Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung gehört. Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. — Ich höre keinen Widerspruch; die Ergänzung der Tagesordnung ist beschlossen.
Dann komme ich zu Punkt 1 der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Berliner Aufbauplan ;
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Änderung des Einzelplans 45 — Finanzielle Hilfe für Berlin — in den Bundeshaushaltsplänen vom Rechnungsjahr 1956 an ;
d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (Drucksache 1707 [neu]);
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wehner, Brookmann und Genossen betreffend Städtebaulicher Ideenwettbewerb „Hauptstadt Berlin" und Architektenwettbewerb „Wiederherstellung Reichstagsgebäude" (Drucksache 1690).
Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat schlage ich Ihnen vor, daß Sie zunächst die Begründung und die Antwort der Regierung zu Punkt 1 a, Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Berliner Aufbauplan, zur Kenntnis nehmen und daß wir die Aussprache darüber mit der Aussprache über die Punkte 1 b bis 1 e der Tagesordnung verbinden. — Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Kollege Brandt.
Brandt (SPD), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es bei der Großen Anfrage, die uns in der Drucksache 1412 vorliegt? Es geht um Berlin, und es geht darum, daß die Deutschen durch ihre Haltung zur Hauptstadt Berlin beweisen, daß sie es ernst meinen mit der Wiedervereinigung und wie ernst sie es meinen, wenn sie von der Wiedervereinigung sprechen. Der Bundestag hat in der vergangenen Woche durch seine Arbeitstagung in Berlin ein eindrucksvolles Bekenntnis abgelegt. Jetzt scheint es uns darauf anzukommen, daß Folgerungen gezogen werden.
Heute geht es hier um die praktische Seite des Berliner Aufbaus. Wir können alle miteinander — das möchte ich meinen heutigen Betrachtungen voranstellen — auf ein gutes Stück gemeinsamer Arbeit zurückblicken. Die meisten werden sich noch jener Zeit erinnern, in der die Berlin-Debatten in diesem Hause durch akute Not geprägt waren. Heute hat Berlin immer noch mehr als 110 000 Arbeitslose, aber wir hatten einmal mehr als 320 000. Heute liegt die Westberliner Produktion bei 110 %, verglichen mit dem Jahre 1936. Das ist wenig, wenn wir die Zahl für das westdeutsche Bundesgebiet danebenhalten und wenn wir vor allem daran denken, daß Berlin früher nur zur Hälfte
von seiner Produktion und zur anderen Hälfte davon gelebt hat, daß es Hauptstadt war. Aber es ist trotzdem eine stolze Zwischenbilanz, wenn wir uns daran erinnern, daß Berlin mit ganzen 17 % beginnen mußte, als die Blockade im Frühjahr 1949 zu Ende gegangen war. Wir haben seitdem Berlin behauptet, wir haben es mit dem Bund, zu dem es gehört, unlösbar verknüpft. Wir haben es in die Lage versetzt, seine Aufgabe als eine der Klammern des gespaltenen Deutschlands zu erfüllen.
Diese Arbeit der hinter uns liegenden Jahre war uns politisch aufgezwungen. Sie hat sich aber auch wirtschaftlich gelohnt. Das böse Wort vom Faß ohne Boden ist seinen Erfindern im Halse steckengeblieben. Gewiß, dieser Weg hat große Anstrengungen erfordert. Aber schließlich ging es um nicht mehr und nicht weniger, als eine Millionenstadt ökonomisch neu zu begründen. Mit der Amerikaner und des Bundes Hilfe und nicht zuletzt durch den unverwüstlichen Arbeitswillen der Berliner selbst sind diese neuen Grundlagen geschaffen worden.
Als einer derer, die heute für Berlin sprechen dürfen, möchte ich von dieser Stelle aus ein schlichtes Wort aufrichtigen Dankes sagen. Wir haben in den vergangenen Jahren gedrängt, wir waren zuweilen unbequem, wir waren ungeduldig. Wir mußten ungeduldig sein und wir müssen ungeduldig bleiben, solange die uns eigentlich gestellte Aufgabe nicht gelöst ist. Aber wir wissen in Berlin, was wir unseren Landsleuten und unseren Freunden im Westen verdanken.
Meinen politischen Freunden und mir geht es hier auch nicht um eine Polemik. Wir möchten allerdings nicht auf den Hinweis verzichten, daß in den zurückliegenden Jahren manches noch wirkungsvoller, noch erfolgreicher hätte gestaltet werden können, wenn das als richtig Erkannte ohne Zeitverlust, ohne Tempoverlust in die Wege geleitet worden wäre.
Wir hätten dann noch weiter sein können. Diese Erkenntnis gilt auch für die Aufgaben, die jetzt vor uns liegen.
Was ist das Wesentliche an dem langfristigen Aufbauplan für Berlin, mit dem sich unsere Große Anfrage befaßt? Das Wesentliche ist, daß es sich nicht mehr allein darum handelt, die Grundlagen neuer industrieller Produktion zu schaffen und der bittersten Not Herr zu werden. Das Wesentliche ist der Übergang vom Aufbau zum Ausbau, der Übergang von der Hilfe zur Vorbereitung auf die hauptstädtischen Aufgaben in einem wiedervereinigten Deutschland.
