, weil ich auf das Ende meiner Rede zukomme.
Nächster Punkt. Sie haben die Kurzstreckensysteme angesprochen. Lieber Kollege Scheer, wollen Sie mir nicht bestätigen, daß die Sowjetunion eine ganz andere Struktur bei den Kurzstreckensystemen hat, weil sie über 1 500 Trägersysteme plus die entsprechenden Geschosse und Nachladedepots verfügt, während wir von der Struktur her nur 88 Abschußgestelle und damit unabhängig von der Zahl der Raketen einen ganz großen Nachteil haben?
Aber um auf Ihre Kernfrage zurückzukommen: Brauchen wir die atomare Abschreckung, muß daran festgehalten werden? Sie wissen — Sie haben es selber angesprochen —, daß die Erfahrungen im Zusammenhang mit atomaren Waffen nicht aus der Welt zu schaffen sind. Jetzt behaupte ich — darüber können wir sicher diskutieren — , daß gerade die derzeitige Pattsituation im Bereich der Interkontinentalraketen trotz einer Überlegenheit der Sowjetunion bei der Sprengwirkung eine Chance gibt, wenn überhaupt, zu verhindern, daß atomare Waffen durch andere Staaten eingeführt werden. Wenn Sie diese Voraussetzungen, die wir jetzt haben, die günstig sind, in Frage stellen, stellen Sie langfristig überhaupt in Frage, ob wir dazu kommen können, eine Ausbreitung atomarer Systeme zu verhindern.Die anstehenden Wiener Verhandlungen bieten eine große Chance, aber ich glaube, daß wir auch unserer Bevölkerung klarmachen müssen, daß damit und mit den Ankündigungen noch lange nicht eine einseitige Abrüstung oder Abrüstungsschritte von unserer Seite gerechtfertigt wären. Wir brauchen Vereinbarungen, die verifizierbar sind und die vor allen Dingen auch durchgeführt werden.Abschließend möchte ich noch folgendes sagen: Erstens. Wir alle sollten uns dazu durchringen, wieder gemeinsame Grundlagen unserer Verteidigungspolitik zu definieren, so wie es früher unter einer Regierung Helmut Schmidt durchaus möglich war.
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LowackZweitens. Wir alle sollten klarstellen, daß wir von der politischen Ebene voll hinter dem Verteidigungsauftrag unserer Soldaten und hinter unseren Soldaten selbst stehen. Ich glaube, auch das sollte in dieser Debatte mit aller Klarheit dargestellt werden.Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über einen Bericht, der die Zeit von Juli 1986 bis Ende 1987 umfaßt — und das 13 Monate später. Es ist richtig schön, in dem Album von Abrüstung und Rüstungskontrolle vergangener Zeiten zu blättern. Es sind ja auch schöne Erfolge, die in diesem Bericht beschrieben werden konnten, etwa das Abkommen über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen von Stockholm vom September des Jahres 1987 und vor allen Dingen das bis heute nachwirkende INF-Abkommen vom 8. Dezember 1987.
Man stößt dann — Kollege Lowack, Sie werden jetzt merken, daß ich den Bericht wirklich gelesen habe — auf einen euphorischen Teil des Berichts mit der Überschrift „Bilanz und Perspektiven". Da stellt man fest, daß damals, als dieser Bericht geschrieben wurde, noch der Eindruck bestand, daß weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Abrüstung sehr schnell kommen würden.So ist dann auch die Erwartung ausgedrückt, daß wir schon im Mai 1988 ein START-Abkommen haben würden, nämlich die Halbierung der Interkontinentalwaffen. Wir wissen, daß jetzt noch nicht einmal richtig klar ist, wann es nach der Installierung der neuen amerikanischen Administration bei diesen Verhandlungen substantiell weitergeht. Es ist weiter die Rede davon, daß der Abschluß eines Chemiewaffenabkommens in Genf unmittelbar bevorstehe.
Wir wissen heute — nach den einschränkenden Versuchen der Pariser Konferenz — , daß es nicht einmal mehr sicher ist, ob überhaupt noch die Chance besteht, hier zu einem Abkommen zu kommen.Es ist die Erwartung ausgedrückt, daß im Bereich konventioneller Rüstungskontrolle schon 1988 Verhandlungen aufgenommen werden. Nun freuen wir uns alle und begrüßen, daß das im März dieses Jahres passiert. Aber: Auch diese Prognose war falsch.Schließlich — völlige Fehlanzeige — wird gesagt, daß demnächst auch über nukleare Kurzstreckenwaffen verhandelt werden würde. Heute ist nicht einmal klar, ob, wann und wo diese für uns so bedeutenden Kurzstreckenwaffen — endlich — überhaupt Gegenstand von Verhandlungen sein werden.Nun habe ich ja gar nichts gegen Euphorie. Euphorie kann beflügeln, aber sie kann eben auch zur Selbsthypnose führen. Deswegen ist, wenn man einen solchen Bericht diskutiert, immer die Frage wichtig: In welchem Verhältnis stehen eigentlich das eigene Handeln und die tatsächlich vorhandenen Herausforderungen und auch Chancen, die die Gegenwart bietet?In dieser Hinsicht hat die Zeit nach 1987 nun einiges gezeigt. Sie hat gezeigt, daß dieses Jahr, wenn auch diese euphorischen Andeutungen über kurz bevorstehende Erfolge nicht Wirklichkeit geworden sind, doch zwei wichtige Ergebnisse gebracht hat: Das eine ist die einseitige Ankündigung der sowjetischen — wirklich spürbaren — Abrüstung im konventionellen Bereich, das andere sind mit Sicherheit der Abschluß der KSZE-Gespräche in Wien und die Formulierung des KRK-Mandates. Und es ist gar kein Zweifel — das kann hier auch ausgedrückt werden — , daß die Diplomaten von Außenminister Genscher eine konstruktive Rolle auch bei diesem Ergebnis gespielt haben.Aber die Frage ist ja, was für andere Beiträge, Signale von der Bundesrepublik selber in diesem Zeitraum ausgegangen sind, die nach meiner Auffassung auch sehr viel über Abrüstung und Rüstungskontrolle sagen. Welche Stichworte hat denn die Bundesrepublik zu diesem internationalen Prozeß aus eigener Kraft, aus der eigenen Innenpolitik beigetragen? Ich stelle fest: Der Bundesminister der Verteidigung ist stolz darauf, daß eine Trendwende — so nennt er das — beim Verteidigungshaushalt stattgefunden hat: 3,8 %, 1,8 Milliarden DM mehr. Er hat angekündigt, daß das noch längst nicht das Ende sein wird, sondern daß im investiven Bereich noch viel mehr Geld für Verteidigung ausgegeben wird. Das ist ein Signal, das die Bundesrepublik aussendet.Das zweite ist, daß Sie in diesem Zeitraum über Wehrpflichtverlängerung streiten und sie dann auch noch beschließen. Das ist ein weiteres Signal in diesem Kontext.Dann haben wir in diesem Zeitraum das teuerste Waffensystem der Geschichte der Bundesrepublik, nämlich den Jäger 90, auf die Schiene geschoben.Wir haben uns erlaubt, den größten militärischindustriellen Komplex durch die Heirat von MBB mit Daimler-Benz in der Bundesrepublik zu konstruieren. Das ist sozusagen unser Beitrag zur Rüstungskonversion, nämlich insofern, als wir damit annähernd 400 000 Arbeitsplätze nun auch noch vom Rüstungsexport — und worüber wir da reden, wissen wir ja jetzt — abhängig machen.Wir reden in diesem Zusammenhang immer von Gesamtkonzept, wenn es darum geht, Antworten auf die konkreten Vorschläge, die von der östlichen Seite gemacht werden, auf die lange Bank zu schieben. Der Begriff ist sogar schon in die NATO-Sprache eingegangen.Wir haben mehrmals auch in diesem Haus darüber diskutiert, wie unter dem Stichwort Modernisierung dieses INF-Abkommen im Grund genommen umgangen und durch technische Tricks kompensiert werden soll.Schließlich haben wir die Stichworte: Festhalten an Tiefflug, Ramstein, Remscheid in die Debatte geworfen. Wir halten an diesen Konzepten und den Strate-
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Erlergien, die damit verbunden sind, stur fest. Der Minister der Verteidigung versucht in diesem Zusammenhang die Verantwortung oder auch Placebos gegen diese Bedrohung der Bevölkerung zu verteilen.Ja, wir leisten uns sogar, daß nicht nur in linken Zeitungen in dieser Republik fast tagtäglich über eine Akzeptanzkrise der Bundeswehr und der bewaffneten Verteidigung gesprochen wird. Das ist ein Signal dafür, daß der Konsens, der in diesem Bereich viele Jahrzehnte in unserer Republik herrschte, durch die ganzen Signale, die aus diesem Bereich kommen, in Frage gestellt wird.Was können wir daraus schließen? Ich meine, es ist einfach falsch, zu denken, daß Abrüstung und Rüstungskontrolle nur das sind, was gutwillige, konstruktive Beamte aus dem Auswärtigen Amt in internationalen Gremien, in internationalen Verhandlungen vortragen; längst ist mindestens genauso wichtig, was an konkreten eigenen Signalen im eigenen Land aus diesem Bereich ausgeht.Es ist doch kein Zufall, daß nur noch 20 % unserer Bevölkerung sich heute, wenn man sie danach befragt, dazu bekennen, daß sie sich vom Osten bedroht fühlen. Auch das liegt nicht nur daran, daß die Beamten, die Vertreter, die Diplomaten der Sowjetunion immer wieder in Verhandlungen mit Vorschlägen kommen, sondern das liegt daran, daß gesellschaftliche Signale von der Sowjetunion ausgehen, die dieses Vertrauen in unserer Bevölkerung ermöglicht haben, daß das neue Denken, das in der UNO-Rede von Gorbatschow vielleicht sogar wichtiger war als die konkreten Abrüstungsangebote oder Abrüstungsankündigungen, die er gemacht hat, glaubwürdig ist und daß wir glauben können, daß Perestroika heute in der Sowjetunion wichtiger als Aufrüstung ist, und daß wir heute merken, daß dort Konversion anders, nämlich als ein reales Problem zur Absicherung des Reformprozesses, gesehen und ernsthaft angegangen wird.Deswegen möchte ich hier deutlich machen, daß Abrüstung und Abrüstungskontrolle nicht erfolgreich betrieben werden können, wenn wir nicht dafür sorgen, daß andere Signale aus der realen Politik dieser Republik hinzukommen. Es reicht nicht, nur guten Willen auf internationalen Konferenzen deutlich zu machen, sondern die konkreten Beschlüsse unserer Innenpolitik müssen glaubwürdig dazukommen.Ich meine damit, mit der Modernisierung und der Diskussion, die wir dazu führen, werden wir keine Glaubwürdigkeit erzielen; wir werden nicht glaubwürdig bleiben, wenn wir weiterhin unserer Bevölkerung zumuten, zivilisationsunverträgliche und damit nicht konsensfähige Militärübungen ständig weiter durchzuführen und nicht zu reduzieren; wenn wir die Wehrpflichtverlängerung durchziehen; wenn wir diese Art von Konversion, wie ich sie beschrieben habe, bei Rüstungskonzernen durchführen und wenn wir einfach fortfahren, Jäger 90 oder nicht mehr notwendige Panzer zu bauen, auch wenn völlig andere Signale von der anderen Seite kommen.Herr Außenminister, ich behaupte, daß dieser Bericht, in sich schon einige Mängel hat, weil er einen wichtigen Teil ausgeklammert hat, nämlich die real existierende Widerstandsbewegung, die damals gegen die doppelte Null-Lösung herrschte, und weil der ganze Komplex Pershing I a überhaupt nicht vorkommt, und daß jeder dieser Berichte ein Torso, mit dem man nichts anfangen kann, bleiben wird, solange man nicht die realen Beschlüsse und die realen Ergebnisse von Politik aus unserer Innenpolitik einbezieht.Am ehesten begreifen Sie das ja, wenn Sie sich verdeutlichen, daß Sie auf der internationalen Ebene damit, daß Sie sich z. B. für das weltweite Verbot von C-Waffen einsetzen, gar nicht länger glaubwürdig bleiben können, wenn gleichzeitig aus der Bundesrepublik, was den Export von entsprechender Technologie angeht, diese Signale kommen, die es in den letzten Tagen gegeben hat.Ich plädiere dafür — damit möchte ich schließen —, daß in zukünftige Berichte über Abrüstung und Rüstungskontrolle diese tatsächlichen Signale — die eine ganz andere Sprache als das, was in diesem Bericht steht, sprechen — mit einbezogen werden, damit wir wirklich eine reale Grundlage für die Diskussion über die tatsächlichen Erfolge und die tatsächlichen Impulse und Initiativen unseres Landes für Abrüstung und Rüstungskontrolle haben und auf dieser Grundlage hier in diesem Parlament diskutieren können.Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage auf Drucksache 11/2215 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Die Überweisung ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPDExport von TORNADO-Flugzeugen nach Jordanien— Drucksache 11/3283 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußVerteidigungsausschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeitb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lippelt , Dr. Mechtersheimer und der Fraktion DIE GRÜNENZustimmungsverweigerung des Deutschen Bundestages zur geplanten Lieferung von Tornado-Kampfflugzeugen an das Königreich Jordanien— Drucksache 11/3242 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für WirtschaftAuswärtiger AusschußVerteidigungsausschußAusschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitDer Ältestenrat schlägt hierzu als Beratungszeit eine Stunde vor.
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9060 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Präsidentin Dr. SüssmuthEs wird das Wort zu einem Geschäftsordnungsantrag gewünscht. Das Wort zur Geschäftsordnung hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Danke, Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen, ich möchte beantragen, daß wir uns im Augenblick noch nicht auf die eine Stunde festlegen, sondern das praktizieren, was wir uns seit Jahren vorgenommen haben: unter Umständen so wichtige Debatten auch über die fest vereinbarte Redezeit hinaus zu öffnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten das im Hinblick darauf, daß Freitagmittag natürlich gewisse Verpflichtungen vorliegen, in Grenzen halten, sollten aber nicht jetzt schon beschließen, daß nach einer Stunde Schluß ist.
Das Wort zu dem Geschäftsordnungsantrag hat der Abgeordnete Dr. Bötsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Dies ist sicherlich nicht der Zeitpunkt, über grundsätzliche Fragen der Verbesserung der Parlamentsarbeit zu sprechen. Da kann es sicher gewisse Zielkonflikte zwischen der Lebendigkeit der Debatte und der Übersichtlichkeit des Zeitablaufs geben. Darüber beraten wir ja im Ältestenrat seit Monaten, jetzt fast schon seit Jahren. Es sind auch einige Dinge schon geregelt. Insofern will ich zu den Fragen, die der Kollegin Hamm-Brücher besonders am Herzen liegen, jetzt nicht Stellung nehmen.
Angesichts des Themas, um das es hier heute geht und über das wir debattieren, stimmen wir der Anregung der Kollegin Hamm-Brücher zu, wobei wir allerdings sagen möchten: Wir wollen eine Debatte jetzt nicht ins Unendliche, sondern schon in einem überschaubaren Rahmen. Wenn es nach der im Ältestenrat vereinbarten Stunde noch Redebedarf gibt, wenn noch das eine oder andere gesagt werden muß, könnten wir, glaube ich, so verfahren.
Ich bedanke mich.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Kleinert .
Herr Bötsch, ich habe mich eben sehr gewundert. Ich war bisher davon ausgegangen, daß auf Ihrer Seite des Hauses die oberste Devise bei solchen Debatten immer heißt: Alles muß von vornherein auf eine bestimmte Länge festgeklopft sein,
vor allem aber: keine Experimente.
Wenn Sie in dieser Frage für eine solche Offenheit eintreten, begrüßen wir das auf das schärfste.
Angesichts der besonderen Brisanz des Themas und angesichts der sich verändernden Lage ist das in der Tat sinnvoll.
Ich plädiere daher dafür, daß wir der Anregung von Frau Hamm-Brücher folgen und jetzt eine Debatte ohne feste Zeitbegrenzung beginnen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Etwas „auf das schärfste zu begrüßen" ist eine neue Wortwahl, die ich meinerseits begrüße, weil es unseren Sprachsatz bereichert.
In der Sache selber: Wenn der Antrag der Kollegin Hamm-Brücher darauf zielt, die Redezeit und die Dauer der Debatte großzügig zu bemessen, stimmen wir dem zu.
Der Gegenstand rechtfertigt das. Wir sollten bei Themen dieser Art aus gegenseitiger Achtung so verfahren.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die im Geschäftsordnungsantrag vorgeschlagene offene Redezeitregelung?
— Großzügige Redezeitregelung. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Der Geschäftsordnungsantrag ist angenommen. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als das deutsch-britisch-italienische Rüstungskonsortium Panavia Ende 1985 80 Tornado-Bomber in den Nahen Osten verkaufen wollte, gab es hier im Bundestag heftige Kritik. Als das Geschäft gelaufen war, brüstete sich die Rüstungsindustrie mit ganzseitigen Zeitungsinseraten. Ich zitiere daraus:Der Allwetter-Jagdbomber für den Tiefstflug bringt alle Leistung.Den Konkurrenten eindeutig überlegenes Waffensystem.Deshalb haben sich auch die hochentwickelten Luftwaffen Omans und Saudi-Arabiens jetzt für Panavia entschieden und werden 80 Tornados einsetzen.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9061
GanselGott sei Dank haben sie sie nicht eingesetzt; sie üben noch. Die Zeitungsanzeige erschien unter der Überschrift:Ein Erfolg Europas.Das war kein Erfolg Europas, es war eine Niederlage.
