Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Ausführungen der Frau Kollegin Dr. Probst geben mir Veranlassung, etwas zu sagen. Wenn man die Bundestagsdebatten verfolgt, die in den vergangenen Jahren zum Bundesversorgungsgesetz stattgefunden haben, dann liest man immer wieder das Wort „Relation". Es war gerade Frau Kollegin Dr. Probst, die noch im November oder Dezember vergangenen Jahres vor diesem Hause ausdrücklich erklärte, daß die Relation zwischen Grund- und Ausgleichsrente erhalten werden müsse. Wenn wir nunmehr ihrem Anliegen stattgäben, so würde das bedeuten, daß wir diese Relation verlören, es würde bedeuten, daß in Zukunft ein ganz anderer Maßstab für die Versorgung der Opfer des Krieges gelten müßte.
Ich selbst stehe hier vor Ihnen als Schwerbeschädigter, aber ich glaube, ich rede nicht in eigener Sache. Ich fühle mich trotzdem verpflichtet, für meine Schwerbeschädigten Kameraden auch einmal zu sagen, wie die Situation heute ist. Ein voll erwerbsunfähiger Kriegsbeschädigter erhält heute an Grundrente 97 DM und an Ausgleichsrente 120 DM, zusammen 217 DM, wobei noch zu beachten ist, daß die Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich dazu dienen soll, die notwendigen Mehraufwendungen des Schwerbeschädigten zu be-
A) gleichen. Er lebt also praktisch mit einem Betrage von 120 DM im Monat, Dasselbe trifft bei der deutschen Kriegerwitwe zu, die, wenn sie über kein weiteres Einkommen verfügt, eine Grundrente von 48 DM und eine Ausgleichsrente von 70 DM erhält. Es ist aber eine Tatsache, die nicht bestritten werden kann, daß eine Frau als Haushaltsvorstand mehr Nebenaufwendungen hat als die Ehefrau in einer Familie, wo der Vater noch da ist. Sie braucht unbedingt die 48 DM, um das zu bezahlen, was sie im Laufe der Monate und Jahre zu begleichen hat.
In der Begründung des Antrags der Koalitionsparteien kam das Wort: Die Kriegerwitwe soll, wenn sie Kinder hat, so gestellt sein, daß sie ihren Unterhalt nicht durch Arbeit bestreiten muß, sondern von ihren Versorgungsbezügen leben kann. Stellen Sie sich aber einmal vor, meine Damen und Zerren: sie erhält jetzt 70 DM im Monat. Da möchte ich doch von jedem unter uns einmal wissen, ob denn in der jetzigen Situation eine Lebensführung mit 70 DM im Monat überhaupt möglich ist.
Dann kommt auch noch eines hinzu — wir haben diesen Streit doch schon beim Kindergeldgesetz gehabt -: Wir haben ja fast alle Gruppen in diesem Gesetz, aber noch nicht berücksicht haben wir die Kriegerwitwen, die arbeitsunfähig sind, die über kein sonstiges Einkommen verfügen und mehr als drei Kinder zu unterhalten und zu erziehen haben. Ich glaube, das Hohe Haus sollte sich auch diese Situation baldmöglichst überlegen und sich klarmachen, daß diese Millionenzahl von Witwen und Beschädigten ein Unsicherheitsfaktor sein könnte. Sollte er einmal zur Auswirkung kommen, dann könnte es uns allen unangenehm werden.
Frau Kollegin Dr. Probst — Sie werden es mir I) nicht übelnehmen, daß ich das noch erwähne —, Sie haben vor ungefähr einem Jahr einen Antrag eingereicht, den Antrag Drucksache 887. Ich kann mich nicht mehr genau der Zahl der Kollegen erinnern, die diesen Antrag unterschrieben haben; ich glaube, es waren 130 oder mehr. Dieser Antrag wollte vor einem Jahre schon mehr geben als das, was heute nach Ihrem Antrag Drucksache 1811 gewährt werden soll. Ich glaube, man sollte doch so einsichtsvoll sein und, wenn man schon einmal von einer überhitzten. Konjunktur spricht, diese Situation auch benutzen — das wäre meines Erachtens logisch und richtig —, um den Menschen zu helfen, die immer noch auf der Schattenseite des Lebens stehen. Dazu gehören die deutschen Kriegsbeschädigten, und dazu gehören auch die Kriegerwitwen und die Kriegerwaisen.
Gehen wir einmal von der Situation aus — und wir müssen sogar von der Situation ausgehen —, wie sie 1950 war. Wir haben 1950 einen ganz anderen Bundeshaushalt als heute gehabt. Wir haben doch damals nur die Hälfte der Einnahmen gehabt, über die der rund heute verfügt. Wir haben im Laufe der vergangenen fünf Jahre den Kriegsopfern praktisch nur ein Mehr von 500 Millionen gegeben — ab 1. Dezember 1954 —, und wenn wir das einmal überblicken und überschauen und wenn wir wissen, daß gerade die Preise für die Lebensmittel, die Bedarfsgüter, die für diese Menschen in Frage kommen, seit 1950 um ein Erhebliches gestiegen sind, dann bringen wir mit all diesen Anträgen nicht die Vollendung des Bundesversorgungsgesetzes, sondern wir schaffen nur die Relation, den Tatbestand wieder herbei, der 1950 vorhanden war. Das ist eine Tatsache, und auf die kommt es letzten Endes an.
Ich will die Ausführungen meiner Vorrednerin nicht noch auf weitere Einzelheiten hin untersuchen; das möge dem Ausschuß vorbehalten bleiben. Aber ich möchte dem Hohen Hause abschließend eines sagen: Wir Schwerbeschädigten werden manchmal gefragt, und gerade draußen werden die Kriegsopfer gefragt, warum sie denn noch nicht das notwendige Vertrauen in alle staatlichen Instanzen und Organe haben. Nehmen Sie es uns und diesen Menschen nicht übel, wenn sie nicht mehr an das glauben, was einmal an Versprechungen getan wurde! Nehmen Sie es uns nicht übel, wenn wir realistisch und nüchtern unsere eigene Situation übersehen und überdenken.
— Da können wir uns, Herr Kollege, mal darüber unterhalten, und ich glaube, es würde ein ganz anderes Ergebnis herauskommen.
Ich möchte nur sagen: Man hat den deutschen Kriegsbeschädigten im ersten Weltkrieg etwas vom Dank des Vaterlandes gesagt. Dann hat man ihnen etwas von dem Ehrenbürger der Nation erzählt.
Aber ich will Ihnen sagen: Wir wollen keine Ehrenbürger der Nation sein, sondern wir wollen Menschen innerhalb unserer Gemeinschaft sein, die auch einmal das Glück haben wollen, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen.
Das ist die entscheidende Tatsache, und ich bitte Sie innigst und ganz herzlichst: Überlegen Sie die Situation und geben Sie mehr als das, was Sie beantragt haben.