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ID1112301800

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    Plenarprotokoll 11/123 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 123. Sitzung Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Harries 9035 A Tagesordnungspunkt 19: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zum Antrag der Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil, Dr. Pinger, Feilcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Frau FolzSteinacker, Hoppe, Frau Dr. Hamm-Brücher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Der entwicklungspolitische Beitrag zur Lösung von Weltflüchtlingsproblemen (Drucksachen 11/1954, 11/3455) Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU . . 9035 B Frau Luuk SPD 9037 B Frau Folz-Steinacker FDP 9038 C Frau Olms GRÜNE 9040 A Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ . . 9041A Bindig SPD 9042 B Dr. Holtz SPD (Erklärung nach § 29 GO) 9043 D Frau Olms GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 9044 A Tagesordnungspunkt 20: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis 1987 (Drucksache 11/2215) Nolting FDP 9044 B Dr. Scheer SPD 9046 A Lamers CDU/CSU 9049 B Frau Beer GRÜNE 9051 D Genscher, Bundesminister AA 9054 A Lowack CDU/CSU 9056 A Erler SPD 9058 A Tagesordnungspunkt 21: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Export von TORNADO-Flugzeugen nach Jordanien (Drucksache 11/3283) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lippelt (Hannover), Dr. Mechtersheimer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Zustimmungsverweigerung des Deutschen Bundestages zur geplanten Lieferung von Tornado-Kampfflugzeugen an das Königreich Jordanien (Drucksache 11/3242) Frau Dr. Hamm-Brücher FDP (zur GO) . . 9060A, 9077 C Dr. Bötsch CDU/CSU (zur GO) 9060 A Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . . 9060 B Jahn (Marburg) SPD (zur GO) 9060 C Gansel SPD 9060 D Dr. Schäuble, Bundesminister für besondere Aufgaben, Chef des Bundeskanzleramtes . 9062D, 9081 A Dr. Mechtersheimer GRÜNE 9067 C Wissmann CDU/CSU 9069 D Kolbow SPD 9072 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 Beckmann FDP 9074 B Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 9076 A Voigt (Frankfurt) SPD (zur GO) 9076 D Bohl CDU/CSU (zur GO) 9077 A Frau Unruh GRÜNE 9077 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 9078 D Genscher, Bundesminister AA 9081 B Schily GRÜNE 9082 B Dr. Lammert CDU/CSU 9082 D Dr. Vogel SPD 9084 A Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . . 9084 B Gansel SPD (zur GO) 9085 A Präsidentin Dr. Süssmuth 9069 A Nächste Sitzung 9085 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 9087*A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 123. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1989 9035 123. Sitzung Bonn, den 27. Januar 1989 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Berger (Berlin) 27. 1. Carstensen (Nordstrand) 27. 1. Frau Conrad 27. 1. Conradi 27. 1. Dr. Dollinger 27. 1. Eylmann 27. 1. Feilcke 27. 1. Francke (Hamburg) 27. 1. Gallus 27. 1. Dr. von Geldern 27. 1. Gerster (Mainz) 27. 1. Dr. Glotz 27. 1. Dr. Götz 27. 1. Gröbl 27. 1. Grünbeck 27. 1. Dr. Hauchler 27. 1. Dr. Hauff 27. 1. Frhr. Heereman von Zuydtwyck 27. 1. Frau Hensel 27. 1. Hiller 27.1. Ibrügger 27. 1. Dr. Jahn (Münster) 27. 1. Jaunich 27. 1. Kalisch 27. 1. Kastning 27. 1. Kittelmann 27. 1. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlict Klein (München) 27. 1. Dr. Knabe 27. 1. Koschnick 27. 1. Kossendey 27. 1. Frau Krieger 27. 1. Dr. Graf Lambsdorff 27. 1. Frau Dr. Martiny-Glotz 27. 1. Nagel 27. 1. Dr. Neuling 27. 1. Dr. Osswald 27.1. Pesch 27. 1. Petersen 27. 1. Dr. Pfennig 27. 1. Pfuhl 27. 1. Rappe (Hildesheim) 27. 1. Reddemann 27. 1. Reuschenbach 27. 1. Frau Roitzsch (Quickborn) 27. 1. Schäfer (Offenburg) 27. 1. Dr. Schmude 27. 1. Frhr. von Schorlemer 27. 1. Schulze (Berlin) 27. 1. Stobbe 27. 1. Tillmann 27. 1. Dr. Waigel 27. 1. Waltemathe 27. 1. Weiss (München) 27. 1. Weisskirchen (Wiesloch) 27. 1. Dr. Wieczorek 27. 1. Frau Wieczorek-Zeul 27. 1. Wischnewski 27. 1.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Günther Friedrich Nolting