Wir wollen ein Europa des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. Wir wollen ein Europa, das auch seine militärische Sicherheit gemeinsam organisiert. Militärische Kooperation, bei der die Rüstungsindustrie die Richtlinien der Exportpolitik bestimmt, und eine Politik, die noch nicht einmal eine gemeinsame Antwort auf die Abrüstungsvorschläge des Warschauer Paktes zustande bringt, das sind keine Meilensteine auf dem Weg zur Selbstbehauptung Europas.
Das ist kein Erfolg Europas. Das ist eine Niederlage, die uns die eigene Rüstungsindustrie zugefügt hat und vor der uns die verantwortlichen Politiker nicht bewahrt haben.
Haben wir aus dieser Niederlage gelernt?Als im Oktober vergangenen Jahres bekannt wurde, daß die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau klammheimlich einen Kredit in Höhe von 370 Millionen DM für eine deutsche Beteiligung am Verkauf von 8 Tornado-Bombern nach Jordanien organisierte, gab es einen öffentlichen Proteststurm. Der FDP-Abgeordnete Feldmann nannte das geplante Rüstungsgeschäft „einen Gipfel der Perversion". Ähnlich äußerten sich die Kollegin Hamm-Brücher und der Kollege Hirsch.
In der Tat: Es gab keine bessere Klassifizierung für das Vorhaben, den Verkauf von Bombern, die ganze Landstriche im Nahen Osten in Schutt und Asche legen können, durch eine Bank finanzieren zu lassen, die zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs mit Mitteln des ERP-Programms geschaffen worden war.
Dieses perverse Vorhaben galt als gescheitert, als in der erregten Fragestunde des Bundestages am 26. Oktober der CDU-Abgeordnete Norbert Lammert mit einer knappen Zwischenfrage der Bundesregierung zu verstehen gab, „daß für das hier in Rede stehende Geschäft im Deutschen Bundestag ganz offensichtlich keine Mehrheit zu erwarten ist". — Respekt, Herr Kollege!
Heute müssen wir Abgeordneten aus allen Fraktionen des Bundestages erneut den Eindruck haben, daß wir bei der Finanzierung und Durchführung des Tornado-Geschäfts hintergangen worden sind.
Das für die deutsche Beteiligung an dem Rüstungsgeschäft erforderliche Darlehen in Höhe von 370 Millionen DM soll nunmehr von der staatlichen Bayerischen Landesbank beschafft werden.
Zu dieser bayerischen Variante wird mein Kollege Kolbow noch etwas sagen. Aber generell steht fest: Für private Banken ist das finanzielle Risiko offenbar zu groß. Das politische Risiko für dieses Geschäft trägt die Bundesrepublik; das moralische Risiko trägt unser Volk.
Der Widerstand meiner Partei und vieler Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU und aus der FDP richtete sich nicht nur gegen die Finanzierung des Geschäfts, sondern gegen das Geschäft überhaupt, gegen die Zustimmung der Bundesregierung bei der britischen Regierung zum Verkauf der Angriffsversion des Tornado an Jordanien, das in dem explosiven Spannungsgebiet des Nahen Ostens liegt. Der ehemalige israelische Botschafter in der Bundesrepublik hat den Satz geprägt: „Der Nahe Osten braucht nicht mehr Waffen, sondern mehr Frieden. " Dieser Satz bleibt richtig.Die israelische Regierung könnte übrigens zum Frieden in den von Israel besetzten Gebieten einen wichtigen Beitrag leisten. Noch wichtiger wäre es, wenn sie die von Arafat geführte PLO endlich als Gesprächspartner für einen Friedensdialog akzeptierte.
Diese Bitte an Israel kann unser Beitrag zum Frieden sein.Die Lieferung von Bombenflugzeugen an einen Staat, der sich formal mit Israel noch im Krieg befindet, ist noch nicht einmal ein Beitrag zur Stabilität, wie Bundesminister Schäuble vorgestern dem staunenden Fernsehpublikum kundgetan hat;
es ist ein Beitrag zur Aufrüstung. Was denn sonst?
Die deutsche Politik ist im Nahen Osten aber nicht dazu befugt, irgend etwas zu tun, was die Sicherheit Israels gefährden könnte.Unser Widerstand gegen das Rüstungsgeschäft würde auch dann gelten, wenn es die israelische Regierung ohne Protest hinnähme. Ein solches Schweigen der israelischen Regierung hätte seinen Preis. Das weiß hier jeder. Für ein Geschäft der Rüstungsindustrie müßte die Bundesrepublik mit politischen Zugeständnissen zahlen, entweder mit öffentlichen Krediten oder mit geheimer militärischer Kooperation. Für beides gibt es Versuche.
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9062 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
GanselWas ist das für eine Außenpolitik, die ihren Gestaltungsraum und ihre Entscheidungsfreiheit dem bedenkenlosen Geschäftssinn der Rüstungsexportindustrie unterordnet?
Die SPD-Fraktion beantragt, daß aus der Bundesrepublik Deutschland keine Kriegswaffen und Rüstungsgüter in das Spannungsgebiet des Nahen und Mittleren Ostens geliefert werden. Wir schlagen vor, diesen Antrag und den Antrag der GRÜNEN in die Ausschüsse zu überweisen.Die Opposition ist aber auch verpflichtet, von der Bundesregierung öffentlich Rechenschaft zu fordern. Ich habe deshalb folgende Fragen an Minister Schäuble — ich habe sie Ihnen vor Beginn der Debatte zukommen lassen — :Erstens. Trifft es zu, daß die Bundesregierung gegenüber der britischen Regierung für das Geschäft nicht nur die Zustimmung erteilt hat, sondern auch die Verpflichtung übernommen hat, es durch einen offiziellen Kredit abzustützen, wie sich aus einem Brief der britischen Premierministerin ergibt?Zweitens. Hat es nach der Bundestagssitzung vom 26. Oktober zwischen Vertretern der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung Briefe oder Gespräche — Telefongespräche — darüber gegeben, wie der Kredit durch die öffentlichen Banken des Freistaates Bayern organisiert werden könnte?
Drittens. Hat es mit der israelischen Regierung Gespräche über den Tornado-Verkauf an Jordanien gegeben, und hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang der israelischen Regierung finanzielle Leistungen oder militärische Leistungen in Aussicht gestellt?Viertens. Hat es zu dem Rüstungsgeschäft nach dem 26. Oktober noch einmal eine Kabinettssitzung oder eine Sitzung des Bundessicherheitsrates gegeben?Fünftens. Wenn nein: Wann ist der Bundesaußenminister davon informiert worden, daß das Rüstungsgeschäft dennoch über die Bühne gebracht werden solle?Sechstens. Minister Schäuble, wir wissen beide, daß bei solchen Rüstungsgeschäften Provisionen zwischen 5 und 15 % gezahlt werden — von 375 Millionen DM! Haben Mitglieder der Bundesregierung dienstlich oder in anderer Eigenschaft Kenntnisse über Provisionszahlungen für dieses Geschäft? Wie hoch sollen sie sein, und an wen sollen sie gehen?Siebtens. Können Sie verbindlich erklären, daß vor der endgültigen Entscheidung des Bundestages die Bundesregierung keine vollendeten Tatsachen für das Rüstungsgeschäft schaffen wird?
Nachdem auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der Kollege Stercken, öffentlich Bedenken gegen das geplante Rüstungsgeschäft angemeldet hat, gehen wir davon aus, daß wir gemeinsam im Auswärtigen Ausschuß für das Plenum einen Antrag erarbeiten können, der die Glaubwürdigkeit der Bun-desrepublik wiederherstellt und im übrigen auch die ' guten Beziehungen zu Israel und zu Jordanien nicht weiter beschädigt.Jordanien ist ein Entwicklungsland und — wie alle Entwicklungsländer — hoch verschuldet. Wir beteiligen uns an der Nahrungsmittelhilfe für die palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien, und das ist richtig. Seit 1980, so hat mein Kollege Alwin Brück ausgerechnet, hat die Bundesrepublik Deutschland an Jordanien ungefähr genausoviele zinsgünstige Darlehen und nichtrückzahlbare Zuschüsse im Rahmen der Entwicklungshilfe geleistet, wie Jordanien in den nächsten Jahren an die Bundesrepublik zurückzahlen müßte, wenn das Geschäft zustande käme, nämlich 370 Millionen DM. Was für ein Widersinn! Oder muß man sagen: Irrsinn?
Die SPD macht Ihnen einen Vorschlag zur Vernunft: Wenn die bayerischen Banken schon 370 Millionen DM Kreditzusagen gesammelt haben, warum soll die Arbeit umsonst gewesen sein? Warum machen wir nicht Pflüge statt Schwerter? 370 Millionen DM könnten das Grundkapital sein für einen Marshallplan des Nahen Ostens, und zwar möglichst unter Beteiligung der Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Willy Brandt hat das vor Jahren vorgeschlagen. Perez, Mubarak, Hussein und Arafat halten das für eine realistische Vision des Friedens. Ein Aufbauplan für den Nahen Osten würde auch in unserer Exportwirtschaft mehr Aufträge und Arbeit produzieren als die Fertigung von Kriegswaffen. Es wäre vernünftig und — ist das denn so schlimm? — auch moralisch. Es wäre ein Erfolg für den Frieden,
und es wäre ein Erfolg für Europa.
Das Wort hat der Bundesminister Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Gansel hat mir, wie er ja eben ausgeführt hat, liebenswürdigerweise kurz nach 11 Uhr die Fragen, die er der Bundesregierung gestellt hat und die er gern beantwortet haben möchte, zugeleitet. Ich würde gern zunächst einmal, Herr Kollege Gansel, diese Fragen, soweit es mir im Augenblick möglich ist, beantworten, weil ich finde, daß Debatten in erster Linie den Sinn haben, daß man auf Argumente und Fragen eingeht, und weil ich ohnedies finde, daß das Thema, das uns beschäftigt, einen möglichst sorgfältigen und einen möglichst verantwortungsbewußten Umgang mit der Sache gebietet.
Herr Kollege Gansel, Sie haben mich gefragt, ob es zutrifft, daß die Bundesregierung eine Verpflichtung übernommen habe, auch im Rahmen der deutsch-bri-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9063
Bundesminister Dr. Schäubletischen Kooperation einen offiziellen Kredit zu gewähren. Sie wissen, daß der Bundesfinanzminister schon in einer Aktuellen Stunde, die Sie erwähnt haben, darauf hingewiesen hat, daß wir in der Entscheidung, die der Bundessicherheitsrat getroffen hat, keine Einwendungen zu erheben, gleichzeitig auch gesagt haben, daß wir für dieses Exportgeschäft keine Hermes-Bürgschaft übernehmen,
so daß sich daraus ergibt, daß wir eine solche Verpflichtung nicht übernommen haben.Herr Kollege Gansel, Sie haben dann gefragt, ob es nach dieser Bundestagssitzung zwischen Vertretern der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung Briefwechsel, Gespräche, Telefongespräche usw. gegeben hat, wie die Finanzierung organisiert werden könnte. Ich weiß es nicht von anderen Vertretern der Bundesregierung, aber ich kann für mich sagen: Ich habe auch mit Vertretern der Bayerischen Staatsregierung, mit Vertretern von Banken über die Frage gesprochen, wie nach dem Rückzug der Kreditanstalt für Wiederaufbau aus ihrem Anteil im Rahmen der vorgesehenen Finanzierung des deutschen Lieferanteils eine Finanzierung sichergestellt werden könne.Wir haben nach meiner Erinnerung nicht über Banken im einzelnen gesprochen. Ich habe sowohl der Deutschen Bank, die ja ursprünglich Konsortialführerin war, als auch dem Vorsitzenden des Vorstands der Bayerischen Landesbank einen Brief geschrieben. Er ist in beiden Fällen wortgleich. Ich will diesen Brief verlesen. Anrede. Dann habe ich ausgeführt:Die Bundesregierung hat keine Einwände gegen die Absicht Großbritanniens, acht Tornado-Flugzeuge an Jordanien zu liefern. Sie hat auch keine Bedenken gegen eine Beteiligung deutscher Firmen an dem britischen Exportvorhaben und an einer Beteiligung deutscher Banken an der Finanzierung des deutschen Lieferanteils.
Wie Sie wissen, übernimmt die Bundesregierung für Rüstungsexporte in Länder, die nicht der NATO angehören, grundsätzlich keine Kreditdeckungen. Um diese Regelungen nicht zu umgehen, konnte auch ein Engagement der weitgehend bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau nicht in Betracht kommen.Mit freundlichen Grüßen Das ist meine Antwort:
— Ja, Frau Kollegin, darauf komme ich. Ich versuche wirklich, die Fragen von Herrn Kollegen Gansel zu beantworten.Sie haben dann gefragt, ob es mit der israelischen Regierung Gespräche über den Tornado-Verkauf an Jordanien gegeben hat und ob — ich verstehe Ihre Frage so — es seitens der Bundesregierung und der israelischen Regierung darüber Gespräche gegeben hat und ob die Bundesregierung in diesem Zusammenhang der israelischen Regierung irgendwelche Zusagen gemacht oder Hilfeleistungen in Aussicht gestellt habe.Ich muß Ihnen dazu sagen: Mir sind derartige Gespräche seitens der Bundesregierung nicht bekannt.
— Aber, verehrter Herr Kollege, ich will Ihnen eine Geschichte von gestern morgen erzählen, die heute in einigen Zeitungen eine Rolle spielt.Ich bin um 7.15 Uhr in einem Rundfunkinterview gefragt worden, was ich davon wisse, daß es eine mögliche Überlegung in bezug auf Südkorea gebe, das stehe in einer bekannten deutschen Zeitung. Ich habe dann gesagt: „Ich weiß davon im Augenblick nichts. " Ich habe mir die Zeitung während des Interviews gegriffen und gesagt: „Ich weiß das, was ich hier in der Zeitung lese, indem ich es in der Zeitung lese. Mehr weiß ich nicht."Daraus ist dann den ganzen Tag die Meldung geworden, der Kanzleramtsminister Schäuble habe erklärt, die Bundesregierung habe keine Kenntnis von derartigen Überlegungen. Diese Meldung ist einfach falsch. Der Kanzleramtsminister Schäuble persönlich hatte gestern morgen um 7.15 Uhr keine Kenntnis. Die Bundesregierung hatte sie sehr wohl.
Herr Kollege Vogel, ich finde, wenn wir den Sachverhalt klären, hilft manches, und wir können über den Kern der Punkte, wo wir unterschiedlicher Meinung sind, dann miteinander sehr schön reden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, Frau Präsidentin, ich würde gern zunächst die Fragen, die mir Herr Gansel vorab schriftlich übermittelt hatte, alle beantworten. Ich bitte dafür alle Kolleginnen und Kollegen um Nachsicht und Verständnis.
Nach meinem Verständnis ist die Regierung dem Parlament schuldig, wenn sie die Fragen vorab bekommt, sie zu beantworten, so gut sie es kann. Das ist mein Verständnis von Parlament und parlamentarischer Verantwortung der Regierung.
— Aber nein, überhaupt nicht. Sie stört es offenbar, daß es so geschieht.Nun haben Sie gefragt, ob es noch einmal zu diesem Rüstungsgeschäft im Kabinett oder im Bundessicher-
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9064 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Bundesminister Dr. Schäubleheitsrat eine Diskussion gegeben habe. Dazu muß ich Ihnen sagen: Es hat noch einmal eine Diskussion im Kabinett gegeben. Das hat auch in dieser Woche in den Zeitungen gestanden. Ich habe das vorgestern auch in der Regierungsbefragung gesagt. Das war in der Kabinettssitzung am Dienstag dieser Woche. Ich habe dem Deutschen Bundestag auch das Ergebnis dieser Beratungen mitgeteilt.Dann fragen Sie, wann der Bundesaußenminister davon informiert worden ist, daß das Rüstungsgeschäft trotz des Rückzugs der Bundesregierung aus der Finanzierung weiter betrieben werden solle. Herr Kollege Gansel, die Frage ist in mehreren Punkten unrichtig gestellt. Die Bundesregierung hat sich überhaupt nicht aus der Finanzierung zurückgezogen; denn sie war nie drin. Zum anderen war auch in der Sitzung am 26. Oktober auch nach den Ausführungen des Bundesfinanzministers, des Kollegen Stoltenberg, völlig klar, daß die Bundesregierung ihre Entscheidung, gegen den britischen Export im Rahmen der deutschbritischen Kooperation keine Einwendungen zu erheben, getroffen hat und daß sie nicht beabsichtigt, sie rückgängig zu machen. Davon war der Bundesaußenminister wie alle anderen zu jedem Zeitpunkt informiert.Die sechste Frage lautet, ob Mitglieder der Bundesregierung in dienstlicher oder in anderer Eigenschaft Kenntnisse über Provisionszahlungen für dieses Geschäft haben. Herr Kollege Gansel, ich habe weder dienstlich noch in anderer Eigenschaft Kenntnisse über Provisionszahlungen in diesem Zusammenhang.Schließlich lautet Ihre siebente Frage, ob ich verbindlich erklären könne, daß vor der endgültigen Entscheidung des Bundestages durch die Bundesregierung keine vollendeten Tatsachen für das Rüstungsgeschäft geschaffen würden. Dazu muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege Gansel, daß das, was Sie mit dieser Frage wahrscheinlich meinen, nach dem deutsch-britischen Kooperationsabkommen von 1983 überhaupt nicht möglich ist.
