Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu diesem Punkt.
— Bis jetzt habe ich hier überhaupt nur einen Antrag auf Überweisung der Drucksache 1705 an den Lastenausgleichsausschuß vorliegen, sonst nichts. Wird jetzt ein Zusatzantrag gestellt?
— Das ist nicht der Fall.
Wer der Überweisung der Drucksache 1705 an den Lastenausgleichsausschuß zustimmt, den bitte ich, das Handzeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 4 der heutigen Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ;
und schließlich c) den zu Anfang der Plenarsitzung noch auf die Tagesordnung gesetzten
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP: Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes.
Ich schlage dem Hause vor, so zu verfahren, daß wir hintereinander die Entwürfe unter a, b und c begründen lassen und die drei Anträge dann gemeinschaftlich diskutieren. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Ich erteile das Wort zur Begründung des Antrags Drucksache 1708 dem Abgeordneten Pohle.
Pohle (SPD), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesversorgungsgesetz hat in diesen Tagen im Hohen Hause seinen fünften Geburtstag feiern können. Es hat sich in seinem fünfjährigen Werden viermal einer Novellenoperation unterziehen müssen, aber
wir können feststellen, daß diese Operationen die Bescheidenheit des Gesetzeskindes nicht wesentlich beeinträchtigen konnten.
Der Haushaltsplan 1955/56 sieht für Versorgungsbezüge 2787 Millionen DM vor. Es ist bestimmt kein bescheidener Haushaltsposten. Verteilt man ihn aber auf eine Armee von 4 308 300 Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen, dann kommt man auf einen sehr bescheidenen Rentendurchschnittsbetrag. Wenn bei dem großen Konjunkturspiel unserer Tage Sozialprodukt, Preise, Löhne und Renten ausgewogen und verglichen werden, dann ist es nach der Ansicht meiner Freunde eine Selbstverständlichkeit, daß die Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen hierbei nicht als Zaungäste nur zuschauen dürfen. Es ist eine nationalpolitische Notwendigkeit, Leistungen für die Kriegsopferversorgung in gewissen Zeitabständen daraufhin zu überprüfen, ob sie noch den Verhältnissen und den Erfordernissen der Stunde entsprechen.
Ich bin einer der Geburtshelfer dieses Gesetzes in diesem Hause gewesen, abet ich kann ein Gefühl der Enttäuschung über die Entwicklung des Gesetzes nicht verbergen. Schon die ersten Verwaltungsvorschriften haben sich über das Bundesversorgungsgesetz wie ein Reif in der Frühlingsnacht gelegt. Ich stimme dem Herrn Bundesarbeitsminister gern zu, der letzthin auf einer Kriegsopfertagung das sehr gewichtige Wort sprach, daß die Kriegsbeschädigten, die Kriegsopfer kein Strandgut des Lebens seien. Ich glaube dem Herrn Arbeitsminister für meine Fraktion versichern zu dürfen, daß wir ihm jederzeit Hilfestellung gewähren werden, wenn er dort regulierend eingreift, wo Schicksalsschläge die berufliche Laufbahn zerstört haben, wo der Betreffende das Gefühl hat, Strandgut im Berufsleben zu sein.
Da ist in einer Stadt ein begabter Musiker, der sich früher in einem Monat das erspielt hat, was er heute in einem Jahr an Grundrente erhält. Mit seiner zerschmetterten Hand wurde ihm der Lebensinhalt genommen. Heute ist er als Bürobote beschäftigt. Wir werten diesen Bruch der Lebenslinie mit einem 10 %igen Aufschlag auf die Rente, er mußte ein großes Opfer bringen. Und in derselben Stadt der nationalsozialistische Polizeipräsident, der auch im Kriege unabkömmlich war, der kein Opfer zu bringen brauchte: ihm werden von einem Gericht Pension und Schadenersatz zugesprochen! Zwei Männer, zwei Welten; ein Opfer, kein Opfer.
Wir haben als Gesetzgeber — ich schließe Sie alle, meine Damen und Herren, mit ein, die Sie Mitglied des 1. Bundestages waren — nicht eine Gesetzesauslegung gewollt, die dazu geführt hat, daß im Dritten Reich gewährte Witwenbeihilfen in zahlreichen Fällen nach brutaler Auslegung des Bundesversorgungsgesetzes gestrichen worden sind. Der Petitionsausschuß und der Kriegsopferausschuß haben eine Fülle von Eingaben erhalten, in denen bewegte Klage geführt und gefordert wird, diesen Witwen Gerechtigkeit und Hilfe zuteil werden zu lassen. Es scheint uns auch der Zeitpunkt dafür gekommen zu sein, die alternden Kriegsbeschädigten des ersten Weltkriegs nicht mehr die züchtigende Geißel der Nachuntersuchung spüren zu lassen.
Damit sollte endlich einmal Schluß gemacht werden.
Es sind also Probleme mannigfaltiger Art, die in einer Reform des Bundesversorgungsgesetzes und in einer Generalüberholung dem Versuch einer Lösung entgegengeführt werden sollten. Ich habe mir gestattet, diese grundsätzlichen Bemerkungen als Anregungen dem Herrn Arbeitsminister zur Kenntnis zu bringen, insbesondere, damit er in seinem Ministerium den Startschuß für die Vorbereitung einer solchen Generalüberholung gibt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es jemanden in diesem Hause gibt, der befriedigt darüber ist, daß die Witwe des Herrn Heydrich als Hinterbliebene ihres gefallenen Mannes eine Rente erhält, während eine Regelung für die Frau des Mannes — dessen Vorgesetzter sich seiner Fürsorgepflicht nicht bewußt war —, der die Schergen des Herrn Heydrich fürchten mußte und freiwillig in den Tod ging, heute in unserem Bundesversorgungsgesetz keinen Platz findet, diese Frau also an die Armenfürsorge verwiesen werden muß.