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung behandelt die Entwicklung seit Anfang Juli 1986 und schließt mit dem Stand 31. Dezember 1987 ab. In diesen 18 Monaten hat es entscheidende Fortschritte im Rüstungskontrolldialog gegeben, die gleichzeitig Ausdruck und Folge einer positiven Wende im WestOst-Verhältnis insgesamt sind, wie es in dem vorliegenden Bericht heißt. Für die SPD-Fraktion kann ich diese Entwicklung ausdrücklich und nachhaltig begrüßen.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, vier entscheidende Termine, die zu dieser Entwicklung beigetragen haben, möchte ich hier heute nennen.
    Erstens. Am 19. September 1986 konnte in Stockholm die Konferenz für vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa erfolgreich abgeschlossen werden. Die Bundesregierung hat mit besonderer Verantwortung zu dem Erfolg dieser Konferenz beigetragen. Ich erinnere hier auch an die richtungsweisende Rede von Bundesaußenminister Genscher am 28. Januar 1986, in der er u. a. gefordert hatte, die konventionelle Rüstungskontrolle müsse in ganz Europa, nämlich vom Atlantik bis zum Ural erfolgen. Erinnern will ich auch daran, daß Generalsekretär Gorbatschow erst drei Monate später positiv auf diese Forderung einging, wie auch viele andere westliche Vorschläge erst später von der Sowjetunion aufgegriffen wurden.
    Zweitens. Im November 1986 kam es zur amerikanisch-sowjetischen Gipfelbegegnung in Reykjavik, die sich — ich zitiere — „als eine Wasserscheide auf dem Weg zu einem kooperativen, auf konkrete Ergebnisse abzielenden Verhandlungsdialog" erwies; so der amerikanische Außenminister Shultz.
    Drittens. Am 11. und 12. Juni 1987 hatte das NATOBündnis in Reykjavik ein umfassendes westliches Konzept zur Rüstungskontrolle und Abrüstung beschlossen. Es sieht im einzelnen folgende dringliche Abrüstungsschritte vor: a) eine 50%ige Beseitigung der strategischen nuklearen Offensivwaffen der USA und der Sowjetunion, b) die weltweite Beseitigung aller chemischen Waffen — ich bedanke mich bei Außenminister Genscher, daß er die weltweite Beseitigung und Ächtung der C-Waffen auf der Pariser Konferenz für das Verbot chemischer Waffen am 9. Januar 1989 noch einmal ausdrücklich und nachhaltig gefordert hat —,

    (Beifall bei der FDP)

    c) die Herstellung eines stabilen Gleichgewichts bei den konventionellen Waffen in ganz Europa und schließlich d) die Vorbereitung von Verhandlungen über die amerikanischen und sowjetischen bodengestützten nuklearen Flugkörpersysteme kürzerer Reichweite.
    Meine Damen und Herren, dieses Gesamtkonzept muß weiterentwickelt werden, wozu der Ständige NATO-Rat beauftragt wurde. Ich gehe davon aus, daß dieses neue Gesamtkonzept spätestens im Sommer dieses Jahres vorliegen wird.
    „Die Bundesregierung ist stets dafür eingetreten, die erklärte sowjetische Abrüstungsbereitschaft am Verhandlungstisch zu testen", heißt es im vorliegenden Bericht. Dies wiederhole ich auch gerade im Hinblick auf die kürzlich erfolgten Abrüstungsankündigungen der Sowjetunion und der DDR. Wir begrüßen diese Vorschläge ausdrücklich, denen wir positiv optimistisch, aber gleichzeitig auch nüchtern und realitätsbezogen gegenüberstehen, denn jetzt ist die Sowjetunion gefordert, ihre Vorschläge in Verhandlungen einzubringen, damit sie nachvollziehbar und vor allen Dingen überprüfbar werden.

