Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 22. Oktober 1955 die Kleine Anfrage 194 der Fraktion der SPD betreffend eine Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes — Drucksache 1714 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1810 vervielfältigt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat vor Eintritt in die Tagesordnung der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktionen der CDU/ CSU, der FDP und der DP beantrage ich, die heutige Tagesordnung um einen Punkt 4 c, erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes, Drucksache 1811, zu erweitern und diesen Punkt gemeinsam mit den Punkten
4 a und 4 b zu beraten.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung gehört. Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. — Ich höre keinen Widerspruch; die Ergänzung der Tagesordnung ist beschlossen.
Dann komme ich zu Punkt 1 der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Berliner Aufbauplan ;
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Änderung des Einzelplans 45 — Finanzielle Hilfe für Berlin — in den Bundeshaushaltsplänen vom Rechnungsjahr 1956 an ;
d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (Drucksache 1707 [neu]);
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wehner, Brookmann und Genossen betreffend Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Hauptstadt Berlin" und Architektenwettbewerb „Wiederherstellung Reichstagsgebäude" (Drucksache 1690).
Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat schlage ich Ihnen vor, daß Sie zunächst die Begründung und die Antwort der Regierung zu Punkt 1 a, Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Berliner Aufbauplan, zur Kenntnis nehmen und daß wir die Aussprache darüber mit der Aussprache über die Punkte 1 b bis 1 e der Tagesordnung verbinden. — Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Kollege Brandt.
Brandt (SPD), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es bei der Großen Anfrage, die uns in der Drucksache 1412 vorliegt? Es geht um Berlin, und es geht darum, daß die Deutschen durch ihre Haltung zur Hauptstadt Berlin beweisen, daß sie es ernst meinen mit der Wiedervereinigung und wie ernst sie es meinen, wenn sie von der Wiedervereinigung sprechen. Der Bundestag hat in der vergangenen Woche durch seine Arbeitstagung in Berlin ein eindrucksvolles Bekenntnis abgelegt. Jetzt scheint es uns darauf anzukommen, daß Folgerungen gezogen werden.
Heute geht es hier um die praktische Seite des Berliner Aufbaus. Wir können alle miteinander — das möchte ich meinen heutigen Betrachtungen voranstellen — auf ein gutes Stück gemeinsamer Arbeit zurückblicken. Die meisten werden sich noch jener Zeit erinnern, in der die Berlin-Debatten in diesem Hause durch akute Not geprägt waren. Heute hat Berlin immer noch mehr als 110 000 Arbeitslose, aber wir hatten einmal mehr als 320 000. Heute liegt die Westberliner Produktion bei 110 %, verglichen mit dem Jahre 1936. Das ist wenig, wenn wir die Zahl für das westdeutsche Bundesgebiet danebenhalten und wenn wir vor allem daran denken, daß Berlin früher nur zur Hälfte
von seiner Produktion und zur anderen Hälfte davon gelebt hat, daß es Hauptstadt war. Aber es ist trotzdem eine stolze Zwischenbilanz, wenn wir uns daran erinnern, daß Berlin mit ganzen 17 % beginnen mußte, als die Blockade im Frühjahr 1949 zu Ende gegangen war. Wir haben seitdem Berlin behauptet, wir haben es mit dem Bund, zu dem es gehört, unlösbar verknüpft. Wir haben es in die Lage versetzt, seine Aufgabe als eine der Klammern des gespaltenen Deutschlands zu erfüllen.
Diese Arbeit der hinter uns liegenden Jahre war uns politisch aufgezwungen. Sie hat sich aber auch wirtschaftlich gelohnt. Das böse Wort vom Faß ohne Boden ist seinen Erfindern im Halse steckengeblieben. Gewiß, dieser Weg hat große Anstrengungen erfordert. Aber schließlich ging es um nicht mehr und nicht weniger, als eine Millionenstadt ökonomisch neu zu begründen. Mit der Amerikaner und des Bundes Hilfe und nicht zuletzt durch den unverwüstlichen Arbeitswillen der Berliner selbst sind diese neuen Grundlagen geschaffen worden.
Als einer derer, die heute für Berlin sprechen dürfen, möchte ich von dieser Stelle aus ein schlichtes Wort aufrichtigen Dankes sagen. Wir haben in den vergangenen Jahren gedrängt, wir waren zuweilen unbequem, wir waren ungeduldig. Wir mußten ungeduldig sein und wir müssen ungeduldig bleiben, solange die uns eigentlich gestellte Aufgabe nicht gelöst ist. Aber wir wissen in Berlin, was wir unseren Landsleuten und unseren Freunden im Westen verdanken.
Meinen politischen Freunden und mir geht es hier auch nicht um eine Polemik. Wir möchten allerdings nicht auf den Hinweis verzichten, daß in den zurückliegenden Jahren manches noch wirkungsvoller, noch erfolgreicher hätte gestaltet werden können, wenn das als richtig Erkannte ohne Zeitverlust, ohne Tempoverlust in die Wege geleitet worden wäre.
Wir hätten dann noch weiter sein können. Diese Erkenntnis gilt auch für die Aufgaben, die jetzt vor uns liegen.
Was ist das Wesentliche an dem langfristigen Aufbauplan für Berlin, mit dem sich unsere Große Anfrage befaßt? Das Wesentliche ist, daß es sich nicht mehr allein darum handelt, die Grundlagen neuer industrieller Produktion zu schaffen und der bittersten Not Herr zu werden. Das Wesentliche ist der Übergang vom Aufbau zum Ausbau, der Übergang von der Hilfe zur Vorbereitung auf die hauptstädtischen Aufgaben in einem wiedervereinigten Deutschland.
Das Gerippe eines solchen Plans für die Jahre 1955 bis 1959 wurde vom Berliner Senat Anfang dieses Jahres unterbreitet. Wir nähern uns jetzt dem Ende des Jahres. In der Zwischenzeit haben, wie wir wissen, in Berlin und in Bonn wichtige Besprechungen stattgefunden. Aber uns will scheinen, daß nun bald ein gewisser Abschluß gefunden werden müßte. Ein überschaubares Aufbauprogramm für Berlin, das sich über eine Reihe von Jahren erstreckt, erfordert auch in Bonn Festlegungen, die über den Rahmen eines Haushaltsjahres hinausgehen. Unsere Große Anfrage, die das Datum des 25. Mai trägt, bezog sich auf die einen Monat zuvor geführten Gespräche zwischen dem
Senat und dem Wirtschaftskabinett unter dem Vorsitz des Herrn Bundeskanzlers. Damals wurde in Berlin eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der es hieß, die Bundesregierung und der Senat seien sich einig, die Entwicklung der Stadt nach den Zielen des langfristigen Aufbauplans zu fördern. Es hieß damals auch, die Bundesregierung werde die sich ergebenden Auswirkungen auf den Bundeshaushalt in ihren Vorlagen berücksichtigen Über den Inhalt des Aufbauplans selbst gibt die Druckschrift des Berliner Senats Aufschluß, die allen Mitgliedern des Hauses zugegangen ist.
Dabei geht es nun zunächst darum, daß weitere 100 000 Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, einmal, weil es in Berlin immer noch eine beträchtliche Reserve an Arbeitskräften gibt, zum andern, weil Berlin den Ertrag seiner Wirtschaft steigern muß, um möglichst bald aus eigener Kraft leben zu können. Wir sollten auch nicht statisch denken, sondern erkennen, daß Berlin über den Rahmen seiner im Augenblick vorhandenen Arbeitskräfte hinaus und auch über den Rahmen der zunächst in Aussicht genommenen Kapazitäten hinaus entwickelt werden kann und entwickelt werden muß. Für diesen Teil des Plans stehen — so hieß es in der gemeinsamen Erklärung von Bundesregierung und Senat — bis 1959, und zwar aus dem ERP-Sondervermögen in Berlin und im Bund, 1,6 Milliarden DM zur Verfügung. Dieses Haus wird darauf zu achten haben, daß in den Wirtschaftsplänen für die nächsten vier Jahre die erforderlichen Kredite nicht nur für die Investitionen, sondern auch für die Auftragsfinanzierung und für das Notstandsprogramm erscheinen.
Ich möchte gerne diesen letzten Punkt besonders unterstreichen und mich zum Fürsprecher gerade auch der vielen älteren und nun schon seit vielen Jahren arbeitslosen Angestellten in Berlin machen. Es wäre eine gute Sache, meine Damen und Herren, wenn wir zu dem in Aussicht genommenen Sonderprogramm kämen, um älteren Angestellten nicht nur für drei oder für sechs Monate, sondern für jeweils zwei oder drei Jahre zu einer sinnvollen Beschäftigung zu verhelfen.
Im übrigen möchte ich die Aufmerksamkeit des Hauses in diesem Zusammenhang noch auf zwei Punkte lenken, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Es wird gerade im Zusammenhang mit den neuen Anstrengungen um den wirtschaftlichen Ausbau nichts versäumt werden dürfen, um gemeinsam mit den dafür verantwortlichen Mächten den Verkehr von und nach Berlin nicht nur im bisherigen Ausmaß sicherzustellen, sondern um den Berlin-Verkehr auch weiterhin zu vereinfachen. Das wäre ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Beitrag zu einer tatsächlichen, aber auch möglichen und dringend erwünschten Normalisierung der Verhältnisse.
Zweitens: Alle verantwortlichen Kräfte im deutschen Westen sollten sich darüber im klaren sein, daß der Berliner Aufbau nicht durch ein kleinliches und egoistisches Wegengagieren von Menschen über Gebühr erschwert werden sollte. Es wird im Gegenteil darauf ankommen, gerade auch jüngere Führungskräfte aus der Wirtschaft und aus der Wissenschaft zu veranlassen, gegen den Strom zu schwimmen und für eine jedem einzelnen dienliche Zeit der Bewährung und des Dienstes an einer gemeinsamen Aufgabe nach Berlin zu gehen.
Im zweiten Teil des Aufbauplans geht es nun um Aufgabengebiete, die allesamt nicht nur für das Wohl der davon unmittelbar betroffenen Bevölkerung und für den Zusammenhalt mit den Landsleuten im anderen Teil der einen Stadt und für den Zusammenhalt mit den Menschen in der Zone von Bedeutung sind, sondern um Aufgabengebiete, auf denen auch über das Gesicht der künftigen deutschen Hauptstadt entschieden wird. Das gilt ganz besonders auch für das Kultur- und Sozialprogramm. Die Art, wie wir die Berliner Universitäten und Hochschulen ausstatten, geht völlig unabhängig von der Kulturhoheit der Länder uns alle gemeinsam an. Daß die Philharmoniker ein würdiges Gebäude benötigen, wird mit gutem Gewissen von niemand bestritten werden können. Neulich hat irgendwo ein Gemütsmensch geschrieben, was denn wohl die Berliner mit einer Oper wollten; im Ostsektor sei doch gerade eine fertig geworden.
Natürlich wollen wir und müssen wir bei unseren Planungen an das ganze Berlin denken; aber auch das ganze Berlin wird nicht an zwei Opern zugrunde gehen. Früher hat Berlin drei gehabt.
Es geht in diesem Teil zum andern um ein Verkehrs- und ein Versorgungsprogramm. Eine Stadt, die so ausgeblutet war wie Berlin und die heute schon und erst recht morgen Aufgaben für das ganze Deutschland zu erfüllen hat, braucht Unterstützung auch für ihre längst fälligen großen Kommunalbauten.
Drittens: In diesem Bereich geht es um den Sozialen Wohnungsbau, für den bis 1959 etwa 75 000 Wohnungen vorgesehen sind. Mir ist berichtet worden, daß bei den Beratungen unserer sachkundigen Kollegen in der vorigen Woche in Berlin der Gedanke zusätzlicher Aufwendungen für die Beseitigung von Elendsquartieren positiv aufgenommen worden sei, und Berlin wird es begrüßen, wenn dieser Gedanke weiter verfolgt wird.
Für die drei genannten Programme — Kultur-und Sozialprogramm, Verkehrs- und Versorgungsprogramm und Wohnungsbauprogramm — werden im Laufe der Planperiode etwa 1'/2 Milliarden DM erforderlich sein. Zu mehr als drei Vierteln wird es sich dabei um werbend angelegte Mittel handeln, für die Berlin vom Bund zinsverbilligte Darlehen erwartet. Zu einem andern Teil geht es um Zuschüsse für nichtwerbende Anlagen. Davon ist wohl auch das Wirtschaftskabinett ausgegangen, als es in der gemeinsamen Erklärung von den Auswirkungen auf den Bundeshaushalt sprach.
Meine politischen Freunde und ich würden es lebhaft begrüßen, wenn sich die Bundesregierung über die uns bekannten allgemeineren Feststellungen hinaus dazu verstehen könnte, das Aufkommen aus dem Notopfer Berlin in den Dienst dieser neuen Aufgaben zu stellen.
Wir lenken die Aufmerksamkeit des Hauses insbesondere auch darauf, daß die kteditpolitischen Maßnahmen durch den Bund ohne eine politisch nicht zu verantwortende Verschuldung und Zukunftsbelastung Berlins getroffen werden sollten. Es müßte auch darauf ankommen, daß die erforderlichen Mittel und Maßnahmen sich nicht zersplittern, sondern daß sie geballt eingesetzt werden können. Um das zu erreichen, war der Gedanke eines Sondervermögens aufgekommen. Aber vielleicht ist es nicht zweckmäßig, hier die technische Seite des Problems zu vertiefen.
Ich möchte statt dessen den zweiten Punkt unserer Großen Anfrage, die nun schon ein bißchen liegengeblieben war, folgendermaßen konkretisieren. Erstens: Wird die Bundesregierung im Sinne der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 26. April, jener Erklärung, in der es hieß, der Bund sei sich seiner großen Verpflichtungen für Berlin voll bewußt, die notwendigen grundsätzlichen Entscheidungen herbeiführen, damit Berlin alle erforderlichen Ansätze in seinem Haushalt vorsehen kann? Zweitens: Wird die Bundesregierung, wie es bei allen sich über mehrere Jahre erstreckenden Programmen selbstverständlich ist, in einem Zuge auch die Endfinanzierung der Projekte des Berliner Aufbauplans sicherstellen, damit ihre Inangriffnahme und Durchführung zügig erfolgen kann? Drittens: Denkt die Bundesregierung, wie es der Berliner Senat vorschlägt, an die Vorlage eines Gesetzes zur Finanzierung des Aufbauplans, um eine rechtzeitige Festlegung der Gesamtfinanzierung für mehrere Jahre sicherzustellen? Das Haus wird, so hoffe ich, Verständnis für diese Konkretisierung unserer Anfrage haben, zumal es mit den Vorbereitungen der Haushalte in Berlin und im Bund eilt, und dem Herrn Bundesfinanzminister wird es zweifellos auch recht sein, sich nicht auf allgemeinere Bemerkungen beschränken zu müssen.
Wenn es der Herr Präsident gestattet, würde ich abschließend gerne noch ein paar begründende Bemerkungen zu dem Antrag machen, der uns in der Drucksache 1690 vorliegt — dann brauchte ich mich dazu nicht noch einmal zu Wort melden —, da es sich auch dabei um den Aufbau handelt.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind. — Dann können wir so verfahren.
Brandt (SPD), Antragsteller: Dieser Antrag, der Ihnen mit der Drucksache 1690 vorliegt, ist Ihnen von Mitgliedern aller Fraktionen gemeinsam unterbreitet worden. Das, was in diesem Antrag abgehandelt wird, ist ja, wie vor allen Dingen die Kollegen in den zuständigen Ausschüssen wissen, nun schon ein alter Bekannter. Durch diesen Antrag soll erreicht werden, daß die Mittel bereitgestellt werden, um sozusagen über die Trennungslinie am Brandenburger Tor hinweg einen städtebaulichen Ideenwettbewerb für das künftige Regierungsviertel durchführen zu können. Zweitens soll auch ein beschränkter Architektenwettbewerb zur Wiederherstellung des Reichstagsgebäudes eingeleitet werden. Der Meinung der Antragsteller aus allen Fraktionen nach kommt es darauf an, daß auf anderen Gebieten keine Fehlplanungen erfolgen, die hinterher mit großem Aufwand korrigiert werden müßten. Es kommt aber wohl auch darauf an, daß wir durch die vorbereitende Planung der Hauptstadt unser Zutrauen zu uns selbst und zur Sache der deutschen Einheit bekräftigen. Schließlich sollten wir dafür sorgen, daß das jahrelange Gezerre und Gerede um die Reichstagsruine durch einen bescheidenen, aber praktischen Schritt abgelöst wird.
Es geht gar nicht darum, ob die künftige Nationalversammlung im wiederaufgebauten Reichs-
tagsgebäude würde arbeiten können oder ob es dazu neuer Bauten bedürfen würde, sondern es geht um ein bißchen Sinn für Geschichte
und auch um die Klärung der Frage, wie denn überhaupt praktisch der Wiederaufbau des Reichstagsgebäudes für den einen oder den anderen nationalen Zweck sinnvoll in die Wege geleitet werden soll.
Die Regierung wird durch diesen Antrag ersucht, in dem einen Fall 350 000 DM, im andern Fall — Reichstag — 60 000 DM zu veranschlagen. Ich möchte anregen, meine Damen und Herren, daß wir dieses Ersuchen an die Regierung jetzt nicht noch einmal durch die Mühle der Ausschüsse gehen lassen, sondern daß wir diesen Antrag als eine kleine Frucht unserer Berliner Arbeitswoche hier heute und möglichst einmütig annehmen.
Den Hintergrund unserer heutigen BerlinDebatte — und das ist in gewisser Hinsicht etwas Erfreuliches — bilden nicht etwa unmittelbare Schwierigkeiten. Hoffentlich — und damit möchte ich schließen — wird es uns trotzdem und vielleicht gerade deswegen möglich sein, uns auf ein Stück weiterer gesamtdeutscher Politik zu verständigen. Die Aufgabe, die Berlin heißt, ist uns gemeinsam gestellt. Wir müssen sie gemeinsam anpacken und gemeinsam lösen.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD-Fraktion gibt mir die willkommene Gelegenheit, im Benehmen mit dem Herrn Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft nicht nur die in der Drucksache 1412 gestellten zwei Fragen zu beantworten, sondern auch über die bisherige Bundeshilfe für Berlin kurz zu berichten.
Der Anfrage liegt der Wunsch zugrunde, daß die Bundesregierung die bestgeeigneten Schritte unternehmen möge, um den bisherigen Weg zu dem von allen Fraktionen des Bundestags und von der Bundesregierung gemeinsam angestrebten Ziele fortzusetzen, nämlich Berlin in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht gesunden zu lassen und auf seine zukünftige Aufgabe als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands vorzubereiten.
Es ist daher nicht möglich, den in dem Mittelpunkt der Drucksache 1412 gestellten Berliner Aufbauplan zutreffend zu beurteilen und die Große Anfrage erschöpfend zu beantworten, ohne sich die bisherige Berlinhilfe des Bundes und ihre Auswirkungen vergegenwärtigt zu haben.
Aus dem Bundeshaushalt sind bis zum Ende des Rechnungsjahrs 1954, sei es in Gestalt des Bundeszuschusses, sei es in einer Weise, die die Beträge der Berliner Bevölkerung, der Berliner Wirtschaft unmittelbar zukommen läßt, netto, d. h. unter Abzug der in Berlin vereinnahmten Bundessteuern, rund 4700 Millionen DM für Berlin bezahlt worden. Für -das Rechnungsjahr 1955 wird der Nettobetrag auf rund 1300 Millionen DM geschätzt. Bis zum Ablauf des Rechnungsjahrs 1955 werden also netto rund 6000 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt nach Berlin geflossen sein. Die Einnahmen aus dem Notopfer Berlin erbrachten bis Ende 1954 rund 4100 Millionen DM. Für das Rechnungsjahr 1955 wird das Aufkommen auf 1275 Millionen DM geschätzt. Nicht enthalten sind in dem Förderungsbetrag von 6000 Millionen DM die Millionenbeträge, die aus anderen zentralen Fonds — Sozialversicherung, Bundesanstalt für Arbeitslosenversicherung, Lastenausgleich — Berlin zugeflossen sind. Es sind auch nicht die Beträge erfaßt, die die Bundespost zur Deckung des Defizits der Berliner Postverwaltung aufbringen mußte, insgesamt 166 Millionen DM.
In diesem Zusammenhang ist ferner auf die verschiedenen steuerlichen Erleichterungen hinzuweisen, die der Wirtschaft und der Bevölkerung Berlins gewährt worden sind, insbesondere auf die Umsatzsteuervergünstigungen, die Senkung der Einkommen- und der Körperschaftsteuer um 20 % und den völligen Wegfall des Notopfers in Berlin.
Neben diesen unmittelbar den Bundeshaushalt berührenden Maßnahmen stehen die Beträge, die Berlin aus dem ERP-Sondervermögen zugeflossen sind und weiterhin zufließen. Es sind das in der Zeit von 1948 bis zum 30. September 1955 insgesamt rund 3300 Millionen DM gewesen, von denen rund 2500 Millionen auf Maßnahmen zur Förderung der Berliner Wirtschaft entfallen. Der Anteil Berlins an den aus dem ERP-Sondervermögen überhaupt bereitgestellten Mitteln ist ständig gestiegen. Er beträgt im Durchschnitt der Jahre 1948 bis 1955 rund 35 v. H. Wenn diese Mittel auch, wie wiederholt von der Bundesregierung dankbar anerkannt worden ist, amerikanischer Herkunft sind, so ist doch zu bedenken, daß der Bund auch für den Berlin zugeflossenen Teil gewisse Rückzahlungs- und Zinsverpflichtungen gegenüber den Vereinigten Staaten von Nordamerika übernommen hat.
Berlin hat diese Finanzhilfe zu nutzen verstandden und insbesondere den Aufbau seiner Wirtschaft kräftig vorangetrieben. Das findet seinen deutlichsten Ausdruck in dem Absinken der Arbeitslosenzahlen. Gab es im Jahre 1950 noch 350 000 Arbeitslose, so sind es heute weniger als 120 000. Auch in diesem Jahr sind wieder 40 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Zur Milderung der Arbeitslosigkeit hat im übrigen beigetragen, daß im Rahmen der Notstandsprogramme jährlich etwa 20- bis 25 000 Arbeitslose vorübergehend beschäftigt wurden. Die Zahl der neu geschaffenen Dauerarbeitsplätze ist noch größer, als die Abnahme der Arbeitslosenzahl vermuten läßt, denn in den Jahren 1950 bis 1954 sind fast 100 000 Neuzugänge an Arbeitsuchenden zu verzeichnen.
Die Umsatzwerte der Westberliner Industrie sind von 1,8 Milliarden DM im Jahre 1950 auf 4,3 Milliarden DM im Jahre 1954 gestiegen, die Lieferungen nach Westdeutschland von 1 Milliarde im Jahre 1950 auf 2,6 Milliarden im Jahre 1954 angewachsen.
Die Leistungsbilanz, d. h. die Gegenüberstellung der Einfuhr von Gütern und Diensten aus Westdeutschland, der Sowjetzone, dem Sowjetsektor von Berlin und dem Ausland mit der entsprechenden
Ausfuhr, weist im Jahre 1954 auf der Einfuhrseite eine Zunahme um 12 v. H. von 3,99 Milliarden DM auf 4,46 Milliarden DM, auf der Ausfuhrseite eine Steigerung um fast 20 v. H. von 2,94 auf 3,49 Milliarden DM auf. Der Einfuhrüberschuß für 1954 betrug 965 Millionen DM, also zum erstenmal seit der Blockade weniger als 1 Milliarde DM. Im Jahre 1953 hat der Einfuhrüberschuß noch 1050 Millionen DM, im Jahre 1951 sogar 1300 Millionen DM betragen. Die über die Entwicklung des laufenden Jahres vorliegenden Zahlen lassen deutlich eine weitere Besserung erkennen.
Trotzdem bleibt für die Stadt Berlin und den Bund noch viel zu tun, um das gemeinsam angestrebte Ziel zu erreichen. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Berlins lassen sich leider nicht von heute auf morgen ändern. Sie nachhaltig zu bessern und zu normalisieren und Berlin auf seine künftige Aufgabe als Bundeshauptstadt vorzubereiten, erfordert Anstrengungen, die sich zwangsläufig über mehrere Jahre erstrecken werden.
Der Senat von Berlin hat der Bundesregierung inzwischen einen langfristigen Aufbauplan vorgelegt. Dieser die Rechnungsjahre 1955 bis 1959 umfassende Plan ist zunächst von den beteiligten Bundesministerien eingehend geprüft und in mehreren Ressortbesprechungen, an denen zeitweise auch Vertreter Berlins teilgenommen haben, ausführlich erörtert worden, u. a. in der Sitzung des Kabinettsausschusses, die am 26. und 27. April 1955 in Berlin unter dem Vorsitz des Herrn Bundeskanzlers abgehalten wurde.
Nach den Beratungen in Berlin haben die zuständigen Berliner Stellen den Aufbauplan überarbeitet. Das Gesamtvolumen hat sich dabei um rund 400 Millionen DM auf rund 5300 Millionen
DM erhöht. Der Plan enthält nunmehr:
1. Das Aufbauprogramm für die Berliner Wirtschaft mit insgesamt 3496 Millionen DM, das aus einem Investitionsprogramm mit 1596 Millionen DM, einem Auftragsfinanzierungsprogramm mit 1500 Millionen DM und einem Wiederaufbauprogramm mit 400 Millionen DM besteht. Im Rahmen des Investitionsprogramms sind weitere erhebliche Investitionen für Industrie, Handwerk und Gewerbe und der Ausbau der Berliner Energiewirtschaft geplant. Die Auftragsfinanzierung soll in verstärktem Umfang fortgesetzt werden. Das Wiederaufbauprogramm, bisher als Notstandsprogramm bezeichnet, soll die Beschäftigung von Arbeitslosen, insbesondere auch von arbeitslosen Angestellten ermöglichen.
2. Das Kultur- und Sozialprogramm mit einem Gesamtbetrag von 324 Millionen DM. Hier sind insbesondere der weitere Ausbau der Freien Universität und der Technischen Universität, der übrigen Hochschulen und der Ingenieurschulen, der Wiederaufbau eines repräsentativen Opernhauses, der Neubau der Philharmonie und sonstige Einrichtungen, die dem Kulturleben Berlins dienen, sowie eine Reihe von Sozialeinrichtungen, Neubau einer Nervenklinik, Studentenheim, Sportstätten, Kindertagesstätten, Bauten der karitativen Verbände sowie ein Sonderprogramm für ältere Angestellte vorgesehen.
3. Das Verkehrs- und Versorgungsprogramm mit insgesamt 481 Millionen DM, das den Bau eines Schnellstraßenrings, den Ausbau der Verkehrsbetriebe und der U-Bahn, die Erweiterung der Ausstellungshallen, den Bau einer Kläranlage, den Neubau von Markthallen und einer Meierei, eines Milchhofs vorsieht.
4. Das Wohnungsbauprogramm, das rund 1000 Millionen DM erfordert und den Bau von 75 000 Wohnungen bis zum Ende des Rechnungsjahres 1959 sowie Beträge für die Erhaltung des Wohnungsaltbaubestandes umfaßt.
5. Die Errichtung von Bundesgebäuden und den Bau eines Langwellensenders mit einem Aufwand von etwa 31 Millionen DM.
Für den Wiederaufbau der Berliner Wirtschaft werden 1640 Millionen DM Mittel des ERP-Sondervermögens erwartet. Für den Aufbau Berlins --- den eigentlichen Aufbauplan — ist eine Bundeshilfe von rund 1470 Millionen vorgesehen, davon für zinsverbilligte Darlehen 1130 Millionen DM, für Zuschüsse 340 Millionen, zusammen also 1470 Millionen DM.
Zur ersten Frage der Drucksache 1412, die sich auf das Ergebnis der Berliner Beratungen des Kabinettsausschusses über den langfristigen Aufbauplan bezieht, bemerke ich folgendes.
1. Die Bundesregierung und der Senat von Berlin sind sich einig, den weiteren Wirtschaftsaufbau Berlins planmäßig fortzusetzen mit dem Ziel, bis Ende 1959 möglichst mindestens 100 000 neue Dauerarbeitsplätze in Berlin zu schaffen. Dabei soll der bisherige Weg der Investitions- und Auftragsfinanzierung aus Mitteln des ERP-Sondervermögens weiter verfolgt werden. Die Finanzierung dieses Teils des Aufbauplans kann als gesichert angesehen werden. Hierfür werden einschließlich einer voraussichtlich zu erwartenden weiteren amerikanischen Wirtschaftshilfe insgesamt 1100 Millionen DM zur Verfügung stehen. Im ersten langfristigen. Aufbauplan für die Jahre 1950 bis 1954 wurden mit Hilfe von 741 Millionen DM langfristiger Kredite für Investitionen in der gewerblichen und öffentlichen Wirtschaft mehr als 200 000 neue Dauerarbeitsplätze geschaffen. Es ist anzunehmen, daß im Rahmen der in den Jahren 1955 bis 1959 zur Verfügung stehenden Mittel die Investitionsprogramme im bisherigen Umfang durchgeführt und auf diese Weise bis zum Jahre 1959 durch Schaffung neuer Arbeitsplätze die geplante Kräftigung der Berliner Wirtschaft und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit auch hier erreicht werden können. Es ist auch damit zu rechnen, daß die Investitionen in Zukunft stärker als bisher aus eigenen Mitteln und über den Kapitalmarkt finanziert werden können. Sofern die Übernahme von Bürgschaften für Geschäftsbankenkredite notwendig sein sollte, stehen sie im Rahmen des ERP-Sondervermögens zur Verfügung. Darüber hinaus soll versucht werden, weitere Finanzierungsquellen für die Wirtschaftsförderung zu erschließen. Verhandlungen mit Kapitalsammelstellen und mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau sind eingeleitet worden und haben auch bereits zu ersten Erfolgen geführt.