Das Gerippe eines solchen Plans für die Jahre 1955 bis 1959 wurde vom Berliner Senat Anfang dieses Jahres unterbreitet. Wir nähern uns jetzt dem Ende des Jahres. In der Zwischenzeit haben, wie wir wissen, in Berlin und in Bonn wichtige Besprechungen stattgefunden. Aber uns will scheinen, daß nun bald ein gewisser Abschluß gefunden werden müßte. Ein überschaubares Aufbauprogramm für Berlin, das sich über eine Reihe von Jahren erstreckt, erfordert auch in Bonn Festlegungen, die über den Rahmen eines Haushaltsjahres hinausgehen. Unsere Große Anfrage, die das Datum des 25. Mai trägt, bezog sich auf die einen Monat zuvor geführten Gespräche zwischen dem
Senat und dem Wirtschaftskabinett unter dem Vorsitz des Herrn Bundeskanzlers. Damals wurde in Berlin eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der es hieß, die Bundesregierung und der Senat seien sich einig, die Entwicklung der Stadt nach den Zielen des langfristigen Aufbauplans zu fördern. Es hieß damals auch, die Bundesregierung werde die sich ergebenden Auswirkungen auf den Bundeshaushalt in ihren Vorlagen berücksichtigen Über den Inhalt des Aufbauplans selbst gibt die Druckschrift des Berliner Senats Aufschluß, die allen Mitgliedern des Hauses zugegangen ist.
Dabei geht es nun zunächst darum, daß weitere 100 000 Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, einmal, weil es in Berlin immer noch eine beträchtliche Reserve an Arbeitskräften gibt, zum andern, weil Berlin den Ertrag seiner Wirtschaft steigern muß, um möglichst bald aus eigener Kraft leben zu können. Wir sollten auch nicht statisch denken, sondern erkennen, daß Berlin über den Rahmen seiner im Augenblick vorhandenen Arbeitskräfte hinaus und auch über den Rahmen der zunächst in Aussicht genommenen Kapazitäten hinaus entwickelt werden kann und entwickelt werden muß. Für diesen Teil des Plans stehen — so hieß es in der gemeinsamen Erklärung von Bundesregierung und Senat — bis 1959, und zwar aus dem ERP-Sondervermögen in Berlin und im Bund, 1,6 Milliarden DM zur Verfügung. Dieses Haus wird darauf zu achten haben, daß in den Wirtschaftsplänen für die nächsten vier Jahre die erforderlichen Kredite nicht nur für die Investitionen, sondern auch für die Auftragsfinanzierung und für das Notstandsprogramm erscheinen.
Ich möchte gerne diesen letzten Punkt besonders unterstreichen und mich zum Fürsprecher gerade auch der vielen älteren und nun schon seit vielen Jahren arbeitslosen Angestellten in Berlin machen. Es wäre eine gute Sache, meine Damen und Herren, wenn wir zu dem in Aussicht genommenen Sonderprogramm kämen, um älteren Angestellten nicht nur für drei oder für sechs Monate, sondern für jeweils zwei oder drei Jahre zu einer sinnvollen Beschäftigung zu verhelfen.
Im übrigen möchte ich die Aufmerksamkeit des Hauses in diesem Zusammenhang noch auf zwei Punkte lenken, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Es wird gerade im Zusammenhang mit den neuen Anstrengungen um den wirtschaftlichen Ausbau nichts versäumt werden dürfen, um gemeinsam mit den dafür verantwortlichen Mächten den Verkehr von und nach Berlin nicht nur im bisherigen Ausmaß sicherzustellen, sondern um den Berlin-Verkehr auch weiterhin zu vereinfachen. Das wäre ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Beitrag zu einer tatsächlichen, aber auch möglichen und dringend erwünschten Normalisierung der Verhältnisse.
Zweitens: Alle verantwortlichen Kräfte im deutschen Westen sollten sich darüber im klaren sein, daß der Berliner Aufbau nicht durch ein kleinliches und egoistisches Wegengagieren von Menschen über Gebühr erschwert werden sollte. Es wird im Gegenteil darauf ankommen, gerade auch jüngere Führungskräfte aus der Wirtschaft und aus der Wissenschaft zu veranlassen, gegen den Strom zu schwimmen und für eine jedem einzelnen dienliche Zeit der Bewährung und des Dienstes an einer gemeinsamen Aufgabe nach Berlin zu gehen.