    (Beifall bei der FDP)




    Nolting
    Abrüstung erfordert zähe Sachlichkeit. Abrüstung vollzieht sich in einem komplizierten und langen Prozeß, der keine schnellen Ergebnisse hervorbringt und mit dem sich leichte Lösungen, die nur Illusionen von Sicherheit, aber keine echte Sicherheit erzeugen, nicht vertragen. Diejenigen, die leichtfertig und schnell vermeintliche Patentrezepte anbieten oder gar für einseitige unbedachte westliche Abrüstung plädieren, erinnern bei aller möglichen Lauterkeit der Motive an einen Wolf, der den Schafen einzureden versucht, daß es zweckvoll sei, den Hund abzuschaffen.
    Damit komme ich zum vierten entscheidenden Datum des Zeitraums Juli 1986 bis Dezember 1987. Am 8. Dezember 1987 unterzeichneten, wie Sie alle wissen, Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Washington das INF-Abkommen. Dies war aus unserer Sicht ein historischer Tag, denn erstmalig in der Geschichte wird nicht nur über Waffen verhandelt, sondern es wird eine gesamte Waffengattung abgebaut und verschrottet, und das kontrolliert.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir Liberalen haben einen doppelten Grund, über den Abschluß des INF-Abkommens erfreut zu sein. Das Ergebnis entspricht zum einen unseren wehrpolitischen Vorstellungen von der Sicherung des Friedens und der Verhinderung eines jeden Kriegs, eines nuklearen ebenso wie eines konventionellen, denn, meine Damen und Herren, wenn wir im nuklearen Zeitalter den Frieden verspielen, wird es keine Chance des Wiederaufbaus geben.
    Der zweite Grund für unsere Zufriedenheit liegt klar auf der Hand. Nur wir Liberalen können als einzige politische Kraft in der Bundesrepublik Deutschland den langen Weg vom NATO-Doppelbeschluß vom 12. Dezember 1979 bis zur Unterzeichnung des INF-Abkommens am 8. Dezember 1987 konsequent verfolgen.

    (Zustimmung bei der FDP — Erler [SPD]: Hört! Hört!)