Auch die für den Wirtschaftsaufbau in Berlin besonders wichtige Auftragsvergabe nach Berlin und die Finanzierung westdeutscher Aufträge sollen wie bisher aus Mitteln des ERP-Sondervermögens gefördert werden. So ist u. a. vorgesehen, in den Rechnungsjahren 1956 bis 1959 Kredite bis zu 100 Millionen DM jährlich im Rahmen der Investitionsprogramme des ERP-Sondervermögens in der Bundesrepublik für die Finanzierung von Aufträgen an Berliner Unternehmungen zu gewähren.
Das im Aufbauplan als Wiederaufbauprogramm bezeichnete frühere Notstandsprogramm wird für das Rechnungsjahr 1955 zum Teil mit Hilfe des Bundeszuschusses aus dem ordentlichen Haushalt Berlins finanziert, zum Teil aus Mitteln des ERP-Sondervermögens, zum Teil aus Mitteln, die von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung aus der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge zur Verfügung gestellt werden. In dieser oder ähnlicher Weise werden die notwendigen Mittel auch in den folgenden Jahren, in denen ein Notstandsprogramm noch durchgeführt werden muß, beschafft werden können.
2. Der eigentliche Aufbauplan für Berlin enthält in einem Kultur- und Sozialprogramm und in einem Verkehrs- und Versorgungsprogramm eine Reihe von Einzelvorhaben. Es sei hier vorweg auf folgendes hingewiesen.
Es ist der gemeinsame Wille der Bundesregierung und des Berliner Senats, das geistige Leben Berlins zu fördern und weiterzuentwickeln, damit die Stadt befähigt bleibt, den geistigen Zusammenhalt des deutschen Volkes zu wahren und die kulturelle Gemeinsamkeit mit den Völkern der freien Welt zu festigen.
Zu diesem Zweck sollen die Berliner Institutionen der Wissenschaft, Kunst und Volksbildung im Rahmen des Möglichen weiter ausgebaut werden. Die Bundesregierung erkennt auch die Notwendigkeit der zum Teil seit Jahrzehnten geplanten Kommunalbauten grundsätzlich an. Das gilt z. B. von den Markthallen und dem Milchhof, bei deren Finanzierung auch nach Ansicht des Berliner Senats eine Mitwirkung der beteiligten Wirtschaftskreise notwendig ist.
Die Vorarbeiten bei den Berliner Stellen sind noch nicht so weit gediehen, daß die einzelnen Projekte schon als etatsreif bezeichnet werden können. Die angegebenen Beträge sind geschätzt und erscheinen zum Teil als überhöht. Zunächst ist mit dem Berliner Senator für Finanzen vereinbart worden, daß er baldmöglichst eine Übersicht vorlegt, die auf Grund der Vorarbeiten für den Berliner Landeshaushalt 1956 neben sonstigen von Berlin für 1956 geplanten Bauvorhaben die für 1956 etatsreifen Vorhaben des Aufbauplans mit den dafür zu veranschlagenden Beträgen enthalten soll. Dabei werden auch die Dringlichkeit der Einzelvorhaben, die wirtschaftliche und technische Durchführbarkeit — auch im Hinblick auf die Arbeitsmarktlage in Berlin — geprüft werden.
Der Aufbauplan fordert weitgehend eine Finanzierung mit zinsverbilligten Darlehen des Bundes. Der Bund wird dem Land Berlin bei der Aufnahme von Darlehen durch Bundesbürgschaften und Vorfinanzierung sowie durch Anerkennung des Zins-und Tilgungsdienstes bei der Bemessung des jährlichen Bundeszuschusses zum Landeshaushalt behilflich sein. Der Bereitstellung von unmittelbaren Bundesdarlehen an Berlin bedarf es daher nicht. Berlin wird von sich aus den Kapitalmarkt in Anspruch nehmen müssen und können. Das entspricht auch der Zuständigkeit und der Verantwortung Berlins für die einzelnen Aufgaben.
Was den Wohnungsbau anlangt, so ist der für das Rechnungsjahr 1955 geplante Bau von 18 000 Wohnungen finanziell gesichert. In den folgenden vier Rechnungsjahren ist der Bau von weiteren 57 000
Wohnungen geplant. Die Finanzierung ist — wie beim Bund und in den übrigen Ländern — über den außerordentlichen Haushalt des Landes Berlin vorgesehen. Dabei wird der Bund dem Land Berlin die notwendige Hilfe leisten; er wird zwar eigene Anleihen für den Wohnungsbau in Berlin nicht auflegen können, wohl aber erforderlichenfalls Bürgschaften für den Zins- und Tilgungsdienst übernehmen, der im Rahmen des Bundeszuschusses, den Berlin nach § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes zu seinem Haushalt erhält, ohnehin zu berücksichtigen ist. Wenn danach für die Finanzierung des geplanten Wohnungsbaus keine unüberwindbaren Schwierigkeiten bestehen, so bleibt zu hoffen, daß auch aus dem bereits spürbar gewordenen Mangel an Bauarbeitern keine Hindernisse erwachsen. Schließlich hat der Kabinettsausschuß im Rahmen seiner Beratungen über den Wohnungsbau auch weitere Maßnahmen zur Erhaltung des Wohnungsaltbestandes erörtert.
Zur zweiten Frage der Drucksache 1412, welche Vorschläge die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften für die Durchführung des Aufbauplans vorlegen wird, bemerke ich:
Soweit die in dem Aufbauplan genannten Maßnahmen aus dem Bundeshaushalt finanziert werden sollen, wird das über den Bundeszuschuß nach § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes geschehen müssen. Die einzelnen Vorhaben werden also im Berliner Haushalt zu veranschlagen sein. Die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf den Bundeshaushalt wird die Bundesregierung in ihren Vorlagen berücksichtigen. Auf diese Weise wird es gelingen, den schon bisher erfolgreich beschrittenen Weg — Berlin hat z. B. mit Hilfe des Bundeszuschusses in den vergangenen Jahren seine Hochschul- und Universitätsbauten durchführen können — auch in den folgenden Jahren im Rahmen des finanziell Möglichen fortzusetzen. Die von dem Berliner Senator für Finanzen in Aussicht gestellte Übersicht wird eine .abschließende Prüfung der zur Aufnahme in den Berliner Landeshaushalt 1956 reifen Vorhaben ermöglichen. Mit der Aufnahme der Vorhaben in den damit bereits vorbereiteten Landeshaushalt 1956 und der in der Bemessung ,des Bundeszuschusses liegenden Anerkennung wird die Entscheidung auch für die Durchführung der Vorhaben in den folgenden Haushaltsjahren grundsätzlich gegeben sein. Die Höhe des Bundeszuschusses zum Haushalt des Landes Berlin wird im Rahmen des Haushaltsgesetzes bestimmt. Damit ist die Beteiligung des Bundestages gewährleistet.
Über die Verwendung der Mittel aus dem ERP-Sondervermögen wird in dem Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens entschieden. Es ist also auch hier die Beteiligung des Bundestages gesichert. Weitere gesetzliche Maßnahmen halte ich daher zunächst nicht für erforderlich. Über die Bereitstellung einer weiteren amerikanischen Wirtschaftshilfe für Berlin wird zur Zeit noch verhandelt; die hieraus für Berlin zu erwartende zusätzliche Hilfe wird voraussichtlich nahezu 100 Millionen DM betragen.
Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, daß die Bundesregierung entschlossen ist, im Zusammenwirken mit dem Senat von Berlin alles ihrerseits Erforderliche und Mögliche zu tun, urn den Sonderbedürfnissen Berlins gerecht zu werden. Da die Bundesregierung die dazu notwendigen Vorschläge im Rahmen des Haushaltsgesetzes und
des Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens dem Deutschen Bundestag vorzulegen hat, wird das Hohe Haus Gelegenheit haben, die Vorschläge eingehend zu beraten, bevor sie verabschiedet und verwirklicht werden.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß die Aussprache über diese Antwort der Bundesregierung gewünscht wird. Ich darf Ihnen aber vorschlagen, daß wir zunächst die Begründung zu den Punkten 1 b, c und d hören und dann in die gemeinsame Aussprache eintreten. Ich darf bitten, daß nunmehr Herr Professor Dr. Gülich zur Begründung des unter 1 b vorliegenden Gesetzentwurfs das Wort nimmt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Gastfreundschaft, die der Deutsche Bundestag in der vorigen Woche in Berlin erfahren hat, nach der Freude, der Dankbarkeit und den Gefühlen der Freundschaft, die uns von der Bevölkerung Berlins im Osten wie im Westen dieser Stadt in herzlicher Weise entgegengebracht wurden, hätten die Ausführungen meines Freundes Willi Brandt, des Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses, und die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers ein volles Haus und die ungeteilte Aufmerksamkeit des Deutschen Bundestages erfordert.
Ich habe die Aufgabe, den Gesetzentwurf Drucksache 1706 und den Antrag Drucksache 1710 zu begründen, die beide das Notopfer Berlin behandeln, und ich darf mir gestatten, gleich auch auf Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers einzugehen, soweit sie das Notopfer Berlin betreffen.
Meine Damen und Herren, wir erinnern uns daran — und das soll der Ausgangspunkt unserer Überlegungen sein —, daß das Notopfer Berlin in der Zeit der schwersten Bedrängnis Berlins als eine Hilfe Westdeutschlands für diese Stadt gefunden wurde, daß man für ,diese Hilfe ein Opfer bringen wollte und daher die schwere Bezeichnung „Notopfer Berlin" wählte. Dieses Notopfer Berlin war als eine vorübergehende Maßnahme gedacht, ist aber nun zu einem dauernden Bestandteil unseres Steuersystems geworden. Dem Charakter und dem Namen dieses Notopfers nach liegt es auf der Hand, daß es sich um eine zweckbestimmte Abgabe handelt und nicht wie bei anderen Steuern um ein allgemeines Deckungsmittel. Das zu erreichen, nämlich aus dem Notopfer eine zweckbestimmte Abgabe zu machen, ist der Sinn der beiden Ihnen vorliegenden Anträge. Das Notopfer Berlin wird jetzt in seiner Einnahme im Einzelplan 60 des Bundeshaushalts — Allgemeine Finanzverwaltung — veranschlagt, in seiner Ausgabe, soweit es für Berlin in Anspruch genommen wird, im Einzelplan 45 — Finanzielle Hilfe für Berlin —. Wir wünschen mit unserem Antrag auf Drucksache 1710, daß das Notopfer Berlin in Einnahme und Ausgabe im Einzelplan 45 veranschlagt wird.
Zur weiteren Begründung füge ich an, daß außer den Zöllen und allgemeinen Steuern alle besonderen Abgaben, also die Vermögensabgabe, die Kohlenabgabe, die Hypothekengewinn- und die Kreditgewinnabgabe, im Einzelplan 60 zweckbestimmte Abgaben sind. Nur eine Abgabe im Einzelplan 60 ist nicht zweckbestimmt, und diese Abgabe trägt den Namen „Notopfer Berlin".
Diese Abgabe ist nach dem § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes heranzuziehen, soweit der Berliner Haushalt es erfordert. Im übrigen aber gilt sie als allgemeines Deckungsmittel für den Bundeshaushalt. Wir wollen also mit unserem heutigen Antrag gar nichts Neues für Berlin erreichen, sondern möchten damit Ordnung in die Hilfe für Berlin bringen.
Die Auffassung des Herrn Bundesfinanzministers und unsere Auffassung gehen hier sehr auseinander. Ich habe mit dem Herrn Bundesfinanzminister oft über diese Frage gesprochen. Wir wollen — das möchte ich hier vor dem Hause ausdrücklich sagen, und ich glaube, ich kann das auch im Namen der Berliner sagen; Herr Kollege Friedensburg nickt mir bereits freundlich zu — mit diesem Notopfer nun keineswegs dem Haushalt Berlin unangemessene Zuschüsse geben, sondern wir möchten dem Haushalt Berlin nur das geben, was er zur Deckung des Fehlbetrages benötigt. Da das Aufkommen aus dem Notopfer Berlin aber in den letzten Jahren immer wesentlich höher gewesen ist, möchten wir gern ,aus dem Mehraufkommen ein Sondervermögen Berlin schaffen und dieses Sondervermögen Berlin für besondere Investitionsaufgaben in Berlin bereitgestellt wissen.
Hier trennen sich nun die Auffassungen. Ich darf aber zunächst daran erinnern, daß auch der Deutsche Bundestag bereits am 6. Mai 1954 einstimmig folgender Entschließung zugestimmt hat:
Das Aufkommen aus der Abgabe Notopfer Berlin dient in erster Linie der Deckung des Fehlbedarfs des Berliner Haushalts. Der nach Leistung des Bundeszuschusses verbleibende Ertrag des Notopfers sollte ausschließlich verwendet werden, um die wirtschaftliche und soziale Position Berlins zu sichern. Die Zweckbestimmung des Notopfers Berlin wird bei der Neufassung des Gesetzes über das Notopfer und durch eine entsprechende Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes festzulegen sein.
Hier liegt also bereits eine eindeutige Willensäußerung des Deutschen Bundestages vor, und es gilt heute, aus dieser Willensäußerung die Folgerungen zu ziehen.
Nun hat der Herr Bundesfinanzminister auch heute wieder ein umfangreiches Rechenwerk aufgemacht. Wir kennen ja seine Berechnungen, die auch wiederholt im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung erschienen sind. Ich möchte dazu sagen: Wir können nicht Berlin Ausgaben zur Last legen, die in anderen deutschen Ländern auch aus dem Bundeshaushalt bestritten werden.
Wir können z. B. nicht die Kriegsfolgenausgaben, die nach Art. 120 Ausgaben des Bundes sind, nunmehr als Sonderleistungen des Bundes Berlin zur Last legen und dem Bunde gutschreiben.
Verfahren wir so — und der Herr Bundesfinanzminister verfährt so —, dann ist das eine falsche Rechnung.
— Ich drücke mich manchmal etwas milde aus. Wenn es notwendig ist, kann ich es auch härter tun; aber solange es mit der Milde geht, sollten wir keine härteren Töne anschlagen.
Ich empfehle dem Haus, diesen löblichen Grundsatz allgemein einzuhalten. — Fahren Sie bitte fort, Herr Abgeordneter.
Nun habe ich im Zusammenhang mit der Betrachtung der Zahlen noch auf zwei Dinge hinzuweisen. Der Herr Bundesfinanzminister hat in der 64. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen am 28. April dieses Jahres dargelegt, daß die Ausgaben für Berlin unvergleichlich höher seien als das Notopferaufkommen. Er sagte: Es ergibt sich folgende Rechnung: Aufkommen 1956 geschätzt mit 1225 Millionen DM, spezielle Leistung an Berlin 1050 Millionen DM; es blieben dann nach dem Vorschlag Dr. Gülich für einen Sonderfonds 175 Millionen DM übrig; für die weiteren Bundesleistungen an Berlin in Höhe von 250 Millionen DM müßte dann im Bundeshaushalt eine neue Deckung geschaffen werden. — Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist die falsche Rechnung. Diese Ausgaben werden ja auch bisher geleistet. Es ist ja nicht so, als ob jetzt eine zusätzliche Ausgabe geschaffen werden sollte. In seinen Ausführungen vorhin sagte der Herr Bundesfinanzminister, er schätze, daß 1955 aus dem Notopfer Berlin 1275 Millionen DM Einnahmen entstünden. Dabei hat er offensichtlich nicht die wahrscheinliche Steigerung des Steueraufkommens berücksichtigt und nicht das Ansteigen des Sozialprodukts zugrunde gelegt, das ja auch ein höheres Aufkommen aus dem Notopfer Berlin zur Folge haben wird. Er hat auch nicht das bisherige Ist-Aufkommen aus dem Notopfer Berlin angegeben; aber das ließe sich ja noch nachholen. Legt man jedoch die Zuwachsrate des Sozialprodukts zugrunde, die wir überhaupt für die Steuererwartung 1956 anlegen, so kommen wir mit dem Notopfer Berlin auf mindestens 100 Millionen DM mehr, wahrscheinlich 125 Millionen DM mehr, so daß wir statt 1275 Millionen DM hier 1400 Millionen DM ansetzen müßten. Diese 125 Millionen DM sind ja schließlich kein Pappenstiel; wir wollen sie nicht einfach unter den Tisch fallenlassen.
Nun hat ein Vertreter des Bundesfinanzministeriums auf einer Sitzung des Haushaltsausschusses neulich geäußert, daß der Einzelplan 45 ab 1956 nach der Absicht des Herrn Bundesfinanzministers überhaupt verschwinden und daß die finanzielle Hilfe für Berlin im Einzelplan 60 ausgebracht werden solle. Das wäre genau die umgekehrte Richtung, die wir nicht wünschen. Noch einmal: Wir wünschen hier gar nichts Neues, sondern Ordnung in die Sache hineingebracht, und die Ordnung haben wir, wenn genau ausgewiesen wird: hier im Einzelplan 45, Finanzielle Hilfe für Berlin, haben wir ein ganz bestimmtes Aufkommen zu erwarten, und wir haben bestimmte Ausgaben zu tätigen; den Rest verwenden wir dann für gezielte Maßnahmen, für Sonderinvestitionen. Da der Herr Bundesfinanzminister nichts darüber gesagt hat, wäre ich ihm dankbar, wenn er — falls diese Auffassung, die einer seiner Herren neulich geäußert hat, zutreffend ist — heute dazu Rede stehen würde.
— Ich habe schon wiederholt nach der Regierungsbank hingeschaut. Ich habe ja neuerdings das Pech, daß der Bundesfinanzminister nicht da ist. Vor ein paar Tagen in Berlin war doch wirklich eine sehr unglückliche Situation; ich hatte dem Herrn Minister Schäffer, kurz nachdem er gesprochen hatte, ausdrücklich gesagt, daß ich ihm antworten wollte. Infolgedessen hätten wir ja, wenn er früher abreisen mußte, den Punkt vorziehen können. Wir hätten ihn also gemeinsam erörtern können; denn ich spreche ungern gegen der Herrn Bundesfinanzminister, wenn er nicht da ist und nicht selber sofort antworten kann. Das gibt eine schiefe Situation.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Meine Damen und Herren, ich bin immer in der mißlichen Lage, in diesen Fällen eine Erklärung abgeben zu müssen. Es wird mir in diesem Augenblick gesagt, daß der Herr Bundesfinanzminister in den Vermittlungsausschuß habe gehen müssen, wo er sich nicht vertreten lassen könne. Der Herr Ministerialdirektor hat sich freundlicherweise angeboten, ihn hier zu vertreten. Das kann ich nicht zulassen. Wenn die s Anwesenheit des Herrn Bundesfinanzministers hier notwendig ist, dann stehe ich auf dem Standpunkt — der sicher vom ganzen Hause gebilligt wird —, daß das Plenum jedem Ausschuß, wenn er auch noch so bedeutend ist, vorgeht.
Ich mache Ihnen den Vorschlag, daß keine Resolution eingebracht wird, den Herrn Bundesfinanzminister herbeizuholen. Ich habe vielmehr den Herrn Bundesfinanzminister bitten lassen, dieser Aussprache hier beizuwohnen. Ich darf hoffen, daß der Herr Bundesfinanzminister sofort wieder erscheint. Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter!
Danke sehr, Herr Präsident! — Es ist wie gesagt, mißlich, mit jemandem streiten zu müssen, gegen jemanden polemisieren zu müssen, der nicht da ist. Denn der Herr Bundesfinanzminister ist ja um Einwände nicht verlegen. Er wird also mutmaßlich den Einwand bringen, daß eine Zweckbindung im Einzelplan 45 schon deswegen nicht gut wäre, weil bei einem Wegfall des Notopfers Berlin Berlin dann gar nichts mehr bekäme. Ich hätte gern, daß er zu diesem möglichen Einwand etwas sagt. Dazu ist zu bemerken: Wenn das Notopfer Berlin, für dessen Wegfall bisher noch keinerlei Anzeichen vorliegen, aufhört, wird es entweder Berlin so gut gehen, daß es die Zuschüsse nicht mehr benötigt, oder es wird die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt in anderer Weise bekommen, nicht durch diese Zwecksteuer, die wir jetzt wünschen. Es wäre gut, wenn der Herr Bundesfinanzminister sich auch zu diesem Punkt äußern würde.
Der Herr Bundesfinanzminister sagt außerdem — er hat es heute wieder in einem großen Katalog von Zahlen vorgebracht —, daß der Bund auch sonst noch gewaltige Ausgaben macht, daß der Bund Opfer bringt durch die Umsatzsteuervergünstigungen, durch bestimmte Verbrauchsteuervergünstigungen, durch die Steuerpräferenzen bei der Einkommen- und der Körperschaftsteuer. Ich will auf diese Dinge nicht eingehen. Ich persönlich — das wissen ja die Herren aus dem Finanz- und Steuerausschuß — bin der Meinung, daß ein System von Steuerpräferenzen nicht gut ist. Aber
da wir das System haben, so will ich dazu jetzt nichts sagen.
Nur eines hierzu: Meine Fraktion hat in der vorigen Woche im Zusammenhang mit ihrem Steuersenkungsprogramm einen Antrag eingebracht, bei der Einkommensteuer die Freigrenze zu erhöhen. Es wäre erwünscht, daß diese Sache natürlich auch beim Notopfer Berlin gemacht würde und auch da derselbe Grundsatz der Erhöhung der Freigrenze angewendet würde, den wir auf die allgemeine Einkommensteuer angewendet haben möchten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, mehr sollte ich jetzt zur Begründung dieser Dinge nicht sagen. Ich hoffe, daß der Herr Bundesfinanzminister bald kommt und sich noch äußern wird. Seine heutigen Ausführungen haben mich in der Überzeugung von der Richtigkeit unserer Auffassungen noch bestärkt, und deswegen möchte ich Ihnen folgendes vorschlagen.
Wir stehen vor der Frage — es ist eigentlich innerhalb der großen politischen Frage eine technische Frage —, ob wir die Zweckbindung wollen oder nicht. Da sollten wir sagen: Wir wollen die technische Verankerung im Einzelplan 45, wir wollen die Herausnahme aus dem Einzelplan 60, und wir wollen die Änderung des § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes.
Aber, meine Damen und Herren, alle diese Dinge haben wir ja schon so eingehend im Ausschuß erörtert, daß ich gar nicht mehr weiß, wozu wir eigentlich noch über die Fragen dieser beiden Drucksachen weitere Ausschußerörterungen haben wollen. Ich sehe — ich darf Sie zitieren —, daß der Vorsitzende des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen, Dr. Wellhausen, hier zustimmend nickt. Ich darf also glauben, lieber Herr Wellhausen, daß auch Sie der Meinung sind, wir sollten diese Fragen nicht mehr im Ausschuß diskutieren, sondern Sie sollten den beiden Anträgen Drucksachen 1706 und 1710 heute im Plenum zustimmen. Über die Dinge ist lange genug geredet. Lassen Sie uns jetzt handeln!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zur Begründung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin hat der Herr Abgeordnete Stingl.
— Nicht dazu?
— Zur Aussprache. Soll überhaupt nicht begründet werden? Wird auf Begründung verzichtet? —
— Meine Damen und Herren, wenn auf Begründung des Punktes 1 d verzichtet wird, dann haben Sie damit die Begründung der Punkte 1 a bis e und die Antwort der Regierung gehört.
Ich eröffne damit die allgemeine Aussprache zu dem gesamten Punkt 1.
Das Wort dazu hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich bei meinen Ausführungen auf einige Bemerkungen beschränken, die mit der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion zusammenhängen. Zu den Ausführungen über die Anträge werden andere Kollegen meiner Fraktion Stellung nehmen. Lassen Sie mich am Anfang zu dem, was Kollege Brandt und Kollege Gülich über die Tagung vorige Woche in Berlin gesagt haben, noch eins hinzufügen: Lassen Sie mich Ihnen als einzelnen, meine Kolleginnen und Kollegen, danken, daß Sie bei dem Besuch in Berlin, jeder einzelne, Gelegenheit genommen haben, mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Ich darf Ihnen mitteilen, daß mir mehrfach aus der Bevölkerung und insbesondere aus dem Sowjetsektor die Versicherung abgegeben worden ist, daß besonders das gute Verhältnis der einzelnen Abgeordneten zu den Berlinern in Gesprächen großen Eindruck gemacht hat. Ich darf das Ihnen, jedem einzelnen, doch noch einmal berichten.
Nun, wie diese Anwesenheit in Berlin auf die Bevölkerung gewirkt hat, so ist sicher auch eindeutig festzustellen, daß die Berliner Zustände Sie, meine Damen und Herren, beeindruckt haben. Daß wir heute schon bei der Begründung der Großen Anfrage so verständnisvolle Bemerkungen über die Zusammenarbeit gehört haben, läßt das besonders richtig erscheinen.
Herr Kollege Brandt hat ja an den Anfang seiner Ausführungen den Dank dafür gesetzt, daß die Bundesregierung und die westlichen Mächte die Berliner Bevölkerung in ihrem Bestreben, sich selbst weitgehend zu erhalten, unterstützt haben. Es wird weiterhin ein gemeinsames Streben der Bundesregierung und des Senats und es wird weiterhin ein gemeinsames Bestreben des Bundestags und des Berliner Abgeordnetenhauses sein müssen, dieses Berlin nach wie vor zum Schaufenster der freien Welt zu machen und in seiner Wirtschaftskraft zu stärken.
Wir haben gehört, daß zu diesem Zweck der langfristige Aufbauplan mit dem Wirtschaftskabinett erörtert wurde, und wir haben auch das Zitat der Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers gehört, daß der Bund sich seiner großen Verpflichtungen gegenüber Berlin voll bewußt sei. Darum also gab es auch keinen Zweifel darüber, daß die Schaffung von Arbeitsplätzen wiederum das gemeinsame Anliegen aller ist. Wir können hier einmal vermerken, daß seit dem Zeitpunkt, da der neue Berliner Senat die Forderung aufgestellt hat, daß 100 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, doch ein erheblicher Teil dieses Programms schon verwirklicht worden ist, immerhin durch die Vorarbeiten, die wir, schon bevor dieser neue Senat sein Amt antrat, sehen konnten, Vorarbeiten, die teils vom Bundestag und teils von den früheren Berliner Senaten geleistet worden sind. Wir haben von einer Arbeitslosenzahl, die um die Jahreswende bei 182 000 lag, bis zu einem Tiefststand von etwa 115 000 Arbeitslosen in Berlin kommen können. Die Sicherstellung der Finanzierung der im ersten Teil genannten Aufgaben durch 1,6 Milliarden DM aus ERP-Mitteln in den folgenden Jahren ist ja so erfreulich, daß es darüber überhaupt keine Debatte zwischen uns gibt.
Was aber die Fragen des Kultur- und Sozialprogramms anlangt, so ist es mir ein Bedürfnis, zu sagen, daß die Verhandlungen zwischen Bundesfinanzminister und Berliner Senat gelegentlich
doch so ein bißchen Unstimmigkeiten insoweit ergeben, als der Finanzminister verlangt, daß vorher alle Planungen abgeschlossen seien. Wir sollten meinen, daß hierbei durchaus auch einmal darauf Rücksicht genommen werden muß, daß man, bevor man die endgültige Planung bringen kann, ungefähr über die Größenordnung Bescheid wissen muß, in der man planen kann. Und hier, glaube ich, sind auch in erheblichem Maße gute Ansätze vorhanden, um zu einer Einigung darüber zu kommen, daß auch schon die Mittel, die für die Planung notwendig sind, mit als notwendig für den Aufbau im Haushaltsplan anerkannt werden.
Der Tiefbau kann in Berlin, soweit wir das übersehen können, noch wesentlich verstärkt werden. Da wird es keine Hemmnisse, die auf dem Arbeitsmarkt liegen, geben. Dagegen werden wir beim Hochbau doch einigermaßen überlegen müssen, welche Ansätze wirklich auch durchgeführt werden können, auch im Hinblick darauf, wieweit wir gelernte Arbeitskräfte dafür zur Verfügung haben.
Über die Frage Wohnungsbau ist genügend gesagt worden. Es erübrigt sich, weitere Ausführungen zu machen. Ich will dazu nur sagen, daß auch nach unserem Willen diese geplanten Vorhaben unter allen Umständen in der Größenordnung, wie wir sie genannt haben, durchgeführt werden müssen. Lassen Sie mich nur noch die Anmerkung machen, daß wir dabei auch darauf Bedacht nehmen sollten, nicht nur etwa Wohnmaschinen zu erstellen, sondern ein gesundes Verhältnis zwischen Eigentumswohnungen, Eigenheimen und Mietwohnungen zu finden.
Lassen Sie mich noch ein besonderes Anliegen meiner Freunde beim Kultur- und Sozialprogramm anbringen. Wir stimmen völlig damit überein, daß Berlin kulturell ein Blickpunkt sein muß. Lassen Sie mich aber das besondere Anliegen nennen, daß wir den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege auf einigen Gebieten etwas mehr Spielraum geben sollten, als es jetzt aus dem Plan ersichtlich ist. Ich denke da insbesondere an die Frage der Kindertagesstätten. Beziehen Sie das in Ihre Überlegungen dieser Fragen mit ein. Es bleibt mir übrig, festzustellen, daß wir also an Berlin die Bitte haben, möglichst bald die konkreten Pläne zu entwickeln und den Wohlfahrtsverbänden mehr Spielraum zu lassen, als es vorgesehen ist.
An den Bundesfinanzminister aber richten wir die Bitte, daß er bei den Kassenkrediten, die er zu geben versprochen hat, vielleicht etwas zwangloser auf die Wünsche Berlins eingehen, daß er bei der Ermittlung des Bedarfes nach diesem Kultur- und Sozialprogramm auch die alten Grundsätze der Haushaltshilfe für Berlin anwenden und diese Mittel, die wir jetzt im Aufbauplan fordern, zusätzlich geben möge. Schließlich bitten wir ihn — dies ist mir ein besonderes Anliegen, das heute überhaupt noch nicht angesprochen wurde —, daß er die Lasten, die Berlin unvorbereitet treffen — ich denke an die Autobahngebühren —, als Lasten höherer Gewalt auf die Schultern des Bundes nimmt. Denn auch die Sicherung des Verkehrs nach Berlin ist eine Bundesaufgabe, eine politische Aufgabe.