— Sie sagen, ob „keine vollendeten Tatsachen" in jeder Weise geschaffen werden.Die Bundesregierung kann nach dem deutsch-britischen Kooperationsabkommen dieses britische Geschäft gar nicht verhindern. Sie hat sich entschieden— dies hat sie der britischen Regierung auch mitgeteilt — , daß sie keine Einwendungen erhebt und daß sie deswegen das im Kooperationsabkommen vorgesehene Konsultationsverfahren nicht einleiten wolle.
Aber mit vollendeten Tatsachen meint der Kollege Gansel ja wahrscheinlich, ob wir zusagen können, daß vorher nicht geliefert wird. Diese Zusage kann die Bundesregierung wegen des deutschbritischen Abkommens so nicht machen.Ich füge gleich hinzu: Das deutsch-britische Kooperationsabkommen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist 1983 geschlossen worden. Es hält sich in seinen Mechanismen sehr eng an das mit Frankreich — wenn ich mich richtig erinnere — im Jahre 1972 geschlossene Abkommen. Vielleicht sind wir miteinander in der Lage, uns zu erinnern, wer 1972 Regierungsverantwortung für die Bundesrepublik Deutschland getragen hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?
Bitte sehr Herr Gansel.
Herr Minister, in der Sache wird mein Kollege Kolbow noch nachhaken. Ich möchte Ihnen jetzt nur für den guten Stil der Beantwortung der Fragen danke sagen. — Danke schön
Herr Kollege Mechtersheimer, ich habe das nicht zu kommentieren. Aber ich finde, wenn ein Mitglied des Deutschen Bundestages Fragen stellt, sie vorher der Regierung mitteilt und man sich Mühe gibt, sie zu beantworten, dann habe ich auch nichts dagegen einzuwenden, wenn der Kollege sagt, daß er jedenfalls das Verfahren in Ordnung findet. Ich stelle fest, daß Sie dieses Verfahren nicht mögen. Sie sind offensichtlich an einer sachlichen Diskussion nicht interessiert.
— Wenn Sie jetzt die Güte haben, mich sachlich noch etwas sagen zu lassen und mich nicht dauernd zu unterbrechen und zu stören, ist das noch besser.Ich würde nun gerne einige Ausführungen zu dem Gesamtzusammenhang machen: Die Frage des Rüstungsexports in Länder außerhalb der NATO hat in den letzten Jahren immer wieder Politik und Öffentlichkeit bewegt. Dies ist auch verständlich; denn Waffen und Rüstungsgüter sind keine Exportwaren wie andere. Ihre Lieferung in das nicht verbündete Ausland, namentlich außerhalb des Kreises der hochentwickelten Industrieländer, wirft immer schwierige außen- und sicherheitspolitische, aber auch moralische Fragen auf.Aber dieses Thema droht auch mehr und mehr über die ihm in der Sache innewohnenden Widersprüche hinaus zum Vehikel innenpolitischer Auseinandersetzungen zu werden. Die Folge davon könnte sein, daß auf einem wichtigen Feld der ursprünglich gegebene und im Interesse unseres Landes so notwendige außen- und sicherheitspolitische Konsens zwischen Regierung und Opposition verlorengehen könnte. Deswegen sollten wir uns gemeinsam bemühen, in großer Verantwortung die Fragen zu erörtern.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9065
Bundesminister Dr. SchäubleWir müssen bei der Frage der Rüstungsexporte im Grunde zunächst einmal davon ausgehen, daß Waffen, Soldaten, unsere Bundeswehr, nicht ein Geschäft mit dem Tode sind; das wird so leicht alles zusammengemischt. Vielmehr haben sie als einzige Aufgabe, den Frieden und die Freiheit zu sichern. — Das ist der erste Satz.
Das Wort hat der Bundesminister.
Herr Kollege Vogel, Sie plädieren immer für einen vorbildlichen parlamentarischen Stil. Sie sollten sich zwischendurch selber einmal an Ihre eigenen Anforderungen halten.Zweitens. Wenn dieses für uns, für die Bundesrepublik Deutschland und für unsere Bundeswehr gilt und wenn dieses auch für unsere Verbündeten im Atlantischen Bündnis gilt, ohne das wir nicht in der Lage sind, Frieden und Freiheit zu sichern, dann sollten wir uns als zweiten Satz auch die Frage stellen, ob wir grundsätzlich anderen das, was wir für uns in Anspruch nehmen, nämlich das Waffen und Soldaten den Frieden schützen sollen, verweigern können.
Ich sage, wir sollten uns nicht grundsätzlich zu der Arroganz verleiten lassen, zu sagen: bei uns ist es so, aber bei anderen, weil sie moralisch viel schlechter sind, kann es nicht so sein.
— Ich komme zu allem, ganz ruhig.Drittens. Wenn dies so ist, dann müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, daß wir die großen, teuren modernen Waffensysteme heute nicht mehr alleine produzieren können.
Deswegen brauchen wir auch im Interesse der Steuerzahler und im Interesse der Zusammenarbeit in unserem Bündnis, auf das wir lebensnotwendig angewiesen sind, die Kooperation in der Produktion von Rüstungsgütern.
Deswegen habe wir diese Kooperation mit anderen. Wir haben darüber auch vertragliche Vereinbarungen,
auf die ich im einzelnen hingewiesen habe.
Diese Bundesregierung hält sich an die Grundsätze für den Export von Rüstungsgütern, die ihre Vorgängerregierung am 28. April 1982 beschlossen hat und die davon ausgehen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland beim Export von Rüstungsgütern grundsätzlich restriktiv verhält.In diesen politischen Grundsätzen der Bundesregierung vom 28. April 1982, meine Damen und Herren, ist festgelegt, daß im Rahmen von Rüstungskooperationen, also der gemeinsamen Herstellung von Rüstungsgütern durch mehrere Länder, die im Atlantischen Bündnis vereinigt sind, grundsätzlich die Entscheidung des jeweiligen Lieferlandes gilt und daß nur dann, wenn schwerwiegende Bedenken bestehen, die in diesen Grundsätzen im einzelnen aufgezählt werden, — nämlich bei Exporten in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind,
bei Exporten in Länder, in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen unmittelbar bevorsteht,
bei Exporten, durch die unverzichtbare Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet werden,
oder bei Exporten, die die auswärtigen Beziehungen zu Drittländern so erheblich belasten würden, daß selbst das eigene Interesse an der Kooperation und der Aufrechterhaltung guter Beziehungen zum Kooperationspartner, hier Großbritannien, zurückstehen muß — , daß also nur in solchen Fällen und unter diesen Voraussetzungen Einwendungen erhoben werden können. Diese Einwendungen können aber nach dem Abkommen nicht zu einer Verhinderung des Geschäftes führen.
— Ich komme auch auf die Kredite, Herr Kollege Vogel. Ich wäre ja schon so weit, wenn Sie mich nicht dauernd unterbrechen würden.Deswegen haben wir das britische Vorhaben, acht Tornados zu exportieren — an der Produktion von Tornados sind zu 42,5 britische, zu 42,5 deutsche und zu 15 % italienische Firmen beteiligt —,
im Bundessicherheitsrat erörtert — dies ist alles mitgeteilt worden — und haben entsprechend den Grundsätzen beschlossen, keine Einwendungen zu erheben.
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9066 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Bundesminister Dr. SchäubleWir halten die Entscheidung des Königreichs Großbritannien in dieser Frage für derartig, daß wir dagegen Einwendungen nicht erheben wollen.
Wir glauben auch, daß die Diskussion, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland teilweise geführt wird, der verantwortungsbewußten Entscheidung der Regierung des Vereinigten Königreiches nicht zureichend Rechnung trägt. Meine Damen und Herren, wir sollten bei innenpolitischen Diskussionen ein bißchen auch unserer Verantwortung im Umgang mit unseren Verbündeten Rechnung tragen.
Die Art, wie — nicht von Ihnen in Ihrer Rede soeben, Herr Kollege Gansel, aber in der öffentlichen Diskussion - Jordanien in einen Zusammenhang mit möglicherweise kriminellen Machenschaften unter Beteiligung Deutscher in einem anderen Land in dieser Region gerührt wird — —
— Ja, ja.
Herr Bundesminister, gestatten Sie ein Frage des Abgeordneten Brück?
Frau Präsidentin, ich würde jetzt gerne ein Stück weit im Zusammenhang argumentieren.Die Art, wie hier zusammengerührt wird, wird dem Beitrag des Königreichs Jordanien zur Stabilität und zum Friedensprozeß im Nahen Osten nicht gerecht.
Das Königreich Jordanien ist ein verläßlicher, auf den Frieden hin orientierter Staat, der seinen wichtigen, verantwortungsbewußten Beitrag in dieser so sensiblen Region leistet. Deswegen ist die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die, wie wir informiert sind, auch im Atlantischen Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika wohl erörtert worden ist, eine Entscheidung, die nicht gegen die Sicherheitsinteressen des Staates Israel gerichtet ist. Ich denke, daß es keine Regierung auf der Welt gibt, die die Sicherheitsinteressen des Staates Israel stärker berücksichtigt als die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Auch das will ich in dieser Diskussion einmal mit allem Nachdruck sagen.
Nun hat ja eine Rolle gespielt — auch auf diesen Punkt will ich zu sprechen kommen; ich habe das schon gesagt — , daß wir Rüstungsexporte in Länder außerhalb des, NATO-Gebietes grundsätzlich nicht staatlich verbürgen. Grundsätzlich heißt: Es gibt Ausnahmen, aber in der Regel ist es so. Deswegen hat der Bundessicherheitsrat es ja auch abgelehnt, den deutschen Lieferanteil durch Hermes zu verbürgen.Als unter der Führung einer großen deutschen Bank ein Finanzierungskonsortium deutscher Banken unter Beteiligung der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu stande gekommen war, hat es in der Öffentlichkeit und in diesem Hohen Hause eine Diskussion gegeben. Diese Diskussion hat ja zum Ergebnnis gehabt, daß eine Beteiligung der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau letztlich als eine Art Umgehung der grundsätzlichen Haltung, Exportverträge nicht durch den Bund zu verbürgen, verstanden werden könnte. Deswegen hat der Bundesfinanzminister damals mitgeteilt, daß die Entscheidung noch einmal überdacht werde. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Vertreter der Bundesregierung in den Gremien der Kreditanstalt für Wiederaufbau haben sich auf Grund dieses Mißverständnisses aus der Finanzierung zurückgezogen.
Aber völlig klar war — ich habe hier auch meinen Brief vorgelesen; das war völlig einvernehmlich —, daß mit dieser Entscheidung eben gerade nicht verbunden war, daß die Bundesregierung Einwände gegen das britische Exportgeschäft erheben wolle. Sie hatte ausdrücklich beschlossen, keine Einwände zu erheben. Die Bundesregierung hat keine Einwände gegen ein Kooperationsprojekt erhoben, d. h. gegen die Beteiligung deutscher Firmen und damit in der Logik dieses Beschlusses natürlich auch nicht gegen die Beteiligung deutscher Banken an der Finanzierung des deutschen Lieferanteils im Rahmen des Kooperationsproj ektes.
— Nein, Herr Kollege Vogel, einfach nur präzise und logisch. Überhaupt nicht tricky, sondern offen, ehrlich, klar, präzise und logisch.
Nun wird das Argument gebracht: Wodurch unterscheidet sich denn die Bayerische Landesbank von der Kreditanstalt für Wiederaufbau? Denn auch die Bayerische Landesbank befindet sich in öffentichem Besitz.
Dazu sage ich Ihnen: Zur selben Stunde findet im Bayerischen Landtag eine Debatte über diese Frage statt. Ich finde schon, daß die Bundesregierung und auch der Deutsche Bundestag sehr wohl darüber zu debattieren haben, was bundeseigene Banken zu tun oder nicht zu tun haben. Aber ich finde, daß die Frage, wie in der regionalen Verantwortung des Freistaats Bayern und seiner Regierung und der dieser Verantwortung verpflichteten Landesbank diese Entscheidung zu treffen ist,
eine Frage ist, die nach meinem Parlamentarismusverständnis im Bayerischen Landtag debattiert werden kann, wobei ich nicht anstehe zu sagen, daß ich, wenn ich Mitglied des Bayerischen Landtages wäre,
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9067
Bundesminister Dr. Schäubledie Entscheidung der Bayerischen Staatsregierung für richtig hielte. Auch das ist klar. Aber ich bin nicht Mitglied des Bayerischen Landtags, und ich bin nicht Mitglied der Bayerischen Staatsregierung.
— Sie können mich ja einmal weiterempfehlen, Herr Kollege Glos.Ich will Ihnen, weil Sie sich so empören, noch einmal vorlesen, was ich geschrieben habe. Ich gedenke überhaupt nicht, den Anschein zu erwecken, als hätte ich etwas Heimliches oder gar Klammheimliches— das Wort mag ich sowieso nicht sehr — getan.
Ich habe etwas ganz Klares, Offenes und Ehrliches getan. Ich habe geschrieben:Die Bundesregierung hat keine Einwände gegen die Absicht Großbritanniens, acht Tornado-Flugzeuge an Jordanien zu liefern.
Sie hat auch keine Bedenken gegen eine Beteiligung deutscher Firmen an dem britischen Exportvorhaben und einer Beteiligung deutscher Banken an der Finanzierung des deutschen Lieferanteils.
Dies ist mein Brief. Dann habe ich erläutert, warum wir keine Kreditverbürgung vorgenommen haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch einmal meine Bitte und meinen Appell wiederholen, die ich am Anfang ausgesprochen habe. Es geht um ein schwieriges, vielschichtiges und auch sensibles Thema.
Es geht um eine emotional leicht aufzuheizende Diskussion und um eine Diskussion, die in der Tat aufgeheizt ist. Aber es geht darum, daß wir uns letztlich die Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln bewahren.
Wenn wir Frieden und Freiheit sicherhalten wollen, brauchen wir nicht nur das Bündnis, sondern wir brauchen auch die Zusammenarbeit im Atlantischen Bündnis.
Wir brauchen die Zusammenarbeit bei der Produktion großer Rüstungsvorhaben.Wenn Sie in dem Stil, Herr Kollege Ehmke, wie Sie sich nicht nur jetzt, sondern leider meistens benehmen, wenn Sie im Bundestag so auftreten,
dieses Thema behandeln, sind Sie zu einer verantwortlichen und berechenbaren Zusammenarbeit im Bündnis nicht fähig.
Wenn Sie dazu nicht fähig sind, sind Sie in Wahrheit nicht fähig, eine Politik zu betreiben, die Frieden und Freiheit für unser Land und für Europa sicherhält.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mechtersheimer.
Herr Schäuble, eine verantwortungslose Rüstungsexportpolitik wird nicht dadurch besser, daß sie hier im Kammerton begründet wird. Das muß man zunächst mal sagen.
Sie haben hier eingeräumt, daß Sie an dem Export nach Jordanien mitgewirkt haben, und zwar begünstigend mitgewirkt haben. Die Sache ist doch ganz eindeutig. Sie haben in dem Brief, den Sie hier zweimal vorgelesen haben, doch eine Botschaft vermittelt, und diese Botschaft lautet: Wir schaffen das hier in Bonn nicht; der Widerstand im Bundestag ist zu groß; macht ihr das mal in Bayern; wir lassen euch dann schon nicht hängen. Deswegen diese vergleichsweise offene Darstellung.
Die Bundesrepublik wird von einer kriminellen Exportwut heimgesucht, nämlich der Rüstungsexportwut.
Es gibt gar keine Hysterie, wie gesagt und angedeutet wird, sondern einen längst überfälligen öffentlichen Aufschrei über die explosionsartige Ausweitung des deutschen Rüstungsexports.
Allein beim Großgerät hat sich von 1986 auf 1987 der Waffenexport der Bundesrepublik um über 50 % erhöht. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß sich dieser Trend im vergangenen Jahr fortgesetzt hat und auch weiter fortsetzen wird.
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9068 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Dr. MechtersheimerDieser traurige politische Prozeß hinein in die Spitzengruppe der Waffenexporteure der Welt ist politisch verursacht. Wer mit Frankreich und Großbritannien, diesen klassischen Waffenexporteuren, gemeinsam Waffen produziert, setzt seine eigenen restriktiven Bestimmungen außer Kraft.
Das muß man wissen, wenn man von der Rüstungskooperation Westeuropas spricht. Es war eine reine Frage der Zeit, bis die Doppelmoral der bundesrepublikanischen Politik durchschaut wurde. Einerseits brüstet man sich mit restriktiven Gesetzen; andererseits macht man über die multilateralen Waffenprojekte Kasse; die Industrie macht Kasse.Die Außenpolitik des Bundeskanzleramtes ist ja generell auf dieser Doppelmoral aufgebaut. Die Außen-und Abrüstungspolitik beruhigt die Öffentlichkeit. Die Industrie treibt im Schatten dieser Außenpolitik ihre schmutzigen Geschäfte. Wer sich jetzt nach diesen neuen Lehren aus dem Waffenprojekt Tornado immer noch an dem multilateralen Milliardenprojekt Jäger 90 beteiligen will, zeigt, daß er diese Exportpolitik der Doppelmoral unterstützt.