    Das gilt sowohl für die Umsetzung des Nachrüstungsbeschlusses als auch für den Willen zur Verwirklichung der doppelten Null-Lösung. Es hat sich gezeigt, daß der Wille zur Verteidigung und der Wille zur Abrüstung notwendig waren.
    Ich will an dieser Stelle daran erinnern, daß sich die SPD mit Beginn der Verwirklichung des Stationierungsteils des Doppelbeschlusses aus der Gemeinsamkeit verabschiedete und u. a. davon sprach, die Großmächte würden sich nie wieder an einem Tisch zu Verhandlungen zusammenfinden. Viele sprachen schon von einer neuen Eiszeit, und viele der Kollegen werden sich an die „Mahnwachen" und den psychischen Druck erinnern, dem sie ausgesetzt waren.
    Doch, meine Damen und Herren — dies sage ich vor allen Dingen in Richtung der SPD — , unser folgerichtiges, standfestes und berechenbares Handeln hat letztlich zum Erfolg des INF-Vertrages geführt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Damit ist ein wichtiger Schritt getan worden. Die INFVereinbarung darf aber kein isoliertes Ereignis bleiben. Ich habe vorhin auf das Gesamtkonzept hingewiesen. Ich hoffe, daß wir beim nächsten Bericht zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung über weitere Erfolge sprechen können.
    Meine Damen und Herren, das Ziel westlicher Sicherheitspolitik ist die umfassende Sicherung des Friedens. Um diese Aufgabe zu erfüllen, entwickelte das Atlantische Bündnis schon 1967 im Harmel-Bericht eine Doppelstrategie von militärischer Sicherheit und Zusammenarbeit. Es lag schon damals in der Logik dieser Strategie, das Bemühen um Abrüstung und Rüstungskontrolle zu einem unverzichtbaren integralen Bestandteil unserer Sicherheitspolitik zu machen. Verteidigung einerseits und Abrüstung und Entspannung andererseits stehen danach in einer Wechselbeziehung.
    Nur die konsequente Anwendung der Harmel-Strategie in ihren beiden Elementen garantiert unsere Sicherheit. Sie verpflichtet uns gleichermaßen zu Verteidigungsanstrengungen wie auch zur ernsthaften Suche nach Wegen, die politischen Spannungen der Ost-West-Auseinandersetzungen zu verringern. Eine solche Strategie will dauerhafte Sicherheit für alle schaffen. Dazu gehört es, Rüstungen in allmählichen Schritten zu beschränken und dadurch das Risiko eines jeden Krieges — eines nuklearen, aber auch eines konventionellen — abzubauen.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, Fortschritte sind möglich, wenn bei allen Verhandlungspartnern die echte Bereitschaft zu einer kooperativen Sicherheitspolitik besteht. Kooperative Sicherheitspolitik verlangt unserer Meinung nach:
    Erstens. Abrüstungsschritte, die Überlegenheiten abbauen und Gleichheit auf einem niedrigeren Niveau in allen Bereichen des militärischen Kräfteverhältnisses herstellen. Hier ist der Osten gefragt, denn hier gilt der einfache Satz: Wer mehr hat, muß auch mehr abbauen.
    Zweitens. Damit jeder Krieg mit Waffen jeder Art künftig ausgeschlossen wird, darf es beim Verzicht auf Überlegenheit und bei der Bereitschaft zur Rüstungskontrolle keine Ausnahmen geben.
    Drittens qualitative Veränderungen der Struktur von Streitkräften.
    Viertens. Auf keiner Seite darf es die Fähigkeit zur Invasion geben, so wie das bei uns heute schon der Fall ist.
    Fünftens. Wirksame Mechanismen eines weltweiten politischen Krisenmanagements werden gebraucht.
    Sechstens. Das Netz von vertrauensbildenden Maßnahmen muß weiterentwickelt und immer dichter werden.
    Siebtens. Feindbilder müssen abgebaut, Friedensgesinnung zur Achtung vor den anderen müssen gefördert werden.
    Achtens. Schließlich muß die Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen in allen Bereichen verbreitert und vertieft werden.



    Nolting
    Meine Damen und Herren, wir werden die vor uns liegenden Aufgaben der Abrüstung mit Entschlossenheit, aber auch mit Verantwortung weiterverfolgen und, dessen bin ich sicher, auch bewältigen.
    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Scheer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Scheer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, daß wir zu Beginn des Jahres 1989 den Abrüstungsbericht der Bundesregierung aus dem Zeitraum von Mitte 1986 bis Ende 1987 diskutieren. Die Bundesregierung hat 1987 keinen der jährlichen Abrüstungsberichte vorgelegt und damit den Auftrag des Bundestages ignoriert. Der Grund: Sie konnte sich nicht auf einen Abrüstungsbericht verständigen. Zu tiefgreifend waren offenbar die internen Auseinandersetzungen über die damals anstehende doppelte Null-Lösung. Noch in guter Erinnerung sind die Reisen von CDU/CSUPolitikern nach Washington zur Verhinderung dieses Abrüstungsvertrages, und erst in letzter Minute ließ Bundeskanzler Kohl im August 1987 die Position fallen, lieber diesen Vertrag zu torpedieren als auf die Pershing I a der Bundeswehr zu verzichten. Daß war die damalige Situation.
    Zum heutigen Abrüstungsbericht ist zu sagen, daß das überkommene Sicherheitsdenken offenbar immer noch allzu viele auch innerhalb der Bundesregierung, aber sicherlich auch darüber hinaus, unschlüssig oder gar unfähig macht, auch kritisch zur eigenen Strategie und zur eigenen Rüstungsentwicklung zu stehen. Dies führt unverändert zu äußerst zurückhaltenden und auch widersprüchlichen Abrüstungspositionen. Das ist eine Halbherzigkeit, mit der die überfällige historische Wende nicht zu vollziehen ist, die uns aus den Sackgassen herausführen soll.
    Dazu einige Beispiele. Die Bundesregierung weckt große Erwartungen an die im Frühjahr in Wien beginnende Konferenz zur Reduzierung konventioneller Rüstung, aber das westliche Verhandlungskonzept, dem die Bundesregierung zugestimmt hat, enthält einen zentralen Mangel: Obwohl das Ziel die Beseitigung der Fähigkeit zu Überraschungsangriffen ist, soll über eine Abrüstung der Luftwaffe nicht einmal verhandelt werden.
    Ein zweiter Punkt. Die Bundesregierung hält sich zugute, weltweit an der Spitze der Bemühungen um ein weltweites Verbot der C-Waffen zu stehen, aber es ist mittlerweile unbestreitbar, daß der Giftgaskrieg des Irak den Bemühungen um eine weltweite Ächtung der C-Waffen einen empfindlichen und, wie zu fürchten ist, vielleicht sogar dauerhaften Rückschlag versetzt hat. Unbestreitbar ist, daß die Bundesregierung seit den ersten Hinweisen auf eine Mitwirkung deutscher Firmen an der irakischen Giftgasproduktion im Jahr 1984 drei Jahre lang nichts unternommen hat, diesen Hinweisen nachzugehen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Das bedeutet, die Bundesregierung hat eine faktische
    Mitschuld am Stillstand der Genfer Verhandlungen,
    die bei näherem Hinsehen schwerer wiegt als die vielen hehren Bekenntnisse zur C-Waffen-Abrüstung.