Meine Damen und Herren, Sie werden sagen, daß auch ich in meinen Ausführungen nicht allzuweit abgewichen bin von dem, was bisher schon zum Aufbauplan gesagt wurde. Es ist vielleicht das erfreulichste Zeichen, daß wir uns in dieser Frage, daß Berlin selbständig lebenskräftig werden soll und daß die Last verteilt werden soll zwischen dem Willen der Berliner Bevölkerung, sich selbst zu helfen, und dem Willen der Bundesrepublik, Berlin zu helfen, im ganzen Hause einig sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lindrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache 1706 auf Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes ist von Herrn Kollegen Professor Dr. Gülich begründet worden. Dieser Antrag beinhaltet eigentlich zweierlei: einmal eine Änderung des Abs. 2 des § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes, wobei es um die Bemessung des Bundeszuschusses geht, und zum anderen eine Änderung des Abs. 3 des gleichen Paragraphen, wobei die Verwendung des Notopfers Berlin zur Erörterung steht. Beiden Anträgen kann ich namens der CDU/CSU leider nicht zustimmen, und zwar aus folgenden Gründen:
Zunächst zur Bemessung des Bundeszuschusses. Der Bundeszuschuß wird nach den jetzt geltenden Bestimmungen des § 16 so bemessen, daß das Land Berlin die durch seine besondere Lage bedingten Aufgaben erfüllen kann. In dem Entwurf ist eine andere Art der Bemessung vorgeschlagen. Danach sollen die wirtschaftliche und die soziale Stellung Berlins und auch die Hauptstadteigenschaft Berlins hierbei berücksichtigt werden.
Dieser Änderungsvorschlag wird den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. Der Bundeszuschuß, der im Jahre 1955 800 Millionen DM — bei einem Gesamthaushalt von 1,9 Milliarden DM — beträgt, dient in erster Linie zur Deckung der im Landeshaushalt von Berlin zu veranschlagenden Ausgaben, die sich aus der politischen Sonderlage ergeben und zur Aufrechterhaltung der Verwaltung und des kulturellen Lebens in Berlin notwendig sind. Die ganz allgemein für die Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Stellung Berlins erforderlichen Mittel werden neben dem Bundeszuschuß aus dem Bundeshaushalt, aus ERP-Mitteln und aus sonstigen zentralen Quellen wie etwa der Sozialversicherung, dem Lastenausgleich und ähnlichen zur Verfügung gestellt. Sie übersteigen die im Landeshaushalt Berlin dafür veranschlagten Beträge bei weitem. So fließen z. B. außerhalb des Bundeszuschusses rund 700 Millionen DM für soziale Leistungen aus dem Bundeshaushalt nach Berlin.
— Darauf komme ich noch zu sprechen, Herr Gülich. — Auch die Steuervergünstigungen für Berlin trägt der Bundeshaushalt außerhalb des Bundeszuschusses. Es ist nicht klar ersichtlich, was mit den beantragten Änderungen bezweckt werden soll. Hier entsteht nämlich die Frage, ob die seither aus dem Bundeshaushalt für wirtschaftliche und soziale Zwecke unmittelbar nach Berlin geflossenen Beträge in Zukunft zunächst über den Bundeszuschuß im Landeshaushalt laufen und dann erst durch den Landeshaushalt weiter verteilt werden sollen. Die Ausführungen des Herrn Professor Gülich deuteten, glaube ich, darauf hin, daß das Notopfer nur den eigentlichen Bundeszuschuß beinhalten soll. Aus dem Antrag selbst ist das nicht ohne weiteres zu ersehen.
— Sie haben sich so ausgedrückt — oder so habe ich Sie verstanden —, daß dieser Zuschuß so hoch sein soll wie der offene Zuschuß, der im Landeshaushalt abgedeckt werden soll.
Die vorgeschlagene neue Fassung ist in gewissem Sinne zu eng, und zwar insofern, als manche Aufwendungen für Berlin hierunter wahrscheinlich nicht subsumiert werden können. Ich denke beispielsweise an Aufwendungen für die Luftfrachtbrücke. Andererseits ist die Fassung vielleicht zu weit. Soweit die Hauptstadteigenschaft Berlins in Frage kommt, würden hierunter auch Aufwendungen fallen, die auf rein kommunalem Sektor liegen, alle ordentlichen und außerordentlichen Aufwendungen usw. Insofern ist die Fassung wahrscheinlich etwas zu weit.
Entscheidend ist aber, glaube ich, nicht der Abs. 2, sondern der Abs. 3, der sich mit der Frage der Verwendung befaßt. Hier ist es ja das alte Anliegen unseres verehrten Kollegen Herrn Gülich, das Notopfer zu einer Zwecksteuer zu machen.
— Zunächst, hier im Hause, ist es das Anliegen des Herrn Professor Gülich — im Finanzausschuß — bisher schon immer gewesen.
Die Zweckbindung einer Steuer kann man natürlich immer nur verhältnismäßig eng fassen. Auch andere Steuern, die in der Vergangenheit zweckgebunden gewesen sind, wie etwa der Wehrbeitrag oder das Reichsnotopfer oder die frühere Hauszinssteuer haben sich meistens so entwickelt, daß sie
— das gilt insbesondere für die frühere Hauszinssteuer — dann eben doch wieder zu einem allgemeinen Deckungsmittel geworden sind. Wir haben uns ja auch bei der Verkehrsbesteuerung sehr schwer damit getan, irgendeine Zweckbindung durchzuführen.
Auf der anderen Seite ist die Zweckbindung auch meistens teuer. Gerade in der Verwaltung führt die Fondsbildung zu Ausgaben, die manchmal nicht gerechtfertigt sind, und die Kapazität —
— Selbstverständlich muß das kontrolliert werden, und es kann auch kontrolliert werden. Aber das ist eine ganz allgemeine Feststellung.
Wir müssen auch weiter berücksichtigen, daß die Mittel, die bisher zur Verfügung gestellt worden sind, durchaus ausgereicht haben, um die Aufgaben zu erfüllen, die erfüllt werden mußten.
Die Zweckbindung verstößt auch gegen den Grundsatz der Haushaltseinheit und der Kasseneinheit. Wir müssen dafür sorgen, daß Haushaltsund Kasseneinheit gewahrt werden, und hiergegen würde eine Zweckbindung ebenfalls verstoßen.
Weiterhin würde die Zweckbindung — und das ist ein Einwand, den Herr Gülich wohl schon erwartete — eine gewisse Zementierung des Notopfers Berlin bedeuten. Das heißt, die Zweckbindung würde es einmal sehr schwer möglich machen, das Notopfer zu beseitigen und es etwa in die Einkommensteuer einzubauen auf einem Wege, den wir bereits bei der letzten Erörterung über das Notopfer beschritten haben, indem wir vorgeschrieben haben, daß das Notopfer in den untersten Stufen nicht höher sein soll als die Lohnsteuer. Die Zweckbindung ist auch verwaltungsmäßig nicht günstig, weil sich ja das Notopfer diesem Auf und Ab des Bedarfs, der gedeckt werden soll, anpassen müßte. Das würde bedeuten, daß entweder das Notopfer ständig verändert, gesteigert oder gesenkt, oder der Zuschuß dem tatsächlichen Aufkommen des Notopfers angepaßt werden müßte.
Aber der Hauptgrund der Antragsteller, die Zweckbindung zu erstreben, dürfte wohl darin zu erblicken sein, eine Garantie dafür haben zu wollen, daß das Aufkommen aus dem Notopfer tatsächlich Berlin zugute kommt.
— Das habe ich schon erfaßt. Aber dann haben Sie vielleicht vorhin nicht aufgepaßt, als der Herr Finanzminister ausführte, daß seit Bestehen des Notopfers insgesamt etwa 600 Millionen DM mehr nach Berlin geflossen sind, als das Notopfer aufgebracht hat.
Es ist jedenfalls festzustellen, daß auch im lauf enden Rechnungsjahr das Notopfer in seiner vollen Höhe hinter dem zurückbleibt, was tatsächlich für Berlin aufgewendet worden ist.
Aber nun kommt noch eine andere Erwägung hinzu, die ich Sie bitten möchte, doch zu beachten, nämlich folgendes: Die von Ihnen geforderte Regelung hätte zur Folge, daß das Notopfer durch Senkung oder Erhöhung des Tarifs in jedem Jahr dem für erforderlich gehaltenen Zuschußbetrag older der jährliche Zuschußbetrag dem jährlichen Aufkommen des Notopfers angepaßt werden müßte. Damit ergeben sich aber grundsätzliche Einwendungen, die überhaupt gegen Zwecksteuern sprechen: Der Zuschuß müßte entweder gesenkt
oder das Notopfer müßte erhöht werden,
wenn das Aufkommen zurückgehen sollte. Das ist doch klar. Die gegenwärtige Regelung, bei der aus dem Notopferaufkommen nicht nur der Bundeszuschuß für den Landeshaushalt, sondern auch erhebliche weitere nach Berlin fließende Ausgaben gedeckt werden, bedeutet eine steuerliche Schonung der Berliner Bevölkerung, die vom Notopfer ja befreit ist. Würde das Notopferaufkommen ausschließlich, wie es in dem Antrag heißt, zur Dekkung des Bundeszuschusses zum Berliner Haushalt verwendet, so müßte das Notopfer gesenkt und für die neben dem Bundeszuschuß nach Berlin fließenden Ausgaben im Bundeshaushalt eine andere Deckung gesucht werden. Und werden zum Ausgleich andere Bundessteuern erhöht, .dann wäre die Berliner Bevölkerung an der Aufbringung entsprechend beteiligt. Es würde also im Effekt das Gegenteil dessen erreicht, was mit Ihrem Antrag offensichtlich angestrebt wird.
Einige Bemerkungen noch. Wenn wir im § 16 überhaupt ändern wollen, dann hätte man auch § 16 Abs. 1 mindestens in Satz 1 ändern müssen. Der Satz 1 lautet nämlich:
Der Bund stellt das in Berlin erzielte Aufkommen aus der Abgabe „Notopfer Berlin" dem Lande Berlin zur Deckung des Fehlbedarfs seines Landeshaushalts zur Verfügung.
Der Satz ist gegenstandslos geworden; das hätte dann natürlich in dem Entwurf gleich mit gestrichen werden können.
Eine zweite kurze Bemerkung noch. Mir liegt gegenwärtig eine Zusammenstellung vor, was der Bund tatsächlich für Berlin getan hat und wie hoch die Steuereinnahmen nach Vollzug des Finanzausgleichs in den einzelnen Ländern und in Berlin waren. Vergleichen wir das steuerschwächste Land Rheinland-Pfalz und das steuerstärkste Land Hamburg mit der Stadt Berlin, so ergeben sich für die beiden letzten Rechnungsjahre 1954 und 1955 folgende Zahlen: In Rheinland-Pfalz betrugen die Steuereinnahmen nach Durchführung des Finanzausgleichs in DM je Einwohner 140,03 DM, in Hamburg 313,70 DM und in Berlin 513,49 DM. Für 1955 würden die entsprechenden Zahlen lauten: für Rheinland-Pfalz 161,82 DM, für Hamburg 292,56 DM und für Berlin 530 DM. Soviel würde das Steueraufkommen je Einwohner nach Durchführung des Finanzausgleichs betragen. Der Bund kennt somit seine Pflicht und Schuldigkeit, und man hat hier ja auch von verschiedenen Seiten dem Bund gegenüber den Dank für das ausgesprochen, was er bisher geleistet hat. Auch der Bundestag weiß, was er der Hauptstadt Berlin schuldig ist; er hat diese Pflicht erfüllt. Schlichte Worte des Dankes hat auch Herr Kollege Brandt bei Begründung der Großen Anfrage gesprochen.
Wenn ich noch kurz eine Bemerkung zu dem Antrag Drucksache 710 machen darf: Unsererseits bestehen keine Bedenken, diesen Antrag anzunehmen. Allerdings hat er sinnvolle Bedeutung nur in Verbindung mit dem Gesetzentwurf Drucksache 1706.
Namens meiner Freunde stelle ich den Antrag, den Gesetzentwurf Drucksache 1706 dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführendem Ausschuß, dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung, den Antrag Drucksache 1710 dem Haushaltsausschuß, den Gesetzentwurf Drucksache 1707 dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik und den Antrag Drucksache 1690 dem Haushaltsausschuß zu überweisen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es dürfte manchen Mitgliedern des Hohen Hauses bekannt sein, daß zur Zeit der Vermittlungsausschuß tagt, der sich mit Finanzverfassung und Finanzreform beschäftigt. Ich muß mich deswegen leider kurz fassen, um an den Beratungen dieses Ausschusses wieder teilnehmen zu können.
Ich habe die Ausführungen des Herrn Kollegen Gülich nicht selbst anhören können. Ich weiß nicht, ob ich recht unterrichtet bin. Handelte es sich nur um die Frage der Etatisierung, so wäre diese Frage wohl am besten im Zusammenhang mit dem Antrag Drucksache 1710 zu behandeln, den Herr Kollege Lindrath eben erwähnt hat. Da kann man dann darüber reden, wie die Etatisierung gestaltet werden soll, ob ein Weg gefunden werden kann, sie übersichtlicher zu machen. Dabei werden sich manche Schwierigkeiten ergeben, weil die Leistungen des Bundes nicht allein aus den unmittelbaren Ausgaben erkannt werden können, sondern zu einem großen Teil auch aus den Einnahmeverzichten erkannt werden müssen, die der Bund gegenüber Berlin hat: Umsatzsteuersenkung, Umsatzsteuerrückvergütung usf. Also darüber könnte man in Ruhe reden, wenn man sich über die Frage der Etatisierung unterhalten will.
Wenn ich davon ausgehe, daß an eine Zweckbindung gedacht ist, daran, einen Haushalt aufzustellen, der in sich ausgeglichen sein soll, in dem auf der einen Seite 1275 Millionen Berliner Notopfer stehen
— ich nehme es nur einmal an —, auf der anderen Seite 800 Millionen Bundeszuschuß, der Rest —1275 weniger 800 — dann dem Sondervermögen zugewiesen werden soll, so hätte ich die größten Bedenken und würde das für unmöglich halten.
Aber, Herr Kollege Gülich, zunächst einmal eins: Es ist ein Gedanke, der häufig vertreten worden ist, unter allen Umständen das gesamte Aufkommen aus dem Berliner Notopfer an unmittelbare Zuwendungen für Berlin zu binden. Wir haben uns häufig darüber unterhalten, und der Gesetzgeber hat bereits wiederholt über die Frage entschieden, nicht nur beim Dritten Überleitungsgesetz, sondern zuletzt auch bei dem § 1 der Neufassung des Berliner Notopfer-Gesetzes. Er hat es abgelehnt, und ich darf sagen: aus guten Gründen.
Auf einen Grund, der mir am Herzen liegt, darf ich noch einmal eingehen. Wenn ich das Berliner Notopfer in seinem Ertrag für Berlin zweckbinde, wird es politisch unmöglich werden, das Berliner Notopfer etwa einmal aus sozialen Gründen — denn es ist sozial betrachtet vielleicht das verbesserungsbedürftigste Gesetz, das wir haben — zu senken. Einer Verewigung des Berliner Notopfers möchte ich mich unter allen Umständen entgegenstellen. Ich möchte davor warnen, einen Weg einzuschlagen, der auf eine Verewigung hinausliefe.
— Wenn wir im Ausgangspunkt einig sind, freue ich mich. Aber dann sollten wir auch einig sein in den Schlußfolgerungen, die zu ziehen sind.
Zweitens. Ich habe mich immer aus wohlerwogenen Gründen gegen allzustarke Zweckbindungen von Steuern und sonstigen Einnahmen gewehrt. Meine Herren, auch Sie im Parlament müßten sich dagegen wehren; denn je mehr die Einnahmen für bestimmte Ausgaben zweckgebunden sind, um so weniger ist das Budgetrecht in den Händen des Parlaments,
weil das Parlament dann überhaupt keine Bewegungsfreiheit mehr hat. Deswegen sollten wir, meine ich, bei Zweckbindungen schon sehr vorsichtig sein. Zweckbindungen sind finanzpolitisch immer falsch. Denn derjenige, dem die Ausgaben zugute kommen, wird sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, daß die Beträge für seine Ausgaben einmal heruntergesetzt werden, weil der
andere meint, er benötige diese Ausgaben nicht mehr. Derjenige, dem sie zugute kommen, wird immer mit lauter Stimme die Meinung vertreten, daß diese Ausgaben nicht nur benötigt werden, sondern alle Jahre eher noch vergrößert werden sollen. Deswegen ist jede Zweckbindung finanzpolitisch von Gefahr. Ich möchte grundsätzlich davon abraten.
Aus den Gründen und weil sich die Wirkung nicht voraussehen läßt, bitte ich das Hohe Haus, keinen raschen Entschluß zu fassen, sondern den Antrag, nachdem er gestellt ist, noch einmal, wenn es gewünscht wird — ich sage: zum wiederholten Male —, im Ausschuß einer gründlichen Beratung zu unterziehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ganz kurz folgendes klarstellen. Erstens: Herr Bundesfinanzminister, das Sondervermögen, das ich hier namens meiner Fraktion vorgeschlagen habe, soll nicht dazu dienen, ein Extravermögen zu bilden, das der Kontrolle des Parlaments entzogen ist, sondern ich habe ganz klar gesagt: wir wollen überhaupt nichts Neues für Berlin; wir wollen in die finanzielle Hilfe für Berlin nur Ordnung bringen. Das, was zwischen den jedes Jahr auszuhandelnden Zuschüssen zum Berliner Landeshaushalt und dem Aufkommen des Notopfers überschießt, soll für gezielte Einzelmaßnahmen verwendet werden, die natürlich zwischen dem Bund und Berlin auszuhandeln sind, so daß also hier keine Gefahr be- steht.
Zweitens. Ich habe auch nicht die Verewigung des Notopfers gefordert, sondern ausdrücklich gesagt, daß es seinem Charakter, seiner Anlage und seinem Namen nach nur für eine begrenzte Zeit überhaupt aufrechterhalten werden könnte, daß man aber nicht einwenden solle: wenn ihr jetzt in dieses Notopfer durch Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes und durch die Hereinnahme als Einnahme in den Einzelplan 45 Ordnung bringen wollt, dann ist eine zukünftige Manipulation am Notopfer nicht mehr möglich. Denn ich habe sogar einen Vorschlag für diese Manipulation am Notopfer aus sozialen Gründen gemacht.
Drittens. Der finanzpolitische Grundsatz: Zwecksteuern oder nicht? — wird ja gar nicht berührt.
Im Grundsatz, Herr Kollege Schäffer, sind wir uns einig. Hier handelt es sich gar nicht um theoretische Erörterungen über Zwecksteuern, sondern ganz einfach darum, daß die ihrem Charakter und ihrem Namen nach aus der Zeit heraus geborene Abgabe „Notopfer Berlin", die jetzt als einzige nicht zweckbestimmte Abgabe im Einzelplan 60 steht, ihre Zweckbestimmung bekommen soll. Dadurch wird sie aber doch nicht der Kontrolle des Parlaments entzogen, und man male uns doch nicht den Teufel an die Wand, daß wir uns des Budgetrechts begäben, wenn wir in diese Frage Ordnung bringen wollen.
Auch zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Lindrath hätte ich einiges zu sagen. Aber das will ich nicht tun, weil ich damit meine Antwort an den Herrn Bundesfinanzminister überschritte. Ich glaube, wenn Herr Kollege Lindrath mir besser zugehört hätte — ich glaube nämlich, daß ich mich klar genug ausgedrückt habe —, dann wäre ein Teil seiner Ausführungen nicht nötig gewesen.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gülich, ich begrüße es sehr, wenn wir im Ausgangspunkt, in den Grundsätzen einig sind. Aber Sie sehen, wie schwer es manchmal ist, von einem gemeinsamen Ausgangspunkt auch zu einer übereinstimmenden Schlußfolgerung zu kommen. Ich darf deswegen von vornherein sagen: es wäre sehr bedenklich, wenn in der Situation, wo schon wir zwei einander nicht verstehen, das Parlament einen Beschluß fassen wollte. Ich möchte noch einmal dringend bitten: überlegen wir zwei es uns und überlege es sich auch das Parlament noch einmal.
Ich möchte folgendes sagen, Herr Kollege Gülich: Sie scheinen mich mißverstanden zu haben. Ich habe davon geredet, daß ich grundsätzlich gegen Zweckbestimmungen von Steuern bin, weil sie das Parlament in seiner Bewegungsfreiheit bei der Gestaltung von Einnahmen und Ausgaben mehr und mehr einschränken und es letzten Endes zu einer Jasagemaschine machen.
— Ja, weil es sich selbst gebunden hat!
— Natürlich! Bei neuen Ausgaben und neuen Bedürfnissen hat es überhaupt nicht mehr die Einnahmen und kann nicht mehr ausweichen, sondern müßte neue Einnahmen schaffen. Nehmen wir einmal Ihr Beispiel. Das Berliner Notopfer — das Wort, daß mit ihm manipuliert worden sei, muß ich zurückweisen; ich nehme an, es war in anderem Sinne gedacht, als es vielleicht klingt —
hat in seinem Aufkommen — ich habe die Zahlen bekanntgegeben — in all den Jahren nie ausgereicht, um die Leistungen des Bundes an das Land Berlin zu erfüllen.
— Einen Moment; darf ich jetzt einmal weiterreden. Wir verstehen uns besser, wenn wir auch die Kunst des Zuhörens beherrschen und nicht nur die Kunst des Redens.
Wovor ich warne, ist, daß die Einnahmen des Bundes für bestimmte Ausgaben des Bundes in einem Übermaß gebunden werden. Wenn das geschieht, hört die Bewegungsfreiheit des Parlaments auf. Wenn hier gesagt wird — ich glaube das vorhin gehört zu haben —, die Einnahmen aus dem Notopfer Berlin sollten a) für den Bundeszuschuß verwendet werden, b) der Rest in ein Berliner Sondervermögen gehen, dann frage ich Sie: Wissen Sie denn, wie das Notopfer Berlin entstanden ist? Es ist in einer Zeit entstanden, in der man wußte, daß die sozialen Lasten, die Kriegsfolgelasten in Berlin ein ganz außergewöhnliches Ausmaß haben. Man hat es in erster Linie geschaffen, um diese Lasten zu finanzieren, die Mittel zu ihrer Bestreitung herbeizuschaffen. Das geschieht heute in den
verschiedensten Formen; es geschieht auch über Rechtsträger, die gar nicht der Bund sind, und es geschieht auch von seiten des Bundes in den verschiedensten Formen. Woher sollen, wenn der Rest in ein Berliner Sondervermögen, geht, die Mittel kommen, die über den Zuschuß von 800 Millionen DM hinaus jährlich an Berlin gegeben werden? Sie müssen dann aus allgemeinen Steuermitteln des gesamten deutschen Volkes kommen, d. h. der Etat würde aufgebläht werden, und wir hätten daneben ein Berliner Sondervermögen. Das wäre doch, wenn ich Sie richtig verstehe und wenn ich Ihrer Logik folge, die Schlußfolgerung. Deswegen bin ich der Meinung, daß wir die Debatte gar nicht fortsetzen sollten. Wir können uns in kleinerem Kreise auseinandersetzen. Ich rate, sich die Dinge zu überlegen und keinen überstürzten Beschluß zu fassen. Nachdem wir über dieses Thema schon zwei- oder dreimal in den Ausschüssen gesprochen haben, haben wir Gelegenheit, dort darüber noch einmal zu sprechen.
Da ein Antrag auf Schluß der Debatte nicht gestellt wird, fahren wir fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Klingelhöfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte dem Herrn Bundesfinanzminister, obwohl ich zuerst dem Kollegen Lindrath etwas sagen wollte, ein Wort zur Entstehung des Notopfers sagen. So war es damals, 1949, nicht.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Der Herr Bundesfinanzminister teilt mir mit, daß er jetzt dringend in den Vermittlungsausschuß müsse. Ich nehme an, daß das Haus nunmehr damit einverstanden ist.
Bitte, fahren Sie fort.
Das Notopfer ist 1949 nicht unter dem Gesichtspunkt entstanden, daß man vorausgesehen hat, welche ungeheuren sozialen und Kriegsfolgelasten für Berlin entstehen würden, sondern in jener Zeit, als es schlechthin keinen Ausweg auf der entsetzlichen Berliner Gratwanderung gab, war Berlin gezwungen — ich will es ganz trivial ausdrücken —, Geld zu machen, verzinsliche Steuergutscheine auszugeben, weil es seine Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte. Aus diesem Grunde gab es für Berlin keine andere Möglichkeit, als im Frankfurter Wirtschaftsrat darauf zu dringen, eine Kaffee- und Teesteuer und das Notopfer zu schaffen. Damals hat kein Mensch daran gedacht, daß der Herr Bundesfinanzminister in den Jahren 1954 und 1955 das Notopfer Berlin als sein liebstes Kind ansehen würde, weil es die einzige direkte Einkommensteuer ist, die ihm unmittelbar zugeht und bei der die Länder nichts zu sagen haben.
Nun hören wir — Herr Lindrath hat es auch gesagt —, welche mächtigen Unterschiede zwischen dem bestehen, was etwa in Rheinland-Pfalz aufgewendet worden ist, und dem, was in Berlin hätte aufgewendet werden müssen, wenn auch in Berlin der horizontale Finanzausgleich bestanden hätte. Darüber ist gar kein Zweifel. Wer das nicht wußte, daß in Berlin höhere allgemeine, höhere politische und soziale Lasten bestehen müssen, der tut mir leid, und wenn sich der Herr Bundesfinanzminister
darauf beruft — und er beruft sich leider darauf —, dann tut mir auch der Herr Bundesfinanzminister leid; denn das sind Dinge, die man in Berlin so zu sehen hat, wie sie gesehen werden müssen; man kann sie nicht mit normalen Verhältnissen vergleichen. Es ist unerträglich, daß Dinge — Herr Professor Gülich hat es bereits gesagt, und die anderen Herren haben ebenfalls darauf hingewiesen —, die bei den Ländern auf Grund normaler Bundesgesetze unter dem Gesichtspunkt normaler Bundeshilfe angerechnet werden, wie bei einer Buchhaltung mit doppeltem Boden Berlin unter anderen Gesichtspunkten angerechnet werden.
Meine Damen und Herren, ein Wort zu Herrn Kollegen L i n d r a t h. Ich war reichlich erstaunt über das, was Herr Kollege Lindrath, der sich schon mehrfach, fast möchte ich sagen, als Apologet der konservativsten Grundsätze des Herrn Bundesfinanzministers bewährt hat, uns hier geboten hat. Ich will gar nicht auf die Frage der Zweckbestimmung im einzelnen eingehen. Herr Kollege Lindrath, Sie sollten nicht übersehen, daß dieses Haus, wie Herr Kollege Gülich bereits gesagt hat, einen einstimmigen Beschluß gefaßt hat — also auch mit Ihrer Stimme, Herr Kollege Lindrath —, in dem es folgendermaßen heißt:
Der nach Leistung des Bundeszuschusses verbleibende Ertrag des Notopfers sollte ausschließlich verwendet werden, um die wirtschaftliche und soziale Position Berlins zu sichern.
Deshalb auch die Einfügung in den § 2 des Dritten Überleitungsgesetzes.
— Auch der kann bestehen; denn er stört 2 und 3 nicht!
Weiter heißt es in der Entschließung:
Die Zweckbestimmung des Notopfer Berlin wird bei der Neufassung des Gesetzes über das Notopfer und durch eine entsprechende Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes festzulegen sein.
Das haben Sie selber in diesem Hause mit beschlossen! Warum wenden Sie sich dagegen? Ich verstehe es nicht.
— Ich habe nichts dagegen. Der Herr Bundesfinanzminister soll jedes, sogar das weitestgehende Erziehungsrecht gegenüber jedem sich schlechtführenden Empfänger von Staatsgeldern, auch eventuell den Ländern gegenüber haben, aber er möge
— und darauf werde ich jetzt noch eingehen — sich etwas in Grenzen halten, wenn es fast an die Ehre des Landes geht.
Herr Kollege Lindrath, Sie haben etwas gesagt, was fast an die Ehre des Landes Berlin geht. Warum nennen Sie die Kosten für die Luftbrücke eine Sache, die Berlin aus eigenem hätte aufbringen sollen und die anders angesehen werden soll als die normalen Leistungen des Bundes für Berlin?
Hier handelt es sich um politische Lasten, und ich würde es sehr begrüßen, wenn Herr Kollege Lindrath begreifen könnte, daß Berlin in der Tat politische Lasten hat. Es war das schlechteste Exempel, das Sie dafür anführen durften, daß der Bund Kosten für Berlin übernehmen muß und diese Kosten, die vom Notopfer gedeckt werden müßten, nun auf ein Sonderkonto schreibt, das mit dem Notopfer nichts zu tun hat.
Aber noch etwas anderes, Herr Kollege Lindrath. Ich habe mit Erstaunen festgestellt, daß Sie es auch fertigbringen, Unterschiede zwischen Berlinern und Deutschen zu machen. Ich weiß nicht, ob Sie jetzt am Brandenburger Tor waren, aber ich glaube, in der Nähe des Brandenburger Tors wächst keine provinzielle Berliner Flora, da wachsen Deutsche, da wachsen Europäer, da wachsen freiheitsbewußte Weltbürger. Ich würde es sehr begrüßen, wenn man derartige Unterschiede in diesem Hause nicht machte. Am allerwenigsten besteht dazu ein Anlaß im Zusammenhang mit diesem Thema.
— Aber ja, er hat doch Unterschiede zwischen dem, was Herr Kollege Gülich vertreten hat, der nicht Berliner sei, und den Berlinern gemacht. Das ist geschehen. Und wenn es ein Zungenlapsus gewesen ist, nehme ich ihn ganz gern hin. Es kann gar nichts schaden; ein Zungenlapsus kann manchmal mehr Wahrheit verraten als das, was uns bei wohlbemessenem Verstande 'deutlich wird.