Mit einem Ja zur Jäger 90 wird eine kriminelle Energie des militärisch-industriellen Komplexes aktiviert — hören Sie zu — , die alle rechtlichen Barrieren niederwalzen wird. Deshalb fordern wir als prophylaktische Maßnahme gegen den Rüstungsexport von morgen die Einstellung der Produktion des Jäger 90.
Diese Bundesregierung schafft aber durch ihre Konzentrationspolitik im Rüstungsindustriebereich auch eine weitere Voraussetzung dafür, daß die deutschen Waffenexporteure ihren Marsch an die Spitzengruppe der Welt weiter fortsetzen können. Wer für die Fusion des Rüstungskonzerns MBB mit Daimler-Benz eintritt, unterminiert schon heute seine eigenen, noch bestehenden rechtlichen Möglichkeiten, Rüstungsexporte zu versagen.
Im Hinblick auf den westeuropäischen Binnenmarkt müßte eine verantwortungsbewußte Regierung die industrielle Macht, die für Rüstungsexporte eingesetzt werden kann, begrenzen. Sie macht aber das Gegenteil, woraus gefolgert werden kann, daß die Bundesregierung entgegen ihren offiziellen Bekundungen gegenüber Rüstungsexporten im Grunde gar keine Skrupel hat.Die Bundesregierung ist zu einem einzigen Klub von Hampelmännern der Rüstungsindustrie verkommen,
und zwar deshalb: Von verdeckten Waffenexporten weiß sie nichts, und große Rüstungsexporte kann sie gegenüber der Industrie nicht verhindern. Das ist die Situation: Das eine weiß man nicht, das andere kann man nicht verhindern. Das ist der Grund, warum ichsage, in welch jämmerlichem Zustand sich diese Bundesregierung befindet.
Dieser moralische Bankrott hängt auch damit zusammen, daß man zwischen guten und schlechten Waffen unterscheidet.
Herr Abgeordneter Mechtersheimer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Hamm-Brücher?
Ja, bitte.
Herr Kollege Mechtersheimer, wir haben Sie hier auch bei Debatten als sachkundigen Redner erlebt. Wären Sie unter dieser Einschätzung nicht doch bereit, Ihre Bemerkung eben von den Hampelmännern noch einmal zu überprüfen? Denn ich glaube, daß sie dem Klima dieser Debatte nicht gerecht wird.
Ich glaube, daß der Begriff Hampelmänner ein durchaus hilfreicher Begriff ist, um darzustellen, wie ohnmächtig sich diese Regierung gegenüber den Mächten, die Rüstungsexport wollen, heute darstellt.
Ich kann am konkreten Verhalten der Bundesregierung nicht erkennen, daß sie hier politischen Willen im Sinne von Abrüstung durchsetzt.
— Ein Hampelmann ist doch nicht kriminell.
Ich habe doch nicht gesagt: ein krimineller Hampelmann.
Herr Abgeordneter Mechtersheimer, ich möchte Sie auffordern, die Aussage, die Bundesregierung stelle eine Gruppierung von Hampelmännern dar, zurücknehmen.
Dafür sehe ich überhaupt keinen Anlaß, Frau Präsidentin, wenn die Bundesregierung sich so verhält: In dem einen Fall — ich habe es schon deutlich genug gesagt — weiß sie von nichts, verhindert es deswegen auch nicht, weil sie angeblich gar nichts weiß. Im anderen Fall kann sie es nicht, weil die Kräfte zu groß sind, weil man, wie die CDU/CSU erklärt hat, durch den Rüstungsexport Arbeitsplätze schützen will.
Dann kann man doch nur sagen, die hängt an den Drähten von ökonomischen Kräften.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9069
In jedem Fall muß ich Ihnen für diese Aussage einen Ordnungsruf erteilen.
Wegen ,,Hampelmännern" ? Also, Frau Präsidentin, das darf ich nicht kommentieren.
Dieser moralischer Bankrott hängt damit zusammen — vielleicht ist das für Frau Hamm-Brücher eine kleine Entschädigung —, daß man nicht zwischen guten und schlechten Waffen unterscheidet.
Gestatten Sie eine Frage Ihres Kollegen Schily?
Bitte sehr, Otto.
Vielleicht könnte man, um den Kammerton hier wieder einzuführen, das Wort „Hampelmänner" auch durch „Marionetten" ersetzen.
Durch „Muppets" vielleicht; ich weiß es nicht.
— Durch „Muppets" oder so etwas.
Das können wir im Arbeitskreis oder im Ausschuß behandeln.
Ich kann aus dem, was ich gesagt habe, nichts anderes schließen.
Ich werde aber jetzt einmal diesen Gedanken fortsetzen, weil der Sie vielleicht anregt.
Der Außenminister hat im Auswärtigen Ausschuß gesagt, man darf nicht zwischen guten und schlechten chemischen Waffen unterscheiden. Einverstanden. Nur gilt das doch eigentlich für alle Waffen. Was aber die Bundesregierung, und nicht nur sie, macht, ist doch, zwischen guten Waffen für sie selbst, für die Verbündeten und schlechten Waffen für die anderen zu unterscheiden.
Man kommt in große Schwierigkeiten, wenn man sagt: Spannungsgebiete nicht beliefern, denn es ist nicht logisch. Wer glaubt, mit Waffen Stabilität schaffen zu können, muß ja gerade in Spannungsgebiete liefern, weil dort die Stabilität zur Kriegsverhütung am dringendsten benötigt wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Hitschler?
Nein, ich wollte diesen Gedanken nach vier Anläufen jetzt endlich einmal zu Ende führen.
Wer sich also an der Philosophie orientiert, daß man Waffen so oder so definieren kann, der ist denknotwendig im Grunde immer in dem Dilemma, in dem sich diese Regierung befindet. Alles, was zwischen den beiden extremen Polen — nämlich exportieren oder grundsätzlich kein Export — liegt, dient natürlich den Interessen der Rüstungsindustrie. Das zeigt sich in diesen Tagen sehr deutlich. Selbst in Spannungsgebiete darf ja geliefert werden, wenn es der große Bruder USA für zweckmäßig hält, Jagdbomber von den Europäern nach Jordanien liefern zu lassen, es also nicht selbst zu tun.
Die acht Tornados sind in der Lage, Waffen, Bomben mit einem Gewicht von insgesamt 72 t nach Israel zu transportieren; wenn sie mehrmals eingesetzt würden, entsprechend mehr. Es könnten auch acht Atombomben sein. Die Bundesregierung ist völlig unglaubwürdig, wenn sich sich — berechtigt — Sorgen wegen der Aufrüstung anderer arabischer Staaten macht, aber ausgerechnet dem Nachbarn Jordanien diese Aggressionsinstrumente liefern läßt und, wie wir heute gehört haben, deren Finanzierung via Bayern begünstigt.
Ich meine, der Bundestag sollte nicht länger diskutieren — das wäre schon einmal ein Fortschritt — , sondern er sollte hier auch eine Entscheidung treffen. Deswegen sind wir dafür, heute abzustimmen. Nur der Antrag der GRÜNEN paßt noch in die veränderte Situation. Das dürfte auch aufschlußreich für die Damen und Herren von der SPD sein: Wer sich auf die Finanzierungsmethoden konzentriert, der wird von dieser Regierung schnell ausgetrickst.
Dann verweist man eben nur auf Bayern. Alles, was in Ihrem Antrag in bezug auf die Kreditanstalt steht, können Sie ja vergessen.
Deswegen besteht die einzige Möglichkeit, darauf zu reagieren, darin, dem Antrag zuzustimmen, den wir am 31. Oktober 1988 eingebracht haben, und der lautet:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Zustimmung zum Export von Tornado-Kampfflugzeugen an das Königreich Jordanien zurückzuziehen.
Die Bundesregierung sollte mit allen möglichen politischen Mitteln auf Großbritannien einwirken, um diesen Export im Interesse der deutsch-britischen Zusammenarbeit zu verhindern. Herr Schäuble, das wäre eine glaubwürdige Maßnahme, die Sie im Kanzleramt ergreifen könnten. Aber Sie machen das extreme Gegenteil. Sie schaden wieder einmal dem Land, das Sie vertreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lieferung von Rüstungsgütern in das nicht verbündete Ausland wirft — wer wollte das hier in diesem Kreis, in allen Fraktionen, bestreiten? — ernsthafte politische, rechtliche und auch moralische Fragen auf, die in allen Parteien dieses Hauses diskutiert werden. Sie müssen, meine ich, von uns auch ernst genommen werden, denn nur mit einer Einzelfallentscheidung, bei der Fakten, Tatsachen offen auf den Tisch gelegt werden, wie das Herr
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WissmannBundesminister Schäuble heute getan hat, kann man der Komplexität dieses Themas gerecht werden und so eine vordergründige und taktisch gemeinte Diskussionsführung vermeiden.Herr Kollege Mechtersheimer, ich meine allerdings, daß die Militanz Ihrer Wortwahl für eine solche Art der Auseinandersetzung absolut kontraproduktiv ist.
Wer Frieden will, aber solche Worte wählt, der setzt sich eigentlich selbst ins Unrecht.
Meine Damen und Herren, wir schulden uns selbst und der Öffentlichkeit eine ungeschminkte Darstellung der Gründe für die getroffenen Entscheidungen. Wir alle wissen, daß inzwischen rund 60 % der Rüstungsproduktion in Westeuropa in Kooperation über Ländergrenzen hinweg erfolgt. Wir alle wissen auch, daß ohne eine solche Zusammenarbeit — z. B. mit Großbritannien, Frankreich und Italien — die Ausstattung der Verteidigungsstreitkräfte Westeuropas mit modernen Waffen schon lange nicht mehr finanzierbar wäre.Hinsichtlich des Exports dieser gemeinsam produzierten Rüstungsgüter gibt es in den Partnerstaaten unterschiedliche Kriterien. Dabei hat sich das Verfahren herausgebildet, daß bei Gemeinschaftsproduktionen das exportierende Land die Entscheidung nach seinen Richtlinien trifft. In dem zur Debatte stehenden Fall hat Großbritannien nach seiner Exportpraxis entschieden. Die mitbeteiligten Staaten hatten zu prüfen, ob sie Einwendungen gegen den Export haben oder nicht. Der Bundessicherheitsrat hat keine Bedenken geäußert.
Eine staatliche Hermes-Bürgschaft ist — wie auch bei anderen Rüstungsgütern — nicht erfolgt. Ebenso hat die Bundesregierung Ende 1988 eine Kreditgewährung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau untersagt.Meine Damen und Herren, zu den Tatsachen gehört aber auch, daß man sich noch einmal genau die Verträge anschaut, die zu den Rüstungskooperationen führen, über die wir auch in diesem Fall der Lieferung von acht Tornados durch Großbritannien an Jordanien diskutieren. Es sind im Falle der britischen Tornado-Lieferung keine Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz oder die von Bundeskanzler Schmidt und seinem Kabinett aufgestellten politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern erfolgt.Die im Falle des Exports der Tornados gerügte Praxis, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist von der sozialliberalen Koalition begründet worden. Unter der Kanzlerschaft Willy Brandts wurde Ende 1971/Anfang 1972 bei einem Abkommen über Rüstungskooperation mit Frankreich folgendes vereinbart — ich zitiere wörtlich — :Keine der beiden Regierungen wird die andere Regierung daran hindern, Kriegswaffen oder sonstiges Rüstungsmaterial, das aus einer gemeinsam durchgeführten Entwicklung oder Fertigung hervorgegangen ist, in Drittländer auszuführen oder ausführen zu lassen.Über die Finanzierung von deutsch-französischen Waffenexporten wurde damals unter Kanzler Brandt und Verteidigungsminister Schmidt folgende Abmachung zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland getroffen — ich zitiere wiederum wörtlich — :Wenn ein Drittland gemeinsam gefertigtes Material zu kaufen wünscht, so werden die Risiken des Exportvertrages in der Regel zwischen den am Programm beteiligten Industrien nach Maßgabe ihres Anteils an den Lieferungen und Leistungen aufgeteilt und von den zuständigen Kreditversicherungsinstituten der beiden Länder garantiert.Das ist eine Vereinbarung, die, wie wir im übrigen heute wissen, wesentlich weiter reicht als die 1983 mit Großbritannien geschlossene Vereinbarung.
Herr Abgeordneter Wissmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?
Bitte, ja.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß das deutsch-französische Abkommen, das Sie zitiert haben, vom Anfang der 70er Jahre stammt, daß auf Grund der schlechten Erfahrungen die Regierung Helmut Schmidt bei der Koproduktionsvereinbarung für den Tornado ausdrücklich ein Vetorecht in den Vertrag hineingebracht hat und daß die Regierung Kohl im Oktober 1983 auf dieses Vetorecht verzichtet hat?
Herr Kollege Gansel, all dies ist mir bekannt. Ich frage mich dann bloß, warum die Regierung Schmidt beispielsweise keine Einwendungen erhoben hat, als 1981 45 Alpha Jets nach Ägypten geliefert wurden, warum die Regierung Schmidt keine Einwendungen bei der Lieferung von Tornados nach Saudi-Arabien erhoben hat,
warum die Regierung Schmidt keine Einwendungen erhoben hat — alles im Zuge der Rüstungskooperation — , als 1977 und 1981 388 Panzerabwehrlenkwaffen von Frankreich nach Ägypten ausgeführt wurden, als 1978 1 000 Milan-Panzerabwehrraketen durch den Kooperationspartner Frankreich nach Syrien ausgeliefert wurden.Herr Kollege Gansel, ich sage das ausdrücklich zu Ihnen persönlich. Ich habe Respekt vor einer Haltung, bei der gesagt wird: Wir wollen diese Rüstungskooperation nicht, und wir wollen einen entsprechenden Export nicht. Aber ich habe wenig Respekt vor einer Haltung, die zu Zeiten der eigenen Regierung Einwendungen auch dann nicht erhebt, wenn in einzel-
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Wissmannnen Fällen sogar ein Vetorecht bestanden hätte, und jetzt hier versucht, eine moralische Position aufzubauen, die bei denen, die damals anders gehandelt haben, heute nicht glaubwürdig ist. Ich finde, das muß hier einmal gesagt werden.
Herr Wissmann, gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Bitte.
Ich wollte nur darauf hinweisen, daß die Tornado-Lieferung an Saudi-Arabien 1985 geschehen ist, auf die Sie sich bezogen haben. Übrigens gibt es einen beträchtlichen Unterschied zwischen der Angriffsversion des Tornado-Bombers und einem Alpha Jet. Aber auch das mit dem Alpha Jet war — davon abgesehen — falsch.
Was ich zum Alpha Jet gesagt habe, ist nicht falsch. 1981 sind 45 Alpha Jets durch den Kooperationspartner ohne Einwendungen der Bundesregierung an Ägypten ausgeliefert worden.
Herr Kollege Gansel, Sie können nicht heute laut aufschreien — mit „Sie" meine ich nicht Sie persönlich, sondern Ihre Fraktion — , wenn Sie damals geschwiegen oder gebilligt haben. Nur das eine oder das andere ist möglich, aber nicht beides zugleich, wenn Sie glaubwürdig sein wollen.
Meine Damen und Herren, im übrigen — Bundesminister Schäuble hat darauf hingewiesen — muß in einer solchen Diskussion wohl auch ein Blick auf die Rolle Jordaniens im Nahen Osten geworfen werden. Es kann für uns nicht unerheblich sein, wie beispielsweise maßgebende israelische Politiker die Rolle Jordaniens und seines Königs Hussein bewerten.
Ich darf Shimon Peres, den heutigen israelischen Finanzminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten, zitieren. Er hat in einem Interview mit der BBC im Jahre 1987 erklärt, Israel müsse sich entscheiden — jetzt zitiere ich wörtlich —, „ob es versucht, über zukünftige Verhandlungen mit der einzigen Partei zu verhandeln, die zu Verhandlungen bereit ist, mit Jordanien".
Und er sagte im Jahre 1986 in einem deutschen Fernsehinterview auf die Frage nach seiner Haltung zu Husseins Plänen für eine internationale Friedenskonferenz wörtlich — ich zitiere wieder — : „Es gibt da fast keine Auffassungsunterschiede zwischen uns. Über die Grundsatzfragen herrscht völlige Übereinstimmung. "
Deswegen gibt es ja wohl über alle Parteigrenzen dieses Hauses hinweg, hoffe ich, eine Einschätzung zur Rolle Jordaniens, wie sie in einem Kommentar der „Stuttgarter Zeitung" vor einiger Zeit ausgedrückt wurde, der sagt:
Hussein gilt seit langem als derjenige arabische Politiker, dem am ehesten ein friedensbringender Schritt, wie ihn der Ägypter Sadat gewagt hatte, zuzutrauen wäre.