Im zweiten Teil des Aufbauplans geht es nun um Aufgabengebiete, die allesamt nicht nur für das Wohl der davon unmittelbar betroffenen Bevölkerung und für den Zusammenhalt mit den Landsleuten im anderen Teil der einen Stadt und für den Zusammenhalt mit den Menschen in der Zone von Bedeutung sind, sondern um Aufgabengebiete, auf denen auch über das Gesicht der künftigen deutschen Hauptstadt entschieden wird. Das gilt ganz besonders auch für das Kultur- und Sozialprogramm. Die Art, wie wir die Berliner Universitäten und Hochschulen ausstatten, geht völlig unabhängig von der Kulturhoheit der Länder uns alle gemeinsam an. Daß die Philharmoniker ein würdiges Gebäude benötigen, wird mit gutem Gewissen von niemand bestritten werden können. Neulich hat irgendwo ein Gemütsmensch geschrieben, was denn wohl die Berliner mit einer Oper wollten; im Ostsektor sei doch gerade eine fertig geworden.
Natürlich wollen wir und müssen wir bei unseren Planungen an das ganze Berlin denken; aber auch das ganze Berlin wird nicht an zwei Opern zugrunde gehen. Früher hat Berlin drei gehabt.
Es geht in diesem Teil zum andern um ein Verkehrs- und ein Versorgungsprogramm. Eine Stadt, die so ausgeblutet war wie Berlin und die heute schon und erst recht morgen Aufgaben für das ganze Deutschland zu erfüllen hat, braucht Unterstützung auch für ihre längst fälligen großen Kommunalbauten.
Drittens: In diesem Bereich geht es um den Sozialen Wohnungsbau, für den bis 1959 etwa 75 000 Wohnungen vorgesehen sind. Mir ist berichtet worden, daß bei den Beratungen unserer sachkundigen Kollegen in der vorigen Woche in Berlin der Gedanke zusätzlicher Aufwendungen für die Beseitigung von Elendsquartieren positiv aufgenommen worden sei, und Berlin wird es begrüßen, wenn dieser Gedanke weiter verfolgt wird.
Für die drei genannten Programme — Kultur-und Sozialprogramm, Verkehrs- und Versorgungsprogramm und Wohnungsbauprogramm — werden im Laufe der Planperiode etwa 1'/2 Milliarden DM erforderlich sein. Zu mehr als drei Vierteln wird es sich dabei um werbend angelegte Mittel handeln, für die Berlin vom Bund zinsverbilligte Darlehen erwartet. Zu einem andern Teil geht es um Zuschüsse für nichtwerbende Anlagen. Davon ist wohl auch das Wirtschaftskabinett ausgegangen, als es in der gemeinsamen Erklärung von den Auswirkungen auf den Bundeshaushalt sprach.
Meine politischen Freunde und ich würden es lebhaft begrüßen, wenn sich die Bundesregierung über die uns bekannten allgemeineren Feststellungen hinaus dazu verstehen könnte, das Aufkommen aus dem Notopfer Berlin in den Dienst dieser neuen Aufgaben zu stellen.
Wir lenken die Aufmerksamkeit des Hauses insbesondere auch darauf, daß die kteditpolitischen Maßnahmen durch den Bund ohne eine politisch nicht zu verantwortende Verschuldung und Zukunftsbelastung Berlins getroffen werden sollten. Es müßte auch darauf ankommen, daß die erforderlichen Mittel und Maßnahmen sich nicht zersplittern, sondern daß sie geballt eingesetzt werden können. Um das zu erreichen, war der Gedanke eines Sondervermögens aufgekommen. Aber vielleicht ist es nicht zweckmäßig, hier die technische Seite des Problems zu vertiefen.
Ich möchte statt dessen den zweiten Punkt unserer Großen Anfrage, die nun schon ein bißchen liegengeblieben war, folgendermaßen konkretisieren. Erstens: Wird die Bundesregierung im Sinne der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 26. April, jener Erklärung, in der es hieß, der Bund sei sich seiner großen Verpflichtungen für Berlin voll bewußt, die notwendigen grundsätzlichen Entscheidungen herbeiführen, damit Berlin alle erforderlichen Ansätze in seinem Haushalt vorsehen kann? Zweitens: Wird die Bundesregierung, wie es bei allen sich über mehrere Jahre erstreckenden Programmen selbstverständlich ist, in einem Zuge auch die Endfinanzierung der Projekte des Berliner Aufbauplans sicherstellen, damit ihre Inangriffnahme und Durchführung zügig erfolgen kann? Drittens: Denkt die Bundesregierung, wie es der Berliner Senat vorschlägt, an die Vorlage eines Gesetzes zur Finanzierung des Aufbauplans, um eine rechtzeitige Festlegung der Gesamtfinanzierung für mehrere Jahre sicherzustellen? Das Haus wird, so hoffe ich, Verständnis für diese Konkretisierung unserer Anfrage haben, zumal es mit den Vorbereitungen der Haushalte in Berlin und im Bund eilt, und dem Herrn Bundesfinanzminister wird es zweifellos auch recht sein, sich nicht auf allgemeinere Bemerkungen beschränken zu müssen.
Wenn es der Herr Präsident gestattet, würde ich abschließend gerne noch ein paar begründende Bemerkungen zu dem Antrag machen, der uns in der Drucksache 1690 vorliegt — dann brauchte ich mich dazu nicht noch einmal zu Wort melden —, da es sich auch dabei um den Aufbau handelt.