Ich möchte jetzt wieder etwas zum Herrn Bundesfinanzminister sagen, etwas, was ich ihm nicht verschweigen kann, und möchte ganz ausnahmsweise — mit Erlaubnis des Hauses — den Herrn Präsidenten zitieren. Der Herr Präsident hat nach Ablauf der Berliner Tagung in der Öffentlichkeit erklärt, Berlin habe bei den meisten Mitgliedern des Bundestages während der Berliner Tagung Eroberungen gemacht. Ja, ich möchte fast glauben, sogar der Bundestagsabgeordnete Herr Schäffer kann als eine solche Eroberung betrachtet werden. Aber nach dem, was Herr Schäffer uns hier über die Art, wie er den Berlin-Plan zu behandeln gedenkt, gesagt hat, habe ich den Eindruck, daß der Herr Bundesfinanzminister Schäffer sicher nicht zu den Eroberungen gehört, die Berlin gemacht hat.
Ich darf zu dem, was der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat, einiges bemerken. Wir haben auch da wieder den Zahlenzauber und das Nebelspiel gesehen, die gemacht worden sind. Ich muß den Herrn Bundesfinanzminister nur fragen, weshalb er, wenn aus dem Notopfer weniger aufgekommen ist, als Berlin vom Bund erhalten hat, so großen Wert darauf legt, es immer als Bundesdeckungsmittel für sich in Anspruch zu nehmen. Es steht doch fest, daß die Summe, die an Notopfer mehr aufgekommen ist, als Berlin an Bundeszuschüssen zugewiesen bekommen hat, mehr als 1200 Millionen DM beträgt. Auch weil dieses Mehr vorhanden ist, ist das Notopfer dem Herrn Bundesfinanzminister ja das liebste Kind, denn diese Summe von 1,2 Milliarden DM steht mehr zu seiner Disposition als die Summen, über die er von den anderen Ländern in seiner Buchhaltung mitbestimmen lassen muß.
Wir haben den Herrn Bundesfinanzminister in unserer Großen Anfrage auch gar nicht gefragt, was in der Vergangenheit geschehen ist. Es ist immer sehr gut und nett, zu sagen, was schon alles geschehen ist. Aber ich habe bei dieser Gelegenheit an seine Rede in Berlin gedacht. Als wir die konjunkturpolitischen Anträge diskutierten und der Herr Bundesfinanzminister darlegen wollte, welche ungeheuren Summen dort verlangt würden und daß das den Bundeshaushalt sprengen werde, da hat der Herr Bundesfinanzminister auch eine derartige große Bemerkung vorangeschickt, und er hat — unter den Zweifeln des Hauses — gemeint: ich kann aber heute schon sagen, daß der Abschluß 1955 wieder einen recht beträchtlichen rechnerischen Fehlbetrag aufweisen wird. Bei so vollen Kassen! Das ist auch hier geschehen. Man kann dem nicht folgen, daß der Herr Bundesfinanzminister uns eine große Darlegung von dem gibt, was in der Vergangenheit alles erreicht worden ist, und dann mit einer Handbewegung — wie ich noch zeigen werde — über das hinweggeht, was in der Zukunft noch geschehen soll.
Kaum ein Wort hat der Herr Bundesfinanzminister darüber gesagt, wie denn das, was uns im Berliner Aufbauplan wirklich interessiert — nicht der weitere Aufbau der gewerblichen Wirtschaft, der ist ohnehin bereits finanziell gesichert —, in der Zukunft finanziell gedeckt werden soll. Er spricht davon, daß man die technische Durchführbarkeit der einzelnen Projekte prüfen werde. Die technische Durchführbarkeit zu prüfen ist doch wohl eine Angelegenheit dessen, der die Projekte durchführen will. Er spricht davon, daß man den Arbeitsmarkt prüfen werde, ob da genügend Kräfte vorhanden seien. Ja, will man denn das nicht Berlin überlassen? Er spricht davon, daß man sonstige Prüfungen hinsichtlich der Durchführbarkeit vornehmen wolle. Ja, weiß man denn nicht, daß dann, wenn Projekte und Aufträge durchgeführt werden sollen, auch Wege und Mittel dazu gefunden werden und daß die Rationalisierung in der Produktion immer dann beginnt, wenn der Druck der Aufträge es erforderlich macht? Herr Kollege Stingl hat darauf hingewiesen, daß im Tiefbau noch unbegrenzte Möglichkeiten bestehen. Ich weiß, daß im Hochbau, nachdem gegenwärtig eine Kapazität von 900 Millionen DM ausgenutzt ist, eine weitere Kapazität von 100 bis 150 Millionen noch zur Verfügung steht, die wirklich noch ausgenutzt werden kann.
— Das sind die Informationen der zuständigen Berliner Abteilung. Was geht denn das den Herrn Bundesfinanzminister an? Wenn Projekte gemacht werden, dann ist es doch in erster Linie die Aufgabe der Stellen, die die Projekte durchzuführen haben, festzustellen, ob diese Projekte ausgeführt werden können. Das geht den Herrn Bundesfinanzminister gar nichts an. An ihn ist in erster Linie die Frage gestellt: Wie können Mittel zur Verfügung gestellt werden, nachdem das Wirtschaftskabinett gesagt hat, es handelt sich hier um eine Aufgabe des Bundes; der Bund, die Bundesrepublik sei sich der Verpflichtung hinsichtlich dieses Aufbauplanes auch bewußt.
Beim Wohnungsbau brauchen wir in allererster Linie nicht Geld schlechthin zu jedem beliebigen Zinssatz, sondern wir brauchen billiges und sicheres Geld. Wir brauchen nicht — was der Herr Bundesfinanzminister immer übersieht — Anleihen, für die er nachher schließlich doch die Zinsdifferenz übernehmen muß und außerdem die Tilgung, weil diese Beträge im Berliner Haushalt anwachsen werden und gedeckt werden müssen.
Für alles, was im kulturellen, im Sozialplan, im Wohnungsbauprogramm Berlins vorgesehen ist: in nichts eine grundsätzliche Entscheidung über die Deckung, wie sie nicht nur von Berlin gewünscht wird, sondern wie sie für jeden, der vor einem großen Plan steht, eine selbstverständliche Voraussetzung ist. Können Sie sich, meine Damen und Herren, die Sie mit wirtschaftlichen oder baulichen Dingen zu tun haben, vorstellen, daß irgendein Projekt begonnen werden kann, wenn nicht von vornherein die Endfinanzierung feststeht? Ich kann ja nicht einmal ein Grundstück kaufen, ich bin nicht in der Lage, den Boden auszuheben und die Arbeit zu beginnen — sofern es sich um einen Bau handelt —, wenn das Vorhaben nicht bis zu Ende finanziert ist. Hier muß ich dem Herrn Bundesfinanzminister den schwersten Vorwurf machen. Ich habe den Eindruck, der Herr Bundesfinanzminister ist in der Tat als Bundesfinanzminister für diese Dinge, die Berlin angehen, nicht gewonnen. Der Herr Bundesfinanzminister hat in dem Punkt, wo es sich um die selbstverständliche Voraussetzung handelt, daß man nämlich die Endfinanzierung ins Auge gefaßt haben muß, nicht den Willen, der notwendig ist.
Ganz klar und deutlich will ich sagen, was notwendig wäre. Der Herr Bundesfinanzminister möge darüber nachdenken, und vor allen Dingen muß dieses Haus selbst in den Ausschüssen prüfen, ob es so oder anders gemacht werden kann. Ich glaube nicht, daß andere Wege möglich sind. Folgendes wäre unbedingt notwendig. Erstens: 1956 müßte im ordentlichen Haushalt des Bundes jede für 1956 im Berlin-Plan vorgesehene erste Rate an Zuschüssen und zinsverbilligten Krediten für jedes bereits ausführungsreife Projekt voll veranschlagt werden. Zweitens — ich spreche in der Sprache eines Mitglieds des Haushaltsausschusses —: in den Erläuterungen zu diesen Positionen des Etats müßte das jeweilige Projekt in allen Ausführungsstufen dargelegt sein, so daß erkennbar wird, daß auch die Endfinanzierung gesichert ist. Drittens: Nachtragsbewilligungen für den ordentlichen Haushalt wären vorzusehen für alle ersten Raten jener Projekte, die im Laufe des Rechnungsjahres 1956 ausführungsreif würden. Auch hier wären dann jeweils die entsprechenden Erläuterungen notwendig. Viertens: die jährliche Rate für den Sozialen Wohnungsbau müßte ebenfalls im ordentlichen Haushalt erscheinen. Niemand sollte eine Milliardenverschuldung eines in Wirklichkeit noch nicht kreditfähigen Landes zulassen und gutheißen wollen, wie sie unvermeidlich wäre, wenn, wie der Herr Bundesfinanzminister es will, 1954 bis 1959 die Ausgaben für den Sozialen Wohnungsbau in Berlin im außerordentlichen Etat erschienen und der . Weg über den Anleihemarkt begangen werden müßte. Und endlich — hier sage ich das, was Herr Kollege Gülich schon mehrfach gesagt hat —: die Abgabe Notopfer Berlin müßte eindeutig wie für die finanzielle Hilfe Berlin überhaupt so auch für den Sozialen Wohnungsbau als Deckung dienen. Diese Abgabe Notopfer Berlin müßte im Text des Haushaltsgesetzes so zweckbestimmt sein, wie es in unseren Anträgen gefordert ist.
Meine Damen und Herren, ich hätte noch sehr viel zu sagen — ich sage es nicht — über die Art, wie Berlin verhandeln muß; daß Berlin immer, wenn es in den letzten Jahren verhandelt hat, am ganz kurzen Hebel saß, nämlich als derjenige, der bat und bitten mußte, und der Herr Bundesfinanzminister am ganz langen Hebel saß, nämlich als der, der die ganze Finanzmacht auf seiner Seite hatte und geben konnte. Ich will nichts darüber sagen, wie bis zum letzten Blutstropfen das kassenmäßige „Non possumus", das kassenmäßige possibile" immer herausgefordert worden ist, um dann die Verhandlungen zu führen und denjenigen, der bat, auf den Punkt hinzudrängen, wo er sagen mußte: Gib um Gottes willen, was du mir geben willst; es kommt nur darauf an, daß ich nicht Pleite mache. Ich hätte über diese Dinge sehr viel zu sagen. Ich hätte gerade zu diesem Punkt im einzelnen Dinge sagen müssen und sagen wollen, die Ihnen deutlich gemacht hätten, daß dieses Haus — auch die Ausschüsse dieses Hauses — von der Art, wie verhandelt wird und wie immer unter Druck verhandelt worden ist, nichts weiß. Ich hätte das gerne gesagt, weil dieses Haus und die Ausschüsse dieses Hauses das wissen müssen; denn wenn über die Anträge, die mein Kollege Gülich begründet hat, in den Ausschüssen verhandelt wird, dann braucht Berlin, dieses Mal besonders für den Wiederaufbauplan, die Unterstützung dieses Hauses. Berlin braucht diese Unterstützung, weil es so sehr am kurzen Hebel sitzt und dem, was das Bundesfinanzministerium gerade in jenem Augenblick anordnet, wo die kassenmäßige Zahlungsunfähigkeit fast gegeben ist, hilflos ausgeliefert ist. Davon wissen wir hier nichts. Es darf aber, meine Damen und Herren, beim Wiederaufbauplan für Berlin nicht so weitergehen wie bisher, und darum habe ich konkrete Vorschläge gemacht, wie die Dinge aussehen müßten.
Bei der Beratung dieser konkreten Vorschläge in den Ausschüssen die Unterstützung des ganzen Hauses finden zu können, das ist das, was mich in diesem Augenblick am meisten bewegt. Nur deshalb habe ich Ausführungen gemacht, die gegenüber dem Herrn Bundesfinanzminister unfreundlich scheinen könnten. Sie waren nicht unfreundlich; sie hatten nur die notwendige Offenheit, die notwendige Offenheit deshalb, weil die Verhältnisse selbst eine andere Methode verlangen, als sie bisher anzuwenden beliebt gewesen ist .
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lindrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu einer persönlichen Erklärung: Die Kosten der Luftfahrtbrücke sind nach meiner Auffassung Aufwendungen, die vom Bund getragen werden müssen und getragen worden sind. Das ergibt sich aus der jetzigen Fassung des Abs. 2 des § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes. Die in dem Entwurf vorgeschlagene Fassung läßt darüber Zweifel aufkommen. Nur in dieser Hinsicht habe ich dieses Beispiel gebraucht. Es bedeutet keinen Angriff gegen die Ehre der Stadt Berlin.
Außerdem ist mir vorgehalten worden, ich unterschiede zwischen Deutschen und Berlinern. Ich habe von der Bundesrepublik und der Stadt Berlin als den beiden Partnern dieser Auseinandersetzung gesprochen. Ich kenne den Unterschied zwischen Berlinern und Deutschen nicht, zumal ich selbst erst vor wenig mehr als vier Jahren aus der Zone drüben gekommen bin, das Elend der Zone kenne und als ehemaliger Berliner Soldat auch die Berliner Verhältnisse kenne.
Meine Damen und Herren, Sie haben diese Erklärung gehört. Das Wort hat nunmehr der Herr Vizekanzler.
Dr. h. c. Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich vor, nur einen oder zwei Sätze durchaus angenehmen Inhalts in Antwort auf eine Anfrage des Herrn Kollegen Brandt zu sagen. Aber die letzten Ausführungen unseres Kollegen Klingelhöfer zwingen mich doch, eins für die Bundesregierung und, ich darf Gott sei Dank sagen, auch für alle Parteien dieses Hauses ausdrücklich auszusprechen. An einer Stelle der Ausführungen des Herrn Kollegen Klingelhöfer ist ein Zweifel an unserer Haltung gegenüber dem Problem Berlin als Ganzes laut geworden, und hierzu möchte ich erklären: Wir wissen, daß unser ganzer außenpolitischer Kampf ohne die Behauptung eines lebenskräftigen Berlin verloren wäre. Wir wissen, daß wir an Berlin keine normalen Maßstäbe anlegen können. Ich gehe über das hinaus, was der Herr Kollege Brandt gesagt hat — und ich spreche hier die Ansicht der Bundesregierung aus —: Ich denke nicht nur daran, daß Berlin neben seiner Teilung auch noch das schwere Schicksal trägt, daß es nicht mehr Sitz so vieler zentraler Reichs- und anderer Stellen ist; wir wissen darüber hinaus, daß Berlin niemals gänzlich aus eigener Kraft lebensfähig werden kann, solange es nicht das große wirtschaftliche Zentrum eines blühenden Abnehmergebietes und solange es nicht das unbehinderte Verkehrszentrum ist.
Wir gehen also in unseren Ansichten so weit, und wir stehen zu den Verpflichtungen, die wir in der Vergangenheit immer wieder anerkannt haben ) und die auch aus der heutigen Regierungserklärung, die der Herr Finanzminister abgab, deutlich wurden.
— Verzeihen Sie, ich glaube, ich habe das deutlich genug mit meinem zweiten oder dritten Satz gesagt, Herr Kollege.
— Nein, nein, Herr Kollege Leiske schien meinen dritten oder vierten Satz überhört zu haben. Im übrigen, Herr Wehner, pflege ich keinen Menschen anzuschreien. Ich glaube auch nicht, daß das der Würde des Parlaments entsprechen würde und daß der Herr Präsident mir das gestatten würde.
Nun eine andere Sache, die mir auszusprechen am Herzen liegt. Ich würde sehr großen Wert darauf legen, Herr Kollege Klingelhöfer, nachdem wir so manches Jahr zusammengearbeitet haben, daß dieser Ihr Satz nicht in der Welt stehenbliebe. Es ist unmöglich, von einem Bundesfinanzminister, der seine Pflicht tut, zu verlangen, daß er sich der Prüfung des Verwendungszwecks von ihm bewilligter Ausgaben enthält.
Sie haben gesagt, das geht den Herrn Bundesfinanzminister nichts an. Dann müßte sich sowohl dieses Haus — —
— Jawohl, verzeihen Sie, aber in unserer Vorstellung — Herr Kollege, hier muß ich Sie nun wirklich unmittelbar ansprechen — besteht eine so schroffe Trennung zwischen Berlin und dem Bund nicht. Die leider Gottes völlig gefallene Grenze in bezug auf Abwanderungen ist ja heute mit Recht schon vom Kollegen Brandt erwähnt worden. Wir wissen von der unmittelbaren wechselseitigen Beziehung bei der Frage des Arbeitsmarkts, bei der Frage der Preisentwicklung usw., und ich würde nicht der Ansicht sein, daß die Bundesregierung ihre Pflicht täte, wenn sie sich jedes Urteils über die Auswirkung von Maßnahmen enthielte, bei denen sie mitwirkt.
Ich bin also durchaus der Ansicht, Herr Kollege Klingelhöfer — ich weiß nicht, ob Sie oder jemand anders den Ausdruck gebraucht haben; er ist heute schon gefallen —, daß es sich bei Ihnen um einen Lapsus linguae, um ein Stolpern der Zunge, handelte. Sie sind ja selbst alter Finanzmann, und ich möchte Sie mal auf dem Platze des Bundesfinanzministers sehen, wenn man Ihnen zumutete, auf eine solche Prüfung zu verzichten.
Aber es ist etwas anderes in die Debatte hineingekommen, und das tut mir leid. Meine Herren, ich glaube — wenn ich ein persönliches Wort sagen darf —, an mir als gutem Berliner brauchen Sie ja wohl nicht zu zweifeln. Deswegen darf ich sagen: man kann nicht einem Mitglied der Bundesregierung Hinterhältigkeiten zutrauen und so scharf polemisieren, wenn derselbe Bundesfinanzminister vorher ausdrücklich erklärt hat: „Mit der Aufnahme der Vorhaben in den damit bereits vorbereiteten Landeshaushalt 1956 und der in der Bemessung des Bundeszuschusses liegenden Anerkennung wird die Entscheidung auch für die Durchführung der Vorhaben in den folgenden Haushaltsjahren grundsätzlich gegeben sein." Ich weiß nicht, wie man sich da deutlicher festlegen könnte und sollte.
Wir wollen doch nun nicht beginnen, gegenseitig in unseren Äußerungen ein Mißtrauen zu verraten.
— Ich finde so generelle Behauptungen und Zwischenrufe meistens deplaziert. Dann soll man sich zunächst einmal in seiner Kammer sehr gegenständlich über die einzelnen Dinge unterhalten.
Ich meine, auch das wäre ein Stück eines parlamentarischen Stils, nach dem wir sehr eifrig suchen;
aber ob wir einen gefunden haben, ist die andere Frage.
— Ja nun, das ist doch eine generelle Behauptung, die unbewiesen im Raume steht, deren Erörterung aber auch gar nicht hierher gehört. Das ist eben ein sehr schlechter parlamentarischer Stil.
Es war eine sehr verallgemeinernde Behauptung. Das werden Sie, wenn Sie das Stenogramm prüfen, nicht gut leugnen können.
Ich will jetzt zu etwas Angenehmerem kommen. Herr Kollege Brandt, Sie haben ein sehr ernstes Thema angesprochen: das der älteren Angestellten. Nur deswegen hatte ich mich eigentlich gemeldet. Ich wollte Ihnen sagen, daß ich mit Ihrer Ansicht, es sei nicht zweckmäßig, kleine Pflästerchen für drei Monate zu suchen, voll übereinstimme und daß ich nach dem heutigen Stand der Dinge hoffe, noch in den allernächsten Wochen zu einer Aktion großen Ausmaßes und mit einer zunächst auf ein Jahr bemessenen Einstellungsverpflichtung zu Ende zu kommen. Das ist das, was ich mitteilen wollte.
Das zweite, was uns in diesem Augenblick sehr bekümmert, ist die Folge der erfreulichen Belebung der Berliner Wirtschaft. Die Regierung wird der Liquiditätsverstärkung in Berlin sehr große Aufmerksamkeit zuwenden. Wir sind hier auf einem guten Wege.
Ich möchte eine dritte Bemerkung machen. Ich habe sie schon vor den Berliner Abgeordneten gemacht, soweit sie damals nach der Sitzung des Wirtschaftskabinetts in Berlin mit uns zusammen waren. Das ist immer eine gewisse — nicht aus der praktischen Handhabung der Dinge entstehende — Sorge wegen Bereitstellung der Mittel. Ich möchte Ihnen das eine sagen: Keiner von Ihnen wird behaupten, daß es dem Sondervermögen nicht gelungen sei, sich seit 1949 elastisch jedem Berliner Bedarf anzupassen. Wenn ich das jetzt sage, dann deswegen, weil man allzusehr in festen Daten und Terminen rechnet und allzuwenig den praktischen Ablauf der Dinge sieht. Ich möchte mich hier in der gleichen Weise festlegen, wie ich das schon einmal getan habe. Wir werden praktisch mit den von mir zur Verfügung gestellten Beträgen nicht nur die Berliner Investitionen innerhalb der genannten Zeiträume ausreichend speisen können, sondern wir werden die vom Herrn Bundesfinanzminister erwähnten sogenannten Kommunalbauten — Markt, Milchhof — sicherlich in vernünftiger Weise mitfinanzieren können. Ich hoffe auch, daß sich das, was ich für das vielleicht Wichtigste halte, nämlich die große Neugestaltung der Berliner Entwässerung, ebenfalls durch kombinierte Finanzierungsmethoden bewerkstelligen läßt. Wenn wir uns in der nächsten Zeit über solche praktischen Dinge — hoffentlich — etwas mehr unterhalten können, so, glaube ich, wird die Freundschaft zwischen uns größer sein, als wenn wir uns im Allgemeinen bewegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berliner bin ich dem letzten Teil der Debatte mit einiger Sorge gefolgt.
Wir haben von den Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, dem Kollegen Brandt und dem Kollegen Gülich, Ausführungen gehört, die wir nicht nur mit der selbstverständlichen Achtung angehört haben, sondern die ich auch — ich gestehe das offen — mit innerer Sympathie und Zustimmung angehört habe. Wir haben dann vom Herrn Bundesfinanzminister eine Erklärung der Bundesregierung über die Verhandlungen mit dem Senat der Stadt Berlin gehört, die mich, ich muß sagen, ausgesprochen ermutigt und erfreut hat. Es mag der eine oder andere Punkt darin sein, über den
noch zu sprechen sein wird. Dazu gehen ja die Dinge an die Ausschüsse. Ich muß aber ausdrücklich feststellen — und ich glaube, mich hierin durchaus mit meinen politischen Freunden einig zu wissen —, ich sehe wirklich keinen Grund ein, weshalb wir in diesem Zusammenhang jene dramatische Zuspitzung hier haben über uns ergehen lassen müssen, die wir tatsächlich erlebt haben. Das ist nicht im Interesse Berlins.
Wir sehen schon an der schwachen Besetzung des Hauses, daß unserem Berliner Anliegen das Schlimmste passiert, was im Parlament passieren kann. Wir fangen nämlich an, unsere Kollegen zu langweilen, und das ist nicht gut. Und was noch schlimmer ist: wir fangen an, den Eindruck zu erwecken, wir seien Querulanten und kratzten bei jeder Gelegenheit nun noch mühsam irgendwelche Differenzen heraus, um zu sagen: Also nein: das muß noch ganz anders werden!
Das ist zweifellos nicht gut, und ich, der ich mich durchaus in vielem mit den sozialdemokratischen Anträgen einig weiß, glaube, wir hätten mit großer Befriedigung das anhören sollen, was der Herr Bundesfinanzminister uns erklärt hat. Im übrigen hätten wir uns auf die ja durchaus gegebene Möglichkeit verlassen können, im Ausschuß noch das eine oder andere zu korrigieren.
Ich möchte mich auch ausdrücklich mit dem Herrn Bundesfinanzminister darin einig erklären, daß er eine sorgfältige Prüfung und Kontrolle vornimmt. Es wäre ja geradezu verantwortungslos, wenn er anders handeln wollte.
— Bitte, lieber Kollege Schröter, seien Sie mir nicht böse, dieses schöne Aufbauprogramm verdient auch eine gewisse sorgfältige Prüfung. Wenn man es so durchliest — ich verstehe ja etwas von der Materie —, so sieht man, wie die Ressorts der Berliner Verwaltung ihre Wünsche und Anträge der Reihe nach angemeldet haben. Da hat man das schön hintereinander aufgeschrieben und addiert, und dann kommen die Millionen- und Milliardensummen heraus. Daß da das eine oder andere nicht so durchgeführt werden kann, Herr Kollege Schröter, das sieht man auf den ersten Blick. Der Bundesfinanzminister würde seine Pflicht versäumen, wenn er das nicht mit aller Sorgfalt nachprüfen wollte. Zum Beispiel wird die Baukapazität Berlins durch das, was hier vorgesehen wird, bei weitem überbeansprucht, und man muß das sehr sorgfältig abwägen, um das Dringliche und Notwendige von dem nicht ganz so Dringlichen zu scheiden. Liebe Kollegin von der SPD, ein Ihnen politisch nahestehender Wissenschaftler hat mich gerade über diesen Punkt sehr sorgfältig unterrichtet. Zweifellos ist hier eine Überforderung der Berliner Baukapazität enthalten. Wir brauchen uns darüber hier nicht zu streiten; das ist nicht der Zweck. Jedenfalls führe ich es nur an, um zu beweisen, daß der Herr Bundesfinanzminister durchaus pflichtgemäß handelt, wenn er sich das Programm sehr sorgfältig ansieht.
Ich möchte auch ein anderes sagen. Ich lasse es dahingestellt, ob es gut ist, wenn zinsverbilligte Kredite für werbende Anlagen der Stadt verlangt werden, um einen Fruchthof oder Einrichtungen der Verkehrsbetriebe oder eine Meierei zu bauen.
Da soll die öffentliche Hand zeigen, daß sie im Wettbewerb mit der privaten Wirtschaft auch bestehen kann, und es ist irgendwie eine nicht ganz saubere Wirtschaftsführung, wenn man für diese Dinge deshalb, weil sie die öffentliche Hand bauen soll, die aber im übrigen durchaus werbende Betriebe sind, eine besondere Bevorzugung verlangt. Jedenfalls müßte auch das sorgfältig geprüft werden.
In einem bin ich mit dem Herrn Bundesfinanzminister nicht ganz einig, aber auch da verstehe ich die Dramatisierung der Differenzen nicht, meine Damen und Herren: in der Frage der Verwendung des Notopfers. Ich habe mit Befriedigung davon gehört, daß es materiell nicht so furchtbar viel ausmachen wird, ob es nun so oder so gemacht wird. Aber ich würde doch bitten, der Bundesregierung zu bedenken zu geben — Herr Vizekanzler, bei Ihrer Freundschaft für Berlin möchte ich besonders an Sie appellieren —: Der Name, der Begriff Notopfer Berlin ist ja ein Bekenntnis und eine Verpflichtung. Und wenn eine Bundesregierung und ein deutsches Parlament diesen sehr anspruchsvollen und fast ein wenig pathetischen Namen für eine Sonderabgabe wählt, so müssen sie sich darüber klar sein, daß das gewisse Empfindungen in der Bevölkerung auslöst. In Berlin hat man den Eindruck, daß ein Notopfer Berlin von der Bevölkerung doch selbstverständlich so verstanden wird, daß der Ertrag Berlin zugute kommt,
und man sollte es doch irgendwie in der Etatsgestaltung fertigbringen, diesem außerordentlich naheliegenden Empfinden Rechnung zu tragen.
Wenn die Hohe Bundesregierung für diesen Zweck einmal die Meinungsforschungsinstitute, die sie sonst so gern in Anspruch nimmt, bemühen wollte, so bin ich überzeugt, daß eine Abstimmung in der Bevölkerung eine mehr als 90 %ige Mehrheit derer ergeben würde, die der Ansicht sind, das Notopfer Berlin komme restlos Berlin zugute. Man würde gar nicht auf einen anderen Gedanken kommen. Und wenn wir drüben auf der Tribüne fragen wollten — ich habe nicht die Absicht, das zu tun, Herr Präsident, erschrecken Sie nicht, ich weiß, das wäre parlamentarisch ungehörig —, aber wenn wir die Tribünenbesucher fragten, was die sich unter Notopfer Berlin vorstellen, würden sie wahrscheinlich alle, wenn sie nicht besondere Etatsspezialisten sind, sagen: Natürlich kommt es Berlin zugute; man kommt gar nicht auf einen anderen Gedanken. Da die Zahlung für das Notopfer und das Kleben dieser schönen blauen Marke doch bei dem einen oder anderen gewisse Unlustgefühle auslöst, deswegen denken wir, wir wollen doch nicht noch mehr Unlustgefühle ausläsen, als dringend notwendig ist, weil die Leute selbstverständlich diese Unlustgefühle auf Berlin beziehen. Also da ist irgend etwas nicht in Ordnung, und ich bitte auch die Freunde in meiner eigenen Fraktion, dafür Verständnis zu haben, daß man die jetzige Regelung in Berlin nicht gern sieht.
Nach dem, was uns der Herr Finanzminister gesagt hat, scheint mir, daß er tatsächlich noch nicht das letzte Wort gesprochen hat. Hätte er sich hierher gestellt und gesagt: Nur über meine Leiche geht der Weg zu den sozialdemokratischen Anträgen, so würde ich etwas Ihre Aufregung verstanden haben. Aber das hat er nicht gesagt. Er hat gesagt:
Wir wollen uns im kleinen Kreise, im Ausschuß, noch einmal darüber unterhalten. Ich glaube — und möchte das als Berliner im Interesse Berlins sagen —:wir wollen doch sehen, daß wir einen vielleicht noch nicht voll überzeugten Bundesfinanzminister allmählich voll überzeugen, damit das herauskommt, was wir haben wollen, nämlich ein Notopfer Berlin, das wirklich Berlin allein zugute kommt. Wenn es dafür nicht notwendig ist, kann man es herabsetzen, damit Berlin nicht unnötig mit Dingen moralisch belastet wird, die ihm gar nicht zugute kommen. Das ist doch wohl der Wunsch, und ich glaube, meine Damen und Herren, damit brauchen wir uns nicht noch länger herumzuschlagen. Die Ansichten sind ja im großen und ganzen einheitlich, und wir sollten die schöne Einigkeit, die wir bisher immer — ich möchte das ausdrücklich mit Dank und Freude anerkennen — mit der Bundesregierung gepflegt haben und wo wir immer und auch heute Verständnis gefunden haben, festhalten und uns nicht gegenseitig schlechtmachen und versuchen, Gegensätze zu konstruieren, wo in Wirklichkeit keine Gegensätze sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Will.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wort von der Berlin-Müdigkeit des Deutschen Bundestages wird unterstrichen durch den optischen Eindruck, den man hier von der Rednertribüne angesichts des halbleeren Hauses empfangen muß. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß die jetzt zweistündige Debatte der Sache Berlins sehr genutzt hätte.