Selbst der „Vorwärts" hat im Jahre 1986 unter der Überschrift „Der kleine König hat Mut" die Friedensbemühungen König Husseins hervorgehoben.
Meine Damen und Herren, ich will in diesem Zusammenhang nur sagen: Man kann in dieser Exportfrage natürlich eine andere Auffassung vertreten, als wir es hier tun. Aber man sollte doch bitte nicht den Versuch machen, beispielsweise Libyens Gaddafi und den stabilisierenden Faktor im Nahen Osten, Jordaniens Hussein, in einen Topf zu werfen. Vielmehr sollte man in diesem Hause anerkennen, daß es sich hier um eine stabilisierende, friedensorientierte, brükkenbauende Rolle handelt, die Hussein im Nahen Osten spielt.
Herr Abgeordneter Wissmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Bitte schön, Herr Kollege Schily.
Herr Kollege Wissmann, vertreten Sie die Auffassung, daß die Aussicht auf Friedensgespräche im Nahen Osten, die ja von uns allen unterstützt werden, verbessert wird, wenn Jordanien Tornados geliefert werden, und vertreten Sie gleichzeitig die Auffassung, daß Jordanien als stabilisierender Faktor, wie Sie es genannt haben, seine Rolle noch besser spielen kann, wenn es im Besitz von Tornados ist?
Herr Kollege Schily, ich vertrete die Auffassung, daß die Lieferung von acht Tornados im Hinblick auf die Stärke der israelischen Streitkräfte auf jeden Fall kein Sicherheitsproblem für Israel darstellt und daß man deswegen nicht behaupten kann, daß das Gleichgewicht im Nahen Osten durch die Lieferung von acht Tornados in Gefahr gerät.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hatte zu Zeiten der sozialliberalen Regierung in einer Vielzahl von Fällen vergleichbare Entscheidungen zu treffen. Sie hat damals in vergleichbaren Fällen keine Einwendungen erhoben; ich habe hier Beispiele genannt. Die Bundesregierung stand diesmal wieder vor der Frage, ob sie Einwendungen erheben sollte. Sie hat sie nicht erhoben, vor allem deswegen — —
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9072 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Herr Wissmann, gestatten Sie noch einmal eine Zwischenfrage?
Ich habe jetzt eine Reihe von Zwischenfragen zugelassen. Haben Sie bitte Verständnis, daß ich meine Ausführungen wegen der knappen Redezeit jetzt zu Ende führen muß.
— Herr Kollege Schily, ich lasse eine letzte Frage zu,
wenn die Frau Präsidentin mir die Gelegenheit gibt, dann meine Redezeit zu überziehen.
Die Zeit für die Fragen und Antworten ist nicht angerechnet worden. Er hat aber gerade gesagt: „eine letzte Frage".
Ich bedanke mich sehr. - Herr Kollege Wissmann, ist Ihnen aufgefallen, daß Sie meine zuerst gestellte Frage überhaupt nicht beantwortet haben? Denn ich habe nicht nach dem Gleichgewicht, sondern nach der möglichen Verbesserung oder Verschlechterung der Aussichten für Friedensgespräche und danach gefragt, ob denn der stabilisierende Einfluß von Jordanien dadurch gestärkt werde, wenn Tornados dorthin geliefert würden.
Ich kann diese Frage ganz klar beantworten: Ich erwarte keine Verschlechterung der Chancen für Friedensgespräche durch die Lieferung von acht Tornados an Jordanien.
Ich habe noch einmal gesagt: Ich sehe die stabilisierende und friedensorientierte Rolle Jordaniens im Nahen Osten. Ich glaube, wir müssen uns überlegen, ob wir einen der wenigen stabilisierenden Faktoren dort durch die Entscheidungen der Bundesregierung und durch öffentliche Äußerungen in Mißkredit bringen wollen. Diese Frage müssen wir, meine ich, hier beantworten.
— Meine Damen und Herren, Ihre Argumente gewinnen durch Lautstärke nicht an Gewicht.
Herr Abgeordneter Wissmann, bleiben Sie bei Ihrer angekündigten Haltung gegenüber Zwischenfragen?
Ich habe eine letzte Zwischenfrage zugelassen. Daran möchte ich mich halten. Ich bitte um Verständnis.
Ich sage es noch einmal ganz klar. Wer gegen den Export der acht Tornados eintritt, muß zum einen wissen, daß wir ein Vetorecht nicht hatten,
und er muß zum anderen wissen, daß, wenn wir Einwendungen erheben würden und dies zur Verhinderung von Geschäften führen würde, die gesamte europäische Rüstungskooperation in Frage gestellt wäre. Wir selber müssen hier die Frage beantworten, ob wir die westeuropäische Rüstungskooperation in Frage stellen wollen und ob wir dann noch in der Lage sind, die Finanzierung zu sichern, die wir für die Verteidigung Westeuropas brauchen.
Nur der, der diese Fragen klar beantwortet, hat in dieser Diskussion eine glaubwürdige Position. Entweder so oder so; aber bitte nicht 1977, 1980 und 1981 als SPD das eine mitmachen und heute den moralischen Sittenrichter spielen! Das ist keine glaubwürdige Position.
Das Wort hat der Abgeordnete Kolbow.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, Sie haben sich in Ihren Antworten bemüht. Aber Sie haben im weiteren Teil Ihrer Ausführungen ebenso wie der Kollege Wissmann politische Verrenkungen vorgenommen, um ein Geschäft zu legitimieren, das politisch nur Probleme bringt und geschäftlich auf so wackeligen Füßen steht, daß sich private Banken zur Finanzierung nicht mehr hergeben.
Ihre Antworten, Herr Minister, haben deutlich gemacht, daß Ihre Politik immer der Exportindustrie hinterherhinkt. Sie sind in den Händen dieser Industrie. Die Geister, die Sie riefen, werden Sie nicht mehr los.
Ihre Antworten machen weiter deutlich: Die Umgehung der Haltung der Bundesregierung ist organisiert worden.
Ich habe den Text der Regierungserklärung vor mir liegen, die Ministerpräsident Streibl heute morgen im Bayerischen Landtag abgegeben hat. Hiernach sagte Herr Ministerpräsident Streibl:Der Bundessicherheitsrat hat auch entschieden,daß die Praxis, Hermes-Kredit-Sicherungen fürmilitärische Exporte in Nicht-NATO-Länder
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Kolbownicht zu gewähren, beibehalten werden soll. Man war sich aber darüber einig, daß das deutsche Bankensystem die Finanzierung darstellen sollte,
— so Herr Ministerpräsident Streibl —und zwar wohl dann in Fortsetzungszusammenhang unter bayerischer Federführung.
Herr Minister Schäuble, Sie haben bestätigt, daß die Angelegenheit im Kabinett noch einmal erörtert worden ist. Wir wissen — das konnte man nachlesen, und man sieht es Ihnen auch an, Herr Bundesminister —, daß sich der Außenminister sehr darüber erregt hat, daß nun mit der Bayerischen Landesbank ein Umgehungsgeschäft an Stelle der KfW in Sachen Tornado für Jordanien getätigt wird. Verstehen Sie — auch Sie, Herr Kollege Wissmann — dann nicht, daß sich die Opposition und die aufgeklärten Bevölkerungsteile erregen müssen, daß sie diese Probleme auch hier im Deutschen Bundestag mit allem Nachdruck aufzeigen und Sie in die Pflicht nehmen müssen?
Der Herr Ministerpräsident Streibl sagte in seiner Regierungserklärung heute morgen im Bayerischen Landtag:Die Bundesregierung gab hierfür — für das Geschäft —zunächst auch grünes Licht.
Der Verwaltungsrat hatte faktisch schon zugestimmt. Dann bekam aber der Bundesaußenminister Bedenken
und machte geltend, daß die KfW-Beteiligungnur eine Hermes-Sicherung in anderer Form sei
und deshalb eine Umgehung des Beschlusses des Bundessicherheitsrats darstelle.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Legen Sie — auch als verantwortliches Mitglied der Bundesregierung und als Vizekanzler — hier und heute Ihr Veto gegen dieses Umgehungsgeschäft ein!
Für den bayerischen Ministerpräsidenten war dies offensichtlich auch eine günstige Gelegenheit, sich alsbald ins internationale Rüstungsgeschäft einzufädeln.
Er sah die Chance, sich ganz im Stile seines Vorgängers schon zu Beginn seiner Amtszeit in der Rüstungsbranche einen Namen zu machen.
Die „Stuttgarter Zeitung" hat recht, wenn sie schreibt:
Politisch müssen diese Herren mit der Sensibilität von Dampfwalzen ausgestattet sein.
Während in der Bundesrepublik Export, Moral und Politik auf dem Prüfstand der Nation und der Welt stehen, versucht dieser neue bayerische Ministerpräsident, sein Rüstungsmeisterstück zu machen. Er sorgt in unheiliger Allianz mit dem Bundeskanzler dafür, nach der Beschmutzung der schwarz-rot-goldenen Weste durch Gaddafis Giftfabrik auch noch den weißblauen Janker, den er so gerne trägt, kräftig zu beflekken.
Die Bonner und Münchener Verantwortlichen für diesen Skandal haben eines immer noch nicht begriffen: Moral ist auch beim Waffenexport nicht teilbar.
Diese Bundesregierung hat die Rüstungsexportbestimmungen aufgeweicht und auf das deutsche Vetorecht in Sachen Tornado verzichtet. Dieser Bundeskanzler hat gegenüber deutschen Zulieferern für britische Exportgeschäfte die Endverbleibsklausel, nicht in Länder zu liefern, die nach deutschem Recht Spannungsgebiete sind, preisgegeben.
Aber nun, meine Damen und Herren, betreibt dieser Bundeskanzler mit Hilfe seines neuen bayerischen Spezis selber das Geschäft des Rüstungsexports in die Spannungsgebiete. Ich glaube, da ist auf einer unglaublichen Basis eine neue Männerfreundschaft entstanden!
Die Tornado-Exportfinanzierung ist, so meinen wir, auch in der bayerischen Variante politisch unverantwortlich.
Hier zeigt sich, daß es der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung am politischen Willen zur wirksamen Kontrolle fragwürdiger und unmoralischer Exporte fehlt.
In einem solchen Klima wird auch der Export von Angriffswaffen in ein Spannungsgebiet als nicht mehr anstößig empfunden. Ich meine, der „Spiegel" hat recht: Beim Thema „Waffen für die Welt" gilt in der Bundesrepublik Deutschland unter Bundeskanzler Kohl die Regel: Export um jeden Preis! Den Tod im Angebot gibt es jetzt auch in der bayerischen Filiale!
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Kolbow
Dabei stört die Christlich-Sozialen aus Bayern auch
nicht, daß sich Jordanien noch im Krieg mit Israel befindet und in Spannungsgebieten alle Rüstungsgüter als Kriegsführungswaffen angesehen werden müssen. Die CSU-Entscheidung mit Bonner Rückendekkung rüstet eine offensivfähige jordanische Luftwaffe weiter auf, die über 119 Kampfflugzeuge verfügt.
Noch im Februar 1988 kaufte Jordanien 20 Mirage2000-Kampfflugzeuge für rund 830 Millionen DM und vereinbarte die Modernisierung von 40 vorhandenen Mirage-Maschinen.
Zu den 8 Tornados, um die es heute geht, meine Damen und Herren, sollen 1990 weitere 20 Mirage-Kampfflugzeuge geliefert werden. Mit den durch Deutsche Mark finanzierten 8 Luftangriff-Tornados wird im Nahen Osten — da können Sie reden, soviel und was Sie wollen, Herr Kollege Schäuble — auch militärisch destabilisiert.
Durch die immer weitere Anhäufung von Waffen in dieser hoch explosiven Region wird jede Friedensbemühung zunichte gemacht.
Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident Streibl hat heute im Landtag dargelegt, daß die Arbeitsplatzproblematik hier eine Rolle spielt.
Ich meine, daß das in diesem Falle kein Argument ist. Wenn Sie es uns nicht glauben, dann lassen Sie sich von der „Welt" überzeugen, in der sogar Herr von Loewenstern am 26. Oktober 1988 unter dem Titel „Tornados nach Nahost" geschrieben hat:
Natürlich heißt es, daß damit Arbeitsplätze gesichert würden. Das hört sich zwar gut an, ist aber sachlich schief und moralisch unbefriedigend — wir können nicht Arbeitsplätze dadurch sichern, daß wir das Leben anderer Menschen aufs Spiel setzen, am allerwenigsten das von Juden.
Wir haben uns hier im Deutschen Bundestag, meine Damen und Herren, versichert: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen, auch nicht durch Rüstungsexporte, auch nicht durch deutsche Lief erungen von Waffenkomponenten und Waffentechnologien und auch nicht durch Geld. Diese Gemeinsamkeit dürfen die CSU und diese Bundesregierung — in Bonn und in Bayern — auch mit ihrer umfassenden Verquickung mit Banken und Industrie nicht aushebern.
Ich meine, gerade die Bundesrepublik und ihre Länder können aus politischen Gründen eben nicht alles tun, was das Strafgesetzbuch nicht untersagt.
Wir fordern die Bundesregierung und die Bayerische Staatsregierung auf, jede Anstrengung zu unternehmen, daß dieses Rüstungsgeschäft rückgängig gemacht wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Gestatten Sie mir zu Beginn einige grundsätzliche Bemerkungen.Erstens. Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind, gemessen an unserem Bruttosozialprodukt, der größte Exporteur der Welt. Der Anteil von Kriegswaffen an unserer Ausfuhr beträgt aber gerade 0,45 %.Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht der Hauptwaffenexporteur der Welt. Diese Liste führen andere Länder an, denen wir dabei auch gerne den Vortritt lassen.Drittens. Von den 2,4 Milliarden DM Kriegswaffenausfuhren in 1987 gingen 1,1 Milliarden DM in Nicht-NATO- oder diesen gleichgestellte Länder. Nur etwa 115 Millionen DM waren davon Landwaffen und Flugzeuge.
Es gibt deswegen auch keinen Grund, von einer ausufernden Waffenexportpraxis der Bundesrepublik zu sprechen oder der Bundesregierung ein generelles Abweichen von ihrer restriktiven Linie zu unterstellen.Nun zum konkreten Fall. Die FDP-Fraktion hat im Oktober 1988, als bekannt wurde, daß die Kreditanstalt für Wiederaufbau die Kreditfinanzierung von Teillieferungen der Tornado-Flugzeuge an Großbritannien mit Bestimmungsziel Jordanien unternehmen wollte, nach eingehender Debatte den Bundesminister für Wirtschaft gebeten, im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf einer Diskussion dieses Themas zu bestehen und eine Finanzierung über das Bankinstitut des Bundes zu verhindern. Ich stelle fest, daß nach Auffassung der FDP-Fraktion auch andere öffentlich-rechtliche Banken diese Finanzierung nicht übernehmen sollten.
Meine Damen und Herren, die FDP bekennt sich nach wie vor zu den Grundsätzen der Bundesregierung für Rüstungsexport, die bereits in der Regierung Schmidt/Genscher aufgestellt worden sind. Nach diesen Grundsätzen werden erstens die Lieferung von Kriegswaffen in Spannungsgebiete und zweitens die staatliche Bürgschaftsgewährung für Lieferung von Kriegswaffen ausgeschlossen. Darüber hinaus wird die Finanzierung von Waffenkäufen in diesen Richtlinien nicht angesprochen.Wenn die Entscheidung über das Jordanien-Geschäft in alleiniger deutscher Verantwortung gestanden hätte, so wäre nach den Grundsätzen diese Lieferung nicht genehmigungsfähig. Es ist eine Tatsache, meine Damen und Herren, daß trotz der konstruktiven Rolle, die das Königreich Jordanien im Nahen Osten spielt — und da stimme ich Herrn Bundesminister Schäuble ausdrücklich zu —, der Kriegszustand zwischen Israel und Jordanien anhält.
Meine Damen und Herren, moderne Waffensysteme können in Europa wegen des enormen Aufwandes nur in internationaler Kooperation herge-
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Beckmannstellt werden. Hierzu haben sich in der Vergangenheit alle Fraktionen dieses Hauses bekannt.
Es ist aber auch zu beachten, daß ein Vetorecht in den Kooperationsverträgen mit den NATO-Partnern zur Herstellung von Verteidigungswaffen nicht besteht. Es gibt statt dessen eine Konsultativklausel, die nur eine Einrede bei Exportgeschäften, die der Partner beabsichtigt, erlaubt.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Verantwortung im Juni vergangenen Jahres im Bundessicherheitsrat die Gründe sorgfältig abgewogen und nach eigenem Bekunden keine Einwände gegen dieses Geschäft geltend gemacht. Angesichts der Entschlossenheit der britischen Seite, dieses Geschäft durchzuführen, hätte eine Einrede das Geschäft auch nicht verhindert.
Wenn nun die Opposition glauben machen will, die Bundesregierung hätte die in eigener Verantwortung handelnde britische Regierung von diesem Geschäft abbringen können, so täuscht sie sich und uns. Dieses Geschäft war nicht zu verhindern.