    (Beifall bei der SPD)

    Ein dritter Punkt. Die Bundesregierung sagt in ihrem Abrüstungsbericht — ich zitiere — : „Die Umgehung getroffener Rüstungskontrollvereinbarungen durch Ausnutzung neuer Grauzonen muß verhindert werden. " Aber den atomaren Rüstungsvorhaben der NATO, mit denen eine Umgehung des Mittelstrekkenraketenvertrages möglich wird, hat sie bisher keinen definitiven Riegel vorzuschieben versucht, und sie wirkt sogar in den Planungsgruppen bei den Vorbereitungen mit. In diesem Zusammenhang ist besonders gravierend, daß kein Konzept der NATO und kein Engagement der Bundesregierung, das erkennbar wäre, für Verhandlungen über eine Abrüstung atomarer Kurzstreckenwaffen zu sehen ist, obwohl noch Anfang 1988 aus den Reihen der Regierungsparteien laute Reden dafür geschwungen wurden.
    Ins Zentrum meines heutigen Debattenbeitrages will ich deshalb aus Anlaß des Abrüstungsberichts die Frage stellen, die meines Erachtens die Kernfrage sowohl innenpolitischer wie internationaler Auseinandersetzungen um die Abrüstungspolitik in den 90er Jahren sein wird: Soll an der Atomabschreckung festgehalten werden, oder soll sie überwunden werden? Wer zur Fortführung der Atomabschreckung ja sagt, der wird über kurz oder lang auch atomare Neurüstungen wollen — oder sich diesen nicht entziehen können. Wer dagegen die atomare Abschreckung wirklich überwinden will, der muß weitere atomare Abrüstungsverhandlungen auch bei atomaren Kurzstreckenwaffen unverzüglich anstreben.
    Die Bundesregierung erklärt jedoch, daß es zur atomaren Abschreckung — Zitat — „auf absehbare Zeit keine Alternative" gebe.

    (Lamers [CDU/CSU]: Das ist auch richtig! — Zuruf des Abg. Dr. Todenhöfer [CDU/CSU])

    Noch deutlicher sind Äußerungen etwa des stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Rühe, der im vergangenen Jahr eine Grundsatzposition der CDU/CSU zu atomaren Kurzstreckenwaffen vorlegte. In dieser hieß es, daß eine Abrüstung atomarer Kurzstreckenwaffen nur bis zu einem zu vereinbarenden beiderseitigen Potential gehen dürfe, das dann aber definitiv — wörtlich — „nicht mehr verhandelbar" sei. Mit anderen Worten: An der Atomabschreckung soll eisern und offensichtlich auf Dauer festgehalten werden.
    Diese Position klingt vordergründig realpolitisch, weil sie zweifellos auch mit der weit überwiegenden Mehrheit der Sicherheitspolitiker in der NATO übereinstimmt — das stelle ich gar nicht in Abrede — , am Problem ändert es nichts. Die Atomabschreckung ist der oberste Glaubenssatz der Sicherheits- und Abrüstungspolitik der NATO. Der Abrüstungsvertrag über Mittelstreckenraketen gilt vielen als unerwarteter Sündenfall, der nun ein einmaliger bleiben soll. Deshalb wird — statt einer Fortsetzung des atomaren Abrüstungsprozesses in Europa — die Notwendigkeit atomarer Waffen seitdem häufiger und intensiver beschworen denn je. Doch ist es diese Atomabschrek-



    Dr. Scheer
    kung, die zunehmend anachronistischer und sicherheitspolitisch illusionärer wird.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wir müssen zu den Spannungsursachen durchstoßen!)

    Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Atomabschreckung ist überfällig. — Wenn Sie sagen, man müsse erst einmal die Spannungsursachen beseitigen, Herr Friedmann

    (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/CSU])

    — ja, das Argument kenne ich —, dann möchte ich darauf einen kurzen Zwischeneinwand machen. Der Satz, daß zunächst einmal die Ursachen für Spannungen beseitigt werden müßten und dann erst die Rüstungen beseitigt werden könnten, ist im Grunde genommen heute so banal, daß er keine Richtigkeit mehr beanspruchen kann. Es ist unbezweifelbar, um ein Beispiel zu nennen, daß die Entspannung in den letzten drei Jahren entscheidende Fortschritte gemacht hat; dies bestreitet keiner. Ebenso unbezweifelbar ist, daß die Rüstungsausgaben von NATO und Warschauer Pakt in den letzten drei Jahren um ca. 15 bis 20 % gestiegen sind. Wo ist da noch zu erkennen, daß Spannungen die Ursache für Rüstungen sind? Die Rüstungsentwicklung hat sich verselbständigt!

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie stellen die Logik auf den Kopf!)

    Wenn Sie sich dem nicht endlich stellen, werden Sie an das Problem nicht herankommen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Es ist selbstverständlich, daß man auf Waffen verzichten kann, wenn man Spannungen beseitigt!)

    Ich möchte fortfahren und betonen, daß eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Atomabschreckung überfällig ist. Es ist unbeweisbar, ob es das Verdienst der Atomabschreckung war, daß in den vergangenen Jahrzehnten kein Ost-West-Krieg stattfand. Aber immer unübersehbarer wird: Wer wegen der vermeintlichen oder der tatsächlichen Vorzüge der Atomabschreckung in der Vergangenheit auch in der Zukunft an ihr festhalten will, der untergräbt — gewollt oder ungewollt — die Chancen einer langfristig angelegten Friedenssicherung und legt damit heute die Ursachen für eine uferlose sicherheitspolitische Destabiliserung in globalem Maßstab.
    Grundsätzlich sprechen folgende — alles andere als nur spekulative — Entwicklungen gegen das Festhalten an der Atomabschreckung.
    Der erste Punkt: Bereits in den 90er Jahren wird die widersprüchliche Position nicht mehr durchhaltbar sein, daß die NATO die Atomabschreckung als einzigartiges friedensstiftendes Instrument bezeichnet — bisweilen sogar mit dem Etikett „segensreich" versehen — , gleichzeitig aber die Weiterverbreitung der Atomwaffen in andere Länder verhindern will. Die Gefahr der weltweiten Verbreitung von Atomwaffen ist keineswegs geringer als die der chemischen Waffen. Irak hat parallel zur Realisierung einer eigenen C-Waffen-Produktion den Zugang zu Atomwaffen versucht und Israel zu einer gewaltsamen Unterbrechung dieses Versuchs provoziert. Auch Libyen hat den Zugang zu Atomwaffen versucht und ist dann den technologisch und politisch einfacheren Weg zu einer C-Waffen-Produktion gegangen. Andere Länder sind schon wesentlich weiter und können schon heute als potentielle Atomwaffenbesitzer gelten. Ob der Atomwaffensperrvertrag das nächste Jahrzehnt überdauert, hängt also nicht in erster Linie von Konferenzen ab, sondern von der politischen Bereitschaft zur Denuklearisierung.
    Selbst wenn es so wäre, daß Atomwaffen Stabilitätsvorteile im Ost-West-Verhältnis vermitteln, stehen diese in keinem verantwortbaren Verhältnis zu den schier uferlosen Gefahren einer atomaren Aufrüstung in der Dritten Welt.