Es hat nicht sehr viel Zweck, wenn wir uns hier darüber streiten, ob dieses oder jenes in Berlin so oder so gemacht werden sollte. Die Atmosphäre für Berlin hat durch die Debatte der letzten Stunden meines Erachtens nicht gewonnen.
Lassen Sie mich deshalb zurückkehren zu dem Ausgangspunkt unserer Aussprache: daß Berlin zur Wiederherstellung seiner früheren Position als Hauptstadt einer weiteren Unterstützung und eines weiteren Ausbaues bedarf. Dazu ist der langfristige Aufbauplan vorgelegt worden, der in der Größenordnung von 5,3 Milliarden auch für den Deutschen Bundestag immerhin einen erheblichen Brocken bedeutet. Dabei — und das ist hier nicht gesagt worden — darf man nicht aus dem Auge verlieren, daß das, worauf es letzten Endes ankommen wird, wenn Berlin wieder Hauptstadt sein soll, in diesem Aufbauplan nicht enthalten ist. Es ist nämlich z. B. nicht davon die Rede, daß in Berlin im Rahmen dieses Aufbauplans etwa ein Heim für den Bundestag geschaffen werden soll, daß etwa das Auswärtige Amt, das Bundesfinanzministerium, das Bundeswirtschaftsministerium und alle diese Ministerien, die doch notwendigerweise nach Berlin kommen müssen, ausgabenmäßig noch außerhalb dieses Plans auf die Bundesregierung zukommen werden. Es wird sich auch da um Beträge handeln, von denen ich glaube, daß sie eher jenseits einer Milliarde als darunter liegen werden. Das muß dabei doch immerhin auch gesehen werden.
Nun läßt sich über den Berliner Aufbauplan, wie er jetzt vorliegt, noch manches sagen, und ich bin überzeugt, daß in den Ausschüssen auch noch viel darüber debattiert werden muß. Es ist schon erwähnt worden, daß das ansehnliche Bukett, das hier vorliegt, zweifellos da und dort etwas gerupft werden muß. Es sind darin Dinge enthalten wie z. B. das berühmte große Hotel mit einem Kostenaufwand von 23 Millionen, das, wie Sie wissen, Gegenstand stärkster Meinungsverschiedenheiten auch der Berliner Gastronomie ist. Dieser Punkt und manches andere, auf das ich jetzt nicht eingehen will, werden noch einer sorgfältigen Prüfung bedürfen. Im ganzen aber wird man sagen können, daß die Zusicherung, die wir heute aus dem Munde des Herrn Bundesfinanzministers gehört haben, immerhin befriedigen kann in der Richtung, daß die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und dem Senat von Berlin in diesen Fragen gewährleistet bleiben soll.
Nun ist außerhalb dieses Programms noch verschiedenes erwähnt worden, wovon ich einen Punkt herausgreifen möchte, weil er mir besonders am Herzen liegt. Das ist der Berliner Wohnungsbau. Meine Damen und Herren, es ist klar, daß für jede Regierung und auch für das Parlament eine ansehnliche Fassade, die auch nach außen hin wirkt, wie z. B. Hochhäuser, Verwaltungsgebäude, Hotels und ähnliche Dinge, besonders nützlich, besonders begehrenswert ist. Aber wenn man nun die Dinge einmal von der Kehrseite aus sich ansieht — und das ist wieder einmal der Fall gewesen, als der zuständige Bundestagsausschuß neulich eine Rundfahrt durch Berlin gemacht hat; ein Teil von Ihnen hat ja daran teilgenommen —, wenn man also weiß, wie die Verhältnisse auf diesem Gebiet in Berlin liegen, dann erhebt sich doch die Frage, ob man nicht manches Projekt, das in diesem langfristigen Aufbauplan enthalten ist, zurückstellen sollte — nehmen wir beispielsweise einmal die Deutschlandhalle für sportliche Zwecke —, um den Bevölkerungskreisen zu helfen, die es am nötigsten haben. Solange es im Norden Berlins, im Wedding — wir haben dieses Stadtviertel unter der ausgezeichneten Führung des Herrn Bezirksstadtrats Nicklitz von der sozialdemokratischen Fraktion besichtigt —, immer noch Häuserblocks und Stadtviertel gibt, in denen auf einem Hektar mehr als 2000 Menschen wohnen; solange es dort noch Häuser gibt, in denen die Fäkalien auf dem Wege der_ Müllabfuhr beseitigt werden müssen, weil nämlich nur einige wenige Toiletten auf dem Hofe sind, die im Winter zufrieren; solange ein solches Wohnungselend vorhanden ist, sollten wir — meine ich — die Fassade zurückstellen und mehr das Rückgrat stärken, wenn ich mich so ausdrücken darf, das in der Wohlfahrt der Berliner Bevölkerung beruht;
eine völlig unpolitische Aufgabe, die uns alle in gleicher Weise angeht. Was immer geschehen kann, die zur Verfügung stehenden Mittel in den nächsten Jahren in erhöhtem Maße einzusetzen, das soll geschehen; denn wir waren der Überzeugung, daß hier die Sanierungsbedürftigkeit ihre Grenze hat. Hier heißt es nur: Abriß und Neubau. Das ist eine Frage, mit der wir uns zu beschäftigen haben werden, wenn es einmal so weit sein wird.
Abgesehen von dem langfristigen Aufbauplan ist hier vieles über das Notopfer Berlin gesagt worden. Aus diesem Grunde möchte ich mich darüber nicht noch weiter verbreitern. Auch dazu wird noch einiges zu sagen sein. Die Situation ist natürlich denkbar einfach. Im Berliner Haushalt 1955 stehen 800 Millionen als Haushaltszuschuß aus Bundesmitteln, während aus dem Notopfer Berlin, wie wir heute hier gehört haben, 1275 Millionen aufkommen werden. Das ist eine Differenz von 475 Millionen. Wenn wir diesen Überschuß bekommen könnten, Herr Professor Gülich, nichts wäre schöner als das! Ich würde es genau so heftig begrüßen. Aber wir wissen, daß dieser Überschuß nun einmal einen Teil der ordentlichen Mittel bildet, die im Bundeshaushalt enthalten sind, und daß wir, wenn wir sie in dieser Weise für Berlin beanspruchen, natürlich ein Äquivalent, einen Gegenwert finden müssen. Es wird unsere Aufgabe sein, darüber nachzudenken.
Aber ich möchte doch feststellen, daß es wahrscheinlich nicht am guten Willen des Bundesfinanzministers liegt, sondern daß die Dinge noch nicht völlig ausgegoren sind. Ziemlich klar scheint mir zu sein, daß auf diese Weise das Berliner Notopfer wegen der Überschüsse, die es bringt, wahrscheinlich bald abgeschafft wird. Ob das unter allen Umständen ein Nachteil für Berlin ist, wage ich noch zu bezweifeln. Wir werden im Bundesgebiet dadurch immer unbeliebter. Man klebt uns an die Scheiben der Autos Zettel mit der Aufschrift: Alles für unser Geld! Daß sich diese Unbeliebtheit immer mehr geltend macht, hängt mit dem Begriff des Notopfers zusammen. Am 1. April wollen wir endlich die wenig einbringende und besonders lästige Sonderbriefmarke abschaffen. Ich glaube, auf lange Sicht wird es auch dahin kommen, daß die Versorgung Berlins mit Subventionen aus ordentlichen Haushaltsmitteln erfolgen muß.
Im übrigen bin ich — und da stimme ich einer Reihe von Vorrednern zu — mit dem Kern der Ausführungen, die der Herr Bundesfinanzminister gemacht hat, nicht einverstanden; ich bin davon nicht befriedigt.
Er hat uns in sehr freundlicher Form seines Wohlwollens versichert. Aber wenn man genau zugehört hat — und einige haben das getan —, dann ist daraus immer erkennbar gewesen, daß es sich für ihn im wesentlichen darum gedreht hat, die Vorhaben, um die es im Moment geht, in den Berliner Etat aufzunehmen und dann im Rahmen des § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes die entsprechenden Mittel durch Zuschüsse an Berlin aufzubringen. Er hat also nicht gesagt, daß er bereit sei, auch nur eine Anleihe aufzunehmen. Wir müssen uns allerdings darüber klar sein, daß auch im Bundeshaushalt für Wohnungsbauzwecke im ordentlichen Etat seit einem Jahr keine Mittel vorhanden sind, also auch nicht für das Bundesgebiet; die 500 Millionen dafür erscheinen vielmehr im außerordentlichen Etat. Aber für Berlin will der Bund auch keine Anleihen .aufnehmen, sondern zunächst soll nur der Zinsendienst durch den Bund garantiert sein. Berlin wird also zunächst im Rahmen des eigenen Haushalts für die Zinsen aufzukommen haben — von der Tilgung ganz abgesehen. Und dann erst, wenn das nicht möglich sein sollte, wird im Rahmen des Dritten Überleitungsgesetzes der Bundesfinanzminister einspringen. Er hat also einen sehr freundlichen Eindruck gemacht, aber im Grunde genommen nicht sehr viel, ich möchte beinahe sagen, gar nichts versprochen.
Wenn wir das erkannt haben, dann bleibt ein weites Feld der Verhandlungen, mit denen wir zu rechnen haben.
Aber im ganzen sollten wir von Berlin aus — das hat übrigens Herr Kollege Brandt auch schon getan — bei Gelegenheit dieser Berlin-Debatte ein Wort der Dankbarkeit gegenüber dem Bund sagen. Wir haben gehört, es sind immerhin allein aus dem Bundeshaushalt 6 Milliarden geflossen. Es ist ferner, was meiner Meinung nach noch sehr viel mehr bedeutet, von den vorhandenen ERP-Mitteln, die in Deutschland zur Verfügung standen, allein ein Drittel in Berlin eingesetzt worden. Berlin ist doch nicht mit privatem Kapital, auch nicht mit Mitteln des Kapitalmarktes, sondern mit politischem Geld, mit öffentlichen Mitteln aufgebaut worden.
Wir haben kürzlich in Berlin gehört, daß im Bundesgebiet im letzten Jahr immerhin schon 50 % der Wohnungsbauten dem frei finanzierten und dem steuerbegünstigten Wohnungsbau zugehören. In Berlin dagegen sind es erst 5 %, also ein Zehntel dessen, was wir im Bundesdurchschnitt haben. Diese Dinge zeigen doch deutlicher als manches andere, wie die Situation in Berlin ist.
Wir haben deshalb anzuerkennen, daß nicht allein im Bundeshaushalt, sondern auch gerade durch das ERP-Ministerium sehr viel geschehen ist.
Dabei möchte ich auf eines hinweisen. Wir sagen immer: „Die Amerikaner haben es getan." Herr Bundesminister Blücher hat mich vorhin erneut darauf aufmerksam gemacht, daß die ERP-Mittel zwar ursprünglich von dorther gekommen sind, daß es sich aber um Mittel handelt, die vom Bund verzinst und zurückgezahlt werden müssen. Wenn auch im Moment noch keine Fristen feststehen — im Grunde haben die Amerikaner nie darauf verzichtet, den Anspruch auf Rückzahlung unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Auch hier handelt es sich also um Leistungen des Bundes, die wir als solche anerkennen sollten.
Zu den anderen Punkten, die hier vorgetragen worden sind, ist von mir aus, jedenfalls in diesem Moment, nicht allzu viel zu sagen. Ich möchte glauben, daß wir — gerade auch als Ergebnis der Arbeitswoche des Bundestages in Berlin — mit unserer Situation und mit den Fortschritten, die wir gemacht haben, nicht unzufrieden sein können. Ich hoffe und bin der Überzeugung, daß uns sowohl der Bund über den Haushalt als auch das ERP-Ministerium weiter helfen werden und daß wir die Sympathie des Deutschen Bundestages, auf die wir entscheidend angewiesen sind, auch weiter behalten werden, weil es hier tatsächlich nicht nur um Berlin, sondern um das große Ganze geht, dem wir verhaftet sind.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Es ist Überweisung an Ausschüsse und für den Entwurf Drucksache 1706 sowie die Anträge Druckachen 1710 und 1690 sofortige Abstimmung beantragt.
— Dazu, Herr Professor Gülich?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Gang der Diskussion, nach den Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers und den Erklärungen des Herrn Abgeordneten Lindrath für die CDU-Fraktion halte ich es nicht für zweckmäßig, jetzt im Plenum über den Entwurf Drucksache 1706 und den Antrag Drucksache 1710 abzustimmen. Ich ziehe deswegen meinen Antrag zurück, Herr Präsident, und bitte um Überweisung des Entwurfs Drucksache 1706 an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und des Antrags Drucksache 1710 an den Haushaltsausschuß
und beide an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen zur Mitberatung.
Herr Abgeordneter, das enthebt uns einiger Schwierigkeiten. Darf ich fragen, ob auch der Antrag Drucksache 1690 nun an den Ausschuß gehen soll, Herr Abgeordneter Brandt oder Herr Abgeordneter Wehner?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche ungern dazu; aber ich möchte Sie doch bitten, in diesem Falle dem Antrag auf unmittelbare Entscheidung des Hauses zuzustimmen.
— Entschuldigen Sie bitte, ich will Ihnen das nur erklären. Hier geht es nicht um Prestigedinge. Im vorigen Sommer hat dieser Antrag zum erstenmal eine Rolle gespielt; das ist jetzt eineinviertel Jahr her. Es war damals nicht möglich, ihn zu erledigen. Im Frühjahr haben dieselben Abgeordneten, Abgeordnete aus allen Fraktionen des Hauses, diesen Antrag interfraktionell wieder eingereicht. Er wurde damals dem Haushaltsausschuß überwiesen. Es ist dort leider, als der Haushalt beraten wurde, infolge eines Versehens, über das ich mich hier nicht weiter aussprechen will, nicht zur Entscheidung über ihn gekommen. Wir haben mit dem Herrn Bundesfinanzminister, wir haben im Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, wir haben mit den in Frage kommenden Fraktionen über die technische Regelung dieses peinlichen Falles sprechen wollen, denn hier geht es um eine Angelegenheit, die termingebunden ist, und sind dann wieder interfraktionell dazu gekommen, diesen Antrag einzubringen. Ich will nicht über das Objekt reden; aber diejenigen Mitglieder der verschiedenen Fraktionen im Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, die diesen Antrag unterschrieben haben, werden Ihnen, meine Damen und Herren in den Fraktionen, doch dafür gutstehen, daß hier nicht jemand übervorteilt werden soll.
Ich bitte Sie also, wenn Sie sonst keine schwerwiegenden Bedenken dagegen haben, diesen Antrag — im Gegensatz zu den anderen — nicht noch einmal einem Ausschuß zu überweisen; denn er ist ja das Produkt von Ausschußberatungen.
Herr Abgeordneter Rasner, soll ich aus diesem Zuruf schließen, daß Sie dem Vorschlag des Herrn Abgeordneten Wehner nicht zustimmen?
— Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als darüber abstimmen zu lassen.
— Meine Herren, beruhigen Sie sich!
— Meine Damen und Herren, wir wollen diese Sache jetzt in Ruhe zu Ende bringen.
Ich lasse abstimmen. Ich lasse zunächst abstimmen über die Überweisung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes auf Drucksache 1706. Hier ist Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen — federführend — sowie an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen und den Haushaltsausschuß — mitberatend — beantragt. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich lasse dann abstimmen über die Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Änderung des Einzelplans 45, Drucksache 1710, Punkt 1c. Hier ist Überweisung an den Haushaltsausschuß — federführend — sowie an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen und den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen — mitberatend
— beantragt.
— Auf Überweisung an den Ausschuß für Finanz-und Steuerfragen wird verzichtet. Der Ältestenrat hatte diesen Ausschuß vorsichtigerweise mitvorgesehen; ich streiche ihn. Wer also der Überweisung an den Haushaltsausschuß — federführend — und den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen — mitberatend — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Nun kommen wir zu Punkt 1 d: Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin, Drucksache 1707. Hier ist der Antrag gestellt: Überweisung des Entwurfs an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und — dies setze ich voraus — an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen zur Mitberatung. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Es ist so beschlossen.
Ich lasse weiter abstimmen über die Überweisung des Antrags Drucksache 1690 betreffend Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Hauptstadt Berlin" und Architektenwettbewerb „Wiederherstellung Reichstagsgebäude"
an den Haushaltsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen — mitberatend —.
Es ist außerdem Überweisung an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen vorgesehen. Wird darauf bestanden?
Also der Ältestenrat schlägt Ihnen das vor; wenn Sie auf Überweisung an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen verzichten, dann wird der Antrag an den Haushaltsausschuß— federführend — und an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen — mitberatend — überwiesen.
— Meine Damen und Herren, ich kann hier unmöglich in eine Sacherörterung eintreten. Der Präsident kann nichts anderes tun, als das Haus darüber abstimmen zu lassen. Ich bitte, die Prozedur nicht weiter zu erschweren.
Wer für die Überweisung des Antrags Drucksache 1690 an den Haushaltsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen — mitberatend — ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Im Präsidium beurteilt man die Abstimmung verschieden; wir kommen also zum Hammelsprung.
Ich bitte, die Türen zu schließen. Sind alle Türen besetzt? — Die Abstimmung beginnt. Bitte, öffnen Sie die Türen.
— Meine Damen und Herren, darf ich bitten, die Abstimmung zu beschleunigen. — Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Abstimmung ist beendet.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. Für den Antrag auf Überweisung an den Haushaltsausschuß als federführenden Ausschuß haben 123 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein, also gegen die Überweisung, haben 166 Mitglieder des Hauses gestimmt. Damit ist der Antrag auf Überweisung abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag selber. Meine Damen und Herren, ich muß aber unbedingt bitten, daß Sie Platz nehmen; wie sollen wir hier die Situation sonst überschauen können? — Meine Herren, ich appelliere noch einmal an Sie, Platz zu nehmen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag, der Ihnen auf Drucksache 1690 vorliegt. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist gegen einige Stimmen bei Enthaltungen angenommen.
Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 2 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes .
Auf Begründung des Antrags wird verzichtet. Ich eröffne die Beratung in erster Lesung. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung in erster Lesung.
Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Sonderzulagen zur Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz .,
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Zühlke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag der sozialdemokratischen Fraktion ist einer der Anträge, die wir bei der Gesetzgebung zur Sozialversicherung oder bei den Novellen vergessen haben. Redner der einzelnen Fraktionen haben über die Rentner, über die Kriegsbeschädigten gesprochen, in der Frage der Unterhaltshilfeempfänger haben wir das jetzt nachzuholen. Da ich annehme, daß das im Rahmen der gesamten Sozialgesetzgebung liegt, würde die Frage der Zustimmung zu diesem Antrag in diesem Hause wohl keine Schwierigkeiten machen.
Die Unterhaltshilfe, die im Lastenausgleichsgesetz geregelt ist, beträgt zur Zeit 100 DM für die alleinstehende Person pro Monat. Ich gehe von der Voraussetzung aus, daß wir das Einkommen der Unterhaltshilfeempfänger mit 100 DM pro Monat im allgemeinen als zu gering bezeichnen. Wir haben in diesem Antrag nicht eine generelle Erhöhung der Unterhaltshilfe in laufenden monatlichen Zuwendungen verlangt. Vielmehr hat sich die sozialdemokratische Fraktion dem Gedanken der sogenannten Sonderzulage angeschlossen. Es soll hier — ähnlich wie es in den Anträgen zur Sozialversicherung verlangt wird — in Abständen von vier Monaten eine Sonderzulage in Höhe des halben Monatssatzes der Unterhaltshilfe gewährt werden.
Wir haben uns hierzu entschlossen, obwohl schwere Bedenken bestanden; denn Sonderzulagen oder Teuerungszulagen sind keine guten Dinge. Wir wollten aber durch die Erhöhung der Unterhaltshilfe nicht die Sozialreform präjudizieren. Die Sozialreform, über die in diesem Hause schon so oft und eingehend gesprochen wurde, ist jetzt im Bundesarbeitsministerium in Bearbeitung, und ich möchte auch an dieser Stelle der Hoffnung Ausdruck geben, daß es recht bald zur Beratung und endgültigen Verabschiedung der gesamten Sozialreform kommt.
Die Sonderzulagen — nennen wir sie ruhig auch Teuerungszulagen — sollen einem Kreis von Menschen gewährt werden, die auf Grund der Preisbewegungen am wirtschaftlichen Aufschwung nichtteilgenommen haben. Das ist eben der Kreis der
im Schatten der Konjunktur lebenden Bürger unserer Bundesrepublik. Ihre Zahl ist ja nicht klein.
Wir haben die Hoffnung, daß mit dieser Vorlage eine Überbrückung bis zum Erlaß des Gesetzes geschaffen wird, das nach § 246 des Lastenausgleichsgesetzes bis zum 31. März 1957 ergehen und eine abschließende Regelung bringen soll, es sei denn, daß die Frage der Unterhaltshilfe im Rahmen der Sozialreform angesprochen wird.
Ich bitte im Namen meiner Fraktion, den Gesetzentwurf Drucksache 1705 an den Lastenausgleichsausschuß zu überweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während der Beratungen der vierten Novelle zum Lastenausgleichsgesetz, amtlich des „Vierten Änderungsgesetzes zum LAG", haben wir uns im Ausschuß dahin geeinigt, alles, was sich im Lastenausgleichsgesetz im Laufe der letzten Jahre an Mängeln technischer, verwaltungsmäßiger, aber auch finanzieller Art gezeigt hat, durch diese Novelle zu bereinigen. Wir haben dann — und das ist erst einige Monate her — dieses vierte Änderungsgesetz hier im Plenum einstimmig verabschiedet. Im Zuge dieses Änderungsgesetzes wurde die Unterhaltshilfe von 85 DM auf 100 DM für Alleinstehende und von 122,50 DM auf 150 DM für Ehepaare erhöht, und wir haben ferner die Waisenrente von 27,50 auf 35 DM, bei Vollwaisen von 45 auf 55 DM erhöht. Damals war die Zustimmung zu diesen Erhöhungen nicht allgemein. Wir haben sie aber dann durchgesetzt und gesetzlich verankert. Wir haben also sozusagen bereits einen Vorgriff auf das getätigt, was uns heute an so vielen Anträgen sozialpolitischer Art, die eine Anpassung an den Lebenshaltungskostenindex zum Ziel haben, vorliegt. Wir haben das aber auch aus einem anderen wohlüberlegten Grunde damals getan und sind dafür einmütig eingetreten: Wir sagten uns, wir möchten doch einmal mit den dauernden Änderungen des Lastenausgleichsgesetzes Schluß machen, mit Änderungen, die die Verwaltung draußen nicht zur Ruhe kommen lassen; denn das Lastenausgleichsgesetz bestimmt, wie wir wissen, daß im Jahre 1957 diesem Hohen Hause das LastenausgleichsSchlußgesetz vorgelegt werden soll. Eine Voraussetzung für die Schaffung des LastenausgleichsSchlußgesetzes ist ein weitgehender Abschluß der Schadensfeststellung; aber diese kann verwaltungsmäßig nicht bewältigt werden, wenn wir dauernd mit Novellen die Ausgleichsämter draußen zwingen, die Hunderttausende von Akten immer von neuem zu wälzen. Der vorliegende Gesetzesantrag der SPD wäre aber wieder eine neue Ursache, daß über 858 000 Akten von Unterhaltshilfeempfängern — jede einzelne — durchgearbeitet werden müßten. Schon mit Rücksicht auf die verwaltungsmäßige Seite dieser Angelegenheit können und werden wir diesem Antrag nicht zustimmen.
Es gibt auch noch einen zweiten Gesichtspunkt, der unsere Bedenken wachgerufen hat: die finanzielle, die materielle Seite. Der Lastenausgleichsfonds ist ein Sondervermögen. Sein Aufkommen ist durch Gesetz festgelegt. Dieses Auf-
kommen ist an die Wirtschaftskonjunktur, ob steigend oder fallend, nie gebunden.
Wenn wir diesem Antrag zustimmten, begäben wir uns weiterhin in die Gefahr, das eigentliche Gefüge des Lastenausgleichsgesetzes immer mehr zu verschieben. Als der Lastenausgleich hier erstes Diskussionsthema war, eigentlich bevor noch der erste Entwurf vorlag, waren die Meinungen über das System eines Lastenausgleichsgesetzes ziemlich geteilt. Die einen befürworteten einen sozialen, kollektiven Lastenausgleich, möchte ich fast sagen, die anderen einen quotalen Lastenausgleich, d. h. einen Lastenausgleich, der auch auf das, was der einzelne Entschädigungsberechtigte an Werten tatsächlich verloren hat, Rücksicht nimmt. Wir haben uns dann geeinigt, weder einen rein sozialen Lastenausgleich, der auf die Vergangenheit keine Rücksicht genommen hätte, noch einen rein quotalen Lastenausgleich, sondern einen Lastenausgleich mit einem sozialen Sockel gesetzlich festzulegen. Diesen sozialen Sockel und damit die Aufwendungen für die rein konsumtive Seite haben wir in den letzten Jahren wesentlich verbessert, beachtlich erhöht und erweitert.
Wenn wir diesem Gesetzesantrag folgten, wäre es ein weiterer wesentlicher Schritt auf diese konsumtive Seite hin. Wenn wir, nachdem im Lastenausgleichsfonds als Sondervermögen bestimmte abgegrenzte Beträge zur Verfügung stehen, von diesen Aufkommen die erhöhen, die die soziale Seite betreffen, müssen wir den entsprechenden Betrag auf der anderen Seite, auf der produktiven Seite wegnehmen. Da haben wir gerade in den letzten Monaten draußen in allen Ländern beachtliche Schwierigkeiten durchstehen müssen. Ich erinnere Sie nur daran, daß die für den Sozialen Wohnungsbau aus Lastenausgleichsmitteln zur Verfügung zu stellenden Aufbaudarlehen sehr knapp geworden sind und daß eine Reihe von Bauvorhaben — besonders Eigenheime — mitten im Bauprozeß eingestellt werden mußten, weil die wohl bewilligten, aber noch nicht ausgezahlten Aufbaudarlehen nicht flüssig gemacht werden konnten.
Das sind die Gründe, die uns bewegen, daß wir diesem Antrag in seiner jetzigen Form nicht beitreten werden.
Ich möchte aber nicht den Anschein erwecken, als ob die CDU-Fraktion überhaupt gegen irgendeine Änderung in der Höhe der Unterhaltshilfe wäre. Das ist nicht der Fall. Wir wollen aber in den Ausschußberatungen ernstlich prüfen, ob nicht ein anderer Weg gefunden werden kann, der unter Anpassung an den großen Strauß sozialpolitischer Anträge, die uns vorliegen, auch den Unterhaltsempfängern eine Besserstellung sichern kann. Ich denke hier an die beantragte Ausdehnung des Rentenmehrbetragsgesetzes auf unsere Sozialrentner, soweit sie auch Unterhaltsempfänger sind. Denn schließlich und endlich — das dürfte vielleicht in der Öffentlichkeit und auch diesem Hohen Hause nicht bekannt sein — sind mehr als 50 % aller Unterhaltsempfänger gleichzeitig Empfänger irgendeiner anderen Rente, im wesentlichen von Sozialrenten, und als Unterhaltshilfe erhalten sie lediglich einen Ausgleichsbetrag auf die Höchstgrenzen der Unterhaltshilfe aus Lastenausgleichsmitteln. Aber auch hier muß ernstlich geprüft werden, damit die Abstimmung einer eventuellen Bevorzugung dieser Unterhaltsempfänger, die zugleich Sozialrentenempfänger sind, mit all den anderen Rentenempfängern erfolgt.
Dieser Weg würde auch die Sozialrentner, soweit sie Unterhaltsempfänger sind, in den Genuß setzen, so daß sie auch mittels den ihnen gesetzlich zustehenden Sozialrenten gegenüber den anderen Unterhaltsempfängern doch einen gewissen Vorzug hätten.
Mit diesem Weg, den wir ernstlich prüfen wollen, wäre a) verhindert, daß wir das Gefüge und den Aufbau des Lastenausgleichs ins Gleiten bringen, und b) würden wir damit erreichen, daß wir den verwaltungsmäßigen Apparat bei den Ausgleichsämtern nicht mit neuer Arbeit belasten. So würden wir auch — und das ist unser echtes und ernstes Anliegen — mit der Schadensfeststellung derartig vorwärtskommen, daß im Jahre 1957 das Lastenausgleichsschlußgesetz in diesem Hause noch verabschiedet werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klötzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde und ich begrüßen jede Anregung und jede Maßnahme, die darauf abzielt, die Situation und das Los derjenigen Bevölkerungsteile, die durch den Krieg am härtesten betroffen sind — und dazu gehören zweifellos insbesondere auch die im Antrage der SPD angesprochenen Unterhaltshilfeempfänger —, zu erleichtern und zu lindern. Wir werden daher auch jede Anregung dieser Art unterstützen. Ich glaube, in einer Zeit, wo durch allgemeine Umstände die Überprüfung bestimmter Sozialleistungen, der Sozialrenten und der Kriegsopferrenten, als eine Selbstverständlichkeit angesehen wird, muß man auch die derzeitigen Sätze der Unterhaltshilfe nach ihrer Höhe einer Überprüfung unterziehen und versuchen, sie in diese Neuordnung irgendwie mit einzugliedern. Der Antrag der SPD, den wir in Drucksache 1705 vorliegen haben, beinhaltet nach meiner Meinung nichts anderes als dieses Anliegen, nicht einen Kreis besonders hart Betroffener von dieser Neuregelung auszuschließen. Wir werden also der Überweisung dieses Antrags und einer sehr eingehenden Beratung im Lastenausgleichsausschuß zustimmen. Wir werden einen Weg zu finden versuchen, der diesen Kreis in die Neuregelung der Sozialleistungen mit einbezieht.