Es gibt nun, meine Damen und Herren, die Alternative, entweder keinerlei Rüstungskooperationen mehr einzugehen oder einzugestehen, daß unser Einfluß auf die Entscheidung unserer Partner in diesen Fällen außerordentlich begrenzt ist.Für die FDP-Fraktion stellt die finanzielle Seite dieses Geschäfts ein besonderes Problem dar. Die rüstungsexportpolitischen Grundsätze der Bundesregierung untersagen bewußt die staatliche Verbürgung solcher Exportgeschäfte. Wir sollten — das ist die Auffassung der FDP-Fraktion — auf jeden Fall auch den Einstieg in staatsfinanzierte Rüstungsexportgeschäfte vermeiden.
Nachdem der Bundessicherheitsrat eine Hermes-Bürgschaft für dieses Exportgeschäft ausdrücklich abgelehnt hatte und nachdem die Bundesregierung, auch auf Grund der Diskussion im Deutschen Bundestag, die Finanzierung durch die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau unterbunden hatte, mußte jeder Verantwortliche wissen, daß eine Finanzierung des Tornado-Exports nach Jordanien durch Banken in Staatsbesitz nicht gewollt war.
Die FDP-Fraktion beanstandet, daß die Landesbank eines Bundeslandes, zu deren Aufgaben sicherlich zuallerletzt die Exportfinanzierung für Rüstungsgüter gehören kann, jetzt eine führende Rolle in diesem Geschäft übernimmt.
Die Verantwortung für die Mitwirkung der Bayerischen Landesbank bei diesem Exportgeschäft liegt bei der zuständigen Bayerischen Staatsregierung.
— Ich wäre jetzt, meine verehrten Kollegen von der SPD, nicht ganz so laut.Sie liegt natürlich auch bei den Beschlußorganen der Bayerischen Landesbank.
Wenn ich davon Kenntnis nehmen muß, daß Ihr Spitzenfunktionär und SPD-Oberbürgermeister von München im Kreditausschuß diesem Exportgeschäft zugestimmt hat, dann sollten Sie sich ein bißchen bescheidener verhalten.
Herr Abgeordneter Beckmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolbow?
Nein, ich möchte meinen Gedanken jetzt erst einmal fortführen, Frau Präsidentin.
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion lehnt die Art der Finanzierung dieses Geschäfts ab. Sie warnt nachdrücklich davor — —
— Wer hat das Wort, Frau Präsidentin, Herr Vogel oder ich?
Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter Beckmann.
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion warnt nachdrücklich davor, zukünftig weiter in die Kreditfinanzierung von Rüstungsexporten in Spannungsgebiete unter Einbeziehung staatlicher Stellen abzugleiten. Für uns hat das Argument, solche Exporte sicherten Arbeitsplätze, keinerlei Bedeutung bei der Entscheidungsfindung.
Kriegswaffenexporte auf Kredit in die Dritte Welt sind ein sehr gefährlicher und langfristig auch für unsere Wirtschaft sicherlich nicht rentierlicher Weg.
Die Beteiligten sollten ihn schleunigst wieder verlassen.
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9076 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
BeckmannMeine Damen und Herren, zur Vermeidung künftiger Probleme sollte die Bundesregierung anstreben, mit unseren Partnern zu gemeinsamen Grundsätzen für den Kriegswaffenexport zu kommen. Falls dies nicht erreichbar ist, so fordert die FDP die Bundesregierung auf, zumindest bei den Kooperationen Mindeststandards für den Export vertraglich zu vereinbaren wie z. B. die Unterlassung von Lieferungen in Kriegs- und Spannungsgebiete.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippelt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer das Protokoll jener denkwürdigen Fragestunde im Oktober genau nachliest, wird feststellen müssen, daß es damals zu einer einheitlichen Willensbildung dieses Hauses gekommen ist.
Ihr Kollege Lamers hat den Parlamentarischen Staatssekretär Voss gefragt, ob er nicht die Willensbildung des gesamten Hauses zur Kenntnis nehmen wolle. Herr Bohl, Sie waren damals im Vergleich zu Herrn Lamers ein Einzelgänger.
Wer das zur Kenntnis nimmt, muß wissen, daß hier ganz eklatant, Herr Minister, auf dem Weg über Bayern — das ist das verfassungsmäßig Empörende — eine Willensbildung dieses Hauses, über alle Fraktionen hinweg, unterlaufen worden ist. Das ist der eigentliche Skandal.
Herr Minister, Sie haben uns jetzt im Kammerton einen Brief vorgelesen; Sie haben ihn zweimal vorgelesen. Ich frage mich einfach: Warum haben Sie der Bayerischen Staatsregierung außer der Tatsache, daß die Regierung im Bundessicherheitsrat dieses und jenes gemeint hat, nicht mitgeteilt, daß dieses Haus hier anschließend über sämtliche Fraktionen hinweg eine andere Meinung zum Ausdruck gebracht hat?
Diese Mitteilung habe ich in Ihrem Brief vermißt.
Ich frage mich: Haben Sie dieses Protokoll jemals nachgelesen? Was lesen Sie eigentlich, wenn Sie in Ihrem Amtszimmer sitzen? Sie lesen den Brief der britischen Premierministerin, aber Sie lesen nicht die Protokolle dieses Hauses.
Herr Abgeordneter Lippelt, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Bohl?
Immer gern.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es im Oktober einen Beschluß des Deutschen Bundestages in dieser Frage nicht gegeben hat?
Selbstverständlich nehme ich das zur Kenntnis, Herr Bohl. Aber nicht nur in Beschlüssen drücken sich Einigkeiten in diesem Hause aus. Das Bedauerliche ist doch, daß Beschlüsse auf Grund Ihrer Tätigkeit als Fraktionseinpeitscher nie einen Gesamtwillen zum Ausdruck bringen können, sondern immer nur einen Regierungswillen.
Das ist Ihr „Verdienst". Nur in seltenen Sternstunden des Parlaments kommt der Wille des Hauses zum Ausdruck. Genau dieses nimmt diese Regierung nicht zur Kenntnis.
Sie haben uns hier den Brief vorgelesen. Sie haben sich des verantwortungsvollen Handelns gerühmt. Jetzt frage ich mich ganz einfach: wem gegenüber verantwortlich? Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie; viele meinen das ja, aber gelegentlich zweifelt man daran. Aber dann besteht doch die erste Verantwortlichkeit uns gegenüber und nicht gegenüber der britischen Premierministerin.
Ich habe die Hoffnung — damit möchte ich diese kurze Intervention hier beenden —, daß der Außenminister in diesem Punkt anders denkt.
Deshalb, Herr Außenminister, meine ich, Sie sollten gegenüber diesem Hause heute noch zeigen, daß zumindest Sie dieses Haus anders achten als beispielsweise der Staatsminister Schäuble.
Es wird um das Wort gebeten. — Herr Karsten Voigt.
Frau Präsidentin, für die SPD möchte ich die Herbeirufung des Bundesfinanzministers Stoltenberg beantragen. Wir haben hier eine Debatte, die wesentlche Aspekte seines Hauses berührt. Er steht wesentlich auch in der Rechenschaftspflicht. Es sind Zweifel an der Tätigkeit in seinem Hause aufgekommen, die seinen Zuständigkeitsbereich betreffen. Wir sind der Meinung, daß er sich dieser Rechenschaftspflicht auch stellen sollte, indem er hier erscheint.Wir kritisieren, daß er die Sitzung dieses Parlaments verlassen hat.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9077
Zu dieser Geschäftsordnungsfrage hat der Abgeordnete Bohl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dagegen sprechen. Sachverhalt ist, daß der Herr Bundesfinanzminister durch mich bei der SPD-Fraktion hat anfragen lassen, ob er wegen einer Verpflichtung, die er mit den Obleuten des Haushaltsausschusses eingegangen war, die Sitzung früher verlassen könne. Herr Kollege Ehmke hat mir mitgeteilt, daß die SPD-Fraktion nicht dazu bereit sei, ein solches Einverständnis zu geben.
Daraufhin hat der Bundesfinanzminister gesagt, daß er in die Parlamentarische Gesellschaft hinübergehen möchte
— so ist es —, den dort anwesenden Kollegen dieses mitteilen und um Verständnis bitten möchte, daß er die Einladung zum Mittagessen nicht wahrnehmen könne. Er sei in wenigen Minuten zurück.
Der Herr Bundesfinanzminister wird also in zwei, drei Minuten wieder hier sein. Ich meine, deshalb könnte der Antrag abgelehnt werden.
— Danke schön.
Herr Abgeordneter Voigt.
Der Antrag wird zurückgezogen; es sei denn, der Bundesfinanzminister kommt nicht in wenigen Minuten.
Es ist eine Aussage gemacht worden, daß er in wenigen Minuten zurück ist.
Frau Abgeordnete Unruh.
Ich frage: Wo ist der Herr Bundeskanzler? Wir haben es in dieser ganzen Sache ständig nur mit dem Herrn Minister Schäuble zu tun.
Wo er ist, ist keine Frage zur Geschäftsordnung, die hier ansteht. Diese Erklärung weise ich zurück.
Der Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes ist hier anwesend.
— Wird jetzt ein neuer Geschäftsordnungsantrag gestellt? Oder wollen Sie ihn hiermit stellen?
Ja, im Namen der Fraktion DIE GRÜNEN frage ich: Wo ist der Kanzler?
— Wo er ist?
Ich frage Sie noch einmal: Ist das ein Antrag oder eine Frage?
— Ich stelle hier fest, daß es sich nicht um einen Antrag handelt; und damit ist die Frage hier in den Raum gestellt.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hamm-Brücher.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, nicht weil ich in der Sache selber meinem Kollegen Beckmann noch etwas hinzuzufügen hätte, sondern weil ich hier offenlegen möchte, was in den Gesprächen der letzten Tage viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause in diesem ganzen schwierigen, sensiblen Komplex von Rüstungsexporten eigentlich umtreibt. Es handelt sich hier nicht um irgendwelche vordergründigen Dissense mit der Bundesregierung, sondern um Konflikte, die noch einige Etagen tiefer gehen.
Ich möchte hinzufügen, daß mich diese Konflikte nicht erst in dieser Koalition beschäftigen, die mich vielmehr auch schon in der sozialliberalen Koalition anläßlich von mir auch schon damals unverständlichen Auslegungen unserer Rüstungsexportbestimmungen beschäftigt haben. Ich möchte das ganz ausdrücklich sagen, weil es mir in so einer Debatte grundsätzlich sehr wichtig erscheint. Frau Kollegin Matthäus-Maier, uns drückte die gleiche Gewissenhaftigkeit, mit der wir mit solchen Fragen umgehen wollten.
— Ich will das gar nicht für mich reklamieren, Frau Kollegin; ich möchte nur einfach einmal sagen, was hier viele umtreibt, damit wir das vielleicht auch für künftige Oktrois beachten können. Denn das wird uns hier im Deutschen Bundestag ja alle bedrücken. Wir haben keine Möglichkeit, hier irgendwie mitzureden, sondern müssen, wenn es kommt, solange wir Abgeordnete der Regierungsparteien sind, irgendwo die Kröten schlucken. Das hat auch gewisse Grenzen, jedenfalls für viele Kolleginnen und Kollegen.Meine Damen und Herren, der erste Konflikt, der mich in diesem Zusammenhang drückt, ist, daß wir klare Bestimmungen unseres Kriegswaffenkontrollgesetzes haben, das die Lieferung in Spannungsgebiete verbietet. Bei dem fraglichen Kooperationsprojekt handelt es sich ganz eindeutig um eine Lieferung in Spannungsgebiete. Es ist hier wiederholt gesagt
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9078 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Frau Dr. Hamm-Brücherworden: Dieser Export wäre als deutscher Export nicht möglich gewesen.
Jetzt kommt zur Rüstungskooperation das ständige Argument, hier hätten wir kein Mitspracherecht und seit 1983 auch kein Vetorecht. Nun verstehen Sie doch bitte den Konflikt, wie wir unseren Bürgern und uns selber eigentlich erklären sollen, daß etwas zwar verboten ist, aber, wenn es auf dem Wege der Kooperation geschieht, nicht revidierbar ist.
Ich komme zu dem Ergebnis, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir wirklich darüber nachdenken sollten, ob die Tatsache, daß es in diesen Kooperationsentscheidungsprozessen kein Veto geben kann, nicht revidiert werden muß; oder wir müssen unser Kriegswaffenkontrollgesetz in diesem Punkte eben ändern. Aber machen wir uns doch nichts vor: Diese Doppelgleisigkeit geht nicht!
Als zweites möchte ich sagen: Was für die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau hier in diesem Hause Konsens war, ist doch mindestens auch billig für eine bayerische staatlich finanzierte Bank und deren Übereinkünfte.
Auch das ist ein Konflikt, den ich persönlich draußen niemandem erklären kann. Herr Minister Schäuble, es tut mir wirklich leid, ich respektiere voll das, was Sie hier gesagt haben. Aber daß hier nun ein wesentlicher Unterschied zu der großen und für mich wichtigen Diskussion, die wir hier im November hatten, sein soll, kann ich nicht einsehen.
Als nächstes — auch das ist Konsens — möchte ich unsere Verantwortung für den Staat Israel ansprechen. Jordanien befindet sich im Krieg mit Israel. Der israelische Botschafter hat mir vorgestern gesagt — bei aller Einsicht und auch Erkenntnis, daß Jordanien friedenstiftende Bemühungen in dieser Region versucht hat — : Diese Flugzeuge sind in fünf Minuten in Jerusalem und können dort ihre tödliche Last abwerfen. — Wollen wir wirklich eines Tages mit der Last leben, daß solche Flugzeuge — unter welchem Regime auch immer; in dieser Region ändert es sich ja so schnell — nach Israel wieder Bomben transportiert haben? Ich persönlich kann es nicht.
Deshalb werde ich in dieser Sache nicht in irgendeiner Weise — laut oder leise — zustimmen können.Wir müssen die Rüstungsexportspirale anhalten! Wir kommen in eine uferlose Folge solcher Genehmigungen. Ich bin der Meinung, daß es wichtig wäre, darüber nachzudenken, ob wir unsere Rüstungsexportpolitik nicht wieder wie früher beschränken sollten, wie es jahrzehntelang gültig war, nämlich nur aufNATO-Länder und nur in befreundete Länder diese Art von Rüstungsexporten zu genehmigen.
Das letzte, was ich sagen möchte, betrifft die Ohnmacht des Deutschen Bundestages in solchen Angelegenheiten. Ich war nie dafür, exekutive Entscheidungen mit legislativer Verantwortung zu vermischen. Aber ich mache mir mehr und mehr Gedanken, ob es nicht ein vernünftiger Riegel gegen solche Exportversuche wäre, wenn wir in irgendeiner Weise ein Kontrollgremium im Deutschen Bundestag einrichten würden, das vor solchen sensiblen Entscheidungen befragt wird, wie wir das auch in anderen Fragen machen.
Ich will das hier gar nicht vertiefen, ich will es nur als Anregung in den Raum stellen.Denn, meine Damen und Herren, was hat uns denn diese damalige wichtige Debatte eigentlich genützt? Sind wir hier für die Bundesregierung am Ende nur noch da, um so etwas ablaufen zu lassen, und dann werden daraus keine Konsequenzen gezogen? Ich bitte die Herren der Regierung wirklich einmal ernst zu nehmen, daß der Deutsche Bundestag die Vertretung des ganzen Volkes ist, daß wir unserer Bevölkerung gegenüber Rechenschaft ablegen müssen und daß uns keine Bundesregierung und keine Koalitionsräson die Gewissenhaftigkeit bei der Ausübung unseres Mandats abnehmen kann.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Ehmke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Schicksal der Regierung kann der Opposition ja eigentlich egal sein;
aber ich muß sagen, ich bin als Bundesbürger alarmiert darüber, daß diese Bundesregierung dabei ist, in den Ruf von Unzuverlässigkeit, Opportunismus, Doppeldeutigkeit und Unverantwortlichkeit zu versinken, und daß die einzige, die das nicht merkt, offenbar die Bundesregierung selber ist.
Bei dieser wichtigen Debatte ist der Kanzler nicht anwesend.
Der Herr Staatsminister im Kanzleramt
zeigt in einem Referendarvortrag, daß er die politischeDimension der Sache noch immer nicht verstandenhat, und der Herr Außenminister schweigt. Herr Au-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9079
Dr. Ehmke
ßenminister, ich komme darauf gleich des längeren noch zurück.Nun geht es ja nicht darum, Herr Schäuble, daß die Schwierigkeiten der Rüstungsindustrie und der Rüstungskooperation nicht bekannt sind. Das kennen wir natürlich aus eigener Erfahrung. Wenn man für die Bundesmarine eigene U-Boote bauen will und Überkapazitäten hat, dann fängt man an, Möglichkeiten für den Export zu suchen. Das gleiche gilt für die Panzer. Man weitet die Exportkapazitäten aus, und dann sucht man noch mehr in der Welt herum.
Wir kennen auch die Schwierigkeiten, die sich in der Rüstungskooperation in der NATO ergeben. Das alles ist doch ganz unbestritten; das sind doch Banalitäten. Tatsache ist nur — die wird von Ihnen nun völlig unterdrückt — , daß alle diese Dinge dem deutschen Ansehen und der deutschen außenpolitischen operativen Fähigkeit Schaden zufügen, Fall für Fall.