Ich schließe mich vollinhaltlich den Worten unseres verehrten Herrn Bundestagspräsidenten an, der letzthin sagte:
„Der Staat hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Rang und Würde der Kriegsopfer im Bewußtsein des Volkes lebendig bleiben und daß die Versorgung als Rechtsanspruch und nicht als Fürsorge gewertet und anerkannt wird. Eine neue Sozialordnung aus dem Geiste echter sozialer Gerechtigkeit ist in der gegenwärtigen Situation von überragender Bedeutung."
Um einen Beitrag zu dieser neuen Sozialordnung geht es uns bei unserem Antrag, um dessen Überweisung an den Kriegsopferausschuß ich Sie bitte. Der Antrag soll zu der notwendigen Leistungsüberprüfung veranlassen. Er bezweckt in einer Reihe von Rentenpositionen eine Aufstockung; eine vollkommene Aufrundung — die sogenannte Generalüberholung des Gesetzes — muß später nachgeholt werden. Wir werden jeden Ergänzungs- und Verbesserungsvorschlag gern prüfen und unterstützen.
Vergessen wir aber eines nicht, meine Damen und Herren! Wir haben 1950 mit dem Bundesversorgungsgesetz einem großen Teil des Heeres der Minderbeschädigten die Renten halbiert. Wir haben schon 1950 die Renten der Witwen und Waisen nicht genügend hoch festgesetzt. Wir haben hier die Verpflichtung zu einem Ausgleich. Wie dürftig wir damals die Versorgungsbezüge, wie niedrig die Einkommensgrenze bei den Elternrenten festgesetzt haben, hat die Notwendigkeit des Härteerlasses erwiesen, mit dem der Herr Arbeitsminister 1951 die schlimmsten Auswirkungen des Versorgungsgesetzes abfangen mußte.
Ein Wort zu unserem Antrag, auch die Renten der Minderbeschädigten zu erhöhen, die ja nach dem Bundesversorgungsgesetz nur eine Grundrente beziehen. Unter „Leichtbeschädigten" stellt man sich oft vor, es handle sich bei diesem Personenkreis um einen Bagatellfall, etwa um eine Ritzung durch einen kleinen Splitter. Nach den Anhaltspunkten des Bundesarbeitsministeriums für die Ärzte wird die Skalpierung bei Frauen mit 30 % bewertet, der Verlust eines Auges mit 30 %, der Verlust eines Teiles des Unterkiefers mit 20 bis 30 % und der Verlust eines Unterschenkels mit Körperersatzstück
mit 40 %. 19 600 weibliche Leichtbeschädigte und'
14 800 weibliche Schwerbeschädigte haben wir im Bundesgebiet mitzuversorgen. 1953 ist die Durchschnittsrente bei Leichtbeschädigten noch mit 16,45 DM, bei Schwerbeschädigten mit 61,57 DM und bei allen Versorgungsberechtigten mit 38,42 DM ermittelt worden.
Sie erkennen aus diesen Grundzahlen von damals, daß eine Aufstockung noch nicht den Grundcharakter der Versorgungsbezüge verbessert hat. Wir haben, wie ich bereits sagte, die Grundrente bei den Minderbeschädigten halbiert. Sie bekamen früher bei 30 % Erwerbsminderung 30 DM. Sie erhielten nach dem Bundesversorgungsgesetz
15 DM, und sie sollen nach unserem Vorschlag, nachdem wir eine erste Aufstockung auf 18 DM vorgenommen haben, jetzt 23 DM erhalten. Sie liegen danach also immer noch um 7 DM unter der Rente, die sie vor Erlaß des Bundesversorgungsgesetzes bezogen haben. Bei 40 % erhielten sie früher 40 DM. Sie erhalten augenblicklich 24 DM, und sie sollen jetzt 29 DM erhalten. Ich glaube, es sind sehr bescheidene Aufbesserungsanträge, die wir Ihnen hier vorlegen.
Ich will Sie nicht mit weiteren Einzelheiten strapazieren. Angesichts von 1 171 853 Witwen, 1 141 595 Halbwaisen und 49 817 Vollwaisen wird uns die ganze Schwere der Aufgabe des Staates bewußt, hier an Stelle des gefallenen Gatten und Vaters eine ausreichende Fürsorge zu übernehmen.
Unter den schwerbeschädigten Kindern, die uns letzthin in diesem Hause besuchten, befand sich ein dreizehnjähriger Junge aus Ostpreußen. Der Vater gefallen, die Mutter auf der Flucht bei einem Bombenangriff getötet. Der damals dreijährige Junge verlor bei diesem Angriff ein Bein und einen Arm. Von diesem Jungen und seinem Schicksal ausgehend, erkennen wir wohl unsere große Aufgabe, nichts unversucht zu lassen, allen unseren verwundeten und kranken Soldaten von gestern und den Hinterbliebenen der Gefallenen und Verstorbenen das Leben erträglicher und freundlicher zu gestalten. Wir haben maßgehalten bei der Schaffung des BVG, wir haben maßgehalten bei den Novellen zum BVG, wir werden auch bei der fünften Novelle nicht auf die Straße der Maßlosigkeit treten, aber mit dem Vorsatz an die Arbeit gehen, bei den Kriegsopfern und den Hinterbliebenen in das Dunkel gestörter Lebenserwartung einen weiteren Strahl der Freude zu bringen, die mit dem Begriff Gerechtigkeit untrennbar verbunden ist.