Kollege Kuntscher hat eben ausgeführt, daß man zwischen der sozialen Lösung und der quotalen Lösung sehr lange geschwankt und dann einen Mittelweg gefunden hat und daß wir alle bestrebt sein sollten, insbesondere die produktiven Leistungen dieses Lastenausgleichsgesetzes zu stärken. Das darf aber nicht dazu führen, daß man auf der anderen Seite die sozialen Leistungen — und als solche müssen die Unterhaltshilfe und die Kriegsschadenrente angesprochen werden — überhaupt vernachlässigt und daß man in das Gegenteil, nämlich in ein unsoziales Handeln verfällt.
Im Grundsatz sind wir also mit dem Anliegen, das in diesem Antrag zum Ausdruck gebracht wird, einverstanden. Das soll aber nicht heißen, daß meine politischen Freunde und ich auch die Form und den Weg für ganz richtig halten. Wir haben hier ein besonderes Bedenken, und ich darf dar-
auf vielleicht in wenigen Sätzen eingehen. Jede Erhöhung einzelner Leistungen im Rahmen des Lastenausgleichs, ohne daß man auch gleichzeitig die Abgabenseite, d. h. das Aufkommen des Fonds, irgendwie mit in die Erwägungen einschließt, bedeutet keine echte und wirksame Hilfe für die Geschädigten. Denn damit kommen wir immer dahin, daß die Geschädigten die Verbesserung einer Leistung mit einer Schmälerung der anderen Leistungen bezahlen müssen, also praktisch die Verbesserung selbst finanzieren müssen.
Ich halte diese Art einer Hilfeleistung für völlig abwegig. Man wird sich auch bei der Behandlung dieses Antrags Drucksache 1705 im Ausschuß darüber den Kopf zerbrechen müssen, wie man eine derartige Beeinträchtigung anderer Leistungen verhindern kann. Ich glaube, das ist durchaus möglich.
Es ist uns allen bekannt, daß heute auf einem anderen Gebiet, auf dem Gebiet der Sozialrenten, zum Teil mit Recht von den Sozialversicherungsträgern eingewandt wird, daß die infolge Steigerung der Lebenshaltungskosten erforderlichen Erhöhungen einzelner Sozialleistungen nicht allein von den Sozialversicherungsträgern abgefangen werden können, sondern daß der Bund aus seinem ordentlichen Haushalt Zuschüsse geben und eine Hilfeleistung gewähren muß. Wenn das bei den Sozialrenten der Fall ist und von den Sozialversicherungsträgern zum Teil mit Recht beansprucht wird, dann noch viel mehr von dem Personenkreis, der im Lastenausgleichsgesetz angesprochen ist.
Denn wir dürfen hier nicht außer acht lassen, daß doch gerade die konjunkturelle Entwicklung der letzten Zeit wesentlich mit dazu beigetragen hat, daß wir eine Steigerung der Lebenshaltungskosten auf verschiedenen Gebieten feststellen müssen.
Hier haben die Sozialversicherungsträger einen gewissen Ausgleich dadurch, daß dieselbe konjunkturelle Entwicklung auch das Beitragsaufkommen, also ihre Einnahmen, steigert. Beim Lastenausgleichsfonds ist dem nicht so, wie Kollege Kuntscher ganz zu Recht ausgeführt hat. Diese Entwicklung, ob in positiver oder in negativer Richtung, läßt das Aufkommen des Lastenausgleichsfonds völlig unberührt. Wir müssen also auch hier — und ich glaube, mit Recht — an den ordentlichen Etat, an den Herrn Bundesfinanzminister die Forderung richten, daß solchen allgemeinen Umständen, die eine Strukturveränderung zur Folge haben, auch durch entsprechende Zuschüsse aus dem normalen Etat Rechnung getragen wird.
Wir werden der Überweisung dieses Antrags an den Ausschuß für den Lastenausgleich zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Ohlig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Bemerkungen meines Kollegen Kuntscher richtigstellen. Dieser Antrag ist zu sehen im Rahmen der konjunkturpolitischen Debatte, die wir vorige Woche in Berlin gehabt haben. Dort wurde von allen Sprechern zumindest ihr Einverständnis erklärt, daß für bestimmte Teile der Bevölkerung dringend eine Stärkung der Kaufkraft erreicht werden müsse, um die Konsumgüterindustrie in die Lage zu versetzen, einige Dinge, die sich aus dieser konjunkturpolitischen Entwicklung ergeben haben, aufzufangen. Ich will das nicht wiederholen, sondern will nur an diese Debatte erinnern. Dieser Antrag ist also in engstem Zusammenhang zu sehen mit den Anträgen auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung, die wir beim nächsten Tagesordnungspunkt besprechen werden. Wir können diesen Kreis der Unterhaltshilfeempfänger nicht unberücksichtigt lassen. Deswegen haben wir diesen Antrag hier eingebracht.
Wir waren natürlich bei der Formulierung dieses Antrages auch bestrebt, den Verwaltungsaufwand so gering wie möglich zu halten, und ich glaube, das ist erreicht. Der Weg, den wir gewählt haben, nämlich alle vier Monate eine halbe Monatsrente nachzuzahlen, kann doch nicht so viel Verwaltungsaufwand erfordern. Diese Renten müssen j a sowieso berechnet werden. Man braucht dann also nur bei allen Unterhaltshilfeempfängern zu der vierten Monatsrente eine halbe Monatsrente zuzulegen. Das scheint mir kein triftiger Grund zu sein, um die Bedenken, die hier geäußert worden sind, besonders zu unterstreichen.
Auch an die finanzielle Seite haben wir gedacht. Im großen und ganzen stimme ich den Ausführungen des Kollegen Klötzer zu. Ich will hier nur daran erinnern — zumindest die Mitglieder des Lastenausgleichsausschusses erhalten ja in regelmäßigen Abständen die statistischen Informationen des Ausgleichsamtes —: im Finanz- und Wirtschaftsplan stehen für das kommende Jahr 900 Millionen DM für diese Aufgabe zur Verfügung — sie sind eingeplant —, von denen 440 Millionen DM durch Bundes- und Länderzuschüsse aufgebracht werden. Es heißt: 50 % der Unterhaltshilfemittel werden vom Bund und von den Ländern getragen, im Höchstfalle 440 Millionen. In diesen statistischen Mitteilungen — ich will die Dinge hier nicht allzuweit vertiefen — wird uns aber mitgeteilt, daß für die ersten vier Monate des laufenden Jahres im Schnitt 66 Millionen DM benötigt werden. Multiplizieren Sie diese Zahl bitte mit 12 und legen Sie noch etwas zu, weil ja nach der vierten Novelle ein Teil neuer Unterhaltshilfeberechtigter hinzugekommen ist. Wenn Sie für die letzten acht Monate im Schnitt je 70 Millionen DM rechnen, ist zumindest für die erste und zweite Zahlung dieser halben Monatsrente schon eine gewisse Deckung vorhanden. Ich stimme Ihnen allerdings zu, daß wir natürlich über die weitere Deckung im Ausschuß noch reden müssen. Wir haben also diese Forderung nicht aufgestellt, ohne uns nicht gleichzeitig über die finanziellen Möglichkeiten Gedanken gemacht zu haben.
Etwas möchte ich hier ganz besonders hervorheben: Wir wissen, daß für diejenigen, die Sozialrenten bekommen, die Unterhaltshilfe nur als Aufstockungsbetrag in Frage kommt, und wir möchten nicht, daß durch eine Erhöhung der Sozialrente einfach dieser Aufstockungsbetrag niedriger wird und die Empfänger im Endergebnis nicht mehr erhalten als bisher. Aus diesem Grunde haben wir den sogenannten Auffüllbetrag einbezogen, damit eine wirkliche Erhöhung auch für diesen Kreis dabei herauskommt.
Wir sind also der Meinung, daß man über diese Dinge sehr wohl reden kann, möchten es aber so darstellen, daß wir bei dem von Ihnen angedeuteten Weg doch einige Bedenken haben.
Wir haben uns auch überlegt, ob wir den Freibetrag für diejenigen erhöhen, die jetzt Sozialrente bekommen. Aber das würde eben zu dem Verwaltungsaufwand führen, den wir nicht möchten, denn dann müßte ja alle Monate dieser Betrag neu errechnet werden. Deshalb haben wir den von Ihnen vorgeschlagenen Weg nicht gewählt, sondern halten den anderen für gangbarer.
Ich bin also der Auffassung, daß es durchaus möglich ist, bei den Einzelberatungen im Ausschuß eine Mehrheit dafür zu finden, das hier angesprochene Anliegen in irgendeiner Form zu verwirklichen. Ich bitte auch die Kollegen von der CDU-Fraktion, im gewohnten Geist und in der gewohnten Art bei der Mitarbeit in diesem Ausschuß uns ihre Mitwirkung nicht zu versagen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu diesem Punkt.
— Bis jetzt habe ich hier überhaupt nur einen Antrag auf Überweisung der Drucksache 1705 an den Lastenausgleichsausschuß vorliegen, sonst nichts. Wird jetzt ein Zusatzantrag gestellt?
— Das ist nicht der Fall.
Wer der Überweisung der Drucksache 1705 an den Lastenausgleichsausschuß zustimmt, den bitte ich, das Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 4 der heutigen Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ;
und schließlich c) den zu Anfang der Plenarsitzung noch auf die Tagesordnung gesetzten
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP: Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes.
Ich schlage dem Hause vor, so zu verfahren, daß wir hintereinander die Entwürfe unter a, b und c begründen lassen und die drei Anträge dann gemeinschaftlich diskutieren. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Ich erteile das Wort zur Begründung des Antrags Drucksache 1708 dem Abgeordneten Pohle.
Pohle (SPD), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesversorgungsgesetz hat in diesen Tagen im Hohen Hause seinen fünften Geburtstag feiern können. Es hat sich in seinem fünfjährigen Werden viermal einer Novellenoperation unterziehen müssen, aber
wir können feststellen, daß diese Operationen die Bescheidenheit des Gesetzeskindes nicht wesentlich beeinträchtigen konnten.
Der Haushaltsplan 1955/56 sieht für Versorgungsbezüge 2787 Millionen DM vor. Es ist bestimmt kein bescheidener Haushaltsposten. Verteilt man ihn aber auf eine Armee von 4 308 300 Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen, dann kommt man auf einen sehr bescheidenen Rentendurchschnittsbetrag. Wenn bei dem großen Konjunkturspiel unserer Tage Sozialprodukt, Preise, Löhne und Renten ausgewogen und verglichen werden, dann ist es nach der Ansicht meiner Freunde eine Selbstverständlichkeit, daß die Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen hierbei nicht als Zaungäste nur zuschauen dürfen. Es ist eine nationalpolitische Notwendigkeit, Leistungen für die Kriegsopferversorgung in gewissen Zeitabständen daraufhin zu überprüfen, ob sie noch den Verhältnissen und den Erfordernissen der Stunde entsprechen.
Ich bin einer der Geburtshelfer dieses Gesetzes in diesem Hause gewesen, abet ich kann ein Gefühl der Enttäuschung über die Entwicklung des Gesetzes nicht verbergen. Schon die ersten Verwaltungsvorschriften haben sich über das Bundesversorgungsgesetz wie ein Reif in der Frühlingsnacht gelegt. Ich stimme dem Herrn Bundesarbeitsminister gern zu, der letzthin auf einer Kriegsopfertagung das sehr gewichtige Wort sprach, daß die Kriegsbeschädigten, die Kriegsopfer kein Strandgut des Lebens seien. Ich glaube dem Herrn Arbeitsminister für meine Fraktion versichern zu dürfen, daß wir ihm jederzeit Hilfestellung gewähren werden, wenn er dort regulierend eingreift, wo Schicksalsschläge die berufliche Laufbahn zerstört haben, wo der Betreffende das Gefühl hat, Strandgut im Berufsleben zu sein.
Da ist in einer Stadt ein begabter Musiker, der sich früher in einem Monat das erspielt hat, was er heute in einem Jahr an Grundrente erhält. Mit seiner zerschmetterten Hand wurde ihm der Lebensinhalt genommen. Heute ist er als Bürobote beschäftigt. Wir werten diesen Bruch der Lebenslinie mit einem 10 %igen Aufschlag auf die Rente, er mußte ein großes Opfer bringen. Und in derselben Stadt der nationalsozialistische Polizeipräsident, der auch im Kriege unabkömmlich war, der kein Opfer zu bringen brauchte: ihm werden von einem Gericht Pension und Schadenersatz zugesprochen! Zwei Männer, zwei Welten; ein Opfer, kein Opfer.
Wir haben als Gesetzgeber — ich schließe Sie alle, meine Damen und Herren, mit ein, die Sie Mitglied des 1. Bundestages waren — nicht eine Gesetzesauslegung gewollt, die dazu geführt hat, daß im Dritten Reich gewährte Witwenbeihilfen in zahlreichen Fällen nach brutaler Auslegung des Bundesversorgungsgesetzes gestrichen worden sind. Der Petitionsausschuß und der Kriegsopferausschuß haben eine Fülle von Eingaben erhalten, in denen bewegte Klage geführt und gefordert wird, diesen Witwen Gerechtigkeit und Hilfe zuteil werden zu lassen. Es scheint uns auch der Zeitpunkt dafür gekommen zu sein, die alternden Kriegsbeschädigten des ersten Weltkriegs nicht mehr die züchtigende Geißel der Nachuntersuchung spüren zu lassen.
Damit sollte endlich einmal Schluß gemacht werden.
Es sind also Probleme mannigfaltiger Art, die in einer Reform des Bundesversorgungsgesetzes und in einer Generalüberholung dem Versuch einer Lösung entgegengeführt werden sollten. Ich habe mir gestattet, diese grundsätzlichen Bemerkungen als Anregungen dem Herrn Arbeitsminister zur Kenntnis zu bringen, insbesondere, damit er in seinem Ministerium den Startschuß für die Vorbereitung einer solchen Generalüberholung gibt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es jemanden in diesem Hause gibt, der befriedigt darüber ist, daß die Witwe des Herrn Heydrich als Hinterbliebene ihres gefallenen Mannes eine Rente erhält, während eine Regelung für die Frau des Mannes — dessen Vorgesetzter sich seiner Fürsorgepflicht nicht bewußt war —, der die Schergen des Herrn Heydrich fürchten mußte und freiwillig in den Tod ging, heute in unserem Bundesversorgungsgesetz keinen Platz findet, diese Frau also an die Armenfürsorge verwiesen werden muß.
Ich schließe mich vollinhaltlich den Worten unseres verehrten Herrn Bundestagspräsidenten an, der letzthin sagte:
„Der Staat hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Rang und Würde der Kriegsopfer im Bewußtsein des Volkes lebendig bleiben und daß die Versorgung als Rechtsanspruch und nicht als Fürsorge gewertet und anerkannt wird. Eine neue Sozialordnung aus dem Geiste echter sozialer Gerechtigkeit ist in der gegenwärtigen Situation von überragender Bedeutung."
Um einen Beitrag zu dieser neuen Sozialordnung geht es uns bei unserem Antrag, um dessen Überweisung an den Kriegsopferausschuß ich Sie bitte. Der Antrag soll zu der notwendigen Leistungsüberprüfung veranlassen. Er bezweckt in einer Reihe von Rentenpositionen eine Aufstockung; eine vollkommene Aufrundung — die sogenannte Generalüberholung des Gesetzes — muß später nachgeholt werden. Wir werden jeden Ergänzungs- und Verbesserungsvorschlag gern prüfen und unterstützen.
Vergessen wir aber eines nicht, meine Damen und Herren! Wir haben 1950 mit dem Bundesversorgungsgesetz einem großen Teil des Heeres der Minderbeschädigten die Renten halbiert. Wir haben schon 1950 die Renten der Witwen und Waisen nicht genügend hoch festgesetzt. Wir haben hier die Verpflichtung zu einem Ausgleich. Wie dürftig wir damals die Versorgungsbezüge, wie niedrig die Einkommensgrenze bei den Elternrenten festgesetzt haben, hat die Notwendigkeit des Härteerlasses erwiesen, mit dem der Herr Arbeitsminister 1951 die schlimmsten Auswirkungen des Versorgungsgesetzes abfangen mußte.
Ein Wort zu unserem Antrag, auch die Renten der Minderbeschädigten zu erhöhen, die ja nach dem Bundesversorgungsgesetz nur eine Grundrente beziehen. Unter „Leichtbeschädigten" stellt man sich oft vor, es handle sich bei diesem Personenkreis um einen Bagatellfall, etwa um eine Ritzung durch einen kleinen Splitter. Nach den Anhaltspunkten des Bundesarbeitsministeriums für die Ärzte wird die Skalpierung bei Frauen mit 30 % bewertet, der Verlust eines Auges mit 30 %, der Verlust eines Teiles des Unterkiefers mit 20 bis 30 % und der Verlust eines Unterschenkels mit Körperersatzstück
mit 40 %. 19 600 weibliche Leichtbeschädigte und'
14 800 weibliche Schwerbeschädigte haben wir im Bundesgebiet mitzuversorgen. 1953 ist die Durchschnittsrente bei Leichtbeschädigten noch mit 16,45 DM, bei Schwerbeschädigten mit 61,57 DM und bei allen Versorgungsberechtigten mit 38,42 DM ermittelt worden.
Sie erkennen aus diesen Grundzahlen von damals, daß eine Aufstockung noch nicht den Grundcharakter der Versorgungsbezüge verbessert hat. Wir haben, wie ich bereits sagte, die Grundrente bei den Minderbeschädigten halbiert. Sie bekamen früher bei 30 % Erwerbsminderung 30 DM. Sie erhielten nach dem Bundesversorgungsgesetz
15 DM, und sie sollen nach unserem Vorschlag, nachdem wir eine erste Aufstockung auf 18 DM vorgenommen haben, jetzt 23 DM erhalten. Sie liegen danach also immer noch um 7 DM unter der Rente, die sie vor Erlaß des Bundesversorgungsgesetzes bezogen haben. Bei 40 % erhielten sie früher 40 DM. Sie erhalten augenblicklich 24 DM, und sie sollen jetzt 29 DM erhalten. Ich glaube, es sind sehr bescheidene Aufbesserungsanträge, die wir Ihnen hier vorlegen.
Ich will Sie nicht mit weiteren Einzelheiten strapazieren. Angesichts von 1 171 853 Witwen, 1 141 595 Halbwaisen und 49 817 Vollwaisen wird uns die ganze Schwere der Aufgabe des Staates bewußt, hier an Stelle des gefallenen Gatten und Vaters eine ausreichende Fürsorge zu übernehmen.
Unter den schwerbeschädigten Kindern, die uns letzthin in diesem Hause besuchten, befand sich ein dreizehnjähriger Junge aus Ostpreußen. Der Vater gefallen, die Mutter auf der Flucht bei einem Bombenangriff getötet. Der damals dreijährige Junge verlor bei diesem Angriff ein Bein und einen Arm. Von diesem Jungen und seinem Schicksal ausgehend, erkennen wir wohl unsere große Aufgabe, nichts unversucht zu lassen, allen unseren verwundeten und kranken Soldaten von gestern und den Hinterbliebenen der Gefallenen und Verstorbenen das Leben erträglicher und freundlicher zu gestalten. Wir haben maßgehalten bei der Schaffung des BVG, wir haben maßgehalten bei den Novellen zum BVG, wir werden auch bei der fünften Novelle nicht auf die Straße der Maßlosigkeit treten, aber mit dem Vorsatz an die Arbeit gehen, bei den Kriegsopfern und den Hinterbliebenen in das Dunkel gestörter Lebenserwartung einen weiteren Strahl der Freude zu bringen, die mit dem Begriff Gerechtigkeit untrennbar verbunden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort zur Begründung des Initiativgesetzentwurfs Drucksache 1808 hat der Abgeordnete Petersen.
Petersen , Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Drucksache 1808 legt Ihnen die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE einen Antrag vor, der eine allgemeine Verbesserung der Kriegsopferrenten vorsieht.
Als wir am 15. Dezember vergangenen Jahres die dritte Novelle zum Bundesversorgungsgesetz in diesem Hause einstimmig verabschiedeten, da waren wir uns alle darüber klar, daß damit nicht etwa die soziale Gerechtigkeit für die Kriegsopfer hergestellt, sondern daß damit nur wesentliche Notprobleme gelöst wurden, darüber hinaus aber wesentliche Anliegen, insbesondere die der Kriegerwitwen und Kriegerwaisen noch baldigst zu
lösen seien. Wir haben inzwischen zehn Monate ins Land gehen lassen; aber auf dem Wege der weiteren Vervollkommnung des Bundesversorgungsgesetzes und der Besserstellung ,der Kriegsopfer ist Entscheidendes nicht geschehen. Deshalb habe ich die Ehre, dem Hause den neuen Antrag der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE vorzutragen, der für die Kriegsbeschädigten eine 15%ige Verbesserung der Grund- und Ausgleichsrenten vorsieht.
Meine Damen und Herren, es könnte eingewendet werden, eine allgemeine Verbesserung der Grundrenten und Ausgleichsrenten sei bereits in der dritten Novelle vorgenommen worden. Aber vergessen wir nicht, daß in der Zwischenzeit eben leider die Kaufkraft dieser Rentenbezüge infolge der erhöhten Lebensunterhaltskosten nicht die gleiche geblieben ist. Wir fühlen uns deshalb verpflichtet, die Rentenerhöhung zu beantragen. Wir erfüllen damit nur etwas, was der Herr Bundeswirtschaftsminister in der vergangenen Woche im Rahmen seiner Regierungserklärung verkündet hat, als er sagte, daß Millionen von Rentnern von jeder Preissteigerung in ihrem sozialen Sein auf das härteste betroffen werden und daß diese Menschen nicht verraten und betrogen werden dürfen. Der Herr Minister hat weiter als Forderung herausgestellt, daß besondere Anstrengungen unternommen werden müssen, um auch den Rentnern, ,Sozialversicherungsrentenempfängern und allen Bevölkerungskreisen, die dem Produktionsprozeß ferner stehen und deshalb mit ihrem Einkommen nicht automatisch an dem wirtschaftlichen Fortschritt und steigenden Wohlstand teilhaben können, dennoch das Gefühl und die Gewißheit einer immer besseren Existenzsicherung zu vermitteln.
Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß die Kriegsopfer schon das Gefühl einer guten Existenzsicherung haben. Sie sind bisher auf der Schattenseite des Lebens gestanden und werden, wenn wir ihnen nicht bald helfen, auch auf der Schattenseite bleiben.
Dem Ziel, ,diesen Zustand zu bessern, dient unser Antrag. Wir beantragen nicht nur die Erhöhung der Grund- und Ausgleichsrente für die Kriegsbeschädigten um 15 %, für die Kriegerwitwen und Kriegerwaisen um 25 %, weil sie uns in der bisherigen Regelung des Bundesversorgungsgesetzes besonders benachteiligt erscheinen, sondern auch eine prozentual gleiche Verbesserung der Einkommensfreigrenzen. Immer wieder, wenn man in großen Versammlungen oder sonst in der Öffentlichkeit steht, wird die Klage an uns herangetragen, daß zwar durch einzelne Gesetze neue Rentenbezüge festgesetzt werden, daß aber infolge des Anrechnungsmodus die Rentenempfänger zu keinem sozial gerechten Lebensunterhalt kommen. Deswegen wurden in der dritten Novelle zum Bundesversorgungsgesetz die Einkommensfreigrenzen bei Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit, bei freiwilligen betrieblichen Sozialleistungen und bei Versicherungsleistungen verbessert. Das war ein dankenswerter Schritt. Wir erachten das nicht mehr für ausreichend und haben in unserem jetzigen Antrag weitere Verbesserungen vorgesehen.
Unser besonderes Anliegen gilt den Kriegerwitwen, deren Gleichstellung mit den Kriegsbeschädigten wir erreichen wollen. Wir haben bereits anläßlich der Debatte um das Kindergeldgesetz darauf Bezug nehmen können, daß der Herr Familienminister einmal erklärt hat, man solle die Kriegerwitwe in der Versorgung so stellen, daß sie überhaupt nicht mehr verpflichtet sei, für ihren Unterhalt arbeiten gehen zu müssen, sondern daß sie der Erziehung ihrer Kinder ihre ganze Arbeitskraft, ihre ganze persönliche Sorge widmen könne. Daß sie dazu heute nicht in der Lage ist, wissen wir; aber wenn sie schon arbeiten gehen muß, dann sollten wir sie wenigstens nicht schlechter stellen als den Kriegsbeschädigten. Deswegen sieht unser Antrag vor, daß bei den Freibeträgen die Kriegerwitwe in Zukunft nicht mehr hinter dem Kriegsbeschädigten rangiert, sondern mit ihm gleichgestellt ist.
Wir haben darüber hinaus in unserem Antrag für die Kriegerwitwe die gleiche Behandlung wie für die Beamtenwitwe vorgesehen. Wir möchten, daß das, was für die Beamtenwitwe gilt, endlich auch für die Kriegerwitwe gesetzlich festgelegt wird. Wenn also die zweite Ehe der Kriegerwitwe aufgelöst wird, dann soll sie wieder in den Genuß .der Versorgungsbezüge kommen. Wir sehen nicht ein, daß für die Beamtenwitwe eine bessere gesetzliche Regelung gelten soll als für die Kriegerwitwe; denn eine gute Kriegerwitwe ist genau soviel wert wie eine gute Beamtenwitwe.
Mit unserem Antrag wollen wir weiter eine besondere Härte beim Zusammentreffen von Witwenrente und Elternrente beseitigen. Wir möchten hier bei der Feststellung des anderweitigen Einkommens die Witwengrundrente herausgenommen haben. Hierzu veranlaßt uns folgende Tatsache. Bisher ist es leider so, daß die Kriegerwitwe des ersten Weltkrieges vier Söhne verloren haben muß, um dann eine Elternteilrente von 5 DM monatlich zu erhalten. Dieser Zustand erscheint uns untragbar. Durch die Herausnahme der Witwengrundrente bei der Berechnung des sonstigen Einkommens soll diese Härte beseitigt werden. Außerdem beantragen wir die Erhöhung der Kapitalabfindung von 1200 auf 1800 DM. Das entspricht dem zweieinhalbfachen Jahresgrundrentenbetrag.
Wir haben weiter vorgeschlagen, daß auch für die Waisen die Freigrenze für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und bei freiwilligen betrieblichen Sozialleistungen erhöht werden. Schließlich sollen auch die Elternrenten eine Erhöhung der Einkommensgrenzen und eine Erhöhung der Freibeträge erfahren.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir damit zusammen mit dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion eine Grundlage haben, auf der wir eine generelle Überholung und Verbesserung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes in Angriff nehmen können, um eine sozial gerechte Lösung für unsere Kriegsopfer zu erreichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Begründung des Antrags Drucksache 1811 hat Frau Dr. Probst das Wort.
Frau Dr. Probst , Antragstellerin: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich habe den Auftrag, im Namen der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP den vorliegenden Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes, Drucksache 1811, zu begründen. Sämtliche Fraktionen des Hohen Hauses waren sich bei der einmütigen Verabschiedung der dritten Novelle zum Bun-
desversorgungsgesetz vor etwa einem Jahre darüber einig, daß das Recht der Kriegsopfer — trotz der erheblichen Verbesserungen der dritten Novelle, die allgemeine Anerkennung gefunden haben — einer weiteren Fortentwicklung bedarf, daß es dabei aber vordringlich darauf ankommt, Härten des Gesetzes und Unebenheiten darin auszugleichen, besonderen sozialen Notständen zu begegnen und Ungleichheiten in der Behandlung verschiedener Gruppen innerhalb des Personenkreises der Kriegsopfer, die sich infolge der Novellierungen des Bundesversorgungsgesetzes herausgebildet oder verstärkt haben, zu beseitigen.
Die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten würden sich durch globale prozentuale Ausweitungen, wie sie in den Anträgen der SPD und des BHE vorgesehen sind, weiterhin verschärfen. Es bedarf vielmehr nach unserer Überzeugung im Augenblick eines vertieften und detaillierten Eindringens in die Gesetzesmaterie selbst, einer sorgfältigen. Überprüfung des bisher Geschaffenen, insbesondere in bezug auf die genannten Divergenzen und besonderen Notstände, die auf eine möglichst baldige Beseitigung drängen.
Wir gehen davon aus, daß im Vordergrund aller Überlegungen zunächst die Existenzsicherung des erwerbsunfähigen Kriegsbeschädigten, der Kriegerwitwen und Waisen, also der vaterlos gewordenen Familien, stehen muß, die ausschließlich von den Renteneinkommen nach dem BVG leben müssen. Dieselbe Unterhaltsverpflichtung der Allgemeinheit gegenüber den Opfern des Krieges besteht insbesondere bei den Kriegereltern, die ihre einzigen, letzten oder alle Kinder verloren haben.
Das Ziel, zu dem hin der vorliegende Entwurf einen weiteren Schritt bedeutet, ist die Versorgung des durch seine Kriegsbeschädigung erwerbsunfähig gewordenen Schwerbeschädigten, der ausschließlich auf seine KB-Rente angewiesen ist. Sie muß so gestaltet werden, daß sie ihm und seiner Familie nicht nur den vollen Unterhalt in befriedigender Weise gewährt, sondern darüber hinaus Anteil am kulturellen und gesellschaftlichen Leben unseres Volkes.
Der § 25 Abs. 2, der eine wirksame Sonderfürsorge für Kriegsblinde, Ohnhänder und sonstige Empfänger einer Pflegezulage sowie für Hirnverletzte sicherstellt, soll ergänzt werden durch die Hereinnahme des Personenkreises der Querschnittsgelähmten und der Tbc-kranken Schwerbeschädigten, die erfahrungsgemäß ohne eine Sonderfürsorge nicht in der Lage sind, zu der erwünschten Wiedereingliederung in das. soziale und berufliche Leben zu gelangen.