Das muß natürlich auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte gesehen werden. Wir sind eben nicht wie jeder andere Staat, auch wenn wir uns das wünschen.Nun haben der Kollege Schäuble — ich stimme ihm da völlig zu — und auch die Sprecher der Union gesagt: Na gut, auch die SPD hat sich damit schwergetan. Das ist richtig; mit allen diesen Fragen haben auch wir uns schwergetan. Nur, Frau Hamm-Brücher: Was war der Unterschied? Der Unterschied war, daß die SPD-Bundestagsfraktion gegenüber ihrer eigenen Regierung einen erbitterten Streit darum geführt hat, daß wir bei einer restriktiven Exportpraxis bleiben. Ich erinnere etwa an den Streit der Fraktion über den Export der beiden U-Boote nach Chile. Ich erinnere Sie daran, daß unsere Bundestagsfraktion Helmut Schmidt einstimmig den Plan kaputtgemacht hat, Leo-2-Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern.
Diesen Unterschied sollten Sie bitte nicht ganz vergessen.Wo der Mangel an Erinnerung, Herr Kollege Schäuble, in Heuchelei, muß ich leider sagen, übergeht, ist folgendes: Wir hatten schon während der Regierungszeit der Regierung Schmidt/Genscher die Exportrichtlinien von 1982 wesentlich verschärft. Da, gnädige Frau, war auch ein Gremium der Fraktionsvorsitzenden vorgesehen, das vor schwierigen Exportfragen unterrichtet werden mußte. Nur, die gleichen Exportrichtlinien, auf die sich Herr Schäuble heute auch noch berufen hat, hat Bundeskanzler Kohl abgelehnt zu übernehmen, und Ihre Fraktion hat keinen Widerstand geleistet, als das Gremium abgeschafft wurde, dessen Einführung Sie heute fordern.
— Gleich, Herr Kollege Hirsch.Das gilt nicht nur für die Exportrichtlinien; das gilt auch für unseren Entwurf eines Rüstungskontrollgesetzes. Wir haben doch nicht erst in dieser Legislaturperiode ein Gesetz vorgelegt, das alle diese Schwächen beseitigen will. Aber Sie, auch die FDP, haben es in der vorigen Legislaturperiode abgelehnt, und in dieser Legislaturperiode haben wir es bis jetzt noch nicht auf den Tisch bekommen.Ich freue mich ja, daß Sie jetzt das sagen, was wir seit langem sagen. Aber dann darf man es nicht nur sagen. Dann muß die FDP auch Nägel mit Köpfen machen und zu einem solchen Gesetz stehen, wenn es hier zur Abstimmung steht.Bitte.
Herr Kollege, wenn Sie eine so gute Erinnerung haben, können Sie mir dann nicht auch bestätigen, daß die von unserer Fraktion gewünschte Parlamentarisierung oder eine parlamentarische Kontrolle von Waffenexporten von dem damaligen Bundeskanzler Schmidt abgelehnt worden ist?
Nein, das kann ich Ihnen nicht bestätigen. Vielmehr gab es einen Riesenstreit. Er endete mit dem Kompromiß, der die vorherige Unterrichtung in diesen Exportrichtlinien festgelegt hat.
Dann kam Herr Kohl und hat gesagt, er werde das nicht anwenden. Er hat uns angeboten, uns nur nachträglich zu informieren. Das hat die SPD abgelehnt, weil wir uns nicht zum Feigenblatt von krummen Waffenexportgenehmigungen machen lassen. Wir sind jetzt also ganz aus dem Gebiet draußen.
Herr Abgeordneter Dr. Ehmke, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ihnen kann ich nicht widerstehen.
Herr Kollege Ehmke, stimmen Sie nicht mit mir in der Erfahrung überein, daß man in der Politik eigentlich nie etwas im ersten Anlauf schafft, sondern daß es darauf ankommt, wenn man Erfahrungen gesammelt hat und entschlossen ist, auch einen zweiten, dritten, vierten, fünften Anlauf zu wagen, und daß man das niemandem vorwerfen, sondern lieber sagen sollte: Na, versuchen wir, noch einmal neu nachzudenken?
Gnädige Frau, ich stimme Ihnen zu. Aber ich wäre dankbar, wenn wird es im zweiten Anlauf schaffen könnten und auf den dritten, vierten und fünften nicht warten müßten.
Nein, das Problem, das entstanden ist, Herr Bundesaußenminister, ist, daß mit dem Antritt der neuen Regierung — bei allen Schwierigkeiten, die es vorher gab — signalisiert wurde: Jetzt wird das nicht mehr so ernst genommen. Das hielt man für smart. Im Grunde war es verantwortungslos.
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9080 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Dr. Ehmke
Nun lassen Sie uns zum Tornado kommen nach der ganzen Rumrederei von Herrn Schäuble. Daß Sie kein Vetorecht mehr haben, liegt daran, daß Sie gegenüber den Briten darauf verzichtet haben. Das ist eben dargelegt worden.
Dann gehen Sie noch weiter: Sie sagen nicht nur, daß wir auf das Vetorecht verzichten. Jetzt fangen wir auch noch an, offiziell zu finanzieren. Das war der erste Punkt.
Also Hermes. Da wurde gesagt: Nein. Dann kommt die erste Umgehung: Kreditanstalt für Wiederaufbau. Dann haben wir — nicht nur wir, auch Kollegen der FDP und einige der Union — Krach gemacht. Dann ist Herr Stoltenberg — darum haben wir auch gebeten, daß er ins Plenum zurückkommt — hier hochgegangen und hat gesagt: Wir haben mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau geredet. Sie geben keinen Kredit.Jetzt gehen Sie in die zweite Umgehung, holen sich die Bayerische Landesbank. Herr Streibl sagt — wie eben der Kollege Kolbow zitiert hat —, daß man schon bei der Ablehnung der Hermes-Bürgschaften erklärt habe, das müsse das deutsche Finanzsystem machen.
— Hier ist Herr Streibl zitiert worden, der die internen Vorgänge besser kennt als ich.Und dann wundern Sie sich, wenn sich draußen in der Welt der Eindruck vertieft, daß diese Bundesregierung in Sachen Waffenexport unzuverlässig ist und daß für Sie ganz offensichtlich Geschäftsinteressen der Rüstungsindustrie wichtiger sind als das Interesse am Frieden und an der Unbeschädigtheit der Völker, wichtiger auch als der außenpolitische Ruf der Bundesrepublik.
Herr Bundesaußenminister, ich glaube nicht, daß Sie sich hier verschweigen können. Ich weiß, daß Sie in Anspruch nehmen können, bei vielen Gelegenheiten gebremst zu haben. Ich weiß das. Wir haben in den Zeitungen gelesen, daß Sie auch in dieser Sache widersprochen haben. Ihre Fraktion hat das noch einmal dargelegt. Aber es reicht in einer so grundlegenden Frage der deutschen Außenpolitik nicht aus, immer nur den Mund zu spitzen und nicht zu pfeifen.
Sie sehen sich nicht nur mit dieser Frage konfrontiert. Sie sehen sich mit der Frage des Exports von Chemiewaffen oder -anlagen konfrontiert. Vier Jahre läuft die Sache Irak, und die Bundesregierung hat nichts gemacht; sonst hätte sie von Libyen gar nicht überrascht werden können. Jetzt läuft die Geschichte weiter. Am Anfang waren Sie empört, daß uns Vorwürfe gemacht werden. Nach einer Weile sagen Sie dann: Die treffen zu. Wir wissen immer noch nicht, was nun Ihre Erkenntnisse sind. Herr Stoltenberg sagt am Morgen: Wir wissen jetzt, daß in Libyen eine CWaffen-Fabrik gebaut wird, Herr Ost sagt am Nachmittag: Das wissen wir nicht, Herr Schäuble sagt im Bundestag: Es ist doch eine. Das ist ein Dilettantismus — das ist die mildeste Auslegung, die ich vornehmen kann — einer deutschen Regierung, daß einem als Staatsbürger angst und bange werden kann.
Dann kommen wir zu den B-Waffen. Da sagen Sie: Genaues wissen wir nicht. Aber die Staatsanwaltschaft sagt: Es ist nicht so sicher, was daran ist.Auch bei dem Export von Nuklearanlagen sagt die Staatsanwaltschaft, wie Sie gestern gehört haben, sie habe inzwischen einen dringenden Tatverdacht.Ausgerechnet ein Land, zu dessen politischer Stärke es gehört, auf A-, B- und C-Waffen verzichtet zu haben, bringt sich Woche für Woche und Monat für Monat in das Zwielicht der Heuchelei, daß es einerseits sagt „Wir machen keine solchen Waffen für uns selbst", andererseits aber ein Auge zukneift, wenn sie nach außen transportiert werden.
Herr Abgeordneter Ehmke, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Wir haben zwar eine großzügige Auslegung vorgenommen, aber wir haben jetzt erheblich überzogen.
Frau Präsident, ich komme zum Schluß.Herr Genscher, ich bin der Meinung, Sie können sich hier aus zwei Gründen nicht verschweigen: Erstens hat Ihre FDP-Fraktion hier durch den Kollegen Beckmann wie auch durch Frau Hamm-Brücher klargemacht, daß sie mit diesem Geschäft und dieser Vorgehensweise nicht einverstanden ist. Das muß ja nun irgendwelche Folgen haben.
Zweitens. Sie waren gegen diese Finanzierung. Herr Schäuble hat hier erklärt — ich wollte gerade den Außenminister ansprechen, Herr Schäuble —, daß jemand, der in dieser Frage anders denkt als er — nämlich daß das mit den Engländern in Ordnung ist, daß man das laufen lassen sollte, daß auch die Finanzierung, auch die durch Bayern in Ordnung ist — , kein rechtes Verhältnis zum Bündnis und zu der Aufgabe habe, Frieden und Freiheit zu verteidigen. Diesen Schuh, Herr Bundesaußenminister, sollten Sie sich bitte anziehen. Denn Sie sind ja wie wir gegen dieses Geschäft.Ich bitte Sie dringend — wir kennen uns gut genug, daß Sie wissen, in welchem Geist ich das sage — —
— Herr Schäuble, Sie kennen gar nichts; das ist wahr. Aber Herr Genscher und ich, wir kennen uns gut genug, daß ich ihm sagen kann: Lassen Sie nicht die Glaubwürdigkeit des deutschen Außenministers in dieser Frage weiter beschädigen! Nehmen Sie hier Stellung!
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9081
Das Wort hat der Bundesminister Schäuble.
— Es war die Wortmeldung des Bundesministers Schäuble angemeldet. Es liegt jetzt auch die Wortmeldung des Bundesministers Genscher vor.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte einen einzigen Satz sagen, weil mir daran liegt, daß nicht Widersprüche konstruiert werden, wo keine sind.
Wenn der bayerische Ministerpräsident im Bayerischen Landtag, wie der Kollege Kolbow zitiert hat, gesagt haben soll, was ich nicht weiß, daß mit der Ablehnung einer Hermes-Verbürgung dieses Geschäftes die Erwartung verbunden gewesen sei, daß die Finanzierung durch das deutsche Bankensystem dargestellt werde, dann ist dies überhaupt kein Widerspruch. Denn wir haben ja gerade gesagt: Es ist nicht Sache des Bundes, ein solches Geschäft zu verbürgen. In der Logik liegt natürlich, daß es, wenn es zu finanzieren ist, durch das deutsche Bankensystem finanziert werden muß.
Das Wort hat der Bundesminister Genscher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Aussprache wird niemanden unberührt lassen können; das Thema sollte es ohnehin nicht. Ich denke, daß wir die Aussprache auch mit dem notwendigen Respekt vor der Haltung anderer, auch vor einer in der Sache möglicherweise anderen Haltung, führen sollten.Ich war von dem beeindruckt, was meine Fraktionskollegin Frau Hamm-Brücher im Anschluß an den Sprecher der FDP-Fraktion, Herrn Kollegen Beckmann, gesagt hat, der hier in einer sehr eindrucksvollen Weise die Haltung der FDP-Fraktion zum Ausdruck gebracht hat. Das sind Fragen, die an den Kern unserer moralischen Verantwortung gehen.Ich denke, es wird mich niemand kritisieren, wenn ich aus einem Protokoll des Bundessicherheitsrates vom 3. März 1982 zitiere. Dort gab es eine Diskussion über die hier bekannten Richtlinien. Da ist auf Seite 3 folgende Bemerkung festgehalten:Bundesminister Genscher möchte festgehalten wissen, daß bei Abwägung unserer Gesamtinteressen auch die geschichtliche Verantwortung der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk berücksichtigt wird.Der Bundeskanzler stellt hierzu ausdrücklich allgemeines Einverständnis fest.Wir haben politische Grundsätze verabschiedet. Wir hatten Verhandlungen mit der britischen Regierung über das Verhalten bei Kooperationsabkommen aufzunehmen. Die Bundesregierung ist in diese Verhandlungen in der Absicht hineingegangen, das früher vorhandene Vetorecht zu bewahren, um unsere rüstungskontrollpolitischen Auffassungen weitgehend durchsetzen zu können. Sie wissen aber auch, daß es in den damals verabschiedeten Richtlinien heißt:Deshalb ist bei allen neu abzuschließenden Kooperationsvereinbarungen für den Fall des Exports durch das Partnerland grundsätzlch ein Konsultationsverfahren zu vereinbaren, das der Bundesregierung die Möglichkeit gibt, Einwendungen geltend zu machen.Nicht: ein Vetorecht geltend zu machen.Das waren die Richtlinien der Bundesregierung. Herr Kollege Gansel, die können Sie kritisieren, oder denen können Sie zustimmen. Nur, das dann mit den Engländern vereinbarte Abkommen, das die neue Regierung abgeschlossen hat, trägt dieser Formulierung in den Richtlinien der früheren Regierung Rechnung.
Das Vereinigte Königreich hat sich bei den Verhandlungen darauf berufen, daß wir bei den Kooperationen mit Frankreich ein solches Vetorecht nicht hatten, sondern daß wir bei den Kooperationen mit Frankreich praktisch passieren lassen mußten, was der Kooperationspartner tat. Sie wissen, daß die Unterschrift unter dieses Abkommen mit Frankreich von einem sozialdemokratischen Verteidigungsminister geleistet worden war.Ich möchte Ihnen einmal aus meiner Erfahrung in einer langen Regierungszeit sagen: In all diesen Fragen habe ich niemals eine übereinstimmende Haltung in meiner eigenen Partei und in der Partei des jeweiligen Koalitionspartners feststellen können. In der Zusammenarbeit mit Ihnen, meine Kollegen, hat es unterschiedliche Meinungen gegeben — ich will hier nicht Namen nennen, wer mir näher war und wer weiter weg war — , und es gibt heute unterschiedliche Meinungen bei unserem Koalitionspartner und — das sage ich ausdrücklich dazu — auch in meiner eigenen Partei und Fraktion, weil es eben Fragen von außerordentlicher moralischer Bedeutung sind. Auch in Gewissensfragen kann es nicht immer nur eine richtige Entscheidung geben. Ich unterstelle keinem Mitglied dieses Hauses, das bei der Abwägung einer solchen Frage eine andere Haltung einnimmt als ich, daß es weniger gewissenhaft handelt, als ich das selbst tue.
Wenn wir so verhandeln, meine Kollegen, dann werden wir auch in der Lage sein, in diesem Haus Einverständnis über das Ausmaß unserer historischen Verantwortung gerade bei Exporten in diese Region wirklich zu erzielen,
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9082 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Bundesminister Genscherohne daß wir in jedem Einzelfall zu dem gleichen Ergebnis kommen müssen. Das kann auch innerhalb einer Regierung der Fall sein.
— Herr Kollege, zur Sache ist ganz klar:
Die Bundesregierung hatte keine Möglichkeit, ein Veto einzulegen.Ich bin, das will ich Ihnen offenbaren, in die Sicherheitsratssitzung in der Absicht gegangen, vorzuschlagen — wie das Auswärtige Amt das auch schriftlich getan hatte — die Konsultation einzuleiten. Als ich festgestellt habe, daß wir im Sicherheitsrat, und zwar ausnahmslos, der Meinung waren, daß eine HermesVerbürgung nicht in Frage kommt, und wohlwissend, daß eine Konsultation kein anderes Ergebnis erreicht hätte, war ich damit einverstanden, daß wir Einwendungen nicht erheben, weil eine sachliche Haltung — auch Distanz — in der Verweigerung der Hermes-Bürgschaft deutlich wurde. Das hat die Bundesregierung ja auch bei der Ablehnung einer Beteiligung der Kreditanstalt für Wiederaufbau zum Ausdruck gebracht. Daß sie ihr im Verwaltungsrat nicht zugestimmt hat, ist eine Tatsache.Das ist die grundsätzliche Position, an die ich mich halte. Das entspricht meiner Überzeugung, und das möchte ich hier ausdrücklich gesagt haben.Ich danke Ihnen.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß ich nach den beiden noch erfolgenden kurzen Statements, um die ich bitten darf, die Aussprache schließe, denn ich habe eine geraume Zeit hinzugegeben. Weitere Wortmeldungen möchte ich nicht entgegennehmen.
Jetzt hat der Abgeordnete Schily das Wort.
Herr Minister Genscher, es war ja eigentlich sehr zu begrüßen, daß Sie das Wort genommen haben, aber leider haben Sie hier nicht die Chance zu einer wirklichen Klarstellung genutzt.
Wir haben heute einige sehr bemerkenswerte Ausführungen von Frau Kollegin Hamm-Brücher und Herrn Kollegen Beckmann gehört, aber es wäre gut gewesen, wenn Sie einfach einmal deutlich gesagt hätten: Dem schließe ich — Außenminister Genscher — mich Punkt für Punkt an. Es wäre gut gewesen, wenn Sie das getan hätten.
Wir haben ja hier von Frau Hamm-Brücher gehört, daß wir bisweilen Kröten schlucken müssen. Sie hätten ja vielleicht auch deutlicher sagen können, wie es mit Ihren Schluckbeschwerden ist.
Im übrigen, Herr Minister Genscher und auch Herr Minister Schäuble, ich habe den Eindruck, daß Sie dem Parlament jetzt wieder eine Situation präsentieren wollen, in der Zwangsläufigkeiten entstehen, aus denen Sie nicht mehr hinausfinden. Abgesehen davon, daß man aus dieser Debatte viel dazulernt, nämlich daß öffentliches blau-weißes Geld offenbar anders als das saupreußische zu sehen ist, möchte ich doch darauf hinweisen, daß es, als über die Kreditfinanzierung dieses Rüstungsgeschäfts auf Bundesseite gesprochen wurde und Sie mit großer Geste gesagt haben: das machen wir nicht, der Öffentlichkeit gegenüber vielleicht angemessen gewesen wäre, wenn Sie gesagt hätten: Aber wir haben doch eine schöne Hintertür, nämlich die Bayerische Landesbank, und die wird dann aufgemacht werden.
Da wir ja in jeder neuen Ausgabe einer Tageszeitung etwas über neue Rüstungsgeschäfte hören, schließt sich jedoch die Frage an, ob sich die Bundesregierung auf Grund der Tatsache, daß der Minister Schäuble von einem Tornado-Geschäft mit Südkorea, das schon seit längerem geplant ist, erst aus der Zeitung erfährt, wieder in eine Zwangslage manövriert sieht. Herr Schäuble, darüber sollten Sie uns vielleicht auch einmal eine klare Auskunft geben.
Ich möchte mich ausdrücklich bei Frau Hamm-Brücher dafür bedanken, daß sie die Initiative zu dieser Debatte ergriffen hat. Es ist, glaube ich, guter Parlamentarismus, der hier heute stattgefunden hat.
Wenn sich die Öffentlichkeit einmal darüber klar wird, was hier eigentlich vor sich geht, dann muß sie doch zu folgender Feststellung kommen: Der Vorsatz, der Grundsatz, die Bundesregierung wolle Rüstungsexporte in Spannungsgebiete nicht zulassen, ist wirklich Makulatur, wenn es unmöglich ist, die Verbringung von Tornados, von Tötungsmaschinen in ein Land zu verhindern, was sich formell noch im Kriegszustand mit Israel befindet.
Das ist das Resultat dieser Debatte. Damit werden Sie sich in der Öffentlichkeit auseinandersetzen müssen.
Zu einem letzten Redebeitrag hat der Abgeordnete Lammert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Wissmann hat zu Beginn seines Beitrages für die CDU/CSU-Fraktion den besonderen politischen, rechtlichen, aber auch moralischen Rang der Fragen unterstrichen, um die es hier geht. Dem wird jedermann sicher zustimmen. Ich persönlich bin dem Außenminister dankbar, daß er mit seinem Beitrag zum Schluß dieser Debatte
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9083
Dr. Lammertauch die Tonlage wiederhergestellt hat, die — jedenfalls nach meinem Verständnis — für die Behandlung dieses Themas angemessen ist.
Ich jedenfalls habe nicht verstanden, welchen konstruktiven Beitrag die polemischen Unter- und Obertöne, die hier heute vormittag von verschiedener Seite zu hören waren, zur Klärung der Probleme, um die wir uns, so hoffe ich, gemeinsam bemühen wollen, leisten sollen.Mich hat im übrigen auch gestört, daß diese Debatte sehr schnell wieder in das übliche Schema Regierung gegen Opposition und umgekehrt eingefahren ist, wenngleich es sich — jedenfalls nach meiner persönlichen Überzeugung — hier eher um die Frage des Verhältnisses zwischen Parlament und Regierung handeln müßte,
und zwar insbesondere auf dem Hintergrund der unwidersprochenen Darlegungen, daß es sich hier nicht um ein Problem handelt, das in den letzten Wochen kurzfristig entstanden ist, sondern das seit vielen Jahren verschiedene Bundesregierungen und damit auch Bundestage begleitet.Im Unterschied zum Kollegen Ehmke will ich ausdrücklich einräumen, daß ich die Darlegungen von Herrn Minister Schäuble, nicht nur bezogen auf den rechtlichen Sachverhalt, sondern auch auf die politischen Überlegungen, die der Entscheidung der Bundesregierung zugrunde liegen, beachtlich und respektabel finde.
Ich teile sie persönlich gleichwohl nicht. Ich komme selber in der konkreten Frage, die hier zur Debatte steht, zu einem anderen Ergebnis, wobei ich im übrigen die Frage, ob es sich hier um Finanzierung durch öffentliche oder ausschließlich private Banken handelt, für absolut viertrangig halte.
Mich hat im übrigen auch — das will ich allerdings sagen — eine Agenturmeldung sehr irritiert, nach der der Sprecher der Bayerischen Landesbank erklärt haben soll, es handele sich um ein — ich zitiere — „normales Exportgeschäft, das durchaus an der Tagesordnung" sei.
Dies vermag ich nicht nachzuvollziehen. Ich stimme ausdrücklich dem zu, was Herr Minister Schäuble heute vormittag hier vorgetragen hat: Waffen und Rüstungsgüter sind nicht Güter wie jedes andere.
Daß ich persönlich hier bei der zur Debatte stehenden konkreten Frage eine andere Meinung einnehme, als die Bundesregierung sie hier vorgetragen hat, wäre für mich kein hinreichender Anlaß gewesen, in dieser Debatte zusätzlich das Wort zu ergreifen. Aber für mich hat diese Debatte sehr deutlich gemacht, daß weit über den konkreten Anlaß hinaus erheblicher Diskussionsbedarf, meiner Meinung nach auch Handlungsbedarf für die Weiterentwicklung einer Grundsatzfrage besteht, die diese Debatte ganz zweifelsfrei freigelegt hat, nämlich das Verhältnis von Rüstungskooperation, die ich übrigens für unverzichtbar halte, auf der einen Seite und der Durchsetzung der Grundsätze zu einem restriktiven Rüstungsexport, die wir uns wechselseitig als unaufgebbar immer wieder versichern.
Dies, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, und zwar, wie ich hoffe, nicht zwischen Regierung und Opposition, sondern in diesem gesamten Parlament, wenn uns die Grundsätze mehr wert sein sollen als das Papier, auf dem sie stehen.
Hier ist heute morgen auch von meinem Kollegen Wissmann deutlich gemacht worden, daß aus gewichtigen Gründen ein immer größerer Teil unserer eigenen notwendigen Rüstungsproduktion in Kooperation erfolgt. Wenn das so ist, bedeutet dies auf der Basis der geltenden Kooperationsvereinbarungen und Verträge, daß unsere Entscheidungsfreiheit bezüglich des möglichen Verkaufs solcher in Kooperation erstellter Rüstungen und Waffen jedenfalls begrenzt ist.Wenn aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, unsere Entscheidungsspielräume im Bereich der Rüstungskooperation begrenzt sind, dann, denke ich, muß klar sein, daß die Reichweite unserer politischen Moral nicht zur abhängigen Variablen der Spielräume werden darf, die uns bei Rüstungskooperationen verbleiben. Dies ist mein Punkt.
Deswegen bitte ich mit Nachdruck darum, obwohl ich persönlich genau wüßte, wie ich zu diesem konkreten Punkt heute abstimmen würde, nicht heute eine Abstimmung über die Anträge vorzunehmen, sondern sie mit genau diesem Ziel an die vorgesehenen Ausschüsse zu überweisen, über das konkrete anlaßgebende Thema hinaus darüber nachzudenken, ob wir nicht wirklich in der Lage sind, überzeugendere Formen der Bewältigung dieses Problems im gesamten Parlament auf die Beine zu stellen.Danke schön.
Ich bitte um Verständnis, daß ich Herrn Dr. Vogel, dem Vorsitzenden der Fraktion der SPD, aus begründetem Anlaß das Wort gebe, obwohl ich die Debatte soeben abgeschlossen habe.
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9084 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989
Ich bin Ihnen dankbar, Frau Präsidentin. — Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, um dem Herrn Kollegen Lammert meinen Respekt für die Ausführungen, die er soeben gemacht hat, zum Ausdruck zu bringen — und dies nicht nur für meine Person.
Ich möchte darüber hinaus die Anregung aufgreifen, die Sie hier gemacht haben, daß wir in eine ernsthafte Grundsatzdebatte über diese Probleme eintreten, und zwar unter dem Gesichtspunkt: hier Parlament — dort Regierung. Wenn diese Grundsatzdebatte aber eine solide Grundlage haben soll, dann muß ich damit die Bitte verbinden — ich sage ausdrücklich: die Bitte — , daß ein Gremium dieses Parlaments über die anhängigen und zu erwartenden Rüstungsgeschäfts-Anträge in geeigneter Weise unterrichtet wird. Denn die Debatte — auch im Grundsätzlichen — leidet einfach darunter, daß dann, wenn wir gerade das eine Geschäft zum Gegenstand der Diskussion haben, das nächste in diese Diskussion hinein bekannt wird.
Also, ich habe die Bitte, daß ein geeignetes Gremium in dieser Weise unterrichtet wird und daß dann die Grundsatzdebatte beginnt. Dies hier kann dann auch eine gute Stunde für das deutsche Parlament gewesen sein.
Ich schließe die Aussprache und danke allen, die ausgeharrt haben. Ich denke, es ist schon sinnvoll und weiterführend, wenn wir ab und an solche Debatten haben.
Bevor wir nun zu der Überweisung kommen, bittet der Abgeordnete Kleinert ums Wort zur Geschäftsordnung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle namens meiner Fraktion den Antrag, daß über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN „Zustimmungsverweigerung des Deutschen Bundestages zur geplanten Lieferung von Tornado-Kampfflugzeugen an das Königreich Jordanien" hier jetzt unmittelbar abgestimmt wird.
Ich möchte das kurz begründen: Ich nehme Bezug auf das, was Herr Dr. Vogel soeben hier vorgetragen hat, und stelle fest: Die Fraktion DIE GRÜNEN ist der Auffassung, daß in der Tat aller Anlaß besteht, im Bundestag in geeigneter Form eine sehr ernsthafte Grundsatzdebatte über das Problem des Rüstungsexports zu führen.
Wir sind der Auffassung, diese Debatte sollte so früh wie möglich geführt werden. Sie sollte sehr grundsätzlich angelegt sein und zum Ziel haben, zu ganz neuen, anderen Regelungen zu kommen als bisher. Da sind wir die ersten, die dem zustimmen werden.
Aber, Herr Dr. Vogel, das kann nicht dagegensprechen, sich mit diesem Antrag, so wie er jetzt vorliegt, heute zu befassen und heute über ihn abzustimmen.
Denn wer tatsächlich alles tun will, um zu verhindern, daß dieses Geschäft, um das es heute geht, nämlich um den Export von Tornado-Kampfflugzeugen nach Jordanien, zustande kommt, der muß über diesen Antrag heute abstimmen.
Wer alles dafür tun will, daß die Bundesregierung durch ein Abstimmungsvotum des Bundestages auf eine eindeutige Haltung in dieser Richtung festgelegt wird, der muß diese Abstimmung heute und nicht irgendwann einmal durchführen.
Ich denke, daß Herr Schäuble die Notwendigkeit für diese Abstimmung heute in seiner Eingangsrede, in seiner Antwort auf die Fragen, die Gansel sehr präzise gestellt hat, sehr genau deutlich gemacht hat. Herr Schäuble hat hier — wie ich finde, in fast dankenswerter Offenheit — gesagt: Die Bundesregierung hat keine Bedenken gegen die Beteiligung deutscher Firmen an diesem Geschäft und gegen die Finanzierung dieses Geschäfts durch deutsche Banken. Das hat Herr Schäuble hier erklärt. Ich meine, daß dies den Dissens in der Sache völlig klarlegt, ganz gleich, wie man Kompetenzen und Vetomöglichkeiten im einzelnen einschätzt.
Herr Abgeordneter Kleinert, Sie fangen eine inhaltliche Debatte an. Das hat nichts mehr mit der Geschäftsordnung zu tun.
Frau Süssmuth, ich bin weit davon entfernt, Ihre Amtsführung zu kritisieren, und weiß sehr genau, daß ich das in diesem Hause nicht darf. Aber ich erlaube mir trotzdem, festzustellen, daß dies das wiederholte Mal ist, daß bei einem Geschäftsordnungsbeitrag durch einen Vertreter meiner Fraktion sehr schnell solche Hinweise kommen, während umgekehrt bei Geschäftsordnungsbeiträgen anderer Fraktionen noch nie gerügt wurde, daß dort inhaltliche Argumente vorgetragen worden sind.
Wenn Sie, Frau Süssmuth, sich vorgenommen haben, daß alle hier gleichbehandelt werden sollen, darf ich mir doch erlauben, auf diesen Sachverhalt in aller Vorsicht aufmerksam zu machen.
Ich denke, daß Sie sich heute in bezug auf Gleichbehandlung weiß Gott nicht beklagen können.
Frau Süssmuth, ich darf mich entschuldigen. Ich komme ja zum Schluß.Ich denke, ich habe doch sehr deutlich gemacht: Wir haben ein ernsthaftes Interesse daran, diese grundsätzliche Problematik in geeigneter Form zu diskutieren. Aber wer alles tun will, was der Bundestag tun kann — ob das ausreicht, ist eine ganz andere Frage — , um dieses Geschäft zu verhindern, der muß über diesen Antrag heute und nicht irgendwann einmal abstimmen.Deswegen sehen wir bei aller Zustimmung zu vielem, was hier gesagt worden ist, und auch zu dem, was Herr Vogel soeben gesagt hat, keine andere Möglich-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9085
Kleinert
keit, als diesen Antrag hier sofort zur Abstimmung stellen zu lassen.Danke schön.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte begründen, warum die SPD-Fraktion an einer Überweisung dieser Anträge festhält.
DIE GRÜNEN beantragen auf der Drucksache 11/3242, die Bundesregierung aufzufordern, die Zustimmung zum Export von Tornado-Kampfflugzeugen an das Königreich Jordanien zurückzuziehen.
Die SPD beantragt auf der Drucksache 11/3283:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Konsultationsverfahren gegenüber Großbritannien sich gegen eine Lieferung von Tornado-Flugzeugen an Jordanien auszusprechen.
Für beide Anträge gibt es im Parlament, wie es jetzt besetzt ist, eine Mehrheit.
Wir alle haben parlamentarische und politische Erfahrungen.
Das gibt uns Grund, zu bedauern, daß die rechte Seite des Hauses bei dieser wichtigen Debatte so schlecht besetzt ist. Aber es würde in der Sache nicht helfen, heute einen billigen Abstimmungserfolg zu haben, den die Regierungskoalition morgen rückgängig machen würde.
— Das wäre eine Schande für das Parlament, so sehr, wie wenn durch die Regierungsfraktionen von der geschäftsordnungsmäßigen Möglichkeit Gebrauch gemacht würde, die Beschlußunfähigkeit feststellen zu lassen,
und das ausgerechnet bei diesem Anlaß.
Ich beschäftige mich mit dem Thema der Kontrolle der Kriegswaffenexporte seit ungefähr 16 Jahren in diesem Bundestag. Ich sehe heute die Chance, daß wir in der Sache etwas bewegen können.
Diese Chance muß genutzt werden.
Ich bitte um Ruhe im Parlament.
Ich bitte deshalb, die Lage, die durch Beiträge der Kollegin Hamm-Brücher, des Kollegen Lamers, von Minister Genscher, meines Fraktionsvorsitzenden und des Kollegen Schily entstanden ist, zu nutzen, um in den parlamentarischen Ausschüssen bei Kriegswaffenexporten konkret und grundsätzlich etwas zu ändern. Wir schlagen deshalb vor, die Anträge in die Ausschüsse zu überweisen, und wir erwarten von der Bundesregierung dazu, Herr Minister, der Sie als einziger hier noch die Bundesregierung im Parlament vertreten, was ebenfalls eine Schande ist, — —
— Pardon, auch Minister Schäuble ist noch anwesend. Ich wiederhole: Wir erwarten von Ihnen, daß Sie in der Zwischenzeit keine Fakten schaffen — weder in der Finanzierung noch in der Durchführung des Tornadogeschäfts —,
so daß das Parlament das letzte Wort haben kann, wie es sich in der parlamentarischen Demokratie gehört. Danke sehr.
Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge. Die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der FDP haben beantragt, die Anträge auf den Drucksachen 11/3242 und 11/3283 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Über diesen Überweisungsantrag möchte ich jetzt abstimmen lassen. Wer stimmt für die Überweisung? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der Antrag auf Überweisung bei drei Enthaltungen angenommen.
Die nächste Sitzung findet am 15. Februar 1989 um 13 Uhr statt.
Die Sitzung ist geschlossen.