Wir haben die Absicht, durch unseren Gesetzesvorschlag auch die Gruppen der Schwerbeschädigten der übrigen Erwerbsminderungsgrade einzubeziehen in die Verbesserung der Ausgleichsrenten, sofern sie kein sonstiges Einkommen bzw. nur ein Einkommen haben, das innerhalb der Freigrenze liegt. In diese Fortentwicklung des Rechts sind einbezogen diejenigen, die nicht infolge ihrer Wehrdienstbeschädigung erwerbsunfähig geworden sind, unter ihnen vor allem die alten Veteranen des ersten Weltkrieges, die ihre Alterssicherung verloren haben und voll auf die Bezüge nach dem BVG angewiesen sind.
Dabei muß gleichzeitig zum Ausdruck gebracht werden, daß die Wiedereingliederung in das gesellschaftliche und berufliche Leben durch durchgreifende und wirksame Rehabilitationsmaßnahmen nach wie vor der leitende Gesichtspunkt bei der Versorgung dieses Personenkreises bleibt. Ich stimme hier dem Kollegen Pohle vollinhaltlich zu: In diesem Zusammenhang ist die Ausgestaltung des § 30 BVG von ausschlaggebender Bedeutung. Wir behalten uns vor, dem Ausschuß eine neue Fassung des § 30 vorzuschlagen, die bei der Festsetzung der Höhe des Erwerbsminderungsgrades die Berücksichtigung des vor der Schädigung ausgeübten, begonnenen oder angestrebten Berufes verdeutlicht. Es handelt sich hier um ein Anliegen des Gesetzgebers, das gerade vom Herrn Bundesarbeitsminister Storch immer wieder vor dem Hohen Hause angesprochen wurde, das aber bis heute in der Praxis noch nicht die geforderte Berücksichtigung gefunden hat. Ebenso müssen bei der Festsetzung des Erwerbsminderungsgrades seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen, die mit der körperlichen Schädigung verbunden sind, ausreichend beachtet werden. Das gleiche gilt, wenn der Beschädigte besondere Aufwendungen für die Verwertung seiner ihm verbliebenen Erwerbsfähigkeit zu machen hat. Dies gilt insbesondere für Beschädigte mit fortschreitender Tbc oder mit chronischem Magen- und Darmleiden oder etwa bei Verlust der Kaufähigkeit. Bei kriegsbeschädigten Frauen sind die besonderen Auswirkungen der Schädigung stets individuell zu berücksichtigen.
Ein besonderes Anliegen des BVG sind die Rehabilitationsmaßnahmen, die der Wiederherstellung der Harmonie der körperlich-geistigen Fähigkeiten und Kräfte, der Zurückgewinnung eines gesunden Selbstbewußtseins und der Stärkung des. Selbstbehauptungswillens im Existenzkampf dienen. Nach unserer Überzeugung darf die Rehabilitation nicht nur der sozialen Fürsorge nach dem BVG überlassen bleiben, sondern muß schon in der Heilbehandlung voll zum Ausdruck kommen. Die Heilbehandlung darf nicht nur am Einzelphänomen oder am Symptom allein kurieren, sondern muß von der ganzheitlichen Schau der Persönlichkeit ausgehen. Also Persönlichkeitspflege, d. h. Arbeitstherapie schon während der Heilbehandlung, etwa für die Tuberkulosekranken, körperlich-geistiges Training als Heilbehandlungsmaßnahme — ich denke hier vor allem auch an Entspannungsübungen —, sämtliche heilgymnastische und bewegungstherapeutische Maßnahmen sollen in der Heilbehandlung einbegriffen sein. Uns geht es vor allem darum, daß der Versehrtensport als Heilbehandlung anerkannt wird, wenn er unter Überwachung durch einen Arzt durchgeführt wird. Schädigungsfolgen des Versehrtensports sind als Schädigungen im Sinne des BVG zu behandeln.
Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei legt besonderen Wert auf eine Änderung des § 22 Satz 1, wonach die zuständige Verwaltungsbehörde jederzeit eine neue Heilbehandlung anordnen kann, wenn mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, daß sie den Gesundheitszustand oder die Arbeitskraft des Beschädigten erhält oder bessert. Dadurch soll eine Verstärkung der vorbeugenden Maßnahmen, die der Erhaltung oder Besserung des Gesundheitszustands oder der Arbeitskraft dienen, erreicht werden.
Die Versorgung der Kriegerwitwen, die außer ihrer Rente nach dem BVG über kein sonstiges Einkommen verfügen, muß so weiterentwickelt werden, daß sie ihrer ureigensten Aufgabe, Mittelpunkt der Familie, Hausfrau und Erzieherin der
Kinder zu sein, erhalten bleibt oder ihr zurückgegeben wird. Meine politischen Freunde und ich sind der Auffassung, daß die Kriegerwitwe mit Kindern nicht darauf angewiesen sein darf, den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder durch außerhäusliche Arbeit selber zu verdienen. Die bedauerliche Folge der Überanstrengung der alleinstehenden Mutter in der Doppelfunktion, Hausfrau, Mutter und Erwerbstätige sein zu müssen, zeigt sich durch die immer mehr auftretende Frühinvalidität.
Die Gefährdung der heranwachsenden Kinder durch die Abwesenheit der Mutter ist eine weitere sehr ernst zu nehmende Folge. Nur einige Zahlen, um die Größe des Problems aufzuzeigen! Bei der Volkszählung 1950 wurden 3 Millionen Frauen, die zugleich Haushaltungsvorstände sind, gezählt. Von ihnen standen in unselbständiger Arbeit 1 445 000. Davon hatten 389 000 Frauen ein Kind oder mehrere Kinder, 24 500 drei Kinder, 6410 Frauen vier Kinder und 2137 Frauen fünf Kinder. Wir müssen dieser Gefährdung der Kinder entgegenwirken.
Dabei ist es unsere Pflicht, einen sozialen Ausgleich herbeizuführen zwischen den Witwen, die innerhalb der Einkommensfreigrenze des Bundesversorgungsgesetzes neben voller Ausgleichsrente noch Sozialversicherungsbezüge oder sonstiges Einkommen haben, und denjenigen Witwen, die ausschließlich auf ihre BVG-Rente angewiesen sind. Hier klaffen Unterschiede zwischen zirka 180 DM und 163 DM einerseits und 118 DM Vollrente für diejenige Witwe, die Bezüge nur nach dem BVG hat. Der vorliegende Gesetzentwurf beabsichtigt, diesen Witwen durch gezielte Mehrleistungen eine Besserstellung zu gewährleisten.
Die Heiratsabfindung soll nach unserem Wollen auf das 36fache der monatlichen Grundrente einer erwerbsunfähigen Witwe erhöht werden. Damit wird auch eine Anpassung an die RVO, die ebenfalls bei der Heiratsabfindung von einem dreifachen Jahresbetrag ausgeht, vollzogen.
Ein besonderes Anliegen der Koalitionsparteien bei dem von ihnen eingebrachten Gesetzentwurf ist die Besserstellung der Kriegerwaisen. Es ist ihre Absicht, die Gefahr zu mildern, die gerade für die unvollständige Familie gegeben ist, unter ihren normalen Anteil am gesellschaftlichen und kulturellen Leben abzusinken. Die Versorgung der Kriegerwaisen muß so gestaltet sein, daß sie in der Atmosphäre eines geordneten Familienlebens und in der zum guten Gedeihen notwendigen, ja unerläßlichen Nestwärme heranwachsen können zur vollen Entfaltung der ihnen vom Schöpfer gegebenen Fähigkeiten und Kräfte. Schon bei der ersten Lesung des BVG im Jahre 1950 habe ich darauf hingewiesen, daß hier auch ein besonderes staatspolitisches Interesse besteht. Was im Punkte der Eiziehung und Lebensgestaltung der Kriegerwaisenkinder jetzt versäumt würde, kann nie mehr nachgeholt werden.
Eine besondere Behandlung der schwergetroffenen Eltern, die alle oder die einzigen oder die letzten Kinder verloren haben, ist sowohl eine ethisch-moralische wie aber auch eine positivrechtlich begründete Forderung. Der Staat tritt an die Stelle der Unterhaltsverpflichtung der gefallenen Kinder. Die Antragsteller halten daher eine Weiterentwicklung der Rente bis zur vollen Unterhaltshöhe in solchen Fällen für notwendig.
Zusammenfassend muß gesagt werden: es handelt sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um gezielte Leistungen, die einem gerechten sozialen Ausgleich dienen und infolgedessen auf eine Erhöhung der Ausgleichsrente abzielen. Wir sind dabei — ich lege Wert darauf, das ausdrücklich festzustellen — nach wie vor von der Bedeutung der Grundrente im Gefüge des BVG als eines echten Ausgleichs für die Mehraufwendungen, die aus dem anatomischen Schaden bei den Schwerbeschädigten und dem Verlust des Ernährers bei den Hinterbliebenen erwachsen, überzeugt. Wir bekennen uns erneut zu dem Charakter der Grundrente und ihrer Unantastbarkeit. Dieser Charakter der Grundrente muß unter allen Umständen erhalten bleiben.
Der von den Fraktionen der CDU, FDP und DP eingebrachte Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG hat in seiner sozialpolitischen und fachlichen Konzeption eine nachträgliche Bestätigung erfahren durch die einheitliche Auffasung über die Weiterentwicklung des Kriegsopferrechts, wie sie vom Beirat für Versorgungsrecht beim Bundesarbeitsministerium, dem die besten Kenner des Versorgungsrechts angehören, in seiner gestrigen Sitzung vertreten worden ist. Der Beirat ist davon ausgegangen, daß die Endgestaltung des BVG ein Verhältnis von zwei Fünfteln zu drei Fünfteln zwischen Grund- und Ausgleichsrente vorsehen muß. Demnach fügt sich unser Gesetzesvorschlag als Durchgangsphase in die Weiterentwicklung des Bundesversorgungsgesetzes organisch ein.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, im Namen der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP das Hohe Haus zu bitten, den Antrag Drucksache 1811 dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen zu überweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Abgeordnete Rasch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Ausführungen der Frau Kollegin Dr. Probst geben mir Veranlassung, etwas zu sagen. Wenn man die Bundestagsdebatten verfolgt, die in den vergangenen Jahren zum Bundesversorgungsgesetz stattgefunden haben, dann liest man immer wieder das Wort „Relation". Es war gerade Frau Kollegin Dr. Probst, die noch im November oder Dezember vergangenen Jahres vor diesem Hause ausdrücklich erklärte, daß die Relation zwischen Grund- und Ausgleichsrente erhalten werden müsse. Wenn wir nunmehr ihrem Anliegen stattgäben, so würde das bedeuten, daß wir diese Relation verlören, es würde bedeuten, daß in Zukunft ein ganz anderer Maßstab für die Versorgung der Opfer des Krieges gelten müßte.
Ich selbst stehe hier vor Ihnen als Schwerbeschädigter, aber ich glaube, ich rede nicht in eigener Sache. Ich fühle mich trotzdem verpflichtet, für meine Schwerbeschädigten Kameraden auch einmal zu sagen, wie die Situation heute ist. Ein voll erwerbsunfähiger Kriegsbeschädigter erhält heute an Grundrente 97 DM und an Ausgleichsrente 120 DM, zusammen 217 DM, wobei noch zu beachten ist, daß die Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich dazu dienen soll, die notwendigen Mehraufwendungen des Schwerbeschädigten zu be-
A) gleichen. Er lebt also praktisch mit einem Betrage von 120 DM im Monat, Dasselbe trifft bei der deutschen Kriegerwitwe zu, die, wenn sie über kein weiteres Einkommen verfügt, eine Grundrente von 48 DM und eine Ausgleichsrente von 70 DM erhält. Es ist aber eine Tatsache, die nicht bestritten werden kann, daß eine Frau als Haushaltsvorstand mehr Nebenaufwendungen hat als die Ehefrau in einer Familie, wo der Vater noch da ist. Sie braucht unbedingt die 48 DM, um das zu bezahlen, was sie im Laufe der Monate und Jahre zu begleichen hat.
In der Begründung des Antrags der Koalitionsparteien kam das Wort: Die Kriegerwitwe soll, wenn sie Kinder hat, so gestellt sein, daß sie ihren Unterhalt nicht durch Arbeit bestreiten muß, sondern von ihren Versorgungsbezügen leben kann. Stellen Sie sich aber einmal vor, meine Damen und Zerren: sie erhält jetzt 70 DM im Monat. Da möchte ich doch von jedem unter uns einmal wissen, ob denn in der jetzigen Situation eine Lebensführung mit 70 DM im Monat überhaupt möglich ist.
Dann kommt auch noch eines hinzu — wir haben diesen Streit doch schon beim Kindergeldgesetz gehabt -: Wir haben ja fast alle Gruppen in diesem Gesetz, aber noch nicht berücksicht haben wir die Kriegerwitwen, die arbeitsunfähig sind, die über kein sonstiges Einkommen verfügen und mehr als drei Kinder zu unterhalten und zu erziehen haben. Ich glaube, das Hohe Haus sollte sich auch diese Situation baldmöglichst überlegen und sich klarmachen, daß diese Millionenzahl von Witwen und Beschädigten ein Unsicherheitsfaktor sein könnte. Sollte er einmal zur Auswirkung kommen, dann könnte es uns allen unangenehm werden.
Frau Kollegin Dr. Probst — Sie werden es mir I) nicht übelnehmen, daß ich das noch erwähne —, Sie haben vor ungefähr einem Jahr einen Antrag eingereicht, den Antrag Drucksache 887. Ich kann mich nicht mehr genau der Zahl der Kollegen erinnern, die diesen Antrag unterschrieben haben; ich glaube, es waren 130 oder mehr. Dieser Antrag wollte vor einem Jahre schon mehr geben als das, was heute nach Ihrem Antrag Drucksache 1811 gewährt werden soll. Ich glaube, man sollte doch so einsichtsvoll sein und, wenn man schon einmal von einer überhitzten. Konjunktur spricht, diese Situation auch benutzen — das wäre meines Erachtens logisch und richtig —, um den Menschen zu helfen, die immer noch auf der Schattenseite des Lebens stehen. Dazu gehören die deutschen Kriegsbeschädigten, und dazu gehören auch die Kriegerwitwen und die Kriegerwaisen.
Gehen wir einmal von der Situation aus — und wir müssen sogar von der Situation ausgehen —, wie sie 1950 war. Wir haben 1950 einen ganz anderen Bundeshaushalt als heute gehabt. Wir haben doch damals nur die Hälfte der Einnahmen gehabt, über die der rund heute verfügt. Wir haben im Laufe der vergangenen fünf Jahre den Kriegsopfern praktisch nur ein Mehr von 500 Millionen gegeben — ab 1. Dezember 1954 —, und wenn wir das einmal überblicken und überschauen und wenn wir wissen, daß gerade die Preise für die Lebensmittel, die Bedarfsgüter, die für diese Menschen in Frage kommen, seit 1950 um ein Erhebliches gestiegen sind, dann bringen wir mit all diesen Anträgen nicht die Vollendung des Bundesversorgungsgesetzes, sondern wir schaffen nur die Relation, den Tatbestand wieder herbei, der 1950 vorhanden war. Das ist eine Tatsache, und auf die kommt es letzten Endes an.
Ich will die Ausführungen meiner Vorrednerin nicht noch auf weitere Einzelheiten hin untersuchen; das möge dem Ausschuß vorbehalten bleiben. Aber ich möchte dem Hohen Hause abschließend eines sagen: Wir Schwerbeschädigten werden manchmal gefragt, und gerade draußen werden die Kriegsopfer gefragt, warum sie denn noch nicht das notwendige Vertrauen in alle staatlichen Instanzen und Organe haben. Nehmen Sie es uns und diesen Menschen nicht übel, wenn sie nicht mehr an das glauben, was einmal an Versprechungen getan wurde! Nehmen Sie es uns nicht übel, wenn wir realistisch und nüchtern unsere eigene Situation übersehen und überdenken.
— Da können wir uns, Herr Kollege, mal darüber unterhalten, und ich glaube, es würde ein ganz anderes Ergebnis herauskommen.
Ich möchte nur sagen: Man hat den deutschen Kriegsbeschädigten im ersten Weltkrieg etwas vom Dank des Vaterlandes gesagt. Dann hat man ihnen etwas von dem Ehrenbürger der Nation erzählt.
Aber ich will Ihnen sagen: Wir wollen keine Ehrenbürger der Nation sein, sondern wir wollen Menschen innerhalb unserer Gemeinschaft sein, die auch einmal das Glück haben wollen, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen.
Das ist die entscheidende Tatsache, und ich bitte Sie innigst und ganz herzlichst: Überlegen Sie die Situation und geben Sie mehr als das, was Sie beantragt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird weiter das Wort gewünscht? — Frau Dr. Probst, aber ich hoffe, dann zum Abschluß.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine politischen Freunde und ich haben von jeher den Standpunkt vertreten und danach gehandelt, daß die Kriegsopferversorgung 'ein Anliegen des' ganzen deutschen Volkes ist und aus dem politischen Tageskampf herausgenommen werden muß.
Ich vermeide es daher bewußt, auf Redewendungen meines Herrn Vorredners einzugehen, die offenbar parteipolitische Tendenzen haben und polemischen Charakters sind.
Ich vermeide es bewußt, das sozialpolitische Gesetzgebungswerk, an dem das Hohe Haus durch Jahre hindurch gemeinsam gearbeitet und das es
mit den Stimmen der Partei des Herrn Vorredners verabschiedet hat, dadurch herabzuwürdigen, daß ich auf die polemischen Ausführungen eingehe.
Ich möchte zur Sache sagen: Wenn von einem Volke in einer so unerhörten Notzeit über 20 Milliarden DM aufgebracht werden, um die sozialen Notstände zu mildern und zu lindern, wenn die Sozialaufwendungen mehr als 40 % des gesamten Haushalts darstellen, dann kann man nicht sagen, daß diese Leistungen unter jedem Niveau liegen.
Ich habe bei meinen Darlegungen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich um eine Durchgangsphase in der Fortentwicklung des Rechts handelt. Ich weiß mich in der Forderung, daß wir mit Sofortmaßnahmen hier einsetzen müssen, wo innerhalb des Gesetzes die Versorgung der verschiedenen Personenkreise auseinanderklafft, wo echte Notstände gegeben sind, einig mit dem größten Teil der deutschen Kriegsopfer. Ich weiß mich aber auch einig mit den Kriegsopfern, wenn ich mich zu der Verantwortung bekenne, die innere Kaufkraft der Renten nicht nur zu erhalten, sondern zu steigern.
Wir haben uns in Berlin in der Konjunkturdebatte von allen Parteien, auch von seiten der SPD, zur Stabilität der weiteren Entwicklung bekannt. Gerade im Hinblick auf die Rentner und die Sozialleistungsempfänger haben wir uns zu einem Wege bekannt, der durch Senkung der Preise zur Steigerung der inneren Kaufkraft der Renten führen muß. Jetzt mit Forderungen von insgesamt mehr als 31/2 Milliarden DM die Stabilität des Haushalts zu gefährden, in diesem Augenblick Tendenzen Vorschub zu leisten, die nachher als Preis-, Lohn- und Rentenspirale hinführen zu einer Entwicklung, unter der die Rentenempfänger am schwersten leiden, das, meine lieben Freunde, lehnen wir verantwortungsbewußt ab.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Es ist beantragt Überweisung der Entwürfe Drucksachen 1708, 1808.und 1811 an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen — federführend und an .den Haushaltsausschuß zur Mitberatung. Wer diesen Anträgen; zustimmt, gebe das Handzeichen. Gegenprobe! Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen
Ich rufe auf Punkt 5 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfall .
Ich erteile das Wort zur Begründung dem. Abgeordneten Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich' freue mich, daß mich meine Fraktion beauftragt hat, eine, kurze Begründung zu dem Antrag Drucksache 1704 über die Gleichstellung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfall zu geben. Wie Sie sehen, schlägt die SPD-Fraktion eine Änderung des. §..616 BGB vor Es ist nicht das erst?
Mal, daß dieser Paragraph des seit der Jahrhundertwende bestehenden Bürgerlichen Gesetzbuchs geändert wird. Sie brauchen also deshalb nicht beunruhigt zu sein. Der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion kommt es im vorliegenden Fall nur darauf an, in diesem einen Punkt das BGB zu ändern, nicht nur, weil die bisherige Bestimmung den gegenwärtigen sozialen Verhältnissen in keiner Weise mehr entspricht, sondern auch, weil die von uns angegriffene Bestimmung eine soziale Ungerechtigkeit darstellt, eine Ungerechtigkeit, die von den Arbeitern als besonders hart empfunden wird. Es handelt sich für uns darum, daß wir die Unterschiedlichkeit in der Behandlung, die die Arbeiter und die Angestellten im Krankheitsfall erfahren, beseitigen.
Nach den augenblicklichen gesetzlichen Regelungen — ich erinnere hierbei nur an die §§ 63 und 76 des Handelsgesetzbuchs, an den § 133 c der Gewerbeordnung und an den als Hauptbestimmung in Betracht kommenden § 616 BGB — hat ein Angestellter, der krank wird, im Gegensatz zu einem Arbeiter einen gesetzlichen Anspruch darauf, daß ihm das Gehalt für sechs Wochen weitergezahlt wird. Selbstverständlich erhält er während dieser Zeit gemäß § 189 der RVO von der Krankenkasse kein Krankengeld. Diesen Anspruch auf Lohnfortzahlung während der Krankheitsdauer hat der Arbeiter nicht. Im allgemeinen muß nach der augenblicklichen Regelung der Arbeiter mit dem Krankengeld der Krankenkasse auskommen, das nur halb so hoch ist wie der Lohn, während der Angestellte weiter sein volles Gehalt bekommt. Es kommt uns ganz entscheidend darauf an, die in der augenblicklichen Regelung liegende Diskriminierung der Arbeiter gegenüber den Angestellten und Beamten zu beseitigen und wenigstens in diesem Punkte die einzelnen Arbeitnehmergruppen gleichzustellen. Das wird nur erreicht, wenn der § 616 BGB in der von uns beantragten Form geändert wird.
Im wesentlichen würde die Annahme unseres Antrages bedeuten, daß in Zukunft auch der Arbeiter im Krankheitsfalle gegenüber seinem Arbeitgeber den Anspruch auf sechswöchige Lohnzahlung hat und daß es dem Arbeitgeber unmöglich gemacht wird, den Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Krankheit zu kündigen, um sich der Lohnzahlungspflicht zu entziehen.
Um auch kleineren Betrieben zu ermöglichen, diese vermehrte Belastung zu tragen, die von uns gar nicht bestritten wird, deren Ausmaß aber von den Gegnern unserer fortschrittlichen Forderung stark übertrieben wird, soll auf der Ebene einzelner oder mehrerer Berufe oder Wirtschaftszweige ein Ausgleichsstock errichtet werden, über den die Finanzierung erfolgen soll. Außerdem verweise ich auf den § 189 RVO, nach dem dann, wenn die Arbeitnehmer Lohnfortzahlungen im Krankheitsfalle erhalten, eine entsprechende Kürzung der Beiträge erfolgt die beiden Gruppen zugute kommt., Im übrigen darf ich auch auf die Bestimmung des. § 369 b RVO hinweisen, nach dem die Arbeitsunfähigkeit nachgeprüft werden kann.
Wenn ich vorhin sagte, daß unsex Vorschlag der Beseitigung einer Ungerechtigkeit gilt, und wenn wir der Ansicht sind, daß unser Antrag einer sittlichen Notwendigkeit entspricht, so deshalb, weil die von dem geltenden System unseres Arbeitern und Sozialrechtes vorgenommene Abgrenzung zwischen Arbeitern Angestellten und Beam-
ten, die, wie Sie gesehen haben, so schwerwiegende Nachteile für den Arbeiter in sich birgt, mit der wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmt.
Ich darf Ihnen folgendes Beispiel geben: ein Maschinensetzer in einer Druckerei hat eine Setzmaschine zu bedienen. Sie ist in ihrer Konstruktion, soweit die unmittelbare Bedienung in Frage kommt, einer Schreibmaschine ähnlich. Die Stenotypistin an der Schreibmaschine, die ihr Diktat aus dem Diktaphongerät aufnimmt und in ihre Maschine überträgt, ist Angestellte. Der Setzer, der uns die Artikel in den täglich erscheinenden Zeitungen schreibt, ist Arbeiter. Betrachten Sie die erfahrenen, hochqualifizierten Facharbeiter, die mit schwierigen Arbeitsvorgängen z. B. in der Feinmechanik, Tischlerei, Optik, Uhrmacherei, oder ganz gleich, welches Handwerk Sie nehmen, vertraut sind und große Verantwortung tragen. Diese Fachkräfte sind Arbeiter.
Niemand von uns will irgendeiner Person oder Gruppe etwas nehmen und deren Rechtsverhältnisse verschlechtern. Nein, wir wollen einzig und allein den Arbeitern die gleiche Chance geben und das gleiche Recht für sie schaffen. Es muß die vornehmste Aufgabe der gesetzgebenden Organe der Bundesrepublik sein, den Arbeitern, Angestellten und Beamten dem Fortschritt entsprechende Rechte zu gewähren. Erreichen wir dies auch für den deutschen Arbeiter, dann haben wir ein Stück soziale Gerechtigkeit geschaffen. Wir sind überzeugt, daß die große Mehrheit des Bundestages der gleichen Auffassung ist und diesem Gesetzentwurf zustimmt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dittrich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die CDU/CSU-Fraktion hinsichtlich der Gleichstellung der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle folgendes vortragen. Der Bundesvorstand des DGB hat Anfang dieses Jahres dem Bundesarbeitsministerium und den Fraktionen dieses Hohen Hauses einen Entwurf des Gesetzes zur Änderung des § 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches vorgelegt. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich diesen Entwurf des DGB im wesentlichen zu eigen gemacht und ihn mit einigen Abwandlungen hier eingebracht. Meine Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß eine unterschiedliche Behandlung der Angestellten und der Arbeiter in der Frage der Fortzahlung des Lohnes bei Erkrankung der heutigen Auffassung nicht mehr gerecht wird, daß sie mindestens problematisch ist. Heute ist bei uns eine weitgehende gesellschaftliche Gleichstellung aller Arbeitnehmer eingetreten. Von diesem Gesichtspunkt müssen wir bei der Behandlung dieses Problems ausgehen. Es geht nicht mehr an, daß ein hochqualifizierter Facharbeiter anders gestellt wird als die vom Kollegen Richter eben zitierte Sekretärin oder Stenotypistin in einem Verlag.
Wenn wir davon sprechen, daß heute wesentlich eine gesellschaftliche Gleichstellung aller Arbeitnehmer eingetreten ist, so möchten wir aber doch eines hinzusetzen: Ein völliges Gleichmachen, wirft eine Reihe von gesellschaftspolitischen Problemen auf, an denen man bei der grundsätzlichen Auseinandersetzung über eine gesellschaftliche Neuordnung nicht vorbeigehen kann. Ich weiß, daß die gegenwärtige rechtliche Stellung des Angestellten und des Arbeiters verschieden ist. Das ist in manchem begründet, in manchem unbegründet. Aber auch in den Reihen der Arbeiter finden wir doch ohne Zweifel Ansatzpunkte, die eine differenzierte Behandlung erforderlich machen. Ich möchte einen Unterschied zwischen dem in einem Betrieb seit vielen Jahren arbeitenden Facharbeiter und dem setzen, der nur Gelegenheitsarbeiten verrichtet wie etwa der Bauhilfsarbeiter oder sonstige fluktuierende Arbeitskräfte.
Das in dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion aufgeworfene Problem ist nicht neu; mit ihm haben sich die CDU/CSU-Fraktion und meine Partei schon seit langem beschäftigt. Im Bundesarbeitsministerium sind im Rahmen der Pläne zur Reform der Sozialleistungen, insbesondere bei der Bearbeitung der Reform des Krankenkassenrechts bereits Erwägungen in dieser Richtung angestellt worden. Wir müssen uns aber bei dieser Frage der Gleichstellung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfalle über eines klar sein: Damit wird der Beginn einer Entwicklung gesetzt, und diesem Falle werden weitere Fälle der Nivellierung der Arbeitnehmer in der Gesamtheit folgen und aller Voraussicht nach folgen müssen. Wir brauchen uns nur daran zu erinnern, daß beispielsweise hinsichtlich der Kündigungsfristen in unseren arbeitsrechtlichen Gesetzen noch Verschiedenheiten vorliegen. Gehen wir von der gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmung aus, so haben nur Angestellte in den Betrieben und Verwaltungen der Industrie und des Handels einen unabdingbaren Anspruch auf Fortzahlung ihres Gehalts bei Krankheit für die Dauer von sechs Wochen. Die Bestimmung des § 616 Abs. 2 ist eine Folge der Verordnung vom 5. Juni 1931. Daß die Forderung der Arbeiter auf Fortzahlung des Lohnes im Krankheitsfalle in der Wirtschaft Anerkennung findet, folgert schon daraus, daß in einer Reihe von tarifvertraglichen Bestimmungen in den letzten Jahren in zunehmendem Maße die Lohnzahlung an Arbeiter in Krankheitsfällen vereinbart ist. Wir sind der Wirtschaft und der Industrie ohne Zweifel zu Dank dafür verpflichtet, daß sie von sich aus solche Vereinbarungen getroffen haben. Sie aber, die Sie die Arbeitnehmerinteressen, insbesondere die Interessen der Arbeiter, in diesem Hohen Hause vertreten, werden sagen, daß man sich auf diese einzeltariflichen Bestimmungen nicht verlassen kann, daß man eine gesetzliche Regelung für die Gesamtheit haben muß. Diese Forderung entspringt einer obliegenden Fürsorgepflicht und der im Gesetzentwurf angesprochenen Forderung auf Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer.
Wir fragen uns nun, meine Damen und Herren, ob eine generelle gesetzliche Regelung im gegenwärtigen Zeitpunkt erwünscht und notwendig ist. Denn wir dürfen bei der Behandlung dieses Antrags nicht vergessen, daß eine solche Neuregelung für manche Betriebe, insbesondere mittelständischer Art, eine erhebliche Belastung mit sich bringt.
Wir dürfen nicht vergessen, daß die Betriebe des
Handwerks, des Gewerbes und der Landwirtschaft,
die nur wenige Arbeiter — einen Mann oder zwei
oder drei Leute — beschäftigen, im Falle einer solchen Verpflichtung zur Fortzahlung des Lohnes im Krankheitsfalle in die größten Schwierigkeiten kommen können. Das erkennt offensichtlich auch die sozialdemokratische Fraktion, denn sie hat in Art. 2 dieses Gesetzentwurfes einen sogenannten Ausgleichsstock vorgesehen. Ich habe kein Bedenken, daß die Großindustrie eine solche Regelung, wie sie in dem SPD-Antrag vorgeschlagen wird, wird verkraften können. Ich habe aber schwerste Bedenken — und bringe das im Namen meiner Fraktion zum Ausdruck —, ob diese generelle Behandlung in den Betrieben unseres Mittelstandes geeignet ist, einen gerechten sozialen Ausgleich zu schaffen. Betrachten wir doch einmal — die Zahlen stehen mir in etwa zur Verfügung —, was die Mehraufwendungen für die Wirtschaft im Falle einer auf 6 Wochen bemessenen Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfalle ausmachen werden! Nach überschläglicher Schätzung wird die Wirtschaft Mehraufwendungen von jährlich etwa 1 Milliarde DM haben. Das bedeutet bei einer Jahreslohnsumme von rund 42 Milliarden DM etwa 2,4 % der Lohnsumme.
Nun einige Bemerkungen zu der in Art. 2 dieses Gesetzentwurfs der sozialdemokratischen Fraktion vorgesehenen Einrichtung. Der Art. 2 lautet:
Zum Ausgleich der durch dieses Gesetz entstehenden Aufwendungen ist für Betriebe mit in der Regel bis zu 100 Beschäftigten. ein Ausgleichsstock zu errichten. Dieser Ausgleichsstock kann für einzelne oder mehrere Berufe oder Wirtschaftszweige errichtet werden. . . .
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, ob dieser Vorschlag eines Ausgleichsstocks etwas anderes ist als das, was wir beim Kindergeldgesetz in Form der Familienausgleichskassen geschaffen haben.
— Aber absolut nichts anderes! Nur mit dem Unterschied, meine Damen und Herren, daß wir beim Kindergeldgesetz einen Satz von 1 % der Lohnsumme haben, während hier etwa 2,4 % umzulegen sein werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß sich die sozialdemokratische Fraktion gegen die Konstruktion der Familienausgleichskassen deshalb gewehrt hat, weil wir das Kindergeld nicht an den Betrieb und an die Beschäftigung der Eltern binden wollten, und ist Ihnen nicht bekannt, daß es sich bei der Fortzahlung von Lohn im Krankheitsfall um eine echte Funktion, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergibt, handelt?
Herr Kollege Schellenberg, soweit ich in diesem Hause war und aufmerksam Ihren Ausführungen damals gefolgt bin, haben Sie sich gegen das System der Familienausgleichskassen als solches gewandt
und wollen in diesem Gesetz in derselben Weise etwas einrichten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich fortfahren und allmählich zum Schluß kommen. Wir haben zum Ausdruck gebracht, daß wir das in dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion angeschnittene Problem schon seit längerer Zeit diskutiert haben und es im Grundsatz bejahen. Es ist nur die Frage, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, ob der Weg, den Sie hier vorgeschlagen haben, insbesondere im Rahmen dieses Ausgleichsstocks des Art. 2 der richtige ist. Es gäbe verschiedene Möglichkeiten.
Man könnte beispielsweise daran denken, daß man einem Arbeiter, der dem Betrieb seit Jahr und Tag seine Arbeitskraft zur Verfügung gestellt hat und krank wird, einen höheren Satz als 50 % seines Lohnes in Form des Krankengeldes geben soll. Man könnte vielleicht andere Wege finden, an die man in den Ausschußberatungen denken müßte. Beispielsweise denke ich daran, daß man das Krankengeld entsprechend erhöhen und damit die notwendigen Geldmittel auf einer breiteren Basis aufbringen könnte. Weiter denke ich daran, man könnte das gesetzlich verankern, was in der Wirtschaft zu einem großen Teil bereits getan wird, daß man nämlich im Falle des Bezuges von Krankengeld noch Zuschüsse vom Betrieb gibt und diese Zuschüsse, wie das der Fall ist, lohnsteuer- und sozialversicherungsfrei macht. Aber das sind alles nur Anregungen, die wir geben können und geben wollen, weil wir den Schwerpunkt der weiteren Arbeit auf die Ausschüsse verlagern müssen.
Die CDU/CSU-Fraktion ist der Ansicht, daß die im Bundesarbeitsministerium bereits erarbeiteten Pläne von der sozialdemokratischen Fraktion mit diesem Gesetzesantrag vorweggenommen wurden.
Meine Fraktion ist der Ansicht, daß wir erst im Zusammenhang mit der Beratung der Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung diese Frage, die ja nur ein Teilproblem darstellt, mit lösen sollten.
Wir sind der Ansicht, daß wir im Grundsatz Ihr Anliegen zu dem unseren machen —
— das nicht mit dem Ausgleichsstock, Herr Professor Schellenberg, das ist richtig! —, und wir wollen in den Ausschüssen tatkräftig mitarbeiten. Wir schlagen vor, daß dieser Antrag einem möglichst breiten Forum von Ausschüssen überwiesen wird,
so daß nicht nur im Ausschuß für Sozialpolitik, nicht nur im Ausschuß für Arbeit die Beratungen erfolgen, sondern auch im Ausschuß für Wirtschaftspolitik, vor allem im Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes und dem für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beraten wird, was ich hiermit zum Antrag meiner Fraktion mache.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ein deutscher Lohnarbeiter im Augenblick durch Krankheit gezwungen wird, zu feiern, dann bedeutet dieses Ereignis für seine Hauswirtschaft ungefähr dasselbe, was für einen Bauern ein Hagelwetter bedeutet.
Drei Tage ohne Krankengeld und dann eine Reihe von Tagen ein Krankengeld von nur 60 % des Lohnes, unter Umständen, beim Familienvater, bis 80 % — ich will das im einzelnen nicht auseinandersetzen —, das ist ein erheblicher Einbruch in das normale wirtschaftliche Dasein.
Die Härte wird nicht bestritten und wurde nie bestritten. Im Gegenteil, es ist in den letzten Jahren eine Tendenz festzustellen, diese Verhältnisse zu ändern. Die Vorschläge zur Reform unserer Sozialversicherung enthalten zum Teil derartige Vorschläge von sehr bekannten und angesehenen Sozialpolitikern. Es ist auch darauf hinzuweisen, daß durch eine Reihe von Tarifvereinbarungen und Verträgen auf freiwilliger Basis die Unternehmer einen Teil dieses Defizits bereits im Haushalt des erkrankten Arbeitnehmers ausgleichen. Es gibt die Reduktion der berühmten drei Karenztage auf zwei oder auf einen, es gibt Lohnfortzahlungen zum Teil bis zu 90 % des tatsächlichen Lohnes; auch in der Landwirtschaft ist das sehr weit verbreitet. Es gibt nach § 15 TO B für die Arbeiter in öffentlichen Diensten eine unabdingbare Lohnfortzahlung. Sie sehen also: im allgemeinen eine Tendenz, das Bild zu verschönern.
Man würde aber der ganzen Sache nicht gerecht werden, wenn man nicht einige Argumente der Anhänger des Status quo hier beraten würde. Zu diesen Argumenten gehört z. B. folgendes: das Gefälle zwischen Lohn- und Krankengeld verhindere das unbegründete Krankfeiern. Meine Damen und Herren, aus den Statistiken unserer Krankenkassen kann man ersehen, daß bei saisonbedingter Arbeitslosigkeit die Krankheitsziffern der Krankenversicherungsträger erheblich heraufschnellen. Das ist materiell nicht zu bezweifeln. Übrigbleibt dann aber immer noch, daß diese Methode der Risikoabwehr für die nicht Asozialen unter den Arbeitnehmern — und der Anteil der Asozialen ist bei den Arbeitnehmern bekanntlich nicht höher als bei den Arbeitgebern und bei den anderen Berufsständen —
doch mit einer Roßkur von denjenigen bezahlt wird, die sich sozial gerecht verhalten.
Also unschön bleibt die ganze Affäre unter allen Umständen.
Nun, meine Damen und Herren, ich suche nach der richtigen Methode. Denn der Gedanke der Risikoabwehr ist ja nicht aus der Welt zu schaffen und zu bagatellisieren.
Herr Kollege Richter hat vorhin auf die Ungleichmäßigkeit hingewiesen und mit Leidenschaft die Theorie vertreten, man müsse die Verhältnisse zwischen Lohnempfängern und Angestellten gleichziehen. Das Wort „Nivellierung" ist, glaube ich, vorhin hier gefallen. Ich will das nicht behandeln und dieses Wort nicht ausdeuten. Meine Damen und Herren, vergleichen wir doch einmal das wirtschaftliche Schicksal verschiedener Berufsgruppen in Deutschland, wenn sie arbeitsunfähig krank werden, nicht nur den Lohnempfänger mit dem Angestellten. Der Selbständige riskiert bei Ausfall seiner Arbeitskraft im Betrieb eine erhebliche Störung des Betriebszweckes und Ertragsminderung. Auch der Angestellte wird von wirtschaftlichen Gefahren bedroht, wenn er krankfeiert — trotz der Fortzahlung seines Gehalts in den ersten sechs Wochen. Der Angestellte dient doch bekanntlich, sagen wir einmal, auf Beförderung. Er ist also daran interessiert, in dem Betrieb, dem er angehört, aufzusteigen und bessere Chancen zu bekommen. Durch ein Krankfeiern fürchtet er, in seinem Betrieb unbeliebt zu werden oder nicht mehr das Vertrauen zu genießen, das er vorher genossen hat. Bei den freien Berufen ist ein Tag Bett ein Tag Verdienstausfall. Man kann nicht behaupten, daß hier völlige Ungleichmäßigkeit bestehe. Eine entscheidende Ähnlichkeit ist überall vorhanden. Krankheit bedeutet, abgesehen von den Schmerzen, eine wirtschaftliche Beeinträchtigung der Daseinschancen. Wir haben ja nicht mit der Schöpfung zu hadern, daß das so eingerichtet worden ist, aber wir können folgendes feststellen: Der Schmerz hat zweifellos die Funktion, den Kranken darauf bedacht sein zu lassen, daß er um Heilung bemüht ist, und auch der wirtschaftliche Schaden hat eine Funktion: sich zu bemühen, die Krankheit so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Also das wirtschaftliche Risiko, das bei Krankheit getragen wird, sollte in seiner Funktion anerkannt werden.
Die Freie Demokratische Partei geht bei den Überlegungen, auf welchem Wege man den Lohnarbeiter rasch, aber nicht auf einmal — wir sind keine Anhänger perfektionistischer Lösungen — in das Verhältnis des Angestellten bringt, von folgenden Vorstellungen. aus. Es gibt weite Gruppen von Lohnempfängern, die in ihrer Bindung an den Betrieb und in ihren Aufgaben dem Angestellten bereits sehr ähnlich geworden sind, bei denen die Überlegung, daß ihr Ausfall eine erhebliche Störung des Betriebszwecks bedeutet, genügt, um sie im Falle einer Erkrankung sehr verantwortlich nachprüfen zu lassen, ob ihre Krankheit Arbeitsunfähigkeit bedingt oder nicht. Wir könnten uns vorstellen, daß u. a. mit einer Erweiterung des Katalogs, der in § 133 c der Gewerbeordnung vorhanden ist, meinetwegen unter Beratung durch die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung, die dabei wertvolle Hilfe leisten kann, immer weitere Personenkreise in eine glücklichere Form des wirtschaftlichen Schutzes bei Krankheit hinüberführt. Eine im Augenblick überhitzte und unterschiedslos vorgenommene Änderung nach dem Vorschlag der Sozialdemokratischen Partei scheint uns ein wenig riskant zu sein. Die Kosten, die für diesen Vorgang geschätzt werden, gehen natürlich, auch aus der Interessenlage heraus, weit auseinander. Dabei beläuft sich die unterste Schätzung auf 900 Millionen, während man andererseits von 5, 6, ja 7 % der Grundlohnsumme spricht.
Es ist darauf hingewiesen worden, wie schwierig die Situation für das im Wettbewerb beschränkte Gewerbe und den Mittelstand sein könnte. Das will ich jetzt nicht vertiefen, aber ich will doch auf folgendes hinweisen. Man denke an unsere Berliner Debatte. Uns beschäftigte die Frage: Kann man eine eventuell drohende Teuerung abstoppen oder nicht abstoppen? Kann man sich vorstellen, daß eine solche Erhöhung der Sozialbeiträge — und das sind sie ja in Wirklichkeit — nicht eine Teuerungswelle zur Folge haben könnte? Meine Damen und Herren, eigentlich ge-
hören diese schwierigen Probleme in den großen Plan der Generalreform unserer Sozialversicherung.
Wir stimmen der Überweisung an den Ausschuß zu,
— an die genannten Ausschüsse zu und hoffen, daß wir die Möglichkeit haben, dort eine segensreiche Arbeit im Interesse der deutschen Arbeitnehmerschaft zu leisten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Antrag, der von der SPD-Fraktion eingebracht worden ist, ist sicherlich ein Schritt nach vorn. Wir müssen feststellen, daß die darin angeschnittene Frage in der Öffentlichkeit immer wieder aufgegriffen worden ist. Meine politischen Freunde und ich sind, ganz besonders in den letzten Wochen, in denen wir uns über diese und ähnlich gelagerte Fragen sehr eingehend unterhalten haben, zu der Auffassung gelangt, daß eine gleiche Behandlung der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle eintreten muß. Ich will mich nicht auf eine große Polemik einlassen; aber wenn hier ein paarmal angesprochen worden ist, daß es zweifellos die Beschäftigungsarten Angestelltengruppe und Arbeitergruppe gibt, wobei in den Arbeitergruppen oftmals hochwertigere Arbeit geleistet wird als in gewissen Angestelltengruppen, so ersehen wir daraus, daß sich heute schon gewisse Überschneidungen ergeben. Mir wird sicher recht gegeben, wenn ich sage, daß wir in der Bundesrepublik den Begriff des Arbeiters und den des Angestellten noch in einer Schärfe trennen, die andere Länder längst überwunden haben und die gar keine Berechtigung mehr für den hat, der sich in den Betrieben, der Landwirtschaft und überall dort, wo gearbeitet wird, umsieht.
Wenn Sie, Herr Dr. Dittrich, meinen, daß man auf die Neuordnung der sozialen Leistungen warten solle, dann muß ich sagen, daß wir des Wartens müde sind. Wir begrüßen diesen Antrag ganz besonders, weil durch ihn vielleicht doch der Plan zur Neuordnung der sozialen Leistungen in einem etwas schnelleren Tempo erarbeitet und uns endlich einmal vorgelegt wird. Ich erinnere mich auch jener ersten Kostprobe, die uns mit der Krankenversicherung für die Rentner serviert wurde. Wir konnten darin keinen Fortschritt feststellen, es sei denn den, daß die Rentner anteilig Kosten mitübernehmen sollten, und das war ein 'besonderes Merkmal der Neuordnung der sozialen Leistungen.
Wenn wir schon seit vielen Jahren auf die Neuordnung der sozialen Leistungen warten müssen, gehört es zur Aufgabe des Parlaments und ist es unsere Pflicht, hier Anträge vorzulegen, die eine gewisse Vorleistung auf die Neuordnung darstellen. Wir hoffen, damit zum Gesamtgefüge mindestens so viel beigetragen zu haben, daß auch das, was noch fehlt, nun in einem schnelleren Tempo nachfolgen kann. Jedenfalls werden wir gern an diesem Antrag im Ausschuß mitarbeiten. Der Wunsch, möglichst viele Ausschüsse daran zu beteiligen, ist eine Taktik, mit der die Bearbeitung des Antrags möglichst in die Länge gezogen werden soll.
Ich glaube, die Betroffenen können für sich in Anspruch nehmen, daß ihr Anliegen brennend ist, und mir scheint, sie können auch von den Abgeordneten erwarten, daß möglichst schnell und zügig gearbeitet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Herold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eingangs vor allen Dingen Herrn Kollegen Dr. Dittrich unseren besten Dank dafür sagen, daß er diesen Antrag mit so warmen Worten unterstützt hat. Es freut uns, daß auch er klar die Problematik der Lage der Arbeiter und Angestellten in der Industrie und im Handwerk gekennzeichnet und gewürdigt hat. Dieses Mißverhältnis ist heute noch vorhanden und muß unbedingt beseitigt werden. Es ist sehr nett — und wir hören es ja in letzter Zeit gerade auf sozialpolitischem Gebiete sehr oft —, daß wir dem Herrn Arbeitsminister angeblich wieder einmal einen seiner Pläne vorweggenommen haben. Aber das spielt im großen keine Rolle; wichtig ist, daß es getan wird. Wer es tut, das gibt im Augenblick keinen so großen Ausschlag.
Gerade die Vertreter der Mittelschichten müßten einmal klar erkennen, daß es unser gemeinsames Anliegen sein muß, sobald wie möglich alle Diskriminierungen zu beseitigen, die zwischen Angestellten und Arbeitern in der Industrie und im Handwerk noch vorhanden sind. Viele Beispiele sind hier bereits vorgetragen worden. Ich möchte aber noch auf eines zu sprechen kommen, und das ist die Nachwuchsfrage im Handwerk, die uns immer mehr drückt. Vielleicht können wir mit diesem Antrag ein solches Hindernis beseitigen, das uns noch auf Jahre hinaus schwer zu schaffen machen wird.
Sie können überzeugt sein, daß wir Vertreter der sogenannten Mittelschichten der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion uns die Arbeit nicht leicht gemacht haben. Der Herr Kollege Dr. Dittrich sagte, wir hätten im wesentlichen den Antrag des DGB übernommen. Ich möchte darauf hinweisen, daß das nicht ganz stimmt. Vielmehr haben wir besonders in Art. 2 bezüglich 'der Frage des Ausgleichsstocks nach Lösungen gesucht, um gerade den schwerkämpfenden Klein- und Mittelbetrieben unter die Arme zu greifen.
Das müssen Sie uns ohne weiteres zugestehen. Wir stimmen Herrn Dr. Dittrich darin zu, daß es sich nicht um die Frage Ausgleichsstock oder ähnliches dreht. Hauptsache ist, wir haben einen Anfang gemacht. Wie wir die Sache dann nennen, spielt gar keine Rolle.
Die Belastungen, die entstehen, erkennen wir als Vertreter der kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden durchaus. Wir haben nach eingehenden Überlegungen auch den Vorschlag gemacht, einen solchen Ausgleichsstock für Betriebe unter 100 Beschäftigten zu schaffen. Mit Mitteln dieses Fonds soll gerade der Kleinbetrieb vor den schwankenden Belastungen geschützt werden, die sich zufällig durch die Erkrankung vielleicht des einzigen Gesellen ergeben. Durch diese Einrichtung wird die Unsicherheit beseitigt, die in Kleinbetrieben durch die Lohnfortzahlungen auch für die Arbeitgeber entstehen
kann. Auch der Kleinbetrieb kann, da er 75 % des fortgezahlten Lohnes zurückerstattet erhält, mit festen Unkostenfaktoren rechnen, die insgesamt 2 1/2 % — Herr Dr. Dittrich hat es uns ja bestätigt — des gesamten Lohnaufkommens betragen. Das ist gerade für den Kleinbetrieb von sehr großer Bedeutung.
Im übrigen ist eine solche Belastung von 2 1/2 % des Lohnes gerade für den Kleinbetrieb nicht einfach. Aber im Vergleich zu den Problemen, die im Zusammenhang mit den konjunkturpolitischen Fragen, die wir in der letzten Woche erörtert haben, auftreten, ist sie nicht von vornherein als untragbar abzulehnen. Im Vergleich zu den Gesamtkosten des Betriebs sind 2 1/2 % Erhöhung der Lohnkosten für Arbeiter wenn auch nicht unerheblich, so doch nicht so, daß ihre Auswirkung dramasiert werden sollte. Handel und Handwerk haben, finanziell gesehen, in bezug auf Steuern, insbesondere auf die Umsatzsteuer, wirtschaftliche Sorgen, die weit größer sind als die Probleme, die im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung bei Krankheit entstehen.
Eine kritische Bemerkung noch. Vorhin ist die Bildung von Familienausgleichskassen angesprochen worden. Ich glaube, die Beiträge zu den Familienausgleichskassen drücken den Kleinhandwerker und die Mittelbetriebe viel mehr als die Sache, die wir Ihnen heute zur Beratung vorlegen. Die Kleinbetriebe, insbesondere die des Handels, die Angestellte beschäftigen, zahlen im Krankheitsfall seit jeher das Gehalt fort, ohne daß sich daraus wirtschaftliche Katastrophen ergeben haben. Es wird sich nach verhältnismäßig kurzer Zeit, wenn der sozialdemokratische Gesetzentwurf angenommen worden ist, die Lage bei den Kleinbetrieben, die Arbeiter beschäftigen, einspielen, so daß dann auch Klagen jener verstummen, die sich heute wegen der Lohnfortzahlung bei Krankheit Sorge machen oder gar von einer untragbaren Belastung der kleinen Gewerbetreibenden sprechen. Die große sozial- und wirtschaftspolitische Bedeutung unseres Antrags, der eine Gleichstellung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfall anstrebt, liegt darin, daß er dem Ausgleich von Spannungen innerhalb des Betriebes dient. Er ist keinesfalls mittelstandsfeindlich, sondern fördert die gemeinsamen Interessen von Arbeitern, Angestellten und Gewerbetreibenden.
Wir bitten Sie daher, diesen Antrag zu unterstützen und seiner Überweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß zuzustimmen. Keinesfalls möchte ich, daß der Antrag, dem Wunsche des Herrn Dr. Dittrich entsprechend, an zu viele Ausschüsse überwiesen wird. Denn wir dürfen diese Angelegenheit nicht auf Eis legen, wir dürfen diesem Anliegen nicht ein ehrendes Begräbnis bereiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Becker.
Meine Damen und Herren! Die Probleme, die mit dem vorliegenden Antrag aufgeworfen werden, werden wir heute abend nicht ausdiskutieren können. Ich habe mich nur zum Wort gemeldet, weil in der Begründung des Antrags durch den Kollegen von der SPD Formulierungen über gesellschaftliche Gleichstellung gefallen sind. Der Kollege von der CDU hat von Nivellierung gesprochen und dergleichen. Ich möchte hier deutlich darauf hinweisen, daß die wirtschaftliche Stellung eines Berufsstandes nichts zu tun hat mit der gesellschaftlichen Stellung. Die gesellschaftliche Stellung wird einzig und allein davon bestimmt — das ist meine feste Überzeugung —, wie die kulturellen Werte beschaffen sind, die der eine oder der andere Berufsstand darzubieten hat. Wenn die wirtschaftliche Stellung der Maßstab wäre, dann wäre beispielsweise die gesellschaftliche Stellung eines Arztes oder eines anderen heutzutage unangemessen niedrig bezahlten freien Berufs eine ganz traurige. Dieses Argument kann also bei der Begründung des Antrages keine Rolle spielen. Man kann auch nicht die Tätigkeit eines Arbeiters, meinetwegen eines Druckers, der hier angeführt wurde, und die Tätigkeit eines Buchhalters gegenseitig abwägen, um damit die gesellschaftliche Position des Arbeiters zu bestimmen und daraus irgendwelche wirtschaftlichen Gleichstellungen oder Unterschiede dieser beiden Berufsstände herzuleiten. Das ist alles gar nicht das Wesentliche.
Wesentlich ist, daß die soziale Sicherung, von der Herr Dr. Hammer vorhin gesprochen hat, möglichst allen Berufen in unserem deutschen Volk gegeben wird. Vom Standpunkt des Angestellten kann ich Ihnen nur sagen: die Angestellten sind froh darüber, wenn ihre Arbeitskollegen, die Arbeiter, die gleiche soziale Sicherung erreichen, wie sie die Angestellten bereits haben.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben hier ja als Abgeordnete weder die Interessen der Arbeiter noch die der Angestellten, des Mittelstandes oder sonst einer besonderen Gruppe zu vertreten, sondern wir haben das Gesamtinteresse zu sehen. Die Deutsche Partei ist der Auffassung, daß wir sehr sorgsam zu untersuchen haben werden, ob der Antrag der SPD in seiner generellen Fassung mit einer Änderung des § 616 BGB nicht wiederum dazu führt, ausgerechnet gewisse Schichten des Mittelstandes zu schädigen.
Die Ausführungen, die eben von meinem Vorredner gemacht worden sind, sind deklaratorisch sehr schön; aber sie treffen doch nicht die Wirklichkeit. Mir ist z. B. unbegreiflich, warum Sie die Ausgleichskasse, wenn Sie einen solchen Ausgleichsstock schaffen wollen, nur auf Betriebe mit weniger als 100 Arbeitnehmern beschränken wollen. Gerade wenn Sie einen Ausgleich schaffen wollen, wenn Sie glauben, daß eine Verteilung des Gesamtrisikos über die Betriebe stattzufinden habe, müssen Sie doch sämtliche Betriebe einbeziehen.
Auf der andern Seite muß ich sagen: Sie bringen den Antrag zu einem Zeitpunkt ein, der denkbar ungünstig ist; es wurde vorhin schon darauf hingewiesen. Gerade jetzt, wo wir daran denken müssen, unsere gegenwärtige Konjunktur nicht durch irgendeine Maßnahme zu verändern, sondern daran interessiert sind, die Konjunkturlage auf diesem Stand zu erhalten, ist es natürlich der unglücklichste Zeitpunkt, so etwas zu bringen. Außerdem ist es auch unglücklich, den Antrag zu einem Zeitpunkt zu bringen, wo gerade durch die Neueinrichtung der Familienausgleichskassen die Beunruhigung unter denjenigen Kreisen, die Beiträge zu zahlen haben, besonders groß ist. Ich glaube, daß der gangbare Weg wirklich darin bestehen würde, das Krankengeld in seiner Höhe und seiner Form zu verändern. Wir brauchen diesen Umweg über die Ausgleichsstocks gar nicht.
Dieser Vorschlag, der hier von Ihnen gemacht wird, ist u. a. auch in dem Vier-Professoren-Gut-
achten über die Sozialreform aufgenommen worden. In ihm ist ausgeführt worden, es solle erwogen werden, daß die Krankenkassen überhaupt kein Krankengeld mehr zu zahlen hätten, sondern daß sie in Zukunft nur für die medizinischen Leistungen aufzukommen hätten. Ich bin ganz entgegengesetzter Ansicht. Ich glaube, da wir die Einrichtung des Krankengeldes, der Krankenversicherung doch haben, die ja letzten Endes von den Beiträgen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber gespeist wird, daß wir auf diesem Wege der Behandlung einer Erhöhung des Krankengeldes bis heranreichend an die Lohnhöhe, jedenfalls dort, wo die Tarifverträge Entsprechendes für die Arbeiter nicht vorsehen, leichter vorwärtskommen als durch eine generelle Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Wir werden von der Deutschen Partei aus an die Prüfung dieses Antrages unter dem Gesichtspunkt herangehen, den ich vorhin betont habe: wir werden abwägen, wo die Interessen der Arbeiter und des Mittelstandes liegen. Einzig von dem Ergebnis dieser Prüfung werden wir letzten Endes unsere Stellung zu diesem Antrag nachher aussprechen und auch unsere Abstimmung vornehmen.
Zusammenfassend kann ich aber sagen: Es liegt ja im Zuge der Zeit, daß das Recht, wie es bisher bestanden hat, geändert werden muß. Die Frage ist einzig und allein, ob wir eine generelle Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches vornehmen oder ob wir es nicht viel besser und einfacher erreichen, wenn wir etwa im Zuge der Sozialreform vorher eine Änderung des Krankenversicherungsgesetzes überhaupt vornehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Ich komme nun zu den Überweisungsanträgen. Die ursprüngliche Notiz, die ich hier habe — Vereinbarung im Ältestenrat —, sieht die Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend
— und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als mitberatenden Ausschuß vor. Das ist der ursprüngliche Antrag. Ich lasse über ihn zuerst abstimmen.
— Bitte, Herr Abgeordneter Rasner, zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und an den Ausschuß für Arbeit und den Sonderausschuß für Fragen des gewerblichen Mittelstandes vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf wohl unterstellen, daß das Haus sich darin einig ist — ohne daß ich abstimmen lasse —, daß der Antrag an den Ausschuß für Sozialpolitik als federführenden Ausschuß geht. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Es ist jetzt vorgeschlagen worden, die Überweisung an den Wirtschaftsausschuß zu streichen und die Ausschüsse für Arbeit und für Mittelstandsfragen als mitberatende Ausschüsse zu bestimmen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 6 der heutigen Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesevakuiertengesetzes ;
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Graf , Kunze (Bethel), Funk und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesevakuiertengesetzes (Drucksache 1803).
Die Antragsteller haben vereinbarungsgemäß auf Begründung verzichtet. Es soll in der ersten Lesung auch auf Debatte verzichtet werden. Ich schlage die Überweisung der beiden Drucksachen an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen, an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen, an den Ausschuß für den Lastenausgleich und an den Ausschuß für Kommunalpolitik vor. Wer dafür ist, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes .
Auch hier wird auf Begründung verzichtet, ebenso auf Diskussion in der ersten Beratung. Ich schlage Überweisung der Drucksache an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und den Haushaltsausschuß als mitberatenden Ausschuß vor. Wer zustimmt, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind wir — früher als beabsichtigt — am Ende der heutigen Sitzung angelangt.
Ich berufe die nächste, die 109. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 27. Oktober 1955, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.